An die Rollatoren, fertig, los!

Die Anthologie »An die Rollatoren, fertig, los!« präsentiert 14 Geschichten, Gedichte und Gedanken über das Alt- und Älterwerden. Mit einer Fülle an humorvollen und nachdenklichen Momenten laden die aus der Slammer-Szene stammenden Autoren ein, das Älterwerden aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Weiterlesen


Illustrated by Dichterwettstreit-deluxe

Ravna – die Tote in den Nachtbergen

Beim Glauserpreis auf der Criminale hat das Buch den Jugendglauser gewonnen. Aber eigentlich ist es ein All-Ager.

Und nach der Leseprobe konnte ich nicht widerstehen und habe es in einem Rutsch durchgelesen. Die raue Landschaft in Norwegens nördlichster Provinz wird lebendig, ich spüre den Wind, die Kargheit, die Sonne, die nicht untergeht, sehe die Rentiere bei der Rentierscheide in der hellen Nacht, und den Zwiespalt Ravnas, der jungen Polizeischülerin, der ersten Lappin in der Polizeischule in Oslo.

Eigentlich macht man die Dinge hier hoch im Norden unter sich aus. Regierung und Polizei haben keinen guten Ruf, die Älteren können sich noch gut erinnern, wie beide sie früher drangsaliert haben.

Und jetzt soll Ravna im Umkreis ihrer alten Bekannten ermitteln. Für die ist sie damit eine halbe Verräterin und für manchen Polizisten gehört sie zu den Verdächtigen. Obendrein hat sie die Leiche gefunden.

Und die lag da schon gut versteckt zehn Jahre nach einer Party von Teenagern, die alle eifrig getankt hatten und angeblich nichts gesehen haben. Oder sich nicht erinnern wollen?

Tolles Buch, spannend bis zur letzten Seite, auch wegen der ungewöhnlichen Umgebung und der Einblicke in das Leben der Samen zwischen Tradition und Moderne.


Genre: Jugendliteratur, Kriminalliteratur
Illustrated by Penguin

Lustiges Taschenbuch (LTB) Abenteuer 1: Die Hüter des Baums

Reichtum und Abenteuer

Die Hüter des Baums: Angeblich soll das Volk der Bucoli goldene Papayas gezüchtet haben. Das interessiert Onkel Dagobert natürlich sehr. Also macht er sich zusammen mit seinen Neffen zu einer Abenteuerreise auf, um die goldenen Samen der Papayas zu finden.

Der Genuss des großen Khan: Onkel Dagobert ist hinter dem Rezept von Gianluca Gusto her, weil dieser dem Großen Khan einen außergewöhnlichen Gaumenschmaus beschert hatte. Das verspricht einiges an Talern – und an Schwierigkeiten.

„Die Geister von Gold City“ sind Lebenden nicht gut gesinnt. Donald soll sie im Auftrag von Onkel Dagobert dazu bringen, mit ihm zu kooperieren, denn er will die Stadt kaufen. Aber dann kommt es anders als geplant.

„Der Schatz der Steinmenschen“ lockt Onkel Dagobert in unbekannte Gefilde. Er will einen Schlüssel finden, der das Tor zum Schatz öffnet. Mit Gustavs Glück finden sie den Schatz problemlos. Dann aber tun sich andere Schwierigkeiten auf.

Kristall des Glücks: Goofinicus und Mickolomino geraten im antiken Arabien in eine Verschwörung.

Abenteuer für Milliardäre: Onkel Dagobert und Klaas Klever haben eine Wette laufen – Onkel Dagobert, der nichts von technischem Schnickschnack hält, wettet, dass Klever kein Abenteuer ohne technische Hilfsmittel bestehen kann. Ob das gutgeht?

Der Korallendrache: Mickeys Onkel Maximilian hat einen Korallenanhänger gestohlen. Mickey will wissen warum und macht sich mit Minnie auf dem Weg zu seinem Onkel, dem schwarzen Schaf der Familie. Dort erfährt er von einem Piraten-Geheimbund: Der Geheimbund des Roten Drachen.

„Die Glocke der McPennypinchers“ soll Onkel Dagobert das Leben erleichtern: Die Glocke warnt nämlich zuverlässig vor Kriminellen. Aber dazu muss Dagobert die Glocke erst einmal finden – und dem geizigen Besitzer abschwatzen.

Der Ring des Reichtums: Onkel Dagobert findet ein Buch mit dem Titel „Der Ring des Reichtums“. Das weckt sofort sein Interesse. Allerdings ahnt er nicht, dass er einer Falle von Gundel Gaukeley aufgesessen ist.

Die Eine-Million-Taler-Münze: Onkel Dagobert rühmt sich, in seiner Münzsammlung alle seltenen Münzen zu besitzen. Allerdings gibt es eine, die er nicht hat: die eine Tonne schwere „Eine-Million-Taler-Münze”. Und die gilt es zu beschaffen.

Aufgewärmtes und fast reine Manpower

Der erste Band der neuen Serie enthält zehn Abenteuer, davon zwei längere, die zweigeteilt sind. Für manche mag es schön sein, dass Abenteuer der verschiedenen Bände zusammengefasst werden, aber mir tun sich zwei Fragen auf. Zum einen: Warum eine Extra-Serie mit Abenteuern, wenn sowieso die meisten Geschichten rund um Dagobert und Donald Abenteuer sind? Zum zweiten: Warum nimmt man zumindest im ersten Band nur aufgewärmte Geschichten und keine (deutschen) Erstveröffentlichungen? Natürlich sind die Abenteuer für Fans und Kinder spannend, wenn man sie zum ersten Mal liest. Aber für Fans, die die LTBs sammeln, stellen sie keinen echten Mehrwert dar. Für weibliche Fans schon gar nicht, denn auch hier drehen sich die Abenteuer v.a. um die männlichen Figuren; die weiblichen, sofern überhaupt vorhanden, sind eher Randfiguren. Nur in den Micky-Maus-Geschichten dieses Buches wird Minnie eine größere Rolle zugestanden, die beweist, dass Frauen nicht nur schmückendes Beiwerk sind. So wenig Frauenpower ist ärgerlich und nicht mehr zeitgemäß!


Genre: Abenteuer, Comic
Illustrated by Egmont Ehapa

Backlash – Die neue Gewalt gegen Frauen

Das Buch Backlash – Die neue Gewalt gegen Frauen beschreibt Gewalt gegen Frauen als eine neue Qualität, es sei keine Pendelbewegung, in dem Sinne, dass es nach Fortschritten auch immer Rückschritte gibt, sondern ein Paradox: Je mehr Rechte Frauen haben, umso mehr Hass und Gewalt entwickeln Männer ihnen gegenüber.

In zwölf Kapiteln werden Veränderungen beschrieben und Verbindungen zwischen diesen aufgezeigt. Es folgt eine mehrseitige Literaturauswahl. Zitiert wird nicht, was ich an einer Stelle vermisse, dazu später.

