Ein seltsamer Ort

Mimis Reise zu sich selbst und ihrer Familie

Den Vater bei einem Unfall verloren, die Mutter seit Jahren im Koma – die beiden Schwestern Mimi und Kodachi haben es nicht leicht. Als junge Frauen ziehen beide von der Pflegefamilie weg nach Tokio, um Abstand zu ihrer Vergangenheit zu gewinnen und zusammen ein neues Leben aufzubauen. Aber eines Tages wird dieser vorübergehende Frieden zerstört, denn Kodachi verschwindet spurlos, als sie ihre Mutter in ihrem Heimatdorf besucht. Mimi, die nun ganz allein dasteht, beschließt, wieder in ihre Heimat zurückzukehren und Kodachi zu suchen. Dabei begibt sie sich auf die Spuren ihrer Vergangenheit, taucht tiefer in die Geschichte des Dorfes ein, sucht den Rat von Wahrsagerinnen und führt überfällige Gespräche mit ihrer Pflegefamilie. All das bringt sie nicht nur Kodachi und ihrer Mutter näher, sondern sie macht sich so auch auf den Weg zur eigenen inneren Heilung.

Altbekanntes und eine Neuerung

Der vorliegende in sich abgeschlossene Roman ist wohl laut Yoshimotos Ankündigung im Buch ihr letzter, da sie sich in den Ruhestand begeben will. Dabei wagt sie sich hier zum Abschluss ihrer Schreibtätigkeit auf Neuland: Sie betritt die Welt der Phantastik. Das macht sie zusammen mit den Leser*innen, indem sie Mimi auf die Suche nach ihrer Familie und zu sich selbst schickt und die Protagonistin nach und nach von den phantastischen Geschichten erfährt (und diese auch hautnah erlebt), die sich um ihr Heimatdorf ranken. Die Autorin verbindet hier wie selbstverständlich Spirituelles, Zombies und Außerirdische mit dem japanischen Alltag und den Mythen.

Leichtigkeit im oft schwierigen Alltag

Wie immer in Yoshimotos Romanen haben es die Charaktere nicht einfach – trotzdem ist den Romanen/dem Schreibstil eine Leichtigkeit zu eigen, die die Leser*innen mühelos durch schwerere Passagen trägt, ohne diese zu verleugnen oder zu verharmlosen. Das habe ich in dieser Art nur bei Banana Yoshimoto jemals gelesen und erlebt, und ich bewundere diese Schreibkunst sehr, v.a. da wir momentan mit Jugend- und Young-Adult-Romanen überschwemmt werden, die sich anscheinend darin überbieten, wie schwer es die Figuren haben und mit wie vielen Traumata belastet sie sind. So liest es sich dann leider oft auch. Das ist und war bei der japanischen Autorin glücklicherweise anders, denn eine gewisse Geborgenheit und ein realistischer Optimismus schwingen immer mit und nehmen sowohl die Figuren als auch die Leser*innen selbst bei schwererer Kost an die Hand und lassen sie damit nicht im Stich. Damit werden Triggerwarnungen wie in o.g. Büchern unnötig.

Entwicklungsroman

Dabei machen alle ihre Figuren, auch in diesem Roman, eine Entwicklung (s. Entwicklungsroman) durch und entdecken ihre eigene Stärke, meist durch eine innere und/oder äußere Reise. Yoshimoto wählt als Hauptfiguren immer Frauen, weshalb ich mich auch gut in die Charaktere hineinversetzen kann. Ganz nebenbei wird auch auf das Thema Integration eingegangen, wenn Yoshimoto z.B. erzählt, wie die taiwanesische Küche in das japanische Dorf Eingang gefunden hat. Oder wie man sich mit freundlicher Offenheit und Neugierde an Leute herantastet, die anders sind. Mischwesen, in diesem Fall Mischlinge hervorgegangen aus Menschen und Außerirdischen, haben einen Platz in der Gesellschaft – sie können Brücken bauen, wenn man sie denn nur ließe. Damit spielt die Autorin natürlich auch auf menschliche Mischlinge an, die Brücken bauen könnten zwischen Völkern. Der Tod wird mit stiller Würde und Respekt behandelt (Grabwächter), aber auch auf die Zombies mit Mitgefühl eingegangen und wie falsch es ist, Tote nicht ruhen zu lassen. Dabei wird nie der pädagogische Zeigefinger erhoben, alles fügt sich ganz natürlich in die Geschichte ein.

Natürlich kommen auch Frauenthemen zum Zug: Mimi z.B. interessiert, ob ihre schwangere Schwester ein übergroßes Baby zur Welt bringen wird – davon hängt schließlich die Gesundheit oder gar das Leben einer Frau ab. Also natürliche Geburt oder Kaiserschnitt? Auch die Schwesternschaft unter Frauen, die vor dem Einbruch des Patriarchats so natürlich war, ist Thema: Die drei Frauen – die beiden Töchter und die Mutter – stehen füreinander ein.

Das Außergewöhnliche im Alltag

Das Außergewöhnliche im Alltag, das bringt Yoshimoto auf den Punkt. Hier ein treffendes Zitat aus dem Buch: „Das ist mal ein seltsames Abenteuer – so ohne jeden Höhepunkt, dachte ich. Keine gerechte Sache, um die es geht, kaum Mysteriöses, nur reichlich Absonderliches, irgendwie banal unspektakulär – normal eigentlich. Vielleicht ist das die Realität: weil es nämlich auch Abenteuer im Alltag gibt.“ (S. 268) Die Phantastik bricht in den Alltag ein, der Alltag in die Phantastik. Das Paranormale ist eigentlich normal und natürlich, auch wenn man es in einer vermeintlich naturwissenschaftlichen Welt verleugnet, da die Naturwissenschaften (noch) nicht in der Lage sind, alles in der Natur Vorkommende zu erfassen.

