Der lange Atem der Bäume

Der lange Atem der Bäume von Peter Wohlleben: Wie Bäume lernen, mit dem Klimawandel umzugehen – und warum der Wald uns retten wird, wenn wir es zulassen

Der aussagekräftige Untertitel könnte schon eine Zusammenfassung des Buches sein. Es ist in drei recht unterschiedliche Kapitel aufgebaut: Die Weisheit der Bäume, die Ignoranz der Forstwirtschaft und der Wald der Zukunft.

Das Nachwort von Prof. Dr. Pierre Ibisch bringt das Geschriebene auf den Punkt: Wir können nicht mehr glauben, wir wüssten, was der Natur guttut. Also: Lasst die Wälder in Ruhe, die Natur hat in Millionen Jahren herausgefunden, was sie zum Leben braucht.

Im ersten Kapitel werden Beobachtungen des Försters Wohlleben dargestellt, manche untermauert durch wissenschaftliche Studien. Es geht um Grundsätzliches: Wie der Stoffwechsel der Bäume Zucker aus dem im Überfluss vorhandenen CO₂ produziert und aus Wasser, an dem es durch die Veränderungen des Klimas zunehmend mangelt. Dabei sind Unterschiede zu beobachten bei Baumarten, bei Bodenverhältnissen, aber auch, ob es sich um den Nord- oder Südhang desselben Hügels handelt. Viele der Beobachtungen stammen aus den letzten Jahren, als das Wetter unvorhersagbar wurde. Neben der Trockenheit zeigt auch andauernde Feuchtigkeit ihre Spuren, etwa durch vermehrten Pilzbefall.

Es geht vor allem um die Gemeinschaft aller Lebewesen, auch im Wald: um „den komplex zusammengesetzten Holobionten.“ Wir lernen die Bedeutung des Zusammenspiels vieler Faktoren kennen, dabei zeigen gerade die alten Laubbäume, dass sie sich besser auf das Weiterleben trotz widriger Umstände verstehen.

Ein Jahrhunderte alter Baum hat schon einiges durchgemacht und Überlebenstechniken entwickelt, vor allem in seinem Wasserhaushalt. Nachdem ein Brand einen Wald im regenarmen Nordosten Deutschlands zerstört hatte, zeigt sich bei Begehungen, dass sich die Natur mit vielen Ansätzen erholt.

Durch menschliche Eingriffe nach der Lehre der Forstwirtschaft ist das Zusammenspiel der Natur durcheinandergeraten, vor allem durch die Plantagenwälder, die aus Nadelbäumen bestehen. Auch die schweren Maschinen, mit denen die Plantagen abgeerntet werden, schaden den Milliarden Lebewesen, die in der Erde leben.

Diese wichtigste Erkenntnis wird häufig wiederholt: Laubbäume, vor allem Buchen, sind für Deutschland besser geeignet. Dennoch werden Nadelhölzer in Plantagen angebaut und dienen dem Ziel der Holzwirtschaft. Diese strebt ein Abholzen nach 40 Jahren an. Danach fehlt der schützende Schatten, es fällt zu viel Licht auf den Boden, was der Zusammensetzung der Lebewesen in und auf dem Boden schadet.

Mit vielen Beispielen wird in Der lange Atem der Bäume der Irrsinn der etablierten „verbeamteten Waldwächter“ beschrieben, auch der Einfluss, den sie auf die Politik, im Beispiel die frühere Landwirtschaftsministerin, hatte. Mehr als 50 % der Wälder in Deutschland bestehen aus „gebietsfremden“ Nadelbäumen. Man pflanzt Nadelbäume aus Baumschulen, die möglichst gerade gewachsen sind, denn das gibt lange gerade Bretter, hofft man jedenfalls, aber diese vorgezogenen Setzlinge können im abgeholzten Wald, ohne den Schutz der alten Bäume nicht gedeihen. Es gibt Hinweise auf das „Greenwashing“ der Baumpflanzaktionen.

Da gibt es Universitätsprofessoren, die raten, man solle alte Bäume fällen um den neuen Platz zu geben, aber auch, im Land Rheinland-Pfalz ein Verbot bis Ende 2021 diese zu fällen: ein „Abschlagverbot.“

Nachdem in den drei Kapiteln nicht immer der rote Faden zu erkennen war und sich manches wiederholte, rundet das Nachwort das Geschriebene ab: Niemand weiß, was richtig ist, auch Wissenschaftlern steht besser Demut als Rechthaberei. Bäume haben den längeren Atem!


