Walt Disneys wundervolles Weihnachtsfest

Friedliche Weihnachten? Denkste! Nicht in Entenhausen.

Zur schönsten Zeit des Jahres geht es nicht nur bei Donald Duck chaotisch zu. Aber eben auch bei ihm ist eine “Wilde Weihnacht” angesagt. Weil sich seine Neffen so brav benommen haben, will Donald ihnen als Weihnachtsmann eine schöne Weihnacht bescheren. Aber durch einen dummen Zufall finden die Kinder heraus, dass Donald der Weihnachtsmann ist. Da verlieren sie jeden Glauben an Weihnachten. Derweil hat Dagobert Duck mit ganz anderen Sorgen zu kämpfen: Die Panzerknacker rauben als Weihnachtsmänner verkleidet seinen Geldspeicher aus.

“Karl Käfer” rettet Weihnachten”, indem er eine Idee hat, wie er seinen unter Schnee begrabenen Freunden helfen kann.

“Der Lohn der guten Tat” zeigt Onkel Dagobert in einem ganz anderen Licht: Er will dem Weihnachtsmann wenigstens von einer guten Tat im Jahr berichten können. Auf der Suche nach der guten Tat ist er – ohne es zu merken – ein hilfreicher Engel für andere.

Um ein “Geplatztes Geschäft” geht es bei Mickey Maus und Goofy. Da platzen nicht nur Goofys heißgeliebte Kaugummiblasen, sondern auch ein Spielzeugweihnachtsmann – mit ungeahnten Folgen.

“Viel zu brav” dagegen findet Donald seine Neffen, deren endlos lange Wunschliste der ewig pleite Pechvogel nicht erfüllen kann. Da muss unbedingt eine Provokaktion her, damit sich seine Neffen doch noch daneben benehmen und sein Geldbeutel geschont wird.

“Zwei Hörnchen im Geschenkesack” erleben unfreiwillig turbulente Weihnachten.

“Wasser fürs Weihnachtsfest” muss her – koste es, was es wolle! Denn Donald kann keine Sekunde länger seine deprimierten Neffen ertragen, die sich sehnlichst eine weiße Weihnacht wünschen. Das beschert ihm eine Menge überraschender Abenteuer.

José und Manuel sind bei der armen Witwe Lopéz zum Weihnachtsessen eingeladen. Da aber beide alles andere als mit Geld gesegnet sind, muss eine Idee her. Und José findet: Auch “Gebrachte Geschenke” können Freude bringen!

“Schurken in der Bank” dagegen bringen den Filialleiter in Bedrängnis, sind aber für Donald ein Glücksfall.

“Die Rückkehr des Weihnachtsmannes” ist ein dringendes Anliegen von Mickey, der dem “Jahr 2000 Hype” überhaupt nichts abgewinnen kann. Also greift er dem Weihnachtsmann tatkräftig unter die Arme.

“Gut verpackt ist halb gefunden”, aber eben nur halb, wie Donald auf seiner Geschenkeodysee feststellen muss.

Auf ein “Prima Programm” hofft Rudi am Weihnachtsabend. Er will mit seiner Klarabella einen Horrorfilm anschauen. Aber die ist nicht begeistert.

Um “Das verschwundene Erz” in einer seiner Fabriken macht sich Dagobert große Sorgen. Um den Gaunern auf die Schliche zu kommen, schickt er Donald und dessen Neffen nach Lappland.

“Ein Geschenk für den Weihnachtsmann” ist eigentlich eine nette Idee – aber nicht, wenn sie von Kapitain Hook stammt.

“Besser spät als nie” denkt sich Donald, der kurz vor dem Jahreswechsel noch etwas Besonderes vollbringen will. Aber das ist leichter gesagt als getan.

Humor, Action und der Geist der Weihnacht

Die Sonderausgabe von Weltbild punktet nicht nur mit dem Preis, der um ganze 17 Euro günstiger als der der deutschen Erstausgabe ist, sondern kommt auch noch als Hardcover daher.

Die einzelnen unterschiedlich langen Geschichten selbst versprechen nicht nur Spannung, Action und Humor, sondern transportieren durchaus auch den Geist der Weihnacht: Für andere da sein, selbstlos und hilfsbereit sein, ein Herz für die Armen haben, einen anderen Blickwinkel einnehmen, eine schöne Tradition in Ehren halten, nachhaltig denken.

