50 Jahre Der Pate

50 Jahre Der Pate. 14. März 1972: Weltpremiere “Der Pate“. Der Pate auch als The Godfather im deutschen Sprachraum bekannt wird 50. Gemeint ist weder die Figur des Vito “Don” Corleone” noch die Romanvorlage, sondern der Film von Francis Ford Coppola, der 1972 veröffentlicht wurde. Der Roman selbst kam wenige Jahre vorher, 1969, auf den Markt. Ein guter Grund für eine Re-Lektüre. “Jeder kennt den grandiosen Film. Nur wenige wissen: Der Film ist so gut, weil die Romanvorlage genial ist. Jetzt zum Wiederentdecken!” So wirbt der Verlag für seine schöne Ausgabe in scharlachrotem Cover. Mit Blutstropfen am Revere.

Geschichte eines Aufstiegs in Amerika

Als ich als Jugendlicher den Roman vor beinahe ebenfalls 50 Jahren das erste Mal las, blieben mir vor allem zwei Szenen in Erinnerung: Der abgeschnittene Pferdekopf im Ehebett und die Verengungsoperation einer gewissen Signora. Was mir auch in Erinnerung blieb ist die Tatsache, dass viele Sizilianer ihre Insel für besetzt hielten und sich deswegen zu einer Mafia zusammenschlossen, die nur Einheimischen offen stand. Damals hatte ich allerdings noch keinen Begriff von der Mafia und ihren Geschäftszweigen und machte mir kein Kopfzerbrechen über Corleones Ablehnung mit Drogen zu handeln. Der Anschlag auf sein Leben wird nämlich dadurch verursacht. Seine Söhne Michael und Sonny rächen zwar ihren Vater, können die Entwicklung, die das organisierte Verbrechen nach der Aufhebung der Prohibition aber auch nicht aufhalten. Haben sie also eine andere Wahl?

50 Jahre Der Pate

Don Vito Corleone war noch ein Mafiaboss der alten Schule: Er setzte sich für Hilfsbedürftige ein und kämpfte für Gerechtigkeit für die Seinen. Aber natürlich sind seine Einnahmequellen nicht mit dem katholischen Glaubensbekenntnis vereinbar: Don Vito Corleone verdient sein Geld mit Glücksspiel, Bestechung, Erpressung, Schmuggel und Alkoholhandel. Er hatte nach seiner Flucht aus Sizilien ein Imperium aufgebaut und nun sollen es seine Söhne übernehmen. Aber nicht um jeden Preis.

Lieblingszitate aus dem Paten für den Alltagsgebrauch

Der Pate wurde zu einem internationalen Bestseller mit mehreren Millionen verkauften Exemplaren. Die Verfilmungen von Francis Ford Coppola, für die Mario Puzo mit ihm die Drehbücher schrieb, wurden weltweit sogar von über eine Milliarde Zuschauer gesehen. Gerne werden immer wieder Zitate aus dem Buch und den Filmen im Alltag verwendet. Und es gibt längst mehrere Best of Listen der beliebtesten Zitate aus dem Paten. Wir halten uns hier an die Originalsprache. Das bekannteste ist wohl: “Some Day, And That Day May Never Come, I Will Call Upon You To Do A Service For Me.” Wer einen Gefallen verlangt, der muss auch damit einverstanden sein, dass er eines Tages zurückgefordert wird. Der Satz klingt wie eine Drohung, ist aber ein offenes Versprechen, denn der Tag kommt ja vielleicht doch nicht. “Revenge Is A Dish Best Served Cold.” Ein Zitat das auch Tarantino in “Kill Bill” verwendete mag zwar nicht vom Paten erfunden worden sein, aber er machte es mit Sicherheit populär.

I Believe In America.

Zuletzt vielleicht sei noch das kürzeste Zitat aus dem Paten erwähnt: “I Believe In America.” Die Worte in dessen Zusammenhang dieser Satz fällt sind voll beißender Ironie und Zynismus, denn Amerika, das Land der Verheißung, kann für manche auch das genaue Gegenteil bedeuten. Und für die Rache für das Geschehene ist es dann wohl doch gut, einen Vito Corleone zu haben. Wer macht sich schon gerne selbst die Hände schmutzig?

Mario Puzo hat mit seinem Roman ein Werk geschaffen, von dem man wohl noch in 100 Jahren sprechen wird. Wer dann noch mitreden möchte, sollte so bald wie möglich das Buch lesen.

 

MARIO PUZO
Der Pate. Roman
(Originaltitel: The Godfather)
Aus dem amerikanischen Englisch von Gisela Stege
Mit einem Vorwort von Francis Ford Coppola
640 Seiten | Gebunden mit Farbschnitt | Großformat 12,5 x 20,5 cm
€ (D) 24,90 | sFr 34,– | € (A) 25,60
ISBN 978 3 311 12510
Kampa Verlag


Genre: Amerika, Aufstieg, Krimi, Literaturverfilmung, Mafia, Roman
Illustrated by Kampa

connect

“Das ist eigentlich das Einzige, worum es bei connect geht. Um Nähe. Der Name sagt es ja schon und viel mehr steckt tatsächlich nicht dahinter. Verbindungen zwischen Menschen schaffen. Das ist alles.” (Dev)

Die Suche nach alternativen Lebensmodellen ist mehr denn je ein gesellschaftliches Thema. Die Pandemie hat dem noch einmal ordentlich Energie zugeführt. connect von Thea Mengeler ist aber kein Pandemie-Roman. Die Schriftstellerin stellt die Frage, wie wir leben wollen und sollen, weitaus grundsätzlicher. Die Gesellschaft als Ganzes, das “System” steht auf dem Prüfstand. Die gleichnamige Organisation im Roman connect bietet eine Alternative zum gängigen Mainstream an. An ihrer Hauptfigur Ava zeigt Thea Mengeler den konsequenten Wunsch nach Sinn und echten menschlichen Beziehungen, jenseits digitaler Freundschaftsanfragen.

Ava kommt aus einer dysfunktionalen Familie. Ihr Vater, ein Künstler, ist früh gestorben. Tante Gela hat Ava und ihre depressive Mutter Mia bei sich aufgenommen. Als junge Erwachsene führt Ava ein Leben, das sie nicht wirklich zufriedenstellt. Manchmal fragt sie sich, ob sie dieses Leben tatsächlich noch “führt”: auf selbstbestimmte Weise. Die meiste Zeit wird von ihrem Job in einer Werbeagentur in Beschlag genommen. Dort sitzt Ava zusammen mit ihren Kolleginnen Mel und Liz den ganzen Tag an den Rechnern, konzipiert und verwirklicht Ideen für Werbekampagnen. Die drei haben sich geschworen, eines Tages die Firma zu übernehmen. Bis es soweit ist, müssen sie ihre salbungsvollen Chefs ertragen und viele Überstunden machen – wer abends pünktlich heimgeht, wird scheel angeschaut. Und selbstverständlich sind die Ansprüche hoch!

“Wir sind noch nicht ganz da. “Da können wir noch ein bisschen mehr rausholen.” “Wir sollten die Extrameile noch gehen.” “Habt ihr am Wochenende ein bisschen Zeit?”

Ava schlägt der Stress auf die Gesundheit. Oft fehlt ihr abends die Kraft, noch einmal rauszugehen und mit ihren Freundinnen etwas zu unternehmen. Stattdessen liegt sie erschöpft auf der Couch, isst ungesunde Sachen und koma-glotzt Serien. Das Handy liegt sowieso ständig in Reichweite. Auf den Social Media Präsenz zu zeigen, ist ein Muss. Ava hat wenig Selbstbewusstsein. Sie hasst es, im Mittelpunkt zu stehen und orientiert sich gern an anderen. Sie scheint mit ihrer zurückhaltenden, manchmal linkischen Art Menschen regelrecht anzuziehen, die sie gern unter ihre Fittiche nehmen, die sie “coachen” möchten.Auf einer Ausstellung mit Kunstwerken aus Sexspielzeugen und Intim-Zubehör trifft Ada ihre frühere Mitschülerin Lina wieder. Obwohl die beiden sich lange nicht gesehen haben, können sie auf Anhieb über alles reden. Lina hat Verständnis für Avas allgemeines Unbehagen.

“Das Schlimmste ist, dass einem das eigene Leben entgleitet. Man verliert die Beziehung zu sich selbst, weil man so sehr darauf fokussiert ist, ein Bedürfnis zu erfüllen, das sowieso nie gestillt sein wird. Man hat nie genug getrunken, man hat nie genug gesehen und gelesen.”

Lina gibt Ava zu verstehen, dass sie in ihrem Leben womöglich die falschen Prioritäten gesetzt hat. Sie lädt Ava in die so genannte Halle ein, wo die junge Frau zum ersten Mal mit connect in Berührung kommt. Die Philosophie, die Körperübungen zu Musik, die Meditation, das Sich-Öffnen – was connect anbietet, erinnert ein wenig an die Methoden von Georges Ivanovitch Gurdjieff. Schon nach wenigen Besuchen stellt Ava Veränderungen an sich fest – sie hat mehr Energie, sie schläft besser, die Arbeit geht ihr leichter von der Hand, ihr Interesse an Social Media lässt nach. Bei connect ermutigt man sie auch, ihre Talente zu nutzen. Ava schießt eine Photo-Serie von connect-Mitgliedern – allesamt schöne, junge Menschen, die den Mainstream satt haben – und darf die Aufnahmen in der Halle ausstellen. Die Photos finden Käufer*innen, den Erlös spendet Ava an connect. Dann nimmt sie an einem intensiven Wochend-Workshop teil, den connect auf einem Gelände außerhalb der Stadt, dem Airfield, abhält. Zum ersten Mal sieht sie bei den abendlichen Versammlungen den geheimnisvollen Dev. Von ihm hört sie auch, was den Kern der connect-Lehre ausmacht.

