Lerne lachen ohne zu weinen

Kurt Tucholsky – Lerne lachen ohne zu weinen

Ignaz Wrobel, Theobald Tiger, Peter Panter oder Kaspar Hauser waren nur einige der Pseudonyme von Kurt Tucholsky. Wie die Herausgeber in der editorischen Bemerkung zu vorliegender Ausgabe anführen, handelt es sich bei “Lerne lachen ohne zu weinen” um Tucholskys letztes Buch, das 1931 beim Rowohlt Verlag in Berlin erschienen war. Kaum zwei Jahre später wurde es neben vielen anderen Werken der deutschen Weltliteratur von den Nazis am Scheiterhaufen verbrannt.

Von der “Schaubühne” zur “Weltbühne”

Tucholsky galt vielen als scharfsinnigster und gleichzeitig unterhaltsamster politischer Journalist der Weimarer Republik. Dennoch nahm er sich weitere zwei Jahre später – also 1935 – in Göteborger Exil das Leben. Die Themen über die Kurt Tucholsky sind ebenso allgegenwärtig und aktuell, wie sein Kampf gegen den Nationalsozialismus und Faschismus. Denn auch mehr als 100 Jahre später, ist dieser Schoß noch fruchtbar, aus dem das kroch. In sieben Kapiteln finden sich in vorliegender Ausgabe schriftstellerische Interventionen zu allen wichtigen Themen unserer Zeit. “Kapitalismus, Klassenkampf, Kriegstreiberei, Nationalismus, Lebensfallen, Neurosen und Geschmacklosigkeiten der bürgerlichen Kultur und Sexualität, die Idiotie des Klerus und der Presse, über die Bücher und das Büchermachen selbst.” Aber auch zärtliche Zeilen, etwa über die Hände von Muttern in starkem Berlinerisch: “Heiß warn se un kalt. Nu sind se alt. Nu bist du bald am Ende. Da stehen wa nu hier, und denn komm wir bei dir und streicheln deine Hände”.

Europa als Vision einer besseren Welt

Neben Gedichten finden sich auch kurze Prosatexte oder ein “Interview mit sich selbst”. In diesem begegnen sich der junge und der alte Peter Panter, ersterer ratsuchend. Beugen will er sich nicht, aber genau das rät ihm der ältere Panter, denn ohne das gäbe es kein Weiterkommen. “Sie werden sich beugen. Sie müssen sich beugen. Eines Tages werden Sie auch Ihrerseits Geld verdienen wollen, und Sie beugen sich. Es ist so leicht.” Aber die Pointe am Schluss, macht klar, dass auch der Erzähler Position bezieht, denn er ist eindeutig der jüngere Peter Panter und urteilt über den alten: “Ein ekelhafter Kerl”. Aber wer weiß, in dreißig Jahren? An anderer Stelle nimmt Kurt Tucholsky das vorweg, was sich zumindest nach rund 100 Jahren gebessert hat. In “Wahnsinn Europa” schreibt er nämlich (schon 1935!): “Wir in Europa sind kapitalistisch längst eine große Familie, und die Einteilung in Staaten, wie sie heute sind, ist eine anachronistische Kinderei, eine gefährliche und eine unehrliche dazu.” Erstaunlich visionär kritisiert und charakterisiert Kurt Tucholsky die politischen Geschehnisse am Vorabend der Machtergreifung durch Hitler und deren mögliche Konsequenzen. Tucholsky empört sich auch in seinem letzten Buch öffentlich über die unwürdigen Vorgänge seiner Zeit und setzt sich im Kampf für die Demokratie und Menschenrechte ein. Vor allem aber für die Wahrheit.

Kurt Tucholsky
Lerne lachen ohne zu weinen
2017, 416 S., gebunden in feines Leinen, 12,5 x 20 cm.
ISBN: 978-3-7374-0980-3
Marix Verlag


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Marix

Avengers, Assemble!

Avengers, Assemble!” (Rächer, sammelt Euch!). Dieser Lockruf erfolgte erstmals Anfang der Sechziger. Nachdem sich die meisten Superhelden als Einzelhelden schon etabliert hatten, war es endlich auch Zeit für ein Super-Team: die Avengers. Stan Lee und Zeichner Jack Kirby versammelten den Iron Man, Ant-Man, The Wasp, Thor und Hulk, um die erste Super-Group im Kampf gegen das Verbrechen zu gründen. Die ersten 20 Geschichten in einem Band plus viele Hintergrundstories, Fotos und Insiderinfos für Fans.

Avengers: Superhelden und Superschurken

The Avengers: die Rache ist unser!

Der vorliegende Avengers-Sammelband des Marvel Age (Avengers-Hefte 1–20 im XXL-Format) zeigt die mächtigsten Helden der Welt in ihren Anfangstagen, von 1963–1965. Ihre Gegner – allesamt Superschurken – waren damals zum Beispiel Loki, Kang der Eroberer, Wonder Man, Count Nefaria, Baron Zero und die Meister des Bösen und Immortus. Oder ehemalige Mitglieder wie The Hulk, der sich in einem Abenteuer mit dem Submariner gegen die Avengers stellt. Aber es konnten auch Schurken wie Hawkeye, Quicksilver, Swordsman, Hercules, Black Panther, Vision, Black Knight und die Scarlet Witch zu Helden werden, genauso wie Hulk das Team verließ, Captain America beitrat und Ant-Man zu Giant-Man wuchs. Die Zusammenstellung der Avengers wurde immer wieder verändert bis schließlich nur noch Captain America alleine übrig blieb, um die letzte Generation der neuen Helden um sich zu scharen und anzuführen. Auch Spiderman-Fans kommen in vorliegendem Band auf ihre Kosten. Es war The Wasp, die der Gruppe ihren bis heute einträglichen Namen verlieh. Das Headquarter der Avengers stand schon damals in New York City, einem Gebäude namens Avengers Mansion. Dort regierte allerdings vorerst Edwin Jarvis, der Butler der illustren Truppe mit dem fünfmotorigen Quinjet.

Die ersten 20 Stories in XXL

The Avengers im Taschen Verlag mit vielen Extras

Die Sechziger waren das erste Jahrzehnt, in der sich die fünf Gründer-Avengers zu einer starken Truppe formierten und den Kampf gegen das Böse gemeinsam aufnahmen. In enger Zusammenarbeit mit Marvel und der Certified Guaranty Company wurden die makellosesten Ausgaben der Serie neu abfotografiert. Jede Seite wurde genau so reproduziert, wie sie vor mehr als einem halben Jahrhundert gedruckt wurde. Mit modernster Retusche-Technik gelang das digitale Remastern in einer Qualität, die den minderwertigen Druck der Zeit ausgleichen konnte und nun – rundumerneuert – wie frisch aus einer der besten Druckmaschinen der 1960er-Jahre wirkt. Das Vorwort stammt von Kevin Feige, Präsident der Marvel Studios. Eine ausführliche historische Darstellung von Kurt Busiek – Autor und Eisner-Award-Gewinner –, der mit Originalzeichnungen, selten gezeigten Fotos und Dokumenten bebildert ist, folgt darauf (“History”). Ebenfalls erhältlich ist eine Deluxe-Ausgabe (Collector’s Edition von 1.000 nummerierten Exemplaren. Auch erhältlich als XXL Famous First Edition) mit einem Aluminiumeinband mit Kunstlederrücken und Folienprägung. Sie wird ebenfalls in einem Schuber geliefert.

 

Marvel Comics Library. Avengers. Vol. 1. 1963–1965
Famous First Edition: Nummerierte Erstauflage von 5.000 Exemplaren
Kurt Busiek, Kevin Feige, Stan Lee, Jack Kirby
Hardcover, 28 x 39,5 cm, 4,44 kg, 630 Seiten
ISBN 978-3-8365-8234-6
Ausgabe: Englisch
Famous First Edition: Nummerierte Erstauflage von 5.000 Exemplaren.
taschen.com


Genre: Comics, Marvel
Illustrated by Panini Comics

The Scumbag – Kokainfinger

The Scumbag – ein Antiheld wie deadpool

The Scumbag. “Frische Helden braucht das Land!” Jedoch ist Ernie Ray Clementine weder noch ganz “frisch” noch ein Held. In den Siebzigern hängengeblieben, ist Ernie ein abgehalfterter Biker, der seine Jugend im im Nebel von Sex, Drugs and Rock’n’Roll verlebt hat. Doch dann erhält Ernie durch Zufall Superkräfte und plötzlich reißt sich die halbe Welt um ihn. Oder eher die Halbwelt?

