Gebrauchsanweisung für Thailand

Mit der Reihe der „Gebrauchsanweisungen“ ist dem Piper-Verlag eine echte Erfolgsgeschichte gelungen. Nach der ersten „Gebrauchsanweisung für Amerika“ von Paul Watzlawick, die bereits 1978 auf den Markt kam, sind mittlerweile etwa 120 weitere Bände erschienen und jedes Jahr kommen sechs bis acht neue hinzu, in denen namhafte Autoren ihre Eindrücke und ortskundige Geschichten aufschreiben und sich mit persönlichem Blick den Ländern, Regionen oder Städten auf ungewöhnliche und literarische Weise annähern. 

Martin Schacht hat in genau dieser Tradition seine „Gebrauchsanweisung für Thailand“ umgesetzt. Man kann vorwegnehmen, dass ihm nicht nur gelungen ist, die Philosophie dieser Buchreihe perfekt zu verinnerlichen, nein, es ist auch ein echter Schacht geworden.

Das Faktische kommt nicht zu kurz – es ist ja schliesslich eine Gebrauchsanweisung -, aber niemals geht es darum, welchen Nippel man durch welche Lasche zieht, oder im Reiseführer-Slang, welchen Tempel oder Turm man an welcher Stelle am besten fotografieren kann oder welcher menschenleere Strand auch noch zehn Jahre nach Erscheinen eines der üblichen Reiseführer immer noch ein Geheimtipp ist, an dem jährlich Millionen Menschen Ruhe und Einsamkeit finden.

Der Autor hat selbst viele Jahre lang, bevorzugt in den deutschen Wintermonaten, in Thailand gelebt und weiß, wovon er spricht. Viele Geschichten sind deshalb einfach nur unterhaltsam, ganz unabhängig, ob man nun nach Thailand reisen möchte oder nicht. Hinzu kommt, dass Schacht über zwei herausragende Talente verfügt. Er besitzt eine exzellente Beobachtungsgabe und die Gabe, all diese Wahrnehmungen auch noch mit feinsinniger Stilistik zu verbalisieren.

Er beschreibt das Naturell und die Kultur der Thailänder treffsicher und gerne mit einem Schuss Humor, immer aber mit gebührendem Respekt. Aber er macht auch vor dem typischen, so viele Klischees bestätigenden Verhalten der Touristen und Expats nicht halt. Ein Beispiel: „Bambus-Tische, Bambus-Stühle und Muschellampe, die leise im Wind klimpern – so etwas finden Thailand-Besucher ursprünglich und naturverbunden, vermutlich auch ökologisch sinnvoll wegen der nachwachsenden Rohstoffe. Der Thai hingegen findet das so prickelnd wie der durchschnittliche deutsche Großstadtbewohner Kuckucksuhren oder Wohnungseinrichtungen im Gelsenkirchener Barock, die heutzutage höchstens in Pseudohippen Cafès als ironisches Zitat existieren“. Oder: „Viele Expats sind Zyniker, die Thais für ein notwendiges Übel halten.“ Aber, so fügt er an anderer Stelle hinzu, „…das bringt viele Expats dazu, sich zu isolieren.“

Schacht scheut sich nicht, in jede Vorurteilswunde gegenüber Thailand zu fassen. Natürlich wird das non-stop laufende Sexbusiness in Bangkok oder in den strandnahen Metropolen des käuflichen Gewerbes wie zum Beispiel in Pattaya thematisiert, wobei der Hinweis auf die Ursprünge dieser speziellen Form des Tourismus in Zeiten des Vietnam-Krieges mit den über Thailand und die thailändischen Frauen herfallenden GI’s auf Urlaub nicht fehlen darf. Die vielen selbst erlebten Geschichten relativieren das ein oder andere und fokussieren vor allem auf all das, was für den Autor Thailand ausmacht und in die er seine Leser ganz spielerisch und mit spannendem Handlungsstrang gerne mitnimmt. Und dieser sich gerne mitnehmen lässt, da es so leicht ist, den farbenreichen Beschreibungen in tropischer Umgebung zu folgen und ins Träumen zu geraten.

Ohne dass er es expressis verbis formuliert, wird durch den hochwertigen und wertschätzenden Inhalt dieser Gebrauchsanweisung jedem Leser klar, dass menschengemachte Auswüchse nicht Thailand sind, sondern dass es sich zu neunundneunzig Prozent um ein wunderschönes Land mit liebenswerten Menschen handelt.


Genre: Dokumentation, Erzählung, Reiseführer, Sachbuch
Illustrated by Piper München, Zürich

Solar

Nicht, dass ich ein Anhänger irgendwelcher Kategorisierungen wäre. Nein, im Gegenteil. Schon immer empfinde ich diese zwanghafte Penetranz der Verlage, jedem Buch einen Genre-Stempel aufzudrücken, eher als Ausdruck ihrer eigenen anachronistischen Rigidität. Aber bei Ian McEwans „Solar“ fragt man sich dann doch schon mal, was ist das eigentlich?

Obwohl der Autor sich profunde Kenntnisse in Wind- und Solarenergie erworben hat und diese auch zielsicher und kompetent einfliessen lässt, ist es sicher kein Sachbuch. Es geht um ein (Liebes)Paar, eine Schwangerschaft und um fünf gescheiterte Ehen, aber es ist sicher kein Liebesroman. Es geht um einen Frauenheld mit einigen amourösen Eskapaden, aber ein erotischer Roman ist es auch nicht. Obwohl das Ableben eines Protagonisten durch stumpfe Gewalteinwirkung mit Todesfolge eine zentrale Rolle spielt, ist es sicher kein Kriminalroman. Ich verzichte auf weitere Analogien.

Eigentlich geht es in erster Linie um Michael Beard. Er ist die zentrale Romanfigur, um die sich die gesamte Handlung rankt und die McEwan mit erzählerischer Leichtigkeit und viel Humor aufbaut. Aber dennoch reisst der Autor diesem hochgelobten Physiker Beard als stereotypem Inbegriff eines karrieresüchtigen Akademikers – stellvertretend für alle (vor allem männliche) Vertreter seiner Gattung – die schnöde Maske der Ehrenhaftigkeit vom Gesicht. Einmal in seinem Leben hat er eine wissenschaftlich herausragende Leistung vollbracht und zehrt den Rest seines Lebens vom Beard-Einstein-Theorem. Weil das Nobelpreis-Komitee in Schweden sich nicht zwischen zwei anderen Kandidaten entscheiden konnte, wurde Beard der Preis sozusagen als Notlösung verliehen, was als unaufhaltsamer Karriere-Impuls für den Rest des Lebens genügte. Einladungen zu Kongressen aller Art waren garantiert, hoch dotierte Vorträge waren willkommen, die Zugehörigkeiten zu Expertengremien schier unüberschaubar. Wie so viele reale promovierte und habilitierte Akademiker nutzt die Romanfigur Beard das Prestige, um als evolutionäres Alpha-Tier in rascher Folge wahllose und flüchtige Bekanntschaften in seinem weiblichen Umfeld zu erobern, scheinbar als Zeichen seiner maskulinen Größe, aber de facto eigentlich zur immer wiederkehrenden Therapie seines schwachen Selbstwertgefühls. Und als sich die Chance ergibt, schmückt man sich skrupellos mit fremden Lorbeeren. Willkommen im Sumpf der Krokodile.

Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass der Literaturwissenschaftler Ian McEwan dank seines universitären Lebenslaufs und ganz viel literarischem Talent nicht nur einen absolut lesenswerten Schreibstil hat, sondern – wie auch der Rezensent – mit den soziologischen Verhaltensweisen in akademischen Kreisen bestens vertraut ist.

Somit ist „Solar“ am ehesten zeitgenössische Literatur mit einem ganz hervorragendem Stil und mit vielen gesellschaftlichen Einblicken, präsentiert am Prototyp Michel Beard, einem Wissenschaftler, Menschen und Mann.


Genre: Belletristik, Gesellschaftsroman, Roman
Illustrated by Diogenes

West Well Heavy & Light

Westwell - Heavy & LightHigh Society

Helena Weston stammt aus reichem Elternhaus, aber sie hat ihren eigenen Kopf. So passt es ihr gar nicht, dass sie nach dem Tod ihrer Schwester 3 Jahre ins Ausland auf ein Internat gehen muss, bis sich die Aufregung um Valerie gelegt hat. Danach ist sie allerdings fest entschlossen, die Umstände des Todes von Valerie und ihrem Freund Adam aufzuklären, denn sie glaubt die Drogengeschichte, die man Valerie anhängen will, nicht. Die Familie Adams, die mit dem Westons schon lange in Konkurrenz steht, hat dieses Gerücht verbreitet, was die Feindschaft der beiden Familien weiter vertieft hat. Auch Helena hegt Hassgefühle gegenüber den Coldwells, v.a. gegenüber Adams Mutter, die maßgeblich für die üblen Gerüchte ist. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass der zweite Coldwell-Spross, Jessiah, ebenfalls mit dem Tod seines Bruders zu kämpfen hat und sich als guter Mensch herausstellt. Die beiden kommen sich näher als den Westons und Coldwells lieb sein kann. Hat diese Liebe genauso wenig Chancen wie die zwischen Valerie und Adam?