“Das, worum es eigentlich geht, ist frei von Materie, ist pure Energie. Wenn ihr die anderen berührt, dann spürt ihr viel mehr als deren Haut. Ihr spürt ihr Wesen. Und das (…) geht mit dem Tod nicht verloren. Es wird bloß aus seiner menschlichen Hülle gelöst und verbindet sich endlich wieder mit allem, wozu es immer schon gehört hat. Es ist das, was ihr in der Meditation erlebt, nur um ein Vielfaches stärker. Es ist das reine Eins-Sein mit allem.”

(© Photo C.Pichler)

Bei connect herrscht ein freundlicher Umgang, niemand wird zu etwas gedrängt oder genötigt. Allerdings dürfen keine digitalen Geräte benutzt werden, man soll einander ungefiltert begegnen. Die Leiterin des Workshops ermuntert Ava, möglichst nicht für sich, sondern in Gesellschaft von anderen zu bleiben. Das Essen ist frugal, leicht, aus Lebensmitteln zubereitet, die Mitglieder von connect systematisch aus den Müllcontainern der Supermärkte retten. Möbel und Einrichtungsgegenstände verdanken sich findigem Upcycling.Nach diesem Wochenende ist für Ava nichts mehr, wie es war. Sie verliert zunehmend das Interesse an ihrem gewohnten Leben, ihr Arbeitgeber ist ebenso alarmiert wie ihre Kolleginnen, ihre Tante und ihre Mutter. Entgegen allem Widerstand kündigt Ava ihren Job in der Agentur und zieht aufs Airfield, um sich ganz der Lebensweise von connect zu verschreiben. Lina ist schon dort und heißt sie willkommen. Ava fühlt sich endlich im richtigen Leben, aber der Friede dauert nicht lange: connect hat nicht nur Gönner und Freunde da draußen. Und eines Tages ist ausgerechnet Lina plötzlich verschwunden. Ava hingegen wächst als Streiterin für connects Sache über sich hinaus.

Alle für einen, muss Ava flüchtig denken. Ja, alle für einen. Und einer für sie.

Gruppen, die auf die eine oder andere Weise einen gesellschaftlichen Umschwung herbeiführen wollen, sind wir in Büchern schon öfter begegnet. Josef Haslingers Opernball fällt mir ein, Fight Club von Chuck Palahniuk oder 23.000 von Vladimir Sorokin. In all diesen Fällen gehen jene, denen es reicht, mit aggressiven Mitteln vor – die Elite wird vergast, Ökonomie und Börse sollen in Gestalt von Banken und Kreditinstituten zum Einsturz gebracht werden oder aber das Leben auf dem Planeten wird zugunsten der Apotheose weniger Auserwählter vernichtet. Der Roman connect von Thea Mengeler hebt sich von diesen Vorgängern ab, denn das Buch positioniert sich nicht eindeutig. Es gibt hier keine bösen Terroristen, die ihrer verdienten Strafe zugeführt werden müssen. Die Organisation connect ist tatsächlich nicht perfekt und vor allem nicht immer geschickt in der Wahl ihrer Mittel. Ambiguitäten sind – wie in jeder größeren Gruppierung – an der Tagesordnung. Andererseits findet Ava längst nicht alle Vorwürfe, die gegen connect erhoben werden, bestätigt. Durch ihre Augen gesehen, erscheint die Organisation mit ihrer Lebenseinstellung als ernst gemeinte Alternative zu einem frustrierenden Mainstream-Alltag. Als dessen Facetten zeigt die Autorin die Arbeitswelt als Hamsterrad; Small Talk, gesellschaftliches Posieren und Social Media statt wirklicher Begegnungen; Übersexualisierung in Werbung und Medien, während menschliche Nähe verkümmert. Möglicherweise werden viele Leser*innen hier auf Gedanken, Kummer, Vorbehalte und Überdruss stoßen, die ihnen nicht unbekannt sind. connect hat auch den Charakter einer Versuchsanordnung, anhand derer wir beobachten können, wie Ava ihren Weg mit Konsequenz geht. Konsequenz – das vierte der Prinzipien, auf denen die Philosophie von connect ruht. Spannend erzählt, die Perspektiven hält Thea Mengeler klug in Schwebe, für einfache Antworten und schnelle Lösungen ist der Roman zu intelligent.


Illustrated by Leykam Buchverlag Wien

Achtung, Zucker! Die schlimmsten Zuckerfallen und die besten Alternativen

Achtung, Zucker!

Eines nimmt dieses Buch vorneweg: Süße Speisen sind ein Labsal für die Seele und gehören einfach dazu. „Wer sich ausgewogen ernährt und sich genügend bewegt, kann Süßes in Maßen mit gutem Gewissen genießen.“ Aber es gibt auch Zuckerfallen wie z.B. die verarbeiteten Lebensmittel. Das Buch will darüber aufklären, wo genau diese Fallen versteckt sind und welche Alternativen es gibt. Außerdem will es helfen, die Ernährung unkompliziert zuckerärmer zu gestalten. „Ersetzen, abwandeln oder selber machen ist hier das Motto.“

Zunächst geht das Buch auf die einzelnen Zuckerarten ein und hält als Fazit fest, dass man Vielfach- oder Mehrfachzucker bevorzugen sollte. 100 g Zucker oder 40 Stück Würfelzucker isst der Deutsche pro Tag. Hinzu kommt der nicht mitberechnete Glukoseverbrauch, der sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat. Glukose wird Lebensmitteln, v.a. Getränken und Süßwaren, zugesetzt und gerade der Konsum von gezuckerten Getränken wirkt sich ungünstig auf das Gewicht aus. Die WHO empfiehlt, nicht mehr als 10% des täglichen Energiebedarfes mit Zucker zu decken. Das sind 50 bis maximal 60 g Zucker pro Person und Tag. Noch besser wäre ein Zuckerkonsum von nur 5% pro Person und Tag. Auch bei Kindern werden maximal 10% pro Kind und Tag empfohlen.

Bei erhöhtem Zuckerkonsum drohen Krankheiten wie Übergewicht und Diabetes. Dem kann man durch eine ausgewogene Ernährung und Bewegung vorbeugen. Eine ausgewogene Ernährung besteht aus etwa 15% Eiweiß, 30% Fett und 55% Kohlehydrate. Letztere sollten v.a. durch ballaststoffreiche Lebensmittel abgedeckt werden, da diese nachweislich das Risiko für Erkrankungen senken. So wird die Zuckerzufuhr automatisch begrenzt. Für Kinder besonders ungesund sind gezuckerte Getränke, Bewegungsmangel und zu wenig Schlaf.

Täglich 10.000 Schritte zurückzulegen kann chronischen Krankheiten vorbeugen. Gesunde Ernährung und Bewegung ist auch bei einer schon bestehenden Diabetes-Erkrankung hilfreich, denn Bewegung wirkt wie Insulin und senkt den Blutzuckerspiegel. Übrigens kann ein hoher Konsum von Fruchtzucker Fettstoffwechselstörungen, Insulinresistenz und Fettleibigkeit begünstigen. Oft greift man zu zuckerhaltigen Lebensmitteln, wenn man gestresst ist, sich trösten oder belohnen will. Da sollte man nach Alternativen suchen, z.B. sich einen Waldspaziergang vornehmen oder andere Dingen, die man als angenehm empfindet. Die Portionen an Zucker, die man sich gönnt, sollte man bewusst genießen. Außerdem helfen das Prinzip der kleinen Schritte und realistische Ziele, sich langsam vom Zucker zu entwöhnen.

Das Buch hilft bei der Umstellung, indem es z.B. Alternativen anbietet oder Möglichkeiten aufzeigt, Zucker im Alltag zu reduzieren. U.a. kann man in herkömmliche Joghurts zu gleichen Teilen Naturjoghurt mischen, um den Zuckeranteil zu verringern. Süße Pfannkuchen oder Milchreis kann man auch mit ungesüßtem Fruchtmus zubereiten, Müslimischungen mit ungezuckerten Haferflocken, Flakes oder gepopptem Getreide mischen. Fertigsalate oder -soßen lassen sich durch zusätzliches Gemüse aufwerten. Fruchtsäfte oder Limonaden im Verhältnis 3:1 mit Wasser mischen, sodass das Wasser bzw. der Sprudel überwiegt. Bei einem Gebäck aus Rührteig gibt es sogar mehrere Alternativen: 1/3 des Zuckers weglassen, einen Teil der Zuckermenge durch zerdrückte Banane oder Apfelmus ersetzen oder mit Hefeteig, Quark-Öl-Teig oder Brandteig arbeiten, die sowieso schon zuckerärmer sind. Insgesamt kann man seine Lieblingskuchen immer noch genießen, aber durch die vorgeschlagenen Alternativen zuckerärmer gestalten. Überhaupt wird das selbst Gekochte oder Gebackene empfohlen, da man hier die Kontrolle über die Zuckermengen behält. Ansonsten ist ein Blick auf die Zutatenliste der gekauften Produkte hilfreich: Das am meisten verwendete Produkt steht immer an vorderster Stelle.