Es gibt eine globale Verbindung rechter Politiker:innen, (während ich dies schreibe, treffen sie sich in Ungarn; manche sind derzeit in der Opposition, wie die aus den USA, aus Europa Zemmour und Nigel Farange, andere haben kürzlich die Regierung übernommen). Die konservative Familienpolitik eint sie, und kürzlich hat der Papst in Budapest, wie zum Auftakt, die ungarische Familienpolitik gelobt. In Italien hat Giorgia Meloni das Ministerium für Gleichstellung und Familie in Ministerium für Familie, Geburtenrate und Gleichstellung umgewandelt.

Abtreibung ist in manchen Ländern wieder verboten, Grundlage sind fundamentalistische Vorstellungen bei Protestanten, vor allem weiße Männer wollen ihre Kontrolle zurück. „Take back Control“ heißen 2 Kapitel des Buches. Trump bedient dies. Die von ihm berufenen Richter des Supreme Court versuchen es, in einigen Staaten ist Abtreibung verboten. In North Carolina sind sie „Babyzide“ und Gewalt gegen abtreibende Frauen zulässig.

Ein weiterer Strang der Argumentation ist die Bedeutung des Internets für die Entwicklung der Identitäten: Anfang der 90er Jahre, also beim Aufkommen des Internets konnten Menschen sich der Illusion hingeben, ihr Geschlecht spielt keine Rolle, sie könnten sich einfach als jemand anderes geben

Diese spielerische Haltung wird durch biologistische Festlegungen gestört. Etwa, wenn gefordert wird, dass Amazon unter dem Titel Diversity Schauspieler:innen in Serien nur Rollen spielen dürfen, die sie auch im Leben haben, schwarz, trans oder queer.

Als Paradox entwickelte sich eine Kultur der Hater, in der Frauen wegen ihres Frauseins angegriffen werden, der Fall von Renate Künast ist eines der Beispiele. Kriminelle Handlungen im Netz werden selten geahndet, es überwiegt der Eindruck, das Internet sei ein rechtsfreier Raum. Daher die Forderung, „kriminelles Verhalten im Netz zu ent-normalisieren.“

Ein anderer Aspekt ist die Position einiger Feministinnen, nach denen Männer „per definitionem Täter (sind), einfach weil sie männlich sind, biologisch gesprochen. Jede Differenzierung geht hierbei verloren, etwa, dass eine männliche Sozialisation im Patriarchat bedeutet, dass mit dem Männlichkeitsideal auch Gewaltbereitschaft verbunden ist, weshalb Männer Gewalt ausüben… Bei Emma ist der Penis der Täter und nicht ein Mensch im System Patriarchat.“

Ein Schwerpunkt sind Schicksale einzelner Frauen, die von ihren Männern auf verschiedenste Weise unterjocht werden: eine Akademikerin, selbst Juristin, wird von ihrem Mann, einem Richter eingesperrt, und kann sich nicht befreien. Am Ende des Buches wird berichtet, dass sie als Einzige, im Gegensatz zu den anderen beschriebenen Frauen, es nicht geschafft hätte, sich aus der Beziehung zu lösen. Daraus entwickelt die Autorin die These, dass gerade in Akademikerehen Frauen zunehmend unterdrückt werden, hier hätte ich gerne eine Quelle!

Die Autorin besucht ein Frauenhaus und berichtet von den andauernden Schwierigkeiten, die den Frauen, meist sind es Mütter, über Jahre Lebenskraft rauben. Aber, immerhin, die Leiterin berichtet, dass Frauen früher öfter zurück in die toxische Beziehung gegangen, nun hätten sie seltener Illusionen.

Beunruhigt haben mich Berichte über Spycams, die Frauen beim Duschen, aber auch beim Toilettengang ausspionieren und dies als Porno verbreiten. Und, dass Jugendliche ihre ersten sexuellen Erfahrungen nach Anweisungen von Pornos einstudieren. Die Rolle der Frauen dabei: demütig werden, und darauf wartend, es besorgt zu bekommen …


Genre: Frauenhass, Männlichkeitswahn, Schwangerschaftsabbruch
Illustrated by Tropen Verlag

Gefühle in Zeiten des Kapitalismus

Gefühle in Zeiten des Kapitalismus Eva Illouz

Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Auch wenn der Originaltext schon vor einigen Jahren erschienen ist, ist dieses Buch aktueller denn je. Die erstmals bei Suhrkamp 2023 erschienene Ausgabe gliedert sich in drei Teile von denen einer besser ist als der andere. Denn die israelische Soziologin versteht ihr Handwerk. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Anneliese-Meier-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung und den EMET-Preis für Sozialwissenschaften. Ein Manifest der Postmoderne, das Buch des beginnenden 21. Jahrhunderts!

Ein Bruch mit der Tradition der Liebe

Für wen “emotionaler Kapitalismus” bisher eine contradictio in eo ipso gewesen ist, der wird hier eines besseren belehrt. Denn gerade die Emotionen sind zum Startkapital eines neuen kapitalistischen Akkumulationsmodells geworden, mit dem sich nicht nur start ups wie Datingseiten finanzieren lassen. Die neue Technologie des Internets versteht sich einerseits zwar als eine Technologie der Entkörperlichung und so begegnen sich in diversen Internetforen “entkörpertlichte wahre Selbst“, aber in Wahrheit entscheidet dann doch der Körper. Das Internet mache den Menschen zu einer “ausgestellten Ware mit bewußten Manipulationen des Körpers, der eigenen Sprechmuster, des Benehmens und des Kleidungsstils“. Nichts wird dem Zufall – dem eigentlichen Geburtshelfer der romantischen Liebe – überlassen: “Der Prozess der Selbstbeschreibung bedient sich kultureller Skripte der wünschenswerten Persönlichkeit.

Kosten-Nutzen-Rechnung der Liebe

Die Folgen seien ironischerweise “Uniformität, Standardisierung und Verdinglichung, wie Illouz schreibt. Allerdings Verdinglichung im Nicht-Marxschen Sinne, denn es behandelt den abstrakten Begriff als wäre er die reale Sache. Romantische Begegnungen werden durch das Internet in die konsumistische Logik des Kapitalismus integriert, das Selbst wird zu einem “verpackten Produkt, das mit anderen auf dem offenen Markt konkurriere, der nur durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage reguliert wird”. Aus Romantik wird Routinebildung und Administration, Kosten-Nutzen-Rechnung und Zeitökonomie. Manche Dater und Liebessuchende legen sogar Ordner nach bestimmten Kategorien an, so überwältigend und beliebig ist der Response.