Mit Formula Maxima vom Looser zum Winner

“Scumbag” könnte man sowohl mit Drecksack als auch Abschaum übersetzen. Fans von Deadpool und Wanted werden auch mit dem selbstsüchtigen Junkie mit Superkräften, der als Spion die Welt retten soll ihren Spaß haben. Im Auftakt zur neuen Historie von Bestsellerautor Rick Remender (DEADLY CLASS, UNCANNY AVENGERS) geht es um nicht weniger als die Rettung der Welt. Aber nicht vor Bösewichten, sondern vor solchen “Relikten einer anderen Zeit” wie Ernie. Sein Dealer Spanish Larry ist sein bester Freund, was nur beweist, dass er keine Freunde hat. Bei einem Zweikampf zwischen zwei Superschurken, greift sich ausgerechnet Ernie die Spritze mit der Formula Maxima und kommt so unverhofft zu Superkräften. Er wird nun von einer extraterrestrischen Polizistin für “Vater Zeit” gehalten, der allerdings längst das Zeitliche gesegnet hat. Erstere arbeitet dann doch für die hiesige Regierung und verspricht ihm einen vollen Drogenkoffer wenn er von nun an kooperiert. Was könnte Ernie mehr überzeugen? Schließlich lautet sein Codename nicht umsonst “Scumbag”. Da passt der General für der amerikanischen Flagge mit dem Skorpion-Emblem ganz gut, denn auch Scumbag trägt einen Scorpions-Schriftzug auf seiner Jeansjacke. Der General wettert bei seiner Ansprache gegen PC und Cancel-Culture und den Untergang der weißen Kultur in Amerika, während Scumbag auf den Auftritt einer seiner Lieblingsbands wartet. Aber die spielen nicht.

Scumbag: Kooperation für Korruption

Aber die Regierung scheut keine Mühen Ernie auf ihre Seite zu bringen: ein flugfähiger 1978er Thunderbird mit Mach4 Antrieb, eine Sexdoll als Pilotin sowie ein Handschuhfach vollgepackt mit Sachen zum Dröhnen überzeugen den abgehalfterten Biker dann doch sehr schnell. Die Zeichnungen sind der Zeit in der sie spielen angepasst, will heißen: ganz schön bunt und psychodelisch. Wenn sich Ernie Ray Clementine nicht schon als Jugendlicher das Hirn so zugedröhnt hätte, wäre er vielleicht doch ein Megaspion geworden. Aber so fehlt ihm doch etwas die Richtung, gut dass er bei seinem ersten Abenteuer eine attraktive Pilotin mit K.I. hat, so kann sie das Denken für ihn übernehmen. Sollte etwas schief gehen, gibt es immer noch das Handschuhfach…

Ein überraschendes Debüt eines Anti-Helden, wie ihn die Comic-Welt wohl noch nie gesehen hat. Sieht man von Deadpool und Wanted einmal ab. Die Biker-Klamotten Ernies sind auf jeden Fall ausstellungswürdig und gehören zu Recht ins Museum. Oder in einen Comicserien wie diese, die vermag, auch eine Looser wie Scumbag von seiner besten Seite zu zeigen!

Rick Remender
The Scumbag – Kokainfinger
Zeichner: Andrew Robinson, Darick Robertson, Lewis Larosa, u.a.
Original Storys: The Scumbag Vol. 1: Cocainefinger
2022, Softcover, Genre: Science-Fiction, 156 Seiten
ISBN: 9783741627828
18,00 €
Panini


Genre: Comic
Illustrated by Panini Comics

Moon Knight: Mitternachtssonne

Moon Knight Collection von Charlie Huston

Moon Knight: Mitternachtssonne. Die komplette Serie in einem Band trägt auch den irreführenden Titel “Moon Knight Collection von Charlie Huston”. Tatsächlich handelt es sich aber um eine knallharte Saga des Roman- und TV-Autors Charlie Huston (WOLVERINE, Joe Pitt, Powers) und Zeichner-Superstar David Finch (AVENGERS: HELDENFALL, BATMAN) in einem Band.

Khonsu, Gott der Rache

Die vorliegende Geschichte entstand parallel zum Marvel-Event Civil War. Damals standen sich als Wortführer Iron Man und Captain America gegenüber und spalteten die Superheldengemeinde in Registrierungs(un)willige. Das Debüt hatte der düstere Moon Knight schon 1975 im Comic “Werewolf by Night 32” von Doug Moench und Don Perlin. Moon Knight bekam bald eine eigene Serie und stritt an der Seite der kalifornischen West Coast Avengers mit Hawkeye für das Gute in der Welt. Dabei ist Marc Spector nicht wirklich ein “guter” Superheld, denn er leidet unter Persönlichkeitsspaltung und Wahnsinn. Das mag damit zusammenhängen, dass der Söldner Marc vor einer altägyptischen Statue des Mondgottes Khonshu starb und als dessen Avatar wiederkehrte. Einmal war Marc der wohlhabende Steven Grant, ein andermal ein Taxifahrer namens Jake Lockley und lieferte sich Fights mit seinen einstigen Kameraden vom Komitee, Midnight und Bushmaster. Aber Moon Knight hat auch Freunde, z.B. Jean-Paul “Frenchie” Duchamp, seine große Liebe Marlene Alraune, sein obdachloser Informant Bertrand Crawley, sein Butler Samuels und der Diner-Besitzer Gena Landers.

Über 30: die Hölle!

Oh es tut so weh. Jedes Jahr über Dreißig ist die Hölle.” In den ersten Kapiteln der vorliegenden Mega-Saga (356 Seiten!) sieht Marc Spector noch seinem Kumpel Bertrand Crawley, dem Obdachlosen, ähnlich. Denn er ist nicht nur unrasiert, langhaarig und im Rollstuhl, sondern auch gebrochen und von seinem Gott und seinen Freunden verlassen. Moon Knight am Ende? Mitnichten. Denn das Artwork von Superstar David Finch alleine ist schon alleine so beeindruckend, dass sich spätestens bei der in Pink getauchten Kussszene mit Marlene das Herz auftut. Die Anspielung auf permanenten Sex (“Ich tu es immer wieder“) zeigt elegant, dass auch Superhelden Gefühle haben. Aber leider möchte der “lunare Legionär” unbedingt ein Held sein und das gestaltet sich mitunter schwierig. “Er ist kein Söldner und Mörder. ER ist ein reicher Menschenfreund. Arbeiter. Mann des Volkes. Held.”, meint zumindest sein alter ego. Und zudem Sohn eines Rabbis, der ägyptische Gottheit verkörpert. Khunshu.

Moon Knight: Mitternachtssonne

Nichts bleibt geheim. Alles ist sichtbar. Was wir sein können. Was wir sind. Es ist alles da. Wenn man die Zeichen lesen kann.” Ein prächtiges Abenteuer mit beeindruckenden, düsteren Zeichnungen, die selbst einen Batman blaß aussehen lassen würden. Gastauftritte von Spiderman und Punisher inklusive.

Charlie Huston/David Finch
Moon Knight: Mitternachtssonne
Original Storys: Moon Knight (2006) 1-13
2022, Hardcover, 356 Seiten
ISBN: 9783741626296
Panini
42,00 €


Genre: Comics, Graphic Novel, Marvel
Illustrated by Panini Comics

Norman Mailer. Bert Stern. Marilyn Monroe.

Norman Mailer. Bert Stern. Marilyn Monroe.

Norman Mailer. Bert Stern. Marilyn Monroe. Sechs Wochen vor ihrem bis heute mysteriösen Selbstmord entstanden die vorliegenden Aufnahmen von Amerika’s weiblichem Sexsymbol Nr. 1. Ihr Todestag, der 5. August 1962, jährt sich dieses Jahr zum 60. Mal und so
wird die vorliegende Publikation “Norman Mailer. Bert Stern. Marilyn Monroe.” zu einem eindrucksvollen Gedenken
an eine der Ikonen des 20. Jahrhunderts. Memento mori.

