Vom Aufstehen: Ein Leben in Geschichten

Besondere Anlässe braucht Helga Schubert nicht, die Geschichten sind alle schon da und werden durch eine Beobachtung, eine Begegnung, ein Datum oder eine Zeile freigesetzt und aufgeschrieben. „Wenn ich betrachte, dann muss es um mich herum still sein. Es muss auch in mir still sein. Denn ungehindert dringt das Gemälde, das Menschengesicht, das Gedicht in mich und sagt zu mir: Sieh mich an, höre mir zu, lass dich anrühren, lass dich erinnern an alles, was du schon weißt, was dich erschüttert hat“.

Mein Interesse für das Buch war geweckt, als ich Helga Schuberts Abschiedslobrede auf Angela Merkel in der ZEIT las, sie beide sind DDR-Bürgerinnen, haben eine Heimat im protestantischen Glauben, und beide konnten im vereinten Deutschland aufblühen.

In der ersten der 29 Geschichten erinnerte sie sich an den ersten Ferientag bei der Großmutter in Greifswald, wo sie ihre Schulferien verbrachte. Es gibt noch warmen Streuselkuchen, der ihr serviert wurde, wenn sie in der Hängematte aufwachte. Der Abschied von der Mutter war leichtgefallen, die musste immer viel arbeiten, der Abschied fand telefonisch statt: Das Kind musste die Zensuren rapportieren und alles, was keine Eins war, war rechtfertigungspflichtig.

Dann begleiten wir sie in ihrem Leben als Schriftstellerin der DDR, sie „durfte“ mehr als andere Staatsbürger, sogar in den Westen reisen, wenn Einladungen zu Schriftstellertreffen kamen. Selbstverständlich war nichts, etwa ein Auftritt mit Herta Müller im Goethe Institut in Brüssel: undenkbar!

Auch als Westberlinerin lernte ich neues aus der DDR, weiß nun, was ein Ulb ist: der Zeitraum, den es braucht, das Radio auszustellen, wenn Walter Ulbricht spricht. Später wurde es ein Schnitz (vom schwarzen Kanal).

Helga Schubert lebt im Hier und Jetzt, sie altert bewusst, immer bezieht sie ihre Mitmenschen ein, reflektiert Begegnungen. Das sind neben dem Ehepartner die Nachbarn, Pflegekräfte, die Hausbesuche machen, oder Gemeindemitglieder, oder Reisepartnerinnen bei Fastenkuren.

Im christlichen Glauben sucht und findet sie wenigstens etwas von der Geborgenheit, von der sie nicht genug bekommen hat, wer eine so abweisende Mutter wie sie hatte, muss wohl immer weitersuchen.

Als Psychotherapeutin weiß sie, dass man Hilfe suchen und annehmen muss, so findet sie Trost in manchen Kirchenliedern, und fühlt sich wie eine Studentin, wenn eine Pastorin ihr das vierte Gebot erklärt: Lieben müsse man die Eltern nicht, sie sind zu respektieren, und das hat sie ja ihr Leben lang gemacht—die Mutter wurde trotz ihrer Garstigkeit von ihr umsorgt, bis sie mit 101 Jahren starb.

Im Buch ist sie achtzig Jahre alt, mit Altersweisheit nimmt sie die Einschränkungen ihres Mannes, aber auch ihrem Selbst wahr. Und sie kann verzeihen: Dem Stasi Offizier, der sich bei ihr entschuldigt und beichtet, wie sehr ihm die Observierung der kirchlichen Friedensbewegung geholfen hatte: Während andere Spitzel gefürchtet hätten, gelyncht zu werden, wusste er, dass ihm nichts Schlimmes drohte, da sie es ernst meinten mit der Gewaltfreiheit.

Als Höhepunkt kann sie der sterbenden Mutter verzeihen: Sie dankt ihr, dass sie als DDR-Bürgerin den westlichen RIAS hören durfte, dass sie ihr erklärt hatte, nicht alles vom Staatsrundfunk zu glauben, und noch anderes mehr.

In Helga Schuberts Geschichten liegt eine große Dankbarkeit an das Leben. Im erwähnten ZEIT Artikel gefiel mir schon der Satz; „Dies ist mein Luxusleben, im Frieden, in der Wärme, ich kann denken, was ich will.“


Genre: DDR, Geschichte, Politik, Zweiter Weltkrieg
Illustrated by dtv München

Hier wächst nichts: Notizen aus unseren Gärten

Sollte man ein Buch mit dem Titel Hier wächst nichts wirklich lesen wollen, wenn es sich so abstoßend präsentiert? Auf dem Titelbild wächst wirklich nichts, und auch die Rückseite verspricht kein erbauliches Buch über Gartenkultur. Sehen Sie selbst!

Da gibt es „62 % Gartenerfahrung aus naturidentischen herben Rückschlägen und bitteren Erkenntnissen, … 15 % grober Unfug aus 42 % Alkohol in der Herstellung … aber auch 12 % Humor aus zertifiziertem Raubbau.“ Ihr Eindruck stimmt: Hier gibt es Satire, wie wir sehen werden, über moderne Gartenboomtrends, über Gartenliebhaberinnen und ihre Gatten. Leider haben Kleinkinder und Schwangere in Gärten keinen Zutritt, aber es gibt Geistvolles, möglicherweise geschrieben nach Genuss von Berauschendem.

Erst geht es noch weiter mit einem (Anti)Sinnspruch, nämlich dem Lob des Häßlichen, seine letzten Zeilen lauten: “Das Schöne gib uns Grund zur Trauer, das Häßliche erfreut durch Dauer.“

Mich konnte das nicht abschrecken, denn ich bin seit Langem ein Fan von Pfenningschmidt; Wenn ich mir die Zeitschrift “Kraut und Rüben” kaufe, dann vor allem wegen seiner Staudenkolumnen. Und auch in diesem Buch lohnte sich das Weiterlesen.

Jeder der beiden Autoren von Hier wächst nichts stellt sich mit seiner Gartenvita vor: Sie haben sich das Gärtnern als Hobby beigebracht, Reif hat schon als Jugendlicher auf Honorarbasis Gärten gestaltet, eine Lehre daraus war, dass man Euonymus und Lavendel nicht kombinieren soll. Am Tag drauf sah ich diese Kombination in einem Dahlemer Vorgarten – und kann es bestätigen. Später hat er sein Wissen in einem Studium bis zum Diplom-Ingenieur vertieft. Beide Autoren lieben Stauden, trafen den Foersterschüler Pagel noch persönlich und fühlen sich als seine Schüler.