 

Cross Over von „Romeo und Julia“ und Krimi

Der 1. Band der Reihe erinnert an eine moderne Version von Shakespeares „Romeo und Julia“. Die Feindschaft zwischen zwei konkurrierenden Familien und verbotene Romanzen zwischen den Familienmitgliedern gibt es auch in Kiefers Geschichte. Wie in Romeo und Julia sterben Protagonisten, aber die Hauptprotagonisten von Kiefers Buch wollen ein Happy End. Zumindest im ersten Band stehen diesem aber einige Hürden im Weg, die für Spannung in der Geschichte sorgen. Da es allerdings schon so viele Nachahmungen dieses Settings gibt, reißt es mich nicht unbedingt vom Hocker, zumal es viele weitere Geschichten um Reiche und Schöne gibt. Gut, wenn auch nicht unbedingt neu ist allerdings der Ausbruch der Protagonist*innen aus den starren Rollen dieser Gesellschaft, wobei ich mir allerdings nicht sicher bin, ob die Autorin da nicht ein paar Klischees bzgl. der Reichen bedient, um ihre Hauptfiguren von ihren Familien noch besser abzuheben.

Kombiniert wird die sich anbahnende Romanze mit einer Art Krimi, da Helena fast wie eine Detektivin den mysteriösen Tod ihrer Schwester aufklären will, dabei aber wiederrum auf Hindernisse stößt, die dem Erhalt der Spannung dienen.

Erzählt wird aus der Sicht der jungen Frau und des jungen Mannes, sodass man als Leser*in Einblicke in beide Gedankenwelten erhält.

Das Buch enthält am Ende eine Triggerwarnung vor Panikattacken/Angststörungen und vor dem Tod Nahestehender, was ich persönlich gut finde – so wird niemand, die/der Probleme mit damit hat, verstört und kann das Buch wieder weglegen, wenn nötig. Gut ist ebenfalls, dass verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie man mit Tod und Störungen umgeht, auch negative, die kontraproduktiv für den Heilungsprozess sind. Positive sind in diesem Fall die Auseinandersetzung mit der Trauer und der Störung, anstatt sie zu verdrängen, und das Verständnis und der Beistand anderer, wie an Helena und Jessiah gezeigt wird. Jessiah z.B. nimmt die Angststörung seines Bruders ernst und geht im Gegensatz zu seiner Familie auf sie ein. Er unterstützt seinen Bruder, anstatt ihn unter Druck zu setzen. Helena und Jessiah unterstützen sich gegenseitig in ihrem Trauerprozess, nachdem sie einigermaßen Vertrauen zueinander gefasst haben. Das verleiht dem Buch etwas mehr Tiefe, sodass es nicht nur eine Neuaufmachung von schon Altbekanntem ist.

Was mich persönlich an Büchern dieser Art stört, ist die Verlegung der Story ins englischsprachige Ausland. Warum nicht z.B. Deutschland, wenn schon die Autorinnen deutschsprachig sind? So wirkt das Setting immer etwas aufgesetzt und nicht so natürlich wie es hätte sein können.

 

Fazit

Insgesamt eine moderne Neuauflage von Shakespeares Romeo und Julia, kombiniert mit Kimi-Elementen, die flüssig zu lesen ist, aber einen nicht unbedingt vom Hocker reißt, wenn man dieses Setting schon kennt.


Genre: Jung Adult, Romance
Illustrated by LYX

Play it cool, Guys 1 und 2

Play it Cool, Guys 1

Play it Cool, Guys 2

Sympathische Tollpatschigkeit

Hayate, Shun, Takayuki und Soma sind eigentlich ganz unterschiedlich: Hayate ist introvertiert und ernst, Shun sportlich, Takayuki ein strebsamer Angestellter und Soma blickt optimistisch in die Welt. Aber alle vier haben eins gemeinsam – sie sind unglaublich schusselig. Da aber alle vier noch eine weitere Eigenschaft, nämlich ihre Liebenswürdigkeit, gemeinsam haben, regt sich ihre Umwelt nicht über die ständigen Pleiten und Pannen auf, sondern findet deren Tollpatschigkeit süß. Vor allem die Frauen haben einen Narren an den hübschen jungen Männern gefressen – ohne dass diesen das auffällt. Auf die anderen Männer hingegen wirken sie entspannend, denn diese finden die Pannen lustig. Durch zufällige Begegnungen treffen nach und nach alle vier Schussel aufeinander und begleiten sich ab jetzt durch ihren turbulenten Alltag.

 

Imperfect – I’m perfect

Die ersten beiden Bände stellen anfangs jeden einzelnen der jungen Männer in einem eigenen Kapitel vor, bevor nach und nach die Begegnungen mit den anderen eingeleitet werden. Dabei wird auch deutlich, dass alle vier verschieden mit ihrer Tollpatschigkeit umgehen: Hayate und Shun schämen sich für ihre Pannen, wobei Hayate selbstkritisch reagiert und Shun so tut, als wäre alles Absicht. Takayuki dagegen fallen seine Pannen oft gar nicht auf und Soma kann durch seine optimistische Grundhaltung über sich selbst lachen. Allen vier fällt an den jeweils anderen auf, dass diese auf ihre eigene Art cool mit ihrer Tollpatschigkeit umgehen. Nur an sich selbst finden sie diesbezüglich keine positive Eigenschaft. Das ist typisch für unsere Gesellschaft: Durch den ständigen inneren Kritiker, den jede*r mit sich herumschleppt, fallen einem selbst die eigenen positiven Eigenschaften kaum noch auf, die schlechten dagegen umso mehr. So geht es auch den Jungs in dieser Reihe. Dagegen finden andere die positiven Aspekte eher heraus als man selbst – zumindest, wenn es eine wohlmeinende Umwelt ist. Das könnte man als Kritikpunkt an dieser Serie sehen, denn die Umwelt in der Realität schaut meist nicht so wohlwollend auf von anderen verursachten Pannen, v.a. weil wir in einer Welt leben, die sich durch Dauerstress auszeichnet und man deshalb nicht mehr so gelassen auf noch mehr Stress reagiert. Oft regiert in der Realität auch die Schadenfreude über das Geschehen und nicht wohlmeinendes Darüberhinwegsehen. Dass Shun so tut, als wäre seine Tollpatschigkeit Absicht, nimmt ihm seine Umgebung nicht ab, sieht ihm das aber auch nach. Ich persönlich kann diese Haltung nicht so ganz nachvollziehen, v.a. warum das Herunterspielen cool sein soll, kommen solche Männer doch eher unsympathisch herüber.

 

Auf der anderen Seite zeigt der Manga deutlich, dass nichts und niemand perfekt und das Unperfekte sympathisch ist. „Das Leben ist bunt“, sagt Soma und in seinen Augen macht die Schusseligkeit das Leben sogar noch bunter. Vielfalt ist auch hier ein Thema, wenn auch nicht in Richtung LGBTQ+. Aber Vielfalt geht über LGBTQ+ deutlich hinaus: Sieht man sich die Realität an, so merkt man, dass eigentlich jede*r unterschiedlich ist und nur die von Menschen definierten Normen so etwas wie „Normalität“ einfordern, mit all den negativen Konsequenzen, die das für die Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung hat. Soma geht von allen am entspanntesten und am positivsten damit um, dass er von der Norm der Gesellschaft abweicht, und ist damit ein Vorbild. Dieses bunte Denken äußert sich nicht nur in seiner bunten Haarfarbe, sondern auch in den bunt umrandeten Seiten der beiden Manga-Bände: Eine Farbe begleitet eine Figur und so ergibt sich ein farbiges Gesamtbild. Auch ist die Reihe insgesamt nicht typisch schwarz-weiß gezeichnet, sondern bunt eingefärbt.

 

Dass sich Charaktere in einer Haupteigenschaft gleichen, heißt noch lange nicht, dass sie alle gleich sind. Abgesehen von ihrer Tollpatschigkeit und Liebenswürdigkeit unterscheiden sich die vier Hauptcharaktere z.T. sehr, wie schon beschrieben, sodass sie sich auch gegenseitig (positiv) überraschen.

