Zebra im Krieg

Der Pisser

Mit dem Zusatz «Nach einer wahren Begebenheit» hat der österreichische Schriftsteller Vladimir Vertlib für seinen neuen Roman «Zebra im Krieg» auf einen realen Bezug hingewiesen. Durch die offizielle Bagatellisierung der aggressiven Kämpfe im Roman als «erweiterte Polizeiaktion gegen Terroristen» wird überdeutlich auch auf den Ukrainekonflikt verwiesen. Es geht in diesem Roman um politischen Totalitarismus, dem heute mit seiner digitalen Variante im Internet eine nicht minder gefährliche, mediale Spielart als weiteres Lügenbabel zur Seite steht.

In einem quasi rechtsfreien Raum toben sich Hassprediger aller Couleur aus, so auch der arbeitslose Flugzeug-Ingenieur Paul Sarianidis. Der weiß mit seiner vielen Freizeit nichts Besseres anzufangen, als sich in einschlägigen Internet-Foren herumzutreiben und als Blogger seine Meinung in die Welt hinaus zu posten. In seiner nicht benannten balkanischen Hafenstadt tobt ein Bürgerkrieg, die multiethnische Einwohnerschaft sitzt in der Falle, man kann die umzingelte Stadt nicht mehr verlassen, die Rebellen haben sie vorübergehend in ihre Gewalt gebracht. Und ausgerechnet gegen den charismatischen Führer dieser Aufständischen hat Paul einen Hass-Kommentar geschrieben, in dem er ihn auf das Übelste beschimpft. Prompt stehen plötzlich Milizionäre vor der Tür des Mitte-Dreißigjährigen, die ihn zum Verhör mitnehmen. Dort trifft er auf sein verbales Opfer, den Rebellenführer Boris Lupowitsch, der ihn nun seinerseits beschimpft und derart bedroht, dass Paul sich vor Angst in die Hosen macht. All das wird mit zwei Kameras akribisch gefilmt und anschließend ins Netz gestellt. Paul erntet Hohn, Spott und eine traurige Berühmtheit als «Der Pisser». Dieses Begebnis ist nach Aussage des Autors übrigens authentisch. Der mit einer Ärztin verheiratete, mit Tochter und der eigenen Mutter zusammenlebende Paul wird nun auch zu Hause gescholten. Er hat die ganze Familie blamiert, was ihm besonders seine über alles geliebte, zwölfjährige Tochter Lena sehr übel nimmt.

Dieser dystopische Roman ist als Persiflage auf die Vorgänge in der Ost-Ukraine angelegt. Das Augenmerk des Autors liegt allerdings nicht auf dem politischen Machtpoker, sondern auf den dämonischen Kräften in den Köpfen der Bevölkerung, die sich im Internet eine Bühne suchen, um dort ihre vorgefassten Meinungen weiter anzuheizen, statt an einem Konsens mitzuwirken, um die Gegensätze zum Wohle aller zu überwinden. Als stadtbekannte Figur wird «Der Pisser» bei einem seiner ruhelosen Streifzüge durch die zerschossenen Straßen von einem grölenden Mob, zusammen mit der Intendantin des Theaters, symbolisch in einer vor Deck starrenden Bio-Mülltonne ‹entsorgt›. Pauls Versuche, sich mit Hilfe zweier PR-Spezialsten von seinem peinlichen Image zu befreien, scheitern kläglich, er wird nur finanziell ausgenommen von ihnen. «Ich will einmal im Leben das Richtige tun», beschießt der Antiheld und kümmert sich fortan um die alten jüdischen Hausnachbarn, die abgeholt worden sind. Es gelingt ihm tatsächlich, das Paar frei zu bekommen. Sie vertrauen ihm daraufhin ihren bescheidenen Schatz an, neben persönlichen Erinnerungsstücken vor allem 3000 Dollar, die er nach ihrem Tod der in den USA lebenden Tochter zukommen lassen soll, ehe sie der korrupte Staat kassiert.

