Schrödingers Grrrl

Ein literarisches Kabinettstück

Der Debütroman von Maren Hobrack trägt den kryptischen Titel «Schrödingers Grrrl», der einerseits auf den Physik-Nobelpreisträger Erwin Schrödiger und sein berühmtes Gedanken-Experiment mit der Katze im Kasten hinweist, andererseits auf die popkulturelle, feministische Riot-Grrrl-Bewegung in den USA. In dieser Coming-of-Age-Geschichte wird von Mara Wolf erzählt, einer in prekären Verhältnissen lebenden, antriebslosen 23jährigen Schulabbrecherin, die von einem PR-Agenten überredet wird, sich in einem gewagten Coup als Autorin eines Buches auszugeben, das sie nicht geschrieben hat.

Die Protagonistin Mara lebt in ihrer Geburtsstadt Dresden von Hartz IV, ohne jedoch die Stellen anzunehmen, die ihr das Jobcenter als ungelernte Arbeitskraft anbietet, weil sie unter Depressionen leidet. Sie hat sogar oft Schwierigkeiten, auch nur zu den Beratungs-Gesprächen zu erscheinen und wird deshalb immer wieder von Sanktionen bedroht, die ihre Sachbearbeiterin jedoch, ihrer psychischen Probleme wegen, abwenden kann. Sie zwingt die junge Frau schließlich dazu, sich in psycho-therapeutische Behandlung zu begeben. Irgendwann dann lernt sie später zufällig Hanno kennen, der von ihr begeistert ist und erklärt, sie sei vom Typ her genau die Richtige, um für einen abgetakelten älteren Schriftsteller die Autorschaft an dessen Roman zu übernehmen. Denn dieser Mann selbst glaube, ebenso wie auch sein Lektor, nicht daran, dass sich das Buch unter seinem eigenen Namen erfolgreich verkaufen lasse. Sie passe, meint Hanno, vor allem vom Alter und ihren prekären Lebensumständen her letztendlich auch viel besser zur Thematik des Romans. Nicht zuletzt wegen dem für ihre finanziellen Verhältnisse üppigen Vorschuss willigt sie schließlich ein in den ungewöhnlichen Deal, – das Buch würde dann in eineinhalb Jahren erscheinen, sagt man ihr.

Bei einer Veranstaltung lernt Mara Paul kennen und verliebt sich auf der Stelle unsterblich in ihn. Er arbeitet in Liverpool und ist nur noch zwei Tage in Dresden, wo er geschäftlich zu tun hat. Obwohl sie alles dransetzt, gelingt es ihr nicht, den eher spröden Paul zu erobern. Aber sie nimmt über die sozialen Medien wenigstens verbal Kontakt mit ihm auf, der mit der Zeit dann immer intensiver wird und bald auch sehr vertraulich. Als sie ihn schließlich in Liverpool besucht, scheitert sie aber ebenfalls, er möchte sich nicht von ihr vereinnahmen lassen, erklärt er lapidar. Mara stürzt sich nun erfolgreich in die mit der Veröffentlichung «ihres» Romans einhergehenden Werbemaßnahmen. Sie geht auf Lesereise und wird in den Medien interviewt, ihre Mutter sieht sie plötzlich überraschend im Fernsehen, sie hatte niemanden in ihrem Umkreis vorinformiert. Das Buch verkauft sich «wie geschnitten Brot», heißt es im Buchhandel!

«Schrödingers Grrrl» wird abwechselnd aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt, auktorial, aber auch personal von einer Ich-Erzählerin namens Mara Wolf (sic!). Es entsteht somit eine klassische Buch-im-Buch-Konstellation als äußerst virtuoses Spiel mit Identitäten. So wenn Mara beispielsweise gebeten wird, etwas über «ihr» Buch zu erzählen. «Es geht um eine junge Frau» erklärt sie dann, «die sich in ihre Online-Fantasiewelt flüchtet, weil sie mit der Wirklichkeit um sich herum nicht klarkommt. Sie wäre gern ein Instagram-Star oder so was Ähnliches. Aber nichts von dem, was sie macht, ist von Erfolg gekrönt». Und weiter erzählt Mara: «Es mangelt ihr an intimen sozialen Beziehungen. Sie ist sozusagen entfremdet von sich und ihrer Welt». Der klug konstruierte Plot dieser flüssig lesbaren, spannenden Coming-of-Age-Geschichte erweist sich als köstliche Satire auf den Literaturbetrieb, ist gleichzeitig aber auch eine sozialkritische Auseinandersetzung mit den Verwerfungen und Fehlentwicklungen der Konsum-Gesellschaft. Insbesondere auch durch die Auswüchse in den ‹Asozialen Medien›, die sich als eher unsozial erweisen und zudem erheblich beitragen zur geistigen Verarmung der endlos mit ihren Smartphones herum daddelnden Digital Natives. Ein literarisches Kabinettstück!

Fazit:   erfreulich

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Genre: Roman
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