Das Internet: “Glamour of Misery”

Während die traditionelle Liebe von einer Exklusivität aufgrund von Knappheit maßgeblich war und der Zufall eine maßgebliche Rolle spielte, basiere die Partnersuche im Internet “auf einer Ökonomie der Fülle, der endlosen Wahlfreiheit, der Effizienz, der Rationalisierung, der selektiven Auswahl und der auf Standardisierung basierenden Prinzipien des Massenkonsums”. Freilich ist auch in der Realität Liebe von Illusion und Idealisierung geprägt, aber nirgends tritt es so offensichtlich zu Tage, als wenn zwei Chatpartner sich das erste Mal begegnen: Enttäuschung, ein Hilfsbegriff. Dass die moderne Psychologie wesentlich dazu beigetragen hat, dass Privatheit, Emotion und Intimität in einer Arena der Öffentlichkeit zur Schau getragen werden ist zu konstatieren. Nicht zuletzt Oprah Winfrey, ein Buch von Illouz über Oprah trägt den entlarvenden Titel “Glamour of Misery” und tauchte tief ein in die Welt des Showbiz und wie Psychologie und Konsumkultur zu einem perfekten Zusammenspiel aufgeigen können.

Das therapeutische Narrativ des Leidens

Das Narrativ der Krankheit, das therapeutische Narrativ oder auch das Opfernarrativ trugen wesentlich zu Umsatzboosts für Pharmaindustrie und klinische Psychologen bei. “Pharmaunternehmen haben ein großes Interesse an der Ausweitung psychischer Pathologen, die mit Psychopharmaka behandelt werden müssen”, schreibt Illouz. Auch Versicherungsgesellschaften profitieren von der Ware “Gesundheit” und deren monetärer Akkumulation. Das therapeutische Narrativ produziere geradezu vielfältige Formen des Leidens, wie schon Foucault wusste und um mit dem Anthropologen Shweder zu sprechen, mitverursache die kausale Ontologie des Leidens das von ihr erklärte Leiden geradezu. “Sie verursachen ironischerweise viel von dem Leiden, das zu lindern sie vorgeben”, so Illouz. We are all a happy family.

Eva Illouz
Gefühle in Zeiten des Kapitalismus.
Adorno-Vorlesungen 2004.
Aus dem Englischen von Martin Hartmann
2023, Broschur, 170 Seiten
ISBN: 978-3-518-30023-7
suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2423
Suhrkamp Verlag, 1. Auflage
16,00 € (D), 16,50 € (A), 23,50 Fr. (CH)


Genre: Kapitalismus, Krankheit, Psychologie, Soziologie
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

Schnee-Bantu

»Der Schnee-Bantu« ist ein fesselnder autobiografischer Roman von Jürgen Heinzelmann, der uns in die faszinierende Welt von Südwestafrika, dem heutigen Namibia, entführt. Das Buch erzählt die Geschichte des Autors, der in den 1960er Jahren voller Abenteuerlust nach Afrika auswanderte und sich auf einer Rinderfarm wiederfand. Von Anfang an fasziniert von Land und Leuten, beschreibt Heinzelmann seine Erfahrungen und Begegnungen in einer lebendigen und mitreißenden Erzählweise. Weiterlesen


Illustrated by BoD Norderstedt

Melody

Cover Suter MelodyMartin Suter ist ein Autor, der meisterhaft erzählen kann. Sein Roman »Melody« steht für dieses handwerkliche Vermögen. Mit geschickt belegten Häppchen fördert er den Appetit des Lesers und lockt ihn vordergründig in die Geschichte einer großen Liebe. Seine auf den ersten Blick melodramatische Schilderung der unerfüllten Liebe eines alten Mannes zu einer bildschönen jungen Frau aus einem anderen Kulturkreis entwickelt er mit vielen geschickt eingebauten Cliffhangern und Wendungen durchaus spannend bis zur letzten Seite und beleuchtet dabei sein Thema immer wieder neu. Weiterlesen


Genre: Liebesgeschichte, Roman
Illustrated by Diogenes

Allein

Daniel Schreiber: Allein

Allein. Der Susan-Sontag-Biograph (Geist und Glamour, 2007) und Autor vieler Beiträge für die Zeit, Deutschlandradio Kultur und die taz war auch in der Pandemie nicht untätig. Nach “Nüchtern” (2014) und “Zuhause” (2017) erscheint nun ein weiteres sehr persönliches Buch. Dessen Thema erfüllt immer noch viele Menschen mit Unbehagen. Dabei muss sich jede/r ihm stellen. Nicht nur einmal im Leben.

Allein: Einsamkeit als Chance

Das Thema Allein-Sein ist so alt wie die Menschheit und sicherlich kein Phänomen der Moderne oder allein von Krisenzeiten wie eben Pandemien, Kriegen oder anderen Apokalypsen: “Niemand von uns kann der Einsamkeit entkommen. Sie ist eine unabwendbare, eine existentielle Erfahrung. Vielleicht auch eine notwendige.” In seinem Bestseller (SPIEGEL, FOCUS, stern und Börsenblatt) erzählt Schreiber, wie er sich gerade in der paradoxen Situation der Einsamkeit auf eine Insel (Fuerteventura) flüchtete, um dort zu schreiben und schließlich zu sich selbst zu finden. Schreiber zeigt, dass gerade Menschen in Einsamkeit ihren Egoismus schließlich besiegen lernen, sich reorganisieren und damit zu neuem Wachstum finden. “Das Erleben von Einsamkeit bringt, mit andren Worten, eine Form der Selbstwahrnehmung mit sich, die wir anders nicht erlangen können. Gerade der Schmerz, der der mit ihr einhergeht, sorgt dafür, dass wir eine neue Art des Mitgefühls in uns entdecken, für uns selbst und andere Menschen. Uns neue Lebenswege erschließen und innere Auseinandersetzungen zulassen, die sonst ausblieben.”

Allein: Praktiken der Selbstreparatur

Mit seinen Gedanken über das Allein-Sein befindet Schreiber sich übrigens in bester Gesellschaft, schon Roland Barthes, Hannah Arendt, Sartre oder andere Choryphän des abendländischen Denkens haben sich in ihrem Schreiben damit beschäftigt. Oft hätte er sich unvollkommen gefühlt, weil er keine Zweierbeziehungen führen hätte können, jedenfalls keine auf Lebenszeit. Vor allem die Rituale, die den Alltag, das Leben zusammenhalten, würden einem abgehen, wenn man alleine ist, gerade in Zeiten einer Pandemie. Ähnlich wie die traditionellen kollektiven Rituale in westlichen Gesellschaften (Hochzeit, Taufe Beerdigungen, etc.) als rites de passage in neue Lebensabschnitte führen, habe nun aber auch die Pandemie einen solchen Schwellenzustand, eine Liminialität, geschaffen, die, wie zu befürchten ist, zu einem permanenten zu werden droht.

