Erweiterte Wahrnehmung
Stefan Brönnle will mit diesem Buch darauf aufmerksam machen, dass unsere Wahrnehmung weiter geht als wir annehmen. Wir filtern vieles, was in der Realität existiert, u.a. aufgrund unserer Erwartungen und Weltbilder aus. Er nennt als Beispiel Darwin, der beobachtete, dass Eingeborene, die noch nie ein großes Schiff gesehen hatten, dieses deshalb nicht wahrnahmen. Die kleinen Landungsboote dagegen konnten sie sehen. Auch die Quantenphysik lässt er in seine Betrachtungsweisen einfließen. Diese besagt, dass jede*r Beobachter*in das zu beobachtende System beeinflusst. Er schließt daraus, dass wir keine unabhängigen Zeugen der äußeren Realität sind, sondern diese beeinflussen und sogar erschaffen. Das Bindeglied zwischen unserem Bewusstsein und der Realität ist also die Wahrnehmung. Und diese möchte Brönnle mit diesem Buch erweitern. Dazu bietet er den Leser*innen zahlreiche Übungen an, u.a. zur Fernwahrnehmung, deren Lösungen am Ende des Buches aufgeschlagen und mit den eigenen Wahrnehmungen verglichen werden können.
Brönnle erläutert systematisch die im Titel genannten Wahrnehmungsarten, untergliedert diese, bietet dazu Übungen an und fasst das Wichtigste eines jeden Kapitels an dessen Ende kurz und prägnant zusammen. Dabei geht er aber auch auf Gefahren ein, z.B. dass man im anderen Extrem von inneren Bildern überschwemmt werden könne und diese dann für historische Realität halte. Brönnle beginnt ganz von vorn, nämlich mit dem Aufbau des Gehirns, welches grundlegend für die Wahrnehmung ist, und erklärt dessen Funktionen. Seine Erläuterungen nicht nur am Hirn unterlegt er mit vielen Bildern, Fotos und Zeichnungen. Er widmet sich den Wirklichkeits- und Wahrnehmungsebenen (Gehirnwellen, physische und geistige Welt) und wie wir Wirklichkeit mithilfe von Wahrnehmungsfiltern erschaffen. Dann geht er auf die fünf Sinne ein und bietet für jeden Wahrnehmungstyp (z.B. die Kinästetiker*innen) Übungen an. Er gibt auch Tipps, wie man mit inneren Bildern umgehen kann und weist auf Fallen hin. Er erläutert den Focusing-Prozess, beschreibt, wie man den Assoziativ-Speicher entleert und sich insgesamt freimacht von störenden Einflüssen, die die Wahrnehmung beeinträchtigen oder davon ablenken. Er beschreibt immer sehr anschaulich, z.B. wie man mit schnellen Techniken die Alpha- und Theta-Hirnwellen aktiviert, die für eine erweiterte Wahrnehmung wichtig sind. Auch die Traumdeutung und wie man insgesamt mit Träumen umgeht und sie evtl. auch lenken kann, findet in seinem Buch Platz. Da sind bei vielen Themen oft schon einigermaßen bekannte Techniken darunter, aber er erklärt auch unbekannte, wie die kinästhetische Primärbewegung, den Rapport oder was das automatische Zeichnen für die Wahrnehmung bringt. Wahrnehmungshaltungen (dominant, rezeptiv, Identifikation) gewähren verschiedene Zugänge zu dem, was wahrgenommen wird.
Bei all dem vergisst er nicht, an Schutzmaßnahmen zu denken, damit wir uns bei unschönen Wahrnehmungen zurückziehen bzw. davor schützen können, z.B. über Übungen, die die eigene Mitte finden lassen, heilende Laute wie das gehauchte „Hhhhiiiii“ oder die Übung zur Verbindung mit Himmel und Erde.
Das Buch schließt ab mit weiterführender Literatur und Adressen, an die man sich bei Interesse wenden kann.
Männliche Brille
Auffällig an diesem Buch: Brönnle verwendet nicht nur das generische Maskulinum, sondern auch Bilder, die v.a. Männer zeigen. Das war lange genug Usus, ist aber zum Glück nicht mehr zeitgemäß. Ich bin eine Frau und ich fühle mich nicht durch das generische Maskulinum angesprochen und mindestens genauso wenig durch Fotos und Bilder mit Männerkörpern. Sie repräsentieren mich nicht, haben es auch nie. Warum wird nicht beides oder ein neutraler Körper angeboten? Es gibt schließlich auch Hermaphroditen, Transsexuelle usw. Bilder wirken direkt. Und Sprache spiegelt Welt nicht nur wider, sondern erschafft sie auch. Das könnte Brönnle eigentlich wissen. Wenn wir schon bei Wahrnehmung und Wahrnehmungsbeschränkung sind: Brönnle sieht durch die männliche Brille. Aber die Welt ist deutlich vielgestaltiger als die bloße männliche Sicht, die den Leser*innen hier ganz konservativ als Neutrum untergejubelt wird.
Fazit
Brönnle gibt in diesem Buch einen prägnanten, systematisch geordneten Überblick über verschiedene Arten von Wahrnehmung, wie man diese erlangt, wie man sich schützt und welche Grundlagen für eine erweiterte Wahrnehmung Voraussetzung sind. Aber seine eigene Wahrnehmung, die er bei anderen zu erweitern versucht, beschränkt sich auf das Männliche. Ich fühle mich z.B. nicht angesprochen, wenn ich mich als Frau ständig mit Männerkörpern identifizieren soll.