In »Wackelkontakt« präsentiert der 1960 geborene österreichische Schriftsteller Wolf Haas eine raffinierte und verschachtelte Erzählstruktur, die zwei scheinbar getrennte Geschichten kunstvoll miteinander verwebt.
Franz Escher, ein Wiener Trauerredner mit einer Vorliebe für großformatige Puzzles, wartet in seiner Wohnung auf einen Elektriker, um eine defekte Steckdose mit Wackelkontakt reparieren zu lassen. Um die Wartezeit zu überbrücken, liest er ein Buch über den Mafia-Kronzeugen Elio Russo. Aussteiger Russo sitzt in einem italienischen Gefängnis und fürchtet nach zahlreichen Verrätereien um sein Leben. Schlaflos verbringt er die Nächte und liest ein Buch, das wiederum von einem Franz Escher handelt, der auf einen Elektriker wartet, um eine Steckdose mit Wackelkontakt zu reparieren.
Die wechselseitige Lektüre führt zu einer erzählerischen Spirale, in der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zunehmend verschwimmen. Die Geschichten spiegeln sich gegenseitig und entwickeln eine Dynamik, die beide Protagonisten untrennbar miteinander verbindet.
Haas nimmt schon mit der Wahl des Namens für seinen Protagonisten bewusst Bezug auf Maurits Cornelis Escher (1898–1972), einen niederländischen Künstler, der für seine optischen Täuschungen, verwirrenden Konstruktionen und mathematisch inspirierten Kunstwerke bekannt ist. Escher erschuf Strukturen, die auf den ersten Blick logisch erscheinen, aber in der Realität nicht existieren können. Er spezialisierte sich auf endlose Schleifen und Paradoxien, seine Werke zeigen Figuren oder Gebäude, die in sich selbst zurücklaufen wie die »Drawing Hands« aus dem Jahr 1948, in dem zwei Hände sich gegenseitig zeichnen.
Ebenso wie der Meister der grafischen Illusion lässt auch Wolf Haas die Grenzen zwischen Realität und Vorstellungskraft verschwimmen und spielt mit Wahrnehmung, Endlosschleifen und parallelen Realitäten, die sich bis zum Ende des Romans in immer schnelleren Abfolgen ineinander vermischen.
Dabei spielt der Autor in metafiktionaler Erzählweise mit der Idee des Buchs im Buch, indem die Hauptfiguren Bücher lesen, die jeweils die Geschichte des anderen erzählen. Die Handlung entwickelt sich zu einem Tanz voller unerwarteter Wendungen und Verstrickungen.
Der Roman ist geprägt von Haas’ typischem lakonischen und pointierten Stil, der sowohl humorvoll als auch tiefgründig ist. Die Sprache spiegelt die verschachtelte Struktur wider und fordert den Leser heraus, die verschiedenen Erzählebenen zu entwirren. Sein Satzbau ist oft fragmentarisch, elliptisch oder bricht mitten im Gedanken ab.
Ebenso wie seine lesenswerten Krimis um Kommissar Brenner ist »Wackelkontakt« durchzogen von subtilem bis schwarzem Humor. Trocken, ironisch und auf den Punkt spielt Haas mit Doppeldeutigkeiten, Wortverdrehungen und bewussten Missverständnissen. Er bevorzugt kurze, lakonische Sätze und erinnert manchmal an eine Art gesprochene Poesie.
Der Erfolg von »Wackelkontakt« von Wolf Haas lässt sich sowohl mit dem einzigartigen Stil als auch mit der strukturellen Raffinesse des Romans erklären. Der Leser wird herausgefordert, aber auch unterhaltsam in ein literarisches Labyrinth geführt. Die Geschichte greift Themen wie Identität, Realität und die Macht des Geschichtenerzählens auf. In einer Welt voller Fake News und alternativer Wahrheiten trifft das Thema einen Nerv – es ist sowohl unterhaltsam wie tiefgründig. Zudem werden Gefühle von Ungewissheit und Kontrollverlust, die viele Menschen heute empfinden, literarisch verarbeitet.
»Wackelkontakt« ist erfolgreich, weil es anspruchsvolle Literatur mit unterhaltsamer, humorvoller Erzählweise kombiniert. Der Roman fordert den Leser heraus, ohne ihn zu überfordern – und genau diese Mischung kommt hervorragend an.
Fazit: lesenswert
👍
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