Die Leiden des jungen Werthers

Im Werther-Fieber

Von der Lichtgestalt deutscher Literatur, Johann Wolfgang Goethe, wurde 1774 mit «Die Leiden des jungen Werthers» zur Leipziger Buchmesse ein Briefroman veröffentlicht, den er in vier Wochen geschrieben hatte. Er wird als sein bedeutendstes Prosawerk angesehen. Dem grandiosen Erfolg im Inland folgte ein ebenso überragender europäischer Erfolg, das Werk wurde in alle damals literarisch bedeutsamen Sprachen übersetzt. Zeitlich fiel die Veröffentlichung in die literarische Periode des «Sturm und Drang», dem Geniekult jener kurzen Epoche. Die vorliegende Ausgabe des vielfach ergänzten und überarbeiteten Romans folgt der Urfassung, stammt nach 250 Jahren also orthografisch aus einer noch dudenfreien Zeit, was das Lesen heutzutage ziemlich mühsam macht. Mit Hilfe einer Fülle von Randbemerkungen des Verlags jedoch bleibt nichts jemals unverständlich. Erfreulicher Weise sind im Anhang auch umfangreiche Kommentare, Goethes eigene Anmerkungen zum «Werther», die verschiedensten Interpretations-Ansätze sowie ausführliche Wort- und Sach-Erläuterungen beigefügt.

Zwei autobiografisch bedeutsame Ereignisse hat Goethe für seine Handlung herangezogen, seine eigene, hoffnungslose Liebe zur bereits verlobten Charlotte Buff und der Suizid eines Bekannten aus der Gesandtschaft in Wetzlar. Gleichwohl ist dieses Werk rein fiktional und kein Schlüsselroman. Sein junger Held hat zur Regelung einer Erbschaft in einem idyllischen Dorf Quartier bezogen und lernt bei einem Tanzabend Lotte kennen, Tochter des dortigen Amtmanns, die sich als älteste Tochter nach dem Tod ihrer Mutter rührend um ihre acht Geschwister kümmert. Werther und Lotte kommen sich schnell näher, sie sind verwandte Seelen und verstehen sich bestens. Er bewundert ihren Sanftmut, ihre Liebe zur Natur, ihre Musikalität, und er wird Dauergast im Hause des Amtmanns. Die kleinen Geschwister von Lotte mögen ihn von Anfang an und freuen sich immer sehr, wenn er kommt. Aber Lotte ist nicht frei, sie ist so gut wie verlobt mit Albert, der schließlich von einer Geschäftsreise zurückkommt und sich als ein äußerst sympathischer, besonnener Mann erweist, mit dem Werther schnell Freundschaft schließt. Auch wenn nur platonisch, belastet ihn nun seine schwärmerische Liebe zu Lotte seelisch dermaßen, dass er fluchtartig den Ort verlässt, ohne sich zu verabschieden.

Im zweiten Teil des Romans arbeitet Werther eine Zeitlang für einen Gesandten am Hofe, fühlt sich dort aber als Außenseiter und wird sehr deutlich auf seinen bürgerlichen Stand verwiesen. Er fühlt sich wie zerstört in seiner Existenz und kehrt auf Umwegen wieder in das Dorf zurück, wo Lotte und Albert inzwischen geheiratet haben. Bald schon beginnt er Lotte wieder zu besuchen, die unbewusst mit ihm kokettiert und seine Leidenschaft dadurch erneut entfacht. Bis sie ihn auf Wunsch von Albert kurz vor Weihnachten auffordert, vier Tage zu warten, bis er erneut zu Besuch kommt. Doch Werther besucht sie schon am nächsten Tag wieder, liest ihr aus seiner hoch emotionalen Ossian-Übersetzung vor und beginnt sie zu umarmen und zu küssen. Lotte flüchtet verstört ins Nebenzimmer und schließt sich dort ein. In einem letzten Brief verabschiedet er sich von ihr, leiht sich von Albert für eine bevorstehende Reise dessen Pistolen aus und erschießt sich an gleichen Abend. Er wird in einem abgelegenen Teil des Friedhofs ohne geistlichen Beistand anonym beerdigt.

Eine stilistische Besonderheit dieses Romans ist die Ergänzung und Weiterführung des Stoffes durch einen fiktiven Herausgeber, der den hoch-emotionalen Briefen Werthers in einer sachlichen Diktion folgt. Dieser Wechsel der Erzählperspektive war schon deshalb geboten, weil der traurige Held in seinen Briefen vom eigenen Tod, dem novellenartigen Höhepunkt der Handlung, ja nicht hätte berichten können. Die konträre Rezeption dieses zeitlosen Bestsellers mündete ein in eine regelrechte Lesesucht, die den einen oder anderen suizidalen Nachahmer hervorgebracht hat im damaligen «Werther-Fieber».

Fazit:   lesenswert

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Genre: Roman
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