Aber sie werfen auch die Frage auf: Wie gehe ich damit um, wenn die Kinder entdecken, dass es keinen Weihnachtsmann gibt? Leider wird diese Frage nur aufgeworfen und dann platt damit beantwortet, dass es ihn doch gibt.  Aus der Geschichte hätte man definitiv mehr machen können. Das ist aber der einzige Wehrmutstropfen, denn ansonsten sind die in sich abgeschlossenen Storys amüsant zu lesen. Schön auch, dass ein paar bekannte und ein paar weniger bekannte Figuren des disney’schen Universums ihren Weihnachtsauftritt haben. Das darf ruhig öfter vorkommen.

Fazit

Netter weihnachtlicher Zeitvertreib für Familien.


Genre: Comic
Illustrated by Weltbild GmbH

Der Halbbart

Ein Mythos wird entlarvt

Mit seinem historischen Roman «Der Halbbart» kratzt der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky am Gründungs-Mythos seines Vaterlandes. In Folge der siegreichen ‹Schlacht bei Morgarten› gegen die Österreicher am 15. November 1315 schlossen sich die Kantone Schwyz, Uri und Unterwalden zu einem Bündnis zusammen. Im Roman unterläuft der Autor geschickt die mystische Überhöhung dieses historischen Ereignisses, indem er sie von einem fantasiebegabten Jungen aus dem Dorf erzählen lässt. Dessen maßlose Übertreibungen aber werden von den einfältigen Dörflern geglaubt, ein Mythos wird geboren. Kein Wunder also, dass man dem Autor seine durch diesen narrativen Trick geschickt kaschierte, ironische Sichtweise heute als historische Nestbeschmutzung ankreidet.

Eusebius, ein dreizehnjähriger Bub aus einem armseligen Schwyzer Dorf, den alle nur Sebi nennen, ist zart besaitet und nicht für harte, bäuerliche Arbeiten zu gebrauchen. Als ‹Finöggel› verspottet man ihn, weil er eher mädchenhaft wirkt. Eines Tages, so heißt es, wird er wohl ins Kloster von Einsiedel gehen. Der vaterlos aufwachsende Bub freundet sich mit einem Fremden an, der plötzlich ins Dorf kommt, keiner weiß woher. Er hat auf einer Körperhälfte schwere Verbrennungen, so dass auch sein Bart nur auf einer Seite wächst, weshalb er von allen nur «Halbbart» genannt wird. Der weise, auch als Medicus Rat wissende Mann erzählt dem Sebi viel von den Schrecken draußen in der Welt, aus der er kommt, verschweigt aber aus gutem Grund sein Judentum. Mit Onkel Alessi, einem Haudegen durch und durch, dem im Kampf die halbe Gesichtshälfte verloren ging, erscheint ein Unruhestifter im Dorf. Von dem sich der Halbbart aber nicht anstecken lässt, er erweist sich als äußerst besonnen. Und erfindet ganz nebenbei eine neue Waffe, die als Hieb- und Stichwaffe gleichermaßen verwendbar ist.

Die wird von Sebi dann, aus Halbbart abgeleitet, als Hellebarde bezeichnet. Womit diese aus der Ich-Perspektive von Säbi erzählte, auf historischen Geschehnissen basierende Geschichte endgültig ins Reich der Fabeln abgleitet. «Eine Geschichte hört man immer gern, wenn die Nächte lang sind», heißt es im Roman. Und so wurden sie denn auch damals von übers Land ziehenden, professionellen Geschichten-Erzählern wie der Teufels-Annelie überall verbreitet. Nach getaner Arbeit waren die Dörfler abends nur allzu gerne bereit, den Moritaten zu lauschen und den Gerüchten zu glauben, die mit der Zeit, phantasievoll angereichert, inhaltlich eher Märchen als wahre Nachrichten waren. Auch Säbi zeigt ein großes erzählerisches Talent. Er erzählt begeistert eine blutrünstige Geschichte nach der anderen und träumt davon, später ebenfalls mal damit umherzureisen. In dieser uralten Kultur mündlicher Überlieferungen erweisen sich sogar Geschichten als Waffe, denn sie können einen guten oder schlechten Einfluss ausüben, je nachdem, wie sie erzählt werden. Man kann mit ihnen Wahrheiten verdrehen und Bedeutungen umkehren, heute spricht man von Fake-News und, dümmer noch, auch von alternativen Fakten.

