Irland. Eine literarische Einladung

Irland. Eine literarische Einladung

Irland. Eine literarische Einladung. Im keltischen Kalender bezeichnet der Vollmond im November die Geburt eines neuen Jahres und symbolisiert einen Endpunkt, den Tod des alten Jahres. In der heidnischen Tradition ist er unter dem Namen “Klagemond” bekannt. In vielen Kulturen wird dieser Vollmond mit Tod und Verlust assoziiert, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Manche nennen ihn “Schneemond” oder “Nebelmond” und heute, da ich in einem Seenebel fröstele, der die Sonne verbirgt, kann ich beides nachvollziehen.”, schreibt Kerri Ní Dochartaigh in ihrem Beitrag, “Dünne Orte”, zu vorliegender Anthologie. Die Tage von Samhain, bei uns auch als Halloween bekannt, lüften die Schleier zwischen den Welten, der Mond ist der letzte vor der sog. Wintersonnenwende. Der Schilfmond wurde auch nach den Schilfgräsern, den Wächtern, benannt, die botanische Zeichen für Samhain sind. Ihre “dünnen Orte” erlauben uns, innezuhalten im Fluss der Zeit. So wie wir am Tag der Toten, Allerseelen, innehalten, um unseren Vorfahren zu gedenken und sie zu ehren.

Irland im Ausverkauf

Kevin Barry eröffnet in vorliegender von Paul McVeigh zusammengestellten Anthologie den Reigen irischer Literatur. In Ox Mountains Todeslied, das im Stile einer amerikanischen Pulp-Short Story verfasst ist, sind die Männer noch aus Hartholz geschnitzt und leiden unter den Frauen.”Ein Canavan kannte auch den größten Trost, der einem Mann zuteil werden kann – dass man ein Mädchen zum Lachen bringen konnte.” Barry stammt aus Limerick. Ox Mountains Todeslied erschien erstmals im New Yorker und in seiner Anthologie “That Old Country Music“. Einen ganzen Berg muss der Protagonist in Jan Carson’s Beitrag, “Nur ein besserer Hügel”, versetzt werden. Der Slemish Mountain in Ballymena wird abgetragen, um nach Japan verschifft zu werden. Darren’s Dad kriegt deswegen einiges zu hören, aber es hilft alles nichts, er braucht das Geld. Vom inzwischen kosmopolitischen Belfast berichtet Riley Johnston in “Gemeinsamkeiten”, wo sie eine Dating-Situation beschreibt, wie sie wohl nicht nur Englischlehrerinnen passiert. Herausgeber Paul McVeigh ist mit einem Auszug aus seinem Roman “Guter Junge”, der ebenfalls bei Wagenbach erschienen ist, vertreten. Sein Mickey Donnelly schafft es, freihändig auf Napoleon’s Nose zu stehen und das Gleichgewicht zu behalten.

Here Are the Young Men

Nach Derry, Londonderry oder Doire entführt uns Darran Anderson mit seinen “Kartographien“. Auch hier geht es um die Zeit: “Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr werden wir zu einer Art Fiktion, sogar für uns selbst.” Ein Spiegel könne das Verstreichen der Zeit nicht so verheerend offenbaren wie eine Fotografie. Und obwohl wir alle Exilierte, ja Kosmopoliten, seien, würde der Mittelpunkt des Universums stets jener Ort bleiben, an dem wir aufgewachsen sind. “Vielleicht ist Stolz nicht das richtige Gefühl, doch überlebt zu haben und dabei im Großen und Ganzen anständig geblieben zu sein – das ist nicht wenig.” Mit ganz anderen Problemen kämpft die Protagonistin in Evelyn Conlon’s “Verstörende Worte”. Binnen eines Tages sterben beide ihrer Eltern und anfangs ist es nicht so klar, wer aus Liebeskummer oder wer zuerst starb. Dave Lordan, ein Gen-X-Poet, erzählt vom Fall der Mauer und den Bomben in Bagdad, die fielen, während er in seiner Jugend in West Cork die “time of his life” hatte. Die Leute in Cork sind stolz darauf, dass sie den Unabhängigkeitskrieg gewannen, während ihn der Rest des Landes verlor. Auch huldigt Lordan den Cureheads, Grufties und New Romantics, die den Weg für die heute weit verbreitete Akzeptanz von Nicht-Cis-Menschen vorbereitet hätten. Auch der aus Dublin stammende Rob Doyle bläst in ein ähnliches Horn. Sein Beitrag “Matthew” stammt aus seinem zweiten Roman “Here Are the Young Men”.

Weitere Beiträge von Darran Anderson, Kevin Barry, Evelyn Conlon, Rob Doyle, Liam O’Flaherty, Riley Johnston, Dave Lordan, Frank O’Connor, Éilís Ní Dhuibhne, Jan Carson, Kerri Ní Dochartaigh und nicht zuletzt Paul McVeigh selbst.

Paul McVeigh (Hrsg.)
Irland
Eine literarische Einladung
Aus dem irischen Englisch von Hans-Christian Oeser u. a.
SALTO [268]. 17.3.2022
144 Seiten. Rotes Leinen. Fadengeheftet
ISBN 978-3-8031-1367-2
Wagenbach Verlag
20,– €


Genre: Anthologie, Irland, Literatur, Sammelband
Illustrated by Wagenbach

Tomás Nevinson

Der letzte Roman des Romanciers Javier Marías

Tomás Nevinson. Das auf Deutsch 2019 erschienene „Berta Isla“ bildet mit “Tomás Nevinson”, das im Todesjahr des spanischen Autors, 2022, erschien, quasi ein Roman-Diptychon über die beiden gleichnamigen Eheleute. Javier Marías nennt seine beiden Romane im Nachwort zu vorliegender Ausgabe ein “Paar”, kein Fortsetzung. In seiner schon zuvor unter Beweis gestellten “Poetik der Abschweifung” gibt sich Javier Marias wieder ganz seinem eigentlichen Leitmotiv hin: die Unmöglichkeit, den anderen wirklich zu kennen.

Tomás Nevinson: Don’t linger and delay!

Bertram “Bertie” Tupra, der Chef des Geheimdienstes wendet sich erneut an Tomás Nevinson, der eigentlich mit seinem alten Arbeitgeber schon abgeschlossen hat. Seine Ehe mit Berta Isla war aufgrund seiner Arbeit tief zerrüttet worden, wovon der quasi erste nach ihr benannte Teil des Roman-Diptychons ausführlich Beweis ablegt. Zwischen der spanischen ETA und der irischen IRA, beides zwei Terrororganisationen, die die Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts beherrschten, so wie es heute die Dschihadisten tun, musste Tomás mit seinem natürlichen Talent für beide Sprachen dem Geheimdienst stets zur Stelle sein. Auch dieses Mal, im quasi zweiten Teil, sind wieder seine Sprachkenntnisse gefragt, denn er soll für Tupra eine nordirische Terroristin namens Magdalena Orue O’Dea enttarnen.

Drei Frauen im Terrorverdacht

Als Deckidentitäten wurden vom Geheimdienst drei Frauen eingekreist, die als Magdalena in Frage kämen: Maria Viana, Celia Bayo und Inés Marzán. Alle drei leben im Nordosten von Madrid in dem Städtchen Ruan. Nevinsons Aufgabe ist es nun, die “richtige” der drei Frauen als Magdalena Orue O’Dea zu identifizieren und dann zu liquidieren. Er hatte in seiner Laufbahn beim Geheimdienst schon zwei Männer umgebracht. Nun tut er sich allerdings als Vertreter der alten Schule noch etwas schwer bei dem Gedanken, eine Frau umzubringen. Erst als ihm sein Arbeitgeber, Tupra, unter Druck setzt und meint, ansonsten alle drei zu füsilieren, wenn er sich nicht für eine entscheiden könne, beginnt Nevinson zu spuren und will die Mordtat umsetzen. So kann er wenigstens zwei der drei Frauen “retten”. Aber genauso gut kann es sein, dass er selbst zum Opfer der Terroristin wird, da diese längst Lunte von seinem Vorhaben gerochen hat. Wird als der Verfolger bald zum Verfolgten? Auch dadurch erreicht Javier Marías ein “Moment der letzten Spannung”, das die Handlung in der Peripetie des Romans jederzeit wieder herumreißen könnte.

