Kommando Ajax

Kreativität um ihrer selbst willen

Der dritte Roman der kurdischen Künstlerin Semile Sahin mit dem Titel «Kommando Ajax» wurde von den Feuilletons recht unterschiedlich bewertet. Im Frühjahr wurde er für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, hat ihn aber nicht erhalten. Bei den Leser-Kommentaren im Online-Buchhandel gibt es derzeit drei Jubel-Rezensionen mit fünf Sternen unter den Überschriften «Bestes Buch seit langem», «Treffender geht es nicht» und «Packender Roman». Dabei weisen diese frühen Kommentare, einer sogar noch vor dem offiziellen Erscheinen des Buches am 17.9.2024, ziemlich eindeutig auf literarische Claqueure hin! Und bis heute, ein Jahr später, gibt es auch keinen einzigen neuen Kommentar mehr, das muss doch zu denken geben! So gar nicht in den Jubel passen übrigens auch die an gleicher Stelle mit derzeit 25 Prozent ungewöhnlich vielen, absolut negativen Bewertungen ohne ergänzende, schriftliche Begründung! Ein so noch nicht da gewesenes, wahrhaft zwiespältiges Echo mithin!

Der turbulente Plot dieses Romans aus lose ineinander verwobenen Action-Elementen und Migrations-Problemen handelt von einer nach Rotterdam emigrierten Familie aus Kurdistan. Er beginnt mit einer typisch kurdischen Hochzeit, bei der einer der Brüder aus der im Mittelpunkt stehenden Familie Korkmaz von einem Scharfschützen erschossen wird. Wie in einem Actionthriller geht es um einen Verräter, um Kunstraub alter Meister, um Rache, Liebe und um Zusammengehörigkeit innerhalb der großen kurdischen Familie in einem ausländerfeindlichen Umfeld.

Stilistisch stellt der Roman dieser äußerst vielseitigen Künstlerin ein ziemliches Novum dar mit seiner drehbuchartig an einen Spielfilm erinnernden, temporeichen Erzählweise, in der die Sprache, chronologisch unbekümmert, wie bildersatte, wilde Schwenks mit der Kamera gehandhabt wird. Ebenso unkonventionell ergänzt wird diese manchmal amüsante, kreative Prosa durch viele darin eingestreute, bunte Bild- und Texttafeln, an ein Kinderbuch erinnernd. Hinter all der vordergründig erscheinenden Action steht sinnstiftend die nachdenklich machende Geschichte von der schwierigen Migration einer kurdischen Familie in den als ausländerfeindlich beschriebenen Niederlanden. Die dort alltäglich spürbare Diskriminierung wird im Roman sinniger Weise «Europakrankheit» genannt.

Es gehört viel Mut dazu, Genregrenzen missachtend sämtliche Erzähl-Konventionen über Bord zu werfen und damit ja auch weitverbreitete Leser-Erwartungen zu negieren. Die an sich inhaltlich absolut nichts Neues bietende Geschichte wird stilistisch derart extravagant erzählt, dass man wirklich Vergleichbares kaum finden wird. Dieses den Roman narrativ kennzeichnende Alleinstellungs-Merkmal wird viele Leser gleichwohl kaum beglücken können, zu verstörend und oft auch irritierend ist die stakkatoartige Erzählweise der experimentier- und risikofreudigen Autorin. Man ist als Literaturfreund zuweilen ungut an die Sprachblasen in einem banalen Komikheft erinnert. Dieser Roman ist regelrecht überkonstruiert in dem erkennbaren Bemühen seiner Autorin, einen popartigen, unverwechselbar eigenen Stil zu kreieren, – l’art pour l’art, Kreativität also um ihrer selbst willen!

Fazit:   miserabel

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Genre: Roman
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