Eine unerhörte Begebenheit
Das Debüt des bisher nur als Drehbuchautor bekannten, amerikanischen Autors Matthew Weiner unter dem Titel «Alles über Heather» wird als Roman verkauft. Es handelt sich bei dem vom Verlag mit allerlei Seiten schindenden Layout-Tricks auf gerade mal 131 Seiten gebrachten, schmalen Band aber eher um eine typische Novelle, nach Goethe also «eine sich ereignende, unerhörte Begebenheit». In einem kammerspielartigen Setting steuern eine dreiköpfige New Yorker Familie und ein Bauarbeiter auf eine Katastrophe hin, die in diesem 2017 erschienenen Buch ohne Umwege und Ausschmückungen äußerst zielstrebig erzählt wird.
Die fast vierzigjährige, in der PR-Branche tätige Karen lässt sich von ihren Freundinnen, nach einer geplatzten, siebenjährigen Liaison mit ihrem Kunstdozenten, zu einem Date mit Mark überreden, einem eher unscheinbaren Mann, der als Finanzanalyst beruflich sehr erfolgreich ist. Obwohl sie von einer Liebesheirat träumt, heiratet sie ihn aber in einer Art Torschluss-Panik, weil er ihr wenigstens ein finanziell abgesichertes Leben bieten kann. Mit der Geburt der Tochter Heather füllt sich durch die sofort spürbare, schiere Präsenz des Babys sehr schnell die emotionale Leere zwischen den Ehepartnern. Sie ist später auch im Kindesalter ein hübsches, bezauberndes Wesen voller Empathie, das alle unwiderstehlich in Bann zieht, die ihr begegnen. Für ihre Eltern ist sie ihr Ein und Alles, als typische Helikopter-Eltern behüten und umschwirren sie pausenlos ihre ebenso kluge wie liebenswerte Tochter. Karen geht ganz in ihrer Mutterrolle auf, sie ist fast schon symbiotisch mit ihr verbunden. Das ändert sich mit der Pubertät, als Heather auf die unterschwelligen Spannungen in der Ehe ihrer Eltern reagiert, sich aus der Umklammerung der Mutter löst und darauf besteht, wenigstens einmal in der Woche mit ihrem Vater allein etwas unternehmen zu können, – eine Zeit, die beide sehr genießen. Und Mark beobachtet dann immer eifersüchtig, wie die jungen Männer seiner schönen Tochter nachblicken, er will die inzwischen 14jährige Tochter unbedingt von allen Nachstellungen schützen.
In einer zweiten Handlungsebene erzählt der Autor von Bobby, dem verwahrlosten Sohn einer drogen-abhängigen, allein erziehenden Mutter, der als Heranwachsender versucht, ein Mädchen aus der Nachbarschaft zu vergewaltigen und sie dabei schwer verletzt. Hätte er sie umgebracht, lernt er im Gefängnis, hätte er ohne Spuren zu hinterlassen unerkannt entkommen können. Jahre später aus dem Gefängnis entlassen, zündet der Skinhead wütend das Haus seiner mal wieder sinnlos mit Rauschgift zugedröhnten Mutter an. Ein unerkannt bleibender Mord, dem weitere Mordphantasien folgen. Bobby arbeitet fortan als Hilfsarbeiter auf dem Bau, wo er auf Heather aufmerksam wird, die in dem Haus wohnt, dessen Penthaus von seiner Firma saniert wird Wütend beobachtet Mark, dass der junge Bauarbeiter immer wieder seiner attraktiven, halbwüchsigen Tochter nachstiert und sie offensichtlich taxiert, wenn sie an ihm vorbeiläuft. Als er eines Tages beobachtet, dass Heather sogar mal kurz mit ihm spricht, rastet er völlig aus und beschließt in seinen paranoid übersteigerten Befürchtungen, ihn umzubringen.
In einem furiosen Schluss kommt Karen ihrem Mann, dem sie zeitweise sogar inzestuöse Absichten unterstellt hat, wieder näher, – auch sexuell, wo seit langem eigentlich absolute ‹Funkstille› herrschte. Ausgangspunkt für den Autor, der schon immer davon geträumt habe, Romancier zu werden, war seine Beobachtung auf einer Baustelle, wie er im Interview erklärt hat. Dort habe ein Bauarbeiter ein Mädchen ungeniert angestarrt, und er habe sich gefragt, was wohl dessen Vater dazu sagen würde, wenn er das beobachtet hätte. Genau diese Beobachtung hat er in seiner Novelle ja dann auch thematisch umgesetzt. In einer flüssig lesbaren Sprache, zielgerichtet und ohne psychologische Tiefenbohrungen erzählt, gehört dieses spannende Buch zu der Sorte von Page Turnern, die man nicht mehr aus der Hand legt bis zum Ende, welches hier, soviel sei immerhin verraten, dann auch noch ziemlich überraschend ausfällt!
Fazit: lesenswert
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