Der rote Faden: (Un-)Schuld

Als roter Faden des Romans kann zweifellos die Frage gelten, ob es legitim sei, einen Menschen zu töten, um ein Blutbad an der Menschheit zu verhindern. Marias bringt dabei immer wieder das Beispiel eines vermeintlichen Hitler-Attentäters, der diesen vom Wald in Berchtesgaden zwar im Korn hatte, beim Laden einer echten Patrone aber erwischt und verhaftet wird. Dieses vereitelte Attentat ist quasi die Mise en abyme des Romans Tomás Nevinson und der Person Tomás Nevinson. Lassen sich Schuld und Unschuld eines Menschen zweifelsfrei erkennen und vor allem beweisen? Und darf man einen Menschen töten, um ein größeres Verbrechen zu verhindern? Im Falle Hitlers wäre diese Antwort zweifellos einfacher mit “Ja” zu beantworten, als im Falle von Magdalena Orue O’Dea. Denn die Terroristin ist ja seit einiger Zeit untergetaucht und bereut vielleicht ihre Taten bereits.

Reue nur durch Misserfolg

Aber ist diese Reue ausreichend für eine Entschuldung? Die Massaker der Vergangenheit wiegen schwer und auch die Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation, die vor allem zivile Opfer im Visier hat, wäre eigentlich schon Grund genug, sich mit Schuld zu beladen. Und überhaupt Reue! Der einzige Grund zur Reue sei nicht nur bei einem Mörder der Misserfolg. “Dass ein Spiel schiefgeht. Die gelungenen beklagt man nicht, auch nicht die ungestraften.” Wenn es die mangelnde Reue ist, die einen Menschen vom Unschuldigen zum Schuldigen stempelt, sind wir dann nicht alle verurteilenswert? Und noch eine Frage steht ganz deutlich im Raum dieses Jahrhundertromans: Machen wir uns alle nicht gegenseitig etwas vor?

Maxime des 21. Jahrhunderts

Ist die Lüge nicht längst zum geheimen Credo dieses so scheußlich gewordenen 21. Jahrhunderts geworden? Die Lüge und die Täuschung, ja. Javier Marías’ letzter Roman ist voller Anspielungen und Zitate, darunter auch eine Huldigung an die drei Musketiere von Alexandre Dumas u.v.a.m. Aber auch Beispiele aus der Geschichte holt der Autor aus dem Vergessen und flechtet sie ein in diesen Roman der Abschweifung. Der Sohn eines vom Franco-Regime verfolgten Philosophen zeigt auch in seinem letzten Roman, dass es der Zweifel und der Selbstzweifel sind, die uns eigentlich zu den Menschen machen, die wir sind. Seine Bücher wurden in über vierzig Sprachen übersetzt. Am 11. September 2022 ist Javier Marías in Madrid verstorben.

Javier Marías
Tomás Nevinson. Roman.
Übersetzt von: Susanne Lange
2022, Hardcover, 736 Seiten
ISBN: 978-3-10-397132-3
S. FISCHER Verlag


Genre: Krimi, Roman, Spanien
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Glaube Hoffnung und Gemetzel

Glaube, Hoffnung und Gemetzel

Glaube, Hoffnung und Gemetzel. “Hoffnung ist ein Optimismus mit gebrochenem Herzen“, lautet einer der letzten Sätze dieser schonungslos offenen Beichte eines der herzlichsten Rockstars unserer Gegenwart. Erst gegen Ende des vorliegenden Interviewbuches gelingt es dem englischen Journalisten Sean O’Hagan (Guardian, Observer) das Gespräch mit seinem Interviewpartner, Nick Cave, auch auf das zweite Wort im Titel zu lenken. Von Glaube und Gemetzel ist nämlich weit ausführlicher die Rede. Nicht nur weil das vorläufig letzte Album von Nick Cave und Warren Ellis “Carnage” (dt.: Gemetzel) heißt.

Verlust, Trauer und Rastlosigkeit

Jeder Mensch, der es schafft, die magische Grenze der 50 zu überschreiten, wird spätestens dann mit Verlust und Trauer konfrontiert. Diese beiden Gespenster gehören zum Leben wie das Amen zum Gebet. Aber sie müssen nicht unbedingt das Ende bedeuten. Nick Cave, der im selben Jahr nicht nur einen Freund, seine Mutter, seinen Sohn und seine Freundin verlor, weiß am besten wie man damit umzugehen lernt. Kurz vor Drucklegung des Buches starb auch noch ein weiterer Sohn von Nick Cave, wie Sean O’Hagan im Epilog erschüttert vermerkt. Sein Verlust war ein jüngerer Bruder und vielleicht hat genau das die beiden so unterschiedlichen Männer einmal zusammengeführt: gemeinsam zu trauern. Über den Zeitraum des ersten Lockdowns ist durch einige Telefongespräche ein Buch entstanden, das jedem, der trauert, helfen wird, diese zu überwinden.

Arbeit als Antidepressivum

Nick Cave schaffte es sogar die Aufnahmen zu seinem “Skeleton Tree” Album fertigzustellen, da das einzige Antidepressivum das für ihn wirkte, Arbeit war. Das vorletzte Album mit den Bad Seeds enthält eine Menge Songs, die vor dem Tod seines Sohnes Arthur geschrieben wurden, aber dennoch genau auf die Situation nach seinem Tod passen. Es ist, als hätte Nick Cave das vorweggenommen, was später geschah. Andrew Dominik (“Blonde”) machte darüber den beeindruckenden Film “One More Time With Feeling”. Als dann auch noch “Ghosteen” erschien, das vorläufig letzte Album mit den Bad Seeds, kam die Pandemie und vereitelte die groß angelegte Tournee eines Albums, das die Welt so noch nie gehört hatte.

Man in Dark Black

Vor allem nicht von Nick Cave. Und so hatte Sean O’Hagan mehr Zeit den “Man in Dark Black” zu interviewen. Natürlich geht es auch um Kunst, Freiheit, Beziehung, Musik, die Red Hand Files, “In Conversations”, Australien und andere interessante Themen, die von Nick Cave stets mit dem gewohnten Schuss Selbstironie präsentiert werden. Sean O’Hagan, der Nick Cave schon über dreißig Jahre kennt, weiß auch, wie man den Egomanen in die Schranken verweist und so ist eine lesenswerte Lektüre entstanden, die einen Menschen zeigen, der seinen Weg zu Gott selbständig gefunden hat.

Glaube, Hoffnung und Gemetzel

Es ist ein erschütterndes und gleichzeitig sehr hoffnungsvolles Buch, denn es ist auch viel von Reue und Vergebung die Rede. Man kann den Schmerz den Eltern, die eines ihrer Kinder verlieren, haben, wohl kaum beschreiben, aber sehr wohl nachempfinden, wie es ist, wenn einem der Teppich unter den Füßen weggezogen wurde. Jedem ist es vielleicht schon einmal so gegangen, wenn eine Beziehung zu Ende ging, aber was der Verlust eines Kindes bedeutet ist wahrscheinlich unermesslich. Dennoch haben es Susi und Nick geschafft: “Wir haben überlebt, weil wir zusammengeblieben sind. So einfach ist das. Wenn einer hinfiel, hat der andere übernommen. Das war entscheidend.”

