Apollokalypse

Poststrukturalistisches Chaos

Der vielseitig tätige Schriftsteller Bernhard Falkner hat 2016 mit «Apollokalypse» sein Prosadebüt vorgelegt, ein Epochenroman aus dem Berlin der achtziger und neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, der es auf Anhieb auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2016 geschafft hat. Der Neologismus seines Titels spiegelt das Schöne und Verführerische in der totalen Zerstörung. Gott seines Romans ist ein zwielichtiger, dionysischer Held, dem nach allmählichem Zerbrechen sämtlicher Illusionen schließlich der Leibhaftige gegenübertritt. Mehr als zehn Jahre, so wird kolportiert, hat der österreichische Lyriker sich Zeit gelassen für seinen Roman-Erstling, dessen beeindruckende Bildermacht und Intertextualität vom Feuilleton zum Teil bejubelt wurde, während Andere jedwede erzählerische Kontinuität vermissen und am Falknerschen «Wortgeschwurbel» zu ersticken drohen. «Meine Vermieterin sagt, dies hier wäre ein schlechter Roman», lässt der Autor mit geheuchelter Selbstkritik seinen Doppelgänger sagen, und er liefert wortreich auch gleich die Gründe dafür mit.

«Wenn man verliebt ist und gut gefickt hat, verdoppelt die Welt ihre Anstrengung, in Erscheinung zu treten» lautet symptomatisch der erste Satz des Romans. Georg Autenrieth, eine undurchsichtige Gestalt aus Westdeutschland, ist dem Sog der Metropole erlegen und durchstreift auf der Suche nach Genuss die einschlägige Szene Berlins in der Wendezeit. Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll stehen im Mittelpunkt einer extensiv ausgelebten Lebensgier, die sich völlig unpolitisch gibt, selbst der Mauerfall wird nicht thematisiert. Gleichwohl unterhält der junge Mann scheinbar Kontakte zur RAF und zu den Geheimdiensten beider Deutschlands, – scheinbar, denn wie alles bleibt auch das vage in diesem Roman, der sich immer wieder in Andeutungen verliert. Die Wendepunkte dabei setzten Frauen: «Das Buch Isabel» widmet sich der Geschichte seines manisch-depressiven Freundes Büttner, eines exaltierten Künstlers, dem er die Freundin ausspannt, indem er sie zu einer Reise in die USA einlädt, deren Höhepunkt eine feuchtfröhliche Nacht bei Musik vom Plattenspieler im Amargosa Opera House von Death Valley Junction bildet. Büttner landet in der Psychiatrie und wirft sich später vor den Zug, was bei Autenrieth zu einer Identitätskrise führt, in deren Verlauf er untertaucht, sich als «Glasmann» unsichtbar zu machen sucht. Die zweite Zäsur unter dem Titel «Das Buch Billy» ist dann die leidenschaftliche Affäre mit Bilijana, einer undurchsichtigen Bulgarin, die mit einem deutschen Militärattaché liiert ist. Alle diese zwiespältigen Figuren bewegen sich voller Obsessionen in einem geradezu mythologischen Berlin, welches sie voller burlesk überzeichneter Ausschweifungen rauschhaft erleben, das sie dann aber immer wieder ernüchtert auf sich selbst zurückwirft.

Eine den Leser faszinierende Geschichte auszubreiten ist Gerhard Falkners Sache nicht, das Atmosphärische bildmächtig und sprachverliebt in allen seinen Facetten auszubreiten ist schon eher sein Metier, der Lyriker in ihm ist partout nicht zu verleugnen. Dabei stört das vulgär Sexuelle seines narzisstischen Helden mit den multiplen Identitäten, der zuweilen neckisch mit sich selber spricht und als Figur vom Autor selbst kaum noch unterscheidbar ist. Als Poststrukturalist bildet Falkner mit seiner Sprachmacht Realität nicht nur ab, er erschafft sie vielmehr selbst durch seine radikale Abkehr von einer objektivistischen Sicht sozialer oder moralischer Kriterien.

Sein Anspielungsreichtum wirkt dabei selbstverliebt überzogen, die Literaturgeschichte wird schon fast parodistisch einbezogen in den schwer lesbaren, diskontinuierlichen Erzählfluss, der heftig zwischen Schein und Sein mäandert. So bleibt dem Leser als Lektürebonus die grandiose Beschreibungskunst des Autors, der mit scharfem Blick hinter die Fassaden Berlins schaut, sein narratives Chaos aber nicht auflöst, der alles in der Schwebe hält bis zum Schluss.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Berlin Verlag Berlin

Die Traumfabrik

Die Traumfabrik – Teil 2

Die Anfangstage des Kinos

„Das Kino inspiriert sich am Leben. Warum sollte sich das Leben nicht auch vom Kino inspirieren lassen?“ Der Autor Laurent Galandon und der Zeichner Fréderic Biller haben mit der Reihe „Die Traumfabrik“ eine reizvolle Geschichte aus bunten Bildern erschaffen, die in den 1920ern spielt und deren Ästhetik gut rüberbringt. Die Anfangstage des Kinos sind das eigentliche Thema in das die beiden ihre LeserInnen entführen: Im ersten Teil DIE TRAUMFABRIK 1 drehten Célestin, Constance und Marcel heimlich ihren Film, nachts, wenn das Studio leer war. Für Célestin geht dabei sein Traum in Erfüllung, doch dann werden sie erwischt dabei erwischt und haben Legitimationsprobleme. Die Schauspielerin Véronika Forsans konnte gerade noch Schlimmeres verhindern, aber Célestin fragte sich vor allem: Wer hat ihn und seine Freunde verraten?

“Hurerei für die Augen”

In der vorliegenden Fortsetzung der Geschichte werden die Protagonisten nun sogar verhaftet und die Schauspielerei gerät als „Hurerei für die Augen“ in Verruf. An einer Stelle geht der gutmütige Riese Célestin sogar selbst ins Kino und schaut sich Nanook – die Geschichte einer Eskimofamilie an, ein Film, der kürzlich bei den Wiener Festwochen, quasi 100 Jahre später, sogar mit Live-Musikbegleitung durch Tanya Tagaq gezeigt wurde. Aber das Frankreich der 1920er Jahre, in der Célestin mit seiner Familie auf dem Land aufwächst und in der Kanzlei seines Vaters aushilft hat natürlich auch einen ganz besonderen Reiz. Aber als er aus der Provinz in die Großstadt, um seiner wahren Leidenschaft nachzugehe, muss er auch lernen, dass die Träume des einen, die Albträume der anderen sind.

Für Cineasten und Comicfans

Der Autor Laurent Galandon und der Zeichner Fréderic Biller zeigen in schönen, aufmunternden Bildern, wie sich das Kino nach dem Leben richtet und das Leben nach dem Kino, denn die Träume entstehen schließlich ähnlich, wie die Gedanken: im Kopf. „Die Stumme und der Gauner“ erzählt die Geschichte eines Verrats, der sich freiwillig aufklärt, doch dann erst wirklich in seine Abgründe schauen lässt. Ein Lesevergnügen nicht nur für Cineasten.