Das Narrativ von der Apokalypse

Denn die Welt ist nicht erst seit der Pandemie aus den Fugen geraten und die Apokalypse wieder in aller Munde. Aber selbst das ist nur Teil der ewigen Wiederkehr des Gleichen, denn die Menschheit hat immer schon von ihrem Untergang geschwärmt, seit Anbeginn der Zeit. Schreiber bezieht sich auf viele Autorinnen und Autoren der Gegenwart oder Antike und stellt einen Zusammenhang her mit seinem eigenen persönlichen Leben als homosexueller Mann, dem sich herkömmliche Glücksversprechen von Eigenheim und Kleinfamilie vorerst verwehren, er sich dann aber bewusste dafür entscheidet, eben nicht dazuzugehören: “Ich gehörte nicht mehr zu diesen Menschen, und wollte auch nicht mehr zu ihnen gehören.” Er entscheidet sich dafür, “uneindeutige Verluste” als eben solche stehen zu lassen und mit der Ambivalenz zu leben, da manche Fragen eben unbeantwortet blieben. So wie Derek Jarman auf seinem Prospekt Cottage: “Er nahm ein paar Samen, Stecklinge und etwas Treibholz und begann dieses Gefühl vom Ende der Welt in Kunst zu verwandeln und so dessen Schrecken zu lindern.”

Liminalität: der neue Schwellenzustand

Aber mehr noch als das, ist “Allein” vor allem auch ein äußerst lesenswertes Buch über die Segnungen von Freundschaft und das eigentliche Wesen dieser wohl größten menschlichen Tugend. Wer sich nämlich nicht in einer von der Gesellschaft vorgegebenen patriarchalisch-normativen Kleinfamiliensituation in der Mitte seines Lebens wiederfindet, wird ebenfalls dankbar sein für dieses so wertvolle Buch, das Einblicke gewährt, mit dessen Abgründen sich jeder einmal in seinem Leben wird auseinandersetzen müssen. Spätestens nach einer Scheidung, einem Verlust oder wenn die Kinder erwachsen sind und das Haus verlassen. Die wohl prägendste Erfahrung im Leben eines Menschen ist nämlich gerade diese Einsamkeit, deren Potential und heilsamer Charakter erst noch entdeckt werden muss. “Paare” gälten oft als dominantes Lebensmodell, während sie doch eigentlich oft “patriarchale Horrofilme” ähnelten, wie Hannah Black etwa meint. Black beschreibt Paare als “reduktionistischste, ausgrenzendste und prekärste Methode, um das wahrscheinlich universale Bedürfnis nach Nähe zu stillen”.

Liebe vs. Freundschaft

Auch queere Paare würden dies oft nur reproduzieren, dabei liege das wahre Glück doch in der Freundschaft und der Auflösung jedweder Arten von Herrschaft und Macht. Freundschaft beruhe ja gerade auf Freiwilligkeit und sei deswegen losgelöst von Verpflichtungen und Normierungen wie etwa Familie, Verwandtschaft oder Ehe. Aber oft würden sich Freunde oder Freundinnen dann doch in eine Zweierkiste verabschieden und man bliebe alleine zurück. Dabei sei Liebe ohnehin nur eine Illusion, die für einige Jahre vielleicht “die Angst vor dem Sterblichen und dem Tode” zu bannen vermöge. Es ist kein Geheimnis, dass Liebe tatsächlich sehr viel der Kraft unserer Fantasten bedarf. “Erst unsere Vorstellungskraft schenkt uns die Magie der Hingabe“, zitiert Schreiber Lauren Berlants “Desire/Love“. In der Einsamkeit lässt sich die Nähe zu Gott und zu seiner/m Nächsten. erfahren. Die Liebe kommt dann von ganz allein. Denn sie genügt sich selbst.

Ein beflügelndes, inspirierendes Essay, das nicht nur über die Pandemie, sondern noch so manchen anderen Schmerz hinwegtrösten kann. Das Buch zur Apokalypse.

Daniel Schreiber
Allein. Essay
2023, Broschur, 160 Seiten
ISBN: 978-3-518-47318-4
suhrkamp taschenbuch 5318
12,00 € (D), 12,40 € (A), 17,90 Fr. (CH)

 


Genre: Essay, Pandemie, Philosophie, Soziologie
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

Als wir Vögel waren

Als wir Vögel waren – neu bei Diogenes

Als wir Vögel waren. Trinidad ist für Calypso, Chutney, Limbo, Rapso und Soca und den nach dem in Rio de Janeiro zweitbedeutendsten Karneval der Welt bekannt. Aber nun wird die Karibikinsel auch für “Als wir Vögel waren” bekannt werden, die Heimat der 1980 dort geborenen und heute in London lebenden Autorin Ayanna Lloyd Banwo. Bisher erschienen zwar erst Kurzgeschichten in verschiedenen Publikationen, aber mit ihrem Romanerstling wird dies wohl bald anders werden.

Fidelis oder ein neuer Anfang

Dabei ist die Geschichte, die sie erzählt, so gar nicht ins Klischee des karibischen Flairs der Lebenslust und bunten Freude passend. Banwo erzählt darin zwar eine Liebesgeschichte, die zwischen dem jungen Rastafari Darwin und Yejide, einer Seherin, die sich auf höchst ungewöhnliche Weise kennen und lieben lernen, aber eine, die völlig frei von herkömmlicher Romantik und Hollywood-Schmafu ist. Emmanuel Darwin, der bei seiner Mutter ohne Vater aufwächst, findet nach langer Suche endlich einen Job, allerdings ein Job, den ihm seine Religion verbietet. Auch seine Mutter hat einiges dagegen einzuwenden, und so muss er sich von ihr, die außerhalb der Stadt lebt, trennen und in die Stadt (“Babylon”) ziehen, in die Nähe des Friedhofs Fidelis. Er hat dort als Totengräber angeheuert und seine neuen Kollegen und sein Chef sind abgebrühte Jungs, die gerne mal einen trinken, auch das etwas, was ein Rastafari niemals tun würde.

Darwin und Yejide

Darwin raucht lieber ab und zu von dem heiligen Kraut, aber auch das in Maßen, schließlich ist die Arbeit, die er annimmt, nicht nur körperlich, sondern auch psychisch schwer zu verarbeiten. Eines Tages lernt er in der Verwaltung dieses Friedhofs eine Frau kennen, die darauf besteht, dass ihre Mutter auf demselben Grab wie ihre Tante begraben wird. Allerdings gibt es dabei die Schwierigkeit, dass ihre Tante damals nicht tief genug gelegt wurde und sich zwei Särge übereinander nicht ausgehen könnten. Darwin nimmt sich – trotz des Gespötts seiner Kollegen – dem Anliegen der jungen Frau, Yejide, an. Vielleicht auch deswegen weil er sich sofort in sie verliebt. Aber das darf natürlich niemand wissen.