Gesunde Egomanie

Denn die meisten Paare die so etwas erleben zerbrechen, machen sich gegenseitig Schuldzuweisungen und Vorwürfe. Also auch das ist ein Wunder. Aber Nick Cave spricht noch von viel mehr Wundern, denn das Trauern kann sehr unterschiedliche und unvorhergesehene Formen annehmen. Bei ihm mündete sie in noch mehr Aktivität und Kreativität, rastlos und egomanisch bestimmt, ja, aber es hilft auch anderen Menschen, wenn einer zeigt, dass man es trotzdem schafft.Und so ist auch “Glaube, Hoffnung und Gemetzel” zu verstehen, als Ermunterung, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Leiden als menschliche Verbindung

Wir erkannten auf eine sehr tiergehende Weise, dass Menschen liebenswürdig waren. Die Menschen sorgten sich um uns. Ich weiß, dass das simplifizierend klingt, vielleicht sogar naiv, aber ich kam zu dem Schluss, dass die Welt am Ende doch nicht so schlecht war – dass letztlich das, was wir für böse halten oder als Sünde bezeichnen, eigentlich Leiden ist.” Und genau das verbindet uns Menschen, denn das Leiden haben wir alle gemeinsam. Man muss sich nur entscheiden, ob man sich auf diese liebende Kraft hinbewegt, die einem Trost spendet, oder lieber zugrunde gehen will. “Niemand hat Kontrolle über die Dinge, die einem zustoßen, aber wir haben die Wahl, wie wir darauf reagieren.”

Ein unvergleichliches, absolut empfehlenswertes Buch, das viel Weisheit enthält und nicht nur an Allerheiligen, dem Tag der Toten, viel Trost über die Verluste und Wunden, die das Leben eines jeden schlägt, bietet.

Nick Cave/Sean O’Hagan
Glaube, Hoffnung und Gemetzel
Übersetzt von: Christian Lux
2022, Hardcover, 336 Seiten
ISBN: 978-3-462-00331-4
Kiepenheuer&Witsch


Genre: Biographie, Interview
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Hinterher

Hinterher – vielversprechendes Debüt

Hinterher. Liebeskummer. Wie kann man sowas überhaupt überleben? Wer dachte dieses Lebensgefühl, Liebeskummer, sei nur ein Problem von Pubertierenden wird in “Hinterher” eines besseren belehrt. Im Debüt des in Hannover geborenen Finn Job wird dem guten alten Liebeskummer ein trashiges und gleichzeitig intellektuelles Denkmal gesetzt, das so richtig reinhaut. Ein Roman wie ein Film, kurz und schmerzlos und direkt in die Arterien. So mag man Literatur.

Wir Kinder von Neukölln

Chaim, die große Liebe von “Boy”, wie ihn sein Freund Francesco liebevoll nennt, hat sich nach Israel abgesetzt. Boy bleibt allein in Berlin-Neukölln zurück und wird von einem Fahrrad angefahren, das ihm seine missliche Lage erst so richtig zu Bewusstsein bringt. Als im selben Moment Francesco mit dem Porsche Cayenne seiner Mutter um die Ecke schießt, steigt Boy ein und es beginnt ein abenteuerlicher Roadtrip in die Normandie. Dort soll er für Gédéon, einem Freund Francescos, ein altes Hotel wieder herrichten. Stattdessen hilft er dann aber Francesco, der eine verfallene Kirche mit Alufolie verkleiden will, um damit eine ganz bestimmte Botschaft zu transportieren. Da die beiden aber schon während ihrer Autofahrt in die Normandie nicht zu koksen aufhören konnten, gelingt schließlich weder das eine noch das andere Projekt.

Dem Leben & der Liebe “Hinterher”

Dazwischen erfährt der Leser viel über die Diskurse in der sich die Neuköllner junge Erwachsenenwelt befindet. Dass Schwulsein in Neukölln immer noch ein Problem zu sein scheint und es besser ist, sich dort nicht auf der Straße zu küssen, müssen Chaim und Boy am eigenen Leib verspüren. Aber dass dann selbst die eigene WG zum “Pack” gehört, das andere aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ausgrenzt, wiegt noch schwerer. “Pack” ist nämlich genau das Wort, das Boy für ihre Verfolger verwendet und auch ihn aus dem Kreis seiner politisch (über)korrekten Freunde ausschließt. Auch deswegen versprach die Flucht mit Francesco in die Normandie ein neues L’Chaim, ein neues “Leben”.

Wilde Flucht im Cayenne

Il n’y a pas de hors-texte“. Als dann die Drogen ausgehen – oder zumindest deren Qualität nachlässt – wird alles noch viel schwieriger und es gibt bald kein Entrinnen mehr. Dass man mit Anfang zwanzig schon so kaputt sein kann, ist kaum zu glauben, aber wohl in den Großstädten dieser Welt längst bittere Realität, wie wir ja schon seit Christiane F. wissen, die sogar noch viel jünger war, als sie auf den berühmten Hund kam. Finn Job hat seine surreale Reise in einer packenden Sprache geschrieben, die richtig über die Seiten fliegen lässt und bis zur letzten Sekunde spannend und hochtrabend bleibt. “Es war, als hätte ich mein Leben angehalten und wäre dennoch sehr alt geworden.” Finn Job bezieht sich nicht nur auf die aktuelle Populärkultur wie Songs u.ä., sondern auch viele literarische Vorbilder und kennt auch einige gute Maler.

Hinterher: vielversprechendes Debüt

Seine Referenzen sind gut nachvollziehbar und lohnen dem Nachverfolgen. Einer, der seine Hausgaben gründlich gemacht hat. Denn seine sprachlichen Bilder sitzen auch farblich. Er begibt seine Protagonisten in absurde und aberwitzige Situationen und es ist ein wahres Vergnügen, dabei förmlich zuzusehen, wie den beiden alles entgleitet. Vieles mag als purer Zynismus abgetan werden, aber hat ein Mensch, der vor enttäuschter Liebe buchstäblich zerbricht, nicht jedes Recht der Welt?

Ein Roman-Ende das förmlich nach einer Fortsetzung schreit. Bitte mehr!

Finn Job
Hinterher. Roman
2022, 192 Seiten. Klappenbroschur
ISBN 978-3-8031-3348-9
Wagenbach Verlag
Buch 22,– € / E-Book 18,99 €


Genre: Große Liebe, Kultur, Popkultur, Roman
Illustrated by Wagenbach

Jean-Michel Basquiat. Of Symbols and Signs

Basquiat – das Buch zur Ausstellung in der Wiener Albertina

Jean-Michel Basquiat. Of Symbols and Signs. “BLAM BOOM BANG. Wo bin ich?” Heißt es auf einem Gemälde des leider zu früh verstorbenen haitianisch-puerto-ricanischen Künstlers aus New York auf Deutsch. Gerne benutzte Basquiat Symbole und Zeichen, vor allem eben auch Buchstaben und Worte in seinen Bildern. “Der Widerstreit zwischen gestisch-malerischen und figurativen Elementen, Buchstaben und Wörtern versus rinnende Acrylfarbe und aufgesprayte Linien resultierte in einem höchst dynamisierten Bilgeschehen, einem Netz aus Markierungen und Bedeutungen, einem Spiegel der vibrierenden Downtown Manhattan und ihrer Kunstszene”, schreibt der Herausgeber in seinem Vorwort.

Basquiat: Der “tanzende” Maler

Basquiat begann als junger Graffiti-Artist und kreierte mit seinem Samo© ein fiktives Künstlerkollektiv, das die Kunstwelt verändern wollte. Aber er speilte auch als Musiker in einer New Yorker Garage-Band im typischen Stil der Achtzigerjahre laut und kraklig, experimentell. New York war in dem Jahrzehnt durch Punk und Untergangsstimmung geprägt, das Stadtzentrum verwahrloste und wurde so zum Spielplatz vieler junger Kreativer. Basquiat war einer davon, der sich von Graffiti aus bald Richtung Art Brut und Minimalismus entwickelte. Dazu bediente er sich sowohl des reichen kulturellen Schatzes seiner Ahnen, als auch seinem Alltag im New York City der traurigen 80er. Die Zeichnung war die Grundlage der künstlerischen Praxis, aber er liebte auch Buchstaben, Wörter, die er “wie Pinselstriche” benutzte, schreibt Buchhart. Einen “tanzenden” Maler sah etwa ein Künstlerkollege, Fan 5 Freddy, in Basquiat, wenn er mit seinen Stiften über die Leinwand oder andere Materialien huschte. Die vorliegende Publikation folgt der derzeit in der Wiener Albertina zu sehenden Ausstellung mit dem Titel “Basquiat. Die Retrospektive”. Sie ist dort noch bis zum 8. Januar 2023 zu sehen.

