Labyrinth Tokio

Wer Japans Hauptstadt Tokio bereits im Titel seines Führers ein »Labyrinth« nennt, weiß, wovon er spricht. Tatsächlich gilt es immer noch als Abenteuer, sich individuell und ohne Sprachkenntnisse in der 13-Millionen-Metropole zu bewegen. Häufig fehlen Straßennamen, das Hausnummern-System gleicht höherer Mathematik und ist oft in der Reihenfolge der Bauanträge geordnet. Taxifahrer kennen sich nur grob aus, und zu allem Überfluss ist Englisch für viele Japaner ein Buch mit sieben Siegeln.

Dennoch wagt es Axel Schwab, seinen Leser in das Tokio zwischen Mythos und Moderne zu locken. Er liefert dazu keinen Reiseführer im klassischen Gewand. Der Autor schlägt vielmehr 29 Touren im Zentrum und weitere neun in der näheren Umgebung vor, die auch die Sehenswürdigkeiten umfassen.

Besonderer Pfiff des Buches sind zweisprachig gehaltene Kartenausschnitte von den jeweiligen Routen. Einige davon sind mit QR-Codes ausgestattet. Mit einem Smartphone lassen sich diese Pixelkästchen entschlüsseln und führen zu detaillierten Online-Straßenkarten.

Axel Schwab hat jahrelang in Tokio gelebt und als Ingenieur für einen Automobilhersteller gearbeitet. Er arbeitet ständig an der Weiterentwicklung seines sorgfältig erstellten Vademecums, das mit 90 Fotos, 42 Karten, 260 Internet-Links und 20 Online-Karten lockt. Darüber hinaus ist der Verfasser für interessierte Leser per E-Mail erreichbar.

Derart gut ausgerüstet verfügt der Leser mit dem Buch über einen Ariadnefaden, mit der er das Layrinth Tokio betreten und sicher wieder herausfinden kann.


Genre: Reisen
Illustrated by BoD Norderstedt

Rotbartsaga. Die Abenteuer eines legendären Schiffskaters

Im Mittelpunkt des literarischen Schaffens von Journalist, Online-Redakteur, Buchautor und Blogger Wolfgang Schwerdt steht seine ausgeprägte Vorliebe für Samtpfoten. Gern gelesen habe ich Schwerdts Bücher »Die Schwarzbärflotte. Wahre Geschichten über seefahrende Katzen« und »Die Abenteuer des legendären Schiffskaters Rotbart«. Doch wer hätte geahnt, dass gerade aus letzterem Werk ein umfangreiches literarisches Projekt erwächst, das die Kraft des Autors inzwischen in vollem Umfang fordert?

Schwerdt arbeitet nämlich daran, sämtliche Reisen von Rotbart aufzuzeichnen und taucht dazu tief in die oft ereignisreiche Geschichte der Seefahrt ein. Die Abenteuer des legendären Schiffskaters spielen in einer Zeit, als die noch kaum richtig entdeckte »neue« Welt bereits zwischen den europäischen Handelsmächten hart umkämpft war.

Geplant sind fünf Bände über die Seereisen des Schnurrbärtigen, der vorliegende erste Band bezieht sich sowohl auf die Story, wie Rotbart zum Schiffskater wurde, als auch auf die Entdeckung der Rotbartgeschichte selbst. Dieser Einstieg in die Geschichte macht – in der klassischen Papierausgabe – zugleich deutlich, was der eigentliche Pfiff des Projekts ist: Der Autor baute zahlreiche QR-Codes in den laufenden Text ein, mit dem der Leser mit seinem Smartphone sofort auf verlinktes Hintergrundwissen im Internet zugreifen kann.

Diese zusätzlichen Möglichkeiten sind für den Lauf der Handlung keinesfalls zwingend. Sie erlauben aber, sich bei Interesse sehr viel tiefer in den Hintergrund und die Welt der Seefahrt einzuarbeiten. Hinter den Pixelkästchen verbergen sich Links zu sorgfältig ausgesuchten Sachartikeln, Museumsvideos oder unterhaltsamen und informativen Geschichtsmagazinen seriöser wissenschaftlicher Institutionen, die als eine Art hochwertiger Zusatznutzen abgerufen werden können.

Neben einer spannenden Geschichte, die in einem kleinen Gasthof in Hessen beginnt, wo eine geheimnisvolle Karte auftaucht, erhält der Leser damit Zugriff auf eine Datenbank des Wissens, die ihn umfassend in die Welt entführt, die Schiffskater Robert bereist. SmartConEnt-Konzept nennt Wolfgang Schwerdt diese Art des neuen Lesens, die das reine Lesevergnügen keinen Augenblick lang beschwert. Denn die Rotbartsaga ist in erster Linie ein historischer Katzenroman, der voller humoriger wie abenteuerlicher Ereignisse steckt, die das Lesen zum Vergnügen machen.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by CreateSpace Independent Publishing Platform

Handbuch für Autorinnen und Autoren

Sandra Uschtrin ist ein Urgestein in der deutschen Verlagslandschaft. Seit 30 Jahren hat sie sich die Fort- und Weiterbildung von Autoren auf die Fahnen geschrieben. 1985 erschien – damals noch im Grafenstein-Verlag – ihr erstes Handbuch, das sich dem Berufsfeld des Autors widmete. Damals stand sie ganz allein auf weiter Flur. Von einigen Zuschussverlagen abgesehen gab es niemanden, der sich für den Nachwuchs interessierte und ihn als Zielgruppe erkannte.