Nur manche Kapitel sind mit dem Namen des Autors versehen, vermutlich sind die meisten von Pfenningschmidt, er ist ja auch schon seit Jahrzehnten im Geschäft. Reif trägt einige Interviews bei, eines mit einem Golfrasenpfleger, der sich in seinem privaten Garten über Gänseblümchen freut. Ein anderes mit dem bekannten Taglillienpapst Dr.Tamberg, der über seine Zuchterfolge spricht. Wir lernen etwas über genetische Voraussetzungen und Sortenschutz. Dann wird der schon erwähnte Pagel zitiert, er habe „nicht gezüchtigt, sondern gesichtet.“ Es geht darum, spontane Mutationen zu erkennen und zu pflegen. Mir fehlte der Hinweis darauf, dass viele Samen, die wir heute kaufen können, vielleicht bio, aber nicht samenfest sind, aber es geht ja um Stauden, Ein- und Zweijährige werden nicht vorgestellt.

Eigentlich ist man kein Rosenfan, aber dann gibt es doch eine Liste mit 17 Lieblingsrosen, eine Liste mit 18 empfehlenswerten Büchern, ein Kapitel heißt “Sieben gute Neuheiten“, das sind Pflanzen, wovon ich eine rote Aster und eine noch rötere Bistorta (Js.Caliente) im nächsten Frühling suchen werde. Als eine Elfe ihm, ich bin sicher, es war Pfenningschmidt, drei Wünsche schenkte, wünscht er sich drei trockenresistente Schattenpflanzen und bekommt: Tanacetum macrophyllum, Aster ageratoides subsp. Trinervius var. Adustus Nanus, die will ich nun natürlich auch. Und gegen Giersch gibt es eine Fülle von Pflanzen, die den Kampf aufnehmen und sich ihm wuchernd entgegenstemmen.

Es gibt also reichlich Tipps zu Pflanzen, wie sie nur Kenner geben können, genossen habe ich vor allem die Satire. Etwa eine Serie von Veränderungen, bei der ein Haus ohne Grün, ein sogenannter Steingarten vorstellt wird. Während der sieben Jahreszeiten (in denen es nach Karl Foerster immer etwas Blühendes gibt), werden dann eben sieben Mal dieselben Fotos der Steine gezeigt.

Pfenningschmidt outed sich als „Jäger und Sammler“ von raren Exemplaren, und wir erfahren, dass es ihm besonders die Elfenblumen angetan haben. Kenntnisreich auch die Beschreibungen pflanzlicher Gifte, und wie Mütter von Kleinkindern damit umgehen. Ebenso die Beschreibungen der Oberschüler, die sich mit Rauschmitteln auskennen, und mit heimischen Gewächsen einen Schul-Tüten-Mix herstellen.

Es ist ein Buch, das man nicht ausliest, aber es wird Sie nicht nur in langen Winterabenden zum Schmunzeln bringen.


Genre: Garten
Illustrated by Verlag Eugen Ulmer

Die Haushälterin

Oberflächliche Vater/Sohn-Geschichte

Das Romandebüt von Jens Petersen mit dem Titel «Die Haushälterin» wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet und für den Deutschen Buchpreis 2005 nominiert. Es blieb bis dato der einzige Roman dieses Schriftstellers und Arztes, dessen Erzählungen hingegen in verschiedenen Anthologien veröffentlicht wurden. In seinem preisgekrönten Roman beschreibe er, wie die Aspekte-Jury des ZDF befand, «unsentimental, geradlinig und doch vielschichtig die Geschichte einer Vater-Sohn-Beziehung auf Messers Schneide».

Dieser Generationen-Roman ist auch die Geschichte einer ersten Liebe. Der sechszehnjährige Ich-Erzähler Philipp, der früh seine Mutter verloren hat, muss nun auch noch erleben, dass sein Vater, der Kernkraftwerke gewartet hat, arbeitslos wird und zu trinken anfängt. Der Haushalt der Beiden in einer ehemals prächtigen Jugendstilvilla verwahrlost zusehends. Immer öfter kommen nun auch fremde Frauen ins Haus und stehen plötzlich morgens in der Küche, was den Jungen ziemlich verstört. Sein Vater benutze seine diversen Liebschaften offensichtlich nur «wie eine Arznei gegen das Sterben», stellt er ernüchtert fest. Als der alkoholisierte Vater bei einem Sturz die Kellertreppe herunterfällt und einen komplizierten Beinbruch erleidet, engagiert Philipp kurz entschlossen eine Haushälterin. Die 23jährige Ada ist eine Studentin aus Polen, die auch als Übersetzerin arbeitet. Sie kümmert sich nun zweimal die Woche um den Haushalt und bringt ihn sehr schnell wieder ‹auf Vordermann›. Außerdem erweist sie sich auch als hervorragende Köchin, ein Glücksfall für die beiden eher stümperhaften Selbstversorger, und mit ihr kommt nun wieder Leben ins Haus. Die burschikose Ada kümmert sich auch um den Garten und springt für den durch seine Verletzung gehandicapten Vater als Chauffeur ein. Für den mitten in der Adoleszenz steckenden, eher verschlossenen Philipp ist sie der allererste Kontakt zum weiblichen Geschlecht. Sie geht ganz ungezwungen mit ihm um, lässt sich von ihm duzen, geht mit ihm schwimmen, sie besuchen zusammen eine Party, und einmal küsst sie ihn sogar. Aber wie er schon bald merkt, hat sie ganz offensichtlich einen Freund in Polen. Und was ihn noch viel mehr trifft, auch sein Vater macht ihr völlig ungeniert den Hof und überschüttet sie mit Geschenken, bietet ihr schließlich sogar ein Zimmer im Haus an. Als Nebenbuhler seines Vaters um die Gunst der lebenslustigen Ada hat Philipp keinerlei Chance, das wird ihm bald klar.

Die führwahr nicht seltene Thematik dieses Romans von der Rivalität zwischen Vater und Sohn um die gleiche Frau wird hier kühl und nüchtern in einer dem jugendlichen Erzähler angepassten Sprache geschildert. Die Figuren sind glaubwürdig charakterisiert, wobei besonders Ada sehr sympathisch wirkt, was daran liegen mag, dass man nicht alles über sie weiß. Es wird nämlich nicht alles auserzählt in diesem melancholischen Roman, manches ist nur vage angedeutet oder bleibt völlig offen. Thematisiert wird hier auch die generationsbedingt schwierige Kommunikation zwischen dem dominant auftretendem Vater und seinem eher unbedarften Sohn, die den Heranwachsenden immer wieder vor neue Probleme stellt und ihn sogar zu einigen Kurzschluss-Handlungen verleitet.

Es liegt ein Anflug von Tristesse über diesem Adoleszenz-Roman, der geradezu beiläufig von den Schwierigkeiten und Fallstricken beim Erwachsenwerden erzählt. Dabei ist jedoch immer auch ein hintergründiger Humor zu erkennen, der diesen Debütroman zu einer eher amüsanten Lektüre macht. Leider jedoch bleiben die psychologischen Hintergründe der Figuren-Konstellation völlig im Dunkeln, obwohl ja gerade darin die eigentliche Problematik der wechselseitigen Beziehungen zwischen den drei Protagonisten liegt. Durch diesen Mangel an gedanklicher Tiefe bekommt die flockig leicht erzählte Geschichte den eher trivialen Charakter eines oberflächlichen Unterhaltungs-Romans, der von der grenzenlosen Naivität seines jugendlichen Helden lebt.