Dreifach legendär:  neue Ausgabe MMs letzter Fotos

Im Bett mit MM…

Als “dreifach legendär” kann der vorliegende TASCHEN Prachtband in Hardcover und Großformat deswegen bezeichnet werden, weil
gleich drei (!) Legenden darin verwickelt sind: der Schriftsteller und Ehemann, der Fotograf und die Leinwandgöttin.
„Dieses Buch sind eigentlich zwei Bücher: eine Biografie und eine Bilder-Retrospektive über eine Schauspielerin, deren größte Liebesaffäre jene mit der Kamera war.“ schreibt Norman Mailer in seiner Biografie Marilyn von 1973. Der TASCHEN Verlag veröffentlicht seinen Originaltext mit Bert Sterns intimen Fotografien aus dem sog. “Last Sitting“, der letzten Fotosession vor ihrem Tod. Seine Marilyn ist aber nicht nur schön, sondern auch tragisch und komplex. Hollywoods größter Star brachte nicht nur die Traumfabrik zum Leuchten.

Marilyn Monroe mit 36

Das dreitägige Vogue-Shooting im Bel-Air Hotel in Los Angeles zeigte die erst 36 Jahre alte Diva als fleischgewordene Inkarnation männlicher Frauenvorstellungen. Der Text von Norman Mailer konterkariert diese Imaginationen mit Schilderungen ihrer trostlosen Kindheit und dem fassungslosen Ende unter mysteriösen Umständen. Als anspruchsvoller Autor (und Ex-Ehemann) will er aber mehr als nur eine bloße Biografie schreiben, vielmehr die “Grenzen der konventionellen Betrachtungsweise” ausloten und das Schema einer konventionellen Biographie überwinden. “Sie wurde am 1. Juni morgens um halb zehn geboren – eine leichte Geburt, die leichteste der drei Entbindungen ihrer Mutter.” Während das Datum ihrer Geburt wohl als richtig angenommen werden kann, stellt sich dennoch auch bei Mailer’s Marilyn Biografie die Frage: Was ist Dichtung, was Wahrheit?

Sex-Symbol wider Willen

Eine Marilyn? Viele!

Marilyn Monroe wurde wie kaum eine andere Geschlechtsgenossin ihrer Epoche auf ein Objekt männlicher Begierde reduziert, das “blonde Dummchen” repräsentierte lange Zeit das Idealbild der meisten Männerphantasien. Dabei gibt es auch Bilder die MM mit dem Ulysses zeigen oder Sätze von ihr wie diesen: “Ich verstehe das nicht ganz, diese Sache mit dem Sex-Symbol … das Schlimme ist, daß ein Sex-Symbol zur Sache wird. Ich will aber keine Sache sein.” Der Fotograf Bert Stern (1929–2013) gilt als einer der größten Porträtfotografen Amerikas, vor allem für Vogue schoss er in den 60er Jahren 200 Seiten pro Jahr. Seine Print-Anzeigen für Smirnoff und seine Porträtserie von Marilyn Monroe sind in die Geschichte eingegangen. Er war der einzige Fotograf den Marilyn Monroe so nahe an sich heranließ, dass er sie sogar nur durch ein weißes Leintuch getrennt fotografieren durfte.

Verführerischer denn je

Darunter war sie wohl wirklich nackt. Was heute als umprofessionell gelten würde, war damals Intimität mit einer Kamera, die wirklich das zeigte, was sie abbildete. Ohne Fotoretusche oder Fotoshop oder wie all die Programm heißen mit denen man heute eine virtuelle Realität kreiert. Der vorliegende Fotoband ist so echt und authentisch wie Fotos einer Celebrity sein können. Ein intimes Porträt, das die Magie zwischen Fotograf und Model nicht nur wiedergibt, sondern zum Leuchten bringt. Auf Bert Sterns Fotos, mit 36 Jahren, sieht MM verführerischer aus als je. Sechs Wochen später lebte sie nicht mehr. Kurzum: eine gelungene Synthese aus literarischem Klassiker und Porträtgalerie in einer wunderschönen Neuausgabe des TASCHEN-Verlages. Zudem gibt es auch eine ebenso verführerische Luxusausgabe.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung des TASCHEN Verlages (Copyright)!

Norman Mailer, Bert Stern (Hg.)
Norman Mailer. Bert Stern. Marilyn Monroe.
Hardcover, 28 x 33,8 cm, 2,53 kg, 276 Seiten
ISBN 978-3-8365-9261-1 (Englisch)
TASCHEN Verlag
€ 80 | CHF 100


Genre: Biographie, Essay, Fotobuch, Fotografie
Illustrated by Taschen Köln

Kalt wie dein Herz

Dennis Lehane Neuübersetzung Kalt wie dein Herz

Kalt wie dein Herz. “I heard the old men say: ‘All that is beautiful drifts away/Like the Waters’“. (W. B. Yeats) Ein neuer alter Fall für Kenzie & Gennaro, das Detektiv-Duo aus Boston. Die Neuübersetzung von Peter Torberg hält sich an die 1999 bei William Morris, New York unter dem Titel “Prayers for Rain” erschienene Originalausgabe.

Kalt wie dein Herz

Wahrlich kurz sind die schönen Momente, die vorbei huschen wie das Wasser. Ebenso wenig kann man diese Momente festhalten und was bleibt sind die Erinnerungen. Solche Erinnerungen an schöne Momente hat auch Patrick Kenzie, denn Angela Gennaro und er haben sich nicht nur als Arbeitskollegen, sondern auch als Sexpartner getrennt. Dabei war beiden klar, dass es immer schon mehr als nur Sex war. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich der knallharte Detektiv Kenzie ein schlechtes Gewissen wegen einer Klientin macht. Kenzie hatte seinen Kumpel fürs Grobe, Bubba, auf einen Stalker, Cody Falk, angesetzt, der Karen Nichols das Leben schwer machte. Der Job war schnell erledigt, aber einige Wochen später erfährt Kenzie, dass sich eben diese Karen Nichols von der Aussichtsplattform des Bostoner Custom House im 25. Stock in den Tod gestürzt hat. Zuvor soll sie als Prostituierte gearbeitet haben und auch in der Drogenszene Bostons kein unbeschriebenes Blatt gewesen sein. All das passt so überhaupt nicht zu der Karen Nichols, die Kenzie kennengelernt hat, dass er beschliesst, sich hinter die Sache zu klemmen. “Diese Karen Nichols hatte auf mich nicht den Eindruck gemacht, dass sie nackt von einem Gebäude springt.” Sie war eher “diejenige, die ihre Socken bügelte und Stofftiere sammelte“. Zudem hat es der Killer nicht nur auf Frauen abgesehen, sondern auch auf putzige kleine Hunde. Und das ruft wiederum erst recht Bubba auf den Plan, das komödiantische Pendant zu Kenzie. Oder sollte man hier eher von einem alter ego sprechen? Denn alles was Kenzie offiziell nicht darf resp. was “illegal” ist, erledigt Bubba für ihn. Am Ende sogar das mit Vanessa.

“Niemand liebt.” Außer Bubba

“Sie war untergegangen und ich war beschäftigt gewesen”, plagt Kenzie das schlechte Gewissen. Doch selbst in seinen kühnsten Träumen hätte er es nie erahnen können, auf was für einen Psychopath, den Drahtzieher von Karen Nichols’ Selbstmord, er sich in diesem Fall einlässt. Gut, dass er dabei auch auf Ruprecht Rogowski aka Bubba und seine Angie zählen kann. Denn die Verbindungen ihres Großvaters, Vincent Patios, zur italienische Mafia, der “Familie” und Stevie Zambuca kann zumindest deren Einmischung in den knackigen Fall verhindern. Die eigentlichen Bösewichte finden sich aber zumeist in der eigenen “Familie” und nicht bei der Mafia. Denn im Mittelpunkt von “Kalt wie dein Herz” steht das Ehepaar Dawe, die eine Tochter mit Turnus arteriosus communis hatten und eine weitere Tochter plus einen Sohn. Was es damit auf sich hat, erfährt man auf 512 spannenden Seiten eines Krimis, der sich wie eine Offenbarung liest. Denn es geht wie immer um Vergebung. Liebe und Loyalität. Referenzen an Magnum, Burt Lancaster, Nirvana und den “Dritten Mann” (Holly Martens Inn) inklusive. Zudem erfährt man trotz der knallharten Macho-Rhetorik (Kenzie fährt Porsche und liebt Magnum, die Serie, nicht die Waffe!) und einiger flotten Sprüche, warum Männer nie weinen: “Ich fürchte, wenn ich erst mal damit anfangen, kann ich nicht wieder aufhören.”, meint Patrick Kenzie.