Informatives, gut verständliches Buch mit alltagstauglichen Tipps

Sehr übersichtlich und mit vielen Tipps, sowie 50 Rezepten gibt das Buch einen sehr guten Überblick über alles, was mit Zucker, Zuckeralternativen, Zuckerfallen (die einen Großteil des Buches einnehmen), Lebensmittel für Babys und Kleinkinder usw. zusammenhängt. Es arbeitet hierzu mit Tabellen, Verweisen, Exkursen, rot unterlegten wichtigen Texten, verständlicher Sprache, Zusammenfassungen und einem übersichtlichen Seitenlayout. Dabei wird bei allen vorgestellten Lebensmitteln immer der Zuckergehalt angegeben und welche Alternativen es gibt, inklusive Verweis an passender Stelle auf ein entsprechendes Rezept. Auch die Farbgebung ist nicht nur ein Hingucker, sondern auch symbolisch, indem Rot auf Zuckerfallen hindeutet, während Grün die gesündere Alternative vorstellt. Die Rezepte sind besonders auf Zuckerfallen bezogen, um eine gesunde Alternative vorzustellen. Deshalb unterteilen sie sich in Getränke, Frühstücksprodukte, Gebäck und Kuchen, Desserts, Müsliriegel (die zu den Süßigkeiten zählen), Saucen und Dressings, Salate.

Fazit

Sehr übersichtliches, gut verständliches, am Alltag orientiertes, informatives Buch über Zucker, Zuckerfallen und deren Alternativen. Nachhaltig auf recyceltem Papier gedruckt.


Genre: Ernährung, Sachbuch
Illustrated by Verbraucherzentrale

Das schnelle Diabetes-Kochbuch – Die besten Rezepte für jeden Tag

Was versteht man unter Diabetes und wie hilft Low Carb?

„Volkskrankheit Diabetes – Diabetes kann jeden treffen, Menschen aller Altersstufen, jeden Geschlechts und aus allen Gebieten der Welt. Und das tut die Krankheit auch – in Zahlen, die dramatisch zunehmen.“

Vor allem Diabetes Typ 2 (Altersdiabetes) sei massiv auf dem Vormarsch, aber auch bei Kindern sei Diabetes (Typ 1) mit 1,1, Millionen Betroffenen mittlerweile keine Seltenheit mehr. In Deutschland sind offiziell 7, 5 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt, aber die Zahlen liegen wohl weit höher.

Typ-1-Diabetes wird durch eine Autoimmunreaktion verursacht. Das Abwehrsystem greift die insulinproduzierenden Zellen an, weswegen wenig oder kein Insulin produziert wird. Der Typ-2-Diabetes geht meist eine Insulinresistenz voraus, die entsteht, wenn über einen längeren Zeitraum sehr viel Insulin produziert und verarbeitet werden musste. Diese wiederum entsteht durch eine kohlenhydratreiche Ernährung mit einem bewegungsarmen Lebensstil. Das Ergebnis sind erhöhte Blutzuckerwerte, die zahlreiche schwerwiegende Folgekrankheiten nach sich ziehen können. Dieser Typ tritt vorwiegend bei älteren Erwachsenen auf, kommt aber durch mangelnde Bewegung und schlechte Ernährung mittlerweile auch schon bei Jüngeren vor.

Eine kohlenhydratarme Ernährung verbessert die Blutzuckerwerte. Mit einer Low-Carb-Ernährung wird der Blutzuckerspiegel langfristig reduziert und auf einem konstanten Level gehalten. Außerdem ist es enorm wichtig, sich zu bewegen. Die körperliche Aktivität verbessert die Aufnahme des Blutzuckers in die Zellen, sodass die erhöhten Blutzuckerwerte sinken. Außerdem werden Muskeln aufgebaut, die ebenfalls durch den erhöhten Bedarf an Kalorien zur Besserung beitragen, da der Insulinbedarf der Körperzellen sinkt. Außerdem wird der Blutdruck verbessert und überschüssiges Fett reduziert, was Herz-Kreislauf-Krankheiten vorbeugt. Jede Sportart ist geeignet, v.a. aber Ausdauersportarten. Im Alltag sollte man versuchen, so viel Bewegung wie möglich einzubauen.

Die Low-Carb-Ernährung besteht aus kohlenhydratarmem, gesundem Essen mit viel Gemüse, reichlich gesunden Fetten und Eiweiß.

Schnelles Kochen?

Der Autor geht näher auf Diabetes und diese Form der Ernährung ein und erklärt beides übersichtlich und verständlich, u.a. in Form einer Ernährungspyramide. Außerdem empfiehlt er das Selbstkochen, denn es kommt ohne all den Zucker, das Salz und die Zusatzstoffe aus, die den gekauften Produkten meist zugesetzt sind. So weit, so vorbildhaft.

Er wirbt bei seinen Rezepten, die den Großteil des Buches einnehmen, für eine schnelle Diabetes-Küche, sprich: Das Kochen an sich soll schnell gehen. Da ich regelmäßig und schon seit Langem koche, habe ich das natürlich ausprobiert. Ich komme zu dem Ergebnis, dass die Zeitangaben doch sehr optimistisch gehalten sind. Auf die Zeit komme ich, wenn ich Hilfe habe (also meist eher nicht) oder schon alles vorgeschnitten ist (ebenfalls eher nicht), ansonsten brauche ich ungefähr doppelt so lange wie im Rezept angegeben. Fazit: Die Rezepte brauchen durchschnittlich lange, bis alles vorbereitet und gekocht ist, wirklich schnell geht es nicht. Außerdem bin ich nicht einer Meinung mit dem Autor, wenn er schreibt: „Denn die Zeit, die Sie beim Kochen verbringen, entschleunigt ungemein und befreit vom Stress des hektischen Alltages.“ Ich koche gern, aber definitiv nicht unter Zeitdruck! Und den habe ich als Frau und Mutter, die alles irgendwie in einen viel zu kurzen Tag quetschen muss! Kochen verkommt hier zu einem weiteren Punkt einer unendlichen To-Do-Liste und ist dann nun wirklich keine Art der Entschleunigung mehr. Da verrät sich eine sehr männliche Sichtweise ohne Mehrfachbelastung… Die Tipps für schnelleres Kochen, die er anspricht, setzt eine Frau im Alltag sowieso schon um, weil es nicht anders geht.

Die Rezepte selbst sind unterteilt in Frühstück, Suppen, Salate, Vegetarische Gerichte, Geflügelgerichte, Fleischgerichte, Fischgerichte, Desserts und Snacks. Mir persönlich schmecken sie gut, aber ich bin Mutter und muss auch schauen, dass sie meinem Kind schmecken. Das ist nicht immer der Fall. Der Spitzkohlauflauf z.B. war in Ordnung für alle Erwachsenen am Tisch, für mein Kind aber nicht. Dafür mochte er den Spargel im Speckmantel – ohne die Salatsoße. Ich bin schon seit Längerem sehr dafür, dass man in Kochbüchern Familien mehr berücksichtigt! Schließlich fängt die gesunde Ernährung schon bei den Kleinsten an.

Ansonsten könnte eine radikale Umstellung auf diese Art der gesunden Ernährung möglicherweise dazu führen, dass man sie nicht durchhält. Wer sich vorher v.a. von Fastfood und Fertiggerichten ernährt hat, der wird sich wohl eher nicht sofort mit Low-Carb in der vorgeschlagenen Form anfreunden. Hier wäre ein Übergang ratsam, der sich zu der optimalen Ernährung langsam hintastet.

Außerdem ist mir bei den Diabetikern in der Familie aufgefallen, dass schon eine gewisse Menge an Kohlenhydraten vorhanden sein muss, damit sie nicht unterzuckern. Und das kann schnell gehen. An mir selbst fiel mir auf, dass mein Wärmehaushalt absackt, wenn ich so kohlenhydratarm esse. Sprich: Ich friere deutlich schneller als sonst. Ein individueller Ernährungsplan wäre also optimal, die angegebenen Tipps des Buches sollten als Anregung verstanden werden.

Fazit

Übersichtliches Buch mit anschaulichen Erklärungen und schöner Bebilderung, das alles Relevante zu Diabetes und einer diabeteskonformen Ernährung gut erklärt. Die Rezepte sind für offen eingestellte Erwachsene schmackhaft, für Familien mit Kindern sollten sie allerdings angepasst werden.


Genre: Diabetes, Kochbuch, Sachbuch

Katzen und der Sinn des Lebens

Katzen und der Sinn des Lebens. Natürlich ist allein die Frage nach dem Sinn des Lebens gerade in Tagen wie diesen purer Luxus. Ebenso lapidar fällt denn auch die Antwort aus: leben. Das ist auch die Antwort die Katzen geben würden. Denn es ist genau das, was sie tun: leben.

