Im Schnellzug nach Haifa

Gabriele Tergit ist eine anerkannte Journalistin von Gerichtsreportagen und Bestsellerautorin (Käsebier erobert den Kurfürstendamm) im Berlin der zwanziger Jahre, verheiratet mit einem Architekten; nie wären sie auf die Idee gekommen, nach Palästina auszuwandern.

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Genre: Autobiografie, Politik und Gesellschaft, Reisen
Illustrated by Schöffling & Co Frankfurt am Main

Joan Didion’s Verlust und Trauer

Joan Didion’s Verlust und Trauer. Die amerikanische Journalistin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin widmet sich in zwei Romanen ihres Spätwerks den Themen Verlust und Trauer auf eine unnachahmliche, ganz feinsinnige Art und Weise. Während ihre Tochter Quintana auf der Intensivstation liegt, verstirbt ihr Ehemann, der Schriftsteller John Gregory Dunne, an einer Herzerkrankung. Ein doppelter Verlust, der von Normalsterblichen nicht zu bewältigen ist. Von Schriftstellern vielleicht durch das Schreiben.

Das Jahr magischen Denkens

Das Jahr magischen Denkens” legt seinen Schwerpunkt auf den überraschenden und abrupten Verlust ihres Ehemannes. Auch wenn 16 Jahre zuvor eine Herzerkrankung festgestellt wurde, kommt der Tod mit 71 irgendwie doch ohne Vorankündigung, bei Tisch, in der gemeinsamen Wohnung, beim Abendbrot. Ein Kappa 900 SR Herzschrittmacher befand sich in seiner Brust als er starb. 1987 beim Kardiologen sagte er, jetzt wüßte er wenigstens, woran er einmal sterben würde. Die linke Herzkranzarterie wird von Ärzten auch als “Witwenmacher“, wie Didion erwähnt. Den beiden fehlten gerade noch einunddreißig Tage bis zum vierzigsten Hochzeitstag. Zeit ihres Lebens waren sie füreinander der Mensch, dem man vertraute. Das, was sie erlebte, wollte sie immer sogleich mit ihm besprechen und alles mit ihm teilen. Auch die gemeinsame Tochter Quintana. Für andere Schriftstellerehepaare waren die beiden fast ein Vorbild, so gut funktionierte die Beziehung und die Zusammenarbeit. Als er stirbt, gab es eine Weile lange eine Ebene, bei der sie glaubte, es rückgängig machen zu können. Deswegen musste und wollte sie zuerst unbedingt allein sein. “Ich musste allein sein, damit er zurückkommen konnte. So begann mein Jahr magischen Denkens.

Die Ra(s)tlosigkeit der Hinterbliebenen

Da die Wirklichkeit des Todes noch nicht ins Bewusstsein vorgedrungen ist, erscheinen Hinterbliebene oft so, als könnten sie die Verlust relativ gut akzeptieren“, spricht Didion wohl allen Hinterbliebenen der Welt, die einen ähnlichen Verlust zu beklagen haben, aus dem Herzen. Sie unterscheidet zwischen Trauer und Leid: letztere sei vor allem passiv, Leid geschah, aber trauern, die Auseinandersetzung mit Leid, verlange Aufmerksamkeit. Hinterbliebene sehen, wenn sie zurückblicken, Omen, Botschaften, die ihnen entgingen, erklärt sie. Strudel tun sich auf und der Betroffene vermeidet Orte, die ihn an die verlorene Person erinnern könnten, zunächst zumindest. “Jetzt versuchte ich nur noch, den Aufprall zu rekonstruieren, den Sturz des erloschenen Sterns.” Man wisse noch nicht, dass die Beerdigung schmerzstillend sei, eine Art narkotischer Regression, “wo wir in der Fürsorge anderer und in der Schwere und Bedeutung des Anlasses aufgehoben sind“, schreibt sie.

Halluzinatorische Wunschpsychosen

Später dann wird einem sichtbare Trauer quasi vorgeworfen, sie erinnere an den Tod, es werde als unnatürlich empfunden, als “Unvermögen, die Situation zu meistern“. Ein einziger Mensch fehle dir und man habe nicht einmal mehr das Recht, das auch laut zu sagen, wie sie Philippe Ariès paraphrasiert. Auffallend sei auch das Festhalten an Objekten (des Verstorbenen) Festhalten durch eine “halluzinatorische Wunschpsychose“. In Blaue Stunde schreibt sie über denselben Aspekt und fügt hinzu: “Eine Zeit in der ich glaubte, Menschen lebendig und bei mir halten zu können, indem ich ihre Andenken aufbewahrte, ihre `Sachen´, ihre Totems.” (..) Theoretisch dienen diese Andenken dazu, den Augenblick zurückzurufen. Tatsächlichen dienen sie nur das, mir zu verdeutlichen, wie wenig ich den Augenblick genoss, als er da war.”