Dennis Lehane hat einen Krimi geschrieben, der sich nicht nur über das Genre amüsiert, sondern auch seine Protagonisten. Zum großen Gefallen es Publikums: Applaus!

Dennis Lehane
Kalt wie dein Herz
Ein Fall für Kenzie & Gennaro
Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg
2022, Paperback, 512 Seiten
ISBN: 978-3-257-30046-8
€ (D) 18.00 / sFr 24.00* / € (A) 18.50
Diogenes Verlag


Genre: Hard-boiled Krimi
Illustrated by Diogenes

Bring mich noch zur Ecke

Bring mich noch zur Ecke – Anneli Furmark

Bring mich noch zur Ecke. “Menschen trauern auf unterschiedliche Art“, meint der Psychotherapeut der 56-jährigen Elise und will damit ihr Verständnis für Henrik, ihren Mann, verbessern. 25 Jahre waren sie verheiratet, aber dann hat sich Elise in Dagmar verliebt. Und Dagmar in sie. Auch sie hat eine andere Partnerin und Familie.

Familiar Feeling

Ein plötzlicher Anflug von Sehnsucht durchfuhr sie, die Erinnerung an das Gefühl von etwas im Fernsehen völlig gefesselt zu sein.” Das Leben kann ganz schön kompliziert sein. Henrik und Elise haben sich etwas aufgebaut und sie lieben sich noch immer, nach einem Vierteljahrhundert Ehe. Doch Elise zieht es zu Dagmar. Als auch Henrik eine andere Partnerin findet, wird aus der Vermutung Gewissheit: Scheidung. Die Kinder sind schon alt genug es zu verdauen. Aber wird Elise es schaffen? Sie macht sich Vorwürfe. Erst recht, als Dagmar einen Rückzieher macht. Liebgewonnene Gewohnheiten abzulegen, die Vertrautheit eines Ehepaares, der Duft seines Pullovers. In seiner Abwesenheit schnuppert sie daran, sehnt sich nach dem alten Gefühl und vielleicht auch etwas nach ihrer eigenen Vergangenheit und Jugend. Elise hört gerne Musik und lebt in den Texten etwa von Joni Mitchell “A case of you” oder “Both Sides Now“, Leonhard Cohen u.a. Dagmar mag das. Aber wird sie es lieben?

Ein neue Erzählung

Elise ist zum ersten Mal in ihrem Leben wieder auf sich allein gestellt. Zumindest das erste Mal seit langem. Sie will nicht Teil der Erzählung von Dagmars Ehekrise werden. Sie will wieder zurück und doch wieder voran. Beim Packen eines Kartons liegt sie am Boden und nur ihre Katze kommt, sie zu trösten. Eine Entwicklung geht oft in kleinen Schritten und nicht in großen Sprüngen. Anneli Furmark, die sowohl Text als auch Zeichnungen verfasst hat, weiß um die Traurigkeit und Melancholie des Endes einer Beziehung und zeichnet einfühlsam den Weg Elises zu ihrer neuen Selbständigkeit nach. Gelungen ist auch die Anspielung auf “Die Absinthtrinkerin” (Edgar Degas), als Elise vor ihrem Weinglas sitzt und zunehmend verfällt. Ihre Freundinnen freuen sich aber für sie, für die “vielen Gefühle”, das muss doch schön sein, meinen sie. Aber es ist nicht nur schön. Es erfordert auch ganz schön viel Mut, alle bisherigen Sicherheiten aufzugeben und ein neues Leben zu beginnen. Mit oder ohne neuen Partner. Und bald fasst Elise wieder neue Pläne.

Anneli Furmark
Bring mich noch zur Ecke
Text und Zeichnung: Anneli Furmark
Übersetzung aus dem Schwedischen von Katharina Erben
2022, 232 Seiten, Klappenbroschur, Format 16 x 21,5 cm, vierfarbig
ISBN: 978-3-96445-066-1
avant-verlag
25,00 €


Genre: Comics, Erzählung, Frauenliteratur, Graphic Novel, Liebesroman
Illustrated by Avant Verlag

Kleiner Mann – was nun?

Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun?

Kleiner Mann – was nun? Am Vorabend der Machtergreifung der Nazis in Deutschland geschrieben zeigt der hier erstmals in der ungekürzten Originalfassung veröffentlichte Roman die Sorgen des kleinen Mannes. Und seiner Frau. Exemplarisch dargestellt an dem Mandel Modehaus Verkäufer Johannes Pinneberg und – der liebevoll vom ihm mit “Lämmchen” liebkosten – Emma, einer klassischen Proletariertochter.

Die Roaring 20ies

Zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben. Mit diesen Worten könnte man die Situation des frisch gebackenen Ehepaares Pinneberg umschreiben. Denn der Angestellte Johannes hat zwar eine Arbeit und Emma auch, aber als sie schwanger wird und der kleine Murkel erwartet wird, müssen sie den Gürtel immer enger schnallen. Die Wirtschaftskrise von 1929 hat auch sie im Würgegriff, alles ist teuer und die Löhne niedrig. Liebevoll und detailreich beschreibt Hans Fallada das Schicksal des Angestellten und der Arbeitertochter, die wenigsten ihren Klassenstolz noch nicht vergessen hat. Denn sie wählt ganz klar KPD, während ihr Mann eher zur Zentrumspartei oder den Sozialdemokraten neigt. Aber in Johannes’ Umfeld tummeln sich auch schon die Nazis, aber auch Vertreter verschiedenster Subkulturen der „Roaring Twenties“.

Berliner Bums und Pumm

So ist ein Kollege von ihm ein bekennender Freie Körper Kultur Verfechter, der Aktfotos sammelt. Der Vermieter des Ehepaares wiederum ist ein Trinker, der sie in einer illegalen Wohnung hinter einem Kinosaal unterbringt. Nur eine Leiter führt in die kleine Einzimmerwohnung, aber immerhin ist der Preis okay. Als der Lebensgefährte von Johannes’ Mutter, Jachmann, dort unterschlüpft, wird ihnen klar, wie geschützt sie in ihrer Dachkammer vor dem Zugriff der Welt sind. Jachmann ist es auch, der sie in das Berliner Nachtleben der Zwanziger einführt, ein Kapitel, das in der ersten Auflage einfach gestrichen wurde, ebenso wie Episoden zu Charlie Chaplin, Robinson Crusoe, Goethe, Wilhelm Busch und dem Prinzen von Wales. Der Erfolg des Buches damals gab den Streichungen zwar recht, aber dennoch ist es viel erquicklicher, endlich die unzensierte Version von Falladas Roman in Händen zu halten. Denn die Streichungen waren vielmehr “Tilgungen, die an die Substanz des Romans” gingen, schreibt auch der Gießener Literaturprofessor Carsten Gansel im Nachwort.

Neusachliche Ästhetik

Neue Sachlichkeit wird diese Kategorie der deutschen Literatur genannt, die als Epochenbegriff solche Schlagworte wie Antiexpressionismus, Präzision, Beobachtung, dokumentarisches Schreiben, Nüchternheit, Berichtform, Tatsachenpoetik und Entsentimentalisierung in sich vereint. Hans Falladas Ansatz ziele dabei auf eine “mimetische Illusion” im Rahmen der neusachlichen Ästhetik, so Gansel. Begeisterte Kritiken rief freilich auch die gekürzte Version des Kleinen Mannes hervor. So schrieb etwa der österreichische Autor und Herausgeber Paul Elbogen in einem Brief an Fallada: “Oh Fallada, der du hängest! Ich verdanke Ihnen eine halbe schlaflose Nacht! Ich habe Ihr neues Buch (als Ihr erstes) gelesen und eine Viertelstunde (alles in Allem) geweint wie seit Jahren nicht! Vielleicht seit dem Winnetou oder den “Glücklichen Menschen” von Kisten (das als einziges Buch sich mit ihrem in vielen Punkten vergleichen lässt.)

