Lesespaß aus kontrapunktischer Ironie
In seinem Roman «Ein Haus für Mr. Biswas» erzählt der Nobelpreisträger V. S. Naipaul die Lebensgeschichte eines Journalisten, der als Außenseiter der Gesellschaft einen ständigen Kampf mit den widrigen Umständen seines armseligen Lebens führt. Ort des Geschehens ist die Karibikinsel Trinidad, aus deren indischem Milieu auch der Autor stammt, der damit seinem eigenen Vater ein literarisches Denkmal setzen wollte. Gleichermaßen Entwicklungs- wie Familienroman, nehmen darin die Herausforderungen kein Ende, denen der Sohn eines armen Landarbeiters wie ein Fluch zeitlebens ausgesetzt bleibt, bis zu seinem Tod. Insoweit wäre «Pleiten, Pech und Pannen» ein stimmigerer Titel für dieses trübsinnig machende Buch.
Der zweiteilige, um Prolog und Epilog ergänzte Roman wird in 16 Kapiteln chronologisch erzählt, er beginnt im Kapitel «Pastorale» mit der Geburt des Protagonisten Mohun Biswas. «‹Ein Junge, ein Junge›, jammerte die Hebamme, ‹aber was für ein Junge! Verkehrt herum geboren, und mit sechs Fingern›». Ein zur Hilfe gerufener Pandit beruhigt die aufgebrachte Mutter: «Es gibt immer Mittel und Wege, mit solch unglücklichen Fügungen fertig zu werden». Der weise Mann verordnet nicht nur, dass man das Kind vom Wasser «in seiner natürlichen Form», also «von Flüssen und Teichen», fernhalten müsse, sondern auch, dass der Vater sein Kind die ersten einundzwanzig Tage nach der Geburt nicht sehen dürfe. Am einundzwanzigsten Tage aber müsse er das Kind sehen, und zwar nicht direkt, sondern nur als Spiegelbild auf einer mit Kokosöl gefüllten Messingschale. Mit einer Zweischillingmünze für seine Dienste entlohnt, ist der Pandit «recht zufrieden, er hat mit weniger gerechnet». Auf den mehr als siebenhundert Seiten des zutiefst melancholischen Romans wirken solche amüsanten Szenen immer wieder wohltuend kontrapunktisch. Bei all der Trübsal ist stilistisch zudem immer auch ein ironischer Grundton vorhanden, der eine skeptische Distanz des Autors zu dem sozialen Milieu offenbart, dem er ja selbst entstammt.
Immer knapp bei Kasse, schlägt Mr. Biswas sich mit allerlei Gelegenheitsjobs durchs Leben, um schließlich als Journalist zu arbeiten. Irgendwann kommt er zufällig sogar zu einer Frau und nebenbei dann bald auch zu einer Schar von Kindern. Durch seine Ehe gerät er in den weitläufigen Familienclan seiner Frau, was ihm weitere Probleme und sogar handfeste Konflikte beschert, weil die neue Verwandtschaft ihn zusätzlich plagt und immer nur verspottet. In seinem ständigen Kampf verliert er aber nie sein Ziel aus den Augen: Er möchte irgendwann das titelgebende, eigene Haus haben. Was ihm, nach vielen Umzügen und vorübergehendem familiären Zusammenwohnen dann auch tatsächlich gelingt.
Als Misanthrop zieht der Protagonist boshaft über viele seiner Mitmenschen her. Er erzieht seine Kinder äußerst streng, sie sind ihm ähnlich gleichgültig wie seine gefühlskalte, boshafte Frau, mit der er im Dauerstreit liegt. Die vielen Figuren des Romans sind zumeist unsympathisch, man bekommt keine Nähe zu ihnen als Leser, wozu natürlich auch beiträgt, dass ein exotischer Schauplatz wie Trinidad mit seiner Armut und seinen prekären Lebens-Verhältnissen einem Deutschen gesellschaftlich fremd bleiben muss. Der pessimistischen Stimmung angepasst, wird natürlich auch die zweifellos ja vorhandene Karibik-Idylle mit ihren Traumstränden nicht thematisiert, das lebensfrohe Trinidad der Touristen bleibt konsequent außen vor. Die depressive Grundstimmung dieses voluminösen Romans, in dem so gut wie nichts passiert und das Ende schon im Prolog vorweg genommen wird, ist in ihrer Einförmigkeit auf Dauer nur noch langweilig. Denn auch ein Erkenntnis-Gewinn ist kaum gegeben, man erfährt nichts Neues aus dem tristen Mikrokosmos des Mr. Biswas, auf den sich der Autor narrativ weitgehend beschränkt. Ein Minimum an Lesespaß lässt sich allenfalls aus der kontrapunktisch wirkenden Ironie gewinnen, mit der da erzählt wird.
Fazit: mäßig
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Joan Didion’s Verlust und Trauer. Die amerikanische Journalistin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin widmet sich in zwei Romanen ihres Spätwerks den Themen Verlust und Trauer auf eine unnachahmliche, ganz feinsinnige Art und Weise. Während ihre Tochter Quintana auf der Intensivstation liegt, verstirbt ihr Ehemann, der Schriftsteller John Gregory Dunne, an einer Herzerkrankung. Ein doppelter Verlust, der von Normalsterblichen nicht zu bewältigen ist. Von Schriftstellern vielleicht durch das Schreiben.
„In manchen Breitengraden gibt es vor der Sommersonnenwende und danach eine Zeitspanne, nur wenige Wochen, in der die Dämmerungen lang und blau werden. Während der blauen Stunden glaubt man, der Tag wird nie enden. Wenn die Zeit der blauen Stunden sich dem Ende nähert (und das wird sie, sie endet), erlebt man ein Frösteln, eine Vorahnung der Krankheit: das blaue Licht verschwindet, die Tage werden schon kürzer, der Sommer ist vorbei.“ Das Ende des Versprechens, das Joan Didion hier so poetisch anspricht, bezieht sich auf die kürzer werdenden Tage, aber natürlich auch das kürzer werdende Leben, das allzu schnell an einem vorbeifliegt wie ein nichts. Erst erzählt sie von ihrem Haus in Brentwood Park, Kalifornien, wo die geborene New Yorkerin mit ihrem Mann und ihrer Tochter wohnte, bevor sie nach rund 20 Jahren (1988) nach New York rückübersiedelte.
Stories von den Underdogs


