100 Jahre The Great Gatsby

In der Reihe Modern Classics erschien dieses Jahr, 2025, die vorliegende Neuausgabe des großen Romans des Jazz Age. Tatsächlich sind es genau 100 Jahre her, dass The Great Gatsby erstmals erschien. Die Handlung spielt im New York des Jahres 1922.

Glitz and Glamour der 20er

James/Jay/Jimmy Gatsby (eigentlich: James Gatz residiert in seinem Anwesen auf Long Island und gibt sagenhafte Feste. Damit hofft er seine Jugendliebe Daisy heranzulocken, um ihr mit seinem neuerworbenen Reichtum, mit Swing und Champagner seine verlorene Liebe zu gestehen. Aber Daisy ist längst selbst liiert und kann ihm nur auf neutralem Territorium begegnen. Dieses bietet sich durch den Nachbarn Gatsbys, dem Junggesellen Nick Carraway. Tom Buchanan ist der Name des Glücklichen, der Gatsbys Jugendliebe Daisy geheiratet hat. Aber er behandelt sie alles andere als gut, wie der Leser:in bald feststellt. Denn Tom hat selbst eine weitere Freundin, Myrtle Wilson, die wiederum selbst mit George Wilson verheiratet ist. Ob das in den Zwanzigern gang und gebe war, verheiratet und dennoch eine/n Liebhaber:in zu haben, bleibt offen. Was aber ganz deutlich und klar feststellbar ist, ist, dass zwischen 17. Januar 1920 und 5. Dezember 1933 in den USA die Prohibition bestand. Dennoch wird im Roman ausgiebig gefeiert und es fließt dementsprechend viel Alkohol. Bei einer dieser “Spritztouren” nach downtown New York, wo ebenfalls nicht nur die Automobile ordentlich getankt werden, kommt es im Verlauf des Romans zu einer großen Katastrophe, einem tragischen Unfall. Myrtle Wilson gerät in einem Streit mit ihrem Ehemann George auf die Autostraße und wird dort von einem Auto erfasst: dem Auto von Gatsby. Aber nicht Gatsby hat das Automobil gelenkt, sondern Daisy und so hat sie – unwissentlich – ihre Rivalin bei Tom getötet.

Crime Fiction oder Autofiction?

Denn Ennui der Reichen und Gutgestellten hat F. Scott Fitzgerald – wohl auch aus eigener Erfahrung – treffend wie kein anderer geschildert. Dennoch war seinem großen Roman, heute ein “modern classic” bei Erscheinen gar kein Erfolg beschieden. Während Fitzgerald mit seinen Kurzgeschichten im selben Zeitraum für acht Erzählungen 30.000 Dollar von der Saturday Evening Post bezahlt bekam, schlug sich der Große Gatsby mit gerade einmal 5,10 Dollar zu Buche. Beim Verfassen seines posthum größten Erfolges war Fitzgerald gerade einmal 27 Jahre alt und hatte noch gute 13 Jahre schriftstellerisches Schaffen vor sich. 160 Kurzgeschichten hat Fitzgerald insgesamt verfasst, bis er 1940 das Zeitliche segnete. Er starb 1940 in Hollywood an seinem dritten Herzinfarkt – gerade einmal 44 Jahre alt. Als “world’s most misunderstood novel” bezeichnete unlängst die BBC den größten Erfolg Fitzgeralds. Dass Gatsby ein bootlegger war, der bis zum Hals in kriminellen Machenschaften steckte, sowie ein Stalker, wie man es ihn heute in PC-Zeiten nennen würde. Nix mit Romantik und so. Denn Gatsby hat sich sogar seine Villa vis a vis von Tom und Daisy bauen lassen. Freier Blick auf’s Mittelmeer oder die Manhasset Bay besser gesagt. Dass Fitzgerald’s Frau, Zelda, während F. Scott an seinem Roman arbeitete, einen Selbstmordversuch unternahm und nach einer Affäre mit einem Franzosen Schlaftabletten genommen hatte, zeigt wie lebensnah die Crime Fiction am Alltag des Autors war und dass das Jazz Age vielleicht sogar noch wilder war, als wir es in unseren Vorstellungen ausmalen wollen.

