Joan Didion’s Verlust und Trauer

Joan Didion’s Verlust und Trauer. Die amerikanische Journalistin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin widmet sich in zwei Romanen ihres Spätwerks den Themen Verlust und Trauer auf eine unnachahmliche, ganz feinsinnige Art und Weise. Während ihre Tochter Quintana auf der Intensivstation liegt, verstirbt ihr Ehemann, der Schriftsteller John Gregory Dunne, an einer Herzerkrankung. Ein doppelter Verlust, der von Normalsterblichen nicht zu bewältigen ist. Von Schriftstellern vielleicht durch das Schreiben.

Das Jahr magischen Denkens

Das Jahr magischen Denkens” legt seinen Schwerpunkt auf den überraschenden und abrupten Verlust ihres Ehemannes. Auch wenn 16 Jahre zuvor eine Herzerkrankung festgestellt wurde, kommt der Tod mit 71 irgendwie doch ohne Vorankündigung, bei Tisch, in der gemeinsamen Wohnung, beim Abendbrot. Ein Kappa 900 SR Herzschrittmacher befand sich in seiner Brust als er starb. 1987 beim Kardiologen sagte er, jetzt wüßte er wenigstens, woran er einmal sterben würde. Die linke Herzkranzarterie wird von Ärzten auch als “Witwenmacher“, wie Didion erwähnt. Den beiden fehlten gerade noch einunddreißig Tage bis zum vierzigsten Hochzeitstag. Zeit ihres Lebens waren sie füreinander der Mensch, dem man vertraute. Das, was sie erlebte, wollte sie immer sogleich mit ihm besprechen und alles mit ihm teilen. Auch die gemeinsame Tochter Quintana. Für andere Schriftstellerehepaare waren die beiden fast ein Vorbild, so gut funktionierte die Beziehung und die Zusammenarbeit. Als er stirbt, gab es eine Weile lange eine Ebene, bei der sie glaubte, es rückgängig machen zu können. Deswegen musste und wollte sie zuerst unbedingt allein sein. “Ich musste allein sein, damit er zurückkommen konnte. So begann mein Jahr magischen Denkens.

Die Ra(s)tlosigkeit der Hinterbliebenen

Da die Wirklichkeit des Todes noch nicht ins Bewusstsein vorgedrungen ist, erscheinen Hinterbliebene oft so, als könnten sie die Verlust relativ gut akzeptieren“, spricht Didion wohl allen Hinterbliebenen der Welt, die einen ähnlichen Verlust zu beklagen haben, aus dem Herzen. Sie unterscheidet zwischen Trauer und Leid: letztere sei vor allem passiv, Leid geschah, aber trauern, die Auseinandersetzung mit Leid, verlange Aufmerksamkeit. Hinterbliebene sehen, wenn sie zurückblicken, Omen, Botschaften, die ihnen entgingen, erklärt sie. Strudel tun sich auf und der Betroffene vermeidet Orte, die ihn an die verlorene Person erinnern könnten, zunächst zumindest. “Jetzt versuchte ich nur noch, den Aufprall zu rekonstruieren, den Sturz des erloschenen Sterns.” Man wisse noch nicht, dass die Beerdigung schmerzstillend sei, eine Art narkotischer Regression, “wo wir in der Fürsorge anderer und in der Schwere und Bedeutung des Anlasses aufgehoben sind“, schreibt sie.

Halluzinatorische Wunschpsychosen

Später dann wird einem sichtbare Trauer quasi vorgeworfen, sie erinnere an den Tod, es werde als unnatürlich empfunden, als “Unvermögen, die Situation zu meistern“. Ein einziger Mensch fehle dir und man habe nicht einmal mehr das Recht, das auch laut zu sagen, wie sie Philippe Ariès paraphrasiert. Auffallend sei auch das Festhalten an Objekten (des Verstorbenen) Festhalten durch eine “halluzinatorische Wunschpsychose“. In Blaue Stunde schreibt sie über denselben Aspekt und fügt hinzu: “Eine Zeit in der ich glaubte, Menschen lebendig und bei mir halten zu können, indem ich ihre Andenken aufbewahrte, ihre `Sachen´, ihre Totems.” (..) Theoretisch dienen diese Andenken dazu, den Augenblick zurückzurufen. Tatsächlichen dienen sie nur das, mir zu verdeutlichen, wie wenig ich den Augenblick genoss, als er da war.”