Blaue Stunden und eine neuer Morgen

In manchen Breitengraden gibt es vor der Sommersonnenwende und danach eine Zeitspanne, nur wenige Wochen, in der die Dämmerungen lang und blau werden. Während der blauen Stunden glaubt man, der Tag wird nie enden. Wenn die Zeit der blauen Stunden sich dem Ende nähert (und das wird sie, sie endet), erlebt man ein Frösteln, eine Vorahnung der Krankheit: das blaue Licht verschwindet, die Tage werden schon kürzer, der Sommer ist vorbei.“ Das Ende des Versprechens, das Joan Didion hier so poetisch anspricht, bezieht sich auf die kürzer werdenden Tage, aber natürlich auch das kürzer werdende Leben, das allzu schnell an einem vorbeifliegt wie ein nichts. Erst erzählt sie von ihrem Haus in Brentwood Park, Kalifornien, wo die geborene New Yorkerin mit ihrem Mann und ihrer Tochter wohnte, bevor sie nach rund 20 Jahren (1988) nach New York rückübersiedelte.

Das Unsagbare aufschreiben

Es ist grausam, sich sterben zu sehen ohne Kinder“, zitiert sie Napoleon Bonaparte, aber noch grausamer ist es wohl, wenn die Kinder vor einem sterben. Damals glaubte sie noch die Zeit würde nie vergehen, ebenso wenig wie die blauen Stunden. Damals, glaubten wir das alle. Auch die Buschfeuer standen damals schon an der Tagesordnung und es war nicht die Frage, ob sie ausbrachen, sondern wann. “Relaxin’ in Camarillo” wie es in dem Eagles Song Hotel California heißt, bekommt eine andere Bedeutung, wenn man diese Zeilen von Joan Didion liest, denn Camarillo war eine Klapse. Und der härteste Satz in “Blaue Stunden” trifft exakt wie ein Torpedo: “Erinnerungen sind das, woran man sich nicht länger erinnern möchte.

Notes to John

Joan Didion ist es in ihren beiden Werken, “Blaue Stunden” und “Das Jahr magischen Denkens”, gelungen, das Persönliche exemplarisch zu machen und es so auch anderen Menschen zugänglich zu machen. In ihrer bewundernswerten Resilienz zeigt sie, dass Aufgeben keine Option ist und das Leben wert ist, jeden Atemzug gelebt zu werden. Joan Didion überlebte die beiden größten Katastrophen ihres Lebens, den Verlust von Geliebtem und Tochter, um beinahe 20 Jahre. Sie starb im Dezember 2021. Demnächst – 2025 – erscheint auch ein Buch aus dem Nachlass mit dem Titel “Notes to John“.

Joan Didion
Das Jahr magischen Denkens
(Originaltitel: The Year of Magical Thinking)
Aus dem Amerikanischen von Antje Rávik Strubel
2021, Broschur, 256 Seiten,
ISBN: 9783548065588
Verlag Ullstein Taschenbuch
14,99 €


Genre: Autobiografie, Roman, Trauer
Illustrated by Ullstein

Von einem der auszog, dass Flüchten zu lernen

In schlichten Worten beschreibt der 1966 in Ost-Berlin geborene Autor seinen Wunsch, die DDR zu verlassen.

Dräger wollte er unter anderem versuchen, über das Dach eines Linienbusses, den er fuhr, über die Mauer zu springen. Er gab den Plan dann aber auf und folgte im Juni 1989 der zu jener Zeit bereits starken Fluchtbewegung über die grüne Grenze nach Ungarn, um von dort aus nach Österreich zu gelangen.

Der 22-jährige wurde dabei von tschechischen Grenzern gefasst und nach zehntägiger Haft in Prag in die DDR verbracht, von dort in die Haftanstalt Hohenschönhausen eingeliefert und wegen ungesetzlichem Grenzübertritt angeklagt. Weiter ging es in die Untersuchungshaft nach Berlin-Rummelsburg. Von Mitgefangenen erfuhr er, dass er nun ein 213-er war, so hieß der Paragraf für den Tatbestand der Republikflucht im DDR-Strafgesetzbuch. Eine Strafe von mindestens neun Monaten erwartete ihn.

Der Autor schildert seine Erlebnisse während der mehrmonatigen Haftzeit, die ihn im Gefangenen-Sammeltransport der Deutschen Reichsbahn, den im Gefängnisjargon »Grotewohl-Express« genannten Zug, nach Riesa führte. Durch seine Ausbildung als Schneider entging er der schweren Arbeit im dortigen Stahlwerk und konnte stattdessen in der Kleiderkammer der Haftanstalt tätig sein.

Mit der Maueröffnung am 9. November 1989 veränderte sich seine Situation schlagartig. Die erste Generalamnestie für republikflüchtige Häftlinge auf ostdeutschem Boden wurde verkündet, Dräger wurde am 13. November 1989 entlassen. Von dort aus ging es über ein Notaufnahmelager nach Gießen, wo bereits hunderte DDR-Bürger auf die Einreise in die BRD warteten. Nun konnte er seine Meinung frei äußern, musste sich nicht mehr vor Repressalien fürchten und fühlte sich endlich frei.

Erschienen im Selbstverlag 2021


Genre: Autobiografie, Erfahrungen
Illustrated by Selbstverlag

Set the Night on Fire

Set the Night on Fire. 1965, Venice Beach, California: vier illustre Gestalten gründen eine der aufsehenerregendsten Bands der Sechziger. Vor allem ihr Leadsänger Jim Morrison zieht die Aufmerksamkeit der sensationsgeilen Medien auf sich. 1967 ihr erster Durchbruch mit der Number 1 Hit Single Light My Fire. Geschrieben hat diesen Song Robby Krieger, der Gitarrist, der in vorliegender Autobiographie seine Sicht der Dinge darlegt.