Unwillkürlich wird man beim Lesen dieses viel zu breit ausgewalzten Entwicklungs-Romans aus dem Mittelalter an Umberto Ecos «Der Name der Rose» erinnert wird, – und maßlos enttäuscht. Im Wesentlichen wird im Opus magnum von Charles Lewinsky die durch Sprache ermöglichte Manipulation thematisiert. Nachdenklich werden hier auch religiöse Dogmen in Zweifel gezogen, ohne jedoch ins Moralisieren zu verfallen. Mittelalterlich authentisch aber geht es nicht zu bei alldem, die Figuren scheinen mit ihrer Psyche eher der Jetztzeit zu entstammen. Auch das brutale historische Geschehen wird manchmal einfach passend zurechtgebogen für den langweiligen Plot. Die mit vielen Schweizer Begriffen angereicherte, ebenso naive wie nüchterne Erzählsprache des dicken Buches wirkt mit der Zeit dann nur noch nervig. Sie versucht in gestelztem Tonfall mittelalterliche Unbedarftheit mit modernem Denken zu verschmelzen und scheitert daran.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Diogenes Zürich

Vater und Sohn unterwegs

Eine literarische Nische

Als Jahrhundertroman wird «Vater und Sohn unterwegs» des Schriftstellers Heðin Brú im Heimatland seines Autors angesehen, dem politisch zu Dänemark gehörendem Archipel Färöer im Nordatlantik. Als einer der ersten in Landessprache geschrieben, war der 1940 im Original erschienene Roman identitätsstiftend für die Inselbevölkerung. Erst 1962 wurde er ins Dänische übersetzt, erschien später unter verschiedenen Titeln in den beiden Deutschlands und wurde als erster überhaupt auch ins Englische übersetzt. Wohl hauptsächlich dem ZDF ist es zu verdanken, dass wir ihn nun in neuer Übersetzung direkt aus dem färöischen Original lesen können. Denn Sebastian Guggolz nutzte die 250.000 Euro Preisgeld aus einer Quizshow als willkommenes Startkapital für seinen zu gründenden, ambitionierten Verlag, der sich dann auf Wiederentdeckungen wie diese spezialisiert hat. Bereits sein Titel verrät das Thema des Romans, über das schon Sokrates sagte: «Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern und ärgern ihre Lehrer».

Im Roman haben Ketil, ein archaischen Traditionen verhafteter, siebzigjähriger Fischer, und sein pubertärer, noch zuhause lebender Sohn Kálvur, jüngstes seiner elf Kinder, ihre Probleme miteinander. «Es liegt eine Schule von Grindwalen im Seyrvásfjord» beginnt es gleich furios, die Wale haben sich dorthin verirrt und befinden sich nun in der Falle. Denn die herbeieilenden Fischer versperren ihnen mit ihren Booten den Rückweg ins offene Meer und schlachten sie brutal ab. Ketil und Kálvur helfen kräftig mit bei dieser traditionellen Jagd aller Dorfbewohner, deren gemeinsame Beute danach zu Versteigerung kommt. Der Alte bietet, übermütig und angetrunken nach dem dörflichen Freudenfest, viel zu viel für ein deutlich zu großes Stück Walfleisch. Wieder nüchtern geworden stellt er entsetzt fest, dass er die einige Monate später fällige Rechnung nicht wird zahlen können. Die in ärmlichsten Verhältnissen lebenden Eheleute versuchen nun alles, um bis dahin das benötigte Geld doch noch irgendwie aufzutreiben. So plagt Ketil sich mit Treibholzsammeln, fährt mit seinem längst stillgelegten, uralten Ruderboot nach langer Zeit erstmals wieder zum Fischfang hinaus, spinnt Wolle, aus der seine Frau Pullover strickt und verkauft. Der eher verweichlichte Kálvur hilft ihm aber nur widerwillig, viel lieber schmust er mit der Nachbarstochter. Als er von seinem ältesten Bruder mit ihr im Bett erwischt wird und die Alten fürchterlich schimpfen, lacht der großer Bruder sie nur aus und erinnert sie daran, dass es doch schon immer so war mit den jungen Leuten.