Fazit: Jedem sein Lämmchen

Auch über die positive Figur des Lämmchens waren sich viele Kritiker:innen und Leser:innen einig. Glücklich ein Mann, der so eine Frau hat: “Von diesem Lämmchen sollt ihr lernen, wie man dieses armselige Leben anpackt und es gestaltet und Ja zu ihm sagt. Wie man sich nicht kleinkriegen lässt, wie man auch im Schlimmsten noch das Gute sieht, das darin oder dahinter verborgen ist.” Ja, mit so einem Lämmchen ließe sich selbst die Wirtschaftskrise oder die Diktatur überleben. Letzteres gelang Hans Fallada, allerdings mit einer neuen Frau, die wie er seit Ende des Kriege wieder morphium- und alkoholsüchtig war. Fallada wurde deswegen im Dezember 1946 in die Nervenklinik der Berliner Charité eingewiesen. Dort schrieb er innerhalb (nur) eines Monats in miserablem körperlichen Zustand den Roman “Jeder stirbt für sich allein“. Fallada starb schließlich im Hilfskrankenhaus Niederschönhausen in einem umgestalteten Schulklassenzimmer am 5. Februar 1947 im Alter von nur 53 Jahren an den Folgen seines Morphinkonsums.

Hans Fallada
Kleiner Mann – was nun?
Roman. Erstmals in der Originalfassung
Mit einem Nachwort von
2017, Taschenbuch, 557 Seiten
ISBN: 978-3-7466-3344-2
Aufbau Verlag
12,99 €


Genre: Romane
Illustrated by Aufbau Taschenbuch Berlin

Devil in a Coma

“Devil in a Coma. A memoir” von Mark Lanegan

Devil in a Coma. A Memoir. “It’s hard to know where you are when you’re trying to read a map by the light of a falling star.” Kurz vor Mark Lanegans Tod erschien seine Autobiographie “Sing backwards and Weep” (deutsch bei KIWI) und vorliegendes “memoir”, so der Untertitel. “Devil in a Coma” beschreibt Lanegans Covid-Erkrankung  und die (vorläufige) Genesung. Der Text ist einerseits Prosa, andererseits Poesie, denn einige seiner letzten Gedanken schreibt er in Gedichtform. Bei Erscheinen des Buches 2021 war noch nicht klar, dass er (so schnell) an den Folgen der Pandemie sterben würde.

Abschied von einer Legende

A memoir” ist insofern ein gut gewählter Untertitel, weil er noch einmal daran erinnert, welchen großen Künstler die Welt in Mark Lanegan versorgen hat. Als Sänger der Seattle-Band “Screaming Trees” wurde er bekannt, durchgesetzt hat sich sein Talent aber vor allem in seinen Soloalben und unzähligen Kollaborationen mit den besten Künstlern der Rock- und Undergroundszene des 20. und 21. Jahrhunderts: Kurt Cobain, Pearl Jam, Marianne Faithfull, Moby,  Queens of the Stone Age, UNKLE, Greg Dulli, PJ Harvey oder Isobell Campbell, to name only a few. Legende sind aber auch nicht nur seine Alben und seine Reibeisenstimme, sondern auch sein Drogenkonsum, den er in “Alles Dunkel dieser Welt” (KiWi 2021/22) ebenso lakonisch wie lässig ausgiebig beschrieb.

Devil in a Coma. A memoir.

Aber beim Verfassen seiner Autobiographie und von “Devil in a Coma” war dies alles lange her, 15 Jahre schreibt er an einer Stelle und fügt gleich hinzu, dass ihm das sowieso niemand glauben würde. Seit Saint Paddy’s Day 2021 war Lanegan in der Kerry Klinik in Irland interniert. Neben der schwachen Lungenfunktion und Nierendysfunktion von nur mehr 30% litt er unter Gehunfähigkeit, Verlust des Geschmacksinns, was ihn 25 Pfund verlieren ließ, sowie Taubheit. Als lebensrettende Maßnahme hätte ein Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) durchgeführt werden soll, wozu seine Frau Shelley aber die Zustimmung verweigerte. “Whatever was in this shitwagon I’d caught a ride on, it was no fucking joke“, kommentiert Lanegan seinen körperlichen und bald auch seelischen Zustand. Denn instinktiv begreift er, dass “this is clearly the fall I won’t get up from“. Erschwerend hinzu kam, dass all die niedrigen Dosen der Schmerzmittel, die ihm verordnet wurden, nichts mehr bewirkten, da sein Körper schon von seinem Vorleben Elefantendosen davon gewohnt war.

Devil in a coma: “I finally made it home

“Devil in a coma” wird zu einem erschütternden Bericht eines Menschen, der sich vom Leben lossagen muss, obwohl er gerade erst seine Heimat in Irland gefunden hatten. Obwohl er das kalifornische Klima vermissen würde, war sein erster Gedanke bei der Ankunft in Irland: “I felt like I hat finally made it home“. Absurderweise stammte auch seine Ursprungsfamilie väterlicherseits aus dieser Gegend Irlands, aber sie wanderten nach Amerika aus. Eigentlich wollte Mark mit Shelley noch weiter nach Portugal, um sich dort endlich niederzulassen, aber das Schicksal hielt ihn am Ort seiner Wurzeln fest. “Music was no longer my friend“, so schlecht ging es ihm und er macht sich Gedanken über seine Beziehungen in denen er immer verlassen wurde, aber stets war er sofort wieder in einer anderen Geschichte: “as one thing ended I was already into something else. I was natural at losing (…).”

The Darkest Part. A memoir.

Mark Lanegan spricht offen über seine schlechte Beziehung zu seiner Mutter, aber auch zur Welt an und für sich. “I’ve always had a bad habit (…) the tendency to mirror my surroundings with my mood“. “Lanegan is the Titanic, you’d better get off before he goes down”, warnte sein Manager schon vor Jahren eine Freundin von ihm. “The truth is I could turn brilliant sunlight dark as the grave with my deadly Powers of Perzeption. I guess it’s all in how you choose to Look at things.” Letzteres mag vielleicht auch ein Rat gewesen sein, es nicht so wie er zu machen. In einem Gedicht, The Darkest Part, bringt er es noch pointierter: “(…)I’ve struggled to love life/ (…) and though I have often failed /and will again/God knows the Better Part of me.

Pete Townshend School of Thought

This is the price I have paid for stubbornness and recalcitrance“, schreibt er, in his “endless search what I was never going to find“. Aber er bedankt sich noch bei jenen, die immer für ihn da waren, egal wie dumm er sich benommen hatte. In einer Erinnerung beschreibt er eine Begegnung als Kind mit seiner Mutter. Als sie ihre Großmutter in einem Heim besuchte, erkannte ihn eine Bridgepartnerin seiner Mutter, die im Rollstuhl saß und sich Hilfesuchend an seinem Arm festhielt. Sie hatte ihn erkannt und wollte raus dort, sie wollte nicht dort sterben oder verschwinden oder untergehen. Mark Lanegan hatte ebenso die Pete Townshend school of thought, wie er es nennt, bevorzugt: “I hope I die before I get old“.

Mark Lanegan starb am 2.2.22 im Alter von 57 Jahren in seinem Heim in Irland. RIP. May his soul rest in peace.

Mark Lanegan
Devil in a Coma
2021, Hardcover, 160 Seiten, Format 200 x 132mm
ISBN 9781399601849
£12.00
White Rabbit Books

 


Genre: Autobiographie
Illustrated by White Rabbit Books

Regeln für einen Ritter

Regeln für einen Ritter – Ethan Hawke

Schauspieler Ethan Hawke ist auch ein Autor, das hat er mit schon vier Romanen (auf deutsch alle bei KiWi) schon ausreichend bewiesen. Sein fünftes Buch, Regeln für einen Ritter, ist kein Roman, sondern vielmehr ein Brief an seine Kinder. Aber nicht von Ethan Hawke, sondern von Ritter Sir Thomas Lemuel Hawke, ein angeblicher Vorfahre Ethans, der an seine Kinder Mary-Rose, Lemuel, Cvenild und Idamay aus Cornwall schreibt.