Set the Night on Fire!

Nach den Autobiographien von Ray Manzarek und John Densmore, den beiden anderen Gründungsmitgliedern, ist nun auch mit großem zeitlichen Abstand auch Robby Kriegers Lebensbeichte erschienen. Denn es geht bei weitem nicht nur um die Doors, in seiner Autobiographie, Robby hatte auch ein Leben außerhalb und nach den Doors. Denn 1969, nur vier Jahre nach der Gründung der Band, war eigentlich alles schon wieder vorbei. Der Miami-Vorfall hatte die Band an den Rand ihrer Existenz gebracht und Jim Morrison wäre eventuell sogar im Gefängnis gelandet, wäre er nicht noch vor Prozessende am 3. Juli 1971 in Paris an einem Herzinfarkt in der Badewanne gestorben. Oder war es doch das Heroin, das seine Freundin und Langzeitlebensgefährtin Pamela Courson ihm verabreichte? Robby Krieger hält nicht hinter dem Berg, dass auch er die fatale Droge damals konsumierte. Genauso wie Kokain, Marihuana und LSD. Letztere, die sog. bewusstseinserweiternde Droge, war bei Gründung der Doors sogar noch legal. Alle hatten es damals probiert.

It was the sixties, man!

Für Jim Morrison war es laut Robby Krieger nur eine Möglichkeit seine Grenzen zu testen. Meistens testete er seine Grenzen aber an seinen Bandenmitgliedern, wie Robby verschmitzt bemerkt. “The worst hair in Rock’n’Roll” lautet seine bescheidene, selbstironische Selbstbeschreibung. Immerhin hatte Robby die größten Hits der Doors geschrieben, seinen süffisanten Humor beweist er auch in seiner Autobiographie. Etwa wenn er erzählt, dass es “Light My Fire” – immerhin der größte Hit der Doors – niemals ohne die Coverversion von José Feliciano “in den Orbit” geschafft hätte. Offene Worte findet Robby auch über seinen Zwillingsbruder Ronny, seine Eltern oder seine Beziehungen: “Or when I contracted crabs (Filzläuse, AP). What can I say? It was the sixties, man.”

Ship of Fools

Die Struktur von Robbys Doors Narrativ richtet sich lose nach den Studioalben der Band. Aber er öffnet auch den Zugang zu seinem öffentlichen und privaten Leben in Rückblenden und Meditationen zwischen dem Hier und Jetzt. Große Genugtuung brachten ihm die Tourneen der Doors nach Jims Tod, denn Robby spielte in den verschiedensten Formationen, u.a. auch mit Ray Manzarek in The Doors of the 21st Century mit Ian Ashbury (The Cult) als Morrison-Inkarnation. Allerdings brachten diesen Auftritte auch John Densmore und die Coursons und Morrisons auf den Plan, die das “Erbe der Doors” schützen wollten und Klage einreichten. Legal Battles waren die Folge, die vielleicht länger in Erinnerung bleiben als die guten Zeiten, die sie miteinander verbrachten. Aber spitzbübisch wie er nun einmal ist managte er auch diese eingefahrene Situation. So wie die Konzerte: Sie hätten nie mit einer Set List gespielt, erzählt Robby, denn das heute dem Konzert die Spontanität genommen und die Beziehung zwischen Band und Publikum zerstört.

Trauma Hochschaubahn

Was Oliver Stone in seinem Film aus Jim gemacht hätte? “He came across as a pretentious, obnoxious, stupid Druck who was a dick to everyone around him”, aber Jim war eher so: “He was a funny, and shy, and when he was out of line he knew it, and he was sorry. He hat a way of making everyone who mit him feel like he was their best friend.” Seine Zeit mit Jim Morrison bezeichnet er als “six year roller coaster ride“, und beschreibt die Zeit nach der Achterbahnfahrt dann so: “It was full of loops and corkscrew turns and Drops that suspended laws of gravity. We needed a Moment for our heart Rates to return to normal“. Man merkt trotz allem Humor und der vielen anderen Geschichten, dass Robby immer noch im Bann der Doors steht und irgendwie unter dem Schock des Verlusts. Man stelle sich vor, dass der wichtigste Mensch im Leben einfach von einem zum andern Tag verschwindet: “There was no one last Drink. There was no one last meal. A few days later he was just gone.” Erst nach Paris, dann in den Orbit.

To me, its value lies in what it inspired“, meint Robby über seine verschollene Gibson SG mit der er Light My Fire komponiert hatte. Vielleicht gilt das auch für das Werk, das die Doors hinterlassen haben.