Drei Jahrzehnte später legt die agile Publizistin, die außerdem noch das zweimonatliche, 1998 von Titus Müller gegründete Fachmagazin »Federwelt« herausgibt, die inzwischen achte Ausgabe ihres viel gerühmten Handbuchs vor. Inzwischen steht sie längst nicht mehr allein auf dem Markt der Ratgeber für Autoren. Es herrscht vielmehr ein reger Wettbewerb zwischen Verfassern mehr oder weniger nützlicher Nachschlagewerke und Ratgeber für jeden, der schreibt. Außerdem hat sich der Markt vollkommen geändert. Denn mit der Einführung der E-Book-Plattform Kindle Desktop Publishing (KDP) durch die Firma Amazon ist eine Heerschar Self-Publisher an den Start gegangen, die hungrig nach Hilfestellungen für die Vermarktung der eigenen Bücher sucht und jede greifbare Information aufsaugt.

Tief in das Dickicht der geheimnisvollen Verlagswelt schlägt die nunmehr achte völlig überarbeitete und erweiterte Auflage des »Handbuch für Autorinnen und Autoren« eine Schneise und bietet Orientierung. Dabei entspricht der Aufbau der 700 Seiten starken Bibel den Veränderungen des Marktes. Der Band startet mit dem Thema »Self-Publishing und Marketing« und kommt erst ganz zum Schluss zu dem Bereich, der früher den Einstieg ins Handbuch darstellte: den Verlagen. Das ist konsequent, schließlich lautet heute nicht mehr die entscheidende Frage, wie ein Neueinsteiger einen Verlag für sein Manuskript findet. Die Frage ist vielmehr, ob das Werk selbst herausgegeben oder in die Hände Dritter gelegt wird. Die Torhüterfunktion der Verlage alter Prägung ist Geschichte. Autoren entscheiden inzwischen selbst, wann, wo und in welcher Form sie ihre Werke publizieren.

Um diese Veröffentlichung möglichst professionell im Buchmarkt zu positionieren, spielt das Marketing eine entscheidende Rolle. Vom Lektorat über die Umschlaggestaltung, von der Bedeutung der eigenen Online-Aktivitäten über das Autorenporträt, von der Entscheidung, eine PR-Agentur zu beauftragen und dem richtigen Umgang mit Rezensenten, Bloggern und Literaturagenten – es gibt kein Thema, das in dem Handbuch nicht ausführlich behandelt wird. Aber auch Spezialgebiete wie das Verfassen von Heftromanen, das Schreiben fürs Theater, die Produktion von Hörspielen und das Drehbuchschreiben für TV-Serien werden in eigenen Kapiteln ausführlich dargestellt.

Herzstück der der neuen Ausgabe aber ist ein umfangreicher Kommentar zum neuen Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen. Ein Anwalt erklärt, worauf geachtet werden sollte, wenn ein Verlagsvertrag abgeschlossen wird und welche Verhandlungsspielräume es gibt. Allein diese Ausführungen lohnen die Anschaffung des Standardwerkes, gilt es doch, bereits im Vorfeld von Entscheidungen mögliche Fehler zu vermeiden.

Sandra Uschtrin weiß, dass es eine Gratwanderung ist, ein Handbuch für Autoren zu schreiben. Dabei ist sie zuversichtlich und erhöht, nachdem die letzte Ausgabe nahezu vergriffen ist, die Auflage für die vorliegende Ausgabe auf 8.000 Exemplare. Inhaltliche Qualität, sorgfältigste redaktionelle Aufbereitung und eine gediegene Aufmachung werden dafür sorgen, dass der Band geschwinde Verbreitung in den Kreisen der Wortschaffenden finden wird.


Genre: Ratgeber
Illustrated by Uschtrin München

Lady Cardington und ihr Gärtner

Der Titel »Lady Carington und ihr Gärtner« erinnerte mich anfangs an »Lady Chatterley’s Lover« aus dem Jahre 1928. Der Roman von D. H. Lawrence wurde vor allem wegen seiner erotischen Szenen berühmt, in den USA als »obszön« verboten und auch von Deutschlands Katholiken unterdrückt. Kolars Roman ist jedoch anders. Weiterlesen


Genre: Liebesroman, Romane
Illustrated by Kindle Edition

Nie ohne Geister

Die Kneipe, die Renate Hupfeld in der ersten Geschichte dieses Bandes schildert, kommt mir bekannt vor: In jungen Jahren besuchte ich gern den »Star-Club« in Bielefelds Jöllenbecker Straße. Dessen Eigenheit bestand daran, dass direkt neben dem Lokal ein Friedhof lag, auf den sich der eine oder andere Zecher verirrte, um alsbald schreckensbleich und ernüchtert wieder zurückzukehren. Nun weiß ich nicht, ob die Autorin eben diesen Ort vor Augen hatte, als sie ihre Erzählung zu Papier brachte, aber es wäre durchaus möglich. Denn auch Jimmys Kneipe mit dem eindrucksvollen Namen »Totenschlucht« ist ein Tanzschuppen, der am Ende eines Gottesackers liegt. Hier treffen sich die Herren der Umgebung, um die kleinen schnuckeligen Tanzgeister abzuschießen, die sich zum Schwofen einfinden.