Nichts aber fürchtet Ketil mehr als die Blamage vor den Dorfbewohnern, wenn er nicht zahlen kann. Seine Ehrbegriffe lassen das einfach nicht zu, er betet und hofft auf ein Wunder. Ganz anders seine Söhne, die bis auf Kálvur alle schon verheiratet sind, in festen Häusern wohnen und sich nicht scheuen, Schulden zu haben, sie wollen einfach nur gut leben. Der in den 1930er Jahren angesiedelte Roman spielt sich vor der Kulisse des technischen Umbruchs in die Neuzeit ab. Während Ketil in seinem vermoderten, kaum noch seetüchtigen Ruderboot hinausfährt, brausen die andern längst mit dem Motorboot an ihm vorbei, und wo er mühsam zu Fuß hinläuft, fahren andere bequem mit dem Auto hin.

Heðin Brú spiegelt den Umbruch zur Moderne im Konflikt seiner Protagonisten und gewährt einen ungeschönten Einblick in die längst vergangene Welt auf der kargen, sturmumtosten Schafsinsel im Nordatlantik. In seinem liebevoll erzählten Roman schildert er in einer einfach strukturierten, an Märchen erinnernden Sprache anschaulich das archaische, entbehrungsreiche Leben seiner robusten Figuren. Mit einem hilfreichen Glossar und einem sachkundigen Nachwort liefert das Buch viele nützliche Informationen, die man verständnisfördernd schon vorab lesen sollte. Eine erfreuliche Wiederentdeckung aus einer extrem kleinen literarischen Nische wartet da auf wissbegierige Leser.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Guggolz-Verlag Berlin

Grimms Wörter

Ambivalentes Spätwerk

Es war nicht sein letztes Buch, wie er befürchtet hatte, es folgten noch zwei weitere, mit «Grimms Wörter» hat Günter Grass seinem belletristischen Œuvre noch eine ambivalente «Liebeserklärung» hinzugefügt. Der überbordenden Liebe zum geschriebenen Wort, die hier wortmächtig und sprachverliebt zum Ausdruck kommt, steht erneut eine seiner peinlichen Selbstdarstellungen gegenüber. Eine unverhüllte Eitelkeit, die dem Literatur-Nobelpreisträger und künstlerischem Multitalent wahrlich nicht zur Ehre gereicht. Lange galt er als führender Intellektueller Deutschlands, seine Stimme hatte Gewicht, er hat sich politisch eingemischt wie kein zweiter und oft den Nagel auf den Kopf getroffen. Dieser Roman über die Gebrüder Grimm wäre ohne die selbstverliebten autobiografischen Einschübe ein amüsanter und lehrreicher linguistischer Parforceritt für sprachlich Interessierte. Wäre!

Die Geschichte um das Jahrhundertwerk der begnadeten Philologen Jakob und Wilhelm Grimm beginnt mit dem Rauswurf der «Göttinger Sieben» aus der berühmten niedersächsischen Universität, Jakob wurde sogar des Landes verwiesen. Nachdem Berufungen an andere deutsche Universitäten ausgeblieben waren, bietet sich mit dem Auftrag für ein Deutsches Wörterbuch ein Jahr später endlich für beide die Chance, ihrer inzwischen entstandenen finanziellen Misere zu entrinnen. Von Buchstabe zu Buchstabe und Wort zu Wort hangelt sich Günter Grass durch die deutsche Sprache, deren Ursprüngen und linguistischen Varietäten die gelehrten Brüder mit höchstem wissenschaftlichem Anspruch nachspürten. Eine Mammutaufgabe, wie sich schon bald erweist, es vergehen sechzehn Jahre, bis 1854 der erste Band erscheinen kann. Aus der Feder der beiden Grimms stammen dann noch die Bände bis zum Buchstaben F, den Jakob erarbeitet hat, bevor der Tod auch seinem Fleiß ein Ende setzte. Der große Rest wurde von vielen anderen Wissenschaftlern erstellt, der 32te und letzte Band erschien dann erst 1961. Die Taschenbuch-Ausgabe des dtv von 1999 enthält 320.000 Stichwörter auf 34.824 Seiten.

