
Möglicherweise wenden sich die etablierten Koryphäen der Lesekultur mit einem snobistischen Hochziehen der Nase ab, wenn sie das Stichwort „Liebesroman“ hören. Doch Halt! Bevor Sie von Ihrem – wahrscheinlich über Generationen vererbten – Recht auf Deutungshoheit in der Literatur Gebrauch machen, sollten Sie eines bedenken: Der Anteil der Liebesromane am globalen Belletristik-Markt liegt irgendwo zwischen 25 und 30 Prozent. Quantität ist nicht gleich Qualität, werden Sie jetzt vielleicht sagen. Nochmals Veto! Schaut man die nun schon lange ziemlich schwindsüchtige Buchszene an, trägt genau dieses Genre mit einer Vielzahl an innovativen Ansätzen zu fast 70 Prozent zum neuen Wachstum in der Erwachsenen-Belletristik bei. Zu diesen Ansätzen gehören neben vielen andern auch mehr Orientierung an diversesten Altersgruppen und entsprechende Niveau-Anpassungen, also punktuell mehr Tiefgang.
Interesse geweckt. Und dann taucht da auf einmal aus dem Nichts ein Debütroman auf und wird schon kurz nach seinem Erscheinen in den sozialen Medien als Geheimtipp des Sommers 2025 gehandelt – „Jenseits der Hitze“. Also warum nicht?
Und tatsächlich kann man bereits nach wenigen Seiten eine gewisse Überraschung nicht verhehlen. Da schreibt jemand, der eine unglaublich poetische Ader hat. Es wird mit wohlgesetzten, feinsinnigen Worten Atmosphäre erzeugt, Stimmung geschaffen. Im Kopf entsteht tatsächlich ziemlich schnell eine Filmszenerie. Der Roman hält sich nicht mit langen Dialogen auf, die man in seinen Liebesroman-Klischees abgespeichert hat („Ich liebe Dich, aber liebst Du mich so wie ich Dich? Kannst Du mich immer lieben? Wird unsere Liebe immer halten? Und was, wenn nicht? Liebst Du dann einen anderen/eine andere?“ und so weiter, üblicherweise geht das so den ganzen Julia-Roman durch), nein, die Handlung ist zielstrebig, ohne zu rasen, so wie man es zum Beispiel bei einem Ken Follett kennt oder bei einem Peter Stamm. Und es kommt noch besser – es wird spannend und es wird interkulturell. Ohne zu viel zu verraten, geht es natürlich auch um ein Paar, er aus München, sie aus Kabul, aber es geht auch um viel mehr, unter anderem um ungewöhnliche Lebens- und Beziehungsmodelle und um ganz aktuelle geopolitische Ereignisse. Und es bleibt durchaus spannend, da die Auflösung gewisser rätselhafter Umstände gut versteckt und den Roman hindurch transferiert wird. Sogar die übliche Frage, ob sie sich denn nun kriegen oder nicht, bleibt bis zum Schluss offen. Weil das Leben eben so ist, wie es ist – man weiß nie, was kommt.
Man muss sich am Schluss wirklich fragen, ob man gerade „nur“ einen Liebesroman gelesen hat. Diese poetische Sprache, die schön konstruierte Geschichte mit historischem und emotionalem Tiefgang wäre auch eines Michael Ondaatje oder einer Anne Michaels würdig.
Und das führt zum Schluss direkt zu einer anderen spannenden Frage: Wer ist Ellis Marant? Der Roman ist unter diesem Pseudonym erschienen und wie im Nachgang des Romans erwähnt, wohl ganz bewusst. Resümiert man nach den schnell zu lesenden 176 Seiten verwundert über den unerwarteten Stil und Inhalt, fallen einem unweigerlich Stephen King, J.K. Rowling, Mark Twain, Lewis Carroll und einige andere ein, die aus Lust an einem Experiment unter anderem Namen Werke meist in anderen Genres publiziert haben. Aber vielleicht ist das bei aller Überraschung dann doch zu viel der Ehre. Man wird sehen, ob da in der Zukunft noch mehr kommt, was diese Überlegungen rechtfertigt.