F.Scott Fitzgerald
Der große Gatsby
Mit einem Nachwort von Min Jin Lee. Aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Abarbanell
2025, Hardcover, 256 Seiten
ISBN: 978-3-257-07337-9
Diogenes Verlag
€ (D) 19.00 / sFr 26.00* / € (A) 19.60


Genre: Roman
Illustrated by Diogenes

Der große Gatsby

fitzgerald-1Man kann wohl nicht alles haben

Bereits als junger Schriftsteller hatte Franzis Scott Fitzgerald beachtliche Erfolge mit seinen Kurzgeschichten, was ihm schon früh ein Leben auf großem Fuße ermöglichte. Gleichwohl war er, der sich in den 1920er Jahren in Paris mit Hemingway angefreundet hatte, als typischer Vertreter der Lost Generation skeptisch veranlagt. Gerade auch, was sein schriftstellerisches Werk anbelangt, und in der Tat war er 1940 bei seinem frühen Tod mit nur 44 Jahren bereits weitgehend in Vergessenheit geraten. Einem breiteren Publikum wurde er erst posthum durch die erfolgreiche Verfilmung seines Romans «Der große Gatsby» bekannt. Dieses stark autobiografisch beeinflusste Buch entwickelte sich daraufhin ebenfalls weltweit zum Bestseller und zählt inzwischen zur bedeutendsten Prosa der amerikanischen Moderne. Zu Recht?

Der Roman ist eine literarische Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Traum in den Roaring Twenties. Nick, ein armer junger Mann vom Lande, kommt aus dem College nach New York, um Börsenhändler zu werden. Er mietet sich ein bescheidenes kleines Häuschen, unmittelbar neben einer feudalen Villa gelegen. Ein geheimnisvoller, unermesslich reicher junger Selfmademan scheint dort ununterbrochen pompöse Partys zu feiern, mit einer ebenso riesigen wie illustren Gästeschar. Als Nick, aus dessen Perspektive die gesamte Geschichte erzählt wird, seinen Nachbarn Jay Gatsby näher kennen lernt, stellt sich heraus, dass dessen ganzes Streben nur darauf gerichtet ist, seine Jugendliebe Daisy wieder für sich zu gewinnen. Er war damals, fünf Jahre ist das her, ein junger Habenichts, sie stammte aus reichem Elternhause. Der Militärdienst hatte sie getrennt, inzwischen ist Daisy nun verheiratet. Und wie es der Zufall will – oder besser der Autor -, ist Daisy Nicks Cousine, eine lebenslustige und verwöhnte Frau, die mit ihrem reichen Mann ein luxuriöses Leben führt. Wie man sich denken kann, ist in dieser Konstellation bereits ein veritables Drama angelegt, verschärfend kommt aber noch hinzu, dass Daisys Ehemann Tom ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau hat, für die Tete-a-tetes mit ihr hat er in New York extra eine Wohnung angemietet.

Mehr zu erzählen wäre unfair dem potentiellen Leser gegenüber, interessant finde ich, dass Fitzgerald als junger Mann selbst in einer solchen Situation war, als armer Schlucker nämlich einer jungen Upperclass-Frau nichts bieten zu können, vergeblich um sie zu werben. Bei seiner späteren Frau Zelda Sayre ging es ihm zunächst ähnlich, sie lehnte eine Ehe mit ihm ab, erst nach einigen finanziellen Erfolgen hat sie ihn schließlich doch geheiratet – und mit ihm einige wilde Jahre verbracht. Diese Klassenunterschiede in der Gesellschaft der Vereinigten Staaten thematisiert der Autor hier ebenso wie Probleme durch Alkoholismus oder Depressionen, aber auch durch Hedonismus und Dekadenz als Folgen einer ungerechten, einseitig die Oberklasse begünstigenden Prosperität.

Ernest Hemingway hatte den Schreibstil seines Freundes Fitzgerald als zu affektiert bezeichnet. Mich hingegen hat dieser dialogreiche Roman sprachlich durchaus überzeugt, vom Duktus her passt er nämlich bestens zum Sujet einer zum Scheitern verurteilten, süßlichen Traumwelt á la «Vom Winde verweht». Angenehm zu lesen also, einlullend geradezu, der bewährten amerikanischen Erzähltradition folgend, nur dass es hier mit drei Toten krimineller zugeht als bei Margaret Mitchell. Der Plot ist wahrhaft kinotauglich konstruiert, es gibt dementsprechend entschieden zu viele Zufälle, um ihn wirklich ernst zu nehmen. In diesem Drama, einem geradezu psychotisch anmutenden Kampf des superreichen Ex-Lovers um seine gleichermaßen genusssüchtige wie oberflächliche Traumfrau, ist die Katharsis mit ihrer Geld-macht-nicht-glücklich lautenden Botschaft auch nicht gerade originell. Man kann wohl nicht alles haben, das gilt für Jay Gatsby, erst recht aber für den Leser dieser banalen Geschichte.

Fazit: mäßig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Anaconda