Blaue Stunden und eine neuer Morgen

In manchen Breitengraden gibt es vor der Sommersonnenwende und danach eine Zeitspanne, nur wenige Wochen, in der die Dämmerungen lang und blau werden. Während der blauen Stunden glaubt man, der Tag wird nie enden. Wenn die Zeit der blauen Stunden sich dem Ende nähert (und das wird sie, sie endet), erlebt man ein Frösteln, eine Vorahnung der Krankheit: das blaue Licht verschwindet, die Tage werden schon kürzer, der Sommer ist vorbei.“ Das Ende des Versprechens, das Joan Didion hier so poetisch anspricht, bezieht sich auf die kürzer werdenden Tage, aber natürlich auch das kürzer werdende Leben, das allzu schnell an einem vorbeifliegt wie ein nichts. Erst erzählt sie von ihrem Haus in Brentwood Park, Kalifornien, wo die geborene New Yorkerin mit ihrem Mann und ihrer Tochter wohnte, bevor sie nach rund 20 Jahren (1988) nach New York rückübersiedelte.

Das Unsagbare aufschreiben

Es ist grausam, sich sterben zu sehen ohne Kinder“, zitiert sie Napoleon Bonaparte, aber noch grausamer ist es wohl, wenn die Kinder vor einem sterben. Damals glaubte sie noch die Zeit würde nie vergehen, ebenso wenig wie die blauen Stunden. Damals, glaubten wir das alle. Auch die Buschfeuer standen damals schon an der Tagesordnung und es war nicht die Frage, ob sie ausbrachen, sondern wann. “Relaxin’ in Camarillo” wie es in dem Eagles Song Hotel California heißt, bekommt eine andere Bedeutung, wenn man diese Zeilen von Joan Didion liest, denn Camarillo war eine Klapse. Und der härteste Satz in “Blaue Stunden” trifft exakt wie ein Torpedo: “Erinnerungen sind das, woran man sich nicht länger erinnern möchte.

Notes to John

Joan Didion ist es in ihren beiden Werken, “Blaue Stunden” und “Das Jahr magischen Denkens”, gelungen, das Persönliche exemplarisch zu machen und es so auch anderen Menschen zugänglich zu machen. In ihrer bewundernswerten Resilienz zeigt sie, dass Aufgeben keine Option ist und das Leben wert ist, jeden Atemzug gelebt zu werden. Joan Didion überlebte die beiden größten Katastrophen ihres Lebens, den Verlust von Geliebtem und Tochter, um beinahe 20 Jahre. Sie starb im Dezember 2021. Demnächst – 2025 – erscheint auch ein Buch aus dem Nachlass mit dem Titel “Notes to John“.

Joan Didion
Das Jahr magischen Denkens
(Originaltitel: The Year of Magical Thinking)
Aus dem Amerikanischen von Antje Rávik Strubel
2021, Broschur, 256 Seiten,
ISBN: 9783548065588
Verlag Ullstein Taschenbuch
14,99 €