„Und wie gut wäre es doch, wenn sich die Menschen immer auf solche Weise zwischen dieser und anderen Welten hin- und herbewegen könnten, denn so ließe sich die Traurigkeit auf Erden doch beträchtlich vermindern.“ (S. 268) Yoshimoto spricht hier die Spiritualität im Alltag an, die v.a. eine weibliche Spiritualität war, bevor andere Religionen diese zerschlagen haben. Nicht nur in Japan, auch in Europa finden sich noch Reste dieser weiblichen Spiritualität in Form u.a. von Frau Holle im deutschsprachigen Raum („Frau“ als ehrerbietiger Begriff für eine Göttin): Holle (ihr Baum ist der umfassend heilende Hollunder) als Göttin der Ungeborenen, der Verstorbenen, der den Toten Geborgenheit Gebenden, der Anführerin der Wilden Jagd in den Raunächten, der Heilenden usw. Die Frau u.a. als weise und unabhängige Alte, im Patriarchat als „Hexe“ verteufelt, die Magie im Alltag webt durch ihren reinigenden Besen und ihren transformativen Kessel. All das sieht man übrigens auch in den Animes von Studio Ghibli, aktuell im neuesten in den Kinos laufenden Werk „Der Junge und der Reiher“.

„Wir essen, schlafen und erträumen uns das Leben. Doch müssen wir uns davor hüten, den Traum eines anderen zu träumen. Jeder lebt seinen eigenen Traum, und den respektieren die anderen. So, wie man selbst deren Träume respektiert, ohne sie mit eigenen Vorstellungen auszuschmücken. Die Träume überschneiden sich und stimmen sich allmählich aufeinander ab. Das müssen sie, sie können nicht anders.“ (S. 291) Ganz klar hier der Appell, jede Person so leben und sein zu lassen, wie sie ist und leben möchte. „Jeder einzelne Fehler wurde mir verziehen, jede Marotte toleriert und eins nach dem anderen in Pluspunkte umgewandelt. Langsam, aber sicher löste sich alles in Wohlgefallen auf.“ (S. 301) Aus Fehlern kann man lernen und so mancher Umweg hält einen bunten Strauß an Erfahrungsblumen bereit. Yoshimoto lässt ihre Figuren ihre Erfahrungen machen und Schlüsse daraus ziehen, die sie weiter durch das Leben tragen.

Weitere Werke

Banana Yoshimoto hat u.a. an Büchern geschrieben: Kitchen (ihr bekanntester Roman), Erinnerungen aus der Sackgasse, Tsugumi, Federkleid, Eidechse, Moshi Moshi, N.P., Amrita, Sly, Dornröschenschlaf, Hard Boiled Hard Luck.

Fazit

Banana Yoshimoto hinterlässt als Abschiedsgeschenk an ihre Leser*innen ein Buch, das in bekannter Leichtigkeit trotz Schicksalsschlägen der Figuren daherkommt – und das eine Neuerung bietet: Sie wagt sich mit Erfolg und in ihrer ganz eigenen Interpretation an das Genre der Phantastik heran.


Genre: Entwicklungsroman, Mystery, Phantastik
Illustrated by Diogenes

Melody

Cover Suter MelodyMartin Suter ist ein Autor, der meisterhaft erzählen kann. Sein Roman »Melody« steht für dieses handwerkliche Vermögen. Mit geschickt belegten Häppchen fördert er den Appetit des Lesers und lockt ihn vordergründig in die Geschichte einer großen Liebe. Seine auf den ersten Blick melodramatische Schilderung der unerfüllten Liebe eines alten Mannes zu einer bildschönen jungen Frau aus einem anderen Kulturkreis entwickelt er mit vielen geschickt eingebauten Cliffhangern und Wendungen durchaus spannend bis zur letzten Seite und beleuchtet dabei sein Thema immer wieder neu. Weiterlesen


Genre: Liebesgeschichte, Roman
Illustrated by Diogenes

Als wir Vögel waren

Als wir Vögel waren – neu bei Diogenes

Als wir Vögel waren. Trinidad ist für Calypso, Chutney, Limbo, Rapso und Soca und den nach dem in Rio de Janeiro zweitbedeutendsten Karneval der Welt bekannt. Aber nun wird die Karibikinsel auch für “Als wir Vögel waren” bekannt werden, die Heimat der 1980 dort geborenen und heute in London lebenden Autorin Ayanna Lloyd Banwo. Bisher erschienen zwar erst Kurzgeschichten in verschiedenen Publikationen, aber mit ihrem Romanerstling wird dies wohl bald anders werden.