Karibische Melancholie und Hoffnung

Die kriminellen Machenschaften seiner Kumpane und die Suche nach seinem verschwundenen Vater sind nur zwei von vielen Schwierigkeiten gegen die die junge und neu erwachte Liebe der beiden ankommen muss, aber sie können es schaffen, wenn sie zusammenhalten und mutig genug sind. Ayanna Lloyd Banwo holt in ihrem ersten Roman weit aus, erzählt von einer Zeit als wir Vögel waren und die Corbeaux (Raben) alles überwachten. Ganz so wie in der Erzählung von Yejides Großmutter, aus einer Zeit vor der Zeit. Sie erzählt auch von der Trennung des Sohnes von der Mutter, der trotz seiner Trennungsschmerzen weiß, dass er nicht ewig bei ihr bleiben kann und gehen muss. Nicht nur um seinen Vater zu finden, sondern vor allem um sich selbst zu finden. Der Abschied des Sohnes von der Mutter ist ein Aufbruch in eine Welt, in der niemand sich um seine Seele kümmern wird, ruft sie ihm nach. Aber Darwin selbst wird nun zum Herr seines Schicksals und dem Kapitän seiner Seele. Das wird auch für seine Mutter Früchte tragen, wie wir am Ende des Romans erfahren.

Als wir Vögel waren

Trauer hat keine Ende – sie ist kein Seil“, aber dennoch gelingt es Darwin, draußen in der Welt zu bestehen und seinen Weg zu gehen, der ihn auch zu seinem Vater führt, ein Mann, der ihm gar nicht so unähnlich ist. Ayanna Lloyd Banwo erzählt ihre Geschichte in einer wunderbaren Sprache, frei von Schnörkeln und voller Hoffnung für die Zukunft. “Weißt du, ich glaub an das Leben, und das Leben ist ziemlich einfach – gut leben, hart arbeiten, Leuten helfen, wenn man kann, sich ein reines Herz bewahren, positiv denken, aber die letzte Zeit… Irgendwie hab ich mich auf die Weg verirrt und weißt nicht mal warum.” Aber mit der Liebe als Kompass wird Emmanuel Darwin auch dieses Problem lösen. Er ist nun ein Mann und Yejide seine Frau.

Ayanna Lloyd Banwo
Als wir Vögel waren. Roman
Aus dem trinidad-kreolischen Englisch von Michaela Grabinger
2023, Hardcover Leinen, 352 Seiten
ISBN: 978-3-257-07224-2
€ (D) 24.00 / sFr 32.00* / € (A) 24.70
diogenes


Genre: Gesellschaftsroman
Illustrated by Diogenes

Der Minnesang des Frosches

Gerhard Spiller verbringt seine Freizeit gern an seinem Gartenteich im niedersächsischen Ilsede und lauscht dem Minnesang der Frösche. Ursprünglich nur zur Zierde mit Pflanzen angelegt, nutzen ihn die Vögel als Tränke und Badeteich. Schon nach einem halben Jahr siedelte sich auch ein Frosch an und ließ seinen Gesang erklingen. Das Echo blieb nicht aus: Schnell wuchs die Froschpopulation auf acht Tiere an, deren Quaken sogar die Nachbarschaft erfreute. Nun hat der Autor den Teichmusikanten einen Gedichtband in Haiku-Form gewidmet. Weiterlesen


Genre: Haiku, Lyrik
Illustrated by BoD Norderstedt

Naturzauber durchs Jahr – Zauberhafte Deko-Ideen aus Naturmaterial

Die Autorin

Die Autorin studierte Werbegrafik und Kunst und ist im Bereich der Illustration und des Designs für Kinder unterwegs. Sie unterrichtete lange Zeit Kunst und Werken. Mittlerweile leitet sie Kurse für Lehrer und interessierte Erwachsene und unterrichtet Kunst und Musik. Außerdem war sie als Kind und später als Erwachsene viel im Wald/ in der Natur unterwegs, reist und fotografiert gern.

Naturdeko im Landhausstil

Das Buch beginnt mit Vorabinformationen, bevor es mit den Jahreszeiten losgeht, nämlich mit einer Auswahl an Materialien, mit denen man mit Fundstücken aus der Natur basteln und werken kann. Dann folgt eine Anleitung, wie man Naturmaterialien grundiert, wie man sie bestempelt, schattiert und schabloniert.

Den Großteil des Buches nehmen die verschiedenen Jahreszeiten ein und was man mit den dann vorhandenen Naturmaterialien kreativ machen kann. Frühlingszeit ist Osterzeit, also präsentiert die Autorin z.B. Häschen aus Baumscheiben, witzige Eierköpfe, ein Osternest aus Palmkätzchen, ein Gesteck mit Holzhase und Eiern, einen Hasen aus gebogenen Zweigen. Aber auch Holzvögel, Wiesenblumenkränze und andere frühlingshafte Bastelleien hat sie im Gepäck. Sommerliche Motive kann man basteln aus Steinen (z.B. Kakteen, Pilze); des Weiteren gibt es Holzhäuschen, Lavendel-Mäuse, Kirschkernkissen, Fischketten aus Holzfischen, Muscheln usw. und Leuchttürme aus Holzstäbchen. Der Herbst findet kreativen Ausdruck in Holzeulen mit Federn, Moosen, Zapfen, sowie Eichhörnchen aus Holz, Blätter-Mobile, Kürbisschnitzen, Engeln aus Mohnkapseln. Für den Winter präsentiert die Autorin Schneekristalle aus Ästen, Gräsern, Disteln, Sternanis, sowie Holzsterne, mit Serviettentechnik dekorierte Holzscheiben, Filzkugeln, Eisdeko, Bäume und Sterne aus getrockneten Orangen usw. Außerdem gibt sie am Ende des Buches Tipps für den Umgang mit Wiesenblumen (diese sind auch bebildert und beschriftet). Auch zu Gartenblumen und was man aus ihnen machen kann, gibt sie Tipps, ebenso für Blätter, Beeren, Früchte, Wald- und Strandmaterial. Im Buch ist auch ein Vorlagenbogen enthalten.

Insgesamt ist Pedevilla sehr bedacht darauf, reichlich Tipps zu geben, damit ihre Ideen beim Nachbasteln und Werken gut gelingen. Die Erklärungen und Anleitungen sind verständlich, übersichtlich und mit großen, schönen, stimmungsvollen Fotos der fertigen Werke gestaltet. Die Deko selbst ähnelt dem Landhausstil und ist für diesen natürlich eine tolle Ergänzung. Überhaupt sieht die Deko nicht wie eine Bastelei aus, sondern wie etwas, das man auch kaufen könnte. Vieles kann man mit den entsprechenden Materialien – die man z.T. aber erst besorgen muss, weil man sie nicht immer im Haus hat – gut nachbasteln, aber für manche Holzdeko sind Sägen und entsprechende Grundkenntnisse mit den einzelnen Sägen nötig. Die Ideen sind vielfältig und regen zu eigenen Kreationen an. Bei manchen, ansonsten sehr gut durchdachten Anleitungen habe ich mich allerdings das ein oder andere gefragt, was dann nicht erklärt wird, z.B.: Wie werden Orangen so getrocknet, dass sie nicht faulen oder schimmeln? Reicht eine gekaufte Alternative? Wie geht man mit einer Dekupiersäge um? Was muss man da beachten?