Prometheus der Moderne

Sein Werk changiert zwischen Expressionismus, Pop- und Conceptual Art, nimmt Anleihen bei den Cartoons und Comics seiner Jugend und ist stets engagiert und immer politisch. Mit dem Pinsel als Waffe kämpfte er gegen Polizeigewalt, Rassismus und Unterdrückung oder sogar den Konsumkapitalismus. Francesco Pellizi zeigt Basquiat in seinem Beitrag in vorliegendem Band als Erbe der amerikanischen Tradition der Simplifizierung: Pop-Art, Minimal Art und Konzeptkunst hätten ihn beeinflusst, seine “Opfergaben” eher Selbstaufopferungen im Geiste Lautréamonts, Rimbauds oder Kafkas nicht “ex voto aus dem Verlangen, sondern von der Verlassenheit, ex desolatione“. Sein Verdienst liege vor allem in der Einführung einer ethnisch und kulturell marginalisierten Blackness in den Mainstream der westlichen Kunst. Ein Interview mit Ouattara Watts über Basquiat schließt sich an Exzerpte aus Basquiats malerischem Werk oder einigen fotografischen Aufnahmen an. Im Anschluss werden einige Werk in Großaufnahmen gezeigt, die dazwischen mit Zitaten von Jean-Michel Basquiat angereichert werden. Im Anhang befindet sich noch eine Chronologie des Lebens des Künstlers, den die Götter – vielleicht aus Neid – viel zu früh zu sich holten. Denn Basquiat war ein Brückenbauer und Prometheus der neuen Zeit: er brachte den Menschen das Feuer und musste dafür geopfert werden.

Dieter Buchhart (Hrsg.), Antonia Hoerschelmann (Hrsg.), Klaus Albrecht Schröder (Hrsg.)
Jean-Michel Basquiat. Of Symbols and Signs
2022, Hardcover, Pappband, 216 Seiten, 24,5 x 30,0 cm, 85 farbige Abbildungen, 12 s/w Abbildungen
ISBN: 978-3-7913-7956-2
€ 45,00 [D] inkl. MwSt.
€ 46,30 [A] | CHF 61,00 * (* empf. VK-Preis)
Prestel Verlag

 


Genre: Kunst, Kunstgeschichte, Malerei, Popkultur
Illustrated by Prestel

60 Jahre Winnetou-Film

60 Jahre Winnetou-Film. Vor 60 Jahren kam der erste Winnetou in die deutschen Kinos: Der Schatz im Silbersee. Michael Petzel hat aus aktuellem Anlass seine Ausgabe zum 50er nochmals neu überarbeitet und stellt auf 200 Seiten in 154 farbigen und 23 s/w Abbildungen die schönste Erfolgsgeschichte des deutschen Filmwunders dar. Aber nicht nur Pierre Brice oder Lex Barker stehen hier im Rampenlicht, sondern auch Marie Versink, Stewart Granger, Ralf Wolter oder Uschi Glas u.v.a.m.

Winnetou ideal besetzt

Die schönsten Ausschnitte und Szenen aus den Winnetou-Filmen stehen im Mittelpunkt dieser zweiten, neu überarbeiteten Auflage von “50 Jahre Winnetou-Film”. Dabei war es damals, vor 60 Jahren, als “Der Schatz im Silbersee” gar nicht so sicher, ob die Verfilmung des Karl May Klassikers ein Erfolg werden würde. Schließlich hatten sich schon Generationen von Jugendlichen (Jungs UND Mädchen) einen Fantasie-Winnetou ausgemalt, wie er von der Literaturvorlage (Erscheinungsdatum ca. 1891) zwar inspiriert aber niemals wirklich existiert hatte. Aber mit der Besetzung des Winnetou durch Pierre Brice gelang das, was nur in seltenen Fällen Realität wird.

Winnetou als Inspirator

Dabei lebte seine Darstellung eigentlich vor allem vom Understatement. Regisseur Harald Reinl erzählte, dass Brice sich darüber sogar bei ihm beschwert habe, nur herumstehen zu müssen. Aber bei Winnetou reichte eben gerade die bloße Präsenz. Dass Winnetou als Identifikationsfigur für die deutsche Jugend von anderen Vorbildern Ender Sechziger Jahre abgelöst worden sei, wie Petzel moniert, darf angesichts seiner Ideale doch angezweifelt werden. Denn war es nicht gerade “Mut, Aufrichtigkeit und Treue”, die von der aufbegehrenden 68er Jugend von ihrer Elterngeneration eingefordert wurde? Insofern könnte man also umgekehrt wie Petzen behaupten, dass gerade Winnetou die deutsche Jugend in ihrem Aufstand gegen ihre Eltern bestärkt hatte, in dem er an die wahren Tugenden in ihren Herzen appelliert hatte. Der 1968 erschienene und letzte Winnetou-Film, Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten, war zwar ein Flop und gibt insofern Petzen vielleicht recht. Jedoch gab es inzwischen einfach auch schon mehr Identifikationsangebote an die deutsche Jugend.

Winnetou in Wort, Bild und Sound

Wie dem auch sei, die vorliegende Publikation entführt in die eigene Jugend und zeigt die teilweise unter dramatischen Umständen geretteten Filmstills aus Grobnik polje bei Rijeka und anderen Drehorten in Kroatien. Die Fotos werden mit originalen Zitaten aus den Karl May Bestsellern ergänzt und auch mit Orten und Jahren beschriftet. Michael Petzel hat die Fotos chronologisch nach dem Erscheinen der elf Winnetou Filme geordnet und mit Kapitelüberschriften und -texten versehen. Wer sich dazu noch den Böttcher Soundtrack “Die große Karl May Soundtrack-Box“, 3 CDs digital remastert, Art-Nr.: 52089 beim Verlag, leistet, wird mit Sicherheit seinen Lesegenuss noch verstärken können. Unvergessliche Erlebnisse und Tagträume garantiert.

Michael Petzel
60 Jahre Winnetou-Film
Zweite, überarbeitete Auflage von “50 Jahre Winnetou-Film”
2022, Hardcover, 22,0 x 19,5 cm, 200 Seiten
ISBN: 978-3-7802-3094-2
Karl-May-Verlag GmbH
34,- €


Genre: Film, Jugendliteratur, Romantik
Illustrated by Karl May Verlag

Ulysses zum 100.

100 Jahre Ulysses in einer Jubiläumsausgabe bei Suhrkamp

Das maßlose Buch” wurde der Ulysses schon genannt, wegen blasphemischer und pornographischer Inhalte war er am Index und er galt allgemein als schwer zu lesen. Zum 100. Geburtstag der Erstausgabe des Mammutwerks von JJ hat es der Suhrkamp Verlag in einer goldenen Taschenbuchausgabe neu aufgelegt. Wer will kann es aber auch in blau, rot, türkis oder gelb kaufen, bloß nicht in irish-green.

100. Jubiläum Ulysses

Am 2. Februar 1922, dem 40. Geburtstag von James Joyce, erschien in einer Auflage von nur 1000 Exemplaren die Erstausgabe des Ulysses. Verlegt wurde das Buch damals durch Sylvia Beach, der Besitzerin der Buchhandlung Shakespeare and Company in Paris. Der “einflussreichste Roman der Moderne” wurde wider Erwarten aber nicht nur in Joyce’s Heimat oder seiner Wahlheimat Triest geschrieben, sondern hauptsächlich in Zürich wohin JJ mit seiner Familie aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs 1918 gezogen war. In Auszügen wurde der Roman 1918-1920 in der amerikanischen Zeitschrift “The Little Review” abgedruckt und 1921 wurde er wegen “obszöner Inhalte” verboten.