Das Glück der struppigen Vierbeiner

Feline Philosophy” lautet der vorliegende Text im englischen Original, wo das Buch erstmals 2020, im Pandemiejahr, erschien. “Katzen ist ein Glück angeboren, das Menschen oft nicht erreichen”, heißt es darin etwa, weil der Mensch unablässig danach strebe etwas zu sein, was er nicht ist, während die Katzen einfach sie selbst sind. Ausgehende von der Phänomenologie Platons bestreitet Gray diese, indem er behauptet, dass jede einzelne Katze einzigartig ist und sogar mehr Individuum als so mancher Mensch. Anhand mehrerer Beispiele aus der Literaturgeschichte oder einfachen Erzählungen, weist Gray in Folge dann nach, was an dieser Einzigartigkeit der Katzen dran ist. Natürlich stets mit philosophischem Augenzwinkern und dem Ernst des Themas angemessen. Die sog. Selbstbewusstheit des Menschen habe die immerwährende Unruhe geweckt, von der uns die Philosophie vergeblich zu kurieren suche, schreibt Gray.

Vorbildhafte Katzen in der Menschengeschichte

Nicht erst seit Michel de Montaigne, dem Begründer des modernen Humanismus und Katzenliebhabers, wissen wir, dass vielmehr die Katzen mit uns spielen als wir mit ihnen. In der Geschichte “Mèos Reise“, dem ersten Beispiel von John Grays Katzenapotheose, wird die innige Beziehung eines GIs zu seiner vietnamesischen Katze, Mèo, beschrieben, die der amerikanische Soldat vor dem Massaker von Hué errettete. Und obwohl das Schicksal dieser einen Katze im Verhältnis zu 58.000 US-Soldaten und zwei Millionen vietnamesischen Zivilisten obszön ist, vermochte es die Katze doch zumindest ein Menschenleben zu verschonen: das des Erzählers, dem GI. Auch andere Katzen aus fernöstlichen und anderen Kulturen werden von John Gray um ihre Bedeutung für den Menschen festzuhalten erwähnt: Colette’s Saha, Highsmith’s Ming, Jun’ichiro’s Lily, Gaitskill’s Gattino, Berdjajew’s Murris, etc.

Katzen und der Sinn des Lebens

Katzen bringen keine Asphaltiere oder Anführer hervor, sie leben lieber alleine als im Rudel und kooperieren doch, wenn es draufkommt. Sie ordnen sich nie unter und gehorchen oder huldigen nicht, wenn sie gehen wollen, gehen sie, wenn sie bleiben wollen, bleiben sie aus ihrem eigenen Wunsch. Sie sind so ehrlich wie kein Mensch es vermöchte zu sein. “Während Glück bei Menschen ein künstlicher Zustand ist, ist es bei Katzen die Verfassung, die ihrer Natur entspricht.” Wir lieben Katzen, weil sie so anders sind als wir selbst und vielleicht auch, weil sie uns an unseren eigenen Tod gemahnen. John Gray zitiert Ernest Becker, wenn es um die Grausamkeiten des Menschen gegen den Menschen geht, ihre Lebenslügen und Ideen für die sie zu sterben vorgeben. Schon Wittgenstein aber wusste, dass nur jene ewig leben, die in der Gegenwart leben (“Unzeitlichkeit”) und genau das tun unsere Katzen: sie sind sterbliche Unsterbliche, leben ihrer Natur entsprechend und sind das, was sie am besten können. Sie selbst.

Ganz nebenbei lernen wir mit vorliegender unterhaltsam geschriebener Lektüre auch viel über andere Philosophen wie etwa Epikur, Lukrez, Seneca, Pascal, Spinoza, Comte und vor allem über den Sinn des Lebens: zu leben. Eine gute Einführung zu John Grays philosophischen Betrachtungen geben auch die vom Verlag auch online (im Buch im Anhang am Ende) zugänglich gemachten “10 Tipps von Katzen an Menschen” über den Sinn des Lebens. Hier abrufbar!

John Gray
Katzen und der Sinn des Lebens
Philosophische Betrachtungen
Übersetzer:in: Jens Hagestedt
2022, Hardcover, 159 Seiten
ISBN: 978-3-351-03923-3
Aufbau Verlag
22€

 


Genre: Abendland, Katzen, Lebenskunst, Philosophie, Ratgeber
Illustrated by Aufbau Berlin

Kant. Erzählung. Krimi.

Kant. Ein knallharter Hard-boiled Krimi des deutschen Literaturgenies Fauser

Kant. “Im Auge des Tiger ist kein Platz für eine Ameise.” Das einzigartige und unglaubliche Werk Jörg Fausers zeitigte auch einige Krimis. Einer davon ist “Kant“, der als Fortsetzungsroman für die Zeitschrift Wiener geschrieben wurde und erstmals 1987 auch als Taschenbuch erschien.

Kant: Showdown im Playtime

Hezekiel Kant, Privatdetektiv, hat einen chinesischen Freund: Jimmy Chang. An dem muss auch Dr. Eduard Kopmann erst einmal vorbeikommen, bevor Kant seinen Auftrag annimmt. Es geht um seine Tochter. Tutti Kopmann. Und seine Frau. Lisa Kopmann, 41, seit 16 Jahren mit ihm verheiratet und die gemeinsame Tochter, 15. Kopmann Einkäufer für Spumex setzt Kant auf Lisa an. Denn das Vertrauen ist nach 16 Jahren Ehe zerrüttet. Der Kant folgt ihr alsbald ins Playtime und erfährt einiges über die Vergangenheit von Lisa. Bei einer Zigarre und Kaffee. Manchmal auch ein Bier. Oder ein ordentliches Quantum Whisky.

Milieustudien als Metier

Das Milieu in das Fauser seinen Protagonisten schickt dürft ihm selbst auch nicht so unbekannt gewesen sein. Seine Schilderungen des zur Schau gestelltem Pömps sprechen eine deutliche Sprache, wo der allzu früh verstorbene Schriftsteller seine Nächte verbracht hatte, bevor er zu schreiben anfing. Seinen Kant lässt er im Astra wohnen, einer billigen Absteige im Chinesenviertel von München. Für ihn hatte strategisches Denken schon lange das Krafttraining ersetzt. Denn wer im Milieu lebt, schwimmt darin wie ein Fisch im Wasser. Die Forderung nach einem Lösegeld von 500.000 Mark ist aber selbst für Kant etwas zu hoch gegriffen. Denn wie viel müsste der Kopmann dann mit der Spumex schon gemacht haben? Und Sparen gehört ja jetzt nicht unbedingt zum Metier der Kopmanns.

Charakterstudien im Yakuza-Stil

Huren machen für Geld gut, was andere für Liebe schlecht machen.” Ein gewisser Felix Esterhazy spielt aber auch eine wichtige Rolle in diesem Krimi im Münchner Künstler- und Rotlichtmilieu. Denn Max der Galerist verkauft gefälschte Klees und auch unzüchtige Fotos. “Als Lisa Kopmann den Telefonhörer auflegte, war es in dem großen Raum so still, dass Kant den Eiswürfel in seinem Whiskyglas schmelzen hörte.” Und langsam schmilzt auch das Eis in Kants Kopf, denn plötzlich kann er sich über die Clique mit der er es hier zu tun hat, ein Bild machen. Ein dezenter Hinweis auf Fausers Inspiration, den Film Yakuza (1974), befindet sich auch in der Erwähnung Robert Mitchums, denn der Autor liebte das Augenzwinkern nicht nur beim Schreiben. “Im Auge des Tiger ist kein Platz für eine Ameise.

Ein echter Fauser, der seine amerikanischen Vorbilder nicht verhöhnt, sondern offen in seinen Widersprüchen fusioniert. Flott geschrieben und unterhaltsam, zudem voller Inspiration für eigene Geschichten.

Jörg Fauser
Kant. Erzählung
Mit einem Nachwort von Helene Hegemann
2021, Hardcover Leinen, 128 Seiten
ISBN: 978-3-257-07169-6
diogenes Verlag
€ (D) 20.00 / sFr 27.00* / € (A) 20.60


Genre: Crime noir, Erzählung, Hard-boiled Krimi, Krimi, Noir
Illustrated by Diogenes Zürich

Verführungen. Fotobuch.

Fotobuch der Stuttgarter Fotografin und Sängerin

Verführungen. Der erste Bildband der bekannten Fotografin Tina Trumpp zeigt die hohe Kunst der Aktfotografie aus weiblicher Sicht. Eine Ode an die Sinnlichkeit und zugleich eine Hommage an eine Ära: Burlesque, Glamour, Vaudeville.

Verführungen: Hommage an die Jazz Ära und eine Lebensstil

Auch wenn der Großteil der Fotografien der Fotografin Tina Trumpp zwischen 2017 und 2021 entstanden sind, zeigen sie doch eine längst vergangene Zeit. Beim Betrachten der Bilder denkt man Brokatvorhänge, Marmordekor, Federboas und Ledersofas. Ein Touch von SM durchweht die Bilder, aber auch ein Hauch von der Sinnlichkeit einer vergangenen Ära. Tina Trumpps Femmes Fatales präsentieren sich in opulenten Barock-Gärten mit Marmorstatuen oder sittsam gestylten Schlafzimmern. Stets ist das Licht etwas verhüllend, verdunkelnd, ganz so, als würde ein Geheimnis hinter dem direkten Blick in die Kamera stecken. Selbst wenn die Augen manchmal leicht geschlossen sind, ist dieser Blick zu spüren, ein Blick der mehr als tausend Worte sagt und doch nicht schweigt. Die Titel, die Tina Trumpp ihren verführerischen Fotografien gegeben hat, wirken wie ein Versprechen auf den Betrachter: The Muse of Brahms, You’re My Thrill, Sentimental Journey, J’attendrai Ton Retour, The Apple, Fairy Tail, Wild is the Wind. Viele der Bilder sind in Stuttgart entstanden, einige auch in Paris, aber der Ort spielt eigentlich keine Rolle, denn die Intimität, die durch die Fotos hergestellt wird, würde selbst den Mars zu einem bewohnbaren Planeten machen.