Laurent Galandon/ Fréderic Biller
DIE TRAUMFABRIK 2: DIE STUMME UND DER GAUNER
(Originaltitel: La Parole du Muet 2)
2018, HC, 48 Seiten
16,00 €


Genre: Comics
Illustrated by Panini Comics

Es waren einmal – Schwarze Gedanken

Es war einmal – Schwarze Gedanken

Auf die Frage, warum er denn so schreckliche Zeichnungen mache antwortete Franquin einmal ganz galliger Humor: „In erster Linie wohl aus dem simplen Vergnügen heraus, das man an Grimassen findet… Wenn man etwas tiefer schürft, mag es sich erweisen, dass womöglich das Bedürfnis dahintersteckt, die Angst vor dem Alter, der Krankheit, dem Sarg in Witze zu verwandeln!“ Die in vorliegenden Band versammelten Zeichnungen sind ein Meilenstein des Franquinschen schwarzen Humors, der zum 40-jährigen Jubiläum als 128seitiger Sonderband mit unveröffentlichtem Material erschien. Zudem finden sich viele Interviews und Hommagen (u. a. Gotlib und Luz) anderer Zeichne und die auch die klassischen Strips abgedruckt und es gibt einen Gastauftritt von Gaston.

Schwarze Gedanken Reloaded

Mit Popeye und Snuffy Smith aufgewachsen begann der in Brüssel geborene Zeichner mit Märchenillustrationen und erfand bald eine Vielzahl von eigenen Figuren, darunter Gaston, Marsipulamo, Spirou und viele „Monster“, sein erklärtes Lieblingssujet. In einem Gesprächsinterview mit Isabelle Franquin, seiner Tochter, wird betont, dass Franquin nicht nur der „traurige Clown“ war, wie er in den Siebzigern beschrieben wurde, sondern sehr wohl auch sehr engagiert war. Seine Tochter umschreibt sein Erfolgsgeheimnis in genanntem Interview mit folgenden Worten „Die Schwarzen Gedanken sind letztlich das Resultat dieses Denkprozesses, Franquin hatte ein Verständnis vom Leid der Menschen und genügend Empathie, um sich in sie hineinzuversetzen.“

Schwarzer Humor, der ins Schwarze trifft

Einer seiner Strips soll hier exemplarisch beschrieben werden, um die Art von Franquins Humor auch mit Worten zu veranschaulichen: Eine Haiflosse ist auf dem Meeresspiegel zu sehen, unter der sich der schwimmende Protagonist befindet. Ein Mädchen kommt schwimmend auf ihn zu, aber unter Wasser sieht man, was sich wirklich unter dem Wasser unter dem Mädchen befindet. Einige Hommagen an Franquin sind ebenfalls im vorliegenden Band abgedruckt, darunter von Gotlib, Pixel Vengeur, Edika, Goossens, Foerster, Luz oder zu Schwerpunkthemen wie Todesstrafe, Poesie oder Selbstmord.

André Franquin
Es waren einmal Schwarze Gedanken
(Hardcover)
2018, 128 Seiten, Alter ab 12 Jahren
D: 24,99 €/A: 25,70 €
Größe: 22,30 x 30,00 cm
ISBN: 978-3-551-76529-1
Carlsen Verlag


Genre: Comic, Graphic Novel
Illustrated by Carlsen Hamburg

Fremde Seele, dunkler Wald

Triumph der Langsamkeit

Seine dörfliche Herkunft bildet auch in «Fremde Seele, dunkler Wald», dem sechsten Roman des österreichischen Schriftstellers Reinhard Kaiser-Mühlecker, den Erzählkosmos. Der Titel basiert auf einem Zitat Turgenjews: «Du weißt ja, eine fremde Seele ist wie ein dunkler Wald». Womit die Thematik des Romans bereits treffend angedeutet ist: Eine zerrissene bäuerliche Familie in einer drögen Dorfgemeinschaft als Fatum zweier junger Männer, die ihr Leben als Gefängnis empfinden und unbeholfen eine Weltflucht versuchen. Dem üblichen «Heile Welt»-Mythos des Heimatromans setzt der Autor hier seelische Ödnis in idyllischer Landschaft entgegen.

Ankerpunkt der düsteren Geschichte ist ein Bauernhof, in einem abseitigen Tal Oberösterreichs gelegen, über das in großer Höhe eine Autobahnbrücke gespannt ist, deren nicht abreißender Verkehrsstrom den permanenten Kontrast bildet zur dörflichen Ereignislosigkeit. Alexander und Jakob sehen für sich keine Zukunft auf dem im Niedergang befindlichen Hof der Eltern. Der Vater phantasiert von Geschäften, die sich als reine Luftnummern erweisen, vernachlässigt den Hof und verkauft heimlich nach und nach alles Land, am Ende auch das Vieh. Während der dreißigjährige Alexander nach einem religiösen Umweg schließlich Soldat wird und bei einem Blauhelmeinsatz im Kosovo mitwirkt, kann sich der halb so alte Jakob nach der Schule für keinen Beruf entscheiden und führt teilnahmslos den Hof weiter. Beide Brüder haben ein seltsam gestörtes Verhältnis zu Frauen. Alexander hat für einige Zeit eine Affäre mit der Frau seines Chefs, die seiner jedoch irgendwann überdrüssig wird. Seine verpasste große Liebe, wie er im Nachhinein schmerzhaft erkennt. Jakob gerät an Nina, die sehr bald schwanger wird, sie entfremden sich aber schnell und trennen sich ebenfalls. Das Figurenensemble wird ergänzt um einen fragwürdigen Freund Jakobs, der erst seine Nähe sucht und sich dann von ihm abwendet, am Ende sogar Suizid begeht. Der rückwärtsgewandte Großvater ist als Nazi zu Reichtum gekommen und ist finanziell unabhängig vom Hof. Er überrascht die Familie nach seinem Tod, weil er den Nachlass seiner geizigen Frau allein überlässt, die ihn einer rechten Partei vermachen will, womit die Familie endgültig leer ausgeht. Der latente Eskapismus schließlich wird durch die urchristliche Sektenführerin Elvira personifiziert, mit der Alexander früher ein Verhältnis hatte.

Die lähmende Sprachlosigkeit innerhalb der Familie, aber auch der wortkarge Umgang aller anderen Figuren miteinander ist ein typisches Merkmal dieser in Episoden aufgeteilten Erzählung. Über allem Geschehen lastet ein düsterer Schatten, komplementär dazu dominiert in den häufig eingestreuten Naturschilderungen Kälte, Schnee, Nebel, Regen, scharfer Wind. Erzählerisch ist dieser Roman ein Triumph der Langsamkeit, geradezu altväterlich in der Sprache und quasi in Zeitlupe wird hier die Geschichte der missglückten Seelenfluchten als beinahe schon psychopathisches Lehrstück vor dem Leser ausgebreitet. Zu lachen gibt es da rein gar nichts!