Donnerstag, der 16. Juni 1904

“irish-green” fehlt

In zensierter Buchform erschien er dann dennoch in der bereits genannten Pariser Buchhandlung und erreicht heute bei Auktionen zum Beispiel den bescheidenen Preis von 460.500 Dollar (Versteigerung 2002, ein signiertes Exemplar der Erstausgabe). Der Hinweis worum es in dem im “stream-of-consciousness“-Stil verfassten Jahrhundertwerk wirklich geht, gibt eigentlich der Titel. Denn Ulysses ist niemand anderer als Odysseus, der nach 20 Jahren Irrfahrt schließlich zu seiner Penelope zurückfand, um diese zu freien. So lange braucht dem Joyce sein Odysseus nicht, um zu seiner Penelope zu finden. Ulysses der Roman, der in vorliegender Ausgabe 987 Seiten hat, spielt nämlich nur an einem einzigen Tag, dem legendären Donnerstag, den 16. Juni 1904. An diesem Tag lernt der Leopold Bloom nämlich seine Molly Bloom kennen, eine Verklausulierung aus dem tatsächlichen Leben des James Joyce, der an genau diesem Tag nämlich seine Nora kennengelernt hatte. In diesem Sinne ist der “Ulysses” als nichts anderes als eine Liebesgeschichte, eine endlose Hommage eines Mannes an die große Liebe seines Lebens.

Ulysses: Lesen und Leben

Für Kenner sei besonders die Re-Lektüre des letzten Kapitels des Ulysses empfohlen, der berühmte innere Monolog der Molly Bloom, in dem Joyce das für den Roman stilprägende Erlebnis aus Mollys (also Noras) Sicht noch einmal genauestens beschreibt. Mehr soll und darf hier aber nicht verraten werden, denn selbstverständlich liegt der wirkliche Genuss des Ulysses in dem langsamen Herantasten an das Ende eines langen Tages, der Literaturgeschichte und Weltliteratur wesentlich beeinflusst hat. Kostverächter diesen Roman nicht lesen wollen oder können, sei abschließend noch ein Bonmot von Joyce nahegelegt: “Wenn man den Ulysses nicht lesen kann, kann man das Leben nicht leben.” Marilyn Monroe – von der dieser Tage eine bahnbrechende Filmbiographie (R: Andrew Dominik) erscheint – hat übrigens beides getan.

James Joyce
Ulysses
Jubiläumsausgabe Gold
Aus dem Englischen von Hans Wollschläger
Bibliografische Angaben
2022, Broschur, 987 Seiten
ISBN: 978-3-518-47224-8
suhrkamp taschenbuch 5224

Suhrkamp Verlag

Banksy – Die illustrierte Geschichte

Banksy – Die illustrierte Geschichte. Banksy ist kein Unbekannter. Und dennoch ist er immer noch unbekannt. Unerkannt? Die vorliegende illustrierte Geschichte macht sich auf die Suche nach einer Antworten auf das größte Rätsel der Street Art. Im Stile eines Edutainment-Comics (also education und entertainment) wird im Stile eines Lehrerin-Schüler Gesprächs die Geschichte von Banksy aufgerollt. Aber natürlich nicht ohne Pointe am Ende.

Banksy, Synoym einer Bewegung

Weltbekannt und dennoch anonym hat der aus Bristol stammende Banksy die Kunstwelt aufgerollt und deren Mechanismen ad absurdum geführt. Wohl am bekanntesten ist die Selbstshredderaktion bei einer Auktion in London. 25,4 Millionen erzielte das “Gemälde”. Aber von dem Geld hat Banksy selbst wohl nie etwas gesehen. Am meisten verdienen nämlich Galerien und Kunsthändler an seinen Streetart Werken. Denn eigentlich begann Banksy klein: auf der Straße. Denn wie für alle Graffiti oder Streetart Künstler ist dort sein Zuhause, die Straße ist die größte Kunstgalerie zur Welt und für jede/n frei zugänglich. Eine seiner ersten Arbeiten war die Reproduktion des Gesichts von Andre, the Giant mit dem Schriftzug “obey” auf der Stirn. “Gehorchen” (engl.: obey) war genau das, gegen das sich Banksy richtete. Ein anderes Banksy-Motiv aus den frühen Jahren stellte einen Teddybär dar, der einen Molotowcocktail auf Polizisten warf.

Banksy – Die illustrierte Geschichte

Damals, 1999, waren Kapitalismuskritik, Antikriegsbewegung, Antiglobalisierung State of the Art einer neuen Generation von politisch organisierten Jugendlichen, die an die Sechziger erinnerte. Banksy muss auch als Teil dieser Bewegung verstanden werden, meint zumindest die sympathische Lehrerin im Comic. Kennst du zum Beispiel Kim Phúc? Sie war das Mädchen auf dem Bild aus den Sechzigern, deren Körper von Napalm verbrannt war. Jahrzehnte später verwendet Banksy das Foto von ihr und gibt ihr Micky Mouse und Ronald McDonald an die Hand. Für manche mag das Bild “niedlich” erscheinen, aber was Banksy meinte ist wohl klar: diese (amerikanischen) Konzerne haben Blut an ihren Fingern.

Banksy: Das Milleniums-Kunstphänomen

Die Macht der Konzerne zu brechen ist wohl Die Herausforderung des Milleniums. Vom ethischen Standpunkt werden die größten Verbrechen gegen die Menschheit nämlich genau von Konzernen begangen, die nur auf Profit schauen und Arbeiter:innen und Umwelt ohne Rücksicht ausbeuten. Sie sprechen von Nachhaltigkeit und entziehen der Mehrheit der Bevölkerung die Menschenwürde. Banksy war wohl einer der ersten (Ende der 90er Jahre) der mit viel Drama und Ironie genau diese Millenium-Herausforderung artikulierte. “Ich mag das…Dinge zu verdrehen, um tiefere Bedeutungen zu finden…Die Logik verschwinden zu lassen, um den Betrachter aus den gewohnten Denkmustern herauszulösen”, meint schließlich der Schüler im Comic und zeigt, dass schon so mancher Schüler seine Lehrer überflügeln kann. Denn letztlich ist es völlig egal, wer Banksy ist, weil jeder von uns es sein könnte, ebenso wie jeder von uns Lehrer und Schüler in einer Person ist. “Banksy – Die illustrierte Geschichte” von Francesco Matteuzzi und Marco Maraggi zeigen in sauber gearbeiteten Illustrationen nicht nur den Werdegang eines der grandiosesten Kunstphänomene des Milleniums, sondern auch deren eigentliche Agenda. Früher nannte man das Agitprop: Agitation und Propaganda. In diesem Falle ein klarer Denk-Mal!

Francesco Matteuzzi
Banksy – Die illustrierte Geschichte
Mit Illustrationen von Marco Maraggi
Banksy – Die illustrierte Geschichte
2022, Hardcover, 128 Seiten, 17,0 x 24,0 cm
ISBN: 978-3-7913-8882-3

Panini Comics
€ 18,00 [D] inkl. MwSt.
€ 18,50 [A] | CHF 25,90 * (* empf. VK-Preis)


Genre: Comic, Graphic Novel

Catwoman – Lonely City 1

Catwoman – Loneyl City 1 von Cliff Chiang

Catwoman – Lonely City 1. Das DC Black Label ermöglicht neue Perspektiven auf Geschichten, die einem bekannt erscheinen. Aber das sind sie nicht. Denn das Black Label improvisiert und überrascht immer wieder mit unvorhergesehen Situationen. So wird in vorliegendem Comic, geschrieben und gezeichnet von Cliff Chiang, auf die “Nacht der Narren” verwiesen, die alles im Batman-Comic-Universum veränderte: Batman starb in Catwomans Armen.

Batman tot, Catwoman im Knast

Danach war nichts mehr dasselbe. Catwoman musste für zehn Jahre in den Bau, weil man sie als erstes verdächtigte, an Batmans Tod schuld zu sein. Dabei waren sie Geliebte! Aber auch für die Bewohner:innen von Gotham änderte sich nach Batmans Tod einiges: Bürgermeister Harvey Dent (alias: Doppelgesicht) regiert die dystopische Stadt mit Hightech-Überwachung und Polizeipräsenz. Aber trotz zehn Jahren Gefängnis will Selina Kyle es noch einmal wissen. Denn die Erzählung des Comics legt genau nach ihrer Entlassung los. Als erstes braucht sie allerdings ein Dach über dem Kopf, Knie und Rücken sind schließlich auch nicht mehr das was sie mal waren.