 

Fazit

Ein Feel-Good-Manga mit einer tieferen Botschaft der Akzeptanz der Vielfalt, die über LGBTQ+ hinausgeht – denn auch die „Normalos“ unterscheiden sich z.T. deutlich voneinander. Und es ist eine indirekte Aufforderung an die Leser*innen, sich selbst und die Pannen des Lebens gelassener zu nehmen.


Genre: Manga, Vielfalt
Illustrated by Carlsen / Hayabusa

Material Girls: Warum die Wirklichkeit für den Feminismus unerlässlich ist

Anfang des Jahres blieb ich beim Zappen bei einem Interview der BBC mit Kathleen Stock hängen, die gerade ihre Stelle als Philosophin gekündigt hatte, weil sie von den Studierenden wegen Transphobie gemobbt worden war. Das also war Transphobie? Sie berichtete, sachlich und empathisch, auch von Diskriminierungen, die Transmenschen erfahren.

Ihr Buch, im Mai 21 erschienen, kam im Frühjahr 22 auf Deutsch heraus, mit einem Interview, welches die Übersetzerin Vojin Sasa Vukadinovic führte. Frau Stock konnte schon zurückblicken auf weitere Entwicklungen in der universitären Welt, die die Ihre war: Es ist hinderlich für die Karriere, Aussagen wie: „Eine Transfrau ist eine Frau, ein Transmann ist ein Mann.“ zu hinterfragen.

Frau Stock führt uns durch die Entwicklung des Feminismus der letzten Jahrzehnte. Sie argumentiert als Philosophin mit Thesen und Gegenthesen, die jeweils durch Zitate unterfüttert sind: von den knapp vierhundert Seiten des Buches sind über dreißig Literaturangaben. Sie beschreibt, wie sich in den letzten zwei Jahrzehnten der Umgang mit Transmenschen geändert hat, auch deren Zunahme.

Ausgang der Arbeit sind die gesetzlichen Änderungen im Vereinten Königreich, die die gefühlte Geschlechtsidentität in den Vordergrund stellen. “Die Theorie der Geschlechtsidentität behauptet nicht nur, dass Geschlechtsidentität existiert, für Menschen fundamental ist und rechtlich und politisch geschützt werden soll. Sie besagt auch, dass das biologische Geschlecht irrelevant ist und keines solchen rechtlichen Schutzes benötigt. So wie es aktuell steht, würde Geschlechtsidentität in einem direkten Kampf mit Geschlecht gewinnen. Und deswegen muss ich über Geschlecht sprechen.“

Sie stellt verschiedene Modelle vor, mit ihren Stärken und Schwächen. So gibt es die Vorstellung, dass Geschlecht „ein Kontinuum sei“, oder, wie bei Facebook, dass es siebzig Geschlechter gäbe.

Zwei Aspekte mochte ich in der Rezension herausstellen:  die Bedeutung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über menschliche Körper und die Auswirkungen, am Beispiel des Leistungssports, wenn das biologische Geschlecht durch die gefühlte Geschlechtszugehörigkeit ersetzt wird.

Während in der Medizin bis vor etwa 50 Jahren der männliche Körper als Bezugsgröße für Therapien, insbesondere Dosierungen der Medikamente galt, war es dann neuartig, dass weibliche Körper anders sind: Krankheiten anders entwickeln, in Art oder Anzahl. Diese Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. Dabei geht es nicht nur um Geschlechtsorgane (primäre wie sekundäre), sondern um alle Funktionen. Diese Binärität wird nun, auf Betreiben der „Transaktivisten“, durch die selbst gewählte Geschlechtsidentität ersetzt. Frau Stock bezeichnet dies als Fiktion, ist doch die Beschaffenheit jeder einzelnen Körperzelle nicht durch eine freie Entscheidung zu verändern.

Vornehmlich beim pubertären Körperbau führt die Produktion von Testosteron zu mehr an allem: Lunge, Herz, Knochen und Muskel. Dies führt zu erhöhter Leistungsfähigkeit bei körperlicher Arbeit. Natürlich gibt es Frauen, die stärker sind als manche Männer, aber auch schwächere Männer können vielen Frauen überlegen sein.

Mehrere Organisationen haben im Vereinten Königreich die Meinungsführerschaft übernommen, und verbreiten diese Fiktion als Realität, ein Beispiel ist Stonewall. Sie sind medial aktiv, schreiben auch Universitäten an und bieten ein PR-freundliches Branding an, wenn bestimmte Dinge eingehalten werden: “Sie sollten jeder Person Zugang zu Einrichtungen, Räumen und Gruppen ermöglichen, die mit der jeweiligen Geschlechtsidentität übereinstimmen.“ (zum Beispiel Sportgruppen) Lehrkräfte, müssen „LGBT Themen sensibel und akkurat behandeln.“ Was akkurat ist, gibt Stonewall vor.

Im Vereinten Königreich ist es deshalb nicht passend, von Frauen zu sprechen. Alternativen wären: „nicht-Prostataträger“ „Menstruierende“ oder, aus den USA kommend: „Vorderlöcher“. Männliche Attribute, wie der Penis, können weiter traditionell benannt werden. Dass dies bei gesundheitlichen Einrichtungen, etwa Schwangerschaftsberatungsstellen, nicht zur verbesserten Kommunikation mit den Klientinnen beiträgt, wird, von den dort Tätigen, bestätigt: Viele von ihnen können noch nicht einmal gut Englisch.

Frau Stock beschreibt die Situation in Frauengefängnissen, in denen Transfrauen einsitzen. Ihre gefühlte Geschlechtsumwandlung hat nicht dazu geführt, dass die durch sie verübten Straftaten, denen der Cis-Frauen ähnlicher geworden wären. Diese klagen über gewalttätige Übergriffe.

Die Situation im Leistungssport in dieser Rezension hervorzuheben, hatte ich schon beschlossen, bevor Donald Trump sie für seinen Wahlkampf entdeckt hatte. Es gibt im Buch viele Beispiele von Sportkämpfen im angelsächsischen Raum, wo Transfrauen Siegerinnen sind.

Was mir nicht so klar war: Was dies für Studienplätze und Stipendien bedeutet. Und das IOC plant, Transfrauen dann als Frauen starten zu lassen, wenn sie zwei Jahre lang Testosteronhemmer zu sich genommen haben. Der Blutspiegel des Testosterons kann dann immer noch „6-12mal höher sein“, als bei anderen Frauen. Selbst wenn in allen Gesellschaften Frauen und Männer gleichberechtigt wären, welche Cis-Frau hat dann noch Chancen beim Leistungssport?

Ich wollte dieses Buch lesen, um endlich etwas von der Debatte, und die dabei verwendeten Begriffe zu verstehen. Sven Lehmann, der Queer Beauftragte vertritt, ganz akkurat, die Stonewall Position: „Eine Transfrau ist eine Frau, und ein…“

Das Buch hat mir geholfen, eine Meinung dazu zu entwickeln.


Genre: geschlechtliche Vielfalt, Politik und Gesellschaft
Illustrated by edition TIAMAT

Batman Sonderband – Fear State

Batman Sonderband Fear State

Batman Sonderband – Fear State. Die Herkunftsgeschichten von Peacekeeper-01, Gardener und Miracle Molly werden in vorliegenden Abenteuern genauer unter die Lupe genommen. Denn auch Superschurken waren einmal Superhelden. Zumindest bevor sie um die Früchte ihrer Arbeit gebracht wurden.

Noradrenalin, Adrenalin und Dopamin

Dass in jedem Schurken auch ein potentieller Held steckt(e) zeigt etwa die Geschichte von Sean Mahoney alias Peacekeeper-01, der eigentlich von Batman so enttäuscht ist, dass er selbst ein besserer Batman werden möchte. “Noradrenalin, Adrenalin und Dopamin sind…” meint bestürzt einer der Controller von Peacekeepter zum anderen. Aber er ist längst außer Kontrolle geraten: “Sie sind nicht sie selbst. DAs Toxin verursacht Halluzinationen. Ihre Wahrnehmung ist verzerrt” schicken sie ihm in sein Gehirn, doch er hat den Kontakt zur Basis längst abgebrochen. Als Nachkomme einer der Erbauer der Brooklyn hat er eine besondere Aufgabe vom Schicksal zugedacht bekommen. So denkt jeder Paranoiker mit Sendungsbewusstsein. Die meisten davon landen in Arkham Asylum: “Wir haben verrückte Genies, psychopathische Clowns, fehlgeschlagene wissenschaftliche Experimente, ein Drittel der Besetzung von Alice in Wunderland, einen Zoo von Mensch-Tier-Hybriden und drei Dutzend Männlein und Weiblein, die sich einfach bloss gern als Tiere verkleiden. Wir haben Räuber, Entführer und Erpresser. Mordgierige Irre und soziopathische Superhirne. Hier ist für jeden Geschmack etwas dabei.”