«Mir geht’s ja so schlecht!» «Warum geht’s dir so schlecht?» «Weil ich sauf.» «Und warum säufst du?» «Weil’s mir schlecht geht!» Die Lektüre hat mich unwillkürlich an diesen abgedroschenen Scherz erinnert. Beide Brüder sind keinesfalls lebensuntüchtig, sie scheitern nur immer wieder auf wundersame Weise an sich selbst, sie scheinen aus der Zeit gefallen. Weite Teile des Romans werden in Form des Bewusstseinsstroms erzählt, mit Fragezeichen an den Satzenden, und auch Dialoge der blutleeren, wenig sympathischen Figuren finden sich eher selten, es mangelt ihnen zudem entschieden an Empathie. Der auktoriale Erzähler lässt vieles ungesagt in seinem erzählerischen Labyrinth, und auch Plausibilität ist kein narratives Kriterium dieses trübsinnigen Plots. Dass verklausulierte Happy End aber beweist, dass dem Autor seine Geschichte selbst zu elegisch erschien, er hätte diesen Fauxpas sonst sicherlich vermieden.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by S. Fischer

Sieben Generationen Wahnsinn

Ich denke selbst

In Dänemark bekannt und erfolgreich, hat der dort renommierteste und zudem literarisch recht vielseitige Schriftsteller Svend Åge Madsen in Deutschland allenfalls einen Status als Geheimtipp unter den postmodernen Literaten. Für seinen letzten von insgesamt drei auf Deutsch erschienenen Romanen fand sich kein deutscher Verleger, im Interview hat er die Frage, warum das so sei, schnippisch mit «Fragen Sie Herrn Unseld» beantwortet. Schließlich wurde der Roman im Jahre 2000 unter dem Titel «Sieben Generationen Wahnsinn» dann von einem Schweizer Verlag herausgebracht. Der dickleibige Band gilt als Madsens wichtigster Roman, die Rezeption in Deutschland jedoch war und ist kläglich, ja geradezu beschämend. Inzwischen ist das Buch vergriffen, sein Autor weitgehend vergessen, – zu Unrecht, wie ich meine!

Bereits «Seven Ages of Madness», wie der englische Titel lautet, ist ein übermütiges Spiel des dänischen Autors mit seinem Namen. Als Signum steht die «Sieben» des Romantitels in der christlichen Zahlensymbolik für Geist und Seele, «Generationen» deutet auf die der Chronologie verpflichtete Erzählweise, «Wahnsinn» auf das Raum und Zeit missachtende, erzählerische Chaos. Globusroman nennt der kreative Autor seine in 39 Kapiteln erzählte Familiengeschichte, ein kühner Vergleich, bei dem er von der Projektion einer Weltkugel auf eine Ebene ausgeht mit den dabei zwangsläufig entstehenden Lücken, die auf den Roman bezogen einen narrativen Freiraum bilden für gedankliche Exkursionen. In sieben kursiv gedruckten kurzen Einblendungen stellt er wiederum diese spezielle Erzählform selbst in den Fokus und lässt den Leser teilhaben an seinen formalen Experimenten. Liegt doch deren Kernproblem darin, dass sich für einen Autor die Zeit immer in die gleiche Richtung bewegt, eine Aporie also, die Madsen durch kreative Dehnungen und Simulationen konstruktiv zu durchbrechen sucht. Ein virtuoses Spiel mit Zeitebenen mithin, bei dem sich seine Figuren dann immer wieder verdutzt außerhalb von Zeit und Raum wiederfinden.

Der Plot dieses üppigen Romans vom kollektiven Wahnsinn kann hier nur angedeutet werden, zu vielschichtig ist die sieben Generationen umfassende Lebensgeschichte der Familie Skonning im dänischen Arhus, beginnend im 17. Jahrhundert und bis in die Jetztzeit hineinreichend. Als Glöckner, Buchdrucker, Gelehrter, Schriftsteller, Musiker wird da über die Skonnings in Einzelschicksalen berichtet. So hat der fast blinde Hans Skonning gleich zu Beginn auf dem Turm der Dorfkirche Visionen vom Paradies, er sieht quasi Gott über die Schulter. Und schreibt all das gewissenhaft auf, was er sieht, der Kirche jedoch dürften seine Schriften nicht in die Hände fallen, er würde als Ketzer verurteilt.

Erzählt wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, wobei in weiten Teilen die direkte Rede verwendet wird, bei der jeweils ein als Sidekick fungierender Gast der erzählenden Figur gegenübersteht. Diese Erzählweise ist immer wieder durch kurze Einschübe unterbrochen, in denen die Szene beschrieben wird, der Gast auf Fragen antwortet oder Einwürfe macht. Das ist ein exzellenter stilistischer Kniff, denn hier tritt ein realer Erzähler auf, dem der Leser sehr lebensecht zuhört. Und dabei gibt es viel zu schmunzeln, so wenn beispielsweise der Mystiker Swedenborg zitiert wird, der in seinen «Memorabilia» von einer Vision schreibt, «die ich nachts in der Stadt Aarhuuss hatte», wozu der wackere Erzähler lapidar anmerkt: «Mit Buchstaben hat er nicht gespart». Geradezu schwindelerregend sind die verschlungenen Wege durch die Jahrhunderte, atemberaubend die schrägen Einfälle des dänischen Autors, der seine Leser allerdings auch gewaltig fordert mit seinen oft überraschenden, oft abseitigen Reflektionen über die Unerbittlichkeit der vergehenden Zeit. «Ich denke selbst. Ich halte nichts von Religion» lässt er in einer Geschichte zwei als «Zeugen Jehovas» Verdächtige wissen. Man wünscht dem Roman Leser, die es ebenso halten!

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by btb Verlag

Europa neu erleben

 

Europa NEU erleben

Europa Neu erleben: Besuchen Sie Europa solange es noch steht, hieß es am Höhepunkt des Kalten Krieges in den Achtzigern. Heute steht es immer noch, schön wie nie zuvor. Die vorliegende Einladung zu 52 inspirierenden Kurzreisen zu den Sehnsuchtsorten Europas umfasst einen umfangreichen Bildband, handliche Reiseführer für die Stadt, kompakte Begleiter für das Umland und eine übersichtliche Europakarte. Zudem persönliche Geheimtipps aus der ZEIT-Redaktion, also von Menschen, die wissen, wovon sie schreiben. Die ZEIT-Edition »Europa neu erleben« inspiriert sowohl zu spannenden Städtereisen als auch zur Entdeckung reizvoller Landschaften Europas. So werden die stilvollen Metropolen des Nordens bis an die sonnenverwöhnten Küsten des Mittelmeers besucht und jede Destination wird mit eindrucksvollen Bildern und wissenswerten Hintergrundtexten lebendig porträtiert. Ausflugstips, Informationen zu Sehenswürdigkeiten, saisonalen Highlights und kulinarischen Genüssen runden diese ideale Zusammenstellung zum Pläneschmieden für den nächsten Kurzurlaub – noch diesen Sommer – ab.