Aktfotografie mit Frau hinter und vor Objektiv

Tina Trumpp ist wohl mehr als eine Fotografin. Viel eher eine Fotokünstlerin, denn sie kreiert mit natürlichem Licht und weichen Zeichnungen eine eigene erotisches Weiblichkeit. Vielleicht am ehesten als auf sinnliche Weise inszenierte Tableaux Vivants, also wie Malerei einer vergangenen Epoche zu beschreiben. Eine ganz eigene Welt zu erschaffen, die mit nichts zu vergleichen ist und dennoch an so manche exotische Tagträume eines vergangenen Paradieses erinnert. Mit einer Einzelausstellung mit dem Titel „Shades of Sensuality“ machte die Stuttgarter Fotografin erstmals 2016 auf sich aufmerksam. Seitdem gehört sie in dem leider doch nur von Männern dominierten Genre zu den besten ihres Berufsstandes. Vor dem letzten Lockdown war in der Leica Galerie Stuttgart zudem ihre Ausstellung „Verführungen“ zu sehen. Einige dieser Bilder werden nun im vorliegenden Fotoband im Großformat 27,5 x 34 cm erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Außerdem wurde sie mit dem 14th Annual Black & White Spider Award 2019 (Serie ‘Room With A View’) in der Kategorie Nude ausgezeichnet und erhielt den Silver Award in The Moscow International Foto Awards 2019 mit ‚Love Me Like A River Does‘, Kategorie Fine Art Nudes. Ihre Bilder wurden in internationalen Galerien unter anderem in München, Zürich, Salzburg und Paris ausgestellt. Übrigens: Tina Trumpp (Jahrgang 1974) singt auch, passend zu ihren Bildern: Jazz.

Tina Trumpp
Verführungen. Fotobuch.
2021, Hardcover, 208 Seiten, 111 Farb- und Schwarz-Weiss-Fotografien
ISBN: 978-3-96171-353-0
teNeues Verlag
€ 50,00


Genre: Foto, Fotografie, Frauen, Jazz
Illustrated by teNeues

Wandern. 100 Seiten

Gipfelgefühlt und Wundermittel: Wandern

Wandern. 100 Seiten. In der Reihe 100 Seiten des Reclam Verlages ist von der Journalistin und passionierten Wandrerin Nina Ayerle vorliegende Einführung zum Wandern erschienen. Ein Überblick von der Entstehung der internationalen Wanderbewegung bis hin zu den Auswüchsen der Wanderpredigten im Hochgebirge oder Gebirgstheatern.

Runner’s High und Gipfelgefühl

Je höher man steigt, desto einsamer wird es um einen herum. Man ist nur noch mit sich, vielleicht noch mit seiner Wandergruppe und den Bergen“, schreibt die Autorin. Ja, das war einmal… Wandern liegt (leider) im Trend. Aus diesem Grund gibt es auch Empfehlungen über das richtige Verhalten im Hochgebirge. Denn so einfach es scheint, viele haben es immer noch nicht begriffen, dass der Müll den man hinaufträgt von niemandem wieder runtergetragen wird. Er bleibt oben. Siehe Mount Everest mit den unzähligen Sauerstoffflaschen. Also: wer Orangen- oder Bananenschalen liegen lässt, wird sie beim nächsten Gipfelsturm wieder vorfinden. Deswegen gilt immer alles was rauf geht auch wieder mit runternehmen. Aber abgesehen von diesen Auswüchsen des Massentourismus ist Wandern nach wie vor der beste Sport. Denn erstens ist die frische Luft gratis und zweitens braucht man außer gutem Schuhwerk (fast nichts) zu dessen richtiger Ausübung. Als Wandern gilt alles über 6 km/h und über der Durchschnittslänge von 2,29h. Also nicht jedes Spazieren ist gleich Wandern. Erfunden habe es der italienische Dichter Francesco Petrarca (1304-1374) mit seinem Bruder Gherardo. Sie wollten ganz einfach einmal die Welt von oben sehen. In Renaissance und Romantik folgten ihnen einige, aber richtig durchsetzen konnte es sich erst im 19. Jahrhundert, als die Freizeitgesellschaft entstand. Denn lange Zeit war Wandern nur den Reichen vorbehalten, die Armen musste ja bis zu 14h/Tag arbeiten. 1895 gründeten die Sozialdemokraten die Naturfreunde, aber auch die deutschen Wandervögel unter Herman Hoffmann-Fölkersamb (1875-1955) folgten alsbald dem Ruf der Berge. Die Wandervögel waren auch eine Art Protestbewegung: weg von Eltern, Kaiser und Stadt und rein in die Natur. Leider wurde das Wandern durch den sog. Turnvater Jahn und in Folge den Nazis für das völkische Turnen mißbraucht. Aber nach dem Kriege kam es schnell wieder zu einer Renaissance.

Wandern: Ein wahres Wundermittel!

Der Wanderer ist in vielen Hinsichten ein primitiver Mensch, so wie ein Nomade primitiver ist als der Bauer. Die Überwindung der Sesshaftigkeit aber und die Verachtung der Grenzen machen Leute meines Schlages trotzdem zu Wegweisern der Zukunft.“, wusste schon Hermann Hesse (1877-1962). Die Autorin macht auch ein paar Exkurse zum historischen Nomadentum und den sog. Zigeunern, aber auch Flanieren, Pilgern und Wallfahrten gehören für sie ins Spektrum des Wandern. “Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen“, dichtete schon Goethe und für den Zeit-Schreiberling Tobias Hürter ist Gehen gar “das perfekte Tempo für Körper, Geist und Seele. Ein wahres Wundermittel!“. Am besten drückte es aber wohl Jan Gehl aus: “Beim Gehen geht es um viel mehr als nur Bewegung. Es ermöglicht die Begegnung von Mensch zu Mensch.” Auch in Japan ist das Wandern in Mode gekommen. Dort nennt man es Shinrin Yoku: Waldbaden. Denn die ätherischen Öle die ein Wald absondert wirken wie eine Aromatherapie für Geist und Seele. Wozu also ins Fitnessstudio gehen? Das ist doch nur noch ein Termin! Im Anhang befinden sich weitere Lektüretips zum Thema sowie Abbildungen und Infografiken den Fließtext auflockern. Auch auf praktische Tips zu Kleidung und Ernährung beim Wandern hat Nina Ayerle nicht vergessen.

Ayerle, Nina
Wandern. 100 Seiten
2022, Broschiert. Format 11,4 x 17 cm
100 S. 13 Abb. und Infografiken
ISBN: 978-3-15-020588-4
Reclam Verlag
10,00 €


Genre: Geschichte, Literatur, Monographie, Ratgeber, Reiseführer, Wandern
Illustrated by Reclam Verlag

Die Erzählungen

33 literarische Fluchthelfer

Im Œuvre Thomas Manns nehmen seine Erzählungen und Novellen neben den Romanen einen wichtigen Platz ein. Nach seinem Debütroman «Buddenbrooks» von 1901 folgten zunächst 28 solcher Kurzprosa-Werke, ehe dann mit «Der Zauberberg» 1924 endlich sein beim Lesepublikum besonders erfolgreicher, dritter Roman erschienen ist. Ebenso positiv aufgenommen wurden aber auch Novellen wie «Tristan», «Mario und der Zauberer», «Tod in Venedig» und «Tonio Kröger». In der vorliegenden Taschenbuch-Ausgabe sind alle 33 Werke mit Kurzprosa Thomas Manns nach der Reihenfolge ihres Erscheinens zusammengefasst.

Es beginnt mit «Vision», einer 1893 noch für die Schülerzeitung geschriebenen Prosa-Skizze über verlorene Liebe. Dann folgt «Gefallen», seine erste größere Erzählung, Thema: Frauen-Emanzipation. In «Der Wille zum Glück» berichtet ein Ich-Erzähler von der tragischen Liebe eines in der Hochzeitsnacht verstorbenen Mannes. Auf dem Markusplatz in Venedig erzählt ein Unbekannter von den Enttäuschungen, die das Leben für ihn bedeutet. In «Der Tod» berichtet ein Graf in 15 Tagebuch-Einträgen von der fixen Idee eines ihm prophezeiten Todes. «Der kleine Herr Friedemann» scheitert als Krüppel daran, ein epikureisches Leben zu führen. Durchaus selbstironisch wird in «Der Bajazzo» ein junger Bonvivant geschildert, dem jede Anstrengung zuviel ist, «Tobias Mindernickel» ist ein menschenscheuer Mann, der vergebens Trost bei seinem Hund sucht. ‹Eine Geschichte voller Rätsel› lautet der Untertitel zu «Der Kleiderschrank, in der es um Visionen eines Todkranken geht, und «Gerächt» ist eine ‹novellistische Studie› über das zynische Verhalten eines jungen Mannes zum Erotischen. In «Luischen» macht sich ein Ehemann lächerlich, ähnlich wie «Professor Unrat» bei Heinrich Mann. Grotesk geht es zu in «Der Weg zum Friedhof», einer Novelle um einen verspotteten Choleriker, und in «Gladius Dei» wird der damalige Kunstbetrieb karikiert.