Siggi ist einer von ihnen, der sich von einer Frau mit pechschwarzen Haaren magisch angezogen fühlt. Doch als sie dann zur Geisterstunde miteinander tanzen, möchte er am liebsten fliehen. Sie quatscht ihn voll, sei ihm angeblich schon in einem früheren Leben begegnet. Außerdem ist die grell geschminkte Dame recht dürr, Siggi hat gar den Eindruck, mit einem Gerippe zu tanzen. Er ist froh, sie endlich wieder an ihren Tisch bringen zu können und stürzt ins Freie, um frische Luft zu schnappen. Dabei landet er auf dem benachbarten Friedhof. Ein unheimlicher Gesang lockt ihn an, und plötzlich schwebt ihm auch schon seine kuriose Tanzpartnerin zwischen den Gräbern entgegen …

Die unheimliche Tänzerin und andere Gespenster geistern durch die Geschichten, die Renate Hupfeld erzählt. Da ist von Wiedergängern, Trollen und Feen die Rede, die ihr Unwesen treiben und die Lebenden irritieren.

In der Erzählung »Eispalast« geht es beispielsweise um die Nahtoderfahrung einer Abfahrtsläuferin, die mit ihrem Sohn in eine Nebelbank gerät und in das Reich der Eismonster eintritt. Mit letzter Willenskraft kann sie sich aus der Finsternis, die sie umfängt, losreißen und mit ihrem Jungen ins Leben zurückkehren.

Dass die Autorin ein Faible für Zwischenwesen hat, weiß ich bereits aus ihrer Story-Sammlung »Hammfiction«. Hier las ich erstmals vom »Hammamunga«, einem Geschöpf, das sich das westfälische Hamm als Lebensraum gewählt hat. Auch diese Geschichte ist in diesem Band zu finden, so dass »Nie ohne Geister« Lust macht, auch die anderen Bücher von Renate Hupfeld zu durchstöbern.


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Kindle Edition

Und Johnny zog in den Krieg

Nach den ersten Seiten blättere ich irritiert zurück, das Lesen fällt mir aufgrund fehlender Satzzeichen im ersten Moment schwer. Ist dieses Buch vielleicht keinem Korrektor begegnet? Hasst der Verlag Kommata? Oder hat der Verzicht auf Interpunktion, von Satzschlußzeichen einmal abgesehen, Methode?

Eine Rückfrage beim Verlag klärt auf: Dalton Trumbo, der Verfasser des Werkes, setzte in seinem Original die fehlende Interpunktion als bewusstes Stilmittel ein, und die Herausgeber der deutschen Übersetzung wollen diesem entsprechen. Und tatsächlich geht es recht schnell, bis ich in einen permanenten Gedankenfluss eintauche, der von dem US-Autor ausgebreitet wird. Wie ein Mahlstrom zieht mich der ungewöhnliche Text tief in das unheimliche Grauen, das seinen Er-Erzähler umgibt.

Aus dieser ungewöhnlichen literarischen Erzählperspektive belichtet Trumbo nämlich einen grausigen Film: Johnny Bonham, ein blutjunger amerikanischer Soldat, der in den Krieg gelockt wurde, erwacht in einem Krankenhaus. Nach und nach realisiert er, dass ihm Arme und Beine amputiert wurde, dass er taub ist und sein halber Kopf weggesprengt wurde. Er vegitiert als Torso und fühlt sich bald wie ein Embryo im Mutterleib – Felix Gebhart hat es anschaulich in der Titelvignette gezeichnet. Der Mann, der bewegungsunfähig auf seinem Krankenbett liegt, kommt sich vor, als sei er als ausgewachsener Mensch wieder in den Mutterleib zurückgestopft worden. Doch anders als ein Kind, das ins Leben wächst und eines Tages den Kokon in die Freiheit verlassen darf, wird ihm diese Freiheit nie mehr vergönnt sein. Er ist für den Rest seines Lebens ans Bett gekettet!

Lediglich Erinnerungen sind ihm geblieben, und so blendet er in Analepsen nach und nach Szenen aus dem Leben eines glücklichen jungen Mannes ein, der in den Krieg zog, um zweifelhafte Werte und Freiheiten zu verteidigen, die nicht die eigenen waren. Als hätte er einen zweifelhaften Lotteriegewinn gezogen, zählt er jedoch nicht zu den Millionen Opfern, die auf dem Schlachtfeld blieben. Er hat überlebt, und doch ist sein Leben vorüber. Irgendwo in seinem Bauch steckt ein Schlauch, der ihn mit Nahrung versorgt. Lediglich sein Bewusstsein ist noch vorhanden und aktiv, obwohl das niemand registriert. Sein Körper ist unfähig, mit seiner Umwelt zu kommunizieren, und er spürt nur am Vibirieren des Bettes, wann sich eine Pflegerin nähert, um seinen jämmerlichen Rest zu waschen und seine Stümpfe zu versorgen.