Pauls multikulturelle Heimatstadt, ein Schmelztiegel aus griechischen, ukrainischen und koptischen Vorfahren sowie Russen, Armeniern, Türken, Juden und anderen Ethnien mehr, hat seinen Status als kosmopolitischer Sehnsuchtsort längst verloren. Nachdem in den Kämpfen auch der Zoo zerstört wurde, laufen plötzlich exotische Tiere durch die Stadt, so das titelgebende Zebra als Symbol für Friedfertigkeit. Die vom Autor als geharnischte Kritik an der Enthemmung in den sozialen Medien samt ihren Folgen angelegte Geschichte bleibt in der Form leider fragwürdig. Sie ist weder als Satire noch als Gesellschaftskritik wirklich überzeugend und wirkt in ihrer Slapstickartigkeit oft einfach nur albern.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Residenz Verlag

Die schwangere Madonna

Pikareske Road Novel

Der Roman «Die schwangere Madonna» des österreichischen Schriftstellers Peter Henisch ist eine geradezu klassische Road Novel, was allein schon durch die vorab eingefügte Landkarte Italiens mit der Reiseroute der Protagonisten verdeutlicht wird. Genretypisch läuft der Plot auf ein herbeigesehntes Ende hin, eine kopflose Flucht aus dem unerträglich gewordenen Leben. Dabei sind hier die pikaresken Einflüsse dominant und lassen die deprimierende Ausgangslage in einem freundlicheren Licht erscheinen. Mit der Nominierung dieses Romans für den Deutschen Buchpreis wurde der bis dato nur in Österreich prämierte Autor 2005 erstmals auch einem größeren deutschen Leserpublikum bekannt.

Der beim Rundfunk tätige Josef ist durch sein blackoutartiges Versagen bei der Fertigstellung eines Radio-Features als freier Mitarbeiter prompt gekündigt worden. An der Schule seines Sohnes, den er dort turnusgemäß abholen will, stellt er fest, dass er sich zeitlich um eine ganze Woche vertan hat, was Ex-Frau und Sohn nur mit verächtlichem Grinsen quittieren. Auf dem Schulhof sieht er zufällig einen VW-Golf stehen, bei dem der Schlüssel in der Tür steckt. Düpiert wie er ist, steigt er in einer Kurzschluss-Reaktion in das Auto, startet den fremden Wagen und fährt davon, obwohl er gar keinen Führerschein besitzt. Weil er zweimal durch die Prüfung gefallen war, hat er seither immer ohne Auto gelebt. Er merkt aber, dass er trotz fehlender Fahrpraxis ganz gut zurechtkommt im Verkehr. Ziellos dahinfahrend entdeckt er nach einigen Kilometern, dass er nicht allein ist im Auto. Auf der Rückbank regt sich unter einem dicken Wintermantel plötzlich ein Mädchen, das dort geschlafen hat. Als er anhält, um sie aussteigen zu lassen, will sie nicht. Das Auto gehöre ihrem Religionslehrer, der sie geschwängert habe, der nun aber nichts mehr mit ihr zu tun haben will. Auch die kurz vor der Matura stehende, knapp 18jährige Maria will nun nur noch weg. Schon bald überqueren die beiden Gleichgesinnten die italienische Grenze und setzen ihre spontane, fluchtartige ‹Fahrt ins Blaue› Richtung Süden fort.

Aus dieser Konstellation heraus deutet Peter Henisch eine von dem fürsorglichen Mann erträumte, allmählich obsessiv werdende Beziehung der anfänglich reinen Zweck-Gemeinschaft an. Wobei Maria ihren doppelt so alten Begleiter immer wieder auch düpiert, indem sie plötzlich spurlos verschwindet, was dann jedes Mal seine Beschützer-Instinkte herausfordert. Eine zweite thematische Ebene bildet die Religion, deren berühmte Bauten und Kunstwerke das ungleiche Paar bei seiner Reise kreuz und quer durch Italien gleichermaßen begeistert. Eines davon wartet am Ende der Reise, die titelgebende Madonna del Parto auf dem berühmten Fresko, das heute als Touristenattraktion im Museum von Monterchi zu sehen ist und als Abbildung das Buchcover ziert. Durchaus ironisch hat der Autor nicht nur seinen Helden ‹Josef› genannt, auch der Protagonistin hat er mit ‹Maria› einen religiös konnotierten Namen zugedacht, und die Schülerin schließlich hat über ihr Interesse an christlichen Themen letztendlich ja auch ‹in Sünde› zu ihrem Religions-Lehrer gefunden.