Genre: Autobiografie, Roman, Trauer
Illustrated by Ullstein

She likes Gay Boys but not me 2 und 3

She likes gay boys but not me 3 - Naoto Asahara, Akira Hirahara

Konformität versus Individualität

Jun wird gegen seinen Willen geoutet und hat anschließend einen schweren Stand in der Klasse. Auch seine Freundin Sae kämpft mit der Situation. Aber als sie vor ihren Schulkameraden eine Rede hält, outet sie sich als Fan von BL-Manga und steht für sich und Jun, sowie für alle, die anders sind, ein. Jun kommt daraufhin eine Weile nicht mehr in die Schule. Er erfährt schließlich, dass die anderen in der Klasse mit den Lehrer*innen über Homosexualität gesprochen haben und sie scheinbar tolerant sind. Aber Jun merkt an kleinen Details, wie es um diese Toleranz tatsächlich bestellt ist – da ist noch viel Luft nach oben. Da ist ihm eine ehrliche, wenn auch unangenehme Meinung wie die von Yusuke lieber, denn mit Ehrlichkeit kann man besser umgehen als mit Scheinheiligkeit, zumal dieser Austausch der Meinungen langfristig mehr Verständnis füreinander bewirkt. Außerdem will Jun den Selbstmord seines Internetfreundes „Mr. Fahrenheit“ aufarbeiten und fährt deshalb mit Sae zu dessen Wohnort. Als er die Familie des Toten kennenlernt, weiß er, warum der Junge sich umgebracht hat. Außerdem will er für sich und seinen toten Freund herausfinden, warum Gott Homosexuelle geschaffen hat, wenn sie vordergründig keinen Nutzen für die Fortpflanzung bringen.

Auch seine Beziehung zu seinem deutlich älteren Lover stellt Jun infrage. Er erkundet, wie dieser die Beziehung zwischen ihnen sieht und erkennt, dass es keine Zukunft für sie gibt, weil der ältere Mann nicht zu seiner Homosexualität steht und Teil der Gesellschaft bleiben will. Und immer wieder fragt sich Jun, was Liebe eigentlich bedeutet, denn er liebt Sae sehr, aber nicht auf sexuelle Art. Sae hilft ihm und sich selbst, indem auch sie über verschiedene Dinge reflektiert und ihre Gedanken mit ihm teilt. Dabei erfährt Jun, dass Mädchen bzgl. Homosexualität aufgeschlossener sind als Jungen. Jun wird immer verirrter von all den Problemen und unternimmt einen Selbstmordversuch, der aber scheitert. Danach ordnet er sein Leben neu.

Selbstfindung unter besonderen Umständen

Die in sich abgeschlossene dreiteilige Reihe beleuchtet tiefsinnig die Probleme, die Menschen haben, wenn sie anders sind. Dabei bietet der Manga immer mehrere Sichtweisen an, betrachtet diese von allen Seiten, indem die Protagonist*innen für ihre Sichtweisen sprechen und sich dabei weiterentwickeln. Bewertet werden sie nicht, höchstens von den Protagonist*innen selbst, die ihre Gedanken und die der anderen im Herzen bewegen und schließlich ihre eigenen Schlüsse ziehen. Damit bietet die Reihe auch Problemlösungsstrategien an und spielt diese durch. Psychologie und Philosophie spielen in dem Manga eine große Rolle und verbinden sich mit den Irrungen und Wirrungen von Pubertierenden, die es so schon schwer haben und erst recht, wenn sie auf irgendeine Weise anders sind.

Auch der Avatarname „Mr. Fahrenheit“ passt in dieses Thema der Andersartigkeit, denn der Junge, der sich so nennt, ist anders, intelligent und gebildet, was die Protagonisten im Buch „Fahrenheit 451“ nicht sein dürfen – selbstständiges Denken, das meist durch die Lektüre von Büchern gefördert wird, gilt als gefährlich. Sich zu outen gilt als gefährlich. Das zieht oft genug den gesellschaftlichen Tod nach sich. Und diesen erfährt Jun, wenn auch in abgemilderter Form, weil er Sae und seinen besten Freund und sogar Yusuke um sich hat, die ihm auf ihre Weise helfen.  „Mr. Fahrenheit“, überraschenderweise jünger als Jun, hatte diese Hilfe nicht, weshalb ihm aus seiner Sicht nur der Freitod blieb.