Fidelis oder ein neuer Anfang

Dabei ist die Geschichte, die sie erzählt, so gar nicht ins Klischee des karibischen Flairs der Lebenslust und bunten Freude passend. Banwo erzählt darin zwar eine Liebesgeschichte, die zwischen dem jungen Rastafari Darwin und Yejide, einer Seherin, die sich auf höchst ungewöhnliche Weise kennen und lieben lernen, aber eine, die völlig frei von herkömmlicher Romantik und Hollywood-Schmafu ist. Emmanuel Darwin, der bei seiner Mutter ohne Vater aufwächst, findet nach langer Suche endlich einen Job, allerdings ein Job, den ihm seine Religion verbietet. Auch seine Mutter hat einiges dagegen einzuwenden, und so muss er sich von ihr, die außerhalb der Stadt lebt, trennen und in die Stadt (“Babylon”) ziehen, in die Nähe des Friedhofs Fidelis. Er hat dort als Totengräber angeheuert und seine neuen Kollegen und sein Chef sind abgebrühte Jungs, die gerne mal einen trinken, auch das etwas, was ein Rastafari niemals tun würde.

Darwin und Yejide

Darwin raucht lieber ab und zu von dem heiligen Kraut, aber auch das in Maßen, schließlich ist die Arbeit, die er annimmt, nicht nur körperlich, sondern auch psychisch schwer zu verarbeiten. Eines Tages lernt er in der Verwaltung dieses Friedhofs eine Frau kennen, die darauf besteht, dass ihre Mutter auf demselben Grab wie ihre Tante begraben wird. Allerdings gibt es dabei die Schwierigkeit, dass ihre Tante damals nicht tief genug gelegt wurde und sich zwei Särge übereinander nicht ausgehen könnten. Darwin nimmt sich – trotz des Gespötts seiner Kollegen – dem Anliegen der jungen Frau, Yejide, an. Vielleicht auch deswegen weil er sich sofort in sie verliebt. Aber das darf natürlich niemand wissen.

Karibische Melancholie und Hoffnung

Die kriminellen Machenschaften seiner Kumpane und die Suche nach seinem verschwundenen Vater sind nur zwei von vielen Schwierigkeiten gegen die die junge und neu erwachte Liebe der beiden ankommen muss, aber sie können es schaffen, wenn sie zusammenhalten und mutig genug sind. Ayanna Lloyd Banwo holt in ihrem ersten Roman weit aus, erzählt von einer Zeit als wir Vögel waren und die Corbeaux (Raben) alles überwachten. Ganz so wie in der Erzählung von Yejides Großmutter, aus einer Zeit vor der Zeit. Sie erzählt auch von der Trennung des Sohnes von der Mutter, der trotz seiner Trennungsschmerzen weiß, dass er nicht ewig bei ihr bleiben kann und gehen muss. Nicht nur um seinen Vater zu finden, sondern vor allem um sich selbst zu finden. Der Abschied des Sohnes von der Mutter ist ein Aufbruch in eine Welt, in der niemand sich um seine Seele kümmern wird, ruft sie ihm nach. Aber Darwin selbst wird nun zum Herr seines Schicksals und dem Kapitän seiner Seele. Das wird auch für seine Mutter Früchte tragen, wie wir am Ende des Romans erfahren.

Als wir Vögel waren

Trauer hat keine Ende – sie ist kein Seil“, aber dennoch gelingt es Darwin, draußen in der Welt zu bestehen und seinen Weg zu gehen, der ihn auch zu seinem Vater führt, ein Mann, der ihm gar nicht so unähnlich ist. Ayanna Lloyd Banwo erzählt ihre Geschichte in einer wunderbaren Sprache, frei von Schnörkeln und voller Hoffnung für die Zukunft. “Weißt du, ich glaub an das Leben, und das Leben ist ziemlich einfach – gut leben, hart arbeiten, Leuten helfen, wenn man kann, sich ein reines Herz bewahren, positiv denken, aber die letzte Zeit… Irgendwie hab ich mich auf die Weg verirrt und weißt nicht mal warum.” Aber mit der Liebe als Kompass wird Emmanuel Darwin auch dieses Problem lösen. Er ist nun ein Mann und Yejide seine Frau.

Ayanna Lloyd Banwo
Als wir Vögel waren. Roman
Aus dem trinidad-kreolischen Englisch von Michaela Grabinger
2023, Hardcover Leinen, 352 Seiten
ISBN: 978-3-257-07224-2
€ (D) 24.00 / sFr 32.00* / € (A) 24.70
diogenes


Genre: Gesellschaftsroman
Illustrated by Diogenes

Die Kakerlake

Zuallererst: Nicht überall, wo Ian McEwan drauf steht, ist auch Ian McEwan drin. Wer als Leser also das übliche, flüssig-harmonische Gleiten einer bisweilen pointierten, aber immer eingängigen Handlung wie in „Honig“ oder „Solar“ erwartet, sei vorgewarnt. Surrealistische Trends wie in „Der Tagträumer“ haben bereits aufblitzen lassen, dass der Autor auch anders kann, wenn er will. Weiterlesen


Genre: Belletristik, Gesellschaftsroman, Humor und Satire, Politik und Gesellschaft, Roman
Illustrated by Diogenes

Die Heldin reist

Doris Dörrie reist und berichtet gerne davon, meist erzählt sie von den Ländern, in denen sie besonders Wichtiges erlebt hatte: den USA und Japan. Hier geht es um drei Reisen, die sie 2019 in diese beiden Länder geführt haben, und auch nach Marokko.

Danach, in den Corona Jahren, gibt sie diesen Erfahrungen den Rahmen eines Heldenfilmes, etwa den eines Western, was macht einen Helden aus, was eine Heldin? Sogar einen Begriff gibt es: „Monomythos des Helden“, so wie bei „Jesus und Buddha, minus Haus, Auto und Frau.“

Wenn sie in die USA einreist, gibt sie allerdings als Beruf immer „Hausfrau“ an, der traut kein immigration officer etwas Böses zu. In Kalifornien liegt sie dann mit gleichaltrigen Freundinnen am Strand und sie freuen sich, dass sie das können, als Frauen finanziell unabhängig sein und frei das Leben und auch das Älterwerden genießen.