Für Europa-Liebhaber

„Die besten Adressen vor Ort“, einer von vier Bestandteilen dieser Edition versammelt sehenswerte Cafés, Museen oder Tourismusbüros auf seinen dicht beschriebenen Seiten. Für Wien wird etwa das Museumsquartier oder der Stephandsdom empfohlen, für Prag der Hradschin und Josefov. „Ausflüge in die Umgebung“ widmet sich den Landschaften um die 52 beschriebenen Städte und gibt Ausflugstipps in das Umland berühmter Städte, so etwa auf die Giudecca bei Venedig oder nach Murano, Burano und San Michele. Im großen Prachtband, dem Herz der vorliegenden Edition werden die verschiedenen Städte dann mit Essays, Plänen, Fotos und Besonderheiten auch Zuhause erlebbar gemacht. Für Istanbul werden etwa neun Seiten Tipps gegeben, worin u.a. auch vom Großen Gedeckten Bazar (Kapali Carsi) oder der Yerebatan-Zisterne die Rede ist. Für Palermo findet sich der bekannte Krimi-Autor Andrea Camilleri als Fürsprecher und für Riga wird das Spiel mit dem Stil näher beleuchtet. Denn Riga hat mit rund 800 Jugendstilbauten beinahe so viel Pracht wie etwa St. Petersburg entwickelt, das ebenfalls beschrieben wird und in dem auch das Boeuf Stroganow Rätsel endgültig für alle enthüllt wird.

Geheimtipps von Profis

Extra für diese Edition haben ZEIT-Redakteure ihre persönlichen Geheimtipps verraten, etwa eine romantische Olivenölmühle in Andalusien, die schönste Parkbank in Venedig, der beste Spielplatz in Kopenhagen oder ein angesagter Jazzclub in Paris, also Empfehlungen von Insidern, die es so nur beim ZEIT-Verlag gibt. Das Set besteht aus vier Bestandteilen: ein opulenter Bildband für die Inspiration zuhause, zwei handliche Reiseführer für unterwegs oder einen Stadtbummel und für Erkundungen im Umland sowie eine dekorative Panoramakarte für den großen Überblick.

ZEIT-EDITION »EUROPA NEU ERLEBEN«

52 inspirierende Kurzreisen

ZEIT Verlag

€ 79,95


Genre: Reiseführer
Illustrated by ZEIT-Edition

Weitlings Sommerfrische

Multiple Identität

In seinem verschiedentlich als Alterswerk apostrophiertem Roman «Weitlings Sommerfrische» beleuchtet Sten Nadolny das Problem menschlicher Identität mit Hilfe einer Zeitreise, hier sogar in beiden möglichen Varianten, zurück und voraus. Die Identität aber, um die es sich konkret handelt, die des Protagonisten dieser Geschichte, ist so stark autobiografisch inspiriert, dass sich unwillkürlich die Frage aufdrängt, ob die vom Autor gewählte Form der philosophischen Zeitreise in beide Richtungen für die Aufarbeitung der eigenen Biografie und für den beabsichtigten Erkenntnisgewinn beim Leser wirklich optimal ist.

In den ersten beiden der neun Kapitel dieser Geschichte berichtet ein auktorialer Erzähler von dem pensionierten Richter Dr. Wilhelm Weitling aus Berlin, der am Chiemsee in einem angemieteten Sommerhaus den wohlverdienten Ruhestand genießt. Bei einem Segeltörn mit seiner Plätte, einem zum Segelboot umgebauten Fischerkahn, gerät er in einen Sturm und kentert, ein Blitz schlägt in seiner Nähe ein. Im dritten Kapitel wechselt abrupt die Erzählperspektive, der sechzehnjährige Willy wird 1958 mit seinem manövrierunfähigen Boot im Sturm an das Ostufer des Chiemsees getrieben. «Wenn es Gott gäbe, hätte er bei dieser Rettung die Hand im Spiel gehabt». Der das denkt ist aber nicht Willy, «sondern nach wie vor der alte Mann aus Berlin, aber für andere unsichtbar, Geist ohne Physis, gekettet an einen Sechzehnjährigen aus Stöttham bei Chieming». Das Trauma durch den Blitz hat Weitling in die Vergangenheit zurückgeschleudert.

Was folgt ist eine Zeitreise an der Seite von Willy als Pennäler, den er unsichtbar mehrere Monate lang durch sein Leben begleitet und dabei wieder auf seine Eltern trifft, auf seine Jugendliebe. Er kann aber keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen und bleibt passiver Beobachter des Geschehens. Mit der Zeit weicht Willys Leben von Weitlings Erinnerung immer mehr ab, besonders gravierend erscheint dabei dessen Berufswahl, denn Willy will Schriftsteller werden, nicht Volljurist. Als Weitling glaubt, im Chiemsee die goldene Patrone gefunden zu haben, mit der General Patton 1945 persönlich den Führer erschießen wollte, die ihm aber dort aus der Hosentasche gefallen war und im See versunken ist, worauf hin er wütend in den See uriniert habe, da befördert das ungestüme Lachen über diese kuriose Anekdote Weitling wieder in die Gegenwart. Zu seinem Erstaunen aber in die abweichende Vita von Willy, er ist nicht mehr Richter und kinderlos, sondern Schriftsteller und inzwischen sogar Großvater, seine Identität hat sich geändert. Als zwei Jahre nach seiner Rückkehr aus der Vergangenheit seine Enkelin ihm nachts als Geist erscheint, als 68Jährige aus dem Jahr 2072 in die Gegenwart des Jahres 2012 zurückgekehrt, unterlässt er es bewusst, sie über die Zukunft auszufragen.

Nadolny erzählt seine phantastische Geschichte mit ihrem komplizierten Szenario in einem ruhigen, fast schon betulichen Ton mit einfach strukturierten Sätzen. Derart bedächtig, als wolle er «Die Entdeckung der Langsamkeit», den Titel seines erfolgreichsten Romans also, hier stilistisch tatsächlich mal realisieren. Das gemächliche Tempo des Plots nimmt gegen Ende geringfügig an Fahrt auf, ohne je thrillerartig zu werden, wobei die rätselhafte Geschichte über eine multiple Persönlichkeit durchaus selbstkritisch und mit unterschwelliger Ironie erzählt wird. Man kann diese «Versuchsanordnung» zur eigenen Identität, wie Nadolny selbst sie bezeichnet hat, als angenehm uneitle Autobiografie lesen, in der er mehr oder weniger sinnreiche philosophische Einsprengsel aus seiner eigenen Gedankenwelt verarbeitet hat. Der große Lesegenuss wollte sich bei mir trotz allem aber nicht einstellen, zu absurd, zu verkopft empfand ich diese Geschichte, zu wenige Emotionen weckend oder gar Empathie aufbauend. Zeitreise und multiple Identität als Vehikel einer Autobiografie zu benutzen erscheint mir nach dieser Lektüre tatsächlich suboptimal.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Piper Verlag München