Die Werke sind z.T. auch zum Nachbasteln für größere Kinder geeignet. Kleinere können und wollen nicht einfach nachbasteln, was man vorgibt, deshalb sind diese Ideen für Familien mit kleineren Kindern nicht so geeignet. Sehr schön: Der Bezug zur Natur wird durch das Suchen und Verwenden von Naturmaterialien gefördert und vertieft, v.a. wenn man nach den Jahreszeiten bastelt.

Fazit

Für Bastelfans

  • die relativ einfach, aber stilvoll basteln wollen.
  • die die Natur und den Landhausstil lieben.

Genre: Deko, Natur, Sachbuch
Illustrated by Weltbild

Asterix: Im Reich der Mitte

Asterix in China

Eines Tages kommen eine chinesische Prinzessin, ihre Leibwächterin und der Neffe des phönizischen Händlers Epidemais, Genmais, in das kleine gallische Dorf. Sie suchen die Hilfe der unbesiegbaren Gallier, weil Prinzregent Deng Zin Qin einen Umsturz plant. Die chinesische Kaiserin und ihre Tochter Wun Da sollen gestürzt werden, weil Wun Da den Prinzregenten nicht heiraten will. Die Kaiserin selbst befindet sich in Gefangenschaft und ihre Tochter will sie retten. Aber Majestix stellt sich erst einmal quer, weil er es satt hat, jedem X-Beliebigen zu helfen – bis Gutemine ihm den Marsch bläst.

Auch Cäsar hat Schwierigkeiten mit seiner Kleopatra, weil er ihr nicht bekannt genug ist. Deshalb beschießt er, China zu erobern. Das gelingt ihm auch – bis auf die Eroberung eines Gebiest, das dem Eindringling immer noch Widertand leistet. Nach einer längeren Reise mit einigen Prügelleien erreicht die Gruppe um Asterix Shanghai und verhindert die Hinrichtung der Kaiserin. Auf der Flucht erreichen sie das widerständige Gebiet und helfen Prinz De Bi Li, sich gegen Deng Zin Qin und Cäsar zu wehren. Aber kann eine Armee von 10.004 gegen 80.000 Römer bestehen?

Halbgarer Text, gute Bebilderung

Der vorliegende Band ist kein Comic, sondern eher eine bebilderte Zusammenfassung des neuen gleichnamigen Asterix-Realfilmes, der am 18. Mai diesen Jahres in die Kinos kommen soll. Er mutet mit seiner sehr einfachen Sprache und der groben Zusammenfassung der Handlung wie ein Bilderbuch für Kinder an oder ein Büchlein in einfacher Sprache für Menschen mit geistigem Handicap. Für Erwachsene ist das Ganze definitiv zu simpel gestrickt. Auch die Witze funktionieren in so einem Umfeld nur bedingt, ebenso die Anspielungen. Eine solche ist z.B. am Anfang des Textes Asterix‘ plötzlicher Widerstand, Zaubertrank zu trinken, weil er nicht sicher ist, ob dieser dem Körper schadet. Und die einseitige Ernährung mit Wildschwein, die Asterix ebenfalls anprangert. Das erinnert natürlich an das, was aktuell als gesunde Ernährung gilt und die insgesamt kritische Einstellung zu dem, was andere (v.a. die Nahrungsindustrie) uns als Essen vorsetzen. Allerdings verkommt diese Anspielung hier zu einer eher uninspirierten Episode – es fehlt an Esprit und Tiefgang.

Insgesamt wirkt der Text also eher halbgar und langweilig auf Erwachsene; für Kinder ist er unter diesen Bedingungen eher geeignet. Dagegen sind die Zeichnungen so, wie man sie von den Comics gewohnt ist. Als Comic hätte das Ganze vielleicht besser funktioniert.

Frauen- und Männerbild

Das Männer- und Frauenbild ist gemischt. Dass Männer den schwachen Frauen zu Hilfe eilen und sie retten sollen, ist bis ins Mark patriarchalisch. Leider wird dieser Topos weiter und immer weiter verwendet, was der Frau, die in der Realität alles andere als schwach ist (man denke an die Mehrfachbelastung mit Mental Load, die sie – und nicht der Mann! – tagtäglich stemmen und insgesamt das Leben und das Fundament der Gesellschaft, nämlich alles Soziale, organisieren und meistern muss), immer noch das Genick bricht. Auch körperlich ist die Annahme einer schwachen Frau verfehlt, denn sie schleppt Einkäufe, Kinder und alles, was mit Familie, Kindern und Alltag zu tun hat, durch die Gegend, ganz abgesehen von den Schwangerschaften mit zusätzlichem Blut, Fruchtwasser, Kind und Pfunden – wo der Mann nach einer halben Stunde des Tragens eines Neugeborenen schon unter Rückenschmerzen leidet, ganz zu schweigen von der harten Versorgungs- und Erziehungsarbeit, vor der sich vielerorts die holde und da auf einmal zart besaitete Männlichkeit nur zu gern drückt.

Wenigstens ist die Frau an der Seite der Prinzessin eine Leibwächterin, die sich so auch körperlich zu wehren weiß. Würde man Frauen mehr Selbstbewusstsein zusprechen und die Erziehung entsprechend ausrichten, sähe die Sache auch mit dem körperlichen Sich-zur-Wehr-Setzen ganz anders aus – was das patriarchale System aber überhaupt nicht will; man denke nur an Männer, die vor starken Frauen Angst haben (was wiederum für deren mangelndes echtes männliches Selbstbewusstsein spricht). Leider kann man der Asterix-Reihe auch nur sporadisch eine etwas modernere Weltsicht und v.a. eine gleichberechtigte zusprechen. Oft wird das emanzipatorische Bestreben der weiblichen Figuren eher ins Lächerliche gezogen, anstatt dass echte Gleichberechtigung eine wertvolle Rolle für beide Geschlechter spielt.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa

Spuk-Orte in der Pfalz. Von Irrlichtern, Geisterhunden und Weißen Frauen

Cover des Buches Spukorte in der Pfalz (ISBN: 9783946587415)Burgen als Spuk-Orte

Rund einhundert Burgen kann man in der Pfalz besichtigen: keltische Fürstensitze, germanische Fluchtburgen, festungsartige Stadtruinen, Motten (älteste und einfache Burgen), salische und staufische Reichsfestungen, schlossähnliche Anlagen. Allerdings sind diese oft Ruinen, denn sie überlebten Bauernkrieg, lokale Fehden oder den Pfälzischen Erbfolgekrieg nicht. Nur wenige Burgen sind im 19. und 20. Jahrhundert wiederaufgebaut worden. Solche Burgen enthalten reichlich Geschichte(n). Das bedeutet allerdings auch viel Leid – und damit viele Geister. Aber nicht nur Burgen sind Orte, wo es spuken kann, sondern u.a. auch Felsen und Hinkelsteine. Dort begegnete oder begegnet man auch heute noch Weißen Frauen, Geisterprozessionen, Geisterhunden, einem unter der Burg schlafenden König, Raubrittern und Grenzsteinversetzern oder man hört seltsame Geräusche wie Klirren, Schnaufen, Atmen, Heulen.