Drei Jahre oder noch länger versucht er, anhand der wenigen Möglichkeiten, die ihm seine eingeschränkte Wahrnehmung erlaubt, die Nacht vom Tag zu unterscheiden, den Stand der Sonne zu erkunden, die unterschiedlichen Schwestern zu erkennen. Er spürt, dass ihm im Nebel seines Zustandes ein schwerer Orden an die Brust geheftet wird und möchte am liebsten laut herausschreien, dass ihm nicht einmal die Freiheit der Entscheidung zugebilligt wird, das Blech aus dem Fenster zu werfen.

Als er schließlich eine besonders feinfühlige Schwester erspürt, nimmt er mit ihr Kontakt auf, indem er mit seinem Hinterkopf Morsezeichen auf das Kopfkissen klopft. Tatsächlich versteht sie sein Bemühen und mit Hilfe eines Funkers kann er sich mühsam äussern. Johnny schlägt den Ärzten im Funkkontakt vor, seinen verstümmelten Körper als Mahnmal gegen den Krieg auszustellen. So gewänne sein Leben einen Sinn. Doch das verstößt gegen die »Vorschriften« und sicherlich auch gegen alles, was Kriegstreiber und Militärs für wertig halten. Sein Vorschlag wird abgelehnt.

Dalton Trumbos Anti-Kriegsroman ist neben seiner stilistischen Kunstfertigkeit schon aus dem Grund wichtig, weil die Generationen, die den letzten Krieg überleben durften, inzwischen nahezu ausgestorben sind. Dies mag auch einer der Gründe sein, warum in der jüngsten Geschichte wieder viel von Krieg und Völkerschlacht die Rede ist. Dass dabei die USA, die den bekennenden Kommunisten Trumbo wegen »unamerikanischer Umtriebe« ins Gefängnis warf und ihn als gefragten Hollywood-Regisseur mit Berufsverbot belegte, wieder einmal die führende Rolle spielt, wundert wenig.

Während also die Amis A-10-Thunderbolt-Kriegs»Warzenschweine« über meinem Kopf nach Deutschland einschweben lassen, lese ich diesen Roman und schaue betroffen in die Zukunft …


Genre: Romane
Illustrated by Onkel und Onkel

Krieg und Frieden

249.551 Wörter umfasst der Koloss, den uns Lew Tolstoi hinterlassen hat. Dividiert man diese Zahl durch 300 Wörter pro Minute, das ist die durchschnittliche Geschwindigkeit eines erfahrenen Lesers, dann ergeben sich insgesamt 831 Minuten, also 13,85 Stunden.

Lew (Leo) Nikolajewitsch Graf Tolstoi brauchte für den Schinken wesentlich länger. Er schrieb von 1863 bis 1869 an seinem durch seine erzählerische Weite und Tiefe beeindruckenden Panorama der Zeit zwischen 1805 und 1820 vor dem Hintergrund der Napoleonischen Kriege.

Die Fertigstellung dieses monumentalen, über anderthalbtausendseitigen Romanepos ist undenkbar ohne die aufopferungsvolle Unterstützung durch seine kluge Frau Sophia Andrejewna, Tochter eines deutschstämmigen Arztes am Zarenhof. Sie übernimmt nicht nur die gesamte Organisation des Gutes, sondern findet ihre größte Freude darin, Tolstois unleserliche Manuskripte in Reinschrift zu bringen. In langen Nächten dechiffriert sie dessen Hieroglyphen, ergänzt unvollständige Sätze und Wörter und schreibt die von Tolstoi wieder und wieder überarbeiteten Fassungen insgesamt siebenmal ab.

Um sein Werk ungekürzt zu veröffentlichen, greift der Autor tief in die Tasche und zahlt dem Verleger P. I. Bartenjew einen Druckkostenvorschuß von 4.500 Rubel. Tolstoi ist damit einer der ersten Self-Publisher.

Sein Beispiel steht dafür, dass es sich lohnen kann, selbst aktiv zu werden und sein Werk mit eigener Kraft und auf eigene Kosten zu veröffentlichen. Die erste Auflage von »Krieg und Frieden« war jedenfalls binnen weniger Tage vergriffen, und noch heute lesen wir gern den Roman des Grafen, der die Moral und Lebensweise der Herrschenden seiner Zeit spiegelte und ihnen einen »christlichen Anarchismus« entgegensetzte.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Null Papier

Verhüllt um zu verführen – Die Welt auf der Orange

index Bereits vor Jahren hat die Stiftung Buchkunst den Titel »Verhüllt um zu verführen – Die Welt auf der Orange« als eines der schönsten Bücher des Landes ausgezeichnet. Ansonsten würde ich jetzt unverzüglich einen weiteren Pokal aus dem Ärmel zaubern und dem Potsdamer Vacat Verlag überreichen. Denn er hat mit der Veröffentlichung einen bibliophilen Sonnenschein vorgelegt, der in jeder Hinsicht ein leuchtender Stern am Bücherhimmel ist.