Die Tyrannei des Schmetterlings

Die Tyrannei des Schmetterlings

Frank Schätzing erzählt in seinem Roman »Die Tyrannei des Schmetterlings«, wie ein Provinzpolizist eine geheime Forschungsanlage entdeckt, in der ein Hightech-Konzern eine lernfähige künstliche Intelligenz (KI) entwickelt hat, die außer Kontrolle geraten ist. Dabei gerät allerdings vor allem Schätzings Roman außer Kontrolle.
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Genre: Dystopie, Science-fiction
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Aquarium

Unwiederbringlich

Der in Alaska geborene Schriftsteller David Vann thematisiert auch in seinem zweiten, auf Deutsch erschienenen Roman «Aquarium» wieder gestörte Familienverhältnisse, die er erzählerisch hart, fast brutal zuweilen, aufdeckt und demaskiert, unübersehbar beeinflusst durch eigene Lebenserfahrungen. Wobei er hier, anders als bisher, der Düsternis seiner abgründigen Geschichte durch ein unerwartetes Ende überraschend eine eher versöhnliche Note gibt. Wie stilsicher der amerikanische Autor vorgeblich zu schreiben vermag, ergibt sich aus seinem Statement in der Financial Times vom 22. April 2017, er überarbeite keine Zeile seines Manuskriptes. Man darf als stilistisch orientierter Leser, zu denen ich mich unbedingt auch zähle, also gespannt sein auf das sprachliche Niveau dieses Romans.

Die problematische Familie besteht hier aus einer allein erziehenden Mutter Mitte dreißig mit ihrer zwölfjährigen Tochter Caitlin, deren Lieblingsbeschäftigung schon im Romantitel steckt, sie hat eine Dauerkarte für das Aquarium von Seattle. Dort wartet sie nach der Schule oft stundenlang auf ihre Mutter, die sie abends mit dem Auto abholt. Bei ihrem schlecht bezahlten, harten Job im Hafen aber, – anstrengende Verladearbeiten im Freien zwischen Containern und Kränen -, muss die Mutter häufig länger arbeiten und kommt oft erst spät zum Aquarium. Die beiden leben in prekären Verhältnissen, in einer heruntergekommenen kleinen Wohnung ohne jeden Komfort. Aber sie sind glücklich miteinander, sie lieben sich inniglich. Zu Beginn des Romans taucht ein neuer Lover der Mutter auf, Steve, ein lustiger, Mundharmonika spielender IT-Experte. Im Aquarium lernt das junge Mädchen schließlich einen alten Mann kennen, der ihre Begeisterung für die Fische teilt, stundenlang stehen die Beiden nun jeden Nachmittag dort und beobachten staunend die unglaubliche Vielfalt der Meeresbewohner. Als die Mutter von dieser neuen Freundschaft erfährt, wittert sie einen Kinderschänder in dem alten Mann und schaltet die Polizei ein.

Unglaublich raffiniert rollt David Vann hier ganz allmählich eine abgründige Familiengeschichte vor dem Leser aus, die zwanzig Jahre zurückliegt und deren bisher niemals verarbeitete, fürchterliche Tragik nun umso schlimmer wiegt. Man kann das damals Geschehene nicht rückgängig machen, man kann das Ungeheuerliche auch niemals verzeihen, darin liegt das Beklemmende von Vanns Story, ein unlösbares Dilemma seiner Protagonisten. Das aus der Ich-Perspektive der Zwölfjährigen schonungslos erzählte Ungeheuerliche wird immer wieder durch berührende Szenen der kindlich naiven Begeisterung für das Aquarium aufgebrochen. Dem besonders in der zentralen Schlüsselszene brutal zum Ausbruch kommenden Wutexzess, alles beherrschendes Element dieser spannenden Geschichte, werden damit also sanfte Töne abmildernd gegenüber gestellt.

Sprachlich ist der Roman den verbalen Ausdrucksmitteln seiner kindlichen Ich-Erzählerin angepasst, mit leicht lesbaren, kurzen, einfach strukturierten, gleichwohl metaphernreichen Sätzen. Angenehm gewürzt zudem mit einer kräftigen Prise Ironie, die vor allem in den stimmigen Dialogen zum Ausdruck kommt. Die wenigen Figuren sind glaubwürdig angelegt, es entsteht schnell Empathie zu ihnen. Lobenswert ist auch die scharfe Beobachtungsgabe des Autors, die sich besonders in den Aquarium-Szenen artikuliert. Der durchaus antiken Tragödien gleichende, familiäre Konflikt um Schuld, Vergebung, Wiedergutmachung, um Aufopferung und Liebe wird in diesem Roman bewundernswert locker, fast lässig verbalisiert. In bester amerikanischer Erzähltradition unterhaltend, immer zweckmäßig, geradlinig, ohne Schnörkel, ohne Pathos. Gleichwohl steuert diese Geschichte zielsicher auf eine Katharsis hin, -«Unwiederbringlich» lautet das fontanesche Stichwort -, auf ein kleinbürgerliches Idyll auch noch, womit David Vann denn doch recht konventionell bleibt, ein zeitgenössischer Autor also, der sich nichts traut, kein postmoderner.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Berlin

Hargard

Symptom der Schwellenzeit

Als jüngstes der fünf Prosawerke des Schweizer Dramatikers und Schriftstellers Lukas Bärfuss erschien 2017 der Roman «Hagard», dessen kryptischer Titel auf die Falknerei verweist und einen schwer abzurichtenden Beizvogel bezeichnet. Erzählt wird die Geschichte eines urplötzlich zum Stalker mutierten Immobilienmaklers, der Zeit und Raum vergessend einer fremden jungen Frau in pflaumenblauen Ballerinas folgt und damit unentrinnbar in eine zunehmend bedrohlicher werdende Spirale des existentiellen Verfalls gerät. Als Szenario des Untergangs ein rätselhaftes Phänomen, dem Bärfuss in wechselnder Konstellation auch in anderen seiner Werke nachspürt.

Dramaturgisch geschickt steigert der Autor die Spannung seines Plots, indem er den zunächst harmlos scheinenden, männlichen Jagdinstinkt seines Helden immer mehr in Richtung eines beängstigenden Verfolgungszwangs fortentwickelt. Im Gedrängel einer Schweizer Großstadt folgt der Endvierziger aus einer erotisch inspirierten Laune heraus besagter junger Frau, nachdem er in einem Café vergeblich auf einen Kunden gewartet hatte. Was als Spiel mit dem Zufall beginnt, bei dem jederzeit ein vorschnelles Ende möglich bleibt, entwickelt sich hier allmählich zu einer Flucht aus dem Terminkalender, zu einer Obsession, in die sich Philip zunehmend rigoroser hineinsteigert. Immer absurder, immer surrealer reihen sich die Stationen dieser Verfolgungsjagd aneinander, gerät der manisch getriebene Held in groteskere Nöte. Er verwahrlost zusehends, irrt als Schwarzfahrer ohne Geld schmutzig und hungrig, zuletzt mit nur noch einem Schuh, seiner namenlosen Lichtgestalt hinterher. Er hat sie nicht angesprochen, und trotz aller Bemühungen hat er bisher noch nicht einmal ihr Gesicht gesehen, immer wieder sieht er sie nur von hinten oder aus weiter Ferne, – eine deutlich allegorische Anspielung.