Fazit: miserabel

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by DVA München

Der Unruhestifter
by Ha Jin

Eigentlich ist die Story schnell erzählt. Ein chinesisches Ehepaar träumt von einem gesellschaftlichen Aufstieg, am besten mit dem Sprungbrett eines Studiums oder einer beruflichen Karriere in den USA. Die Ehefrau Haili bekommt früher eine Ausreisegenehmigung. Der Kontakt zum Ehemann Danlin in China wird – wie bei so vielen Long-Distance-Love-Affairs – spärlicher und als er schließlich auch in den USA ankommt, überreicht sie ihm die Scheidungspapiere. Weiterlesen


Genre: Belletristik, Politik und Gesellschaft, Romane
Illustrated by Arche Zürich

Die schwangere Madonna

Pikareske Road Novel

Der Roman «Die schwangere Madonna» des österreichischen Schriftstellers Peter Henisch ist eine geradezu klassische Road Novel, was allein schon durch die vorab eingefügte Landkarte Italiens mit der Reiseroute der Protagonisten verdeutlicht wird. Genretypisch läuft der Plot auf ein herbeigesehntes Ende hin, eine kopflose Flucht aus dem unerträglich gewordenen Leben. Dabei sind hier die pikaresken Einflüsse dominant und lassen die deprimierende Ausgangslage in einem freundlicheren Licht erscheinen. Mit der Nominierung dieses Romans für den Deutschen Buchpreis wurde der bis dato nur in Österreich prämierte Autor 2005 erstmals auch einem größeren deutschen Leserpublikum bekannt.

Der beim Rundfunk tätige Josef ist durch sein blackoutartiges Versagen bei der Fertigstellung eines Radio-Features als freier Mitarbeiter prompt gekündigt worden. An der Schule seines Sohnes, den er dort turnusgemäß abholen will, stellt er fest, dass er sich zeitlich um eine ganze Woche vertan hat, was Ex-Frau und Sohn nur mit verächtlichem Grinsen quittieren. Auf dem Schulhof sieht er zufällig einen VW-Golf stehen, bei dem der Schlüssel in der Tür steckt. Düpiert wie er ist, steigt er in einer Kurzschluss-Reaktion in das Auto, startet den fremden Wagen und fährt davon, obwohl er gar keinen Führerschein besitzt. Weil er zweimal durch die Prüfung gefallen war, hat er seither immer ohne Auto gelebt. Er merkt aber, dass er trotz fehlender Fahrpraxis ganz gut zurechtkommt im Verkehr. Ziellos dahinfahrend entdeckt er nach einigen Kilometern, dass er nicht allein ist im Auto. Auf der Rückbank regt sich unter einem dicken Wintermantel plötzlich ein Mädchen, das dort geschlafen hat. Als er anhält, um sie aussteigen zu lassen, will sie nicht. Das Auto gehöre ihrem Religionslehrer, der sie geschwängert habe, der nun aber nichts mehr mit ihr zu tun haben will. Auch die kurz vor der Matura stehende, knapp 18jährige Maria will nun nur noch weg. Schon bald überqueren die beiden Gleichgesinnten die italienische Grenze und setzen ihre spontane, fluchtartige ‹Fahrt ins Blaue› Richtung Süden fort.

Aus dieser Konstellation heraus deutet Peter Henisch eine von dem fürsorglichen Mann erträumte, allmählich obsessiv werdende Beziehung der anfänglich reinen Zweck-Gemeinschaft an. Wobei Maria ihren doppelt so alten Begleiter immer wieder auch düpiert, indem sie plötzlich spurlos verschwindet, was dann jedes Mal seine Beschützer-Instinkte herausfordert. Eine zweite thematische Ebene bildet die Religion, deren berühmte Bauten und Kunstwerke das ungleiche Paar bei seiner Reise kreuz und quer durch Italien gleichermaßen begeistert. Eines davon wartet am Ende der Reise, die titelgebende Madonna del Parto auf dem berühmten Fresko, das heute als Touristenattraktion im Museum von Monterchi zu sehen ist und als Abbildung das Buchcover ziert. Durchaus ironisch hat der Autor nicht nur seinen Helden ‹Josef› genannt, auch der Protagonistin hat er mit ‹Maria› einen religiös konnotierten Namen zugedacht, und die Schülerin schließlich hat über ihr Interesse an christlichen Themen letztendlich ja auch ‹in Sünde› zu ihrem Religions-Lehrer gefunden.

Auf dieser Reise kreuz und quer durch fast ganz Italien erleben die beiden ungleichen Aussteiger und Sinnsucher allerlei abenteuerliche Begegnungen. Italophile Leser werden ihre helle Freude haben an den bunten, durchweg stimmigen Bildern, in denen der ortskundige Autor davon zu berichten weiß. Auch seine Figuren sind mit Blick für Details und feine Nuancen überzeugend charakterisiert. Trotz der oft komischen, aber manchmal arg profanen Begebenheiten hat dieser Roman auch seine kontemplativen, zum Weiterdenken anregenden Momente, und kulturell erweist sich Josef als idealer Reiseführer nicht nur für Maria, sondern auch für den Leser. Neben der angedeuteten Lolita-Thematik wird durch die ständige Furcht der Autodiebe vor Entdeckung ein Spannungs-Bogen erzeugt, der bis zum kitschfreien, gut durchdachten Ende anhält.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Residenz Verlag

Yakuza goes Hausmann 6

Jeder Tag eine neue Herausforderung

Tatsu ist weiterhin ein engagierter Hausmann. Deshalb hilft er einer befreundeten Hausfrau, ihre Finanzen in den Griff zu bekommen. Eines Tages fragt ihn eine Dame aus der Hausfrauenvereinigung, ob Tatsu dieser Vereinigung nicht beitreten wolle. Aber bevor er beitreten darf, wird er von den hartgesottenen und lebenserfahrenen Hausfrauen auf Herz und Nieren geprüft. Außerdem steht ihm eine erneute Prüfung bevor: Für seine Göttergattin soll er Goodies ihres Lieblingsanimes besorgen und sich dafür ins Fangetümmel stürzen – was so gar nicht sein Fall ist. Neu für Tatsu ist auch die temporäre Versorgung eines Hundes. Aber das erschließt ihm neue Einsichten und Bekanntschaften. Seine Kenntnisse sind auch bei einem Café-Besitzer gefragt: Tatsu soll ihm helfen, eine auch die junge Generation ansprechende Speisekarte zu entwickeln. Und Tatsu entpuppt sich wieder einmal als väterlicher Freund, wenn er einen jungen Rowdy zum Zahnarzt begleitet.