Robby Krieger
Set the Night on Fire
Living, Dying and Playing Guitar with the Doors
2021, 432 Seiten, 196 x 128mm
ISBN-13 978-1-4746-2418-3
White Rabbit Publishing
€ 20.-


Genre: Autobiografie, Kunst, Musik und Literatur, Sechziger
Illustrated by White Rabbit Publishing

Auf den Bühnen der Welt

Ludwig Frank spielt auf allen Opern- und Konzertbühnen der Welt mit, und es gibt kaum einen Spitzenmusiker, der ihn nicht bereits gehört hat. Dabei ist Frank nie persönlich präsent. Es sind seine Oboen, die mit ihrem Wohllaut die Herzen der Zuhörer erfüllen, denn Frank ist ein weltbekannter Instrumentenbauer. Mit seiner Autobiografie »Auf den Bühnen der Welt« legt er seine Erinnerungen vor. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Erinnerungen, Instrumentenbau, Musik
Illustrated by Ultraviolett

Iowa. Ein Ausflug nach Amerika

Iowa. Ein Ausflug nach Amerika. Nach “Statusmeldungen” und “Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin” schon das dritte Buch der österreichischen Self-Made-Autorin Stefanie Sargnagel aus Wien beim renommierten Rowohlt Verlag. Mit dabei ist dieses Mal auch Christiane Rösinger besser bekannt durch ihre Bandprojekte Lassie Singers und Britta, sowie viele andere kulturelle Aktivitäten im Berliner Underground.

Iowa: Fette Malls, ranziges Essen

Stefanie Sargnagel hat sich im deutschsprachigen Raum bereits einen gewissen Kultstatus erworben. Ihr Ausflug nach Amerika glänzt durch bissigen Humor und Selfbashing – entwaffnend ehrlich eben. Auf Einladung eines amerikanischen Colleges in Grinnell, Iowa fliegt die muntere Autorin mit ihrer Freundin Christiane kurzerhand in die USA. Sie soll dort Creative Writing unterrichten und das ausgerechnet in einem 8000-Seelen Dorf. Das College erweist sich dann aber als multikultureller und diverser als der Ort und Iowa fortschrittlicher als man es erwarten würde. “Über die Realität legt sich ab jetzt ein beugebräunlicher Schleier. Das ist der vergilbte Teil der USA“, sind zwar ihre ersten Gedanken nach der Landung, aber bald bemerkt sie, dass das Örtchen keine Kulisse ist und dort tatsächlich richtige Menschen leben, auch wenn sie oft Klischees entsprechen, die man aus US-amerikanischen Serien selbst zu kennen glaubt. Tumbleweed. Vieles ist ihr dann auch tatsächlich schon bekannt, aus eben diesen Serien oder Filmen. Aber sie entdeckt auch bald die Segnungen des Kapitalismus: Dass ausgerechnet Walmart eine soziale Ader hat und arme Leute auf den Parkplätzen seiner Malls campen lässt, ist doch überraschend. Skurriler noch als unsere westeuropäischen Vorurteile sind auch Sargnagels Beschreibungen der Amish, Amana und Maharishi-Sekten, um nur drei der unzähligen Glaubensgemeinschaften dort zu nennen, auf die sie bei ihren Ausflügen stößt. Die Autorin hat darüber eigene Reportagen eingebaut, auch Chicago und L.A. besucht sie kurz im Mietwagen mit ihrer Mutter und auch wenn der eigentliche Höhepunkt des “Ausflugs nach Amerika” ausbleibt (oder ist es der Abschied von Christiane?) ist das eigentliche Thema ein ganz anderes.

Ausflug nach Amerika: Genug vom “Rumspringa”

Denn es wäre kein Buch von der Sargnagel, wenn man nicht auch sehr viel über sie selbst erfahren würde. So lernt man etwa den Alkoholmissbrauch der Österreicher von dem der Deutschen zu unterscheiden oder begreift endlich den Unterschied zwischen einem Egozentriker und einem Narzissten: “Nur der erstere ist zu wahrem Idealismus in der Lage“. Christiane und Stefanie erkunden die Umgebung im Mietauto oder mit dem Greyhound: Des Moines, die Hauptstadt Iowas, wird durch die Iowa State Fair und den zweitgrößten Skywalk nach Minneapolis beschrieben, der Mississippi durch einen Pelikanflug und Dubuque durch seine Zahnradbahn, die älteste Amerikas. Das Hundebashing und die Macht der Waffenlobby sind noch ein paar Roadside Attractions auf diesem munteren Ritt durch den Midwest der USA. “Wochenlanges zielloses Reisen empfinde ich aber seit ich nicht mehr jugendlich bin eigentlich als stumpfen Konsum privilegierter IdiotInnen“, schränkt sie ihre Neugierde dann aber doch etwas ein und ist dann irgendwie wieder froh, nach Grinnell zurückzukommen. “Aber mit dem Abschied vom Exzess bricht ein ganzer Teil der Wirklichkeit weg. Der Irrsinn der Nacht.”Dafür kann man sich dann – am Ende der Strasse – vielleicht nur noch für Mukbang interessieren? Bei den Amish dürfen die geschlechtsreifen Jugendlichen mit 16 Jahren auf die Pfalz, sie nennen das “Rumspringa“, erzählt Sargnagel und in dieser Zeit dürfen sie alles ausprobieren, was sie wollen: Sex und Drugs und R’n’R. Davon dürfte die Sargnagel, 1986 geboren, inzwischen wohl genug haben. Denn mit kaum etwas mehr als 37 Jahren hat sie schon ihr reifes Alterswerk geschrieben: Iowa. Ein unterhaltsamer, lesenswerter Roadtrip voller Sarkasmus bei gleichzeitig sehr viel Sympathie. Unaufgeregt, abgeklärt und unheimlich witzig.