So plätschert die Erzählung dahin, so kenne ich Doris Dörrie und mag sie. Aber dann kommen Widersprüche, in Japan trifft sie Tatsu, die in Deutschland Gesang studiert hatte (in Hannover, wo Frau Dörrie herkommt!) und von ihrem Schicksal berichtet, sie ist stark übergewichtig, verdrückt während des Gespräches zwei Stück Schwarzwälder Kirschtorte, und das in Japan, wo das body shaming viel wichtiger ist als in Deutschland. Frau Dörrie kennt das, sie ist ‚mal in München mit einem Fat-suit ausgegangen und hat es selbst erlebt, Tatsu weiß, als Dicke kannst Du Dich in der Wohnung verstecken, denn jeder Gang nach draußen ist heldinnenhaft. Sind das also die Heldentaten der Frauen? Bei der Leserin, die glaubt, in einem postheroischen Zeitalter zu leben, wächst das Interesse.

Es geht um die Freundinnen, die ihr Frauenschicksal nicht immer nur ertragen, mal auch genießen können, zu denen Doris Dörrie eine vertrauensvolle Beziehung hat, und die nun ihr Älterwerden reflektieren.

Zwei Dinge fand ich besonders: Als sie eine junge Studentin in den USA war, schreibt sie ihren Eltern ausführlich von ihrem Liebesleben, auch, als sie vor Liebeskummer todtraurig war. Und dann geht diese mutige, so offene und so coole Frau über Jahre eine toxische Beziehung ein. Was sie wohl beim nächsten Buch offenbaren wird?


Genre: Abenteuer, Reisen
Illustrated by Diogenes

Solar

Nicht, dass ich ein Anhänger irgendwelcher Kategorisierungen wäre. Nein, im Gegenteil. Schon immer empfinde ich diese zwanghafte Penetranz der Verlage, jedem Buch einen Genre-Stempel aufzudrücken, eher als Ausdruck ihrer eigenen anachronistischen Rigidität. Aber bei Ian McEwans „Solar“ fragt man sich dann doch schon mal, was ist das eigentlich?

Obwohl der Autor sich profunde Kenntnisse in Wind- und Solarenergie erworben hat und diese auch zielsicher und kompetent einfliessen lässt, ist es sicher kein Sachbuch. Es geht um ein (Liebes)Paar, eine Schwangerschaft und um fünf gescheiterte Ehen, aber es ist sicher kein Liebesroman. Es geht um einen Frauenheld mit einigen amourösen Eskapaden, aber ein erotischer Roman ist es auch nicht. Obwohl das Ableben eines Protagonisten durch stumpfe Gewalteinwirkung mit Todesfolge eine zentrale Rolle spielt, ist es sicher kein Kriminalroman. Ich verzichte auf weitere Analogien.

Eigentlich geht es in erster Linie um Michael Beard. Er ist die zentrale Romanfigur, um die sich die gesamte Handlung rankt und die McEwan mit erzählerischer Leichtigkeit und viel Humor aufbaut. Aber dennoch reisst der Autor diesem hochgelobten Physiker Beard als stereotypem Inbegriff eines karrieresüchtigen Akademikers – stellvertretend für alle (vor allem männliche) Vertreter seiner Gattung – die schnöde Maske der Ehrenhaftigkeit vom Gesicht. Einmal in seinem Leben hat er eine wissenschaftlich herausragende Leistung vollbracht und zehrt den Rest seines Lebens vom Beard-Einstein-Theorem. Weil das Nobelpreis-Komitee in Schweden sich nicht zwischen zwei anderen Kandidaten entscheiden konnte, wurde Beard der Preis sozusagen als Notlösung verliehen, was als unaufhaltsamer Karriere-Impuls für den Rest des Lebens genügte. Einladungen zu Kongressen aller Art waren garantiert, hoch dotierte Vorträge waren willkommen, die Zugehörigkeiten zu Expertengremien schier unüberschaubar. Wie so viele reale promovierte und habilitierte Akademiker nutzt die Romanfigur Beard das Prestige, um als evolutionäres Alpha-Tier in rascher Folge wahllose und flüchtige Bekanntschaften in seinem weiblichen Umfeld zu erobern, scheinbar als Zeichen seiner maskulinen Größe, aber de facto eigentlich zur immer wiederkehrenden Therapie seines schwachen Selbstwertgefühls. Und als sich die Chance ergibt, schmückt man sich skrupellos mit fremden Lorbeeren. Willkommen im Sumpf der Krokodile.

Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass der Literaturwissenschaftler Ian McEwan dank seines universitären Lebenslaufs und ganz viel literarischem Talent nicht nur einen absolut lesenswerten Schreibstil hat, sondern – wie auch der Rezensent – mit den soziologischen Verhaltensweisen in akademischen Kreisen bestens vertraut ist.

Somit ist „Solar“ am ehesten zeitgenössische Literatur mit einem ganz hervorragendem Stil und mit vielen gesellschaftlichen Einblicken, präsentiert am Prototyp Michel Beard, einem Wissenschaftler, Menschen und Mann.