Als Hausfrau ein ganzer Kerl

Auch der sechste Band ist wieder voller humoriger Situationen, die sich v.a. aus dem Kontrast seiner Yakuza-Vergangenheit und seinem jetzigen Leben als Hausmann ergeben. So zählt er Yakuza, wenn er nicht einschlafen kann, vergleicht automatisch die hartgesottenen Hausfrauen der Hausfrauenvereinigung mit Gangsterbossen und stellt beeindruckt fest: „Das sind also die acht Drachen!“ Dramatische Situationen wie der Hundevergleich zwischen Gangstern werden überraschend mit einer Spielwiese aufgelöst. Die Haushaltsschürze mit Teddybär, die Tatsu, ganz der pflichtbewusste Hausmann, ständig trägt, versinnbildlicht an dem muskulösen Männerkörper mehrerlei: Die süße Schürze ist als Kennzeichen der vermoderten 50er-Jahre-Frauenrolle eigentlich für junge, hübsche, naive, schwach gehaltene Frauen gedacht, die v.a. als Repräsentantin und „Frau von“ agieren und sich ansonsten hingebungsvoll um ihren Mann kümmern sollen. Sie sollen auf Haushalt und Kindererziehung beschränkt bleiben, keine eigene Meinung haben und ihre Bedürfnisse aufopferungsvoll für andere zurückstellen. Tatsu verkörpert vordergründig in vielerlei Hinsicht dieses Frauenbild: Er vergöttert und umsorgt seine hart arbeitende Frau, kümmert sich eifrig um den Alltag zuhause, hält alle Sorgen von seiner Frau fern und ist ein junger, knackiger Kerl. Nur würde ihm niemand unterstellen, dass er schwach sei, dass er naiv sei oder dass er bloß „Mann von“ sei. Er verkörpert ein neues Hausfrauen- und Hausmännerbild: Standfestes Selbstbewusstsein und eine stets völlig freiwillige Hingabe an die alles andere als nebenbei zu erledigende Hausarbeit, die einen vielfältig fordert. Er hat großen Respekt vor der Leistung altgedienter Hausfrauen, die durch ihre Lebenserfahrung mit allen Wassern gewaschen sind. Der in früheren Zeiten respektvolle Umgang mit alten Frauen scheint hier wieder durch und wird positiv besetzt – von diesen Frauen kann man(n) viel lernen! Außerdem durchbricht er die reine Aufopferung, indem er betont, dass Hausfrauen und -männer sich für all die harte Arbeit selbst belohnen und sich Dinge gönnen dürfen. Sie leisten genauso ihren Anteil an Arbeit wie diejenigen, die für ihren Anteil an Arbeit bezahlt werden. Also stehen ihnen Belohnungen, Respekt und Gleichwertigkeit genauso zu.

Neben all dem Humor wird also auch immer wieder deutlich, dass das völlig unterschätzte Hausfrau- bzw. Hausmanndasein nach dem Motto „Das bisschen Haushalt macht sich doch von allein!“  ein Fulltime-Job ist, wenn frau oder man(n) es richtig machen will. Tatsu hat sich inzwischen reichhaltige Kenntnisse in allen möglichen Situationen des fordernden Alltags erworben und gibt sie als wandelndes Lexikon weiter.

Fazit

Neben all dem Humor, den die Serie durch den Konflikt Yakuza versus Hausmann generieren kann (der Manga gewann 2020 den Will Eisner Comic Industry Awards in der Kategorie “Best Humor Publication”), wird immer wieder deutlich, dass das Hausfrauen- bzw. Hausmanndasein alles andere als ein Zuckerschlecken ist. Tatsu als gestandener Mann zollt Frauen stets Respekt für ihre Leistungen, kann sich ohne Murren erfahrenen Frauen unterordnen und von ihnen lernen und nimmt damit eine Vorbildrolle ein.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Voice Rush!! 1 und 2
by Octo

Voice Rush!! 1https://www.carlsen.de/sites/default/files/produkt/cover/voice-rush-21-21-2.jpg

Wie wird man Synchronsprecher?

Toshiro hat keine Manieren, aber ein gutes Herz – und eine markante Stimme. Als sein bester Freund ihn eines Tages zu einem Synchronsprecher-Casting mitnimmt, will auch Toshiro sein Glück versuchen, denn es winkt viel Geld: Zehn Millionen Yen Preisgeld für den besten Voice Actor. Das ist genau das Geld, dass Toshiro braucht, um seiner Schwester ein Kunststudium zu ermöglichen. Also hängt er sich rein, vermasselt es aber fast. Nur seine Synästhesie, sein Farbgehör, rettet ihn und er darf eine Synchronsprecher-Werkstatt besuchen. Aber dort fällt er eher durch schlechtes Verhalten denn als guter Synchronsprecherlehrling auf. Trotz aller Widrigkeiten naht Toshiros Chance, denn kurzfristig fallen für das „Animu“ die beiden Sprecher für zwei beliebte virtuelle Charaktere aus – und Toshiro erfüllt die Anforderungen für diese Rolle. Glücklich reist er mit Sprecher-Ass und Nachwuchshoffnung Tsukasa dorthin. Aber das Event entwickelt sich zu einer technischen Katastrophe. Wird es der junge, ambitionierte, aber chaotische Toshiro schaffen, seiner Rolle unter verschärften Bedingungen gerecht zu werden?

Die Manga-Serie behandelt ein japanisches Phänomen, dass hierzulande eher weniger bekannt ist: die Synchronsprecherszene und deren Fans. Die Synchronsprecher*innen sind in Japan sehr bekannt und genießen Star-Status. Dementsprechend gut verdienen die Größten der Szene. Der Manga versucht auf humorvolle und dynamische Art und Weise den Weg eines Synchronsprechers nachzuzeichnen, der Ähnlichkeiten mit dem harten Weg von Schauspieler*innen hat. Hauptchara Toshiro ist schräg-sympathisch und die weiteren vorwiegend männlichen Charaktere erinnern an das Harems-Schema der Shojo-Mangas (Mangas für Mädchen): Sie sind hübsch und alle haben einen eigenen, unverwechselbaren Charakter. Das macht den Manga für weibliche Leser*innen interessant. Mir persönlich gefällt, dass der Manga viel Text hat. Schließlich geht es ja auch um Sprache im weiteren Sinne. Es werden Hintergründe des Berufes erklärt und man bekommt Einblicke in die Ausbildung. Allerdings gibt es genau hier einen Haken: Die Sprechblasen sind zu klein für so viel Text. Deshalb ist der Text viel zu oft nur in sehr kleiner bis winziger Schrift gesetzt und damit schwer bis sehr schwer zu lesen. Und das, obwohl ich gerade eine neue Brille bekommen habe. Ich kann nur hoffen, dass die nächsten Bände dahingehend besser aufgestellt sind, denn das Lesen ist so wirklich anstrengend und verdirbt einem dauerhaft den Spaß am Manga.