negrovitaminoDas federleichte 50-Gramm-Papier des Innenteils ist nur von einer Seite bedruckt und in der Mitte in der Tradition der Japanbindung gefaltet. So entsteht einerseits Volumen, andererseits wird das Durchscheinen der rund 500 farbigen Abbildungen verhindert. Der Buchblock wurde darauf in einen orangefarben-marmorierten festen Deckel gehängt und mit gelbem Kaptalband verziert. Ein hauchzarter Schutzumschlag nimmt die Marmorierung des harten Deckels auf und erweckt den Eindruck, als sei das Werk mit leicht angeknittertem Orangenpapier umhüllt. Kurz: Dieses Buch wirkt optisch wie haptisch bereits derart ansprechend, als sei sein Inhalt nur umhüllt, um zu verführen.

sirenaGeht der Rezensent eines Buches üblicherweise auf dessen Inhalt ein und befasst sich damit, ob und wie der jeweilige Autor sein Thema bezwungen hat, so sei dies ein Lobgesang auf den Geschmack und die Kunstsinnigkeit, mit der die Buchmacher dieses Kleinod ausstatteten und fertigten. Selten ist mir in der jüngeren Geschichte der Buchkunst ein Druckwerk in die Hände gefallen, bei dem Form und Inhalt derart punktgenau übereinstimmen. Denn auch inhaltlich geht es um etwas ausserordentlich Zartes, nämlich um die Vielfalt der bedruckten Papierchen, mit denen früher die Äpfel der Götter umhüllt wurden.

brigantinaApfelsinen, wörtlich »Äpfel aus China/Sina« sind jene oft zitierten »goldenen Äpfel«, die bereits im Altertum eine Hauptrolle spielten. Im Mythos wuchsen sie im Garten der Hesperiden, den Töchtern der Nacht. Bewacht wurden die Orangen von der drachenköpfigen Schlange Ladon. Der Olympier Herakles wurde von König Eurystheus von Mykene ausgesandt, um diese wertvollen Äpfel zu rauben. Der Held erschlug das Wächtertier, brachte die Früchte seinem Auftraggeber und bewältigte damit eine der zwölf »Herkulesaufgaben«. Und auch in dem vom mir verehrten »Ring des Nibelungen« spielt die Götterfrucht eine wichtige Rolle, da Wotan den Erbauern der Burg Walhall die den Obsthain hütende Göttin der Jugend als Lohn versprach und dafür künftig auf »das jüngende Obst« verzichten wollte …

majoliErst seit rund hundert Jahren ist es aufgrund schnellerer Verbindungen möglich, die Götterfrucht auch ohne Hilfe von Göttern und Helden in unsere Gefilde zu expedieren. Dazu wurden die am Baum ausgereiften empfindlichen Orangen manuell gepflückt und liebevoll in mit sonnigen Motiven farbenfroh bedruckte Papiere gehüllt. Diese Einwickelpapiere sind derart ansprechend, dass sie leicht zum Objekt der Begierde von Sammlern werden können.

sunnygirlDirik von Oettingen, Autor des Buches, hortet wohl eine der weltweit umfassendsten Sammlungen von Orangenpapier in Kisten und Kasten. Neben der permanenten Präsentation in seinem virtuellen Orangenpapiermuseum, breitet er rund 500 dieser farbenfrohen Verpackungspapiere vor dem Leser des vorliegenden Buches aus. Er zeigt dabei die Unterschiede hinsichtlich der Provenienzen und Motive, erstellt eine Systematik und gibt nüzliche Tipps zur Aufbereitung und Sammlung der dünnen Papiere.

Dirik von Oettingen

Verhüllt um zu verführen – Die Welt auf der Orange

Vacat Verlag 2007 ISBN 978-3-930752-47-8

€ 28,00 • Erhältlich bei Amazon


Genre: Kulturgeschichte
Illustrated by Vacat Potsdam

Japan in Berlin

Einen nützlichen Reiseführer für Japan-Fans in Berlin liefert Axel Schwab mit diesem 88-seitigen Vademecum. Von den zahlreichen Japan-Restaurants an der Spree wählte er 36 Restaurants aus, die er zusammen mit Empfehlungen für 35 Geschäfte und anderen nützlichen Adressen kombinierte.

Mich freut, dass Schwab viele der Adressen, die ich selbst zu meinen Favoriten zähle, mit Bestnoten versieht. Dazu zählen das »Udagawa« mit feinsten Tempura-Spezialitäten (und einer leider schnell überforderten Bedienung, was Schwab indes gnädig verschweigt), das »Ishin« an der Steglitzer Schlossstraße mit einer sensationell günstigen Happy Hour und das »Daitokai« als wohl ältestes Japan-Lokal in Westberlin.

Toll ist auch, dass es in Berlin mittlerweile Zugang zum japanischen Tee und dem mit seiner Darreichung verbundenen Zen-buddhistischen Zeremoniell gibt. Auch hier weist Axel Schwab den Weg.

Neu entdeckt bei der Lektüre habe ich das »Sake Kontor«. in Berlin-Friedrichshain. Ich muss diese kurze Besprechung deshalb jetzt leider beenden, damit ich dort noch vor Ladenschluss eintreffe..


