Alle Kreter sind Lügner, sagte der Kreter
Na bitte, es geht doch! Ein pseudo-philosophischer Roman der Postmoderne à la Jonathan Safran Foer, von einem österreichischen Schriftsteller geschrieben, ein Sprachwissenschaftler, Werbetexter und hoch gelobter Krimiautor außerdem, wenn das nichts ist! Da sage noch einer, die heutige deutschsprachige Literatur sei nicht kreativ und avantgardistisch! Dieses werbewirksam betitelte Buch wirkt wie eine literarische Anwendung des Paisleymusters, dessen Ornamentik sich geradezu klassisch im vielfach auf sich selbst zurückführenden Text spiegelt, ein Tabubruch mithin, folgt man Alfred Tarski, dem Hohepriester der logischen Semantik. Aber was ist denn nun das Besondere an diesem Roman?
Wolf Haas hat die absurde Konstruktion seiner Geschichte mit unendlich vielen Sprachspielereien derart auf die Spitze getrieben, dass der Leser seine liebe Not hat, dem Plot zu folgen, wenn er es nicht sowieso vorzieht, sich einfach nur amüsiert im Fluss der Worte treiben zu lassen, ohne überhaupt irgend etwas verstehen zu wollen. Die Erzählperspektive wechselt ständig, Wahres und Fiktives sind kaum unterscheidbar, man gerät in sprachliche Fallen, erlebt dauernde Abschweifungen, endlose Zirkel und Spiegelungen. Immer wieder gibt es bei den Dialogen zwei Versionen, der nur imaginierte und der dann tatsächlich gesprochene Text. Eine weitere Skurrilität sind die häufigen, in eckige Klammern gesetzten Überarbeitungskommentare und Korrekturanmerkungen, mit denen der Autor geschickt die Phantasie des Lesers in seine überbordende Story einbezieht und die Entstehung der Geschichte selbst zur Geschichte wird. Man blickt dem Autor quasi über die Schulter, der gelesene Text wirkt wie ein vorläufiger Entwurf. Kein Wunder also, dass Wolf Haas als Figur höchstpersönlich den Roman bevölkert.
An einer Stelle des Buches (Seite 119) taucht das Verb herunteraxolotln auf, eine nette Wortschöpfung des Autors, die auf die Plagiatsaffäre um den Roman «Axolotl Roadkill» von Helene Hegemann hinweist. Was die eigenwillige Typografie und die verschiedenen Layout-Spielchen anbelangt sind allerdings auch in Falle Haas die Anleihen bei Foer nicht zu übersehen. Vertikal und diagonal angeordnete Sätze, bis zur Unlesbarkeit verkleinerte Schrift, chinesische Schriftzeichen zwischendurch, aber auch auf ganze Seiten ausgedehnt, fahrstuhlartig sich verschiebende Textblöcke über mehrere Seiten. All das könnte man euphorisch als eine grandiose typografische Spielwiese bezeichnen, auf der eine liebenswerte Verarschung des Lesers stattfindet, aber auch als pure Seiten-Schinderei des Autors und seines Verlages, immerhin sind es fast 50 von insgesamt 239 Seiten, auf denen man nichts zu lesen braucht, weil sie entweder leer sind oder nichts Sinnvolles enthalten.
Skurril, satirisch, originell, amüsant, unterhaltsam, intelligent, tiefgründig könnte man den Roman wohlwollend nennen, ein Höhepunkt der deutschsprachigen Produktion des Jahres 2012. Man hätte auch Recht, wenn man sagt, der Roman ist manieriert, überdreht, wirr, abstrus, durchgeknallt, entsetzlich, unerträglich, weil man partout keinen persönlichen Zugang dazu findet, einen konventionellen Text bevorzugt. Ernsthaftigkeit ist jedenfalls keine kennzeichnende Eigenschaft dieses ungewöhnlichen Romans, es kommt hier wirklich nur auf den Leser an. Und all die widersprüchlichen Kritiken sind absolut wahr, ganz im Sinne von Alfred Tarski!
Fazit: mäßig
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