Genre: Belletristik, Gesellschaftsroman, Roman
Illustrated by Diogenes

Denken mit Oscar Wilde

Denken mit Oscar Wilde

Von Dublin über Oxford nach London. Dort wurde ihm eine Affäre zum Verhängnis und er musste ins Zuchthaus. Dem Alkohol verfallen lebte er danach in Italien und Frankreich und starb mit nur 46 Jahren in Paris. Es gab wohl nichts, was Oscar Wilde nicht in einem Bonmot auszudrücken wusste. Wolfgang Kraus hat davon die besten, verblüffendsten Aphorismen ausgewählt und stellt sie in einem handlichen Brevier für den Dandy, für den Wilde-Liebhaber, für jeden, der extravagant denkt oder sein möchte, vor.

Paradoxien und Sch(m)ockmomente

“Er schockierte und entzückte seine Zeitgenossen durch Paradoxien, die oft nichts anderes waren als verfrühte Wahrheiten der Zukunft und für uns heute weitaus näher und ernster als für die Gesellschaft, die sie belachte”, schreibt Kraus über Wilde im Vorwort zu vorliegender Taschenbuch deluxe Ausgabe des diogenes Verlages. Aber wie wusste schon Oscar Wilde selbst? “Ich habe mein ganzes Genie in mein Leben getan; in mein Werk nur mein Talent”. Aber beizeiten überkommt den “Dandy im Spiegelbild” auch Reue. Das Steuer seiner Seele habe er verloren, als das Vergnügen die Herrschaft über ihn gewann, wurde er sein Knecht, “Ich endete in Schande. Jetzt bleibt mir nur eines: völlige Demut”. Über die Aufgabe eines Jeden in dieser Welt ist sich Oscar Wilde aber sicher: “Jeder von uns hat nur eine Aufgabe zu lösen: sich selbst voll zum Ausdruck zu bringen.” Allerdings hätten heutzutage die meisten Angst vor sich selbst, dabei wäre “sich selbst zu lieben der Anfang einer lebenslangen Leidenschaft”. “Jedermann wird als König geboren. Und die meisten sterben im Exil – wie so viele Könige.”

Erfahrungen sind oft Irrtümer

Kaum jemand hat es wohl so gut verstanden Leben und Werk in Einklang zu bringen. Wer Oscar Wilde liest, hat das Gefühl, dem wohl einzigen authentischen Menschen gegenüberzusitzen, obwohl gerade ein Dandy alles dafür gibt, dass der Schein das Sein bei weitem übertrifft. “Die Natur hat gute Absichten, aber sie nicht ausführen. Die Kunst ist unser ritterlicher Versuch, der Natur den richtigen Platz anzuweisen.” Die Grundlage und die Energie des Lebens sei schließich das “Ringen nach Ausdruck”. Das Leben will nichts anderes als seine eigene Vielfältigkeit verwirklicht zu wissen. In allen Formen und Phasen. Weitere Gedanken und Aphorismen von Oscar Wilde finden Sie in dieser Auswahl auch zu folgenden Themen: Liebe, Schöpfung, Tragikomödie, Gleichnis, Magie der Schönheit, männliches Brevier. “Einen ethischen Wert besitzt die Erfahrung nicht, sie ist nur der Name, den wir unseren Irrtümern geben. Sie beweist, dass die Zukunft gleich der Vergangenheit ist.”

Denken mit Oscar Wilde
Extravagante Gedanken über die Magie der Schönheit und die allmächtige Kunst, Kritik als Schöpfung, das dekorative Geschlecht und die menschliche Tragikomödie
Herausgegeben und mit einem Vorwort von Wolfgang Kraus. Aus dem Englischen von Candida Kraus
2021, Taschenbuch deluxe, Hardcover, 144 Seiten
ISBN: 978-3-257-26159-2
diogenes Verlag
€ 12.00


Genre: Aphorismen
Illustrated by Diogenes

Kalt wie dein Herz

Dennis Lehane Neuübersetzung Kalt wie dein Herz

Kalt wie dein Herz. “I heard the old men say: ‘All that is beautiful drifts away/Like the Waters’“. (W. B. Yeats) Ein neuer alter Fall für Kenzie & Gennaro, das Detektiv-Duo aus Boston. Die Neuübersetzung von Peter Torberg hält sich an die 1999 bei William Morris, New York unter dem Titel “Prayers for Rain” erschienene Originalausgabe.

Kalt wie dein Herz

Wahrlich kurz sind die schönen Momente, die vorbei huschen wie das Wasser. Ebenso wenig kann man diese Momente festhalten und was bleibt sind die Erinnerungen. Solche Erinnerungen an schöne Momente hat auch Patrick Kenzie, denn Angela Gennaro und er haben sich nicht nur als Arbeitskollegen, sondern auch als Sexpartner getrennt. Dabei war beiden klar, dass es immer schon mehr als nur Sex war. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich der knallharte Detektiv Kenzie ein schlechtes Gewissen wegen einer Klientin macht. Kenzie hatte seinen Kumpel fürs Grobe, Bubba, auf einen Stalker, Cody Falk, angesetzt, der Karen Nichols das Leben schwer machte. Der Job war schnell erledigt, aber einige Wochen später erfährt Kenzie, dass sich eben diese Karen Nichols von der Aussichtsplattform des Bostoner Custom House im 25. Stock in den Tod gestürzt hat. Zuvor soll sie als Prostituierte gearbeitet haben und auch in der Drogenszene Bostons kein unbeschriebenes Blatt gewesen sein. All das passt so überhaupt nicht zu der Karen Nichols, die Kenzie kennengelernt hat, dass er beschliesst, sich hinter die Sache zu klemmen. “Diese Karen Nichols hatte auf mich nicht den Eindruck gemacht, dass sie nackt von einem Gebäude springt.” Sie war eher “diejenige, die ihre Socken bügelte und Stofftiere sammelte“. Zudem hat es der Killer nicht nur auf Frauen abgesehen, sondern auch auf putzige kleine Hunde. Und das ruft wiederum erst recht Bubba auf den Plan, das komödiantische Pendant zu Kenzie. Oder sollte man hier eher von einem alter ego sprechen? Denn alles was Kenzie offiziell nicht darf resp. was “illegal” ist, erledigt Bubba für ihn. Am Ende sogar das mit Vanessa.

