Klimazerrüttung, Ökozid und was dagegen getan werden kann
Der Autor gibt auf über 300 Seiten einen fundierten, detaillierten und gut verständlichen Überblick mitsamt Glossar über die Funktionsweise der Erde und wie v.a. der Mensch die sensiblen Vernetzungen, auf denen das Leben und das Ökosystem insgesamt beruhen, stört. Er erklärt z.B., wie wichtig Bakterien für das gesamte Ökosystem sind: Bakterien, ohne die im Boden kein Leben möglich wäre, bis hin zu den guten Bakterien auf der Haut und im Darm, die den Menschen gesund erhalten. Bakterien sind die älteste Lebensform auf der Erde und die chemischen Verbindungen, die sie eingehen, wandeln giftige Elemente in nützliche um. Bakterien und die chemischen Elemente bezeichnet er als das A und O der Erde.
Das zeigt er auch am Beispiel der Landwirtschaft: Die konventionelle Landwirtschaft mit ihren Giften – schädlich für die Insekten und deren Fressfeinde, sowie für den Menschen – und schweren Maschinen schert sich nicht um das empfindliche Ökosystem u.a. im Boden. Die schweren Maschinen pressen den Boden und damit das Leben im Boden zusammen und töten es ab: Stichwort Bodenkompression. Außerdem pressen sie so das CO2 aus dem Boden – die Böden sind neben den Wäldern die Orte, die am meisten CO2 binden! Der Autor weist nachdrücklich darauf hin, dass die konventionelle Landwirtschaft damit einen extrem großen Anteil an den Treibhausgasen (THG) hat. Dieser Anteil wird aber von der Wirtschaft und Politik konsequent verschwiegen und von den Medien kaum beleuchtet, was er ebenfalls scharf kritisiert. Er findet es zwar gut, dass der Verkehr und die Abholzung der Wälder in den Blick für den Umweltschutz genommen werden, aber die Aussparung der Landwirtschaft bringt dann nach wie vor Ärger für das Klima und begünstigt die Klimazerrüttung, wie der den Klimawandel nennt. (Er ist dafür, die Probleme klar und offensichtlich zu benennen und nicht zu beschönigen – Wandel klingt eher positiv als negativ und wird der tatsächlichen Zerstörung und dem Raubbau, den die Wirtschaft mit der Natur betreibt, in keinster Weise gerecht.) Die regenerative Landwirtschaft dagegen bindet 100% der THG.
Was ebenfalls gern unter den Teppich gekehrt wird, ist, dass nicht nur CO2 dem Klima zusetzt, sondern auch Methan und Lachgas. Diese gehören aber ebenfalls zu den Treibhausgasen. Und die Vieh-, da v.a. die Rinderwirtschaft, tragen einen nicht unbeträchtlichen Teil zum THG bei. Und da die Nutztierflächen über 80% der landwirtschaftlichen Fläche ausmachen, fällt ein großer Teil der bewirtschafteten Erde für den Menschen weg. Die Tiere brauchen Nahrung, die angebaut werden muss, und sie brauchen Weidefläche. Die Nutzung dieser für den Tierbedarf belegten Fläche für die regenerative Landwirtschaft würde reichen, um die Weltbevölkerung zu ernähren, THG zu binden und zu reduzieren!
Zudem vernichten Herbizide und Pestizide Böden, dort die lebenswichtigen Bakterien und die Insekten. Diese Gifte gelangen außerdem in unsere Nahrungsmittelkette, weil Pflanzen und Tiere sie aufnehmen und dann auf unserem Teller landen. Sie reduzieren außerdem die Vielfalt von Flora und Fauna – ebenso wie die Monokulturen. Das wiederum hinterlässt beides tote Böden und ist verantwortlich für Erosionen, Überschwemmungen und sich immer mehr ausbreitende Wüsten. Und ist der Boden erst einmal sandig und zur Wüste geworden… Ebenfalls nicht in den offiziellen Berechnungen drin ist der Anteil der Schifffahrt am Ausstoß von THG.
Der Autor zeigt auch auf, dass der globale Handel für Gift und CO2 verantwortlich ist, sowie für die maritime Plastikverseuchung und Mikroplastik. Das mittlerweile überall vorkommende Plastik ist nicht nur haufenweise in unseren Meeren zu finden und durch kriminelle Aktivitäten auch auf illegalen Müllablagerungen, sondern auch in unserer Nahrung und damit in unseren Körpern.
Die menschengemachte Klimazerrüttung ist verantwortlich für unerträgliche bis tödliche Hitze – was wir gerade auch am eigenen Leib erfahren -, die alle Lebewesen tötet, ebenso für Überschwemmungen, Dürre, Wasserknappheit und Naturkatastrophen wie Waldbrände oder Stürme. Der globale Kipppunkt ist schon zwischen 1-2 Grad Celsius Erderwärmung erreicht – „eine existenzielle Bedrohung für die Zivilisation“ -, höchstwahrscheinlich ab 3 Grad Celsius – mit verheerenden Folgen, denn wenn das Klima kippt, sind diese Folgen nicht mehr aufzuhalten.
Kritik übt der Autor zudem am westlichen Schulsystem, das im Beginn der industriellen Revolution stecken geblieben ist und den Menschen nur als Faktor im Wirtschaftssystem betrachtet und darauf ausrichtet, dass er ein weiteres Rädchen in der Wirtschaft darstellen soll. Das ist nicht gerade menschen- und naturfreundlich.