Auf dieser Reise kreuz und quer durch fast ganz Italien erleben die beiden ungleichen Aussteiger und Sinnsucher allerlei abenteuerliche Begegnungen. Italophile Leser werden ihre helle Freude haben an den bunten, durchweg stimmigen Bildern, in denen der ortskundige Autor davon zu berichten weiß. Auch seine Figuren sind mit Blick für Details und feine Nuancen überzeugend charakterisiert. Trotz der oft komischen, aber manchmal arg profanen Begebenheiten hat dieser Roman auch seine kontemplativen, zum Weiterdenken anregenden Momente, und kulturell erweist sich Josef als idealer Reiseführer nicht nur für Maria, sondern auch für den Leser. Neben der angedeuteten Lolita-Thematik wird durch die ständige Furcht der Autodiebe vor Entdeckung ein Spannungs-Bogen erzeugt, der bis zum kitschfreien, gut durchdachten Ende anhält.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Residenz Verlag

Herr K., der Gelegenheitskritiker

Der Gelegenheitskritiker: Humor vom Feinsten

Der Gelegenheitskritiker: Der Protagonist dieser äußerst lesenswerten und sarkastischen Dialogsammlung, Herr K. ist Gelegenheitskritiker. Gelegenheitskritiker ist er aber nicht, weil er sonst anderen Beschäftigungen nachginge, sondern, „weil er nach Gelegenheiten suchen musste, Bücher besprechen zu können und dafür dringend benötigtes Geld (vornehmer: Honorar) zu erhalten. Er lebte von diesen Gelegenheiten.“ Da es sich davon allerdings mangels Auftragslage nicht besonders gut leben lässt, zieht er von Stuttgart nach Leipzig, denn Leipzig ist. Immer noch. Eigentlich suchte er aber auch einen „guten Platz für seinen Schreibtisch“ und seine Bücher und Bücherregale, denn auch in der neuen Wohnung, die viel geräumiger ist als die alte, stellt sich natürlich die Frage: kaufen oder selber bauen. Natürlich ist Herr K. eine Anspielung an einen ganz großen der Weltliteratur. Sie dürfen selbst raten, wer damit gemeint ist.

Stichhaltige Dialoge voller Häme

Bücherregale sind „die transzendentale Dimension und Fortentwicklung der Arbeit am Schreibtisch“ philosophiert er vor sich hin und beantwortet das Dilemma alsbald mit dem lapidaren Satz: „Bücherregale baut man sich selber.“ Schnell wird auch seine neue Wohnung zu einem Bücherlager: „Er lebte gerne zusammen mit den Büchern, das war die simple Antwort.“ Und warum ausgerechnet mit Lesen und Büchern sein Leben verbringen? Weil sich bei Herrn K. beim Lesen unmittelbar ein „leichtes Gefühl der Benommenheit“ einstellt: „Die Welt drehte sich in einem anderen Takt als er.“ Das tut immer wieder gut. Allein, das Problem ist die Auftragslage, denn Herr K. muss sich seine Auftraggeber immer wieder selbst suchen. Und so entspinnen sich immer wieder witzige Dialoge mit Vertretern des Rundfunks, die seine Rezensionen im Radio unter die Leute bringen. „Zyniker aller Länder vereinigt euch.“, heißt an einer Stelle des Buches, in Abwandlung des berühmten Marx-Zitates über die Proletarier. Von „mäandernder Prosa“ oder „Gesäusel“ kann hier gar keine Rede sein. Klaus Siblewski Humor sticht an vielen Stellen und ist präzise wie ein chirurgischer Eingriff. Sachen zum Lachen auf hohem Niveau.

Der Gelegenheitskritiker: Spott auf hohem Niveau

Spitzfindige Dialoge zu und über die Sinnhaftigkeit von Werken verschiedenster Autoren wie etwa Martin Walser, Martin Mosebach, Thomas Hettche, Fritz J. Raddatz gehören zur Grundausstattung der hier vorliegenden Lektüre, die nicht nur für Literaturkritiker und solche die es werden wollen amüsant zu lesen sind. Die Einsicht in Abläufe jenseits realistischer Zwänge sei eines der vornehmsten Felder der Literatur, so der Protagonist an einer Stelle. Er schreibe schließlich nicht über den Kleidungsstil von Autoren, sondern über deren Werk. Auch wenn man Rundfunkangestellte glauben, dass es dabei einen Zusammenhang gebe. Der pädagogische Auftrag des Rundfunks wird von Herrn K.s Gesprächspartnern immer wieder betont und natürlich ist sich Herr K. dieses Auftrags bewusst: Glänzende Kritiken über lahme Bücher und nicht lahme Kritiken über glänzende Bücher. Denn auch Literaturkritik ist schließlich ein Geschäft, das florieren muss.

Klaus Siblewski

Der Gelegenheitskritiker

Hardcover, gebunden, 240 Seiten

Format:125 x 205

ISBN: 9783701734252

Erscheinungsdatum: 19.09.2017

Residenz Verlag


Illustrated by Residenz Verlag