Batman Sonderband: Fear State

Dass die meisten davon ein Vaterproblem haben, zeigt sich auch bei Peacekeeper-01. “Dass ich mal zu dir aufgeschaut habe! Dass ich Angst hatte, deine Erwartungen nicht zu erfüllen, gebet hab, eines Tages so gut zu sein wie du. Ich bin besser als Du! Denn Du… bist ein Nichts!” Gardener ist die zweite Geschichte in vorliegendem Batman Sonderband gewidmet. In psychedelische Farben getaucht zeigt die Wald und Wiesen Verteidigerin, wie sich Harley Quinn und Poison Ivy gefunden haben und was ihr Beitrag dazu war. Auch letztere tut letztendlich Böses, um dem Guten zu helfen, denn sie bestraft jene, die ihrer Meinung nach der Welt schaden. Garender erzählt ihre Geschichte dem Batman, der ihr nicht wirklich zuhören will. Aber wie sagte schon eine alte freundliche Dame einmal: Gärtner machen die Welt schöner. Weitere Abenteuer mit Miracle Molly und Clownhunter zeigen die neuesten Bewohner des “Fearstate”, die unter Umständen vielleicht ebenso zu Superhelden statt Superschurken werden hätten können. Zeichner: Christian Ward, Jason Howard und Autoren: Ed Brisson, James Tynion IV.

Christian Ward, Jason Howard/Ed Brisson, James Tynion IV
Batman Sonderband – Fear State
(Original Storys: Batman Secret Files: Peacekeeper 01, The Gardener, Miracle Molly, Material aus Batman 112–114 (II))
2022, Softcover, 132 Seiten
ISBN: 9783741628399
Panini
16,00 €


Genre: Comics
Illustrated by Panini Comics

Alien – Blutlinien

Alien – Blutlinien

Alien – Blutlinien. Das multinationale Unternehmen Weyland-Yutani schickt den Raumfrachter USCSS Nostromo auf den Mond LV-426, einen Mond, der den Planeten Calpamos umkreist. Dort lebt die außerirdische Rasse der Xenomorphe, besser bekannt als “Alien”.

Kein Licht im Dunkel des Alls

“Ich sehe ein Dunkel, das viel mehr ist als das Fehlen von Licht.” Einige Jahrzehnte später macht sich ein Vater auf die Suche nach seinem Sohn: im Weltall. Danny hatte ihm zuvor einen wertvollen Chip gestohlen und sich mit seiner Freundin Iris und ihrem Kollektiv daran gemacht, die Kolonie auf Calpamos zu überfallen. Aber diese “Mission” endet damit, dass die ganze Crew von den Xenomorphen als Brutstätte benutzt wird. Nun bekommt sein Vater, Gabriel Cruz, ein unwiderstehliches Angebot: er soll ins Weltall fliegen und seinen Sohn befreien, vor allem aber eine Probe eines Xenomorphen zu Forschungszwecken mitbringen. Weyland-Yutani will die Aliens für Kriegsführung nutzbar machen und will deswegen verschiedene Experimente an einem Exemplar durchführen. “Düsterer als wenn man nur die Hand vor die Augen legt. Solch ein Dunkel füllt dich aus. Durchdringt dich. Umklammert deinen Schädel. Drückt gegen deine Augenhöhlen, bis etwas zerplatzt und selbst die Erinnerung, das Konzept von Licht…sich dir entzieht.”

Spannend und actionreiche Fortführung des Filmstoffs

Eine durchwegs gelungene Neuinterpretation der von dem Schweizer H.R. Giger erfundenen Alien-Figur im Comic-Format, die auch die Filmfans begeistern wird. Schließlich spielt auch der KI-Robot Bishop wieder mit und rettet nicht nur Danny das Leben. “Im Dunkeln gibt es nichts, was man nicht auch sieht, wenn das Licht an ist.” Aber wie heißt es so schön im Nachwort von Franco Tedeschi: “Der wahr Schurke der Geschichte”, das sind nicht etwa die Aliens, sondern Korporationen, denen jedes Mittel recht ist erst den Weltmarkt und dann das Universum zu erobern. Dem Megakonzern Weyland-Yutani ist es nämlich herzlich egal, ob es einer der Besatzung des Raumschiffs nach Hause schafft. Hauptsache ein Exemplar des Xenomorph erreicht unbeschädigt die Erde. Die Fortsetzung darf mit Spannung erwartet werden, denn Zeichner Salvador Larroca und Autor Phillip Kennedy Johnson haben ein actionreiches Werk geschaffen, das durchaus gesellschaftskritisch und glaubwürdig vermittelt, wer im Weltall wirklich das Sagen hat.

Salvador Larroca/Phillip Kennedy Johnson
Alien – Blutlinien
(Original Storys: Alien: Bloodlines (2021) 1-6)
2022, Softcover, 164 Seiten
ISBN: 9783741628641
Panini
20,00 €


Genre: Comics
Illustrated by Panini Comics

Die Alpen. Ein Porträt.

Erfrischung gefällig? Die Alpen. Ein Porträt.

Die Alpen. Ein Porträt. Herren in Lederhosen und Damen in langen Röcken, das sieht man heute nur mehr auf Zunftbällen oder…richtig, in den Bergen! Um 1900 wurden die Alpen von eben so gekleideten Touristen, teilweise sogar auf Maultierrücken, besucht. Im ebenso bärigen wie riesigen Format (29 x 39,5 cm, 6,40 kg, 600 Seiten) zeigt der TASCHEN Verlag, wie es sich vor rund 100 Jahren bergstieg.

Die Alpen. Ein Porträt.

Die so hinreißend altmodische Zeit, in der die ersten Berg- und Zahnradbahnen Wanderer und solche die es werden wollten an den Rand der Gletscher brachten und Bergsteiger als Verrückte galten oder Skifahrer noch eine Kuriosität darstellten, handelt die vorliegende Erzählung, die anhand von bisher unveröffentlichten Fotografien dargestellt und dramatisiert ist. Die Photochrome aus der Zeit um 1900 zeigen aufregende Gletscher und Naturschönheiten, den Montblanc, die Jungfrau, das Matterhorn. “Nichts lässt sich mit den Alpen vergleichen“, wusste schon der berühmte französische Historiker Jules Michelet 1868. Gerade um diese Zeit wird das riesige Alpenmassiv im Herzen Europas vermehrt besucht. Der Tourismus, der schon im späten 18. Jahrhundert einsetzte, nimmt an Fahrt auf, insbesondere natürlich durch den unaufhaltsamen Aufschwung des Wintersports.

Eine Reise auf den Gipfeln durch Europa

© PhotoDiscovery / Former Walter Collection

Mittels Photochromen, Fotografien, kolorierten Postkarten, Plakaten und Reiseprospekten aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert lassen die beiden Autorinnen eine beinah verschwundene Welt wieder auferstehen. Denn längst gehören Pässe und Berge wie der Mont Cenis, Simplon, Brenner und St. Gotthard, der Montblanc, der Eiger, das Wetterhorn und die Dolomiten zum Standardprogramm des kultivierten Europäers. Damals, vor mehr als 100 Jahren, waren es nur wenige, die den Blick auf kristallklare Seen in der Schweiz, Italien, Bayern und Slowenien wagten oder Tirol, die Via Mala oder das Engadin erkundeten. In den damals noch sehr exklusiven Wintersportorten stieg die betuchte Kundschaft in einem Grandhotel in Gstaad, Grindelwald, Davos, St. Moritz oder Cortina ab. Heute gibt es an den selben Orten auch Pensionen und Jugendherbergen.

Die Alpen im bärigen Riesenformat

© PhotoDiscovery / Former Walter Collection

Die wunderbare Reise in die Berge, als Schnee und Berge noch unberührt waren, wird von Zitaten von Reise-schriftstellern begleitet und zeigt, wie gut die beiden Herausgeberinnen recherchierten und über wie viel Erfahrung sie auf diesem Gebiet schon verfügen. Ein prächtiges Buch für Kenner und Erlebnishungrige, die die Alpen noch so unberührt sehen wollen, wie sie es jahrtausendelang auch waren.