Mit erkennbarer Lust breitet Günter Grass linguistische Varianten ausgesuchter Wörter und diverse, von den Grimms als Belege angeführte Zitate aus der Literatur vor dem Leser aus. Er ergänzt sie um heutige, neu hinzu gekommene Worte und weist auf die Dynamik hin, der Sprache permanent unterworfen ist. Seine erkennbare Freude an barocken, altertümelnden Sprachformen findet sich auch in anderen Werken von ihm, «Das Treffen in Teltge» nennt er selbst als Beispiel. Aber er weist auch völlig unnötig auf viele andere seiner Werke hin, obwohl er solch plumpe Eigenwerbung als weitaus erfolgreichster deutscher Schriftsteller gar nicht mehr nötig hatte. Noch peinlicher aber sind die vielen einfließenden Reden, Begegnungen, politischen Aktivitäten und verbalen Scharmützel mit der Springer-Presse, durch die er sich in diesem Buch selbst inszeniert. So sehr man seinen Ansichten zu politischen und sozialen Problemen auch heute noch nur zustimmen kann, so sehr sind sie in diesem Roman fehl am Platze, es fehlt nämlich jedweder Zusammenhang mit dem Grimm-Thema. Und anders als bei den Gebrüdern hat seine Aufmüpfigkeit auch nie gravierende Folgen für ihn gehabt, sie hat ihn im Gegenteil auflagesteigernd nur bekannter gemacht.

Größte Stärke des Buches ist sicherlich der virtuose Umgang mit Sprache, hinzu kommt der interessante Einblick in die Entstehungsgeschichte des kolossalen Grimmschen Werkes. Aber auch der historische Kontext mit den vielen prominenten Zeitgenossen jener Epoche, über die da munter fabuliert wird, ist bereichernd. Es gelingt Grass aber nicht, kurzweilig zu plaudern, wie das der von ihm zitierte und bewunderte Theodor Fontane so perfekt konnte, insoweit hat der Roman auch wenig Unterhaltungswert aufzuweisen. Das posthume Herbeizitieren der Grimms zu fiktiven Gesprächen im Berliner Tiergarten, zur gemeinsamen Bootsfahrt gar am Ende, wirkt zudem eher deplatziert als mystisch bereichernd.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Steidl Göttingen

Utopia

Triumph der Vernunft

Das unter dem Namen «Utopia» publizierte Buch von Thomas Morus weist bereits im Titel auf seinen satirischen Charakter hin, ein im Englischen homophones Sprachspiel um die griechischen Begriffe Outopia und Eutopia, deutsch ‹Nichtort› und ‹Glücksort›. Das im Original auf Latein verfasste Werk wurde auf Betreiben seines Freundes Erasmus von Rotterdam erstmals 1516 in den Niederlanden herausgegeben. Morus hatte bei ihm während einer diplomatischen Mission mehrere Wochen als Gast gewohnt und bei dieser Gelegenheit den entscheidenden Teil dieses Werkes geschrieben, das den thematisch zentralen Reisebericht umfasst, hin zu jener unbekannten, wundersamen Insel.

Mit dem später entstandenen ersten Teil fügte der Autor trickreich eine Rahmengeschichte hinzu, in der er in persona als Gesprächspartner eines Seefahrers namens Hythlodeus auftritt. Der erzählt von seinen weiten Reisen und schwärmt insbesondere von der unbekannten Insel Utopia, die südlich des Äquators liege. Morus nimmt dabei, aus gutem Grund, nur die Rolle eines kritischen Gesprächspartners ein, der aus reiner Höflichkeit dem euphorischen Lobgesang nicht widerspricht. Die staatskritische Thematik seines Buches nämlich war sehr gefährlich, er musste deswegen offenbar literarisch deutliche Merkmale einbauen, um das Fiktionale des Ganzen zu betonen. Denn wie sich später zeigte, wurde er als Lordkanzler unter Heinrich VIII wegen Aufmüpfigkeit ja kurzerhand zum Tode verurteilt, – Rübe ab, schon war er Märtyrer, so schnell ging das! Seine vorsorglich manifestierte, ironische Distanz drückt sich bereits im Namen des Seemannes aus, der übersetzt ‹Possenreiter› bedeutet. Andererseits ist Thomas Morus aber auch neugierig und bedeutet Hythlodeus, ihm die gesamte Geschichte von seinem fünfjährigen Aufenthalt in Utopia zu erzählen. Mit seinem ausführlichen Bericht, der den zweiten Teil dieses satirischen Romans bildet, kommt der ‹Possenreiter› diesem Wunsch erkennbar gerne nach.