Extra: Interview mit deutschen Synchronsprecherinnen

Fazit

Gute, spannende und humorvolle Story über das Phänomen der Synchronsprecherszene, aber (zu) oft klein bis winzig gesetzter Text in den Sprechblasen.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen / Hayabusa

Das Geschäftsjahr 1968/69

Die Mär der 68er-Generation

Der Debütroman mit dem ironischen Titel «Das Geschäftsjahr 1968/69» war für den Schriftsteller Bernd Cailloux gleich der große Erfolg, er wurde vom Feuilleton als literarische Entdeckung gefeiert. Mit der Nominierung für den Deutschen Buchpreis 2005 stellte sich für den damals bereits über sechzigjährigen und bis dato weitgehend unbekannten Suhrkamp-Autor auch ein erfreulicher Anstieg der Auflagen ein. Sein Roman wurde als hochwillkommene, nüchterne Schilderung dieser im Buchtitel genannten, historisch völlig überschätzten und ideologisch überhöhten Epoche der deutschen Nachkriegsgeschichte, von der Kritik äußerst positiv kommentiert.

Auf einem Fortbildungs-Lehrgang für Journalisten lernen sich 1965 zwei junge Männer kennen, die beide der Wunsch vereint, Großes zu vollbringen und nicht im profanen bürgerlichen Alltag zu versauern. Nach dem Wehrdienst des namenlosen Ich-Erzählers ziehen sie voller Tatendrang nach Düsseldorf und beginnen, zusammen mit einem begnadeten Tüftler als Entwickler, in einer Gartenlaube ein Stroboskop zu entwickeln. Ihre Idee, die von dem Gerät erzeugten Lichtblitze als die Musik ergänzende Stimulanz für ein tanzwütiges Publikum in Clubs und Diskotheken einzusetzen, erweist sich als Glücksfall. Bereits das erste Gerät der «Muße-Gesellschaft», wie sie sich nennen, installiert in einer neuen Location auf der Hamburger Reeperbahn, ist ein sensationeller Erfolg, der sich schnell herumspricht. Fortan reißen sich die Kunden geradezu um diese Geräte und zahlen umstandslos fast jeden Preis, wenn sie ihr eigenes Stroboskop nur möglichst bald bekommen. Naiv und ökonomisch unbedarft träumen die Gründer davon, in erster Linie mit ihrer Idee die Welt zu beglücken. Sie wollen sich und ihre Mitstreiter ohne Profitstreben, geradezu familiär, solidarisch aus der gemeinsamen Kasse entlohnen, also eine Art ökonomische Hippie-Kommune selbstloser, gleichberechtigter Idealisten bilden. Um in Stimmung zu kommen wird natürlich Rauschgift in verschiedenster Form konsumiert, auch darin sind sich alle gleich in der schnell wachsenden Belegschaft. Irgendwann fordert die Realität ihr Recht, der Mitbegründer meldet die bis dahin nicht im Handelsregister eingetragene Firma auf seinen Namen an, ganz ohne Formalitäten geht es halt doch nicht. Enttäuscht zieht der Romanheld sich zurück, lässt sich dann aber doch überreden, wenigstens die Hamburger Filiale zu übernehmen. Bis ihn dort schließlich eine Hepatitis-Infektion bös erwischt.

Ohne Larmoyanz wird in diesem Roman das Zeitgefühl der berühmten 68er weitgehend klischeefrei geschildert. Dabei entwickeln sich die Gründer, die sich als «Enthemmungs-Assistenten» definieren und auch reichlich Dope dafür einsetzen, als Antipoden ihrer Geschäftsidee. Während der Ich-Erzähler als Alt-Hippie seinen geplatzten Träumen von der Bedürfnislosigkeit nachtrauert, ist sein Kompagnon schon in der ökonomischen Realität angekommen und nutzt die sprudelnde Geldquelle zu seinem eigenen Vorteil. Bernd Cailloux erzählt seine Geschichte lakonisch mit viel Sinn für Details, auch wenn sowohl technisch als auch ökonomisch manches daran dann doch ins Spekulative, Märchenhafte abgleitet. Dazu zählen vor allem die viel zu lang geratenen Passagen über den unbekümmerten Rauschgift-Konsum der psychedelischen Stroboskop-Truppe. Das wird in unzähligen Details immer wieder neu beschrieben, dürfte aber allenfalls die Junkies in der Leserschaft erfreuen, die große Mehrheit jedoch erbarmungslos langweilen.

Erzählt wird diese desillusionierende Geschichte der ungleichen «Hippie-Businessmen», wie die Freundin des Protagonisten sie spöttisch bezeichnet, in einer angenehm lesbaren, dem Alltag entsprechenden Diktion, nüchtern und völlig unprätentiös. Dass ihre «Suche nach besseren Lebenszwecken» scheitern muss, ist von vornherein klar. Aber wie kläglich sie scheitert, das ist durchaus vergnüglich zu lesen, vor allem, weil es gnadenlos einen scheinbar unausrottbaren Mythos entlarvt.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Berlin

Made in Washington

Made in Washington. “Keine andere Nation ist seit 1945 derart rabiat aufgetreten“, schreibt der Mitarbeiter des Berliner Kollegs Kalter Krieg in seinem Vorwort und die Bilanz der Außenpolitik der Supermacht USA der letzten 100 Jahre fällt in der Tat ernüchternd aus. Keine andere Nation hat mehr Militärstützpunkte als die USA und gibt mehr Geld für Rüstung aus.

Außenpolitik der USA: “ein Hauch von Casino”

In neun Kapiteln beschreibt Greiner die “Obsession in prekärer Nähe zu Hysterie und Paranoia“, die die Außenpolitik der Atommacht Nummer 1 seit ihrem Sieg im Zweiten Weltkrieg kennzeichnet. Mit dem Erstschlag gegen Japan machte sich die USA nämlich zur hegemonialen Weltmacht. Dabei hätte der Krieg auch ohne Atombombe beendet werden können, aber die USA legte schon damals wert auf das Prinzip der Abschreckung. Dafür mussten hunderttausende Japaner ihr Leben lassen. Nur die Sowjetunion konnte ihr noch die Stirn bieten und verhinderte eine monopolare, unilaterale Welt. Die “Redeemer Nation” oder auch “Chosen Country” baute in ihrer Sicherheitspolitik stets auf die eigene Sicherheit und weniger auf eine gemeinsame, wie Greiner ausführt. Darin enthalten waren durchaus auch Erstschläge gegen die Sowjetunion, “Operation Eggnog” war der Codename für einen imaginären gegen die UdSSR. Dabei spielte aber auch eine gute Portion theatralischer Gebärden und Bluffs eine Rolle. Gerade bei Nixon und Kissinger, der betonte: “Wann immer wir Gewalt einsetzen, müssen wir es auf eine leicht hysterische Weise tun“. Auch Psycho-Spiele (Psycho-Operationen, “psyops”) und Störmanöver wurden von den USA angewandt, um den scheinbar allgegenwärtigen Gegner zu verunsichern. “Von lupenreinen Glücksspiel zu sprechen, wäre übertrieben“, kommentiert Greiner, “Aber zumindest ein Hauch von Casino hängt beim Umgang mit Atomwaffen in der Luft.