Die Ewigkeit in der Stille

Du bist wie diese überlaufende Tasse Tee“, sagte sein Großvater zu Thomas, “Du kannst nichts aufnehmen und festhalten. Es geschieht viel zu viel auf einmal, und du spritzt in alle Richtungen und verbrennst, was immer du berührst”. Auch Ritter Sir Thomas, war einmal jung, aber er hatte Gottseidank einen weisen Großvater: “Wenn du nicht ruhig und leer bis, kannst du nie etwas festhalten“. Wie die Tasse, nicht wie der Tee also. “In der Stille können wir die Ewigkeit spüren, die in uns schlummert“, heißt es im ersten Kapitel, “Einsamkeit”, das von einer Feder geziert wird, die Ethans Frau Ryan gezeichnet hat. In jedem von uns wohnen zwei Wölfe, aber es kommt eben darauf an, welchen du fütterst. Auch Demut (Kapitel 2) ist eine gute Übung für einen künftigen Ritter. Zu allem was gewesen ist sagt ein Ritter “danke”, zu allem, was kommt, sagt er “ja”. Das ist die Dankbarkeit in Kapitel 3, die hier mit einem Kranich vorgestellt wird und mittels einer kurzen Geschichte erklärt wird. Ebenso das Kapitel IV, der Stolz, der aus Würde und Selbstachtung wächst, nicht aus Unsicherheit, wie der Hochmut. Sei stolz, nicht hochmütig! Zusammenarbeit wird mit einer Zeichnung einer Vogelschar verbildlicht und dem Vergleich oder der Konkurrenz eine Absage erteilt. Sind doch alle Talente nur Ausdruck ein und derselben universellen Kraft. Deswegen ist es unnütz sich mit anderen zu vergleichen und Eitelkeit und Verbitterung herbeizuführen. Beides ist wertlos.

Ballade vom Hirschen mit Vierzig-Ender-Geweih

Ein Freund leibt dich, weil du dir selbst treu bist, weil du ihm zustimmst. “Der wahre Geist einer Freundschaft wird im Alltag des Lebens geschmiedet.“, meint Sir Thomas im Kapitel Freundschaft, das ein wichtiger Bestandteil des Lebens eines Ritters ist. Auch Vergebung gehört zu diesen positiven Eigenschaften eines Ritters: “Suche das Beste in dir und den andren!” Ehrlichkeit, Mut, Haltung, Geduld, Gerechtigkeit, Großzügigkeit, Disziplin, Hingabe, Rede, Glaube, Gleichheit und schließlich Liebe und Tod werden von Ritter Sir Thomas mit einer kurzen Geschichte erklärt und nachvollziehbar gemacht und zuletzt folgt noch die Ballade vom Hirschen mit dem Vierzig-Ender-Geweih, das jeden Veganer freuen wird. Ritter Sir Thomas Lemuel Hawke steht am Vorabend einer großen Schlacht des Jahres 1483 und keiner weiß, ob er sie überleben wird. Aber er weiß, was er seinen Kindern hinterlassen möchte. Eine gerechte Welt in der alle gütig zueinander sind.

Im Gewand eines mittelalterlichen Handbuchs für Ritter, versehen mit zwanzig feinen Zeichnungen seiner Ehefrau Ryan, erzählt Ethan Hawke die verzaubernde Geschichte von seinem Vorfahren, der wusste, worum es im Leben wirklich geht. In 20 kleinen Geschichten über Schönheit, Werte wie Dankbarkeit, Freundschaft und Ehrlichkeit und das Zusammenleben an und für sich. Alles Lebensweisheiten, die bis heute Gültigkeit haben und jede/r mal ab und zu wieder nachschlagen sollte. Denn was ist wirklich wichtig im Leben?

Ethan Hawke
Regeln für einen Ritter
Der letzte Brief von Sir Thomas Lemuel Hawke
Übersetzt von: Kristian Lutze
Mit Illustrationen von Ryan Hawke
2016, Hardcover, 192 Seiten
ISBN: 978-3-462-31583-7
KiWi Verlag


Genre: Ratgeber
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Noir Burlesque

Enrico Marini: Burlesque Noir

Noir Burlesque. Zuletzt mit Eagles du Rome” (“Adler Roms”) bei Carlsen aufgefallen, zeichnet der Italiener Enrico Marini inzwischen auch schon mal einen Batman, aber auch Vampire, Raubtiere oder den Edel-Western “L’Etoile du Désert” (“Der Stern der Wüste”) und die zwölfbändige Serie “Der Skorpion”. Seine Vielseitigkeit zeigt sich auch in vorliegendem Werk, das sich an den Film Noirs der Vierziger und Fünfziger orientiert. Auch etwas von Sin City ist mit dabei in diesem knallharten Gangsterepos um den Ex-Boxer, Spieler und Kriegsveteranen Terry Slick und seinen Gegenspieler den Nachtclubbesitzer Rex McKinty.

Die Farbe Rot: Noir Burlesque

Ganz in Schwarz/weiß zeigt Marini die Häuserschluchten und Schlupfwinkel der “großen Stadt”, bei der es sich eigentlich nur eine handeln kann. Die Stadt. New York. New York in den Fünfzigern um genauer zu sein. Ein Haifischbecken in dem es für kleine Gangster wie Slick schwerer zu überleben ist, als für die Großen. Aber es gibt einen guten Grund überleben zu wollen. Und dieser Grund hat einen Namen: die Femme fatale Caprice ist die einzige, die Farbe trägt in diesem Comic Noir aus den dunkelsten Winkeln des Big Apples. Ihre Haare sind so rot wie ihr Auto oder ihre Schuhe. Aber das Rot ihrer Lippen, das wird Slick nie mehr vergessen können. Denn das war so nahe an seinen Wangen, dass er es fast gewagt hätte danach zu schnappen. Nach dem Rot. Nicht nach den Lippen. Caprice hat eine Burlesque-Show in einem Nachtclub, dem Rex Night Club. Auch die Mädchen dort tragen rote Kleider und Mützchen. Aber nur die, die bedienen. Die auf der Bühne tragen nicht einmal das. Caprice hat von Lily St-Cyr die Kunst des Striptease gelernt. Dieser Beruf hat nichts mit Prostitution zu tun. Nur Kretins glauben das. Aber Slick will Caprice nur provozieren, als er ihren Beruf so abwertet, denn er ist eifersüchtig das sie bald ganz dem Boss, Rex McKinty, gehören wird. Rex war früher auch sein Auftraggeber, bevor er ins Kittchen musste, weil ein Mitarbeiter von ihm ihn im Stich ließ. Das trägt er Rex nach. Aber Rex braucht ihn. Außerdem hat Slick noch Schulden bei ihm. Resp. sein Bruder.

Ménage à Trois im Gangstermilieu

Während sich Caprice ihre Strümpfe runterrollt, um sich in einer Badewanne mit Champagner auf einer Bühne des Rex damit ansaugen zu lassen, stellt Rex Slick ein Ultimatum: 24h, um die fehlenden 5000 Dollar aufzutreiben. Stattdessen tröstet sich Slick aber lieber mit ein paar Drinks, Zigarren und einer netten Brünetten. Zumindest bis es an die Tür klopft und Caprice davor steht. Auch sie will ihren Anteil von Slick. Sie holt ihn sich in Naturalien. Na wenn das einmal gut ausgehen wird! Eine Menage a Trois im Gangstermilieu. Die Zeichnungen von Marini, der auch den Text verfasst hat, sind im klassischen Noir Stil, Sonnenblenden, Halbschatten, Metallbetten und typisch amerikanische Diners, in denen der Kaffee besser schmeckt als in der Wirklichkeit. Gelungen ist auch Slicks Rettung vor Rex’ Häschern durch eine streunende Katze, die gerade rechtzeitig auf seiner Feuerleiter steht und an sein Fenster klopft. Ein Filmplakat “The Big Shoot-Out” mit Amber Moon und Phil Xavier auf einer Straßenkreuzung zeigt den Plot en miniature, dazu Jazz in einem Tanzlokal und heiße Küsse auf dem Parkett. Ein Comic Noir der nichts zu wünschen übrig lässt. Außer dass die Fortsetzung hoffentlich bald erscheint!

Enrico Marini
Noir Burlesque 1/2
2022, Hardcover, 104 Seiten, Format: 223 mm x 300 mm
ISBN: 978-3-551-76390-7
Carlsen Verlag
24,00 €


Genre: Graphic Novel, Krimi
Illustrated by Carlsen Comics

50 Jahre Der Pate

50 Jahre Der Pate. 14. März 1972: Weltpremiere “Der Pate“. Der Pate auch als The Godfather im deutschen Sprachraum bekannt wird 50. Gemeint ist weder die Figur des Vito “Don” Corleone” noch die Romanvorlage, sondern der Film von Francis Ford Coppola, der 1972 veröffentlicht wurde. Der Roman selbst kam wenige Jahre vorher, 1969, auf den Markt. Ein guter Grund für eine Re-Lektüre. “Jeder kennt den grandiosen Film. Nur wenige wissen: Der Film ist so gut, weil die Romanvorlage genial ist. Jetzt zum Wiederentdecken!” So wirbt der Verlag für seine schöne Ausgabe in scharlachrotem Cover. Mit Blutstropfen am Revere.