Sabine Arqué, Agnès Couzy
The Alps 1900. A Portrait in Color
Hardcover, 29 x 39,5 cm, 6,40 kg, 600 Seiten
Deutsch, Englisch, Französisch
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
€ 150 | CHF 200
ISBN 978-3-8365-7355-9
TASCHEN Verlag
€ 150


Genre: Bildband, Reisen, Wandern
Illustrated by Taschen Köln

SILVER MARILYN

Silver Marilyn – neu aufgelegt zum 60. Todestag

Marilyn Monroe. Zum 60. Todestag präsentiert der Schirmer/Mosel Verlag die Film-Diva auf drei Ebenen: Von derEntstehung der Ikone des 20. Jahrhunderts; der Geschichte der internationalen Glamourphotographie der 1950er Jahre, und Marilyn als Mensch hinter dem Mythos erzählt der vorliegende Bildband mit 152 Tafeln in Farbe und Duotone.

Neuauflage mit Extra MM

Die Silver Marilyn erschien 1989 erstmals als Schirmer/Mosel-Produktion und avancierte zum weltweiten Bestseller avanciert. Es zeigt klassische Marilyn-Ikonen der berühmtesten Photographen der Welt – von Avedon bis Weegee – und dazu eine Fülle selten gesehener Aufnahmen versammelt. Für die vorliegende Neuauflage hat die Schauspiel-Kollegin Jane Russell das Vorwort verfasst. Zudem gibt es Marilyn in einem großen Interview, das sie dem befreundeten Journalisten Georges Belmont 1960 gab.

Gegen den Mythos: die echte MM

Hier spricht Marilyn Monroe persönlich und nicht als Kunstfigur und so erweist sich, dass sie durchaus – entgegen ihrem Mythos – als kluge, humorvolle und äußerst eloquente Gesprächspartnerin glänzen kann. Auch wenn sie als Pin-up-Girl anfing und in kurzen 17 Jahren zum Megastar avancierte, änderte sich doch alsbald ihre Eigenwahrnehmung. Auch wenn ihr ihr Publikum dabei erst sehr viel später folgen sollte, kann man sich auch in dieser Ausgabe der Silver Marilyn überzeugen, dass mehr hinter einem Mythos steckt, als man vermutet. Und gerade das macht es so interessant, auch 60 Jahre nach ihrem Abschied, diesen Mythos wieder aufs Neue aufleben zu lassen.

Ikone des alten Milleniums

Dass Marilyn auch im neuen Millennium, das sie nie erlebte, noch nichts von ihren Popularitätswerten eingebüsst hat, beweist nicht zuletzt die Rekordsumme von 195 Millionen Dollar, die Andy Warhols “Shot Sage Blue Marilyn“ kürzlich bei einer Auktion erzielte. Sammler wissen warum.

SILVER MARILYN
Marilyn und die Kamera
Photographien aus den Jahren 1945-1962
Mit einem Vorwort von Jane Russel
und einem Interview von Georges Belmont
248 Seiten, 152 Tafeln in Farbe und Duotone
ISBN 978-3-8296-0952-4
Schirmer/Mosel Verlag
€ 29,80 € (Ö) 30,70 CHF 34,30


Genre: Biographie, Film, Fotografie
Illustrated by schirmer/mosel

Das Herz des Feindes

https://i.weltbild.de/p/das-herz-des-feindes-319639724.jpg?v=1&wp=_maxKampf zwischen Normannen und Engländern, dazwischen eine „unmögliche“ Liebe

 

1069 im walisischen Grenzgebiet: Die Normannen überfallen den Landsitz Ashdyke und ermorden dessen Herren. Die schockierte Witwe Christen, gerade einmal 20 Jahre alt, muss sich sofort entscheiden, wie es weitergehen soll: Rutschen sie und die Überlebenden in einen ständigen Überlebenskampf ab oder akzeptiert sie den Heiratsantrag von Miles, dem jungen Normannen, der den Besitz zumindest anständig verwalten und vor weiteren Übergriffen schützen will? Schweren Herzens entscheidet sie sich zum Wohl aller für die zweite Option. Allmählich entdeckt sie, dass auch unter den Normannen Rivalitätskämpfe herrschen und Miles im Gegensatz zu seinem Rivalen FitzOsbern Ehrgefühl und ein anständiges Wesen besitzt. Seiner Intelligenz und seiner Weitsicht ist es zu verdanken, dass Christen und ihr Haushalt weiterhin ein relativ gutes Leben führen können. Und Christen merkt, dass Miles neben all dem ein gutes Herz hat, in das sie sich schließlich verliebt. Auch Miles ist seiner Ehefrau nach einer anfänglichen Vernunftehe sehr zugetan. Aber bevor sie ihr neues Glück genießen können, kommandiert König William Miles als Kundschafter ab, um weitere Gebiete zu erobern. Christen sieht einer unsicheren Zukunft entgegen und behält Recht. Ob sie Miles je lebend wiedersieht?

 

Der meist verächtlich gebrauchte Begriff „Frauenliteratur“ ist auch hier weder angebracht noch gerechtfertigt

 

Der in sich abgeschlossene Roman, der allerdings als Vorläufer zu und laut Autorin als Katalysator für „Die wilde Jagd“ gilt, taucht ein in die unsicheren Zeiten des frühen Mittelalters in Britannien und beschreibt diese anschaulich. Die Autorin selbst interessiert sich für das Mittelalter und ist Mitglied des Vereins „Regia Anglorum“, der das Leben und Wirken der Menschen zu dieser Zeit nachspielt. Und das merkt man dem Roman an, der Details zum täglichen Leben bietet, wo es gerade in die Handlung passt. Dieses tägliche Leben ist für Leser*innen interessant, die die Geschichte nicht nur auf Politik und Kriege beschränkt wissen möchten – meist ist beides leider meist in eins begriffen.

 

Wie üblich in historischen Romanen zeigt die Autorin das Leben einer starken Frau, die sich den beschränkenden patriarchalischen Traditionen, soweit in ihrem Rahmen möglich, widersetzt. Christen fügt sich dort, wo sie es für nötig hält, tut aber ihre Meinung kund, ebenfalls dann, wenn es ihr angebracht scheint. Sie lenkt in ihren Möglichkeiten die Entscheidungen der Männer zugunsten eines besseren sozialen (Über-)Lebens. In Kombination mit einem weitsichtigen und mit einem guten Charakter ausgestatteten Mann kommen beide und ihre Untergebenen besser aus schlimmen Situationen heraus als andere, die unter der Knute der tyrannischen Psychopathen stehen. Diese Männer, die das Patriarchat als Vorbild hochhält, die aber das absolute Desaster für jedwede funktionierende Gesellschaft darstellen und nichts als Verheerung und Leid in ihrem Kielwasser bereithalten, kommen in historischen Romanen – die meist von Frauen geschrieben werden – sehr schlecht weg. Die sozialen Männer hingegen werden hochgehalten.

 

Das entspricht dem Muster, dass die Autoren des Sachbuches „Die Wahrheit über Eva“ beschreiben: Wenn Frauen mindestens egalitär an Herrschaftsprozessen beteiligt sind und sich ihre Männer selbst aussuchen können, geht es der Bevölkerung gut. Die Jäger- und Sammlergesellschaften haben übrigens asoziale Männer vom Schlage eines Tyrannen diszipliniert: Sie wurden gemaßregelt, und wenn das nicht reichte, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen oder sogar getötet. Geduldet oder gar heroisiert wurden sie auf keinen Fall. Die Autorinnen von historischen Romanen greifen wohl mindestens instinktiv, möglicherweise sogar gezielt solche angeblich minderwertigen, in Wahrheit aber wertvollen Strukturen wieder auf, indem sie die patriarchalische Gesellschaft durch die Darstellung und Wahl ihrer Held*innen scharf kritisieren und die aus Jäger- und Sammlerzeiten stammenden Werte – wie eine ganzheitliche Struktur, schafsinnige, intelligente und starke Frauen und sozial agierende Männer – hochhalten. Letztere sorgten in Jäger- und Sammlerzeiten übrigens dafür, dass der Nachwuchs sich durch bessere Versorgung nicht nur vom Menschenaffen zum Menschen entwickeln, sondern auch insgesamt besser entfalten konnte als der, wo die Mütter alleinerziehend täglich kämpfen mussten. Für Diskriminierung war in solchen Gesellschaften schlicht kein Platz, denn für das Überleben wurde jede Hand und jede Fähigkeit gebraucht. Jegliche süffisanten Kommentare über die sogenannte (angeblich minderwertige) „Frauenliteratur“ sind also unangebracht und definitiv fehl am Platz! Auch dieser Roman bestätigt wieder, dass soziale Werte niemals totzukriegen sind und immer in irgendeiner Form weiterleben – zum Glück, denn sonst wäre die Welt schon längst vor die Hunde gegangen.