Eine Sache im Stile der Nazis

Als erste Beispiele der folgenschweren Interventionen nennt Greiner im dritten Kapitel Guatemala und Iran, deren einziges “Verbrechen” darin lag, nationale Interessen zu verfolgen und eine eigene, unabhängige Wirtschaft aufzubauen, um das Vermächtnis des Kolonialismus endlich zu zerschlagen. “More bang for the buck” forderte Präsident Eisenhower von seinem Geheimdienst, der mit Hilfe von covert actions (verdeckten Aktionen), bald auch im Rest der Welt gewählte Regierungen aus den Angeln hob. Aber wie sagte es einer der letzten Präsidenten einmal: “Die USA sind die kriegerischste Nation in der Geschichte der Welt, weil wir andere Länder dazu zwingen wollen, unsere amerikanischen Prinzipien zu übernehmen”, so Jimmy Carter im Frühjahr 2019 vier der Bapistentgemeinde seiner Heimatstadt Plains in Georgia.

Made in Washington

Aufgrund des Glaubens, die USA seien unter allen Nationen der Welt die beste, leiten sich das Missionsbewusstsein und der amerikanische Imperialismus ab. Aber kann dies als Entschuldigung dafür gelten, dass die USA zwischen Mai 1964 und April 1973 2,1 Millionen Tonen Bomben über Laos abwarfen, dieselbe Menge, die man während des Zweiten Weltkriegs gegen sämtliche Zielgebiete in Europa und Asien eingesetzt hatte? Diese Menge an Bomben war ein Drittel der Zerstörungslast die im Laufe des Vietnamkrieges verbraucht wurde (6,7 Millionen Tonnen). Unvorstellbar was diesen Nationen angetan wurde und welche Konsequenzen das für die dortige Bevölkerung hatte. “Es war eine Sache im Stile der Nazis“, äußerte sich ein Vietnamasoldat im Interview mit dem Journalisten Seymour M. Hersh, der die Massaker in My Lai aufgedeckt hatte.

USA und Welt: eine Konfliktbeziehung

Bernd Greiner hat ein spannendes Buch geschrieben und es gut recherchiert. Markige Zitate der Ex-Präsidentn und anderer Beteiligter kommen ebenso zur Sprache wie Zahlen, Daten und Fakten. Dabei bleibt das Buch aber lesenswert und spannend wie ein Roman, der eben leider von der Realität übertroffen wird. Denn “was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben“, das passt tatsächlich auf keine Kuhhaut mehr. Das Sündenregister einer Großmacht, die mit ihrer “show of force” selbstherrlich und größenwahnsinnig einen ganzen Planeten zugrunderichtet. Im Namen der Freiheit.

Greiner, Bernd
Made in Washington
Was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben
2021, Klappenbroschur, 288 S., mit 9 Abbildungen
ISBN: 978-3-406-77744-8
Bibliografische Reihen
C.H.Beck Paperback
16,95 €


Genre: Außenpolitik, Geschichte, Kubakrise, USA, Vietnam, Zeitgeschichte
Illustrated by C.H. Beck München

Batman – Die Maske im Spiegel 3

Batman – Die Maske im Spiegel 3. Im dritten Teil der aufsehenerregende Neuinterpretation des Batman Mythos von Zeichner Andrea Sorrentino und Autor Mattson Tomlin spielt ein Doppelgänger eine undurchsichtige Rolle. Das “Black Label” in dessen Rahmen die vorliegenden Episoden um den Dunklen Ritter stattfinden ist immer wieder für Überraschungen gut.

Bruce und sein Shrink

So hat Batman erstmals in seiner Geschichte auch einen Psychiater, Dr. Leslie Thompinks, die versucht, ihn vom Beenden seines obsessiven, perspektivlosen Kreuzzugs gegen das Verbrechen zu überzeugen. Aber auch eine Polizistin, Blair Wong, die ein ähnliches Schicksal wie Bruce Wayne teilt, ist Batman dicht auf den Fersen. Das gemeinsame Schicksal verbindet sie sogar so sehr, dass sie ein Liebespaar werden, wodurch Bats die Gelegenheit bekommt, in Wongs Polizeiakten zu stöbern und erfährt, dass alle kriminellen Opfer des Batman-Doppelgängers im Blackgate Gefängnis einsaßen und durch eine korrupten Richter vorzeitig entlassen wurden. Der Kammerjäger Otis Flannegan half dem falschen Fledermausritter bei seinen Morden, im Glauben, er würde den echten und gerechten Batman bei seiner ebenso gerechten Sache unterstützen. Der dritte Teil der Serie läuft auf einen Showdown hinaus, der unweigerlich aus einem Duell der beiden Batmans bestehen muss. Oder gibt es doch noch eine andere Möglichkeit?

Batman in neuer Perspektive

“Batman ist eine Belastung für Bruce Wayne”, sagt ihm seine Psychiaterin Dr. Leslie Thompinks, “ich weiß, ich kann dich nicht stoppen, aber ich hoffe du hörst mich an…”. “Wenn du auch nur die Hälfte der Energie erhieltest, die sich Batman nimmt … Wenn Du deine erheblichen Ressourcen zum Wohle der Stadt nutzen würdest… Dann könntest auch du etwas bewirken!” Der falsche Batman, der Doppelgänger oder Imposter, hält dem echten Batman im Grunde nur einen Spiegel vor, die “Maske im Spiegel”. Denn tatsächlich muss erst Bruce Wayne geheilt werden, bevor Batman seinen Rachefeldzug gegen das Verbrechen beenden kann. Die Neuinterpretation des Batman Mythos von Mattson Tomlin und Andrea Sorrentino überrascht nicht nur mit diesem neuen Lösungsmuster und Auftrag für Bruce Wayne, sondern auch mit einem ganz eigenen artwork und Zeichenstil, der wohl ebenso die engen Grenzen des Genres sprengt, wie dessen Inhalt. Und genau das macht das Black Label so ansprechend: dass es mit Tabus bricht. “Es ist (eben) nicht einfach, seinen Namen reinzuwaschen, wenn man sich hinter einer Maske versteckt!” Die eigenständige Alben-Trilogie von Filmemacher Mattson Tomlin (Project Power) und Zeichnerin Andrea Sorrentino (JOKER: KILLER SMILE) ist mit diesem dritten Teil (leider) abgeschlossen.

