Versöhnlich-feministisches Manifest
Nach ihrem Debütroman von 2016 ist jetzt unter dem Titel «Zwischen zwei Leben» ein zweiter, ins Deutsche übersetzter Roman der finnischen Schriftstellerin Minna Rytisalo erschienen. Thematik ist auch hier wieder das schwierige Verhältnis der Geschlechter zueinander. Erzählt wird auf eine sehr originelle Weise eine feministische Emanzipations-Geschichte, bei der eine 48jährige Frau im Mittelpunkt steht, die sich, wie schon der Titel verrät, zwischen zwei Leben befindet, nicht nur zwischen zwei Lebensphasen. Eine entscheidende Zäsur also, die hier mit gedanklicher Tiefe aus vielerlei Perspektiven erzählt wird, und die damit derzeit auch, als spezielles Genre, literarisch voll im Trend liegt.
In der Mitte ihres Lebens beschließt Jenni Mäki, die lieblose Ehe mit Jussi zu beenden und einen Neustart zu wagen. Ihre Kinder sind aus dem Haus und brauchen sie nicht mehr, finanziell ist alles einvernehmlich geregelt, der untreue Jussi hat schon eine neue Frau, ihrem mutigen Neuanfang nach 24 Ehejahren steht also nichts im Wege. Sie hat sogar einen neuen Namen angenommen und heißt jetzt Jenny Hill, und auch eine neue Wohnung hat sie schon für sich gemietet. In die nimmt sie nur das Allernötigste mit, so wenig wie möglich von dem, was sie an ihr altes Leben erinnern könnte. Die zentrale Frage, die der Roman zu beantworten sucht, indem er seine Heldin durch den schwierigen Prozess einer weiblichen Emanzipation begleitet, stellt sich Jenny immer wieder: «Lebe ich das Leben, das ich wirklich will?» Denn nicht nur ihre Rolle als Ehefrau und Mutter ist von unliebsamen Konventionen geprägt, deren Ursprünge historisch bedingt sind und sich mental geradezu eingebrannt zu haben scheinen in das Selbstverständnis jedes weiblichen Individuums. Woher das kommt, beantwortet der Roman durch einen genialen stilistischen Trick, indem er als Ergänzung zum auktorialen Erzähler weitere Erzählinstanzen einbindet, einen Chor und sechs Einzelstimmen nämlich von «Ajattaras», den Geistern aus der finnischen Mythologie. Die sind hier aber, weniger martialisch, ersetzt durch «Aschenputtel, Schneewittchen, Dornröschen, Gretel, Rapunzel und Rotkäppchen». Sie verkörpern als Projektionsflächen geradezu exemplarisch die weibliche Unterdrückung und Manipulierbarkeit im harmlosen narrativen Gewand des Märchens, treten hier aber als Kommentatorinnen und Ratgeberinnen von Jennys Entscheidungen auf, einem Chor der Erinnyen vergleichbar.
Eine weitere, häufig eingeblendete Perspektive ist die der Heldin selbst, die auf dringendes Anraten ihrer Psychotherapeutin Briefe schreibt, die sie nicht abschicken soll, die sie aber zwingen, ihre Probleme gründlich zu durchdenken. Nur die Schriftform nämlich bringe Ordnung in das gedankliche Chaos und die unverbindliche Flüchtigkeit der Therapiegespräche. Adressatin der Briefe von Jenny ist Mme Brigitte Macron, die fast 25 Jahre ältere Frau des französischen Präsidenten, deren unkonventionelle Ehe nicht nur durch den Altersunterschied, sondern auch durch das skandalträchtige Lehrerin/Schüler-Verhältnis gesellschaftlich vorgeprägt ist.
Der Leser begleitet die Heldin dieses feministischen Romans in ihrem tapferen Kampf gegen falsche Rollenbilder, und natürlich auch auf ihrer Suche nach Selbstverwirklichung. Dabei nagen ständig Zweifel an ihr, Jenny kämpft, scheitert und steht doch immer wieder auf. Gerade diese Verletzbarkeit und Unvollkommenheit lassen sie sehr authentisch erscheinen. Erzählt werden diese existenziellen Nöte ohne jedes Pathos als ein letztendlich gelingender Aufbruch in ein befreites, zweites Leben. Das Älterwerden verliert hier auf eine sehr subtile Art seinen Schrecken, wobei das unaufgeregte, wohlbedachte Handeln von Jenny typisch ist für sie, was sie als Figur denn auch sehr sympathisch macht. In der Heimat der Autorin wurde dieser Roman, der auch einige Längen aufweist durch mancherlei Wiederholungen und Abschweifungen, als versöhnlich-feministisches Manifest gefeiert, dem die narrativ einbezogenen Märchenfiguren neben ihrem Hintersinn auch einen ganz besonderen, eigenen Zauber verleihen!
Fazit: lesenswert
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