Catwoman – Lonely City 1

Ihr altes Haus steht noch, die Mieter ausgebombt, das Penthouse unversehrt. Ihre Sicherheitscodes funktionieren auch nach zehn Jahren noch, wenigstens ein Vorteil der ansonsten deprimierenden Umgebung: niemand kam nachsehen. Selina Kyle ist inzwischen übrigens schon 55 Jahre alt, grauhaarig und vielleicht genauso sexy wie damals, nur etwas weniger beweglich. Kenner der Materie werden sich an Batmans Comeback in hohem Alter in “Die Rückkehr des Dunklen Ritters” erinnern. Frank Miller hatte eine dystopische Welt geschaffen, in der es auch Batman nochmals wissen will und ganz nebenbei eine Verschwörung aufdeckt.

Doppelgesicht wieder da!

Man verkleidet sich, um gesehen zu werden.” Die Zeichnungen von Cliff Chiang erinnern etwas an die frühen Batman-Abenteuer aus den Anfangstagen des Genres. Sie sind knallbunt und unkompliziert, reihen Panel an Panel in geradliniger Struktur. Die Story entwickelt sich gut und so kann man schon mit Spannung erwarten, was der zweite Band – übrigens im Großformat – wohl bringen wird. Denn Catwoman verbündet sich mit einigen ehemaligen Kriminellen, darunter auch Poison Ivy und es ist nicht sicher, ob sie die Geister die sie rief, unbeschadet wieder los wird. Der Aufritt von Doppelgesicht wurde jedenfalls schon sehnsüchtig erwartet und keinem ist eigentlich klar, warum dieser aus der Batman-Saga so schnell wieder verschwunden ist und Joker das Feld räumen musste. Erst die Batman-Verfilmungen von Christopher Nolan holten den ambivalenten Schurken/Helden wieder aus der Versenkung. Und jetzt endlich bekommt er von Cliff Chiang wieder ein Chance. Chiang schuf u.a. auch einige WONDER WOMAN-Serien der Moderne, den Comic GREENDALE von Musiker Neil Young sowie die Science-Fiction-Serie Paper Girls, die der nächste TV-Hit auf Augenhöhe von Stranger Things werden soll. Chiang ist auch Eisner Award-Gewinner, eine der höchsten Auszeichnungen in der Comic-Welt.

Cliff Chiang
Catwoman – Lonely City 1
Original Storys: Catwoman: Lonely City 1–2
2022, Hardcover, 108 Seiten
ISBN: 9783741627606
Panini
20,00 €


Genre: Comic, Graphic Novel
Illustrated by Panini Comics

Batman Sonderband – Fear State

Batman Sonderband Fear State

Batman Sonderband – Fear State. Die Herkunftsgeschichten von Peacekeeper-01, Gardener und Miracle Molly werden in vorliegenden Abenteuern genauer unter die Lupe genommen. Denn auch Superschurken waren einmal Superhelden. Zumindest bevor sie um die Früchte ihrer Arbeit gebracht wurden.

Noradrenalin, Adrenalin und Dopamin

Dass in jedem Schurken auch ein potentieller Held steckt(e) zeigt etwa die Geschichte von Sean Mahoney alias Peacekeeper-01, der eigentlich von Batman so enttäuscht ist, dass er selbst ein besserer Batman werden möchte. “Noradrenalin, Adrenalin und Dopamin sind…” meint bestürzt einer der Controller von Peacekeepter zum anderen. Aber er ist längst außer Kontrolle geraten: “Sie sind nicht sie selbst. DAs Toxin verursacht Halluzinationen. Ihre Wahrnehmung ist verzerrt” schicken sie ihm in sein Gehirn, doch er hat den Kontakt zur Basis längst abgebrochen. Als Nachkomme einer der Erbauer der Brooklyn hat er eine besondere Aufgabe vom Schicksal zugedacht bekommen. So denkt jeder Paranoiker mit Sendungsbewusstsein. Die meisten davon landen in Arkham Asylum: “Wir haben verrückte Genies, psychopathische Clowns, fehlgeschlagene wissenschaftliche Experimente, ein Drittel der Besetzung von Alice in Wunderland, einen Zoo von Mensch-Tier-Hybriden und drei Dutzend Männlein und Weiblein, die sich einfach bloss gern als Tiere verkleiden. Wir haben Räuber, Entführer und Erpresser. Mordgierige Irre und soziopathische Superhirne. Hier ist für jeden Geschmack etwas dabei.”

Batman Sonderband: Fear State

Dass die meisten davon ein Vaterproblem haben, zeigt sich auch bei Peacekeeper-01. “Dass ich mal zu dir aufgeschaut habe! Dass ich Angst hatte, deine Erwartungen nicht zu erfüllen, gebet hab, eines Tages so gut zu sein wie du. Ich bin besser als Du! Denn Du… bist ein Nichts!” Gardener ist die zweite Geschichte in vorliegendem Batman Sonderband gewidmet. In psychedelische Farben getaucht zeigt die Wald und Wiesen Verteidigerin, wie sich Harley Quinn und Poison Ivy gefunden haben und was ihr Beitrag dazu war. Auch letztere tut letztendlich Böses, um dem Guten zu helfen, denn sie bestraft jene, die ihrer Meinung nach der Welt schaden. Garender erzählt ihre Geschichte dem Batman, der ihr nicht wirklich zuhören will. Aber wie sagte schon eine alte freundliche Dame einmal: Gärtner machen die Welt schöner. Weitere Abenteuer mit Miracle Molly und Clownhunter zeigen die neuesten Bewohner des “Fearstate”, die unter Umständen vielleicht ebenso zu Superhelden statt Superschurken werden hätten können. Zeichner: Christian Ward, Jason Howard und Autoren: Ed Brisson, James Tynion IV.

Christian Ward, Jason Howard/Ed Brisson, James Tynion IV
Batman Sonderband – Fear State
(Original Storys: Batman Secret Files: Peacekeeper 01, The Gardener, Miracle Molly, Material aus Batman 112–114 (II))
2022, Softcover, 132 Seiten
ISBN: 9783741628399
Panini
16,00 €


Genre: Comics
Illustrated by Panini Comics

Alien – Blutlinien

Alien – Blutlinien

Alien – Blutlinien. Das multinationale Unternehmen Weyland-Yutani schickt den Raumfrachter USCSS Nostromo auf den Mond LV-426, einen Mond, der den Planeten Calpamos umkreist. Dort lebt die außerirdische Rasse der Xenomorphe, besser bekannt als “Alien”.

Kein Licht im Dunkel des Alls

“Ich sehe ein Dunkel, das viel mehr ist als das Fehlen von Licht.” Einige Jahrzehnte später macht sich ein Vater auf die Suche nach seinem Sohn: im Weltall. Danny hatte ihm zuvor einen wertvollen Chip gestohlen und sich mit seiner Freundin Iris und ihrem Kollektiv daran gemacht, die Kolonie auf Calpamos zu überfallen. Aber diese “Mission” endet damit, dass die ganze Crew von den Xenomorphen als Brutstätte benutzt wird. Nun bekommt sein Vater, Gabriel Cruz, ein unwiderstehliches Angebot: er soll ins Weltall fliegen und seinen Sohn befreien, vor allem aber eine Probe eines Xenomorphen zu Forschungszwecken mitbringen. Weyland-Yutani will die Aliens für Kriegsführung nutzbar machen und will deswegen verschiedene Experimente an einem Exemplar durchführen. “Düsterer als wenn man nur die Hand vor die Augen legt. Solch ein Dunkel füllt dich aus. Durchdringt dich. Umklammert deinen Schädel. Drückt gegen deine Augenhöhlen, bis etwas zerplatzt und selbst die Erinnerung, das Konzept von Licht…sich dir entzieht.”