Zu Lesungen des Buches mit der Autorin lädt der Rowohlt Verlag ab Januar 2024 in Wien, Graz, Köln und vielen anderen deutschsprachigen Städten!

Stefanie Sargnagel
Iowa. Ein Ausflug nach Amerika
Mit korrigierenden Fußnoten von Christiane Rösinger
2023, Hardvoer, 304 Seiten
ISBN: 978-3-498-00340-1
Rowohlt Buchverlag


Genre: Autobiografie, Gegenwartsliteratur, Reise, Reiseabenteuer
Illustrated by Rowohlt

Wie ein Himmel in uns. Meine Nacht allein im Louvre.

 „Na? Wie würdest du die Mona Lisa stehlen?“ Eine Frage, die Vincenzo Peruggia, der Kunstdieb des Gemäldes, während seines Gefängnisaufenthalts 1913 einen Mitinsassen mit einem nicht minder verschmitzten Lächeln hätte stellen können. Wie wahrscheinlich wäre es außerdem, eine ‚Leihgabe‘ des Gemäldes genehmigt zu bekommen, wie im Falle des reichen Entrepreneurs Miles Bron im Film Glass Onion? Realistischer war da schon 2019 die Chance, im Rahmen eines Gewinnspiels mit Airbnb eine Nacht im Louvre zu verbringen. Eine Aktion, die sicherlich auch von Beyonces und Jay-Zs Video zu „Apeshit“ inspiriert wurde.

In „Wie ein Himmel in uns. Meine Nacht allein im Louvre“ von Jakuta Alikavazovic, einer in Paris aufgewachsenen Autorin mit jugoslawischen Wurzeln, ist die Frage nach einem potenziellen Raub der Mona Lisa eine viel komplexere, als Popkultur und Verschwörungstheorien vermuten lassen.

Kunst als Heimatverlust

Die (gestohlene) Mona Lisa wird bei Alikavazovic zum Sinnbild des Heimatverlusts. Nicht zufällig erwähnt die namenlose Ich-Erzählerin, dass Peruggia in seinem Bemühen, das Gemälde dem ‚rechtmäßigen‘ Land seiner Zugehörigkeit zurückzubringen, bis heute als italienischer Nationalheld gefeiert wird. Eine Art Restitution also?

Das Gefühl der verlorenen Heimat wird sowohl direkt durch die Ich-Erzählerin als auch indirekt durch deren Vorgeneration, ihren Vater, empfunden. Dieser spukt in Form von Erinnerungen und Mythen wie ein Phantasma durch das Narrativ der Tochter, während sie – unter dem Vorwand der Recherche für ein Buch – eine Nacht allein im Louvre verbringt. Nach der Flucht vor dem Jugoslawienkrieg nach Frankreich wird der Louvre hauptsächlich für den Vater nicht nur zum Ort der Erkenntnis, dass sich die Erinnerung an die Heimat – Titos kommunistische Utopie vom jugoslawischen ‚Einheitsstaat‘, ähnlich wie Stalins Sowjetunion – als künstliches Konstrukt entpuppt. Genauso verhält es sich mit den zahlreichen Besuchern am ‚Tatort‘ im Louvre, in deren Erinnerung die Mona Lisa während ihrer Abwesenheit 1911-1913 originellere Züge annimmt als in ihrer Anwesenheit. Die Erinnerung an etwas, das es nicht (mehr) gibt.

Kunst als ‚wahre‘ Heimat

Gleichzeitig kann der Vater seine Identität gerade im Louvre jenseits der gesprochenen Sprache mit seiner Affinität zu Kunst(geschichte) ‚neu‘ erfinden. Wenn er seine Tochter also immer wieder fragt „Na? Wie würdest du die Mona Lisa stehlen?“, dann interessieren ihn auch die Möglichkeiten und Grenzen ihrer eigenen Neuerfindung.

Ironischerweise hat auch der ehemalige französische Präsident François Mitterrand den Louvre 1989 ‚renoviert‘, weniger revolutioniert. Der Eindruck von einem ursprünglich aus dem 19. Jhdt. stammenden Adelspalast sollte unter anderem durch den Bau einer Glaspyramide, von der sich der chinesisch-amerikanische Architekt Ieoh Ming Pei absolute Transparenz erhoffte, getrübt werden. Auch wenn Mitterrand mit dieser zur spöttischen „Grabkammer der Sozialisten“ deklarierten Pyramide eine demokratische Geste für ein modernes Frankreich tätigen wollte, wurde der moderne Zusatz vom Volk lediglich geduldet. Selbst wenn die Pyramide mittlerweile bekannter ist als das eigentliche Museum.

Jenseits von Trauma und Exilliteratur. Die Untrennbarkeit von Ästhetik und Politik

In „Wie ein Himmel in uns“ untersucht Alikavazovic mit Fingerspitzengefühl, inwiefern der Akt der ‚Neuerfindung‘, sei es in Bezug auf Kunst, Geschichte oder persönliche Identität, auch mit Scham behaftet sowie eine spielerische Verleugnung der Vergangenheit und des Selbst sein kann. Auch, wie sich das auf Liebe in zwischenmenschlichen Beziehungen auswirkt. Damit knüpft sie teilweise an die Vorgängerromane Corps Volatils, Le Londres-Louxor oder Das Fortschreiten der Nacht an.