Genre: Landwirtschaft, Umwelt, Wald
Illustrated by Ludwig Buchverlag

Bauern, Land: Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang

Der Untertitel des Buches Bauern, Land: Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang von Uta Ruge verspricht viel, aber, um es gleich zu sagen, nach der Lektüre der 470 Seiten weiß ich wirklich mehr über Land, Leute und globale Zusammenhänge in der Landwirtschaft. Es gibt auch ein Glossar.

Uta Ruge wurde als Tochter eines gut bestellten Bauern auf Rügen geboren, die Familie floh, als die Höfe zu LPGs vergesellschaftet wurden. So bald wie möglich bewarb sich der Vater um einen freiwerdenden Hof in der Nähe der Nordsee und wurde Moorbauer. Es wird detailliert vom Aufwachsen auf dem Lande gesprochen, von langen Arbeitstagen und von Armut bei den Bauern. Zu den Berichten aus ihrer Kindheit heißt es im Klappentext: „Aber auch davon, wie man sich gegenseitig unterstützt und hilft und zusammen feiert, von dem Eifer der kleinen Kinder, die den Eltern zur Hand gehen und lernen, dass gegen Arbeit nichts hilft, außer sie zu tun.“

Dazwischen gibt es zeitgenössische Texte von den Zeiten, als Ackerland mühselig der Natur abgerungen wurde, in denen manche Bauern Leibeigene waren. Einzelschicksale aus allen Jahrhunderten werden dargestellt. Es gibt nicht nur Dokumente, auch Goethe kommt zu Wort. Und dazu gibt es eine Zitierweise, so als wäre dies eine wissenschaftliche Arbeit.

Der Aufbau ist so: nach einigen Kapiteln Erfahrungen kommen historische Details. Hier macht Geschichte Spaß: In der Schule hatte ich einen langweiligen Unterricht; es ging um Männer und Zahlen, hier geht es um Menschen und Zusammenhänge, also: wie sie lebten.

Nach etlichen Kapiteln im Wechsel zwischen Erfahrungen und Historie kommt ein „Zwischenspiel“, es werden vier: Mit ihrem Freund Krischan, der mit ihr aufgewachsen war, trifft sie sich und sie besprechen, wie die jeweiligen Epochen die Kunst prägten. Für Kunstausstellungen ist ihnen kein Weg zu weit und wir erfahren, dass auf Brueghels Bildern die Gemetzel der Kriegszeiten, in denen er lebte, zu erkennen sind. Am meisten beeindruckt sie Van Gogh, dessen Bilder muss ich mir daraufhin nun nochmal angucken …

Bruder Waldemar hat den väterlichen Hof geerbt, obwohl er jünger ist, ein bisschen gewurmt hat sie das schon, aber dafür hat und hatte sie ein bunteres Leben. Waldemar bewirtschaftet den Hof mit Anna und Sohn Hannes. Uta Ruge fährt mehrmals im Jahr hin und verfolgt so die Entwicklung. Natürlich führen verschiedene Lebensentwürfe zu  Wahrnehmungsunterschieden zwischen Städtern und Landwirten etwa zum Vermaisierungs-oder zum Wolfsblick.

Als Städterin und Leserin grün/ökologischer Schriften bin ich (die Rezensentin) gut informiert, wie wichtig die Rückkehr der Wölfe auf deutschen Landen wäre. Und dass Geschädigte Ausgleichzahlungen erhalten. Nun weiß ich, aus Gesprächen, die Frau Ruge mit Betroffenen führte, dass Bauern es anders sehen: Sie müssen Zäune errichten, dann beweisen (mit DNA Analysen), dass das gerissene Tier nicht etwa vom bäuerlichen Hofhund angegriffen wurde, und nur wenn der Zaun hoch genug ist, gäbe es Zahlungen. Zunehmend werden nicht nur Schafe und Ziegen, sondern auch Rinder gerissen, für sie wird es bald keine Weidehaltung mehr geben.

Zurück in die Vergangenheit: Eine weitere gute Quelle sind Jahresberichte der Dorflehrer, die über Jahrhunderte gesammelt wurden. Anfangs hielten die Bauern, so wie Krischans Vater, Lesen für Zeitverschwendung. Während des 2. Weltkriegs wurde die Schule geschlossen, und danach, als viele Flüchtlinge in den Dörfern untergebracht wurden, zeitweise über 60 Personen, gibt es als Beruf der Mütter: Witwe, oder auch Flüchtling. Irgendwann gibt es keine Chroniken mehr, 1957 hört der Lehrer auf, in dem Jahr, als es den ersten Trecker gab. Und dann wird auch die Zwergschule aufgelöst und die Kinder werden mit Bussen zur Schule gefahren, manche von weit her.

