Seit 2018 erscheint die Autobiographie Thomas Bernhards als Graphic Novel in Einzelbänden beim Salzburger Residenz Verlag. Dieses Jahr erstmals sind die ersten fünf Bände der Graphic Novel im Schuber als ideales Geschenk für alle Thomas-Bernhard-Fans erschienen.
Eine Kindheit zwischen NS und Katholizismus
Lukas Kummer, der die Bände illustrierte, arbeitet seit 2009 als Illustrator, Autor, Storyboard Artist und Gestalter. Seine erste Thomas Bernhard-Graphic Novel „Die Ursache“ kam auf die Comic-Bestenliste. Gelobt wurden u.a. seine eindrücklichen Bilder und die kongeniale grafische Verbindung seiner Zeichnungen mit den Stilmitteln des Autors Thomas Bernhard. Denn dieser arbeitete gerne mit Wiederholungen und Übertreibungen, um seinen Aussagen mehr Gewicht zu verleihen. In seinen fünf Bänden zwischen Dichtung und Wahrheit, die im Residenz Verlag auch schon als normale Bücher erschienen sind, zeigt er etwa die Monotonie des Internatsalltags oder die Ähnlichkeit der nationalsozialistischen mit den späteren katholischen Erziehern so lebensnah, dass sie zum Greifen echt werden. Wenn der junge Bernhard sich etwa in der Schuhkammer des Internats zurückzieht, um an der Geige zu üben, werden die Schuhe zu einer erdrückenden Pyramide gestapelt vor deren Wiederholung die Selbstmordgedanken des Zöglings allzu nachvollziehbar werden.
Selbstmord oder Resilienz
Diese eindrückliche Szenerie wiederholt sich auch im Schlafsaal, wo das Schicksal und die Bedürfnisse des Einzelnen der Masse untergeordnet werden und nur durch die tägliche Gute Morgen Ohrfeige des Aufsehers Grünkranz unterbrochen wird. Thomas Bernhard spricht von einer Gemütsverdüsterung und Gemütsverfinsterung die zu seiner Gemütszerstörung geführt habe, in eben diesem Internat in Salzburg, dem Joanneum. Als “die Farbe der Mächtigen wieder von braun auf schwarz wechselt“, wie Bernhard süffisant schreibt, ändert sich vorerst nichts: Der Geistliche hatte “das Erbe nationalsozialistischen Grünkranz angetreten, er war genauso gefürchtet und gehaßt wie Grünkranz und er war wahrscheinlich ein ebensolcher uns alle abstoßender Charakter“. “Der NS hatte die gleiche verheerende Wirkung auf alle diese jungen Menschen gehabt, wie jetzt der Katholizismus.” Beides sind für Bernhard ansteckenden Krankheiten, Geisteskrankheiten, sonst nichts.
Das “Straflager Leben”: Internat, Schule, Gymnasium
Damit nicht genug, litt der junge Bernhard zudem noch an einer Lungenkrankheit, die ihn beinahe schon in jungen Jahren dahingerafft hätte. Als dann seine wichtigste Bezugsperson, sein Großvater, stirbt und ein halbes Jahr später seine Mutter, gibt es für Thomas Bernhard nur mehr einen Weg zu überleben: er muss der Schriftsteller werden, der sein Großvater immer werden wollte. Das schaffte er nur durch die Überwindung der Scham, denn “nur der Schamlose schreibt. Nur der Schamloseste ist authentisch.” Das Schreiben nennt er auch “das sich preisgeben vor sich selbst“. Von seinem Vater, er seien Mutter im stich ließ findet er nur die eine Spur: er hatte sein Elternhaus mit einer solchen Präzison abgebrannt, dass es gerade aufloderte als er mit dem Zug daran vorbeifuhr.
Heimat im Schreiben
“Mit diesem Blick auf das brennende Elternhaus hatten er nicht nur die Heimat, sondern überhaupt den Heimatbegriff (für sich) ausgelöscht.” Vor der “Finsternis des Vergessens” wollte er seine Erinnerungen retten und fing wohl auch deswegen an zu schreiben. Aber vorerst musste er noch die Jahre in der Lungenheilanstalt und die medizinischen Prozeduren hinter sich bringen. Sie werden von Lukas Kummer realistisch gezeichnet und in ihrer ganzen Dimension spürbar. Etwa wenn das Sputum in Flaschen produziert werden muss oder das Pneumoperitoneum eingesetzt wird. Der “Strafvollzug Leben” wie Bernhard es nannte, wird augenscheinlich. In “Atem” beschreibt er, dass nur die Nähe seiner Lieben – sein Großvater war im selben KH Patient – ihm das Überleben sicherte. In “Der Keller” erzählt er von seiner Kehrtwendung, denn er wollte in die “entgegengesetzte Richtung“, nicht ins Gymnasium, sondern in den Handel, die Lehre.
Fluchtpunkt Scherzhausersiedlung: die entgegengesetzte Richtung
In der Scherzhausersiedlung, dem schlechtesten Viertel Salzburgs, wollte er das Leben lernen wie es ist, mit einfach Leuten, die vom Schicksal nicht gerade begünstigt waren. “Hier konnte ich sein wie ich war. Und alle anderen konnten sein wie sie waren.” Im (wohl nur vorläufig) letzten Band vorliegender Sammlung, “Das Kind“, lobt Bernhard wieder den Großvater und stellt ihn seiner prügelnden Mutter gegenüber. Sie schlug ihn mit dem Ochsenziemer, weil sie seinen Vater, der sie verlassen hatte, in ihm sah. “Wir haben von Aufrichtigkeit und von Klarheit geträumt, aber es ist beim Träumen geblieben. Aber es ist alles egal. Manchmal erheben wir alle unseren Kopf und glauben die Wahrheit oder die scheinbar Wahrheit sagen zu müssen und ziehen ihn wieder ein. Das ist alles.“, heißt es in “Der Keller” aber wir alle wissen, das dies noch lange nicht alles ist.
Lukas Kummer verschafft dem Sprachduktus Bernhards klare Linien, er zeichnet scharfe Konturen und eindringliche Winkel, in die sich die Gedanken flüchten, wo sie aber auch gestellt werden und die Worte eine klarere Nachhaltigkeit bekommen. Im Residenzverlag sind neben den Originaltexten zu vorliegenden Graphic Novels auch andere Bücher von Thomas Bernhard erschienen.
Thomas Bernhard
Lukas Kummer (Illustrationen)
DIE AUTOBIOGRAPHIE ALS GRAPHIC NOVEL
5 Bände im Schuber
2024, Hardcover, 560 Seiten, 170 x 240cm
ISBN: 9783701717965
Residenz Verlag
€ 99,00