In der Manier des Magischen Realismus mit metafiktionalen Elementen lässt sie die Wahrnehmung, Erinnerungen und Erlebnisse der Ich-Erzählerin, des Vaters und anderer Bekannter ineinanderfließen. So gekonnt, dass man Vater und Tochter tatsächlich zutrauen könnte, einen Raubversuch im Louvre zu wagen. Autofiktion und Autobiographie, Ästhetik und Politik gehen somit nahtlos ineinander über.

Alikavazovic lässt sich literarischen Größen wie Vladimir Nabokov (Der Museumsbesuch), David Markson (Wittgensteins Mätresse) oder Annie Ernaux (Die Scham) zuordnen. Nicht nur, aber auch deswegen gebührt der Autorin, die auch David Foster Wallace ins Französische überträgt und von der gerade einmal zwei Romane ins Deutsche übersetzt wurden, mehr Aufmerksamkeit.

Jakuta Alikavazovic: Wie ein Himmel in uns. Meine Nacht allein im Louvre.

Übersetzt aus dem Französischen von Stephanie Singh.

Erschienen bei Hanser.


Genre: Autobiografie, Autofiktion, Kulturgeschichte, Kunst, Roman
Illustrated by Hanser

Eurotrash

Christian Kracht ist Schweizer mit deutschen Wurzeln. Er sieht sich selbst als Kosmopolit. Nach eigener Aussage begreift er seine Romane eher „humoristisch“, löst mit seinem Werk und Leben allerdings häufig heftige Kontroversen aus. Ein Mensch und Autor, der nicht einzuordnen ist, und der in Eurotrash offensichtlich immer noch nach seinem eigenen Platz und Stellenwert in einem Leben sucht, dessen materielle Rahmenbedingungen andere bei einem flüchtigen Blick neidvoll als beste Voraussetzungen für unbeschwertes Glück ansehen würden. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Erinnerungen, Gesellschaftsroman, Politik und Gesellschaft, Roman
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Im Garten meiner Kindheit

Christine Kayser entführt den Leser in die Zeit ihrer Kindheit, in eine ländlich geprägte Zeit. Morgens schöpfte die Milchfrau frische Milch aus Kannen. Abends las die Großmutter vor. Das Leben des Wildfangs spielte sich weitgehend außerhalb des Hauses in der freien Natur ab. Waschmaschinen, Kühlschränke, Telefon und Fernseher gab es noch nicht. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Erzählungen
Illustrated by story.one

Vom Endzeit-Blues zurück ins Leben

Turbulente Lebensgewässer

Vom bewegten Leben eines ganz normalen Bürgers erzählt die Autobiografie „Vom Endzeit-Blues zurück ins Leben“. Als eines von mehreren Geschwistern wächst der Autor zunächst bei seinen Eltern und später bei Onkel und Tante auf, die sich mit dem Kind wohl ihren Kinderwunsch erfüllt haben. Zunächst läuft es für den Jungen ganz gut; er ist begeistert von den Freiheiten, die er jetzt genießt. Aber das Leben bei Onkel und Tante hat nicht nur gute Seiten, sodass er als Teenager zurück zu seinen Eltern zieht. Dort macht er eine Lehre zum Schriftsetzer, muss aber quasi als Mädchen für alles vielerlei andere Arbeiten verrichten. Aus mehreren Gründen heiratet Ranstädt früh. Seine Frau bringt einen Sohn mit in die Ehe, zwei weitere Kinder folgen. Ein paar Jahre später muss der Autor seinen ersten Schicksalsschlag verkraften, denn der erste Sohn erkrankt schwer. Weitere Schicksalsschläge folgen in Form von Trennungen, schwierigen Beziehungen zu den Kindern und turbulenten Arbeitsstellen, bis Ranstädt sein stürmisches Lebensschiff in ruhigere Gewässer steuern kann.

Nach dem Ab folgt ein Auf

Die Autobiografie liest sich flüssig, schnell und spannend. Ich habe als Mutter nur ca. 3 Abende gebraucht, um sie zu lesen. Das verdankt sich nicht nur der flüssigen Schreibweise mit Appetizern am Ende der Kapitel, sondern auch der recht großen Schrift, die das Lesen angenehm gestaltet. Das Buch entfaltet sich als Lebensrückschau vor den Augen der Leser*innen und beweist, dass auch und gerade die Geschichte ganz normaler Leute interessant sein kann.

Der Autor will den Leser*innen Mut machen, indem er sagt, dass nach jedem (Jammer-)Tal auch wieder frohes Gipfelstürmen folgen kann. Das Leben erfolgt in Wellen; es gibt immer ein Auf und Ab. Und wie ein Stehaufmännchen soll man sich von den Tiefen nicht unterkriegen lassen, denn irgendwo kommt immer wieder ein Lichtlein her. Es ist wirklich faszinierend zu sehen, wie ein solches Lichtlein just in dem Moment um die Ecke biegt, wenn alles am Boden zu liegen scheint. Da beneide ich Ranstädt, denn in meinem Leben kam mal nicht eben ein Lichtlein vorbei, ich musste mir solche Lichter stets selbst erarbeiten. Das ist aber auch das einzige Beneidenswerte, denn ansonsten wurde dem Autor in seinem Leben kaum etwas erspart. Das ermöglicht ihm aber eine Weitsicht und Reife, die auch im Nachwort des Buches zu spüren ist.