Wir lesen von den Reformen vergangener Zeiten, auch gescheiterten, etwa von den Bauernkriegen, bei denen Martin Luther auffordert, Bauern totzuschlagen „wie einen tollen Hund.“ Erstmalig habe ich verstanden, dass die napoleonische Besetzung obskure Macht- und Abhängigkeitsstrukturen der Bauern beendet hatte. Oder dass es Albrecht Philipp Thaer war, der in Preußen in Ansätzen die Landwirtschaft auf wissenschaftliche Basis gestellt hatte, die auch Reformen im russischen Zarenreich beeinflusst hatten. Auch was unter Lenin für Bauern geschah und wie Stalin das wieder zunichte gemacht hatte. Nicht so unbekannt waren mir die Weizenfelder im Mittleren Westen der USA, deren Ackerboden so ausgelaugt war, dass die Erde wegwehte und es zum Dustbowl wurde.

Nicht immer ist es mit diesen Plänen für größere Betriebe und großen Maschinenparks gelungen, die Erträge zu erhöhen, auf den Prärien im Midwest werden jetzt wieder Büffel eingeführt, in Russland ist der Aralsee versandet, mit dessen Wasser bewässert worden war.

Auch die GAP (Gemeinsame Europäische Agrarpolitik) versucht, Landwirtschaft möglichst groß zu machen, wir lesen über Sicco Mansholt, der sie betrieben hatte, später erkannte er, dass kleinere Betriebe eher eine Zukunft hätten.

Das 48. Kapitel 1970er Jahre
Mansholt ist gegen seinen eigenen Plan.
Die Bauern werden weniger, die Kühe mehr

ist das Ahaerlebnis: Nachdem Mansholt auf Steigerung der Produktion landwirtschaftlicher Produkte gedrängt hatte, gab es nun subventionierte Überproduktionen (Butterberg), die Mansholt von nun an verhindern wollte. Seine Vorschläge wurden verwässert, eine Zeit lang gab es Quoten, inzwischen müssen auch EU-Bauern versuchen, zu Weltmarktpreisen zu produzieren. Denn nur die zahlen die Lebensmittelketten.

Heute kann nur der Bauer überleben, der sich die neuesten Geräte anschafft, wahrscheinlich auf Kredit. Googeln Sie mal Melkroboter! Damit kann man etwa 60 Kühe täglich zweimal melken. Preis für neue auf Anfrage, ein fünf Jahre alter bringt es immerhin auf fast €140 000. Und das mit Erzeugerpreisen für Milchbauern, die schwanken, aber nie die 30 Cent pro Liter erreichen, die nach Hannes‘ Meinung den Bauern Sicherheit brächten.

Während ca. 100 Kühe, so wie Hannes sie hält, vor 10 Jahren noch ein Großbetrieb gewesen wären, spricht man heute von Großbetrieb bei mindestens 500 Kühen, die zweimal am Tage vier Stunden lang gemolken werden. Im Beispiel von rumänischen Gastarbeitern, die inzwischen ihre eigenen Stiefel und Schürzen bringen müssen, da sie sie gerne mitgenommen hätten, das wäre dem Besitzer zu teuer gekommen …

Beim letzten Zwischenspiel geht sie mit Krischan in die Domäne Dahlem, wo Städtern und vor allem deren Kindern gezeigt wird, wie schön es auf dem Land sein kann. In einem Saal, gesponsert von Lebensmittelkonzernen (!), erfahren sie, wie schön die Lebensmittel im Laden aussehen. Von den Mühen der Arbeit, oder auch nur von leidenden Tieren ist nichts zu sehen …

Wie sähe der Traummilchbauernhof aus, der nachhaltig Zufriedenheit schaffte? Frau Ruge und Krischan denken an etwa 50 Kühe, die könnte man ohne Hilfskräfte und ohne sich zu erschöpfen, als Bauernfamilie betreiben, wenn dann der Milchpreis stimmte.

Ich würde gerne mal zu so einem Zwischenspiel mitkommen, selbst wenn ich nichts sagen dürfte, nur Zuhören wäre sicher interessant …


Genre: Landwirtschaft, Politik und Gesellschaft, Umwelt
Illustrated by Verlag Antje Kunstmann

Die Akte Glyphosat

Die Akte Glyphosat Wussten Sie, dass deutsche Behörden zur Bewertung der Schädlichkeit von Substanzen nicht-öffentliche Studien der Industrie verwenden? Und denen mehr vertrauen, als veröffentlichten Studien unabhängiger Wissenschaftler? Und, wie 2015/16 zu Glyphosat geschehen, die deutsche Behörde BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) dies sogar für alle europäischen Staaten mitmacht? Ich auch nicht, und ich kann über meine eigene Naivität nur immer wieder staunen. Weiterlesen


Genre: Ernährung, Garten, Landwirtschaft, Umwelt
Illustrated by Kremayr und Scheriau