Spannend und actionreiche Fortführung des Filmstoffs

Eine durchwegs gelungene Neuinterpretation der von dem Schweizer H.R. Giger erfundenen Alien-Figur im Comic-Format, die auch die Filmfans begeistern wird. Schließlich spielt auch der KI-Robot Bishop wieder mit und rettet nicht nur Danny das Leben. “Im Dunkeln gibt es nichts, was man nicht auch sieht, wenn das Licht an ist.” Aber wie heißt es so schön im Nachwort von Franco Tedeschi: “Der wahr Schurke der Geschichte”, das sind nicht etwa die Aliens, sondern Korporationen, denen jedes Mittel recht ist erst den Weltmarkt und dann das Universum zu erobern. Dem Megakonzern Weyland-Yutani ist es nämlich herzlich egal, ob es einer der Besatzung des Raumschiffs nach Hause schafft. Hauptsache ein Exemplar des Xenomorph erreicht unbeschädigt die Erde. Die Fortsetzung darf mit Spannung erwartet werden, denn Zeichner Salvador Larroca und Autor Phillip Kennedy Johnson haben ein actionreiches Werk geschaffen, das durchaus gesellschaftskritisch und glaubwürdig vermittelt, wer im Weltall wirklich das Sagen hat.

Salvador Larroca/Phillip Kennedy Johnson
Alien – Blutlinien
(Original Storys: Alien: Bloodlines (2021) 1-6)
2022, Softcover, 164 Seiten
ISBN: 9783741628641
Panini
20,00 €


Genre: Comics
Illustrated by Panini Comics

Die Alpen. Ein Porträt.

Erfrischung gefällig? Die Alpen. Ein Porträt.

Die Alpen. Ein Porträt. Herren in Lederhosen und Damen in langen Röcken, das sieht man heute nur mehr auf Zunftbällen oder…richtig, in den Bergen! Um 1900 wurden die Alpen von eben so gekleideten Touristen, teilweise sogar auf Maultierrücken, besucht. Im ebenso bärigen wie riesigen Format (29 x 39,5 cm, 6,40 kg, 600 Seiten) zeigt der TASCHEN Verlag, wie es sich vor rund 100 Jahren bergstieg.

Die Alpen. Ein Porträt.

Die so hinreißend altmodische Zeit, in der die ersten Berg- und Zahnradbahnen Wanderer und solche die es werden wollten an den Rand der Gletscher brachten und Bergsteiger als Verrückte galten oder Skifahrer noch eine Kuriosität darstellten, handelt die vorliegende Erzählung, die anhand von bisher unveröffentlichten Fotografien dargestellt und dramatisiert ist. Die Photochrome aus der Zeit um 1900 zeigen aufregende Gletscher und Naturschönheiten, den Montblanc, die Jungfrau, das Matterhorn. “Nichts lässt sich mit den Alpen vergleichen“, wusste schon der berühmte französische Historiker Jules Michelet 1868. Gerade um diese Zeit wird das riesige Alpenmassiv im Herzen Europas vermehrt besucht. Der Tourismus, der schon im späten 18. Jahrhundert einsetzte, nimmt an Fahrt auf, insbesondere natürlich durch den unaufhaltsamen Aufschwung des Wintersports.

Eine Reise auf den Gipfeln durch Europa

© PhotoDiscovery / Former Walter Collection

Mittels Photochromen, Fotografien, kolorierten Postkarten, Plakaten und Reiseprospekten aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert lassen die beiden Autorinnen eine beinah verschwundene Welt wieder auferstehen. Denn längst gehören Pässe und Berge wie der Mont Cenis, Simplon, Brenner und St. Gotthard, der Montblanc, der Eiger, das Wetterhorn und die Dolomiten zum Standardprogramm des kultivierten Europäers. Damals, vor mehr als 100 Jahren, waren es nur wenige, die den Blick auf kristallklare Seen in der Schweiz, Italien, Bayern und Slowenien wagten oder Tirol, die Via Mala oder das Engadin erkundeten. In den damals noch sehr exklusiven Wintersportorten stieg die betuchte Kundschaft in einem Grandhotel in Gstaad, Grindelwald, Davos, St. Moritz oder Cortina ab. Heute gibt es an den selben Orten auch Pensionen und Jugendherbergen.

Die Alpen im bärigen Riesenformat

© PhotoDiscovery / Former Walter Collection

Die wunderbare Reise in die Berge, als Schnee und Berge noch unberührt waren, wird von Zitaten von Reise-schriftstellern begleitet und zeigt, wie gut die beiden Herausgeberinnen recherchierten und über wie viel Erfahrung sie auf diesem Gebiet schon verfügen. Ein prächtiges Buch für Kenner und Erlebnishungrige, die die Alpen noch so unberührt sehen wollen, wie sie es jahrtausendelang auch waren.

Sabine Arqué, Agnès Couzy
The Alps 1900. A Portrait in Color
Hardcover, 29 x 39,5 cm, 6,40 kg, 600 Seiten
Deutsch, Englisch, Französisch
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
€ 150 | CHF 200
ISBN 978-3-8365-7355-9
TASCHEN Verlag
€ 150


Genre: Bildband, Reisen, Wandern
Illustrated by Taschen Köln

SILVER MARILYN

Silver Marilyn – neu aufgelegt zum 60. Todestag

Marilyn Monroe. Zum 60. Todestag präsentiert der Schirmer/Mosel Verlag die Film-Diva auf drei Ebenen: Von derEntstehung der Ikone des 20. Jahrhunderts; der Geschichte der internationalen Glamourphotographie der 1950er Jahre, und Marilyn als Mensch hinter dem Mythos erzählt der vorliegende Bildband mit 152 Tafeln in Farbe und Duotone.

Neuauflage mit Extra MM

Die Silver Marilyn erschien 1989 erstmals als Schirmer/Mosel-Produktion und avancierte zum weltweiten Bestseller avanciert. Es zeigt klassische Marilyn-Ikonen der berühmtesten Photographen der Welt – von Avedon bis Weegee – und dazu eine Fülle selten gesehener Aufnahmen versammelt. Für die vorliegende Neuauflage hat die Schauspiel-Kollegin Jane Russell das Vorwort verfasst. Zudem gibt es Marilyn in einem großen Interview, das sie dem befreundeten Journalisten Georges Belmont 1960 gab.

Gegen den Mythos: die echte MM

Hier spricht Marilyn Monroe persönlich und nicht als Kunstfigur und so erweist sich, dass sie durchaus – entgegen ihrem Mythos – als kluge, humorvolle und äußerst eloquente Gesprächspartnerin glänzen kann. Auch wenn sie als Pin-up-Girl anfing und in kurzen 17 Jahren zum Megastar avancierte, änderte sich doch alsbald ihre Eigenwahrnehmung. Auch wenn ihr ihr Publikum dabei erst sehr viel später folgen sollte, kann man sich auch in dieser Ausgabe der Silver Marilyn überzeugen, dass mehr hinter einem Mythos steckt, als man vermutet. Und gerade das macht es so interessant, auch 60 Jahre nach ihrem Abschied, diesen Mythos wieder aufs Neue aufleben zu lassen.

Ikone des alten Milleniums

Dass Marilyn auch im neuen Millennium, das sie nie erlebte, noch nichts von ihren Popularitätswerten eingebüsst hat, beweist nicht zuletzt die Rekordsumme von 195 Millionen Dollar, die Andy Warhols “Shot Sage Blue Marilyn“ kürzlich bei einer Auktion erzielte. Sammler wissen warum.

SILVER MARILYN
Marilyn und die Kamera
Photographien aus den Jahren 1945-1962
Mit einem Vorwort von Jane Russel
und einem Interview von Georges Belmont
248 Seiten, 152 Tafeln in Farbe und Duotone
ISBN 978-3-8296-0952-4
Schirmer/Mosel Verlag
€ 29,80 € (Ö) 30,70 CHF 34,30


Genre: Biographie, Film, Fotografie
Illustrated by schirmer/mosel

Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner

Der Gentleman-Gauner

Insgesamt vier Bücher von Arsène Lupin, dem Gentleman-Gauner, sind beim Matthes & Seitz Verlag erschienen. Insgesamt gibt es 20 Romane, zwei Theaterstücken und etlichen Kurzgeschichten. Die vorliegenden ersten acht Geschichten sind als Fortsetzungsgeschichten zwischen 1905 und 1935 in dem Magazin „Je Sais Tout“ erschienen. Jede einzelne Episode ist aber in sich abgeschlossen.