“Niemand liebt.” Außer Bubba

“Sie war untergegangen und ich war beschäftigt gewesen”, plagt Kenzie das schlechte Gewissen. Doch selbst in seinen kühnsten Träumen hätte er es nie erahnen können, auf was für einen Psychopath, den Drahtzieher von Karen Nichols’ Selbstmord, er sich in diesem Fall einlässt. Gut, dass er dabei auch auf Ruprecht Rogowski aka Bubba und seine Angie zählen kann. Denn die Verbindungen ihres Großvaters, Vincent Patios, zur italienische Mafia, der “Familie” und Stevie Zambuca kann zumindest deren Einmischung in den knackigen Fall verhindern. Die eigentlichen Bösewichte finden sich aber zumeist in der eigenen “Familie” und nicht bei der Mafia. Denn im Mittelpunkt von “Kalt wie dein Herz” steht das Ehepaar Dawe, die eine Tochter mit Turnus arteriosus communis hatten und eine weitere Tochter plus einen Sohn. Was es damit auf sich hat, erfährt man auf 512 spannenden Seiten eines Krimis, der sich wie eine Offenbarung liest. Denn es geht wie immer um Vergebung. Liebe und Loyalität. Referenzen an Magnum, Burt Lancaster, Nirvana und den “Dritten Mann” (Holly Martens Inn) inklusive. Zudem erfährt man trotz der knallharten Macho-Rhetorik (Kenzie fährt Porsche und liebt Magnum, die Serie, nicht die Waffe!) und einiger flotten Sprüche, warum Männer nie weinen: “Ich fürchte, wenn ich erst mal damit anfangen, kann ich nicht wieder aufhören.”, meint Patrick Kenzie.

Dennis Lehane hat einen Krimi geschrieben, der sich nicht nur über das Genre amüsiert, sondern auch seine Protagonisten. Zum großen Gefallen es Publikums: Applaus!

Dennis Lehane
Kalt wie dein Herz
Ein Fall für Kenzie & Gennaro
Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg
2022, Paperback, 512 Seiten
ISBN: 978-3-257-30046-8
€ (D) 18.00 / sFr 24.00* / € (A) 18.50
Diogenes Verlag


Genre: Hard-boiled Krimi
Illustrated by Diogenes

Montecristo

Die Guten sind die Guten und die Bösen sind die Bösen. In den meisten Krimis und Thrillern konventioneller Machart ist die Welt einfach noch in Ordnung. So ist es in aller Regel auch in gängigen Mainstream-Filmen der Fall – klare Strukturen, der Leser oder Zuschauer muss keine kognitiven Dissonanzen reduzieren. Irritierend wird es, wenn diese wohlbekannte Zuordnung ins Wanken gerät, wie zum Beispiel in der amerikanischen TV-Serie „Better Call Saul“, wo sich die Haupt-Protagonisten zu „moralischer Flexibilität“ bekennen. Wie moralisch flexibel ist Martin Suter oder besser seine fiktive Hauptfigur Jonas Brand im Krimi „Montecristo“? Weiterlesen


Genre: Krimi, Kriminalliteratur, Kriminalromane
Illustrated by Diogenes

Sind Sie das? Eine Spurensuche

Wie viel vom tatsächlichen Leben eines Autors steckt in seinen Romanen? Diese Frage taucht nahezu in jedem Publikumsgespräch mit Autoren auf. Aber auch Literaturwissenschaftler und Rezensenten beschäftigen sich teilweise akribisch und streng wissenschaftlich mit dieser Thematik. Charles Lewinsky hat sich mit seinem neuesten Buch auf Spurensuche im eigenen Werk begeben. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Sachbuch
Illustrated by Diogenes

Aus den Papieren eines Wärters

“Aus den Papieren eines Wärters” ist sicherlich für Neulinge im Kosmos Dürrenmatt schwierig, aber um Dürrenmatts Werk zu verstehen und zu begreifen, ist meines Erachtens, dieser Band der Wichtigste. Hier finden wir die Urformen vieler späteren Werke. Werke, die immer wieder von ihm bearbeitet wurden, weil er noch mehr aus dem Stoff herausholen musste. Weiterlesen


Genre: Kurzprosa
Illustrated by Diogenes

Fahrenheit 451

Ray Bradbury: Fahrenheit 451

Ray Bradbury: Fahrenheit 451. 1953 entstanden zählt auch der hier vorliegende Roman zu den radikalsten dystopischen Zukunftsvisionen, gleich neben „1984“ von George Orwell oder „Brave New World“ von Aldous Huxley. In nur neun Tagen soll ihn der damals 33-jährige frischgebackene Vater, Ray Bradbury, geschrieben haben, wie Peter Torberg in seinen Anmerkungen am Ende des Romans schreibt.