 

Der vorliegende Roman scheint der erste der Autorin gewesen zu sein, so wie sie es im Nachwort beschreibt. Das merkt man ihm auch an, denn an einigen Stellen habe ich mich über das Tempo gewundert, in welchem plötzlich tief sitzende Meinungen geändert oder sich die Liebe zwischen den Hauptfiguren entfaltet hat. Ansonsten aber ist es ein spannender Roman, der Fans von Romantik und Geschichte sicher gefallen wird.

 

Fazit

 

Mit ein paar wenigen Schwachstellen ein schöner, historischer Roman, der wie andere in dieser Kategorie auch die süffisanten Unkenrufe bzgl. „Frauenliteratur“ nicht verdient hat. Gründe hierfür s.o.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Weltbild

Nur die eine Erde. Globaler Zusammenbruch oder globale Heilung – unsere Wahl

Buchcover Nur die eine Erde

Klimazerrüttung, Ökozid und was dagegen getan werden kann

 

Der Autor gibt auf über 300 Seiten einen fundierten, detaillierten und gut verständlichen Überblick mitsamt Glossar über die Funktionsweise der Erde und wie v.a. der Mensch die sensiblen Vernetzungen, auf denen das Leben und das Ökosystem insgesamt beruhen, stört. Er erklärt z.B., wie wichtig Bakterien für das gesamte Ökosystem sind: Bakterien, ohne die im Boden kein Leben möglich wäre, bis hin zu den guten Bakterien auf der Haut und im Darm, die den Menschen gesund erhalten. Bakterien sind die älteste Lebensform auf der Erde und die chemischen Verbindungen, die sie eingehen, wandeln giftige Elemente in nützliche um. Bakterien und die chemischen Elemente bezeichnet er als das A und O der Erde.

 

Das zeigt er auch am Beispiel der Landwirtschaft: Die konventionelle Landwirtschaft mit ihren Giften – schädlich für die Insekten und deren Fressfeinde, sowie für den Menschen – und schweren Maschinen schert sich nicht um das empfindliche Ökosystem u.a. im Boden. Die schweren Maschinen pressen den Boden und damit das Leben im Boden zusammen und töten es ab: Stichwort Bodenkompression. Außerdem pressen sie so das CO2 aus dem Boden – die Böden sind neben den Wäldern die Orte, die am meisten CO2 binden! Der Autor weist nachdrücklich darauf hin, dass die konventionelle Landwirtschaft damit einen extrem großen Anteil an den Treibhausgasen (THG) hat. Dieser Anteil wird aber von der Wirtschaft und Politik konsequent verschwiegen und von den Medien kaum beleuchtet, was er ebenfalls scharf kritisiert. Er findet es zwar gut, dass der Verkehr und die Abholzung der Wälder in den Blick für den Umweltschutz genommen werden, aber die Aussparung der Landwirtschaft bringt dann nach wie vor Ärger für das Klima und begünstigt die Klimazerrüttung, wie der den Klimawandel nennt. (Er ist dafür, die Probleme klar und offensichtlich zu benennen und nicht zu beschönigen – Wandel klingt eher positiv als negativ und wird der tatsächlichen Zerstörung und dem Raubbau, den die Wirtschaft mit der Natur betreibt, in keinster Weise gerecht.) Die regenerative Landwirtschaft dagegen bindet 100% der THG.

 

Was ebenfalls gern unter den Teppich gekehrt wird, ist, dass nicht nur CO2 dem Klima zusetzt, sondern auch Methan und Lachgas. Diese gehören aber ebenfalls zu den Treibhausgasen. Und die Vieh-, da v.a. die Rinderwirtschaft, tragen einen nicht unbeträchtlichen Teil zum THG bei. Und da die Nutztierflächen über 80% der landwirtschaftlichen Fläche ausmachen, fällt ein großer Teil der bewirtschafteten Erde für den Menschen weg. Die Tiere brauchen Nahrung, die angebaut werden muss, und sie brauchen Weidefläche. Die Nutzung dieser für den Tierbedarf belegten Fläche für die regenerative Landwirtschaft würde reichen, um die Weltbevölkerung zu ernähren, THG zu binden und zu reduzieren!

Zudem vernichten Herbizide und Pestizide Böden, dort die lebenswichtigen Bakterien und die Insekten. Diese Gifte gelangen außerdem in unsere Nahrungsmittelkette, weil Pflanzen und Tiere sie aufnehmen und dann auf unserem Teller landen. Sie reduzieren außerdem die Vielfalt von Flora und Fauna – ebenso wie die Monokulturen. Das wiederum hinterlässt beides tote Böden und ist verantwortlich für Erosionen, Überschwemmungen und sich immer mehr ausbreitende Wüsten. Und ist der Boden erst einmal sandig und zur Wüste geworden… Ebenfalls nicht in den offiziellen Berechnungen drin ist der Anteil der Schifffahrt am Ausstoß von THG.

 

Der Autor zeigt auch auf, dass der globale Handel für Gift und CO2 verantwortlich ist, sowie für die maritime Plastikverseuchung und Mikroplastik. Das mittlerweile überall vorkommende Plastik ist nicht nur haufenweise in unseren Meeren zu finden und durch kriminelle Aktivitäten auch auf illegalen Müllablagerungen, sondern auch in unserer Nahrung und damit in unseren Körpern.

 

Die menschengemachte Klimazerrüttung ist verantwortlich für unerträgliche bis tödliche Hitze – was wir gerade auch am eigenen Leib erfahren -, die alle Lebewesen tötet, ebenso für Überschwemmungen, Dürre, Wasserknappheit und Naturkatastrophen wie Waldbrände oder Stürme. Der globale Kipppunkt ist schon zwischen 1-2 Grad Celsius Erderwärmung erreicht – „eine existenzielle Bedrohung für die Zivilisation“ -, höchstwahrscheinlich ab 3 Grad Celsius – mit verheerenden Folgen, denn wenn das Klima kippt, sind diese Folgen nicht mehr aufzuhalten.

 

Kritik übt der Autor zudem am westlichen Schulsystem, das im Beginn der industriellen Revolution stecken geblieben ist und den Menschen nur als Faktor im Wirtschaftssystem betrachtet und darauf ausrichtet, dass er ein weiteres Rädchen in der Wirtschaft darstellen soll. Das ist nicht gerade menschen- und naturfreundlich.

 

Außerdem übt Hageneder Kritik an den Religionen: Diese seien eigentlich „grün“, aber durch den sogenannten „Wétiko“-Hochmut („Wétiko-Kannibalismus, der Konsum des Lebens anderer für den eigenen Zweck oder Profit“) korrumpiert, was Kriege, die naturfeindliche Agrarindustrie und das unmenschliche Bevölkerungswachstum begünstigt. Es gebe allerdings ein schrittweises Umschwenken. Als ökozentrisches Beispiel nennt er den indigenen Animismus, der wertschätzend mit der Natur umgeht. Überhaupt darf eine Herangehensweise an die schädlichen Auswirkungen der Klimazerrüttung nicht mehr anthropozentrisch sein (d.h. vom Menschen als Zentrum allen Maßes) wie bisher, sondern muss ökozentrisch ausgerichtet werden (die Erde und ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt des Denkens und Handelns).

 

Was für eine zentrale Rolle die Gleichberechtigung der Frauen in diesem heilsamen Prozess des echten Umweltschutzes hat, legt er ebenfalls eindringlich dar. Das Gilgamesch-Epos, welches die „Ilias“ und die „Odyssee“ beeinflusst hat, bezeichnet er als „düstere Warnung vor männlicher Selbstherrlichkeit und ökologischem Missbrauch“.

 

Er geht außerdem ausführlich auf Nano-Müll, Chemie, Genmanipulation, Radioaktivität, Sonar- und Lärmbelastung, Lichtverschmutzung usw. ein.

 

Der Autor legt, wie an diesen Beispielen ersichtlich, nicht bloß dar, welche Schäden der Mensch nicht nur in seinem Lebensraum anrichtet, sondern zeigt auch Lösungen auf. Würde er das nicht tun, wäre das real existierende grauenhafte Szenario, das er in aller Deutlichkeit vor den Leser*innen ausbreitet, kaum zu ertragen. (Im Übrigen auch ein Grund, warum so wenig passiert: Der Mensch hat die Angewohnheit, vor unangenehmen Dingen die Augen zu verschließen und nach Vogelstraußmanier den Kopf in den Sand zu stecken.)