Geschildert wird ein idealtypisches Staatsgebilde, das man als basisdemokratisch organisierten Kommunismus freier Bürger bezeichnen könnte. Der ganz ohne Geld auskommt, in dem alles allen gehört und jeder gerechterweise das zugeteilt bekommt, was er benötigt. Es gibt also kein Eigentum, aber auch keine Privilegien, alle herausgehobenen Ämter werden, nach einem Rotationsprinzip ständig wechselnd, nur auf Zeit verliehen. Alle arbeiten als Bauern oder Handwerker sechs Stunden am Tag, werden gemeinsam verpflegt und tragen einheitlich eine zweckmäßige Kleidung aus eigener Produktion. Da das viele Gold, das sie besitzen, als Material für sie keinerlei praktischen Nutzen hat, fertigen sie ihr Nachtgeschirr daraus. Es gibt noch viele weitere derart wunderliche Verhaltensweisen und soziale Regeln, dass seit Erscheinen des Buches immer wieder allerlei Deutungen und philosophische Dispute heraufbeschworen wurden über die faszinierende Ideenwelt von Utopia. Unwillkürlich stößt man beim Lesen dieses inzwischen fünfhundert Jahre alten Textes häufig auf Gedanken, die eigentlich naheliegend sind und viele Probleme mit einem Schlage lösen könnten, auch die unserer heutigen Welt. Wenn dem nicht jener aus dem Selbsterhaltungstrieb resultierende Eigennutz unausrottbar im Wege stände. Genau das hatte auch Karl Marx nicht berücksichtigt. Das Glück der Utopier nämlich liegt im Ideellen, nicht im Materiellen. Sie nutzen die reichlich vorhandene Zeit, um den Geist zu bereichern, für alles andere ist ja bestens gesorgt, alle sind gleichermaßen zufrieden mit dem, was sie haben.

Die liebevoll editierte Menasse-Ausgabe von 2004 lässt sich in der Übersetzung von Jacques Laager trotz der anspruchsvollen Thematik sehr flüssig lesen. Dabei hilft zum Verständnis der umfangreiche, erschöpfend Auskunft gebende Anmerkungsapparat. Als zeitloser Klassiker kann man diesen Roman, wie ich es getan habe, auch wiederholt lesen, man wird immer wieder erneut bereichert von diesem utopischen Triumph der Vernunft.

Fazit: erstklassig

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Fazit:   erstklassig   ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Manesse Verlag München

Dorfroman

Märkische Behaglichkeit am Niederrhein

Im Titel «Dorfroman» hat Christoph Peters die Genrebezeichnung seines neuen Buches bereits benannt, Handlungsort ist nämlich ein kleines Dorf am Niederrhein, nähe Kalkar. Und mit dem Ort wird auch gleich die Thematik deutlich, es geht um den Schnellen Brüter, jenen neuen Kernreaktortyp, der in den 70er Jahren an diesem Standort gebaut wurde. Und wie an den anderen Brennpunkten im Kampf gegen die Atomlobby, so entsteht auch in der kleinen Ortschaft ein improvisiertes Lager streitbarer Atomkraftgegner, direkt gegenüber dem Bauplatz des Atommeilers, auf der anderen Rheinseite.

Der in Berlin lebende Ich-Erzähler besucht seine Eltern in Hülkendonck, dem Ort seiner Kindheit, beide sind schon lange im Ruhestand. Bereits bei der Anfahrt mit dem Auto werden beim Anblick vieler vertrauter Plätze manche Erinnerungen wieder in ihm wach. Vieles hat sich zwar verändert, seit er vor dreißig Jahren dieses Kaff verlassen hat, aber manches ist ihm immer noch wohl vertraut. In seinem ehemaligen Kinderzimmer stößt er dann auf all die Dinge, die dort noch immer für ihn aufbewahrt werden, und mit jedem einzelnen verbinden sich irgendwelche Geschichten aus seinem Leben damals. Sein Vater war Meister in einem Betrieb für Landmaschinen, ist in dem bäuerlich geprägten Dorf geboren und kennt fast jeden. Die Mutter stammte aus der Stadt, als Lehrerin aber ist sie hier schon bald ebenfalls eng verwurzelt. Der geplante Bau des Reaktors spaltet die Dorfgemeinschaft nun in zwei Lager. Der Vater des Ich-Erzählers gehört als Kirchenvorstand, anders als seine Kollegen dort, entschieden zu den Reaktor-Befürwortern. Durch ihren Beschluss, das der Kirche gehörende Baugelände nicht zu verkaufen, blockiert eine deutliche Mehrheit im Kirchenvorstand aber den Verkauf, die Auseinandersetzungen im Dorf eskalieren. Die meisten versprechen sich neue Arbeitsplätze, und die Kirchenoberen freuen sich schon auf das viele Geld, mit dem dann auch die uralte Kirche saniert werden könnte.