Genre: Reisen
Illustrated by BoD Norderstedt

Spannung – Der Unterleib der Literatur

Setzt ein gestandener Redakteur, Lektor, Kritiker, Literaturcoach ein Buch in die Welt, schauen Branchenkollegen gern genau hin: Begeht er hier oder dort einen unverzeihlichen Fehler? Sammelt er beim Spaziergang die berühmten drei Steine ein, um später fünf davon auf der heimischen Fensterbank zu drapieren? Rutscht er auf dem Parkett der Sprache, schlägt er rhetorische Purzelbäume? – Legen Sie sich beruhigt zurück, lieber Leser: Hans-Peter Roentgens Ratgeber kostet zwar als Elektrobuch nur ein paar Euro. Die Veröffentlichung ist jedoch bis zur letzten Zeile stimmig, informativ und spannend.

SPANNEND?

»Spannend soll ein Buch sein, das wünschen sich die Leser, und Autorinnen und Autoren möchten spannend schreiben«, schreibt der Verfasser gleich in der Einleitung. In erster Linie bezieht er diese Aussage auf das Schöngeistige. Doch ich behaupte, ein Sachbuch muss den Leser ebenfalls in Atem halten. Es muss Neues wie Altbekanntes auf eigene Art präsentieren, ihn packen, fesseln, in Bann schlagen. Auch ein Schreibratgeber sollte »spannend« sein, will er wirken und Spuren hinterlassen.

Spannung sei, so zitiert der Verfasser Erfolgsautor Andreas Eschbach, wenn der Leser einen Text nicht mehr weglegen kann. Weil er weiterlesen MUSS. Im Idealfall vergisst er, dass längst Schlafenszeit ist, kneift die Knie zusammen, weil er dringend auf die Toilette will. Aber er lässt es, denn dazu müsste er den Text weglegen …

Roentgen erzeugt Spannung, indem er weder erklärt noch doziert. Er baut geschickt Textproben, Fragestellungen und Übungen ein, bei denen der Leser viel erfährt und durch die eigene Brille prüfen kann. Er zeigt auf, wie wesentlich es für einen Autor ist, sein Thema sowie die handelnden Personen genau zu kennen. Denn nur so lässt sich einer Szene Tiefe schaffen, die den Stoff glaubwürdig macht. Kennt der Autor hingegen Sujet oder Akteure nur oberflächlich, dann wird seine Schilderung schwammig. Der Leser spürt das unbewusst, ohne es exakt formulieren zu können.

Wichtig dabei ist neben dem, was konkret im Text steht, all das, was nicht explizit ausgesprochen wird. Ich nenne diese unterschwelligen Botschaften »Subtext«. Roentgen spricht von »Lücken, die der Leser füllen muss«. »Erzählen«, so der Verfasser des Ratgebers, »ist immer eine Gratwanderung zwischen dem, was der Rezipient weiß, und dem, was er wissen möchte, was ihm der Autor aber nicht verrät.«

Letztlich geht es darum, über das zu schreiben, was der Verfasser selbst liebt oder hasst. Ein Text muss den Autor selbst berühren, nur dann bewegt sie auch den Leser. Hans-Peter Roentgen beherrscht und mag das Thema, das er sich mit diesem Ratgeber vorgenommen hat. Und er kann einiges dazu sagen, das vielleicht schon lange bekannt ist, aber hier in einem Zusammenhang vorgetragen wird, der plausibel ist. Im Ergebnis kann der Leser davon profitieren, indem er mit dem Roentgen-Blick sein Werk durchleuchtet.


Genre: Ratgeber
Illustrated by BoD Norderstedt

Cheng

Heinrich Steinfest, den ich über seinen Roman »Der Allesforscher« kennenlernte, blickt in »Cheng« durch eine sarkastisch-schwarz gefärbte Brille auf die Gesellschaft, auf die Wiener Schickeria insbesondere, und dort auf den Klüngel, der das gesellschaftliche Leben unserer Tage diktiert: Politfuzzis, Geldsäcke, Kunstbanausen, Professoren, Würdenträger, Pfaffen, Spitzensportler und deren gelangweilte Gattinnen.

Um diesen Abschaum zu schmähen, lässt er seinen Protagonisten, einen Chinesen, der das Land der Mitte nie gesehen hat, kein Wort Mandarin spricht und ansonsten gebürtiger Österreicher ist, wie eine Comic-Figur durch die österreichische Landschaft taumeln.

Der erfolglose Detektiv Cheng wird von einem Mann beauftragt, der leider kurz darauf erschossen wird und einen Zettel mit einer unverständlichen Botschaft im Einschussloch hinterlässt. Offenbar steckt eine Frau hinter dem Mord, denn bald meldet sich eine weibliche Stimme bei Cheng, schickt ihm eine geheimnisvolle Katze mit einer mysteriösen Botschaft und kidnappt den Ermittler kurz darauf zu allem Überfluss. Der ist jedoch ein im Grundsatz humoriger Typ, und so nimmt es ihn nicht sonderlich mit, dass er die Entführung nur knapp überlebt, dafür einen Arm opfern muss und künftig humpelt. Für seine künftigen Fälle, denn Cheng ist Steinfests Serienheld, bleibt ihm deshalb nur noch sein rechter Arm. Dumm gelaufen!