Mattson Tomlin/Andrea Sorrentino
Batman – Die Maske im Spiegel 3
(Original Storys: Batman: The Imposter 3)
2021, Hardcover, 68 Seiten
ISBN: 9783741625596
Panini Verlag
14,00 €


Genre: Comics, Gothic Novel, Krimi, Noir, Thriller, Trilogie
Illustrated by Panini Comics

Der achtsame Mama-Begleiter

Es ist ein wunderbares kleines Büchlein, das sich, wie der Titel schon aussagt, an alle Mütter wendet. Die 55 Tipps für mehr Gelassenheit im Familienalltag sind nach dem Drei-Säulen-Konzept aufgebaut: Freude – Zeit – Liebe. Zu jeder Säule gibt es wertvolle Tipps, die kurz und prägnant ausformuliert sind. Und beim Lesen gibt es immer wieder einen Aha-Effekt. Dazu kommt, dass das Büchlein in jede Mama-Handtasche passt und damit jederzeit zur Hand genommen werden kann: am Spielplatz, beim Kinderarzt usw.

Ein Thema, das mich besonders angesprochen hat, ist die Generierung von „Me-Time“. Ein Begriff, den ich bis dato nicht kannte. Das, was dahinter steckt aber schon: Wie ist es möglich trotz Stress in Beruf, Alltag und Familie, der übrigens oft genug selbst gemacht ist, für mich ganz persönlich Zeit zu finden.

Sie werden sich nun fragen, warum ich dieses Buch gerade als Mann thematisiere? Zum einen ist der Ratgeber auch für Väter sehr nützlich und zum anderen finde ich es ein sehr schönes Geschenk für die Partnerin oder die Tochter. Es ist als Taschenbuch und als E-Book erschienen und kann somit auch am Handy gelesen werden.

Für weitere Informationen:

https://www.bod.de/buchshop/der-achtsame-mama-begleiter-isabella-eisen-9783752611823

http://www.achtmomkeit.com


Illustrated by BoD Norderstedt

Böse Schafe

Brief an einen Toten

Als einer ihrer wichtigsten Romane wurde «Böse Schafe» von Katja Lange-Müller vom Feuilleton einhellig positiv aufgenommen, sein Thema ist das komplizierte Beziehungsgeflecht von gesellschaftlichen Außenseitern. Die in der Vorwendezeit in West-Berlin angesiedelte Liebesgeschichte zweier kaputter Typen überzeugt nicht nur durch die völlig unsentimentale, sprachlich nüchterne Umsetzung des Stoffs, sondern auch durch die intime Nähe zu den Figuren. Diese besonders intensive Wirkung wird vor allem durch die sehr spezielle Erzählform als fiktiver Brief an einen Toten erzeugt.

Die vierzigjährige Schriftsetzerin Soja, Republikflüchtling aus der DDR, die sich in Berlin mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsjobs durchschlägt, trifft 1987 am U-Bahnhof Nollendorfplatz auf Harry, der als schöner Mann, «blauäugig, bleich, aschblond», eine geradezu unwiderstehliche, spontane Anziehungskraft auf sie ausübt. In dem posthumen Brief, den sie ihm vier Jahre später schreibt und den wir als Roman lesen, sieht sie einen Film ablaufen und fragt selbstkritisch: «Hätte ich mich, als unser Film in Echtzeit lief, als wir zu fotografieren gewesen wären, nach deinen Empfindungen erkundigen sollen?» Denn wie sie merkt, gibt der schweigsame Traummann wenig preis von sich und bleibt ihr gegenüber sogar als Liebhaber merkwürdig zurückhaltend. Trotzdem ignoriert sie zunächst alle Indizien, bis dann nach und nach aber heraus kommt, dass er auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wurde, wo er eine zehnjährige Strafe wegen Raubüberfalls abzubüßen hat. Außerdem hat er auch gegen Bewährungs-Auflagen verstoßen, weil er seine Drogentherapie abgebrochen hat. Soja kämpft um eine neue Therapie für ihn, setzt sich selbstlos für ihn ein und unterstützt ihn sogar finanziell, obwohl sie selbst in eher prekären Verhältnissen lebt. Es dauert nicht lange, bis die nächste, bisher verschwiegene Hiobsbotschaft sie erreicht, die sie dann sehr direkt plötzlich auch selbst betrifft.

«Mein Lebensthema sind, glaube ich, die Widersprüche» hat die Autorin im Interview bekannt. Das wird hier verkörpert durch die große Liebe einer unbeirrbaren, starken Frau aus dem Osten zu dem kriminellen Junkie aus dem Westen, der ihre Gefühle in keiner Weise erwidert hat, wie sie ihm in ihrem Brief posthum vorwirft. Die Autorin lotet nüchtern aus, wie weit Hingabe tatsächlich gehen kann, ohne jedoch pathetisch zu werden, was in diesem Genre ja eher selten anzutreffen ist. In ihrem Rückblick auf den vierjährigen Abschnitt ihres Lebens mit Harry stellt Soja ihm existentielle Fragen, um zu verstehen, was für ein Mensch er wirklich war. Und trotz der durch sein Verhalten ihr gegenüber ausgedrückten, emotionalen Defizite wirkt dieser schräge Vogel nie unsympathisch, er strahlt auch in verstörenden Momenten immer noch einen gewissen Charme aus, und zwar nicht nur auf Soja, sondern erstaunlicher Weise auch auf den Leser. Der lange, quälende Sterbeprozess von Harry schließlich, der am Ende einsam stirbt und Soja mit seinen Habseligkeiten auch ein Schulheft mit Aufzeichnungen hinterlässt, ruft Mitgefühl beim Lesen hervor, er ist im Grunde eigentlich nur ‹ein armer Hund›. Harrys undatierte Notizen über seine Zeit mit ihr sind, kursiv abgesetzt und in kurzen Abschnitten über den gesamten Text verteilt, in den fiktiven Brief eingefügt. Es sind geradezu schreckliche Aufzeichnungen, die Soja da ahnungslos liest, denn in seinen insgesamt neunundachtzig Sätzen kommt sie mit keinem einzigen Wort vor, so als hätte es sie nie gegeben.

Eine derartige, nicht auf Gegenseitigkeit beruhende Amour fou wirft natürlich allerlei interessante Fragen auf. Kann man Sojas demütige Hingabe überhaupt noch Liebe nennen? Kann denn die nicht wiedergeliebte Liebende jemals glücklich gewesen sein? Neben seiner Liebesthematik ist «Böse Schafe» auch ein typischer Berlin-Roman mit stimmigen Milieu-Schilderungen. Dieser stilistisch ungewöhnliche, komplexe Roman ist eine unterhaltsame, bereichernde Lektüre.

