Boulevard der Helden

Boulevard der Helden. 30 biografische Geschichten von Erfolgsautor Michael Köhlmeier, die zuvor in einem Magazin der zugehörigen Verlagsmutter erschienen, sind hier in einem Buch versammelt. Sowohl berühmte Männer und Frauen stellt der Schriftsteller im Porträt vor und zeigt, was sie so außergewöhnlich macht(e). Mit dabei: Wilma Rudolph, Ignaz Semmelweis, Houdini, Mata Hari oder Marilyn Monroe und viele andere mehr.

Helden des Alltags/Albtraums

Die “Mutter Courage des Tabubruchs”, Beate Uhse, war eine der ersten Fliegerpilotinnen der Welt und flog sogar Einsätze für ein Regime, das Gottseidank ein schnelles Ende fand. Dennoch schaffte sie es, sich nach dem Krieg komplett neu zu erfinden indem sie eine Sexartikelshopkette eröffnete. Das verklemmte fast puritanische Nachkriegsdeutschland lernte durch Beate Uhse etwa den Coitus interruptus oder andere Verhütungsmethoden. Auch solche die wirklich funktionierten. In ihrer “Schrift X”, die man in ihren Shops für 50 Pfennig bekam, wurden Herr und Frau Bundesbürger aufgeklärt. Vielleicht bekam sie Jahrzehnte später dafür das Bundesverdienstkreuz? Köhlmeier erzählt pointiert und ohne viel Schnörkel die Geschichte der erfolgreichsten deutschen Unternehmerin und macht Lust auf noch mehr seiner Kurzbiographien, etwa “den Helden schlechthin”. Na, wer könnte da anderes gemeint sein als Humphrey Bogart himself? Köhlmeier beschreibt Bogey als King of Cool, als “Inbegriff der Coolness”, noch bevor es das Wort überhaupt gab. Er stellt ihn auf die Seite von Achill, dem wahren, ungebrochenen Helden, und nicht auf die Seite von Odysseus, dem verschlagenen, listigen Kerl. Das Lied “Don’t Bogart that Joint my Friend” bezieht sich – laut Köhlmeier – übrigens tatsächlich auf Humph. Er hätte sein Zigaretten schon nach ein paar Zügen ausgedrückt, was bei einem Joint doch schade gewesen wäre, so der Liedtext. Laureen Bacall, seine spätere Frau, hätte jedenfalls ordentlich gepfiffen.

Starke Männer und Frauen

Eine kleine Verbeugung vor einem alten Freund ist auch das Porträt über Bilgeri, das Köhlmeier hier vorlegt. Dieser hätte Bärenkräfte entwickelt, als sich in jungen Jahren ein Musikkollege (die beiden spielten damals in einer Band) unter einen Lastwagen legte, der Flügel bekam und abstürzte. Reinhold hätte mit seinen Pranken reingefasst und so ein Leben gerettet. Was wieder beweist, dass wir Menschen zu unglaublichen Taten fähig sind, wenn wir nur wollen. Übermenschliche Kräfte erforderte es wohl auch, als Rudi Dutschke seinen Attentäter in seiner Zelle besuchte. Die Kampagne die die Bildzeitung damals gegen den Studentenführer führte, hatte zu einem Schussattentat geführt, dem Rudi neun Jahre später erlag. Aber er konnte seinem Mörder noch verzeihen. Auch das wohl eine Heldentat im Maßstab Bilgeris. Aber auch unter Diskriminierung mussten viele Helden leiden, wie das Doppelporträt von Ella Fitzgerald und Norman Granz überdeutlich macht. Obwohl die Sängerin Begeisterungsstürme im Orpheum Theatre in New York ausgelöst hatte, durfte sie dort dennoch nicht auf die Toilette. Diese war – wie der ganze Konzertsaal im übrigen – den Weißen vorbehalten. In den USA herrschte damals noch Segregation. Und so wurde für Ella Fitzgerald extra ein Abort auf Rädern organisiert, der hinten im Hof abgestellt wurde.

Boulevard der Helden: 30 moderne Legenden

Michael Köhlmeier erzählt von Stil-Ikonen aus Kunst und Kultur sowie Legenden aus Musik, Sport, Wissenschaft und was sie ausmachte. Eines zeichnete aber wohl alle – ob Sportgrößen, Musiklegenden, Schach-Giganten und Glamour-Stars – aus: sie ertrugen demütig ihr Schicksal. Großes Lesevergnügen eines der besten Erzählerhelden unserer Zeit, Michael Köhlmeier bietet Hintertüren und -treppen zu seinen Ikonen, aber auch Trojanische Pferde. Ein Lesegenuss für Jung und Alt.