Auch Spuk kann vielfältig sein

Dämonische Kröten sollen z.B. in der unheimlichen Falkensteiner Schlucht, auch „Hölle“ genannt, leben. Reizbare Kobolde und Geister umschwärmen die Ruine Hohenfels – einmal haben sie einen kaiserlichen Hauptmann in einen Rehbock verwandelt, der dann von einem Förster erschossen wurde. Zur immerwährenden Schlacht stellt sich ein Heer der Burg Leimigen auf: Sie sind dazu verdammt, weil sie ihren Herren verraten haben. Die Nonne Imagina brachte den Leichnam des Königs Adolf von Nassau 1298 nach einer Schlacht ins Kloster Rosenthal. In der Gruft, neben dem Leichnam, soll sie gleich darauf vor Kummer gestorben sein. Waldgeister soll es am Ungeheuersee im Leininger Sporn geben, außerdem lebte dort eine Waldfrau in ihrem Zauberschloss. Am Hochufer zwischen Waldsee und Neuhofen soll eine Weiße Frau umgehen. Auf dem Friedhof in Dannstadt tanzen Irrwische und im damaligen Dorfteich wohnte ein Wassermann.

Einer der Schlossherren von Hallberg war ein Despot und fristet sein untotes Leben als Poltergeist. Im Maudacher Bruch will 2004 ein Angler am Jägerweiher ein unbekanntes Flugobjekt gesehen haben. Im Krick, einem Sumpf zwischen Oppau und Edigheim, spukt ein schwarzer, riesiger Hund mit feurig-glühenden Augen, eine Sau mit Holzklumpen und eine dreibeinige Ziege. Nachdem die Schweden ein prächtiges Kloster im dreißigjährigen Krieg niedergebrannt hatten, spukt am Nachtweidebrunnen bei Mutterstadt ein Mönch herum. In Oggersheim treiben ein Kettenkalb, ein Hüttenhammel und ein schwarzer Hund ihr Unwesen. Im Weilacher Hof spukt ein Schmied, der früher zu einer Räuberbande gehörte. Gegenüber dem Felsen, auf dem die Burg Breitenstein errichtet wurde, wurde 1938 ein Altar für Vosegus ausgegraben: Man kennt ihn auch unter den Namen Pan oder Silvestris. Der Altar steht heute im Museum von Speyer. In der Kleinen Pfaffengasse in Speyer wurden die Bewohner 1756 durch Gespenster und andere ungewöhnliche Erscheinungen, sowie Poltern beunruhigt. Und der Teufelstisch erinnert an die Sage, dass der Teufel einst den dekadenten Schlossleuten der Dahner Burgen etwas auf der Fiedel vorspielte und sie nach einem Ärgernis enthauptete. Anschließend riss er zwei mächtige Sandsteinplatten aus dem Boden und stapelte sie zu einem Tisch auf – dem Teufelstisch.

78 pfälzische Spuk-Orte zählt das vorliegende Buch auf und erzählt knapp und gut verständlich die dazu passenden unheimlichen Geschichten. Die auf schwarzem Grund weiß gehaltenen Texte werden nicht nur durch diese Farbgebung des Hintergrunds, sondern auch durch die großen, atmosphärischen und mystisch wirkenden Schwarz-Weiß-Fotos der entsprechenden Orte sehr gut in Szene gesetzt. Autor und Journalist Ulrich Magin zeichnet sich für die Texte verantwortlich und hat ein Faible für die kuriosen Aspekte der Kulturgeschichte. Fotograf Peter Kauert fotografiert bevorzugt in Schwarz-Weiß. Beide zusammen harmonieren wunderbar und bescheren sowohl ein wohlig-schauriges Lese- als auch Seherlebnis – und wecken die Lust, diese Orte an Halloween/Allerheiligen erkunden zu wollen. Aber selbst wenn man sich das nicht traut, eignet sich das Buch an besagten Feiertagen hervorragend dazu, es in die eigene Halloweenfeier einzubauen und etwas daraus vorzutragen. Und ganz sicher hat nicht nur die Pfalz schaurige Orte zu bieten, sodass man angeregt wird, in der eigenen Heimat solche Spuk-Orte erkunden zu wollen.

Sehr gelungen!

 


Genre: Pfalz, Sachbuch, Spuk
Illustrated by Agiro

Beth Chattos Kiesgarten: Gärtnern auf trockenem Standort

Nachdem ich verstanden hatte, dass wir gerade hier, im Nordosten Deutschlands, mit immer weniger Wasser auskommen müssen, recherchierte ich in dieser Richtung und hörte immer öfter Beth Chattos Namen: auf der Jahrestagung der Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur 2022 und vorher schon bei N. Kühns Werk  zur modernen Staudenverwendung. Ein Kiesgarten ist etwas Anderes als ein Schottergarten, aber was genau?

Nun lese ich seit einigen Monaten immer wieder in diesem umfangreichen Werk und weiß, dass es sorgfältige Planung und umfassende Grabarbeiten voraussetzt. Auf engbedruckten knapp 200 Seiten beschreibt sie ihre Entwicklung als Gärtnerin, ihre Konzepte für Strukturen und Farbzusammenstellungen, warum und wie sie den Kiesgarten schuf und genieße die vielen Bilder der von ihr geschaffenen Farbzusammenstellungen.

Es erschien 2000 in England unter dem Titel Beth Chatto’s Gravel Garden, zu der vorliegenden deutschen Ausgabe von 2022 hat David Ward, ihr Chefgärtner, der die Arbeit seitdem weiterführte, das Vorwort geschrieben. Da fasst er die Richtschnur zusammen: den Wechsel der Blüten einplanen, auch berichtet er über weitere Entwicklungen.

Der Kiesgarten wurde 1991 angelegt, als sie über jahrzehntelange Erfahrungen verfügte, auch Bücher verfasst hatte. Sie beobachtete Pflanzen in ihrer natürlichen Umgebung, interessierte sich für die Soziologie der Pflanzen. Regelmäßig tauschte sie sich mit anderen Gärtnern aus, auch gerne mit Ernst Pagels, dem die oben erwähnte Jahrestagung 2022 gewidmet war. Irgendwo schreibt sie, dass sie nun nicht mehr selbst zupackt, sie dankt den Jüngeren, dass sie die körperlich schweren Arbeiten übernehmen, früher hatte sie diese gerne gemacht. Beim Nachrechnen stelle ich fest, dass sie beim Anlegen des Gartens schon Ende sechzig war, und, als das Buch erschien, Ende siebzig, so etwas beeindruckt mich als Gartenoma!

