Nichts für Hedonisten
Der Debütroman der iranisch-stämmigen Jina Khayyer mit dem kryptischen Titel «Im Herzen der Katze» erzählt eine autobiografische Geschichte, die mit der Ermordung von Jina Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei am 16. September 2022 in Teheran beginnt. In langen Telefonaten mit der Mutter und mit Schwester Roya lässt sich die Ich-Erzählerin des Romans über den aktuellen Fall berichten, der weltweit ja Entsetzen ausgelöst hat und bis heute noch andauernde Protestaktionen vor allem der Frauen im Iran hervorruft. Teils im Stil einer Roadnovel erzählt die in Deutschland geborene Protagonistin, wie sie, nachdem ihr bewusst wurde, dass die junge Frau mit gleichem Vornamen wie sie tot ist, nur weil sie ihr Kopftuch nicht korrekt getragen habe, kurz entschlossen in den Iran reist zu ihren Verwandten. Was sie als Erkundungsreise in die aktuelle politische Situation des Staates Iran geplant hat, erweist sich auch als Reise in ihre eigene Vergangenheit, sie war zum ersten Mal als junge Frau dort. Von einer riesigen Schar von Verwandten und nicht weniger als sechs Tanten wird sie mit wahrhaft überschwänglicher Gastfreundschaft empfangen. Auf Vorschlag ihrer Schwester entschließt sie sich spontan, samt Reiseführer zu einer mehrtägigen Autotour «im Herzen der Katze» aufzubrechen. Der Iran sehe auf der Landkarte, erklärt die Ich-Erzählerin dazu, in seinen Umrissen wie eine Katze aus, eine Handzeichnung der Autorin im Buch mit markierter Reiseroute verdeutlicht das sehr anschaulich, – genau darauf also bezieht sich der Buchtitel!
Die Katze ist es denn auch, die der Legende nach mehrere Leben habe, was sich auf die persische Nation übertragen lässt, die politisch das feudale Regime des letzten Schahs wie auch die Machtübernahme der Mullahs überlebt hat und diese mörderischen Despoten eines Tages ebenfalls überwinden wird, um endlich in Freiheit und Würde zu leben. Die Ich-Erzählerin Jina ist, nachdem sie so lange nicht mehr im Iran war und die westliche Lebensart verinnerlicht hat, überrascht von der Schönheit des Landes, von der herzlichen Aufnahme und freundlichen Hilfsbereitschaft, und auch von der Lebensweisheit seiner Bevölkerung. Neben den geschilderten Eindrücken der Protagonistin werden die politischen und historischen Ereignisse und Entwicklungen Irans durch Dialoge und ausführliche Erzählungen der Verwandten und der Schwester geschildert. Auf der Autoreise ist dann auch Iman, ihr Chauffeur und Reiseführer, ein kundiger Erzähler, – der sich aber schon bald als eine junge Frau erweist! Mit rasiertem Schädel und entsprechender Kleidung einschließlich pattgedrückter Brüste sieht sie tatsächlich aus wie ein Mann, und auch ihre tiefe Stimme passt ideal dazu. Ihr Vorname sei für beide Geschlechter gleichermaßen üblich, und so habe sie sich aus Schutz vor Repressionen der Sittenwächter zum Mann umstilisiert, was bisher auch immer einwandfrei funktioniert habe und ihr seither ein relativ freies Leben ermöglichte.
Alle Proteste der iranischen Bevölkerung werden von dem Mullahregime immer wieder mit brutalster Härte niedergeschlagen, die Erzählungen im Roman schildern das eindringlicher und verständlicher als jedes Geschichtsbuch. Was da im Detail geschildert wird, lässt einem allerdings das Herz stocken, dieser Roman ist fürwahr keine Wohlfühl-Leküre! Die religiös verblendeten, diktatorischen Mullahs behandeln ihr Volk geradezu viehisch, wobei insbesondere den Frauen böse zugesetzt wird. Sie werden, alle Menschenrechte missachtend, als minderwertige Wesen ohne Rechte behandelt. Die so genannten Sittenwächter genießen völlige Straffreiheit, wenn sie Menschen krankenhausreif schlagen oder töten. Sie sind ganz einfach immer im Recht, handeln ja quasi im göttlichen Auftrag dabei, es droht ihnen keine Strafverfolgung. Die Iraner befinden sich auch heute noch politisch im tiefsten Mittelalter, und die vielen, erschütternden Beispiele, die der Roman dafür liefert, sind pure Realität im dritten Jahrtausend, keine Fiktion!
Hedonisten werden keine Freude haben an diesem hervorragend geschriebenen Roman, auch wenn er neben den Gräueln den Iran landschaftlich als unglaublich schön, sein Volk als kulturell hochstehend und die Menschen als sympathisch beschreibt, mit viel Sinn für Poesie zudem!
Fazit: lesenswert
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