Ich persönlich finde es schade, dass das Buch für meinen Geschmack zu sehr an der Oberfläche geblieben ist, denn ich wäre gern noch tiefer in seine Geschichte eingetaucht. Kaum angefangen war das Buch schon ausgelesen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es sehr schwer sein muss, sein Leben derart offen darzulegen und Wunden wieder aufzureißen. Das geht wohl nur bis zu einem gewissen Grad. Hin und wieder tauchen Tippfehler auf, die evtl. für eine zweite Auflage angegangen werden könnten. Ansonsten habe ich aber an dem Buch nichts auszusetzen. Eigentlich könnte es ruhig mehr Biografien von „ganz normalen Leuten“ geben – sie lesen sich zumindest für mich spannender als so manche Promi-Biografie und beweisen, wie vielfältig der „ganz normale Alltagswahnsinn“ sein kann.

 


Genre: Autobiografie
Illustrated by BoD Norderstedt

An das Wilde glauben

„Miedeka“ ist die ewenische Benennung für jemanden, der nach der Begegnung mit einem Bären gezeichnet ist. Nastja ist eine solche Person, die bei den Ewenen von Itscha – einem indigenen Volk in der Kamtschatka – in den Wäldern lebt. Ihr ewenischer Name lautet zudem Matucha – Bärin, und sie reflektiert über das Zusammentreffen, das ihrer Meinung nach unvermeidlich gewesen sei. „Es gibt etwas Unsichtbares, das unsere Leben auf das Unerwartete zutreibt“, heißt es im Buch. Es gäbe Rhythmus in der Welt, in der wir leben, Richtung, Orientierung. Also auch ein Schicksal, das beide, Nastja und die Bärin, unausweichlich zusammengeführt hat.     Weiterlesen


Genre: Autobiografie
Illustrated by Matthes & Seitz

Sind Sie das? Eine Spurensuche

Wie viel vom tatsächlichen Leben eines Autors steckt in seinen Romanen? Diese Frage taucht nahezu in jedem Publikumsgespräch mit Autoren auf. Aber auch Literaturwissenschaftler und Rezensenten beschäftigen sich teilweise akribisch und streng wissenschaftlich mit dieser Thematik. Charles Lewinsky hat sich mit seinem neuesten Buch auf Spurensuche im eigenen Werk begeben. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Sachbuch
Illustrated by Diogenes

Versprich es mir. Über Hoffnung

Joe Biden – Versprich es mir

He, Joe“, meinte Barack einmal zu Biden, „man kauft das Schlimme mit dem Guten ein“. Schon während der Präsidentschaft hatten die beiden Bs eng zusammengearbeitet. Biden war der Vizepräsident Barack Obamas und hätte 2016 auch selbst kandidiert. Doch dann kam die Krankheit seines Sohnes Beau dazwischen und Biden entschied sich für die Familie. Donald Trump gewann daraufhin gegen Bill Clinton die Wahlen. Aber 2019 übernahm Joe Biden das Ruder. Am 20.1.2020 wurde er als 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Und er übernimmt ein gespaltenes Land in der Corona-Krise mit einer Rekordarbeitslosigkeit und schlechten Wirtschaftsdaten. Aber Joe Biden verkörpert das, was in einer krisengeschüttelten Zeit wie der unseren das Wichtigste ist: Hoffnung.

Biden: Hoffnung für die Welt?

Biden wurde von seinen Gegnern gerne als „Trauerredner der Nation“ abgetan, was angesichts der Dinge, die er in seinem Leben schon mitmachen musste, geradezu pietätlos wirkt. Denn nicht nur, dass er 2015 seinen erst 45-jährigen Sohn Beau verlor, nein, schon Jahre zuvor gingen seine Frau und seine Tochter bei einem Autounfall von dieser Welt. Aber Joe Biden gab nicht auf und setzte sich seine Ziele, die ihn nun bis an die Spitze seines Landes brachten. Und seine Programm liest sich gar nicht so schlecht: Kampf dem Supperlobbyismus, Besteuerung der Vermögen statt der Arbeit, Ende der Steuerschlupflöcher und Steuernachlässe, Mindestlohn von 15 Dollar und Abschaffung der Studiengebühren an den öffentlichen Colleges und Universitäten. Schon während seiner Vizepräsidentschaft war er auch für die Homosexuellenehe und deren rechtliche Gleichstellung eingetreten. Und nicht zuletzt ein Mondfahrtprogramm zur Bekämpfung von Krebs. Now hope and history rhyme.