Zu den bedeutenderen und inhaltlich komplexeren Novellen gehört «Tonio Kröger», der von der tiefen Freundschaft des Protagonisten zu seinem Klassenkameraden Hans erzählt, den er wegen seiner Talente und seiner Unkompliziertheit sehr bewundert. In der Liebe hat er Pech, die lustige Inge ignoriert ihn völlig, sie bleibt unerreichbar. Tonio wird ein erfolgreicher Schriftsteller. Auf einer Reise nach Dänemark trifft er Jahre später auf ein Paar, das Hans und Inge sein könnten, der vergeistigte Künstler beneidet sie um ihre robuste Natürlichkeit. «Ich bin erledigt» konstatiert er resignierend in einem Brief an eine befreundete Malerin. In «Tristan» geht es, angelehnt an das Motiv aus Wagners Oper, um unglückliche Liebe, die in den Tod führt. Thematisiert wird hier parodistisch der Gegensatz zwischen zweifelndem, verletzlichem Künstlertum und selbstbewusster, vitaler Bürgerlichkeit. Auch vom Film her bekannt ist natürlich die Novelle «Der Tod in Venedig», in der ein asketisch lebender, 50jähriger Schriftsteller am Lido Urlaub macht und dort in verzehrender Liebe zu einem schönen Knaben entbrennt. Als Reiseerlebnis der besonderen Art entwickelt sich in «Mario und der Zauberer» während ihres Italienurlaubs der Besuch eines Paares mit zwei Kindern in einer Zauberschau, die ganz unerwartet tragisch endet.

Auch die übrigen, weniger bekannten Erzählungen Thomas Manns überraschen mit Motiven, die gedankliche Tiefe aufweisen, selbst wenn sie zuweilen eher parodistisch anmuten. Er sei, hat Doris Lessing angemerkt, der letzte Schriftsteller, der seine Werke für philosophische Aussagen benutzte. Erzählt wird all das in dem für ihn so typischen, von Kritikern als altväterlich bezeichneten, anspruchsvollen Stil. Dessen Merkmal ist nicht nur die syntaktisch komplexe Sprache, sondern auch ein im Deutschen von niemand anderem je erreichter, unglaublich üppiger Wortschatz. Dieser Sammelband bietet dem Leser folglich 33 ideale Möglichkeiten zur erquickenden Flucht aus den Niederungen der zeitgenössischen Erzählkunst!

Fazit: erstklassig

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Genre: Kurzprosa
Illustrated by Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main

Schreib ohne Furcht und viel

Camus – Casarès: Schreib ohne Furcht und viel. Ein Briefwechsel

Schreib ohne Furcht und viel. Was für ein Imperativ! Was für eine Liebesgeschichte! Sagenhafte 1568 Seiten umfasst dieser Briefwechsel – bei Rowohlt erstmals in Buchform – zwischen Albert Camus (1913-1960) und der Schauspielerin Maria Casarès. Eineinhalb Jahrzehnte dauerte ihre Liebesgeschichte, die vielleicht nur durch Camus’ tragischem Unfalltod am 4. Januar 1960 für immer ihr Ende fand. Aber als Zeugnis der Intensität ihrer unvergleichlichen Liebe wird nun der Briefwechsel zwischen den beiden mehr als 60 Jahre später öffentlich zugänglich.

Schreib ohne Furcht und viel

In Frankreich erschien dieser Briefwechsel schon 2017 und wurde geradezu zu einer literarischen Sensation. Ein Vorwort des Schriftstellers Uwe Timm, der in den 1970er Jahren seine Doktorarbeit über Albert Camus schrieb, eröffnet die erstmalige deutschsprachige Ausgabe beim Rowohlt Verlag. Er schreibt auch von dem 1967 zu trauriger Berühmtheit gelangten Studenten Benno Ohnesorg, der ebenfalls ein Camus-Fan war und sogar nach Nordafrika getrampt war, um dort “genau die Landschaft zu erleben, die der Autor so hymnisch in Hochzeit des Lichts beschrieben hat“. Camus und Casarès hatten sich im Frühjahr 1944 im besetzten Paris kennen und lieben gelernt. Er war damals 30, sie immerhin 21. “Ich brauche dich, um mehr als ich selbst zu sein“, schreibt er ihr liebestoll. Er selbst war im Alter von ihr bitter enttäuscht worden, als ihn sein erste Frau betrogen hatte. Außerdem war er als Kind von seiner Großmutter mit einem Ochsenziemer gedemütigt worden.

Solitaire und solidaire

Eine Zeit wird kommen, in der wir trotz aller Schmerzen leicht, fröhlich und aufrichtig sind“, schreibt Camus ihr hoffnungsvoll im Februar 1950. Tatsächlich hatten sich die beiden zwischen 1944 und 1948 wieder trennen müssen, da Camus’ Frau, Francine Faure, zu ihm stieß (sie waren durch den Krieg getrennt worden). Eigentlich begann die Beziehung erst richtig am 6. Juni 1948 als sie sich zufällig am Boulevard Saint-Germain wiedersahen. Wieder ein 6. Juni wie schon 1944 und wieder ein Zufall. Aber auch in den zwölf Jahren ihrer Beziehung waren sie oft getrennt, allerdings nur geographisch. Denn ihre Briefe schmiedeten ein unsichtbares Band, das Zeugnis gibt, wie intensiv eine Liebe auch in Abwesenheit des Geliebten empfunden werden kann. Vielleicht gerade in Abwesenheit des anderen. “Was jeder von uns in seiner Arbeit, seinem Leben etc. Tut, tut er nicht allein Eine Anwesenheit, die nur er spürt, begleitet ihn“, schreibt Camus ihr im selben Brief vom Februar 1950 aus dem auch seine Tochter, Catherine Camus, die ebenfalls ein Vorwort schrieb, zitiert.

“Aye!Que cara de tonta tienes hoy!”

Wenn man sensibel ist, neigt man dazu, Hellsichtigkeit zu nennen, was einen enttäuscht, und Wahrheit alles, was einem schadet. Aber diese Hellsichtigkeit ist genauso blind wie anderes.“, schreibt er ihr 1944 und spricht darin von “dieser Welle, die mich seit gestern trägt” und beschreibt es mit “mein Herz ist voll von Dir“. Dennoch weiß Camus natürlich auch, dass er sich in Geduld üben muss. Schließlich herrscht Krieg und zudem ist er ja noch verheiratet. Sie antwortet ihm: “ich warte darauf, zu existieren, bin nur Verheißung”. Ihre Seligkeit beim Erhalten eines Briefes von Camus lässt ihren Vater ob ihres Anblickes ausrufen: “Aye!Que cara de tonta tienes hoy!” (Oh! Was machst du heute für ein dummes Gesicht!) Eine Seligkeit, die an Schwachsinn grenzt, meint sie. Aber wer kennt das nicht, wenn er/sie verliebt ist?

Liebe in kleinen Dosen

“Ich bin jedes Mal hingerissen, wenn Du mir Deine Liebe schreibst. Ich zittere, und zugleich bricht alles zusammen“, antwortet Camus ihr und zeigt damit, dass es ihm ähnlich geht. Über ihren letzten Brief meint er: “ich lebe, auf seinem Grund, wie ein glückliches Wrack“. Kann man das überhaupt “leben” nennen, ohne den Geliebten zu sein? Jeder, der schon einmal eine Fernbeziehung hatte, weiß, dass gerade durch die Trennung, die Gefühle sich intensivieren. Und vielleicht (er)lebt man sich gerade dadurch selbst mehr. Man wird kühner und dankbarer und wagt Dinge zu sagen, die ansonsten des Alkohols oder anderer Substanzen bedürfte. Hemingway (sie liest ihn gerade) nennt Camus einen Trickser und für die Liebe die sie ihm bereitet bedankt er sich aus tiefsten Herzen. Aber an manchen Tagen weint das Herz dann wieder stundenlang, “trotz den Hoffnungen und Freuden, die ihm versprochen” worden sein mögen. Und an solchen Tagen schreibt man seinem Geliebten oder seiner Geliebten am besten Briefe. Voller Sehnsucht und Leidenschaft. Keine E-Mails.

Albert Camus, Maria Casarès
Schreib ohne Furcht und viel.
Eine Liebesgeschichte in Briefen 1944-1959
Übersetzt von: Claudia Steinitz, Andrea Spingler, Tobias Scheffel
2021, Hardcover, 1568 Seiten
ISBN: 978-3-498-00131-5
Rowohlt


Genre: Biographie, Briefe, Exil, Fernbeziehung, Frankreich, Krieg, Liebesgeschichte
Illustrated by Rowohlt

Ludwigshöhe

Der Tod als Programmfehler

Seinem Roman «Ludwigshöhe» hat Hans Pleschinski ein an den ‹Zauberberg› erinnerndes Setting zugrunde gelegt, eine in die Jahre gekommene, einst pompöse Jugendstil-Villa, die aber hier von keinen Patienten, sondern von Lebensmüden bevölkert wird. Der Autor benutzt sie für seine originelle Versuchs-Anordnung, Suizid-Kandidaten einen letzten Zufluchtsort zu bieten, an dem sie ohne bürokratische Hürden völlig ungehindert aus dem Leben scheiden können. Das Ganze wird durch eine riesige Erbschaft ausgelöst, die nur unter der Bedingung wirksam wird, dass die drei Erben dieses Hospiz ein Jahr lang ausschließlich zu diesem sehr speziellen Zweck betreiben.