Fazit

Andersartigkeit, Homosexualität, Sterben und Tod, Liebe und Liebeskummer sind die Hauptthemen dieser sehr guten Reihe, die diese tiefsinnig und intelligent beleuchtet und zu denen verschiedene Sichtweisen angeboten werden. Empfohlen.


Genre: Anderssein, Homosexualität, Manga, Selbstfindung, Selbstmord, Trauer
Illustrated by Carlsen / Hayabusa

Dunbridge Academy – Anywhere

Dunbridge Academy - Anywhere - Sarah Sprinz - PBNeuanfang in Schottland

Die deutsche Gymnasiastin Emma hat sich entschieden, als Austauschschülerin für ein Jahr nach Schottland auf die Dunbridge Academy zu gehen. Ihre vielbeschäftigte Mutter freut sich, denn sie war ebenfalls Schülerin des renommierten Internats, das für eine gute Zukunft seiner Schüler*innen steht. Aber Emma geht nicht nur aus Bildungsgründen nach England – sie will ihren verschollenen Vater finden, der die Familie vor einigen Jahren verlassen hat, und ihm einige für sie wichtige Fragen stellen. Da ihr Vater ebenfalls die DA besucht hatte, erhofft sie sich Hinweise vor Ort, um ihn suchen zu können.

Womit sie nicht gerechnet hat: Sie entwickelt Gefühle für ihren Mitschüler Henry. Aber Henry ist schon vergeben und scheint mit seiner Freundin Grace ein perfektes Paar zu bilden. Aber dieser Schein trügt, denn Grace vergöttert zwar ihren Freund, aber Henry hat sich innerlich schon von ihr entfernt. Um alles noch komplizierter zu machen, scheint ein griesgrämiger Lehrer Emma vom ersten Tag an auf dem Kieker zu haben. Aber er könnte auch etwas mit der Vergangenheit ihrer Eltern zu tun haben. Emma beschließt, diese wenn auch schwierige Chance zu nutzen, um ihren Vater zu finden.

Wirklich schwierig wird es für Emma, Henry und ihre Freund*innen, als Henrys Schwester stirbt. Henry fällt in tiefe Depressionen, die ihn zu verschlingen drohen.

Ernste Themen in „trivialem“ Gewand

Der in sich abgeschlossene Band (er behandelt vordergründig die romantische Beziehung zwischen Emma und Henry) ist Teil einer Reihe. Als Extra ist eine Karte der DA beigelegt. Eigentlich zur Belletristik und eher zur Trivialliteratur zählend, ist allerdings nur die Rahmenhandlung „trivial“, weil sie eine romantische Beziehung behandelt. In diese eingebettet sind erste Themen: Tod, Trauer, Trauerbewältigung, Verlust, Substanzmissbrauch und Abhängigkeit, die plausibel entfaltet werden, auch wenn man stellenweise den Eindruck hat, dass die Teenager zu erwachsen handeln.

Ebenso wird das Thema alleinerziehende Familien und deren Konsequenzen angesprochen: der Verlust, den die Kinder verarbeiten müssen, der fehlende Vater, die immerzu beschäftigte Mutter, das frühe Aufsichalleingestelltsein, die schmerzlichen vielfältigen Gefühle der Kinder. All dies wird am Beispiel von Emma thematisiert, die versucht, ihre schmerzliche Vergangenheit aufzuarbeiten, indem sie ihren Vater, und damit Antworten, sucht. Der Wert von Freundschaften vor allem in schwierigen Zeiten wird ebenfalls thematisiert.