Außerdem übt Hageneder Kritik an den Religionen: Diese seien eigentlich „grün“, aber durch den sogenannten „Wétiko“-Hochmut („Wétiko-Kannibalismus, der Konsum des Lebens anderer für den eigenen Zweck oder Profit“) korrumpiert, was Kriege, die naturfeindliche Agrarindustrie und das unmenschliche Bevölkerungswachstum begünstigt. Es gebe allerdings ein schrittweises Umschwenken. Als ökozentrisches Beispiel nennt er den indigenen Animismus, der wertschätzend mit der Natur umgeht. Überhaupt darf eine Herangehensweise an die schädlichen Auswirkungen der Klimazerrüttung nicht mehr anthropozentrisch sein (d.h. vom Menschen als Zentrum allen Maßes) wie bisher, sondern muss ökozentrisch ausgerichtet werden (die Erde und ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt des Denkens und Handelns).
Was für eine zentrale Rolle die Gleichberechtigung der Frauen in diesem heilsamen Prozess des echten Umweltschutzes hat, legt er ebenfalls eindringlich dar. Das Gilgamesch-Epos, welches die „Ilias“ und die „Odyssee“ beeinflusst hat, bezeichnet er als „düstere Warnung vor männlicher Selbstherrlichkeit und ökologischem Missbrauch“.
Er geht außerdem ausführlich auf Nano-Müll, Chemie, Genmanipulation, Radioaktivität, Sonar- und Lärmbelastung, Lichtverschmutzung usw. ein.
Der Autor legt, wie an diesen Beispielen ersichtlich, nicht bloß dar, welche Schäden der Mensch nicht nur in seinem Lebensraum anrichtet, sondern zeigt auch Lösungen auf. Würde er das nicht tun, wäre das real existierende grauenhafte Szenario, das er in aller Deutlichkeit vor den Leser*innen ausbreitet, kaum zu ertragen. (Im Übrigen auch ein Grund, warum so wenig passiert: Der Mensch hat die Angewohnheit, vor unangenehmen Dingen die Augen zu verschließen und nach Vogelstraußmanier den Kopf in den Sand zu stecken.)
Warum trotzdem weiterhin im großen Stil zu wenig passiert? Die Lobby von Agrarölkonzernen und anderen Wirtschaftskonzernen, die mit umweltschädlichen Produkten eine Menge Geld verdienen, verhindert einen effektiven, ganzheitlichen und nachhaltigen Umweltschutz und damit die Erhaltung der Erde als Grundlage allen Lebens. Auch da bietet der Autor zahlreiche Beispiele, wie Wirtschaft und Politik miteinander in unheilvoller Weise verstrickt sind.
Er bietet aber auch am Ende eines jeden Kapitels Tipps für Regierungen, Wirtschaft und jede*n Einzelne*n an, wie man den schrecklichen Teufelskreis, in dem wir uns gerade befinden, noch aufhalten kann. Dazu gehört z.B. die Anerkennung tierischer Intelligenz – der Wal z.B. hat als einziges Lebewesen vier separate Kortikallappen, der Mensch in seinem Gehirn nur drei -, die Vermeidung von Plastik-Müll, die Unterstützung von Umweltorganisationen, das kritische Hinterfragen der Politik und der Wirtschaft, die Emanzipation der Frau, das Ersetzen anthropozentrischer Ansichten durch ökozentrische.
Das Buch wurde 2021 veröffentlicht, also noch in der Corona-Pandemie und vor dem Ukraine-Krieg. Krieg nennt er sowieso als eine große Triebfeder für Erdzerstörung. Das, was Hagendeger schreibt, hat sich 2021 durch die Überschwemmungen im Ahrtal, die weltweiten Überschwemmungen, die schlimme Hitze in Europa und anderswo in diesem Sommer und davor usw. schon bewahrheitet. Und immer noch tut die Politik zu wenig, im Gegenteil, es gibt wieder Bewegungen in Richtung weiterer Erdzerstörung, indem die Umweltpolitik behindert und Frauenrechte erneut eingeschränkt werden.
Fazit
Der Verdienst dieses Buches ist es, die Fakten klar und umfassend auf den Tisch zu legen und sowohl die Regierungen, die Wirtschaft als auch jede*n Einzelne*n davor zu warnen, was alles passiert, wenn in Richtung Umweltschutz wenig bis nichts passiert. Es stellt aber auch Lösungsvorschläge vor.
Weiterführende Links zum Thema
Mehr dazu auch in dem Artikel: https://www.republik.ch/2022/07/22/globale-hungerkrise-teil-1-wieso-muessen-menschen-hungern?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/welt/hinweise-dass-klimawandel-katastrophale-ausma%c3%9fe-annehmen-k%c3%b6nnte/ar-AA10dTRi?li=BBqfUd5&ocid=ACERDHP17
Artenvielfalt durch das Natur- und Kulturgut „Streuobstwiesen“ erhalten: https://www.spektrum.de/news/streuobstwiesen-gutes-obst-so-nahe/2043097?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
Wildwachsende, kostenlose Nahrungsmittel wertschätzen und pflücken: https://mundraub.org/map#z=7&lat=50.91&lng=11.56
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