Der reiche Onkel aus Brasilien hat diese Hürde für drei Geschwister aufgebaut. Sie alle sind wenig zufrieden mit ihren persönlichen Lebensumständen und träumen von dem Luxusleben, das sie erwartet, wenn sie unter den strengen Augen des Notars die makabre Erbauflage erfüllen. Aber wie an die Kandidaten kommen? Jede öffentliche Werbung wäre ja sittenwidrig und würde die Behörden auf den Plan rufen! Also stecken sie im Wartebereich von Arztpraxen und Arbeitsagenturen in die dort ausliegenden Zeitschriften und Broschüren diskret schwarze Visitenkarten, auf denen Folgendes geschrieben steht: «Reicht es? Reicht es wirklich? Und nicht mehr weiter? Kein Weg mehr? Aber prüfen Sie sich. Alles in Ruhe. Wenn Sie verstehen, verstehen Sie», gefolgt von einer Telefonnummer. Und es melden sich auch tatsächlich Interessenten für diesen notgedrungen so verklausuliert angebotenen Service. Nach und nach füllt sich die Villa mit fast zwanzig «Finalisten», wie die Kranken, Verbitterten, Enttäuschten, Gescheiterten und Mutlosen hausintern genannt werden. Da ist zum Beispiel die von ihrem Lover verlassene Domina, ferner eine abgehalfterte, ehemals bekannte Schauspielerin, die nervlich an ihren Schülern gescheiterte Lehrerin, ein bankrotter Verleger, eine vom Alltagsstress ausgebrannte Verkäuferin, die medikamentensüchtige Witwe, der verzweifelte Bühnenbildner und ein medienmüder Radioredakteur. Wie zu erwarten folgen aber, von zwei Ausnahmen abgesehen, die im Keller tiefgekühlt gelagert sind, die Moribunden kaum noch ihrem ursprünglichen Ziel. Es entwickeln sich neue Beziehungen in diesem seltsamen Mikrokosmos, das Leben scheint weniger unerträglich zu sein als ursprünglich angenommen.

Die alte Villa dient als Bühne für menschliche Verrücktheiten und als Laboratorium für Wege aus dem ewigen Dilemma allen Lebens, seiner unabweisbaren Endlichkeit. Kann man dem denn wenigstens mit passiver Sterbehilfe beikommen, weil die aktive ja doch nur theoretisch möglich ist? Will man ein Fazit ziehen aus all den Gedanken, die in diesem lebensprallen Gesellschafts-Roman angesprochen und oft auch durchdekliniert werden, so kommt man letztendlich auf die einfache Formel: Unsterblichkeit wäre ein Fluch!

Humorvoll nutzt Hans Pleschinski seine Satire zu einem Feuerwerk an herber Gesellschafts-Kritik und zu verschmitzt vorgetragenen, philosophischen Diskursen über ein im Kern ja durchaus ernstes Thema. Aber wie eine Finalistin im Roman es sich wünscht, nämlich tot zu sein ohne sterben zu müssen, das funktioniert leider auch auf der «Ludwigshöhe» nicht. Es sind solche Verrücktheiten, die bei der Lektüre dieses makabren Plots immer wieder ein Schmunzeln erzeugen, den Leser aber öfter auch laut auflachen lassen. Sprachlich nutzt der fabulierlustige Autor mit seinem ironischen Plauderton alle Register seines Könnens. Er bleibt auch im Fiktionalen dem Realismus verhaftet, überzeugt zudem mit vielerlei intellektuellen Betrachtungen, aber auch mit fundiertem Alltagswissen. Dabei verzeiht man ihm dann, dass er seinen Stoff derart über Gebühr ausgewalzt hat, weniger wäre hier mehr gewesen. Das Wichtigste an dieser Moralsatire aber ist die beißende Kritik an einem Zeitgeist der intellektuellen Verflachung, in welchem der Tod, wie es im Roman heißt, «zum Programmfehler heruntergekommen ist».

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by dtv München

Ghostly Things 3

Die Natur, das Jenseits und die Menschen

Yashios Freundin erinnert sich eines schönen Tags an ihren toten Bruder. Aber die Erinnerungen werden ihr von einem Spinnennaturgeist aus dem Kopf gezogen, weil er sich daraus ein Nest bauen will. Yashio erfährt, dass diese Geister den Kopf leeren, damit neue Erinnerungen Platz finden. Aber ihre Freundin hängt an ihrem toten Bruder, deshalb will sie ihr die Erinnerungen zurückholen. Außerdem wird ein neuer Torwächtergeist geboren, den Moro und sie in ihre Obhut nehmen, bis er am großen Fest zum Geleit ins Totenreich teilnehmen kann. Das Fest selbst muss noch vorbereitet werden, damit der Heimkehr der Naturgeister ins Totenreich nichts im Weg steht. Vorerst aber findet Yashio durch eine Art Unfall selbst den Weg ins Totenreich. Sie begegnet dem verschwundenen Professor, der das Jenseits erforscht, aber nicht mehr zurückkehren darf. Er gibt ihr den entscheidenden Rat für Yashios Suche nach ihrer Mutter.

Abschlussband

Der letzte Teil der Trilogie fühlt sich nicht wie ein Abschluss an. Er hört für meinen Geschmack zu abrupt auf, denn die Story hat durchaus noch das Potential fortgeführt zu werden: Wie will Yashio ihre Mutter finden, was passiert mit ihren Gegnern und wird Moro tatsächlich seinem Schicksal überlassen? Das wird alles nur zart angedeutet oder findet viel zu schnell und hastig statt, ohne dass man als Leser*in so recht weiß, was und wie einem gerade geschieht. Der Band vermittelt den Eindruck, unter Zeitdruck oder ungeduldig fertig gestellt worden zu sein, sodass am Schluss des Bandes nur noch grobe Storyskizzen möglich waren. Das ist schade, denn die ersten beiden Bände und auch die ersten Teile des Abschlussbandes sind qualitativ hochwertig in den Zeichnungen und der Gestaltung der Story. Ein vierter Band hätte die Geschichte in Würde zum Abschluss gebracht. Man könnte natürlich dafür plädieren, dass das Ende des Bandes ein offenes ist, aber es sprechen o.g. Gründe dagegen, denn selbst ein offenes Ende wird nicht hastig gestrickt. Schade, dass ein runder Schluss für diese wirklich schöne Geschichte fehlt.


Genre: Jenseits, Manga, Natur
Illustrated by Carlsen Manga!

Rauschzeit

Redundanter Lebensgefühls-Roman

Das Opus magnum des Büchner-Preisträgers Arnold Stadler mit dem Titel «Rauschzeit» ist ein Roman ohne Plot, der allein von seinem eigenwilligen Stil lebt und genau damit eine sehr konträre Rezeption in Feuilleton und Leserschaft erzeugt hat. Am Beispiel eines Paares in der Beziehungskrise wird hier resignierend eine illusionslose Weltsicht thematisiert, die ihr Vorbild in Jean Paul hat, auf den der Autor in seinem intertextuell reich ausgeschmückten Roman häufig Bezug nimmt.

Der Buchtitel spielt auf die begrenzte Paarungszeit der Wildschweine an, die ihre Entsprechung findet im Sexualverhalten von Alain und Mausi, die eigentlich Irene heißt. Das in Berlin lebende, kinderlose Ehepaar, beide vierzigjährig und als Übersetzer tätig, hat sexuell seine «vegetarische Zeit» erreicht, sie beschimpft ihn, nicht ganz zu Unrecht, als «Waldschrat». Die sich über zwei Mittsommer-Tage, den 25. und 26. Juni 2004, erstreckende Handlung ist schnell erzählt: Alain reist zu einem Symposium nach Köln und trifft dort zufällig nach langer Zeit erstmals wieder auf seine Jugendliebe Babette. Mausi hat von Freunden eine Karte für ‹Toska› geschenkt bekommen und fiebert schon dem Opernabend entgegen, die zweite Karte ging nämlich an einen ihr unbekannten Dänen, der dann ja neben ihr sitzen wird. Und wie vorauszusehen finden Alain und Babette wieder zueinander, und Mausi und der blonde Däne werden ebenfalls ein Paar. So weit, so profan, – denn mehr ist da nicht! Der Autor hält sich an Mark Twain, den er häufig mit dem bezeichnenden Satz aus «Huckleberry Finn» zitiert: «Persons attempting to find a plot in will be shot». Also Vorsicht, verehrter Leser!

Dem Roman ist mit «Wir wissen wenig voneinander» ein Zitat von Georg Büchner vorangestellt. Und Arnold Stadler selbst beginnt seinen sechsteiligen Roman mit den sinnigen Worten: «Was ist Glück? Nachher weiß man es», den er später immer wieder mal zitiert und variiert. In oft kurzen, mit ihrem Namen überschriebenen Kapiteln lässt er jeweils abwechselnd seine zwei Protagonisten zu Wort kommen, Alain als Ich-Erzähler, die Mausi-Kapitel werden auktorial erzählt. Nur im vierten Teil schildert Alain unter dem Titel «Ma vie» auf fast zweihundert Seiten ohne jede Gliederung sein Leben. Das Besondere daran sind jedoch nicht die Inhalte, die erzählerisch wenig hergeben, es ist der alle Konventionen negierende Stil, in dem da erzählt wird. Er ist, typisch für Stadler, gekennzeichnet durch eigenwillige Sprachbilder, häufige Selbstzitate und Wiederholungen, aphoristische Irrwege oder Sackgassen und oft ins Groteske verzerrte Figuren. Und deren ständiger Begleiter auf ihrer unentwegten Suche nach Glück und Lebenssinn ist der Schmerz, der in ständigen Vor- und Rückblenden und mit vielen, meist wörtlichen Wiederholungen thematisiert wird. Besonders der mutmaßliche Freitod von Mausis bester Freundin, der trucksüchtigen Fotografin Elfi Rauschzeit (oh wie sinnig, dieser Nachname!) wächst sich im Roman schon fast zu einer Art Totenklage aus.