Geschichte eines Aufstiegs in Amerika

Als ich als Jugendlicher den Roman vor beinahe ebenfalls 50 Jahren das erste Mal las, blieben mir vor allem zwei Szenen in Erinnerung: Der abgeschnittene Pferdekopf im Ehebett und die Verengungsoperation einer gewissen Signora. Was mir auch in Erinnerung blieb ist die Tatsache, dass viele Sizilianer ihre Insel für besetzt hielten und sich deswegen zu einer Mafia zusammenschlossen, die nur Einheimischen offen stand. Damals hatte ich allerdings noch keinen Begriff von der Mafia und ihren Geschäftszweigen und machte mir kein Kopfzerbrechen über Corleones Ablehnung mit Drogen zu handeln. Der Anschlag auf sein Leben wird nämlich dadurch verursacht. Seine Söhne Michael und Sonny rächen zwar ihren Vater, können die Entwicklung, die das organisierte Verbrechen nach der Aufhebung der Prohibition aber auch nicht aufhalten. Haben sie also eine andere Wahl?

50 Jahre Der Pate

Don Vito Corleone war noch ein Mafiaboss der alten Schule: Er setzte sich für Hilfsbedürftige ein und kämpfte für Gerechtigkeit für die Seinen. Aber natürlich sind seine Einnahmequellen nicht mit dem katholischen Glaubensbekenntnis vereinbar: Don Vito Corleone verdient sein Geld mit Glücksspiel, Bestechung, Erpressung, Schmuggel und Alkoholhandel. Er hatte nach seiner Flucht aus Sizilien ein Imperium aufgebaut und nun sollen es seine Söhne übernehmen. Aber nicht um jeden Preis.

Lieblingszitate aus dem Paten für den Alltagsgebrauch

Der Pate wurde zu einem internationalen Bestseller mit mehreren Millionen verkauften Exemplaren. Die Verfilmungen von Francis Ford Coppola, für die Mario Puzo mit ihm die Drehbücher schrieb, wurden weltweit sogar von über eine Milliarde Zuschauer gesehen. Gerne werden immer wieder Zitate aus dem Buch und den Filmen im Alltag verwendet. Und es gibt längst mehrere Best of Listen der beliebtesten Zitate aus dem Paten. Wir halten uns hier an die Originalsprache. Das bekannteste ist wohl: “Some Day, And That Day May Never Come, I Will Call Upon You To Do A Service For Me.” Wer einen Gefallen verlangt, der muss auch damit einverstanden sein, dass er eines Tages zurückgefordert wird. Der Satz klingt wie eine Drohung, ist aber ein offenes Versprechen, denn der Tag kommt ja vielleicht doch nicht. “Revenge Is A Dish Best Served Cold.” Ein Zitat das auch Tarantino in “Kill Bill” verwendete mag zwar nicht vom Paten erfunden worden sein, aber er machte es mit Sicherheit populär.

I Believe In America.

Zuletzt vielleicht sei noch das kürzeste Zitat aus dem Paten erwähnt: “I Believe In America.” Die Worte in dessen Zusammenhang dieser Satz fällt sind voll beißender Ironie und Zynismus, denn Amerika, das Land der Verheißung, kann für manche auch das genaue Gegenteil bedeuten. Und für die Rache für das Geschehene ist es dann wohl doch gut, einen Vito Corleone zu haben. Wer macht sich schon gerne selbst die Hände schmutzig?

Mario Puzo hat mit seinem Roman ein Werk geschaffen, von dem man wohl noch in 100 Jahren sprechen wird. Wer dann noch mitreden möchte, sollte so bald wie möglich das Buch lesen.

 

MARIO PUZO
Der Pate. Roman
(Originaltitel: The Godfather)
Aus dem amerikanischen Englisch von Gisela Stege
Mit einem Vorwort von Francis Ford Coppola
640 Seiten | Gebunden mit Farbschnitt | Großformat 12,5 x 20,5 cm
€ (D) 24,90 | sFr 34,– | € (A) 25,60
ISBN 978 3 311 12510
Kampa Verlag


Genre: Amerika, Aufstieg, Krimi, Literaturverfilmung, Mafia, Roman
Illustrated by Kampa

Katzen und der Sinn des Lebens

Katzen und der Sinn des Lebens. Natürlich ist allein die Frage nach dem Sinn des Lebens gerade in Tagen wie diesen purer Luxus. Ebenso lapidar fällt denn auch die Antwort aus: leben. Das ist auch die Antwort die Katzen geben würden. Denn es ist genau das, was sie tun: leben.

Das Glück der struppigen Vierbeiner

Feline Philosophy” lautet der vorliegende Text im englischen Original, wo das Buch erstmals 2020, im Pandemiejahr, erschien. “Katzen ist ein Glück angeboren, das Menschen oft nicht erreichen”, heißt es darin etwa, weil der Mensch unablässig danach strebe etwas zu sein, was er nicht ist, während die Katzen einfach sie selbst sind. Ausgehende von der Phänomenologie Platons bestreitet Gray diese, indem er behauptet, dass jede einzelne Katze einzigartig ist und sogar mehr Individuum als so mancher Mensch. Anhand mehrerer Beispiele aus der Literaturgeschichte oder einfachen Erzählungen, weist Gray in Folge dann nach, was an dieser Einzigartigkeit der Katzen dran ist. Natürlich stets mit philosophischem Augenzwinkern und dem Ernst des Themas angemessen. Die sog. Selbstbewusstheit des Menschen habe die immerwährende Unruhe geweckt, von der uns die Philosophie vergeblich zu kurieren suche, schreibt Gray.

Vorbildhafte Katzen in der Menschengeschichte

Nicht erst seit Michel de Montaigne, dem Begründer des modernen Humanismus und Katzenliebhabers, wissen wir, dass vielmehr die Katzen mit uns spielen als wir mit ihnen. In der Geschichte “Mèos Reise“, dem ersten Beispiel von John Grays Katzenapotheose, wird die innige Beziehung eines GIs zu seiner vietnamesischen Katze, Mèo, beschrieben, die der amerikanische Soldat vor dem Massaker von Hué errettete. Und obwohl das Schicksal dieser einen Katze im Verhältnis zu 58.000 US-Soldaten und zwei Millionen vietnamesischen Zivilisten obszön ist, vermochte es die Katze doch zumindest ein Menschenleben zu verschonen: das des Erzählers, dem GI. Auch andere Katzen aus fernöstlichen und anderen Kulturen werden von John Gray um ihre Bedeutung für den Menschen festzuhalten erwähnt: Colette’s Saha, Highsmith’s Ming, Jun’ichiro’s Lily, Gaitskill’s Gattino, Berdjajew’s Murris, etc.

Katzen und der Sinn des Lebens

Katzen bringen keine Asphaltiere oder Anführer hervor, sie leben lieber alleine als im Rudel und kooperieren doch, wenn es draufkommt. Sie ordnen sich nie unter und gehorchen oder huldigen nicht, wenn sie gehen wollen, gehen sie, wenn sie bleiben wollen, bleiben sie aus ihrem eigenen Wunsch. Sie sind so ehrlich wie kein Mensch es vermöchte zu sein. “Während Glück bei Menschen ein künstlicher Zustand ist, ist es bei Katzen die Verfassung, die ihrer Natur entspricht.” Wir lieben Katzen, weil sie so anders sind als wir selbst und vielleicht auch, weil sie uns an unseren eigenen Tod gemahnen. John Gray zitiert Ernest Becker, wenn es um die Grausamkeiten des Menschen gegen den Menschen geht, ihre Lebenslügen und Ideen für die sie zu sterben vorgeben. Schon Wittgenstein aber wusste, dass nur jene ewig leben, die in der Gegenwart leben (“Unzeitlichkeit”) und genau das tun unsere Katzen: sie sind sterbliche Unsterbliche, leben ihrer Natur entsprechend und sind das, was sie am besten können. Sie selbst.

Ganz nebenbei lernen wir mit vorliegender unterhaltsam geschriebener Lektüre auch viel über andere Philosophen wie etwa Epikur, Lukrez, Seneca, Pascal, Spinoza, Comte und vor allem über den Sinn des Lebens: zu leben. Eine gute Einführung zu John Grays philosophischen Betrachtungen geben auch die vom Verlag auch online (im Buch im Anhang am Ende) zugänglich gemachten “10 Tipps von Katzen an Menschen” über den Sinn des Lebens. Hier abrufbar!