Joe oder The Luck of the Irish

Die vorliegende, äußerste lesenswerte Kampfschrift ist nicht nur gut geschrieben, sondern auch sehr persönlich gehalten. Biden schreibt über den Kampf seines Sohnes Beau gegen den Krebs, aber auch von seinen eigenen politischen Erfolgen im Irak oder seinen Vermittlungsbemühungen in Mittelamerika und der Ukraine. Dabei behält er auch eine gewisse subtile Form von Humor bei, was ihn noch sympathischer macht. Gerade weil er als Außenseiter startete und „against all odds“ die Vorwahlen und die eigentlichen Wahlen gewann und weil er sich durch seine schlimmen Schicksalsschläge nicht unterkriegen ließ, möchte man diesem Präsidenten nur das Beste wünschen. Denn für die Aufgaben, die vor ihm liegen, wird er jede Unterstützung brauchen. Man vertraut und glaubt seinen Worten. Was man nicht erfährt, ist seine Vorgeschichte. Das Buch handelt hauptsächlich in der Zeit der 10er Dekade des 21. Jahrhunderts, es erschien in den USA 2017, aber bereits nach der Angelobung von Trump. Der Vorwurf er würde aus dem Tod seines Sohnes politisches Kapital schlagen wollen und all die andere Schmutzwäsche, die gegen ihn lief, wird Lügen gestraft. Für seine Kritiker gilt: einen schönen Gruß von Onkel Ed. Und gerne nimmt man ihm auch das Versprechen ab, das er seinem Sohn gab: Die Welt wieder zu einem besseren Platz zu machen.

Joe Biden

Versprich es mir.

Über Hoffnung am Rande des Abgrunds

Aus dem Amerikanischen von Henning Dedekind und Friedrich Pflüger.

ISBN: 978-3-406-76713-5

2020, Hardcover, 250 S

C.H.Beck Verlag

22,00 €


Genre: Autobiografie, Politik
Illustrated by C.H. Beck München

Bukowskis Jugendjahre

Bukowskis Jugendjahre. „Für alle Väter“ lautet die Widmung, die Charles Bukowski, der im August dieses Jahres 100 Jahre alt werden würde, seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen voranstellt. Denn Bukowski ist nicht nur der Autor zahlreicher Gedichte und Short Stories, sondern auch von einigen Romanen.

Bukowski: Class of `39

„Post Office“, sein Romandebüt widmete sich seiner einzigen festen Anstellung bei der amerikanischen Post. In „Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend“ geht Charles Bukowskis aber noch weiter in seinen Erinnerungen zurück, nämlich bis in seine Jugend im Amerika der 20er und 30er Jahre. Sein Vater, der jeden Morgen pünktlich das Haus verlässt, damit die Nachbarn nicht merken, daß er arbeitslos ist, war von der oben angeführten Zueignung und Widmung wohl ausgeschlossen. „Die rohe Gewalt, die in ihm rumorte, verscheuchte alles andere.“ Denn er züchtigte seinen Sohn Charles mit dem Lederriemen und verursachte damit wohl genau jene Entzündungen, die später als eitrige Akne ausbrachen und Bukowski damit sein Leben (oder zumindest seinen Körper) versauten. Aber so schlecht war dieses Leben nicht mehr, zumindest ab dem Zeitpunkt als er sein Elternhaus verließ. Genau über die Zeit davor handelt der vorliegende autobiographische Roman.

„Fump, fump, fump,fump …“

Bukowski nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Er spricht über Tabus, damit auch andere sich trauen, darüber zu reden. Seine Worte machen Mut und lösen eigene Erinnerungen aus, die vielleicht ebensolche Traumata auslösten. In der Schule war er noch ein Sportass, aber bald verlässt ihn der Ehrgeiz, da er schon früh anfängt zu trinken. „Das hier machte das Leben zu einer reinen Freude. Es machte einen Mann unerschütterlich und unangreifbar“, schreibt er über seinen ersten Rausch, bei dem er sich an Weinfässern des Vaters eines Mitschülers bediente. „So wohl war mir noch nie gewesen. Es war besser als Onanieren.“ Bukowski war noch keine 14. Bei der Beschreibung einer Tätigkeit eines anderen Mitschülers während des Unterrichts, bedient sich Bukowski auch der Lautsprache: „Fump, fump, fump,fump …“ lautet sein Kommentar zu den Beinen von Mrs. Gredis. Eine Parallelmontage der ganz anderen Art. Aber Bukowski zeigt auch viel Gefühl, etwa wenn er seine Beziehung zu der Krankenschwester beschreibt, die ihm seine Pusteln ausbrannte, Miss Ackermann. Aus seinem ersten McJob wird er wegen einer Schlägerei rausgeschmissen, aber mit der Pünktlichkeit hatte er es damals schon nicht so genau genommen. Seine ersten Tage als Student werden ebenso angeschnitten, wie seine Entscheidung nicht in den Krieg zu ziehen. Die Class of `39 war nämlich trotz Pearl Harbor schon pazifistisch gesinnt, obwohl `68 noch weit entfernt war.

Charles Bukowski wusste wohl damals schon, dass er sich ein Leben lang als Außenseiter durchschlagen muss. Nach weiteren McJobs als Tankwart, Schlachthof- und Hafenarbeiter (und natürlich als Postmann) starb Bukowski am 9. März 1994 in San Pedro/LA.

Charles Bukowski

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Roman

dtv Allgemeine Belletristik
Aus dem amerikanischen Englisch von Carl Weissner
2007, 352 Seiten, Softcover

ISBN 978-3-423-20963-2
10,95 EURO

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Genre: Autobiografie, Roman
Illustrated by dtv München