Erzählt wird in einer an Neologismen reichen Sprache, in der das unbekümmerte Wortspiel tragendes Element ist sowie die ungehemmte Lust am Verschieben von Buchstaben oder das eifrige Variieren zusammengesetzter Wörter mit phonetisch ähnlichen. Ein gleichartiges Spiel wird auch mit ganzen Sätzen veranstaltet, was zu bestenfalls komischen, aber auch zu oft völlig sinnlosen Aussagen führt. Befremdlich wirken zudem viele der vom Autor eingestreuten Aphorismen aus eigener Feder, deren tieferer Sinn sich oft nicht erschließt. «Mein Leben war eine Vermeidungsstrategie, damit es glückte» wird da verkündet, oder, ebenso sinnig: « Ich? Ein Joint Venture aus Schmutzfink und Sprachgitter». Als alles beherrschendes Formschema aber bläht ausufernde Redundanz die Textmasse des Romans unnötig auf und ärgert den geplagten Leser. Als stilistisch holperiger Lebensgefühls-Roman spricht «Rauschzeit» allenfalls einen äußerst kleinen, esoterischen Leserkreis an!

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
Illustrated by Fischer Verlag

Djamila

Djamila. Djamila stammt von dem kirgisischen Autor Tschingis Aitmatow. Die beliebte Illustratorin Kat Menschik hat Djamila mit ihren Zeichnungen veredelt und der Galiani Verlag beides in einem schmucken Büchlein herausgegeben. Eine Synthese aus gleich mehreren Dingen also, möchte man meinen, zumal Louis Aragon die Geschichte als eine der schönsten Liebesgeschichten pries. Jetzt eben noch schöner mit Illustrationen von Kat Menschik. Auch Aragon hätte das gefreut.

Djamila und Danijar

Die “Kraft und Wucht der Liebe” hat Kat Menschik schon als Kind in der Erzählung Djamila begeistert. So bedingungslos muss die Liebe sein, schreibt sie im Nachwort. “Man wünscht sich auch einmal so etwas erleben zu dürfen”. Vielleicht mache gerade das den Zauber der Erzählung aus. “Djamila” erzählt allerdings von einer vorerst unmöglichen Liebe. Denn sie selbst ist verheiratet und ihr Geliebter Kriegsinvalide. Djamilas Ehemann ist in den Großen Krieg gezogen, kurz nach der Hochzeit. Aber er hatte ohnehin kein Interesse an Djamila. Und so beginnt sie, völlig unabsichtlich, sich zuerst in die Lieder von Danijar zu verlieben. In seinen Liedern offenbaren sich tiefe Sehnsucht, Schmerz und die Liebe zur Welt. Eine sommerliche Augustnacht in den Bergen Kirgisiens verstärkt den Zauber der verbotenen Liebe und bald liegen sich die beiden in den Armen.

Liebe ohne Bedingungen

Said, der 15-jährige Schwager und ständigen Begleiter Djamilas ist der Erzähler der Geschichte. Denn er beobachtet schon seit längerem, was sich zwischen den beiden anbahnt. Er sieht die verbotene Liebe erwachsen, bewahrt aber das Geheimnis für sich. Er erzählt es niemandem, denn es würde gegen die strengen moralischen Sitten der Kirgisen verstoßen. Auch Said ist durch Danijars Gesang inspiriert und findet dadurch Zugang zu seiner künstlerischen Natur als Maler. Seinen Leinwänden kann er sein Geheimnis anvertrauen und so malt er ein Bild, das die beiden jung verliebten zeigt. Er verfolgt staunend mit, wie die Verliebten den von allen anderen für unüberwindbar gehaltenen Gesetzen der Tradition entgegentreten und tut sein bestes ihnen zu helfen. Doch ls Djamilas Ehemann zurückkehrt, muss das Liebespaar aus dem Dorf fliehen. Als sein Bild entdeckt wird, ist auch für den jungen Said der Moment des Abschieds und Aufbruchs in die Welt gekommen.

Die Illustrationen im zwölften Band von Kat Menschiks Reihe ihrer Lieblingsbücher sind zauberhaft, sehnsüchtig und sonnendurchtränkt wie ein Hochsommertag in der kirgisischen Landschaft. Im August. Louis Aragon (1897-1982) entdeckte die Erzählung und übersetzte sie ins Französische. Mit seiner Übersetzung machte er aber auch den kirgisischen Autor und seine Djamila weltberühmt. Für SchülerInnen in der DDR war „Djamila“ übrigens Pflichtlektüre.

Tschingis Aitmatow/Kat Menschik
Djamila
Illustrierte Lieblingsbücher, Band 12
Übersetzt von: Gisela Drohla
2022, Hardcover, illustriert, 112 Seiten
ISBN: 978-3-86971-253-6
Galiani-Berlin


Genre: Illustrationen, Kirgisien, Liebesgeschichte, Märchen
Illustrated by Galiani

Vom Endzeit-Blues zurück ins Leben

Turbulente Lebensgewässer

Vom bewegten Leben eines ganz normalen Bürgers erzählt die Autobiografie „Vom Endzeit-Blues zurück ins Leben“. Als eines von mehreren Geschwistern wächst der Autor zunächst bei seinen Eltern und später bei Onkel und Tante auf, die sich mit dem Kind wohl ihren Kinderwunsch erfüllt haben. Zunächst läuft es für den Jungen ganz gut; er ist begeistert von den Freiheiten, die er jetzt genießt. Aber das Leben bei Onkel und Tante hat nicht nur gute Seiten, sodass er als Teenager zurück zu seinen Eltern zieht. Dort macht er eine Lehre zum Schriftsetzer, muss aber quasi als Mädchen für alles vielerlei andere Arbeiten verrichten. Aus mehreren Gründen heiratet Ranstädt früh. Seine Frau bringt einen Sohn mit in die Ehe, zwei weitere Kinder folgen. Ein paar Jahre später muss der Autor seinen ersten Schicksalsschlag verkraften, denn der erste Sohn erkrankt schwer. Weitere Schicksalsschläge folgen in Form von Trennungen, schwierigen Beziehungen zu den Kindern und turbulenten Arbeitsstellen, bis Ranstädt sein stürmisches Lebensschiff in ruhigere Gewässer steuern kann.

Nach dem Ab folgt ein Auf

Die Autobiografie liest sich flüssig, schnell und spannend. Ich habe als Mutter nur ca. 3 Abende gebraucht, um sie zu lesen. Das verdankt sich nicht nur der flüssigen Schreibweise mit Appetizern am Ende der Kapitel, sondern auch der recht großen Schrift, die das Lesen angenehm gestaltet. Das Buch entfaltet sich als Lebensrückschau vor den Augen der Leser*innen und beweist, dass auch und gerade die Geschichte ganz normaler Leute interessant sein kann.

Der Autor will den Leser*innen Mut machen, indem er sagt, dass nach jedem (Jammer-)Tal auch wieder frohes Gipfelstürmen folgen kann. Das Leben erfolgt in Wellen; es gibt immer ein Auf und Ab. Und wie ein Stehaufmännchen soll man sich von den Tiefen nicht unterkriegen lassen, denn irgendwo kommt immer wieder ein Lichtlein her. Es ist wirklich faszinierend zu sehen, wie ein solches Lichtlein just in dem Moment um die Ecke biegt, wenn alles am Boden zu liegen scheint. Da beneide ich Ranstädt, denn in meinem Leben kam mal nicht eben ein Lichtlein vorbei, ich musste mir solche Lichter stets selbst erarbeiten. Das ist aber auch das einzige Beneidenswerte, denn ansonsten wurde dem Autor in seinem Leben kaum etwas erspart. Das ermöglicht ihm aber eine Weitsicht und Reife, die auch im Nachwort des Buches zu spüren ist.

Ich persönlich finde es schade, dass das Buch für meinen Geschmack zu sehr an der Oberfläche geblieben ist, denn ich wäre gern noch tiefer in seine Geschichte eingetaucht. Kaum angefangen war das Buch schon ausgelesen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es sehr schwer sein muss, sein Leben derart offen darzulegen und Wunden wieder aufzureißen. Das geht wohl nur bis zu einem gewissen Grad. Hin und wieder tauchen Tippfehler auf, die evtl. für eine zweite Auflage angegangen werden könnten. Ansonsten habe ich aber an dem Buch nichts auszusetzen. Eigentlich könnte es ruhig mehr Biografien von „ganz normalen Leuten“ geben – sie lesen sich zumindest für mich spannender als so manche Promi-Biografie und beweisen, wie vielfältig der „ganz normale Alltagswahnsinn“ sein kann.

 


Genre: Autobiografie
Illustrated by BoD Norderstedt