 

Warum trotzdem weiterhin im großen Stil zu wenig passiert? Die Lobby von Agrarölkonzernen und anderen Wirtschaftskonzernen, die mit umweltschädlichen Produkten eine Menge Geld verdienen, verhindert einen effektiven, ganzheitlichen und nachhaltigen Umweltschutz und damit die Erhaltung der Erde als Grundlage allen Lebens. Auch da bietet der Autor zahlreiche Beispiele, wie Wirtschaft und Politik miteinander in unheilvoller Weise verstrickt sind.

 

Er bietet aber auch am Ende eines jeden Kapitels Tipps für Regierungen, Wirtschaft und jede*n Einzelne*n an, wie man den schrecklichen Teufelskreis, in dem wir uns gerade befinden, noch aufhalten kann. Dazu gehört z.B. die Anerkennung tierischer Intelligenz – der Wal z.B. hat als einziges Lebewesen vier separate Kortikallappen, der Mensch in seinem Gehirn nur drei -, die Vermeidung von Plastik-Müll, die Unterstützung von Umweltorganisationen, das kritische Hinterfragen der Politik und der Wirtschaft, die Emanzipation der Frau, das Ersetzen anthropozentrischer Ansichten durch ökozentrische.

 

Das Buch wurde 2021 veröffentlicht, also noch in der Corona-Pandemie und vor dem Ukraine-Krieg. Krieg nennt er sowieso als eine große Triebfeder für Erdzerstörung. Das, was Hagendeger schreibt, hat sich 2021 durch die Überschwemmungen im Ahrtal, die weltweiten Überschwemmungen, die schlimme Hitze in Europa und anderswo in diesem Sommer und davor usw. schon bewahrheitet. Und immer noch tut die Politik zu wenig, im Gegenteil, es gibt wieder Bewegungen in Richtung weiterer Erdzerstörung, indem die Umweltpolitik behindert und Frauenrechte erneut eingeschränkt werden.

 

 

Fazit

 

Der Verdienst dieses Buches ist es, die Fakten klar und umfassend auf den Tisch zu legen und sowohl die Regierungen, die Wirtschaft als auch jede*n Einzelne*n davor zu warnen, was alles passiert, wenn in Richtung Umweltschutz wenig bis nichts passiert. Es stellt aber auch Lösungsvorschläge vor.

 

Weiterführende Links zum Thema

Mehr dazu auch in dem Artikel: https://www.republik.ch/2022/07/22/globale-hungerkrise-teil-1-wieso-muessen-menschen-hungern?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/welt/hinweise-dass-klimawandel-katastrophale-ausma%c3%9fe-annehmen-k%c3%b6nnte/ar-AA10dTRi?li=BBqfUd5&ocid=ACERDHP17

Artenvielfalt durch das Natur- und Kulturgut „Streuobstwiesen“ erhalten: https://www.spektrum.de/news/streuobstwiesen-gutes-obst-so-nahe/2043097?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

 

Wildwachsende, kostenlose Nahrungsmittel wertschätzen und pflücken: https://mundraub.org/map#z=7&lat=50.91&lng=11.56

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Genre: Sachbuch, Umweltschutz, Umweltzerstörung
Illustrated by Neue Erde

Wir Schurken

Peter Sonnbichler ist ein Bewahrer. Er bewahrt kostbare Momente davor, vergessen zu werden, auch behütet er eine Zeit, die erst kürzlich verflossen ist, aber als Epoche – vor dem Handy, dem Internet und der politischen Korrektheit –

Sonnbichler bewahrt so auch das Land vor dem Vergessen, eines, das nicht einzig als Naherholungszone oder Mountainbike-Strecke Wert hat. Weiterlesen


Genre: Erzählungen
Illustrated by edition sonne und mond

Lonely Heart

Lonely HeartBeziehung unter schwierigen Bedingungen

Rosie hat gegen den Willen ihres Vaters eine eigene Webradio-Show aufgebaut, die mittlerweile beim jungen Publikum sehr gut ankommt. Mit ihrer einfühlsamen Art kann sie sogar Stars für ein Interview gewinnen, so auch die Band „Scarlet Luck“. Rosie verbindet mit der Band schon seit Jahren gute Gefühle und hilfreiche Momente, da ihre Musik sie in schwierigen Situationen getröstet hat. Außerdem ist sie Fan von Adam, dem Schlagzeuger der Band. Dementsprechend aufgeregt ist sie, als die Band einwilligt, in ihr Studio zu kommen. Aber dann geht aufgrund eines Fehlers ihrer Assistentin alles schief: Die Band verlässt verärgert frühzeitig die Show und danach prasselt ein nie gekannter Hassstrom auf Rosie ein. Das ist sogar „Scarlet Luck“ zuviel, sodass sie mit Rosie ein Zeichen gegen Hass im Internet setzen wollen. Rosie besucht also ihr Konzert, und die Band macht mit ihr ein Solidaritäts-Foto. Dabei kommen sich Rosie und Adam, der aufgrund eines Traumas keine Berührungen erträgt, ein wenig näher. Adam, ein gebrochener Mann, versucht seine Ängste in exzessiven Konzerten und mindestens ebenso extensivem Alkoholmissbrauch zu ertränken. Aber durch die einfühlsame Rosie gewinnt er allmählich wieder ein wenig Kontrolle über sich. Rosie selbst verliebt sich in Adam und versucht für ihn dazusein. Aber das Leben macht der zart erblühenden Liebe immer wieder einen Strich durch die Rechnung.

Sucht- und andere Probleme

Das Buch enthält zu Recht eine Warnung vor triggernden Inhalten. In diesem Fall sind das Substanzmissbrauch, Depressionen, Panikattacken und die Andeutung von sexueller Gewalt. Deshalb ist für mich nicht nachvollziehbar, warum ein Verlag immer noch auf solch nichtssagende und seichte (kundenfangende) Titel setzt wie „Lonely Heart“, weil das den Inhalt unnötig bagatellisiert und der Qualität des Buches nicht gerecht wird. Solche Titel sind für seichte Bücher in Ordnung, aber seicht ist dieses Buch nicht, da es z.T. bis ins Detail das Leben mit Süchten, Depressionen und Panikattacken beschreibt. Das Buch folgt einem in meinen Augen guten Trend, der anscheinend gerade im Schwange ist: die als trivial angesehene Frauenliteratur aus der Nische der Trivialität herauszuholen, indem es u.a. Romantik und Livestyle mit ernsten Problemen koppelt – so wirkt das Erzählte lebensnäher und weit weniger seicht und trivial als in so manch anderem Buch, das tatsächlich nur eine oberflächliche Love-Story erzählt. Bzgl. sexueller Gewalt ist diesmal auch keine Frau betroffen (die sonst die undankbare Opferrolle innehat), sondern ein Mann.

Was tatsächlich laut Erfahrungsberichten und Fachliteratur zu seicht geraten ist, ist die Vorstellung, dass Liebe einen aus der Sucht befreit. Hier greift in der Realität eher die Rolle der Co-Abhängigkeit der Angehörigen und (Ehe-)Partner*innen. Liebe kann nur dann etwas bewirken, wenn der alkoholabhängige Mensch aus freiem Willen der Abhängigkeit entkommen möchte. Meist ist das, wenn überhaupt, aber nur der Fall, wenn er an einem Tiefpunkt seines Lebens angekommen ist und alle anderen ihn verlassen haben. Weil das Buch triggern könnte, aber auch für Leser*innen, die von den triggernden Inhalten unbelastet sind, sind manche Passagen trotzdem gefühlsmäßig schwer zu ertragen. Im Prinzip wird ein ständiges Wechselbad der Gefühle entfacht. Das zeigt aber auch, dass die Autorin es versteht, die Leser*innen an das Buch zu binden. Zudem zeigt die Autorin an der Entwicklung der Hauptpersonen, wie man sich aus schwierigen Situationen wieder herauskämpft, was durchaus Vorbildcharakter hat. Und dass im Showbusiness nicht alles Gold ist, was glänzt. Außerdem werden Gefahren wie Hetze und Mobbing im Netz angesprochen und gezeigt, welche Folgen das für die Betroffenen haben kann. Die Autorin ist also ziemlich nahe an der Welt ihrer jungen Leser*innen dran. Dabei schreibt sie spannend und sensibel, sodass man sich als Leser*in gut in die Personen und Situationen einfühlen kann.

Das Buch leitet eine Reihe ein.

Fazit

Insgesamt also empfohlen und definitiv keine Trivialliteratur, auch wenn sie durch den unpassenden Titel auf den ersten Blick als solche daherkommen mag.