Das Liebespaar des Jahrhunderts. Was mit drei Worten beginnt kann auch mit drei Worten enden. Vom “Ich liebe dich” zum “Ich verlasse dich” führt dieser Roman über drei Dekaden hinweg. Ein unglaublich persönliches Stück Literatur, das jede und jeden von uns betrifft. Julia Schoch fasst das in Worte, was sich die wenigsten von uns zu denken trauen. Und am Ende siegt doch die Liebe. So oder so. Ein Roman vielmehr noch als nur eine Geschichte: ein Manifest der Liebe.
In der Ruhe liegt der Wahnsinn. Der sympathische 39-jährige Engländer mit inzwischen deutscher Staatsbürgerschaft veröffentlichte schon mehrere Bücher im Beck Verlag. Mit seinem neuen vielversprechenden Buchtitel legt er ein sehr persönliches Zeugnis ab, das mit englischem Humor und deutscher Gründlichkeit eine Beziehungsachterbahnfahrt schildert. Konfliktpotential: die Babyfrage.
Narratives Können und gedankliche Tiefe

Ich lese dieses Buch seit einem halben Jahr und bin noch nicht „durch“. Pro Tag etwa drei Objekte, und manche immer wieder. Was können alles Objekte sein? Annabelle Hirsch erklärt es uns und beginnt mit einen 30 Tausend Jahre alten weiblichen Oberschenkelknochen, der einen verheilten Bruch zeigt.

Der Meister und Margarita. Gebunden, mit Farbschnitt, Prägung, Lesebändchen und 25 beeindruckenden, ganzseitigen Illustrationen von Alexander Fedorov: das ist eine Festausgabe des russischen Kultbuchs von Michail Bulgakow. Der am 15. Mai 1891 in Kiew geborene und am 10. März 1940 in Moskau – vor bald 85 Jahren – gestorbene Autor beschäftigt die Literaturgeschichte seit mehr als 100 Jahren. Ebenso sein Hauptwerk, das nun in einer bibliophilen Ausgabe beim Anaconda Verlag erschienen ist. Weitere ähnlich gestaltete Neuauflagen seiner anderen Werke finden sich auf der Verlagsseite.
Vielschichtig und lange nachwirkend
Raumfahrt für Träumer