Neuübersetzung der ersten Abenteuer

In Frankreich ist der gentleman-cambrioleur ein Star. Als Gegenentwurf zum bekannten Meisterdetektiv Sherlock Holmes wurde er von Maurice Leblanc Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden. Einige Geschichten beziehen sich auch direkt auf Herlock Sholmes wie der englische Detektiv aus rechtlichen Gründen bei Leblanc genannt wird. Aber wer ist dieser Arsène Lupin und was macht ihn zum Gentleman-Gauner? Arsène Raoul Lupin wurde 1874 als Sohn von Henriette d’Andrésy und Théophraste Lupin geboren und genoss eine hervorragende Ausbildung in Jura und Medizin. Latein, Englisch und Griechisch sowie weitere moderne Sprachen beherrscht er fließend, sowie diverse Kampfsportarten.

Arsène Lupin, Meister der Illusionen

Als Meister der Verkleidungskunst und der Verstellung verwendet er gerne Pseudonyme: Raoul de Limézy, Vicomte d’Andrésy, Horace Velmont, Guillaume Berlat. Als vollendeter Gentleman zeigt er sich den Damen gegenüber galant und verabscheut Gewalt. So gibt er etwa erbeutete Juwelen einer Dame zurück, wenn er feststellt, dass sie sich (unbewusst) als loyal erwiesen hat. Am liebsten stiehlt er von den Reichen oder deckt politische Intrigen auf wozu er manchmal auch mit den Behörden zusammenarbeitet. Gerüchten zufolge soll der real existierende, humorvolle Anarchist Marius Jacob als Vorbild für Arsène Lupin gedient haben, was Maurice Leblanc stets negierte.

Netflix-Serie mit Omar Sy

Der Ziemlich-beste-Freunde-(Intouchables)-Star Omar Sy wählt in einer Adaptation der Romanvorlage, die bei Netflix unlängst erschienen ist, dezidiert Arsène Lupin als Vorbild. Dabei spielt das vorliegende Buch im französischen Original – also die ersten acht Abenteuer eine gewichtige Rolle. Der Vater von Assane Diop (Omar Sy) verwendet das Buch als Geheimcode für eine post mortem Mitteilung an seinen Sohn und dieser kann nach und nach eine politische Verschwörung aufdecken, die ganz Frankreich erschüttern wird. Dabei verwendet Assane Diop durchaus ähnliche Methoden wie sein literarisches Vorbild Arsène Lupin und bleibt doch stets Gentleman dabei. Oder er zitiert aus dem dritten Kapitel eine folgenreiche Stelle: “Bei den Künsten ist die Illusion zweifellos die subtilste. Sie fordert stets eine gewissen Fingerfertigkeit und manchmal eine gehörige Portion Mut. Die Art und Weise spielt letztendlich keine Rolle, nur das Ergebnis zählt. Und das Vergnügen die Welt getäuscht zu haben.

Lupin, dans l’ombre d’Arsène

“Lupin, dans l’ombre d’Arsène” (franz.:Lupin, im Schatten von Arsène) auf Netlix ist eine wirklich gelungene Adaption eines traditionellen Stoffes mit durchwegs modernen Mitteln. Die dritte Staffel soll in diesem Sommer erscheinen. Besonders toll dabei ist natürlich, dass die Macht des Buches, das übrigens auch auf Assanes Sohn großen Einfluss hat, hier richtiggehend zelebriert wird. Große Werke inspirieren eben auch große Künstler. Denn die Geschichte des Gentleman-Gauners wurde etwa auch vom Autoren-Kollektiv Boileau-Narcejac in fünf Romanen fortgeschrieben. Bei Matthes & Seitz Berlin sind außerdem erschienen: Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes, Arsène Lupin und der Schatz der Könige von Frankreich,
Die Gräfin Cagliostro oder die Jugend des Arsène Lupin.

Maurice Leblanc
Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner
Originaltitel: Arsène Lupin, gentleman-cambrioleur (Französisch)
Übersetzung: Erika Gebühr
2021, 238 Seiten, gebunden, auch erhältlich als Ebook
ISBN: 978-3-7518-0041-9
Matthes & Seitz Berlin
18,00 €


Genre: Krimi, Kurzgeschichten und Erzählungen, Roman
Illustrated by Matthes & Seitz

Ein Tag wird kommen

Giulia Caminito – Ein Tag wird kommen

 

Ein Tag wird kommen. Vergriffen, aber als WAT wieder erhältlich ist diese Geschichte der Römerin, die auch mit “Das Wasser des Sees ist niemals süß” (in 20 Sprachen übersetzt) bei Wagenbach vertreten ist. Caminito ist in Anguillara Sabazia am Lago di Bracciano aufgewachsen. Sie arbeitet auch als Herausgeberin und Lektorin und lebt in Rom.

Italien zwischen Katholiken und Anarchisten

Ein Tag wird kommen” (Original: Un giorno verrà) ist eine italienische Familiengeschichte in Zeiten des aufkeimenden Faschismus. Einer Zeit in der mehr als die Hälfte der Ernte an den Padrone ging. Er entschied auch was Gesetz war, wer am Feld arbeitete, wer heiratete und welche der überzähligen Kinder bleiben durften. Bis eines Tages ein gewisser Lupo beschließt nicht mehr zu arbeiten, auch Petri und Paoletto sowie Gaspare schließen sich an. Bruno der Sozialist lächelt. “Sie lassen uns fürs Paradies bezahlen, sie verlangen Geld von denen die keins haben, für etwas, das nie jemand gesehen hat.” Anhand der beiden Bäckerssöhne Nicola und Lupo, die verschiedener nicht sein könnten, erzählt die Autorin die Lebenswelten zweier verschiedener Brüder, zwischen denen eine Lüge, verborgen hinter Klostermauern, steht. Lupo (ital.:Wolf) adoptiert übrigens einen Wolf, den er Cane (ital.: Hund) nennt. Aber was ihn wirklich an sein Dorf bindet, das er so gerne verlassen würde, ist sein Bruder, der “Krumenbub“, für den er sich verantwortlich fühlt.

Ein Tag wird kommen – als WAT noch erhältlich

Ein Tag wird kommen: un giorno verrà

In den Anmerkungen am Ende ihres Textes erzählt die Autorin auch von ihrem Urgroßvater, der Anarchist war. Er war irgendwo verschollen, aber sie hatte längst beschlossen ein Buch über die Anarchisten in den Marken zu schreiben, ein Buch über Nicola Ugolini und jene wie er, die an die Anarchie geglaubt und das Vorurteil von den Anarchisten als Bombenlegern, sinnlos Gewalttätigen und unheilbringenden Brisanten widerlegten. Aber gleichzeitig hat sie auch ein Buch über die Nonnen des Klosters von Serra und La Moretta (Maria Giuseppina Benvenuti, geboren als Zeinab Alif) geschrieben, den Protestakt des Augusto Masetti, die Settimana Rossi, den Ersten Weltkrieg und das Überlaufen der Sozialisten zur Fraktion der Kriegsbefürworter. Die Spanische Grippe, die revolutionären Bewegungen, die Zensur und auch die Auswanderung nach Amerika spielen ebenso eine Rolle, wie ihre Fantasie, die jene Lügen straft, die nur an die eine Wahrheit glauben. Wer lieber im Original liest, sei auf den Reclam Verlag verwiesen, wo “Caminito, Giulia: Un giorno verrà. Un romanzo di fede, speranza e anarchia” auf Italienisch erschienen ist. Der Untertitel lautet im Original: Ein Roman der Treue, Hoffnung und Anarchie.

Giulia Caminito: Ein Tag wird kommen. Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. Quartbuch. 2020 272 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-8031-3325-0
Vergriffen. Als WAT-Ausgabe erhältlich.
oder im Original: Un giorno verrà. Un romanzo di fede, speranza e anarchia.
Ital. Hrsg. von Sabrina Maag
Niveau B2 (GER) 347 S.
ISBN: 978-3-15-014122-9


Genre: Geschichte, Roman
Illustrated by Wagenbach