Genre: Jung Adult, Romantik, Sucht
Illustrated by LYX

Lustiges Taschenbuch Royal 7 (Best of Royal): Das Thronjubiläum und andere königliche Geschichten

news royal 7

Nicht ganz so adeliger Adel

„Adel, wie die Zeit vergeht“: Königin Elisabeth kann v.a. eins: königlich winken. Zumindest denken das ihre Untertanen. Wenn sie wüssten, wie es im Palast wirklich zugeht…

„Ein fahrender Ritter“: Entenburg um 1300 n. Chr. Verwalter Dagobertus hält seinen Herzog und dessen Land knapp bei Kasse, auf dass sich die Münzen in der Schatzkammer vermehren. Aber der Herzog ist der übertriebenen Sparsamkeit überdrüssig und ersinnt eine List: Ein fahrender Ritter, der zudem noch aus Dagobertus‘ Blutslinie stammt, soll dessen Amt als Verwalter übernehmen. Und Dagobertus‘ Neffe Donald freut sich nur zu sehr darauf, endlich den raffgierigen Klauen seines Onkels zu entkommen.

„Die drei Mausketiere – Seiner Majestät neuer Hut“: Da die frisch gebackenen Mausketiere bisher nur langweilige Arbeiten im Palast erledigen, wollen sie endlich einmal beweisen, was in ihnen steckt. So kommt Micky d’Mausignan auf die Idee, dass die drei Mausketiere den berüchtigten Pariser Huträubern den Garaus machen könnten.

„Junker Donaldus‘ Narreteien“: Der vom Pech verfolgte Junker Donaldus will endlich hoch hinaus. Aber das läuft anders als geplant, denn er soll Dussulus‘ Posten als Hofnarr übernehmen. Der aber will seinen alten Posten wiederhaben und stellt Donaldus eine Falle nach der anderen.

„Herzog Habenichts und der Feuerschlüssel“: Herzog Donaldus Ducknichtgut ist chronisch knapp bei Kasse, weshalb er vom Volk nur „Herzog Habenichts“ genannt wird. Schon seit Jahren versucht er, an den Familienschatz zu kommen. Doktor Danilus soll ihm mit seiner neuesten Erfindung helfen.

„Im Dienste Ihrer Majestät“: Musketier Donaldamis soll für seine Königin einen gefährlichen Auftrag ausführen und ihr ihre Juwelen wiederbeschaffen. Aber aufgrund unglücklicher Verstrickungen endet diese Suche für alle Parteien in einer Überraschung.

„Die drei Mausketiere – Des Königs Maskenball“: Die drei Mausketiere leiden unter ihren schäbigen Uniformen. Eine saftige Belohnung zur Ergreifung von zwei Flüchtigen könnte die Rettung der Gardeuniformen sein.

„Donald und die Räuber“: Graf Karl, der Neffe von Graf Dago Duckmoor, wird mehr oder weniger aus Versehen Anführer einer Räuberbande. Während Karl denkt, dass er mit seiner Bande Gutes tut, plündern die Räuber alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Derweil ereignen sich schreckliche Dinge auf dem Schloss des Grafen Duckmoor.

Viel Wiedergekäutes

Wieder einmal fällt ein LTB dieser Kategorie durch Anspielungen auf, diesmal mit Anspielungen auf die Literatur und das englische Königshaus. Dabei bleibt es aber spannend, denn die Geschichten kopieren nicht 1:1 die Vorlagen, sondern wandeln sie nach Entenhausener Manier um. Ich persönlich finde es gut, dass Kultur in den LTBs aufgegriffen und verarbeitet wird – das birgt die Chance, dass die großen und kleinen Leser*innen auf das Original neugierig werden. Bei meinem Sohn hat das schon gefruchtet.

Nicht so gut finde ich allerdings, dass nur eine einzige Geschichte, dazu noch ein Einseiter, eine deutsche Erstveröffentlichung ist. Alle anderen sind aus den LTBs Royal 2,3 und 4 recycelt. V.a. die Geschichten rund um die Mausketiere kommen öfter in LTBs vor. Da fühlt man sich als Leser*in dann schon veräppelt.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa

Neue Staudenverwendung

Wie rezensiert man als Hobbygärtnerin ein Lehrbuch wie Neue Staudenverwendung von Norbert Kühn, das mit fundiertem Hintergrundwissen daherkommt?

Einleitend heißt es: “Das Buch soll keine Rezepte vermitteln und keine Dogmen aussprechen. Es soll Grundlagen dafür bieten, um sich selbst neue und eigene Gedanken zu machen. Dazu ist es nötig, in die Geschichte zu sehen und das schon Gedachte vor dem geistigen Auge vorbeiziehen zu lassen … Es soll zurzeit gebräuchliche Prinzipien aufzeigen und will sie auf eine ökologische Grundlage stellen.”

Es folgen 300 Seiten, fast so groß wie DIN A4, mit Fotos, Schaubildern und Tabellen, schon Literaturverzeichnis und Pflanzennamen kommen mit je 15 Seiten. Es ist kein Buch zum Auslesen, aber es regt an, wie es so schön heißt: “sich selbst neue und eigene Gedanken zu machen.” Deshalb empfehle ich es gerade für Menschen, die eigentlich schon genug Gartenbücher haben.

In der Einleitung geht es um die Nomenklatur, die wissenschaftliche Namensgebung, die sich (zu) oft ändert und nun auch noch durch DNA-Ergebnisse hinterfragt wird. Manchmal geben die Züchter ihren Pflanzen auch Phantasienamen, etwa Karl Foerster, der einen seiner Phloxe “Wenn schon-denn schon” taufte.

Früher wurde der Vermehrung der Pflanzen allenfalls durch Züchter geholfen, indem sie Pflanzen, deren Merkmale gefielen, zusammen pflanzen. Ob die Züchtung erfolgreich war, wurde beobachtet. Foerster nannte es den “Enttäuschungsfilter”, über den Vieles hinaus selektiert wurde.

“Als es galt, durch Neuheiten auf sich aufmerksam zu machen” wurden immer neue Züchtungen kreiert, und ohne mehrjährige Überprüfung als Neuheit auf den Markt geworfen, in Gartenzentren, in denen “Pflanzenkonsumenten” sie erstehen. “Das wichtigste Merkmal einer Staude, ihre Dauerhaftigkeit, ist … weder beabsichtigt noch erwünscht.”

Nach dieser (kurzen) Einleitung kommen vier Teile, die die Geschichte, die ökologischen Grundlagen der Staudenverwendung, der Gestaltung mit Stauden, deren aktuelle Prinzipien und neuartige Lebensgemeinschaften beschreibt.

Wir verfolgen die Geschichte der Trends seit den 90er Jahren, die Einflüsse von Beth Chatto, ihren holländischen Kollegen und wie deren Rezeption in Deutschland war. Als Beispiele werden die Gestaltung der jeweiligen Gartenausstellungen oder kommunaler Projekte genannt. Wie reden (und schreiben) Profis über diese Trends, welche Rolle spielt die Ökonomie, wenn den kommunalen Grünflächenämtern die Mittel gekürzt werden?

Was sind die Vorteile der vegetativen, welches die der generativen Züchtungen? Viele Pflanzen werden vorgestellt, von denen ich als Laiin noch nie gehört habe, aber auch zu den bekannten gab es Neues zu lesen. Es geht um Farben und Formen von Ast, Blatt und Blüte, es gibt Tabellen, welche Farben passen zusammen?

Ich habe das Buch über viele Monate immer wieder ein wenig gelesen und es genossen. Es sind kleine Erkenntnisse, die das Lesen des Stoffes auch unterhaltsam machen, etwa, dass Planer eine Gelbphobie haben, ob ich wohl auch eine habe? Es gibt nur zwei gelbe Ecken in meinem Garten.

Was hat Beth Chatto dazu gebracht, ihre Kiesbeete anzulegen? Jahrelange Trockenheit im Südosten Englands. Warum sind Fotografien englischer Gärten so leuchtend? Es liegt am Regen. Schottergärten werden respektvoll Kiesbeete genannt, und sie wären als planerisches Prinzip für Verkehrsinseln geeignet, wenige für Parks.

Spontanvegetation hat durchaus einen planerischen Hintergrund, etwa, wenn alte Industriegelände, wie der Südpark in Berlin, der Natur überlassen werden. Aber, und damit endet das Buch: “Spontane Vegetation in einer ungepflegten Umgebung wirkt für den unvoreingenommenen Beobachter wenig attraktiv. Es kommt daher auf die gezielte Einbindung, die richtige Inszenierung an, ob diese Dinge auch eine Wirkung entfalten.” Besser kann man es nicht sagen.


Genre: Garten, Gartendesign
Illustrated by Verlag Eugen Ulmer