
Wo Kriegsangst zur Marotte wird
Mit ihrem Romandebüt «Blinde Geister» hat es die Schriftstellerin Lina Schwenk immerhin auf Abhieb bis auf die Longlist für den Deutschen Buchpreises geschafft, also unter die besten zwanzig von insgesamt zweihundert von den Verlagen angemeldeten Büchern. Der Roman ist offensichtlich inspiriert von dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, den so niemand ernsthaft für möglich gehalten hätte. Damit ist seit dem 24. Februar 2022 auch eine konkrete Bedrohung für alle anderen europäischen Staaten entstanden, die sich in einer wachsenden, realen Kriegsangst widerspiegelt. Der kann sich niemand entziehen, sie wird zudem durch massive militärische Aufrüstung und den Beitritt Finnland und Schwedens zur Nato auch realpolitisch geschürt.
In Lina Schwenks Roman einer Generationen übergreifenden Familien-Geschichte entwickelt sich die latente Angst vor dem Krieg aus dem Trauma des Vaters ihrer in den 1960er Jahren geborenen Ich-Erzählerin Olivia Der will sich als Kriegsheimkehrer bestmöglich absichern «wenn die Russen kommen». Ältere Semester unter den Lesern werden sich womöglich erinnern an diese Ängste, insbesondere die Berliner, für die ja der Russe am ‹faschistischen Schutzwall› Jahrzehnte lang tagtägliche Realität war. Karl, Olivias Vater, hat deshalb seinen Keller als Fluchtraum für seine Familie ausgebaut und alles Überlebens-Notwendige dort eingelagert. Er sitzt ständig am Radio und hört Nachrichten. Je nach politischer Wetterlage zieht die vierköpfige Familie dann immer wieder mal für einige Zeit vorsichtshalber in diesen Schutz spendenden Überlebens-Bunker. Seine innig geliebte Frau Rita unterstützt ihn bedingungslos bei seiner Marotte, und für die beiden Töchter gehören diese Probealarme zum prägenden Bestandteil ihrer Jugend. Was für die Verbundenheit der Familie zwar förderlich ist, wird jedoch mit der Zeit zunehmend zur seelischen Belastung der Töchter. Denn ihre Fragen an die Eltern bleiben jahrzehntelang ebenfalls unbeantwortet. und sie wissen auch nicht, welche eigenen Kriegs-Erlebnisse die Bunker-Manie ihres Vaters denn ausgelöst haben. Bei dieser psychischen Belastung bleibt es nicht aus, dass Olivia in die Psychiatrie eingewiesen wird, um mit ärztlicher Hilfe ihr seelisches Gleichgewicht wieder zu finden.
In einem historisch weiten Bogen wird im Roman von der Großmutter bis zur Tochter der Protagonistin erzählt. Dabei kommt zum Schluss auch noch ein russischer Tänzer ins Spiel, der Tänzer geworden sei, wie er erzählt, weil er nicht als Soldat in den Ukrainekrieg ziehen wollte. Auffallend ist, wie seelisch labil die Figuren dieses Romans gezeichnet sind, denn auch wenn sie versuchen, ihre Gefühle zu unterdrücken, fließen bei ihnen doch öfter mal die Tränen, sogar bei den wenigen Männern des deutlich feminin geprägten Romans. Dem Bunker steht symbolisch Bulli, der erste VW-Bus der Eltern entgegen, der ihnen als Gefährt bei ihren Camping-Reisen ans Meer dient. Im Gegensatz zum Kellergewölbe funkelt dabei über ihnen ein Sternenhimmel, die Enge wird also durch die Weite ersetzt.
Die Geister der Vergangenheit sind blind gegenüber der Realität, suggeriert durchaus stimmig schon der Romantitel. Mit feinem Gespür für Blicke, Gesten und körperliche Berührungen schildert die Autorin eine Familie im Ausnahmezustand, deren Traumata sich über die Generationen hinweg fortschreiben. Einen großen Teil der Geschichte nehmen die Zwangs-Vorstellungen von Olivia ein, aus deren Perspektive erzählt wird. Sie ist als Krankenschwester selbst mit Ausnahme-Situationen befasst und muss dann trotz eigener Probleme mit ihrer ungehemmten Phantasie seelische Stärke zeigen und den Patienten Mut machen. Ein Spagat, den sie zu entschlossen meistern sucht. In einer poetischen Sprache behandelt «Blinde Geister» stilistisch eigensinnig und nicht immer gelungen ein sehr aktuelles Thema, wobei das Ganze vom Plot her leider ziemlich konstruiert wirkt.
Fazit: mäßig
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Nachdem mir das Buch Nexus des Autors so gefiel, wollte ich mehr von ihm lesen; warum nicht mal eine Graphic Novel? Hararis Vorwort des DIN A 4 großen Buches mit seinen 275 Seiten klingt gut:
In der Ruhe liegt der Wahnsinn. Der sympathische 39-jährige Engländer mit inzwischen deutscher Staatsbürgerschaft veröffentlichte schon mehrere Bücher im Beck Verlag. Mit seinem neuen vielversprechenden Buchtitel legt er ein sehr persönliches Zeugnis ab, das mit englischem Humor und deutscher Gründlichkeit eine Beziehungsachterbahnfahrt schildert. Konfliktpotential: die Babyfrage.
Gute Unterhaltung
Literarisch ein Zwitter
Schäferidylle kontra Wolf
Revanche. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat. Mit einem neuen Kapitel. Das schon 2023 zum Bestseller avancierte Sachbuch des außenpolitischen Korrespondenten der ZEIT wird 2024 mit einem neuen Kapitel zur Stabilität von Putins Herrschaft nach dem Aufstand und Tod Prigoschins neu aufgelegt. Michael Thumann ist einer der besten Russlandkenner und lebt in Moskau.
„Spannend… intensiv, verführerisch, erotisch…“, so überschlagen sich Literaturkritiker diverser renommierter Medien bei ihren Rezensionen zu Euphoria. Kombiniert mit dem Wortklang des Titels und dem nach einem fiktiven Pseudonym klingenden Namen der Autorin verführen spätestens Keywords aus der Inhaltsangabe wie „Dreiecksbeziehung in exotischem Setting“ zu völlig unzutreffender Kategorisierung. Also Vorsicht vor voreiligen Schnellschlüssen, denn das Buch bietet aus diesem Genre relativ wenig, aber dafür viel mehr Höherkarätiges.
Der Turm schützt uns
Fanal selbstbestimmten Sterbens
Made in Washington. “Keine andere Nation ist seit 1945 derart rabiat aufgetreten“, schreibt der Mitarbeiter des Berliner Kollegs Kalter Krieg in seinem Vorwort und die Bilanz der Außenpolitik der Supermacht USA der letzten 100 Jahre fällt in der Tat ernüchternd aus. Keine andere Nation hat mehr Militärstützpunkte als die USA und gibt mehr Geld für Rüstung aus.
Moralisch absurder Schelmenroman
Blitzlicht auf einen vergessenen Poeten


Im Wahn. Die amerikanische Katastrophe.„…äh…“, lautete die Antwort des President-elect Donald Trump auf die Frage eines Fox-Reporters nach seinen Plänen für die nächsten vier Jahre. Die beiden Spitzenjournalisten Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby betonen, nicht zu scherzen. Denn tatsächlich hat Donald Trump kein politisches Programm außer sich selbst. „Der Herrscher ist das Programm.“ L’etat c’est moi, meinte auch der Sonnenkönig von sich. Aber das war im 18. Jahrhundert. In Frankreich, einer Monarchie.