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Schreib Dein bestes Buch. Der Planer für Autoren

Johannes Zum Winkel hat als Autorencoach schon manchen Bestsellerautor im Selfpublishing begleitet und zählt mit dem Stallgeruch des Bertelsmann-Konzerns, für den er leitend tätig war, zu den alten Hasen in der Buchwelt. Sein neuestes Opus »Schreib dein bestes Buch« liegt jetzt als 344 Seiten starkes Buch vor und ist ein Romanplaner im besten Sinne.

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Genre: Ratgeber, Sachbuch, Selfpublishing
Illustrated by Selbstverlag

Frohes Fest!

Weihnachten mit Biss

Cartoonist, Illustrator und Comiczeichner Miguel Fernandez hat mit dem vorliegenden Werk ein bissiges, z.T. schwarzhumoriges Weihnachtsbüchlein geschaffen, das klassische wie aktuelle Probleme und Familienangelegenheiten treffsicher auf’s Korn nimmt. Immer wieder anders variantenreich wird z.B. die Deutsche Bahn und ihre ewigen Verspätungen durch den Kakao ge- und auf den Weihnachtsmann bezogen. Auch die Verbindung Weihnachtsmann und Coca Cola wird auf immer neue und lustige Weise hergestellt. Weihnachtsmann, -zeit und Klimawandel ist ebenfalls ein Thema, mit dem sich schwarzhumorig viel machen lässt und wo Fernandez schlicht ins Schwarze trifft. Außerdem kommen Weihnachtsmann und Ernährungsgewohnheiten ebenso zum Zug wie der allgemeine Bezug zur Werbung und die familiären Macken. Die Cartoons sind einfach zu verstehen, aber trotzdem mit Hintersinn und einem Tritt in den Allerwertesten, damit man anfängt nachzudenken.

Kurz: Rundum gelungen, wenn man diese Art von Humor mag.


Genre: Cartoons
Illustrated by Lappan

Diese Fremdheit in mir

Knapp 600 Seiten Print- oder 5.200 KB eBook – ein gewaltiges Werk, das wahrscheinlich schon per se einen Literatur-Nobelpreis wert wäre, hätte man diesen dem türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk nicht bereits 2006 verliehen. Diese “Fremdheit in mir” erschien erst 2014, also 6 Jahre nach der Aufnahme in den Literatur-Olymp.
Erscheinungsdatum wirklich 2014? Man stutzt und will es kaum glauben. So jung? Eigentlich doch so zeitnah und modern, aber…? Aber der Reihe nach.

Pamuks Buch ist eine Familien-Saga mit allem, was dazu gehört. Ein Epochen übergreifender Generationen-Roman mit der zentralen Figur des Boza-Verkäufers Mevlut (Wiki: „Boza ist ein leicht alkoholisches, süßlich-prickelndes Bier, ursprünglich aus Hirse, das auf dem Balkan und in der Türkei, in Zentralasien und im Nahen Osten konsumiert wird“).
1954 kommt Mevlut, wie so viele, als kleiner Junge mit seinem Vater aus Anatolien nach Istanbul. 60 Jahre lang begleitet der/die LeserIn Mevluts Schicksal und das seiner Eltern, Onkel, Tanten, Cousins, Frau(en), Schwiegereltern, Töchter, Schwiegersöhne, Enkel, SchwägerInnen, Freunde. Und das alles vor dem Hintergrund der türkischen Historie und insbesondere der Entwicklung Istanbuls. Da bedarf es in der Tat schon einer vierseitigen Chronologie im Anhang, um den Über- und Durchblick nicht zu verlieren. Vor allem, wenn man ins Kalkül zieht, dass man Pamuks Schreibstil durchaus als detailverliebt bezeichnen darf.
Das Positive an dem Buch lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Es ist ein relativ authentisches Spiegelbild der türkischen Gesellschaft über sechs Jahrzehnte und insbesondere der vielen einfachen Menschen vom Land, die in der Metropole Istanbul ihr Glück versuchen.
Lässt man allerdings auch nur ein wenig literarische Kritik walten, handelt es sich um eine türkische Telenovela, die in jedem TV-Kanal nach vier Wochen abgesetzt würde. Zu zähflüssig, zu langweilig, zu vorhersehbar ist die von einem türkischen Mann konstruierte Handlung. Das Geschriebene plätschert vor sich hin, man erfährt nichts, was man bei halbwegs ausgebildeter Beobachtungsgabe nach zwei bis drei Türkei-Urlauben nicht eh schon wüsste. Selbst literarische „Kunstkniffe“, wie der Wechsel vom außenstehenden Erzähler zum Monolog agierender Darsteller, laufen ins Leere, da es Pamuk versäumt, in diesen Passagen den Erzählstil zu ändern und zu profilieren.
Orhan Pamuk ist der vielleicht beliebteste und erfolgreichste, männliche türkische Schriftsteller unserer Zeit. Die türkisch-maskuline Weltsicht sprießt so auch aus allen Poren. Ein Mann ist der Hauptdarsteller, Männer dominieren den Alltag, die Sicht auf die Frauen ist männlich-traditionell. Und genau deshalb wieder der ungläubige Blick auf das Erscheinungsdatum. Bei aller Liebe zur authentischen Darstellung der Realität – wo bleibt die wenigstens angedeutete Kritik zum Beispiel an der Stellung und Rolle der Frau in dieser gesellschaftlichen Umgebung? Dürfte man das 2014 von einem Nobelpreisträger nicht verlangen? Warum durchgehend diese rosarote Wolke, diese naive Zufriedenheit, die sich vom Protagonisten auf die ganze Atmosphäre des Romanes überträgt? Selbst wenn Armut und Leid geschildert werden, bleiben diese immer systemimmanent.
Schwer erklärlich bleibt bis zum Schluss der Titel des Buches. „Diese Fremdheit in mir“ kommt als Terminus zwar immer mal wieder in unterschiedlichsten Zusammenhänge vor, wird aber auch im Kontext nicht klarer. Vielleicht ein Übersetzungsproblem? Im Originaltitel “Kafamda Bir Tuhaflık” bedeutet Tuhaflik eher Eigenheit, Marotte, Verschrobenheit, was dem eigenbrötlerischen Charakter des Mevlut schon eher entspricht.
So bleibt auch in mir als Leser am Schluß eine Art von Fremdheit oder besser Befremdlichkeit ob des preisgekrönten Erfolges dieses Autors. Über den politischen Background des Literaturnobelpreises hatte ich bereits bei Olga Tokarczuk spekuliert. Orhan Pamuk lässt in mir die Ahnung aufkommen, dass dieser Preis auch eine Art Fleißkärtchen sein könnte.

Genre: Belletristik, Politik und Gesellschaft, Roman
Illustrated by Fischer Verlag