John Gray
Katzen und der Sinn des Lebens
Philosophische Betrachtungen
Übersetzer:in: Jens Hagestedt
2022, Hardcover, 159 Seiten
ISBN: 978-3-351-03923-3
Aufbau Verlag
22€

 


Genre: Abendland, Katzen, Lebenskunst, Philosophie, Ratgeber
Illustrated by Aufbau Berlin

Kant. Erzählung. Krimi.

Kant. Ein knallharter Hard-boiled Krimi des deutschen Literaturgenies Fauser

Kant. “Im Auge des Tiger ist kein Platz für eine Ameise.” Das einzigartige und unglaubliche Werk Jörg Fausers zeitigte auch einige Krimis. Einer davon ist “Kant“, der als Fortsetzungsroman für die Zeitschrift Wiener geschrieben wurde und erstmals 1987 auch als Taschenbuch erschien.

Kant: Showdown im Playtime

Hezekiel Kant, Privatdetektiv, hat einen chinesischen Freund: Jimmy Chang. An dem muss auch Dr. Eduard Kopmann erst einmal vorbeikommen, bevor Kant seinen Auftrag annimmt. Es geht um seine Tochter. Tutti Kopmann. Und seine Frau. Lisa Kopmann, 41, seit 16 Jahren mit ihm verheiratet und die gemeinsame Tochter, 15. Kopmann Einkäufer für Spumex setzt Kant auf Lisa an. Denn das Vertrauen ist nach 16 Jahren Ehe zerrüttet. Der Kant folgt ihr alsbald ins Playtime und erfährt einiges über die Vergangenheit von Lisa. Bei einer Zigarre und Kaffee. Manchmal auch ein Bier. Oder ein ordentliches Quantum Whisky.

Milieustudien als Metier

Das Milieu in das Fauser seinen Protagonisten schickt dürft ihm selbst auch nicht so unbekannt gewesen sein. Seine Schilderungen des zur Schau gestelltem Pömps sprechen eine deutliche Sprache, wo der allzu früh verstorbene Schriftsteller seine Nächte verbracht hatte, bevor er zu schreiben anfing. Seinen Kant lässt er im Astra wohnen, einer billigen Absteige im Chinesenviertel von München. Für ihn hatte strategisches Denken schon lange das Krafttraining ersetzt. Denn wer im Milieu lebt, schwimmt darin wie ein Fisch im Wasser. Die Forderung nach einem Lösegeld von 500.000 Mark ist aber selbst für Kant etwas zu hoch gegriffen. Denn wie viel müsste der Kopmann dann mit der Spumex schon gemacht haben? Und Sparen gehört ja jetzt nicht unbedingt zum Metier der Kopmanns.

Charakterstudien im Yakuza-Stil

Huren machen für Geld gut, was andere für Liebe schlecht machen.” Ein gewisser Felix Esterhazy spielt aber auch eine wichtige Rolle in diesem Krimi im Münchner Künstler- und Rotlichtmilieu. Denn Max der Galerist verkauft gefälschte Klees und auch unzüchtige Fotos. “Als Lisa Kopmann den Telefonhörer auflegte, war es in dem großen Raum so still, dass Kant den Eiswürfel in seinem Whiskyglas schmelzen hörte.” Und langsam schmilzt auch das Eis in Kants Kopf, denn plötzlich kann er sich über die Clique mit der er es hier zu tun hat, ein Bild machen. Ein dezenter Hinweis auf Fausers Inspiration, den Film Yakuza (1974), befindet sich auch in der Erwähnung Robert Mitchums, denn der Autor liebte das Augenzwinkern nicht nur beim Schreiben. “Im Auge des Tiger ist kein Platz für eine Ameise.

Ein echter Fauser, der seine amerikanischen Vorbilder nicht verhöhnt, sondern offen in seinen Widersprüchen fusioniert. Flott geschrieben und unterhaltsam, zudem voller Inspiration für eigene Geschichten.

Jörg Fauser
Kant. Erzählung
Mit einem Nachwort von Helene Hegemann
2021, Hardcover Leinen, 128 Seiten
ISBN: 978-3-257-07169-6
diogenes Verlag
€ (D) 20.00 / sFr 27.00* / € (A) 20.60


Genre: Crime noir, Erzählung, Hard-boiled Krimi, Krimi, Noir
Illustrated by Diogenes Zürich

Verführungen. Fotobuch.

Fotobuch der Stuttgarter Fotografin und Sängerin

Verführungen. Der erste Bildband der bekannten Fotografin Tina Trumpp zeigt die hohe Kunst der Aktfotografie aus weiblicher Sicht. Eine Ode an die Sinnlichkeit und zugleich eine Hommage an eine Ära: Burlesque, Glamour, Vaudeville.

Verführungen: Hommage an die Jazz Ära und eine Lebensstil

Auch wenn der Großteil der Fotografien der Fotografin Tina Trumpp zwischen 2017 und 2021 entstanden sind, zeigen sie doch eine längst vergangene Zeit. Beim Betrachten der Bilder denkt man Brokatvorhänge, Marmordekor, Federboas und Ledersofas. Ein Touch von SM durchweht die Bilder, aber auch ein Hauch von der Sinnlichkeit einer vergangenen Ära. Tina Trumpps Femmes Fatales präsentieren sich in opulenten Barock-Gärten mit Marmorstatuen oder sittsam gestylten Schlafzimmern. Stets ist das Licht etwas verhüllend, verdunkelnd, ganz so, als würde ein Geheimnis hinter dem direkten Blick in die Kamera stecken. Selbst wenn die Augen manchmal leicht geschlossen sind, ist dieser Blick zu spüren, ein Blick der mehr als tausend Worte sagt und doch nicht schweigt. Die Titel, die Tina Trumpp ihren verführerischen Fotografien gegeben hat, wirken wie ein Versprechen auf den Betrachter: The Muse of Brahms, You’re My Thrill, Sentimental Journey, J’attendrai Ton Retour, The Apple, Fairy Tail, Wild is the Wind. Viele der Bilder sind in Stuttgart entstanden, einige auch in Paris, aber der Ort spielt eigentlich keine Rolle, denn die Intimität, die durch die Fotos hergestellt wird, würde selbst den Mars zu einem bewohnbaren Planeten machen.

Aktfotografie mit Frau hinter und vor Objektiv

Tina Trumpp ist wohl mehr als eine Fotografin. Viel eher eine Fotokünstlerin, denn sie kreiert mit natürlichem Licht und weichen Zeichnungen eine eigene erotisches Weiblichkeit. Vielleicht am ehesten als auf sinnliche Weise inszenierte Tableaux Vivants, also wie Malerei einer vergangenen Epoche zu beschreiben. Eine ganz eigene Welt zu erschaffen, die mit nichts zu vergleichen ist und dennoch an so manche exotische Tagträume eines vergangenen Paradieses erinnert. Mit einer Einzelausstellung mit dem Titel „Shades of Sensuality“ machte die Stuttgarter Fotografin erstmals 2016 auf sich aufmerksam. Seitdem gehört sie in dem leider doch nur von Männern dominierten Genre zu den besten ihres Berufsstandes. Vor dem letzten Lockdown war in der Leica Galerie Stuttgart zudem ihre Ausstellung „Verführungen“ zu sehen. Einige dieser Bilder werden nun im vorliegenden Fotoband im Großformat 27,5 x 34 cm erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Außerdem wurde sie mit dem 14th Annual Black & White Spider Award 2019 (Serie ‘Room With A View’) in der Kategorie Nude ausgezeichnet und erhielt den Silver Award in The Moscow International Foto Awards 2019 mit ‚Love Me Like A River Does‘, Kategorie Fine Art Nudes. Ihre Bilder wurden in internationalen Galerien unter anderem in München, Zürich, Salzburg und Paris ausgestellt. Übrigens: Tina Trumpp (Jahrgang 1974) singt auch, passend zu ihren Bildern: Jazz.

Tina Trumpp
Verführungen. Fotobuch.
2021, Hardcover, 208 Seiten, 111 Farb- und Schwarz-Weiss-Fotografien
ISBN: 978-3-96171-353-0
teNeues Verlag
€ 50,00


Genre: Foto, Fotografie, Frauen, Jazz
Illustrated by teNeues