Diese für den Helden ruinöse Hatz spiegelt in ihrer Sinn- und Ziellosigkeit treffend unsere gesellschaftliche Realität wieder. Dem Zeitkolorit dienend sind beiläufig diverse aktuelle Ereignisse in die Geschichte eingebaut, die Vogelgrippe zum Beispiel oder die Krimkrise. Geradezu leitmotivisch wird häufig auch das ungeklärte Verschwinden der Boeing der Malaysia Airlines am 8. März 2014 im Pazifik erwähnt. Der ebenso spannende wie bedrückende Roman stellt eine scharfsinnige Zivilisationskritik dar, in der aufgezeigt wird, wie durch einen fragwürdigen Impuls ein den gesellschaftlichen Notwendigkeiten perfekt angepasstes Leben unversehens total aus der Bahn geworfen werden kann, womit auf beängstigende Weise auch viele unserer fragwürdigen Gewissheiten zerstört werden. Die anderthalb Tage dauernde Story jedenfalls endet, wie nicht anders zu erwarten nach der erzählerischen Tonlage, tragisch für den Antihelden.

«Seit viel zu langer Zeit versuche ich, Philips Geschichte zu verstehen» lautet der erste Satz des Romans, – so manchem Leser wird es ähnlich ergehen! Verstörend fand ich die wechselnde Erzählhaltung, die leicht durchschaubar mit der scheinbaren Ahnungslosigkeit eines voyeuristischen Autors kokettiert. Einerseits nämlich schwadroniert da ein kulturkritischer Ich-Erzähler mit allerlei fragwürdigen Einlassungen, – recht betroffen scheinend -, über soziale Wirklichkeit, andererseits wird mit kritischer Distanz im Er-Modus von der fixen Idee eines vermeintlich Unbekannten erzählt, von dessen Geschick dann eher satirisch gefärbt berichtet wird. Die Abfolge der geisterbahnartigen Szenen jedenfalls erscheint slapstickartig aneinander gereiht, eine unpassende Leichtfüßigkeit, mit der das durchaus ernste Anliegen des Romans immer wieder störend konterkariert wird. Stilistisch zweifellos auf hohem Niveau, gelingt es Lukas Bärfuss leider nicht, seine literarische Intention halbwegs plausibel mit der Wahrheit in Einklang zu bringen, wenn er über die Brüchigkeit des modernen Lebens schreibt, – Symptom einer typischen Schwellenzeit übrigens, nach Einschätzung des streitbaren Autors.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Wallstein Göttingen

Lektüreschlüssel Steppenwolf

Lektüreschlüssel Steppenwolf

Steppenwolf. Die erste Auflage seines wohl bekanntesten Romans erschien im Mai 1927, kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag. Tatsächlich beruht die Handlung teilweise auf Erlebnissen des Autors in Basel und Zürich, weswegen Steppenwolf auch gerne als „Seelenbiographie“ des Dichters gelesen wird, da auch dieses Werk autobiographisch geprägt ist. Der Protagonist Harry Haller ist auf der Suche nach seiner Identität und hin- und hergerissen zwischen seinem Bedrüfns nach bürgerlichen, geselligen Leben und seinem „animalischen, steppenwölfischen Trieben“, wie es in der Einleitung zu diesem Lektüreschlüssel des Reclam Verlages heißt.

Perspektivenwechsel in Erzählstruktur

Entscheidend für ihn wird dann die Begegnung mit Hermine, einer femme fatale, die mit ihrem Freund Pablo, einem Jazz-Saxophonisten, für Harry ein Theater aufführt, das ihn auf eine lange Reise voller Trugbilder und Täuschungen mitnimmt. Der Roman ist in drei Teile gegliedert, dem Vorwort des Herausgebers, Harry Hallers Aufzeichnungen und dem „Tractat vom Steppenwolf“, der das in der Ich-Form geschilderte Geschehen versucht zu objektivieren. Damit hat Hermann Hesse auch eine besondere Technik des Erzählens erfunden, das man heute auch als Perspektivenwechsel von Filmen her kennt.„Steppenwolf“ ist einer von Hermann Hesses bekanntesten und erfolgreichsten Romanen.

Lektüreschlüssel bei Reclam

Die vorliegende Publikation hält sich an die Regeln der Lektüreschlüssel des Reclam Verlages und helfen bei der Vorbereitung auf Unterrichtsstunden, Referate, Klausuren und Abitur. Die Publikationen Lektüreschlüssel des Reclam Verlages präsentieren sich mit neuen Inhalten und in neuer Gestalt − differenzierter, umfangreicher, übersichtlicher und das mit Hilfe von präzisen Inhaltsangaben zum Einstieg in den Text, klaren Analysen von Figuren, Aufbau, Sprache und Stil, zuverlässigen Interpretationen mit prägnanten Textbelegen, Informationen zu Autor und historischem Kontext, didaktisch aufbereiteten Info-Graphiken, Abbildungen und Tabellen und aktuellen Literatur- und Medientipps. Als ganz neue Elemente kommen hinzu: Prüfungsaufgaben und Kontrollmöglichkeiten sowie zentrale Begriffe und Definitionen als Lernglossar.

Der Steppenwolf von Hermann Hesse: Lektüreschlüssel mit Inhaltsangabe, Interpretation, Prüfungsaufgaben mit Lösungen, Lernglossar. (Reclam Lektüreschlüssel XL)
Von Georg Patzer
Broschiert. Format 11,4 x 17 cm
147 S. 5 Abb.
ISBN: 978-3-15-015472-4
7,40 €


Genre: Roman
Illustrated by Reclam Verlag

Justice League

Die Gerechtigkeitsliga von DC

Justice League: Die Gerechtigkeitsliga von DC. Noch nie hat es ein derart umfassendes Werk über die Justice League gegeben, dem größten Superhelden- Team des DC-Universums. Großartige Autoren und Künstler wie Gardner Fox, Dick Dillin, Grant Morrison, Mark Waid, Howard Porter, Geoff Johns und Bryan Hitch hinterließen hier ihre Spuren. Diese Anthologie beinhaltet eine Auswahl der wichtigsten Storys und bringt umfangreiches Informationsmaterial! Eine Auswahl der wichtigsten Storys aus über 50 Jahren! Über 400 Seiten stark! Umfangreiches Bonusmaterial!