All das hat wenig mit einem klassischen Kriminalroman zu tun, obwohl es natürlich vordergründig um irgendwelche Verbrechen geht und auch die Wiener Mordkommission bald auftritt, um ihre Unfähigkeit zu beweisen. Nein, es geht dem Autor in erster Linie darum, den Leser in gesellschaftliche Räume zu locken, in denen er in wundervoll gebauten Schachtelsätzen subtile Botschaften übermitteln kann. Und dies ist das sprachlich Großartige an dem Werk des Autors, der seine Geschichte ruhig und unaufgeregt erzählt, dabei aber im Kokon des Nebensatzes herrliche süßsaure Schweinereien verwebt, die die Lektüre zum Genuss machen. Steinfest präsentiert sich damit als der Meister der Hypotaxe, und seine herrlichen Schachtelkonstruktionen sowie der geschickt darin versteckte Schmäh sind der eigentliche Clou des Buches.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Piper München, Zürich

Ebola

Zack_Crusius_EbolaSelf-Publisher genießen gegenüber klassischen Verlagen klare Vorteile. Aufgrund ihrer unkomplizierten Produktionstechnik und der äusserst flachen Entscheidungshierachie können sie sich locker ein Jahr Vorsprung verschaffen. Welche Bedeutung dies bei tagesaktuellen Themen hat, beweist Eddy Zack aka Detlef Crusius mit einem Roman, der ein hochbrisantes Thema in den Mittelpunkt stellt: Ebola.

Lars Petersen wird bei seiner Ankunft in Köln unter dem Vorwurf, einen dubiosen Geschäftspartner erschossen zu haben, verhaftet. Offenbar geht es um den illegalen Handel mit Blutdiamanten, die aus Krisengebieten in Schwarzafrika stammen. In einem Gespräch mit seinem Anwalt lässt er die Ereignisse der letzten Zeit Revue passieren.

Der Autor entführt den Leser daraufhin in die Tiefen des afrikanischen Kontinents und beweist dabei eine erstaunliche Orts- und Detailkenntnis. Ihm begegnen Mediziner, die ihren Patienten einen Ebola-Impfstoff verabreichen, die sie mit Diamanten von einem deutschen Pharmadealer beziehen. Schnell stellt sich heraus, dass die entsprechenden Dokumente gefälscht sind und der Bevölkerung ein wirkungsloses Präparat verabreicht wird …

»Ebola« ist ein ebenso kenntnisreicher wie spannend geschriebener Roman, der aber auch die Hilflosigkeit der Betroffenen deutlich macht. Denn die Pharmalobby scheint kein wirkliches Interesse daran zu haben, einen Wirkstoff zu entwickeln, der die neue Seuche in Griff bekommt. Letztlich interessiert die Reichen an Afrika nur das, was an Bodenschätzen ausgebeutet werden kann: Gold, Diamanten, Erdöl, seltene Erden. Dies funktioniert mit vollautomatischer Technik auch auf einem entvölkerten Kontinent. Bittere Erkenntnis des Autoren: »Wer nach Afrika reisen will, sollte sich beeilen. Er trifft sonst keine Menschen mehr an.«


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Kindle Edition

Das verschwundene Haus Oder: Der Maharadscha von Breckendorf

Eduard Bohnkraut macht im fernen Amerika sein Glück und kehrt nach Hause zurück, um das väterliche Erbe anzutreten. Doch als der ehemalige Bürger von Breckendorf, einer lieblichen Novelle im großen Buch der Natur, das seine Unschuld verlor, als es wegen seiner guten Luft Mode wurde, das Haus seiner Kindheit aufsuchen will, ist dieses bis auf die Grundfesten abgerissen. Und auch der geheimnisvolle Rechtsanwalt Meyer III, mit dem er in angeregter Korrespondenz stand, entpuppt sich als nicht mehr vorhanden.

Gleichzeitig mit dem Amerikaner trifft der höchste Stolz des Kurorts ein. Das ist der Maharadscha von Bungesi, der mit seinem zahlreichen Gefolge auf Promenade und Kursaal höchstes Aufsehen erregt. Das honorige Breckendorf liegt dem Fürsten aus dem Orient zu Füßen und fühlt besonders mit, als der unermesslich reichen Hoheit eine wertvolle Perlenkette gestohlen wird.

Geraubt und gestohlen werden in dem lauschigen Ort aber nicht nur Häuser und Perlenketten. Bald wird das gesamte Opernhaus während einer Aufführung von Wagners »Lohengrin« geplündert, kein Mantel, kein Pelz, kein Regenschirm ist vor der unheimlichen Räuberbande sicher. Selbst Gummischuhe und Schals verschwinden in den Taschen der Diebe.

Bohnkraut, der von dem mit den Ermittlungen beauftragten Polizeiassessor Funke wenig überzeugt ist, macht sich selbst auf die Suche nach der Usache der mysteriösen Ereignisse. Bald überschlagen sich die Ereignisse, in die auch ein Foxterrier und eine Soubrette verwickelt sind.