Bradury’s feuerlegende Feuer(-wehr-)männer

In seiner editorischen Notiz erklärt er auch manche Widersprüche, Unklarheiten oder nicht ganz aufgelöste Stellen im Text durch die Übersetzung. Als Beispiel nennt er etwa auch das englische „fireman“, dem die Doppeldeutigkeit der deutschen Übersetzung mit „Feuerwehrmann“ gänzlich abgeht. Deswegen wählte Peter Torberg für Guy Montag, den Protagonisten des Romans auch „Feuermann“: „In der Welt die Ray Bradbury für seine Leserinnen erschaffen hat, in der Lesen geächtet und Wissen nicht erwünscht ist, in der auf Buchbesitz Strafe steht und die Menschen mit Entertainment und Dauerberieselung unmündig gehalten werden, dort ist die Bedeutung einer Feuerwehr durch das Umschreiben der Menschheitsgeschichte schlicht unbekannt.“ Die Feuermänner in „Fahrenheit 451“ löschen nämlich kein Brände, sondern sie legen sie, sie sind gleichsam dazu da, zu vernichten und zu strafen, Bücher zu verbrennen oder manchmal auch ganze Häuser, notfalls auch zusammen mit den Bewohnern.

Fahrenheit 451: Zeitalter des Papiertaschentuchs

Wie Parfüm wirkt das verwendete Kerosin der Feuerbrigade auf ihn, schwärmt Montag seiner Angebeteten Clarisse vor. Ebenso schwärmerisch antwortet sie ihm: „Ich rieche gerne an Dingen und schaue sie mir an, und manchmal bleibe ich die ganze Nacht auf, gehe spazieren und schaue zu, wie die Sonne aufgeht“. Die beiden leben nicht umsonst im „Zeitalter des Papiertaschentuchs“: „Man schneuzt sich mit einer Person, zerknüllt sie, spült sie hinunter, greift nach der nächsten, schneuzt sich, zerknüllt, spült hinunter“. Aber Clarisse ist jedenfalls anders als seine Frau Mildred. Diese bevorzugt es zu Fernsehen und das Bücherlesen ist ihr ein Grauen. Sie steht auch für die Mehrheit der Bevölkerung in Bradburys Roman die Bücherlesen per se ablehnen, da es sie in eine schlechte Stimmung bringe und zu nachdenklich mache. Ray Bradbury hat in späteren Interviews betont, dass der Roman in einer Zeit entstanden sei (50er Jahre) in der das Fernsehen die Schrift ablöste, als Bücher und Zeitungen immer weniger konsumiert wurden. Genau davor sollte sein Roman warnen.

Fahrenheit 451 und die korrekten Zahlen

Bei der Titelwahl hatte er allerdings schlicht Celsius mit Fahrenheit verwechselt, denn Papier entzündet sich erst bei 451 Grad Celsius, nicht Fahrenheit (451 Grad Fahrenheit wären nur 232,7 Grad Celsius), so Gary Dexter, der in seinem Blog  den alternativen Titel „Fahrenheit 843“ vorschlägt, der tatsächliche Temperatur Celsius also bei der sich Papier selbst entflammt. Dass das Internet-Zeitalter Ray Bradburys Schreckensvision von 1953 längst überflügelt hat, mag den Autor vielleicht noch erreicht haben. Er starb am 5. Juni 2012 in Los Angeles und meinte über Michael Moore, der einen seiner Filme Fahrenheit 9/11 (2004) nannte, einen „dämlichen Drecksack“, weiter zitiert ihn die deutsche FAZ: „So denke ich über ihn. Er hat meinen Titel geklaut und die Zahlen ausgewechselt, ohne mich jemals um Erlaubnis zu fragen.“ Gary Dexter hätte hier wohl das letzte Wort, wenn er Ray Bradbury einen „dämlichen Drecksack“ nennen würde. Tut er aber nicht.

Ray Bradbury

Fahrenheit 451

Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg

2020, Hardcover Leinen

272 Seiten

ISBN: 978-3-257-07140-5

€ (D) 24.00 / sFr 32.00* / € (A) 24.70

Diogenes Verlag


Genre: Dystopie, Roman, Science-fiction, Zukunftsvision
Illustrated by Diogenes, Diogenes Zürich

Mitten im August

Ferragosto: Mitten im August. Die Welt bekommt einen neuen Krimihelden, den Inselpolizisten Enrico Rizzi, der es bevorzugt auf Capri zu arbeiten statt in Neapel. Aber „Neapel“ ist auch zuständig für Capri. Und so ergeben sich bald Spannungen zwischen der Zentrale und der Insel, wer wofür zuständig ist. Denn Rizzi will seinen Mordfall beschleunigen und so schnell wie möglich den Mörder finden. Neapel’s Mühlen hingegen mahlen langsam.

Ferragosto: Mitten im August

Enrico Rizzi, der gerne Selbstgedrehte raucht, hat es auf Capri zumeist mit kleineren Delikten zu tun. Wenn auf dem kleinen Polizeiposten auf Capri nichts los ist, hilft er seinem Vater in den Obst- und Gemüsegärten hoch über dem Golf von Neapel. Natürlich bevorzugt auch er ökologische Anbaumethoden und will auf Spritzmittel gegen Schädlinge verzichten. Marienkäferlarven sollen helfen. Und so überzeugt er bald auch seinen Vater davon. Auch Jack und Sofia sind etwas „grün“ angehaucht, aber sie wollen nicht den Wein, sondern gleich die Weltmeere retten. Aber eines Tages wird Jack mit mehreren Messerstichen in der Brust tot in seinem Boot aufgefunden. Sofia ist seit Tagen verschwunden. Natürlich deutet alles auf sie als Täterin hin. Ein Mord aus Leidenschaft? Oder aus unterschiedlichen politischen Ansichten? Enrico Rizzi ermittelt auch ohne Pouvoir weiter und deckt auf, wer hinter dem Mord von Jack Milani, dem reichen Spross einer Industriellenfamilie und Studenten der Ozeanologie steckt.