Der Roman schildert sehr anschaulich das behütete Leben des Helden, das familiäre Zusammenleben, die Nachbarn, Freunde und all die Bauern, die das Dorfleben prägen. Es ist die Zeit des Wirtschaftswunders mit ihrer spießigen Nierentisch-Romantik. Eine geistige Ödnis, zu der vor allem auch ein naiver Katholizismus beiträgt, von dem er sich aber in der Pubertät allmählich immer mehr abwendet. Entscheidend ist dabei Juliane, eine sechs Jahre ältere Aktivistin aus dem benachbarten Protestcamp, in die er sich als fast Sechzehnjähriger unsterblich verliebt hat und mit der er schließlich auch seine Initiation erlebt. Als Schmetterlings-Sammler mit dem schwärmerischen Berufswunsch ‹Tierschützer› á la Grzimek oder Sielmann entwickelt er sich unter Julianes Einfluss zum Atomkraftgegner. Seinem drögen Leben in dörflicher Idylle wird im Roman mit dem ‹Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll› der skurrilen Typen des Protestcamps ziemlich brutal ein alternativer Lebensentwurf gegenüber gestellt. Der Roman lebt vor allem von diesem extremen Spannungsfeld.

Mit seiner ruhigen Erzählweise erinnert der Autor ein wenig an Fontane, anschaulich schildert er das ländliche Milieu einer wohlversorgten Familie aus dem Mittelstand und die Sitten und Gebräuche am Niederrhein. Die Sprache ist der kindlichen Perspektive seines jugendlichen Helden stimmig angepasst, wobei vor allem dessen naive Naturliebe, die ja in krassem Widerspruch steht zum ökologischen Wahnsinn des Atomreaktors, in wunderbaren Naturbeschreibungen zum Ausdruck kommt. Nicht ganz verständlich ist, warum im Roman von Calcar geredet wird, obwohl die kleine Stadt seit 1936 offiziell Kalkar heißt. Und dass der Heranwachsende mit seiner promiskuitiven Geliebten sich selbst unverändert als Kind bezeichnet ist ebenfalls fragwürdig. Von den Figuren wirkt besonders der Vater als ein stimmig beschriebener, kantiger Charakter fontanescher Prägung überaus sympathisch, märkische Behaglichkeit also auch am Niederrhein!

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Luchterhand

Nils. Von Tod und Wut. Und von Mut.

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“Kein Mensch kann den anderen von seinem Leid befreien, aber er kann ihm Mut machen, das Leid zu tragen.” Selma Lagerlöf

Der Leidensweg der Autorin Melanie Garanin beginnt, als ihr Sohn Nils anfängt, lange zu kränkeln und zu fiebern, sodass er ins Krankenhaus muss. Die niederschmetternde Diagnose: Leukämie. Die Familie versucht draufhin alles, um Nils zu retten. Er nimmt sogar an einer Studie teil. Die Blutwerte verbessern sich und die Familie schöpft Hoffnung. Aber Nils’ schlimme Bauchschmerzen wollen nicht verschwinden. Die Ärzte vertrösten die Eltern und verharmlosen Nils’ Schmerzen. Schließlich stirbt der kleine Junge mit nur drei Jahren. Weiterlesen


Genre: Comic, Graphic Novel
Illustrated by Carlsen graphic novel

Norbert und das Geschenk

Norbert und das GeschenkDer Drache Norbert wirkt trotz zwei vorstehender messerscharfer Reißzähne und einem flaschengrünen Schweif, auf dem rote Zacken fackeln, friedlich und freundlich. Der Leser muss ihn einfach liebhaben, diesen Drachen zum Kuscheln, den Ingrid Bürger in Wort und Bild erschaffen hat. Sein erstes Abenteuer besteht der kleine Drache, als er ein Geschenk überbringen möchte. Weiterlesen