Bombastische Schlachten in Cinemascope

Der vorliegende Band beinhaltet einige der Höhepunkte aus der langen Historie der glorreichen Justice League, die in bombastischen Schlachten immer wieder die Erde vor außerirdischen Eindringlingen und Superschurken schützte. Anfangs –im Golden Age – waren es noch die „Glorreichen Sieben“ aus Superman, Wonder Woman, Batman, Green Lantern, Flash, Hawkman und Dr. Fate, die Justice Society of America. Im Silver Age wurde dann die Justice League of America daraus, bei der auch der kleine Atom schon kräftig mitmischte. Jetzt waren es auch wieder Sieben: Superman, Wonder Woman, Batman, Green Lantern, Flash, Martian Manhunter und Aquaman, allerdings glänzten Superman und Batman anfangs vor allem durch Abwesenheit. Sie hatten wohl anderes zu tun. Green Arrow kam als Neuling dazu, ebenso Atom und Hawkman. Ihre Zuflucht war ein Hafenstädtchen namens Happy Harbor, wo sie ihre geheimen Treffen organisierten. Gegner: Starro, Dr. Light,Kanjoar Ro, Amazo und das Crime Syndicate of America von der Parallelerde des sog. Multiversums. Als die Justice Society of America in „Justice League of America 21-22“ einmal auf die Justice League  stieß, beschloss man allerdings erstere auf der Parallelwelt Erde-2 anzusiedeln, um zu viele Widersprüche zur Kontinuität dadurch wettzumachen.

Superhelden vs. Superschurken

In ihrer ersten Episode kämpfen die Glorreichen Sieben gegen Starro, den Eroberer und was da so martialisch klingt ist in Wirklichkeit ein wildgewordener Seestern, der noch dazu „Star-ro“ heißt, also vom englischen Wort für Stern. Aus diesem Grund spielt natürlich auch Aquaman eine besondere Rolle, schließich ist die Wasserunterwelt sein Herrschaftsbereich. Im zwieten Teil der vorliegenden Anthologie wird die sog. „Satelliten-Ära“ der JLA mit einigen Episoden illustriert, darunter etwa die bahnbrechenden Geschichten von Dennis O`Neill, der Manhunter und Wonder Woman rausschmiß und dafür Black Canary, Red Tornado und Hawkgirl sowie Firestorm und Elastoman oder der Magierin Zatanna aufnahm. Auch die Autoren Steve Englehart und Gerry Conway setzten die Modernisierung der JLA fort. In der Satellitenära kämpfte die JLA u.a. gegen die Secret Society of Super-Villains. Allerdings wurde die Serie Justice League of America im April 1987 eingestellt und es folgte die „Slapstick-Liga“-Version, wie der dritte Teil in vorliegender Anthologie locker genannt wird. Die neue JLA sei eine „Sitcom im Superhelden-Gewand“ in der sich Wortwitz und Slapstick-Humor abwechselten und der Kampf gegen Superschurken nur mehr zur Routine gehörte. Der Zeichner Kevin Maguire tat sich in dieser Phase der JLA-Geschichte besonder hervor, da sein feiner Strich die Serie nun zu einem Überraschungserfolg machte. Die numehrige Justice League International brachte nicht nur Oreo-Kekse (vegan) unter die Leute, sondern hatte auch Botschaften in vielen Ländern, ähnlich der UNO.

Justice League: ein Fest für Freunde

Der vierte Teil, „Pantheon“ widmet sich wiederum vor allem Grant Morrisons Interpretation der JLA, denn er sah in ihnen nichts anderes als modernisierte griechische Götter: Superman als Zeus, Batman als Hades, WW als Hera, Flash als Hermes und Aquaman als Poseidon. Eine einleuchtende Allegorie eigentlich. Er war es auch, der aus Aquaman, dem einstigen Sonnenblondel, einen grimmigen Piraten machte, wie er uns aus der Verfilumg „Justice League“ (R: Zack Snyder, 2017) bekannt wurde. Der fünfte Teil, „Neue Horizonte“, ab 2009 im Fokus der Öffentlichkeit, ersetzt Martian Manhunter durch Victor Stone alias Cyborg, einer der wenigen schwarzen Superhelden, der uns ebenfalls aus der Verfilumg hinlönglich bekannt sein dürfte.

JUSTICE LEAGUE ANTHOLOGIE
2017, Hardcover, 436 Seiten
Autoren Gardner Fox/Len Wein/Grant Morrison/Mark Waid u.a.
Zeichner Mike Sekowsky/Dick Dillin/Howard Porter/Bryan Hitch u.a.
Storys: The Brave and the Bold 28, Justice League of America 4, 105-106, 135-137
200, Justice League America 1, JLA 5, 50, Justice League of America 0, Justice League 13-14
Panini comics
34,99 €


Genre: Comic
Illustrated by Panini Comics

AVENGERS – die ruhmreichen Rächer

Avengers – die ruhmreichen Rächer

Avengers – die ruhmreichen Rächer von Marvel. Diese Best-of-Anthologie entführt alle Sammler und Fans, aber auch alle Neuleser auf eine Zeitreise. Auf der geht es einmal quer durch die Historie der Avengers und des Superhelden-Comics: Mit der Entstehung der Avengers, ihren größten Schlachten gegen Ultron und Thanos, und den Momenten, in denen für das Team eine neue Ära begann! Mit einsteigerfreundlichen Artikeln zu allen Storys und zur Welt der Avengers. Der große Best-of-Band mit den Meilensteinen der Avengers-Historie! Mit vielen Hintergrund-Artikeln zu den Storys und den Avengers! Für Sammler, Filmfans, Neuleser und Quereinsteiger!

Exklusiv: Nur auf Deutsch

Seit 1963 – also drei Jahre nach der DC Justice League of America – haben sich Marvel Helden unter dem Namen Avengers (dt.: die Rächer) vereinigt. Die hier exklusiv für den deutschen Markt zusammengestellte Anthologie oder Best-of-Band enthält sog. „Meilensteine der Avengers-Historie und der Comic-Geschichte“. Eine Zeitreise über 350 Seiten, die zeigt, wie oft sich die Zusammensetzung der Teams verändert hat und natürlich auch die stilistische Entwicklung amerikanischer Superhelden-Comics in Schrift, Bild und Größenordnung entwickelt hat. Der Bogen wird dabei von den Schöpfern Stan Lee und Jack Kirby über Kurt Busiek und George Pérez bis hin zu Brian Michael Bendis und Bryan Hitch gespannt.