Insgesamt hat dieser Roman Züge eines Entwicklungsromans: Die Heldin (aber auch die Freund*innen) ziehen aus, um erwachsen zu werden / sich weiterzuentwickeln, und müssen auf ihrem Weg Schwierigkeiten meistern. Die Teenagerzeit hält viele Herausforderungen bereit, die ebenfalls zu diesem Weg zählen und im Roman angesprochen werden. Dass all dies nicht ohne Irrungen und Wirrungen, Fehler und Stolperfallen abgehen kann, zeigt der Roman immer wieder – das macht ihn für die junge Leserschaft plausibel und nachvollziehbar. Sie können sich wahrscheinlich gut mit den Held*innen identifizieren. Lösungen werden ebenfalls geboten, auch wenn die ein oder andere Lösung im ersten Moment nicht im Sinne der Held*innen ist.

Allerdings frage ich mich, warum die Haupthandlung meist im (englischsprachigen) Ausland stattfinden muss – in Deutschland würden sich die Themen doch ebenfalls gut umsetzen lassen. Die Anlehnung an englisch- bzw. amerikanischsprachige Kultur soll wohl Verkaufsargumenten dienen. Was schade wäre.

Insgesamt empfohlen.


Genre: Jugendroman, Tod, Trauer, Verlust
Illustrated by LYX

Trauer ist das Glück, geliebt zu haben

Trauer ist das Glück, geliebt zu haben. “Trauer war die Feier der Liebe, diejenigen, die echte Trauer verspüren konnten, hatten das Glück, geliebt zu haben”, schreibt die Autorin von “Americanah”, das 2015 auch bei S. Fischer erschienen ist. Was für ein schöner Titel für ein Buch, was für ein schöner Satz. Auch wenn er leider aus einem traurigen Anlass geschrieben wurde.

Trauer und Verlust des Vaters

Chimamanda Adichie verlor durch die weltweite Pandemie so wie viele andere auch ihren Vater. Sie schreibt stellvertretend für die mit ihr Trauernden über den Verlust eines geliebten Menschen, der durch nichts aufzuwiegen ist. “Nie wieder” schreibt sie, “nie wieder wer ich das Lachen lachen, das ich mit ihm lachte”. Dieses “Nie Wieder” fühlt sich wie eine unfaire Strafe an, denn für den Rest ihres Lebens wird die 42-jährige nun ihre Hände nach etwas ausstrecken, das nicht mehr da ist. Die Nachricht vom Tod ihres Vaters war “wie eine grausame Entwurzelung. Ich werde aus der Welt gerissen, die ich seit meiner Kindheit gekannt habe”. Anfangs glaubt sie, dagegen Widerstand leisten zu können, doch bald ist sie auch mit ihren Erinnerungen allein. All die Kondolenzbriefe und Beteuerungen können die Trauer nicht ersetzen, es sei denn, jemand der anderen Trauerenden erzählt eine konkrete, unverfälschte Erinnerung an ihren Vater, von Menschen, die ihn kannten. Diese Worte trösten am meisten und erfüllen sie mit Wärme, schreibt sie. Aber Trauer bedeutet auch Wut und Zorn. Eine Anklage an die Ungerechtigkeit der Schöpfung und das Ende der Kindheit. Gerade dann, wenn die Eltern sterben, wird man unweigerlich erwachsen: man ist allein.

Memento mori für integre Vaterfigur

“Suche Frieden in deinen Erinnerungen.” Wie viele andere in ihrer Situation stellt sie sich die Frage, wie es möglich ist, dass die Welt sich weiterdreht, unverändert ein und ausatmet, wie man noch funktionieren kann nach so einem Verlust, wie es andere machen, damit zu leben. Sie war ein “Professorenkind” und liebte ihren Vater für seine Integrität. Er war kein Materialist, und das in einem Land, wo der “kompromisslose Ethos der Raffgier” überall herrscht, eine “hemmungslose, allgegenwärtige Habsucht”. In seinen letzten Jahren hatte ihr Vater sich in ihrem Heimatort Abba gegen diesen Materialismus eingesetzt. Ein Milliardär wollt sich das angestammte Land unter den Nagel reißen und verleumdete die Bewohner bei den Behörden. Ihr Vater war sogar entführt worden. “Zur Trauer gehört als eine ihrer vielen schrecklichen Komponenten das Einsetzen des Zweifels. Nein, ich bilde es mir nicht ein. Ja, mein Vater war wirklich wunderbar.”