Sie „lernte, Pflanzengemeinschaften zu bilden, die die Blütezeit verlängern und Bilder ergeben, die uns das ganze Jahr über erfreuen.“ Dazu braucht es genaue Daten über den Boden, über die Niederschlagsmenge, und die Jahrzehnte der Erfahrung mit dieser Mangelsituation.

Das Buch ist in sechs Kapitel eingeteilt, die die Jahreszeiten beschreiben, drei davon im Sommer, und eines heißt: „Der kleine Kiesgarten“. Er wurde später angelegt, um kleinere Kostbarkeiten ins rechte Licht zu setzen, und ist etwa so groß wie ein Tennisplatz.

Bei der Beschreibung geht es mal um Farbkombinationen „Mit Goldfäden durchwirkt“, oder „Ein Dunstschleier aus Violett und Blau“, auch mal „Das Düngeprobleme der Natur“. Oder es werden Pflanzen vorgestellt, mal Sedum, mal die Fritillarien, oder die Euphorbien. Die liebt sie sehr, sie kommen auf vielen Fotos in großen Gruppen vor.

Bei den Strukturen setzt sie immer Senkrechtes und Horizontales in Beziehung zueinander, besonders beachtet sie die Farbzusammenstellungen beim Blühen und Vergehen. Beim Lesen fiel mir auf, dass ich schon lange nicht mehr in einem Frauengarten war, ich glaube, es gefiel mir so gut, weil sie auf die Dinge achtete, die Frauen besonders wichtig sind!

Manchmal fragen Besucher sie, was sie empfehlen würde, dann fragt sie genau nach der Bodenbeschaffenheit, dem Niederschlagsmittel bei ihnen. Und wenn diese andere Pflanzen ermöglichen (Rittersporn, Astern, Phlox!) dann würde sie lieber diese pflanzen. Sie hat aus der Not eine Tugend gemacht und dabei ein Kunstwerk geschaffen …


Genre: Gartendesign, Gartengestaltung
Illustrated by Verlag Eugen Ulmer

Nachmittage

Ein neuer von Schirach. Ab dem Erscheinungstag auf Platz 1 der Spiegelbestsellerliste. Ferdinand von Schirach ist derzeit der erfolgreichste und berühmteste Schriftsteller Deutschlands. Aber nicht nur das, seine Geschichten und Romane werden in über 40 Sprachen übersetzt und ganz viele für Leinwand und Fernseh-Serien verfilmt.

Nun sind es sechsundzwanzig Kurzgeschichten, die der Autor an unterschiedlichste Schauplätze lokalisiert (Taipeh, Tokio, Marrakesch, Zürich, Wien, New York, Oxford, Pamplona, Oslo, Paris) und die manchmal auch nur Gedanken über wenige Zeilen sind. Im Gegensatz zu „Schuld“, „Verbrechen“ und „Strafe“ handelt es sich im Wesentlichen nicht (bzw. nur in einer Story) um Kriminalfälle aus seinen Zeiten als Strafverteidiger. In Anlehnung an „Kaffee und Zigaretten“ beinhaltet sein neuestes Buch wieder eine Sammlung von Begegnungen, Beobachtungen, Momenten, Notizen.

Man kann von Schirach lieben.

Für sein unglaubliches Repertoire an Erlebnissen.

Für seinen reduzierten Schreibstil mit dem Herunterbrechen der Sprache auf Hauptsätze (laut der WELT deshalb als der deutsche Raymond Carver bezeichnet). Eine Sprache, die es einem leicht macht, in einem angenehmen Flow zu lesen, zu folgen, zu verstehen, auszumalen und in die Geschichten eigene Farben und Bilder einzubringen.

Für Geschichten, die auf den Punkt kommen und die nach einem gezielten, aber doch unmerklichen Stimmungsaufbau schleichend auf Pointen im genau richtigen Augenblick zusteuern, oft als Finale furioso mit einem Schlüsselsatz oder einem Ein-Wort-Tusch am Ende der Erzählung.

Für Gedanken, die als fast musikalisch-harmonisches Fade-out ausklingen und einen sinnierend zurücklassen.

Für die Offenheit, dass ihm „seine eigenen Bücher fremd werden, wenn er über sie sprechen muss“ oder dass er sich bei Einladungen nicht als der „Ehrengast, sondern als der Hofnarr“ fühlt.

Man kann mit von Schirach leiden.

Wenn er von seiner Jugend in einer vom Nationalsozialismus gezeichneten Familie berichtet (sein Großvater Baldur von Schirach stand als Kriegsverbrecher vor dem Nürnberger Tribunal): „Ich war nicht der Sohn aus gutem Haus, weil es kein gutes Haus mehr war.“

Wenn er – völlig untypisch für von Schirach, der sein Privatleben immer schon zum absoluten Tabu-Thema macht – , die Scheidung seiner Eltern und den Tod des Vaters im Alkoholismus erwähnt.

Wenn er  – in Analogie zum Zitat des Don Fabricio aus einem seiner Lieblingsbücher „Der Leopard“ von Giuseppe di Lampedusa – zugibt, dass es auch bei ihm im Laufe seines Lebens nur „zwei bis drei Jahre“ waren, „in denen alles stimmte“.

Wenn schemenhaft eine verflossene Liebe auftaucht, die er einmal in New York kennenlernte, die er aber irgendwann verloren hat und offenbar schmerzlich vermisst. Ganz viel Melancholie beim feinsinnigen Juristen, der als Strafverteidiger mit mehr als einem schrecklichen Verbrechen konfrontiert war, von dem man aber auch weiß, dass er in der Vergangenheit unter depressiven Episoden zu leiden hatte. Da ist Thomas Manns Zitat aus dem Zauberberg „Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken“ schon fast eine Affirmation.

Man kann von Schirach hassen.

Wenn er unablässig darüber klagt, wie er sich nach der Theaterpremiere todmüde ins Hotel schleppt, nach einem langen Flug völlig erschöpft ist, nach wieder einer dieser vielen Lesungen mit ach so vielen anstrengenden Fragen keine Lust mehr auf Unterhaltungen jedweder Art hat.

Wenn er seine Freundin, die erfolgreiche Konzertpianistin, doch ach so sehr beneidet, dass sie es geschafft hat, aus dieser Marketing-Maschinerie auszusteigen, die Kunst und Künstler vergewaltigt.

Was für eine elegische Klage in extrem losgelöster Position und auf extrem hohem Niveau. Was für ein divenhaftes Gezeter eines Mannes im Olymp der Literatur. Jeder Jungautor würde liebend gerne sofort mit ihm tauschen und dieses ach so schreckliche Schicksal an seiner Statt erdulden. Und es gibt einen, der dieses schreckliche Autoren-Leben sofort ändern und aus diesem Hamsterrad der Vermarktung ad hoc aussteigen kann – Ferdinand von Schirach.


Genre: Belletristik, Erinnerungen, Erzählung, Roman
Illustrated by Luchterhand