Anthologie: historischer Rückblick

Die erste Geschichte von Lee/Kirby mit der alles begann ist konsequenterweise in vorliegender Anthologie abgedruckt und eröffnet den Marvel-Mythologie-Reigen mit dem Donnergott Thor, Tony Stark alias Iron Man und Hank Pym besser bekannt als Ant-Man. Auch Hulk und Wasp spielen eine Rolle, aber treibende Kraft ist Loki, der von Göttervater Odin wie ein Sohn großgezogen wurde, obwohl er von einem Riesen (den Erzfeinden der Asgardianer) abstammt. Erst im vierten Heft stoßt auch Captain America zu den Helden. In der zweiten Geschichte der vorliegenden Anthologie wird auch Vision vorgestellt, ein Held, der „wie ein gewaltiger Raubvogel in die Lüfte schwebt“. Auch die hohe Literatur findet Eingang in diese Story: es wird ein Gedicht von P.B. Shelley zitiert, das sich Ozymandias nennt und von der Vergänglichkeit allen menschlichen Strebens handelt. In der dritten Geschichte geht es um einen stellaren Genozid und die Einsamkeit des Lord Chaos (Thanos), der die Vergeudung seines Lebens und seine unerfüllte Liebe auf ewig in eeinem Steingefängnsi, dem „Granit seiner eigenen Verderbtheit“ beweinen muss.

Avengers: Viele Extras für Fans

Anderen Superschurken geht es auch in den weiteren Geschichten an den Kragen: neben Loki und Thanos gehören auch Kang, Ultron, Hydra, Aim ,Red Skull, Norman Osborn und die Masters of Evil zu den Widersachern der Avengers. Im vorliegenden Band befindet sich eine komplette Liste aller Bösewichte und Gutmenschen mit denen es die Avengers je zu tun hatten, natürlich bunt illustriert und vor schönem Hintergrund. Auch die verschiedenen Konstellationen und Bündnisse der Avengers werden im Mittelteil des Bandes ausführlich erklärt und illustriert, sowie Informationen über alle Blockbuster-Helden veröffentlicht. Ein Beitrag zur Chronologie der Avengers und ihrer Chronisten schließt diese wunderbar kompakte Anthologie ab, die einen guten Überblick über das Marvel-Universum und darüber hinaus verschafft.

AVENGERS: DIE RUHMREICHEN RÄCHER – DIE AVENGERS-ANTHOLOGIE
2018, Hardcover, Seiten 364
Autoren Stan Lee/Roy Thomas/Jim Starlin/Kurt Busiek
Zeichner Jack Kirby/John Buscema/Bryan Hitch/George Pérez
Storys: Avengers (1963) 1, 57, 211, 223, Avengers Annual 7, Marvel 2-in-1 Annual 2, Avengers (1996) 1, Avengers (1998) 1, Avengers Finale, New Avengers Finale
Paninicomics, Aus der Reihe „Avengers“: AVENGERS 21 AVENGERS 22
35,00 €


Genre: Comic
Illustrated by Panini Comics

Weit über das Land

Warum nicht?

Auch in dem Roman «Weit über das Land» greift der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm erneut seine Thematik des spontanen Ausbruchs aus der Normalität des Alltags auf. Anders aber als in der inflationären Aussteiger-Literatur geht es bei ihm nicht um den Traum von der einsamen Südseeinsel oder der Holzhütte in Alaska, seine Helden entfliehen dem Alltagstrott und dem sozialen Geflecht, in dem sie sich gefangen fühlen. Es geht also nicht um ein Paradies an fernen Horizonten, der Autor widmet sich vielmehr der Frage, ob ein einmal eingeschlagener Lebensweg mit all den gesellschaftlich als erstrebenswert angesehenen Ausformungen letztendlich wirklich das ist, was zählt im Leben, was der menschlichen Existenz einen Sinn zu geben vermag. Ein hochinteressantes Thema also, dem literarisch beizukommen jedoch äußerst schwierig ist.

Nach der Rückkehr von einer Urlaubsreise mit den Kindern, die Koffer sind noch nicht ausgepackt, sitzt Thomas auf der Holzbank vor dem Haus und trinkt mit seiner Frau ein Glas Wein auf den schönen Urlaub. Nachdem Astrid ins Haus gegangen ist, erhebt sich Thomas, läuft durch den Garten, öffnet leise das Tor und spaziert die Straße entlang Richtung Dorfausgang, – und er kommt nicht mehr wieder. Aus wechselnder Perspektive von Thomas oder Astrid erzählt Stamm stimmig und nachvollziehbar von den ersten Stunden, Tagen, schließlich Wochen und Monaten dieses wortlosen Verschwindens. Es gab keinen Streit, man führt ein gutbürgerliches Leben ohne finanzielle Sorgen, die beiden Kinder sind wohlgeraten und absolvieren ihre Schule ohne Probleme. Astrid informiert nach einigen Tagen vergeblichen Wartens die Polizei, und tatsächlich gibt es ein Lebenszeichen von Thomas, er hat Geld abgehoben und mit seiner Bankkarte in einem Sportartikelladen eingekauft. Doch weder Astrid noch der Polizei gelingt es, diese Spur aufzunehmen und Thomas zu finden. Während die Frau sich erstaunlich gut und irgendwie auch recht gelassen in ihr neues Leben fügt, zieht der ehemalige Steuerberater wie ein fahrender Geselle «Weit über das Land», schläft im Wald oder findet Unterschlupf in Heuschobern und Almhütten. Als sein Geld schließlich verbraucht ist, verdingt er sich immer wieder mal für einige Zeit als Gelegenheitsarbeiter. Er bleibt uns, wahrscheinlich aber auch sich selbst, in seinen Motiven bis zum Schluss ein Rätsel, das zu klären der Autor nicht bereit ist, – oder vielleicht auch gar nicht imstande ist. «Das kann doch alles nicht wahr sein» ist immer wieder Astrids einziger Gedanke.

In lakonisch kurzen Sätzen ohne Ironie erzählt Stamm seine völlig unromantische Geschichte eines rigorosen Selbstfindungstrips. Wobei er das Innenleben seiner beiden Protagonisten, die hier so abrupt und endgültig auseinander gerissen werden, psychologisch feinfühlig auslotet und dabei ein dichtes Netz von Möglichkeiten aufzeigt. Realität und Imagination geraten zunehmend durcheinander, der Leser ist gefordert, sich im Labyrinth der angedeuteten Optionen zu bewegen und dabei all seine Intuition kreativ einzusetzen. Wo soll das hinführen, fragt man sich da immer wieder, während man der durchaus stimmigen und anschaulichen Schilderung des zunehmend zeitgerafft erzählten, weiteren Lebensweges der beiden Romanfiguren folgt.

Erschreckende Erkenntnis dieses ungewöhnlichen Ausbruchs aber dürfte dessen Folgenlosigkeit sein, der banale Alltag erweist sich als doppelbödig, die Realitätsebenen verschieben sich zu unplausiblen Traumbildern. Außerdem stellt sich ein gewisses Unbehagen ein, die Moral als Instanz spielt nämlich bei alledem überhaupt keine Rolle, dementsprechend werden die Charaktere als weitgehend emotionslos beschrieben. Während Thomas von der schieren Freude an die Zukunft beseelt ist, führt Astrid ein Doppelleben als angepasste Witwe und Mutter, während sie innerlich komplizenhaft zu Thomas steht, an dessen Tod sie partout nicht glauben will. Und der Frage nach dem «Warum» steht hier die Frage entgegen: «Warum nicht?»

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia-forum.de


Genre: Roman
Illustrated by S. Fischer