Michael Köhlmeier
Boulevard der Helden
2023, 224 Seiten / 120 mm x 200 mm
Benevento Verlag
€ 22.-


Genre: Biographie, Kurzgeschichten, Porträt
Illustrated by Benevento Verlag

Krähen

Riechelmann_Umschlag_03.inddAus einer ursprünglich im tropischen Regenwald lebenden „Urkrähe“ hätten sich die Krähenvögel in der Zeit vom späten Oligozän bis zum Miozän herausentwickelt und über die ganze Erde verbreitet. Die Kulturgeschichte des Menschen habe sich quasi unter der Beobachtung der Krähen vollzogen, denn beide haben sich entwicklungsgeschichtlich aus dem dichten Dschungel in offene Landschaften bewegt. Auf der Flucht vor Jägern hat sich diese Entwicklung allerdings einige tausend Jahre später wieder umgedreht, denn die Krähen sind vom Land in das Stadtgebiet geflüchtet, wo sie Schutz vor Freiwild-Erklärung des Menschen finden und so ihre Populationen wieder ansteigen konnten. Es gab nämlich eine Zeit da wurde tatsächlich Jagd auf die armen Vögel gemacht, weil diverse Vorurteile über sie kursierten. Diese zu bekämpfen, dazu trägt auch diese wunderschön illustrierte Krähenschau des Matthes & Seitz Verlages aus Berlin bei.

Raben die Singvögel unter den Paradiesvögeln

Es gab aber durchaus auch Völker bei denen die Raben oder Krähen, beide Ausdrücke werden oft synonym verwendet, positiv besetzt waren. So habe etwa Wilhelm der Eroberer, der Wikinger, eine Rabenfahne vorangetragen, was wiederum die Eroberten wohl mit Hass auf diesen Vogel erfüllte. Auch die Tatsache, dass Raben Aasfresser sind trug nicht unbedingt zu ihrer Reputation bei, denn das Aasgeier und eben Raben eine wichtige Rolle in der Natur als Gesundheitspolizei spielen, war noch nicht in alle Köpfe durchgedrungen. Krähenvögel gehören zur Gruppe der Singvögel und als Corvidae sind sie eine Familie in der Ordnung der Sperlingsvögel (Passeriformes) in der Klasse der Vögel (Aves). Von den Corvidae gibt es 123 Arten in 24 Gattungen, schreibt Riechelmann, wozu auch Elstern, Häher und südamerikanische Blauraben gehören. Zu der eigentlichen Gattung Corvus gehören wiederum 23, darunter Nebel-, Raben- und Saatkrähen, sowie Dohlen und der Kolkrabe. Ihre engsten Verwandten sind übrigens die Paradiesvögel.

„Trainspotting“ auf Rabenart

„Du bist in Alaska, am Ende der Welt, nirgendwo ein Zeichen von Leben – und auf einmal ist da der Rabe.“ Noch in der Höhe von 7000 Metern am Himalaya würde man sie antreffen, berichten etwa britische Forscher, wo sie auch gerne Steinlawinen auslösen würden, denn die Kolkraben etwa sind sehr verspielt, und lieben es, mit Steinen zu werfen. Es wurden aber auch schon Krähen in Tokio beobachtet, die Steine auf die Bahngleise legten und dann mit schräggelegtem Kopf auf das Klickgeräsuch warteten, das die Züge erzeugten, wenn sie die Steine zerquetschten. „Trainspotting“ auf Rabenart eben. Es sei auch schon beobachtet worden, dass sie Autos, die bei Rot an Ampeln halten, zum Nüsseknacken benutzten oder verstecken ihre Nahrung unter Dachziegeln, wie etwa die Elstern, die ebenfalls zur Corvidae Gruppe gehören. Kolkraben können übrigens als einzige der Gruppe auch am Rücken liegend fliegen. Kiefernhäher wiederum versteckten zu Vorratszwecken im Herbst bis zu 30000 Samen an bis zu 6000 verschiedenen Orten und graben die jeweilige Sorte auch noch rechtzeitig vor dem Aufkeimen aus. Gedächtnisfähigkeiten, die man sich als Mensch nur wünschen kann.

Im Anhang befinden sich noch Portraits der einzelnen Vögel. Auch der Fleißtext ist reichlich illustriert und erzählt von der unterschiedlichen Wahrnehmung der „Galgenvögel“ in unterschiedlichen Teilen der Welt und ihrer langen Geschichte mit dem Menschen.

Cord Riechelmann/Judith Schalansky (Hg.)

Krähen. Ein Portrait

Reihe: Naturkunden

155 Seiten, Gebunden

Illustration: Falk

Preis: 18,00 €

Matthes & Seitz VerlagKrähen


Genre: Naturkunde, Porträt
Illustrated by Matthes & Seitz