Taubenblut

Lutz Kreutzer legt mit seinem schwarz-humorigen »Taubenblut« einen rasant geschriebenen Kriminalroman vor, der sich sehen und vor allem lesen lassen kann.

In einem genial komponierten Plot verlegt der Autor ein thailändisches Eldorado nach Tuntenhausen, einem tatsächlich existierenden Ort im oberbayerischen Landkreis Rosenheim. Dieses Etablissement sexueller Wunscherfüllung, das auf den schönen Namen »Thailand-Eiland« hört, wird schnell zum Wallfahrtsort. Denn dort bedienen traumschöne Ladyboys, sogenannte Kathoeys, die Bedürfnisse queerer Bajuwaren.

Kreutzers grandios gewähltes Bühnenbild allein ist schon ein guter Grund, das Buch zu lesen. Die Vorstellung, wie bigotte Beamte aus der Münchener Staatskanzlei, Vertreter erzkatholischer Bruderschaften und ein Haufen durchgeknallter Nonnen gegen das Höllenloch vorgehen, ist in sich schon schrill und wird vom Autor geschickt inszeniert und ausgeleuchtet.

Es fällt leicht, sich vorzustellen, wie die in ihrer Heimat inzwischen weitgehend anerkannten schillernd-schönen Zwitterwesen die nach außen heile Welt rund um den Chiemsee ins Wanken bringen.

Kreutzer liebt Konfrontationen

 

Lutz Kreutzer geht aber noch einen Schritt weiter und greift zum Stilmittel der größtmöglichen Konfrontation. Als Gegenpol zu den Kathoeys bringt der Münchener Krimispezialist albanische »eingeschworene Jungfrauen«, die Burrneshas, ins Spiel. Außerdem taucht ein entsprechend familiär vorbelasteter Killer der albanischen Mafia auf, der als Transenhasser alles noch weiter zuspitzt.

Hinter Glamour und Glitter glimmt indes eine knallharte Krimihandlung. Denn der Liebespalast ist nur Kulisse für den Handel mit den wertvollsten Edelsteinen der Welt. Das sind die tiefroten Rubine, die unter brutalen Bedingungen in Myanmar, dem einstigen Birma, geschürft werden.

Die seltenen Steine werden aufgrund ihrer ins Blau drängenden Farbe »Taubenblut« genannt. Gleich zu Beginn der Geschichte werden zwei tote Kathoeys in einem bayerischen Baggersee gefunden. Die Transgender-Schönheiten tragen Taubenblut-Rubine im Ohr. Damit erklärt sich auch der Titel des Romans, der ansonsten eher sperrig und wenig selbsterklärend wirkt.

Natürlich gibt es auch einen Haupthelden. Der heißt Sperber und wird als Fachmann für Thailand, Taubenblut-Rubine und unkonventionelle Ermittlungsmethoden vom bayerischen Landeskriminalamt zur Lösung des Falles angeheuert. Der Geophysiker tauchte bereits in einem anderen Krimi Kreutzers auf, der den schwungvollen Titel »Bayerisch Kongo« trägt.

Buch bietet großes Kino

 

»Taubenblut« enthält Szenen, die regelrecht nach Verfilmung schreien. Schon die Schilderung, wie zwei Kathoeys in einem Taxi durch Oberbayern gondeln und dabei Tuntenhausen und später die Fraueninsel im Chiemsee entdecken, ist großes Kino.

In dem Stil geht es gekonnt weiter, der Roman nimmt bald Fahrt auf und gipfelt in einer Verfolgungsjagd auf Kamelen, mittels derer die Polizei den Übeltätern auf der Spur bleiben will. Diese farbenfrohe Szene erinnert an die Unterstellung, wonach bayerische Polizisten sich auf der Jagd nach Verbrechern bisweilen wie Kamele verhalten.

Die Entstehung des Romans

 

Lutz Kreutzer hatte irgendwann von den Kathoeys gelesen. Diese Frauen zweiter Art, wie sie sich auch gern bezeichnen, die maskuline Männer als Sexualpartner begehren, waren aber wieder aus seinem Gedächtnis verschwunden, bis ihm an einem heißen Sommerabend in Münchens Glockenbachviertel etwas Komisches passierte.

Er war mit seinem damals zwölfjährigen Sohn nach einem gemeinsamen Abendessen auf dem Weg zur U-Bahn. Die beiden gingen an einem Barbetrieb vorbei, als ein seltsamer Mann Kontakt aufnahm. Er trug ein langes, rotes Kleid, luftige Damenschuhe, üppige schwarze Haare und einen rabenschwarzen Vollbart. Der Ladyboy wollte Kreutzer locken, die Bar kennenzulernen, und obwohl er sah, dass sein Sohn dabei war, meinte er »Hallo Schwester!«. Dazu wiegte er lasziv sein Haar in der gespreizten linken Hand und wackelte mit den Hüften.

Kreutzers Sohn riss Augen und Mund auf und prustete los. Mit »Hallo Schwester« begrüßte der Junge ab sofort morgens, mittags und abends seinen Daddy, dem die Szene voll peinlich war. Dabei imitierte der Filius jedes Mal den Kerl im roten Kleid und verdrehte entsprechend die Augen. Kurz, er machte sich einen Höllenspaß daraus, seinen Paps zu ärgern.

Irgendwie interessierten Kreutzer diese Männer, die auch Frauen waren. Wie war ihre Lebensweise? Er las über die Kathoeys, und dass sie in ihrer Heimat anscheinend weithin akzeptiert zum alltäglichen Leben gehören. Was wäre, wenn sie plötzlich im konservativen und ländlichen Bayern auftauchten, ihren Lebensstil mitbrächten und die Menschen damit konfrontieren würden?

Dieser köstliche Gedanke war Ausgangspunkt für den Roman. Der Autor wollte einen Krimi schreiben, der voller Respekt vor diesen Menschen war, keine Klischees sinnlos bediente und die Menschen von einer staunenswerten Seite zeigen sollte. Am Ende stand »Taubenblut«.

Lutz Kreutzer und der anarchische Humor

 

»Taubenblut« erinnert an den britischen Autor Tom Sharpe, der den grotesken Alltagswahnsinn in Bestsellern wie »Puppenmord«, »Tohuwabohu« und »Schwanenschmaus in Porterhouse« auf die Spitze trieb.

Sharpe zählte zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Autoren Englands. Die 16 Romane des 2013 verstorbenen Großmeisters des burlesken Humors sind rabenschwarze Gesellschaftssatiren.

Vielleicht dreht Lutz Kreutzer beim dritten Fall, den sein unkonventioneller Held Sperber ermittelt, die Ventile noch ein wenig weiter auf? Vielleicht gibt er dem Leser noch mehr Anlass, einer atemlos geschilderten Handlung zu folgen und dabei immer wieder zu lautem Lachen veranlasst zu werden?

Das Strickmuster jedenfalls bietet Potential und Alleinstellungsmerkmal, zumal es dem deutschen Kriminalroman weitgehend an hintergründigem Humor fehlt.

»Taubenblut« von Lutz Kreutzer ist ein gekonnt inszenierter Krimi, der sauber recherchiert wurde und das Absurde am Alltag betont.

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Genre: Kriminalliteratur, Kriminalromane
Illustrated by Kampenwand

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