Karl Ettlinger (1881-1939), der Autor der launigen Kriminalerzählung, war in den Zwanziger Jahren als Kriegsberichterstatter, Journalist und Verfasser von mehr als vierzig meist humorigen Büchern erfolgreich. Mit der Neu-Veröffentlichung von »Das verschwundene Haus« im Rahmen seiner Reihe »vergessene Bestseller« erinnert der Null-Papier-Verlag an ihn. Positiv an der Publikation wie an der gesamten Reihe ist, dass es eine Kurzbiografie des Autors gibt und Fußnoten helfen, unbekannte Begriffe zu erläutern.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Null Papier

Identität

Katharina Clausen kommt im Auftrag einer deutschen Firma nach Bogotá und trifft auf Señor Nicoljaro, der ein Unternehmen betreibt, das eine Alternative zur Verarbeitung tropischer Hölzer entwickelt hat. Der geheimnisvolle Unternehmer im Rollstuhl entfacht bald Gelüste der attraktiven Frau und lockt sie an seinen Kamin.

Doch da wird die Deutsche entführt und gelangt in die Hände eines Herrn, der ihrem kolumbianischen Vertragspartner »Menschenhandel« vorwirft. Als sie nach einigen Tagen wieder erwacht, hat sie nicht nur Handtasche und Handy, sondern auch ihr Kurzzeitgedächtnis verloren. Aber galt der Überfall vielleicht weniger ihr als den Telefonnummern, die ihr Smartphone gespeichert hatte?

Bald beginnt eine spannende Serie von Attentaten, Verfolgungsjagden und Schiessereien, in der immer wieder Akteure auftauchen, die Nicoljaros Geheimnis, das mit seiner Familiengeschichte zu tun hat, bröckchenweise enthüllen. Da Kolumbien ein Land zu sein scheint, in dem alles käuflich ist, sind auch bestechliche Ärzte und Polizisten mit im Spiel

Angela Planert versteht es, ihren komplexen Roman als Liebesgeschichte beginnen und als spannenden Krimi enden zu lassen. Sie schlägt in ihrem Werk einen grandiosen Spannungsbogen und verrät dabei nicht ein Gramm zu viel von dem, was der Leser unbedingt erfahren will und ihn bis zum Ende der Geschichte festhält.

Es ist eine Freude, zu lesen, wie die Autorin sich von Roman zu Roman sprachlich und stilistisch weiter entwickelt. Anteil daran haben sicherlich auch Korrektorat und Lektorat, die dem Werk gut getan haben. Des Guten zu viel finde ich lediglich, dass die im Spanischen üblichen umgedrehten Frage- und Rufzeichen vor der entsprechenden wörtlichen Rede gesetzt worden sind.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Kindle Edition

Istanbul, mit scharfe Soße?

Rezensenten haben mitunter ein entbehrungsreiches Leben. Zur sachgerechten Beurteilung des vorliegenden Buches von Alexandra Klobouk bin ich eigens in die Türkei gereist und hoffe nun, dass der Spesenetat des Verlags Onkel & Onkel dies verträgt. Schließlich ist es für alle Beteiligten von Vorteil, ein Buch, das dem Leser die Türkei und ihre Menschen näher bringen will, vor Ort zu lesen und anzuwenden.

Anzuwenden gibt es mittels dieses Buches einiges. Es handelt sich um einen Reise-, Kultur- und Menschenführer der besonderen Art. Mit wenigen Federstrichen, es handelt sich nämlich eher um einen Comic als um ein Lesebuch, schafft es die Autorin, mit gängigen Vorurteilen aufzuräumen. So sind Türken eben nicht nur laut schreiende Gemüsehändler, pubertierende Halbwüchsige mit Goldkettchen und verhüllte Frauen. Es sind in erster Linie ungemein liebenswerte Zeitgenossen mit großem Herzen und ausgeprägter Gastfreundschaft.

Um die Türkei besser kennen zu lernen, schrieb sich die Autorin für ein Semester in einer Istanbuler Universität ein und blieb sieben Monate in der Stadt, von der keiner so genau weiß, ob sie 18 oder 20 Millionen Einwohner hat. In ihrem Buch teilt sie ihre Erfahrungen: Sie erläutert die fast rituelle Bedeutung des Tee- und Kaffeetrinkens. Sie schildert die Bedeutung des Essens und die Fähigkeit der Bevölkerung, sich stundenlang darüber zu unterhalten. Sie führt mit einem winzig kleinen Türkischkurs in die Sprache ein und zeigt, dass Kommunikation zwischen Menschen wichtig ist, um ein Ziel zu erreichen.

Klobouk gibt schließlich Beispiele für die Schönheit und Bildhaftigkeit der türkischen Sprache. »Hosgeldin« (Willkommen!) heißt wörtlich »Du bist zur rechten Zeit gekommen« und »Geçmis olsun« (Gute Besserung!) bedeutet »Möge es Vergangenheit sein«.

Im Ergebnis handet es sich um ein zauberhaftes Buch, das nicht nur in künstlerischer Hinsicht interessant, sondern auch inhaltlich viel bietet. Es ist ein sympathischer Reisebegleiter oder auch ein Geschenk für jeden, der sich für Land und Leute interessiert und – wie der Untertitel andeutet – »auch keine Ahnung hat«.


Genre: Reisen
Illustrated by Onkel und Onkel