Il libraio di Venezia. “Siamo tempre sul punto di mollarci, ma alla fine non ci molliamo mai. C’è qualcosa di profondo che ci lega.” Giovanni Montanaros siebter Roman spielt vor dem Hintergrund der großen Flut von 2019. Der Wasserstand in Venedig erreichte damals beinahe das bisher höchste Niveau von 1966: 187 cm. Nur mehr mehr 8 cm haben also zu einem neuen (negativen) Rekord gefehlt. Der große Unterschied: 2019 hätte das von Korruption und Skandalen seit 2003 in Bau befindliche MOSE die Stadt vor eben diesem Pegelstand schützen sollen.
Die erste Überraschung war, dass das Buch auf Deutsch geschrieben ist, mit vielen originellen Einschüben auf Englisch. Die Romanheldin Niveditha Anand ist in Essen aufgewachsen und studiert nun in Düsseldorf an der Heinrich Heine Universität „postcolonial studies“, bei Saraswati, einer indischen Professorin, ein TV-Promi, die von ihr angehimmelt wird. Die Sympathie wird erwidert, Niveditha fühlt sich endlich angenommen und verstanden. Als Tochter eines indischen Mathematikstudienrates und einer polnischen Sozialarbeiterin, die zwar in Deutschland aufgewachsen ist, war ihr das bisher nicht in den Schoß gefallen, zu oft fühlte sie sich fremd hier.



Mit 18 Jahren veröffentlichte die Autorin die Erzählung “Bonjour, tristesse”, die auch heute, 50 Jahre später, für das Selbstbestimmungsrecht der Frau steht. Das Klima in den 50ern war gezeichnet von einer Gesellschaft, die die Frauen hasste, schreibt Sibylle Berg in ihrem lesenswerten Nachwort zu vorliegender Neuübersetzung. Obwohl Frauen zwei Drittel der Gesellschaft ausmachten, mussten Frauen die Erlaubnis des Ehemannes einholen, um arbeiten gehen zu dürfen, und dann auch nur als „Dazuverdienerin“. Emotional, passiv und sozial sollten sie sein, die Männer dafür leistungsorientiert, durchsetzungsfähig und aktiv, so Berg. Sagans Protagonistin, Cécile, war in diesem gesellschaftlichen Klima „ein progressiv-feministischer Beitrag zu einem Wandel des Frauenbildes“. „Bonjour tristesse ist eine Reminiszenz an eine Zeit des Aufbruchs“, schreibt Berg, „als man von einer besseren Zukunft träumte“.
Elsa ist Schauspielerin und lebt in München. Untypisch für ihr Metier gehört sie eher zu den Schüchternen und wartet auf ihren großen Durchbruch – wo auch immer der herkommen soll. Solange hält sie sich mit Synchron-Sprechrollen über Wasser. Eines Tages lernt sie Finn kennen, ihren neuen Nachbarn und erfährt direkt mehr über ihn, als sie wissen will.

Josef Formáneks zweiter Roman. In einer Straßenbahn auf die Welt gerutscht wurde der kleine Bernhard Mares von seiner Mutter bald weggegeben und seinem Schicksal überlassen. Mehr aus Zufall denn Überzeugung landet der „Sudetendeutsche“ bei der Waffen-SS und ist dort zwar nur der Fahrer, aber dennoch auf der Seite der Gewinner. Vorläufig. Als Kind hatten ihn seine tschechischen Klassenkameraden immer gehänselt, weil er der Deutsche war, als Erwachsener merkt er, dass er vielmehr Österreicher ist oder eigentlich sogar Tscheche. Und beinahe am Ende seines Lebens, auf der Suche nach seiner verschollenen Mutter in Caracas, findet er heraus, dass er eigentlich Jude ist. Sein ganzes Leben erzählt Mares – in einer Art Lebensbeichte – dem Schriftsteller Josef Formánek, der sich mit diesem auch im Buch im Dialog befindet. Selbst gezeichnet von seiner Alkoholsucht und dem gleichzeitigen Ekel und der Faszination an seiner Figur gelingt es Formánek ein wahrhaftiges Porträt eines Menschen zu zeichnen, das ehrlicher nicht sein könnte. Nicht umsonst lautet der Titel ja: „Die Wahrheit sagen“.







Durchaus unterhaltsam liest sich Emma Wagners spritziger Roman um die Großstadttussi Valentina Leumund, ein verwöhntes Kind stinkreicher Eltern.