Capri, Schauplatz eines Verbrechens

Im ersten Mordfall für den jungen Enrico Rizzi kämpft er nicht nur gegen die Bürokraten in Neapel, sondern auch seinen Vorgesetzten Commissario Lombardi, dem es lieber gewesen wäre, den Toten gar nicht erst an Land zu bringen. Denn so wurde er erst zum Toten von Capri. Ansonsten hätte Neapel sich darum kümmern müssen. Der fleißige Enrico Rizzi ist ganz anders als die der Prokastrination huldigenden Inselbewohner und sein Erfinder, Luca Ventura, arbeitet schon an seinem nächsten Fall, der wieder mit viel Lokalkolorit Capri-Flair in die Wohnzimmer und Lesestuben der deutschsprachigen LeserInnen bringt. Wem Donna Leon gefällt, der wird auch Luca Ventura mögen. Leichte Lesekost für den Strand am Sommer. Vielleicht im August. Mitten im August.

 

Luca Ventura

Mitten im August. Der Capri-Krimi

2020, Paperback, 336 Seiten
ISBN: 978-3-257-30076-5
€ (D) 16.00 / sFr 21.00* / € (A) 16.50
Diogenes Verlag


Genre: Capri, Krimi
Illustrated by Diogenes

Leben, schreiben, atmen

Das Buch von Doris Dörrie »Leben, schreiben, atmen« kommt im richtigen Moment und gibt uns in der Zeit der Quarantäne etwas Neues zu tun: Wir sollen schreiben! Am besten mit der Hand, unbedingt mindestens 10 Minuten lang und das ohne Denkpausen. Dazu werden mehrere Dutzend Themen vorgeschlagen: Dunkel, süchtig, Piercing, Hochzeit, Kleid oder Flanieren. Weiterlesen


Genre: Biographien, Ratgeber, Sachbuch
Illustrated by Diogenes

Rote Kreuze

Rote Kreuze: ein Roman gegen das Vergessen. Der fünfte ins deutsche übersetzte Roman des leidenschaftlichen Fußballfans und Autors aus Minsk könnte autobiographisch sein, so wie jede Geschichte ein kleines bisschen Wahrheit enthält. Die in „Rote Kreuze“ geschilderten Ereignisse könnten allerdings tatsächlich genauso geschehen sein. Denn das 20. Jahrhundert ist voll von solchen absurden und traurigen, aber dennoch sehr unterhaltsamen Geschichten.

„Trauerfanfaren und Tragödienpathos“

Der junge Alexander zieht nach einer Lebenskrise mit seiner Tochter nach Minsk und begegnet in seiner neuen Bleibe der über neunzigjährigen Tatjana Alexejewna, die unter Alzheimer leidet. Bevor sie alles vergisst, will sie aber Alexander noch alles erzählen. Doch dieser weigert sich anfänglich, weil er glaubt, selbst so aus seinem Leben gerissen zu sein, dass seine eigene Tragödie die weitaus schlimmere ist. Aber die alte Dame erzählt ihm die Geschichte ihres Lebens so eindrücklich, dass er bald von selbst bei ihr anklopft, um die Fortsetzung und schließlich das tragische Ende zu erfahren. Schließlich umspannt ihre Geschichte das ganze russische 20. Jahrhundert mit all seinen Schrecken und Tragödien.

„Biographie der Angst“

Ihr Vater gehörte zu einer der wenigen Menschen, der zur Zeit der russischen Revolution nach Russland, „ins Epizentrum der Geschichte“, statt von Russland wegzog. Alexej Alexejewitsch Bely war nicht unbedingt Kommunist, aber er glaubte daran, dass dort der „neue Mensch“ und die „neue Zeit“ beginne. Das war aber erst der Anfang von Tatjana’s Verhängnis. Dann mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 begann ihre eigentliche Tragödie, die ihren Anfang eigentlich mit einem absichtlichen Tippfehler nahm. Als Angehörige eines politisch Verfolgten muss Tatjana ihr Leben in einem sowjetischen Lager verbringen, jedoch stellt sich am Ende alles als eine absurde Verwechslung heraus. Die Pointe des Romans hat es tatsächlich in sich und man liest ihn voller Spannung in einem Atemzug zu Ende.

Eine düstere Anklage an Gott. Aber auch an die Sowjetmacht und letztendlich eine Gemahnung, dass man sich die Probleme meist selbst einhandelt, wenn man versucht, etwas vermeintlich Gutes zu tun und sich oder die eigenen zu schützen. Sasha Filipenko hat mit „Rote Kreuze“ den Roman des russischen 20. Jahrhunderts geschrieben.

Sasha Filipenko
Rote Kreuze
Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer
2020, Hardcover, Leinen, Schutzumschlag, 288 Seiten
ISBN: 978-3-257-07124-5
€ (D) 22.00 / sFr 30.00 / € (A) 22.70

Diogenes Verlag

 


Genre: Biographien, Romane
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