In 30 kurzen, einfach geschriebenen Kapiteln erzählt Chimamanda Ngozi Adichie von ihrer Trauer über ihren verstorbenen und macht sich zum Sprachohr aller, die mit ihr trauern. Ein hilfreiches Buch für Situationen wie diese. Als leiser Trost bleibt: wer trauert, erfährt die Liebe neu.

Chimamanda Ngozi Adichie
Trauer ist das Glück, geliebt zu haben
Übersetzt von: Anette Grube
2021, Hardcover, 80 Seiten
ISBN: 978-3-10-397118-7
S. Fischer Verlag


Genre: Abschied, Biographie, Corona, Pandemie, Trauer, Verlust
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Tod und Trauer

Texte zu Tod und Trauer: Beinahe als lapidar könnte man das Zitat von Gotthold Ephraim Lessing nennen, das Titel dieser Sammlung von Texten wurde, die sich explizit mit Trauernden und Hinterbliebenen beschäftigt, Menschen, die von einem schweren Schicksalsschlag und dem Verlust eines nahen Menschen getroffen wurden: „… und diese Erfahrung habe ich nun auch gemacht”.

Tod und Trauer in der Literatur

Natürlich ist das Zitat, das aus einem Brief Lessings an Johann Joachim Eschenberg, ein Understatement, denn wer wirklich von dem Verlust eines geliebten Menschen getroffen wurde, der findet oft nicht die richtigen Worte und schweigt lieber. Zu groß ist das Unbehagen, das sich beim Tod eines Angehörigen oder Freundes breit macht, ist man doch stets auch der eigenen Vergänglichkeit gemahnt. Aber trauern ist deswegen noch lange nicht egoistisch, denn wer sich die Zeit dafür nimmt, kann danach auch wieder andere beschenken. „Nach Hause gehen wir Geschwister zusammen“, schreibt etwa Marie Luise Kaschnitz in „Als meine Mutter starb“, „jedes von uns hat eine andere Mutter gehabt, nur die Schauplätze der Kindheit hatten wir gemeinsam, aber das ist vielj.“ Peter Weiss wiederum bezeichnet seine Eltern als „Portalfiguren“ und schreibt: „Die Trauer, die mich überkam, galt nicht ihnen, denn sie kannte ich kaum, die Trauer galt dem Versäumten, das meine Kindheit und Jugend mit gähnender Leere umgeben hatte.(…) Die Trauer galt dem Zuspät, das uns Geschwister am Grab überlagerte und das uns dann wieder auseinandertrieb, ein jedes in sein eigenes Dasein.“

Verlust und Vergebung

Auch Simone de Beauvoir macht sich Gedanken über den Verlust ihrer Mutter und ihres Mannes, Jean-Paul Sartre: „Hinter denen, die diese Welt verlassen, erlischt die Zeit; und je älter ich werde, desto mehr schrumpft meine Vergangenheit.“ Tröstend sind da viel eher die Worte von Hermann Hesse an die Familie Calw: „Oft habe ich die Empfindung ihrer Gegenwart und Liebe stärker als je zuvor zu ihren Lebzeiten.“ Das vorliegende Trostbuch für Trauernde mit Texten aus der Literatur zum Tod eines nahen Menschen, ist bei der edition momente erschienen.

Elisabeth Raabe u. Paul Raabe (Hg.)
“… und diese Erfahrung habe ich nun auch gemacht”
Texte zum Tod eines nahen Menschen
Neuausgabe
116 Seiten / Gebunden / Leseband
€ 18,- / sfr. 25.90
ISBN 978-3-0360-6002-6
edition momente


Genre: Ratgeber, Trauer
Illustrated by edition momente