Genre: Bilderbuch, Kinderbuch
Illustrated by Graphiti

Die Kunst des Zeichnens – Die große Zeichenschule: praxisnah und gut erklärt

TOPP Die Kunst des Zeichnens Neuauflage 2020

240 Seiten enthält dieses großformatige Hardcoverbuch, das für sich in Anspruch nimmt, praxisnah zu sein und gut zu erklären. Eines vorneweg: Hier wird nicht zu viel versprochen. Die Sätze sind kurz und die Sprache gut verständlich. Die reichhaltige Bebilderung folgt wie der Text einer Art Schritt-für-Schritt-Anleitung und garantiert so die Übersichtlichkeit und das Verständnis. Der einzige Wehrmutstropfen hierbei ist die oftmals sehr kleine Schrift zu den im Vergleich riesigen Bildern, welche der Text eigentlich erklären will.

Der Übersicht dient auch, dass das Buch bei den grundlegenden Dingen anfängt und am Schluss ein extra Kapitel zum Nachschlagen anfügt: Welches Material brauche ich wirklich? Welche Basistechniken sollte ich üben? Wie lerne ich mit den Augen einer Zeichnerin / eines Zeichners zu sehen und das Gesehene zu skizzieren? Was muss ich grundlegend über Anatomie wissen? Wie schraffiere ich? Welches Grundwissen über Perspektiven brauche ich? Welches über Grundformen? Wie plaziere ich Motive? Wie verkürze ich richtig? Wie zeichne ich Licht und Schatten? Wie halte ich Hand und Stift beim Zeichnen? Vieles wird mit Übungsbeispielen vervollständigt.

Ansonsten gleicht der Aufbau dem der Schöpfung und deckt damit fast alles ab, was man zeichnen könnte: Das Buch beginnt mit den Pflanzen, macht bei den Tieren weiter und endet beim Menschen. Einzig das Kapitel “Stilleben und Studien” befindet sich noch vor dem Kapitel “Zum Nachschlagen”.

Bezüglich des Unterkapitels “Aktzeichnen” dominiert allerdings die männliche Sicht. Nachdem ich im Register nachgeschaut habe, stammen die Aktzeichnungen tatsächlich von einem Mann. Das weibliche Model wird recht detailliert nackt von vorne und von hinten mit Gesicht dargestellt (einzig die Scham ist bedeckt), während die einzige Zeichnung eines Mannes in der wenig zeigenden seitlichen Bauchlage mit einem nur angedeuteten, unvollständigen Gesicht und längst nicht so detailliert ausgearbeitet präsentiert wird. Nachtigall, ik hör dir trapsen! Das erinnert mich doch sehr an die Werbung, in der nackte Körper genauso in männlich und weiblich unterteilt werden und man vom Manne grundsätzlich weniger sieht als von der Frau. Vielleicht sollte man grundsätzlich darauf hinweisen, dass sich auch Männerkörper für detailierte Aktzeichnungen eignen…

Gut allerdings, dass nicht nur junge, hübsche Menschen dargestellt werden, sondern alle Altersklassen, wobei aber auch hier Frauen und Mädchen überwiegen. Ein paar mehr Männer und Jungen als Zeichenbeispiele wären für ein ausgewogenes Verhältnis schön gewesen.

Insgesamt aber bekommt man für 18 Euro ein gutes, übersichtliches Buch über fast alle Themengebiete, die sich zeichnerisch darstellen lassen.


Illustrated by frechverlag GmbH / Weltbild

Die Dame mit der bemalten Hand

Esoterischer Kosmos

Forschungsreisen sind in der Literatur ein beliebtes Thema, auch Christine Wunnicke greift es auf in ihrem neuen Roman «Die Dame mit der bemalten Hand». Anders als bei Christoph Ransmayr oder Daniel Kehlmann jedoch geht es bei ihr um kulturelle Werte, steht das west-östliche Missverstehen im Vordergrund der pittoresken Geschichte einer gescheiterten Expedition. Schon das Titelbild deutet mit dem Kometen auf die Astronomie hin. Und wie man im Buch dann erfährt, erkannten europäische Wissenschaftler im Sternbild der Kassiopeia deutlich das Abbild jener ‹Dame› aus der griechischen Mythologie, während östliche darin allenfalls deren ‹bemalte Hand› zu erkennen vermochten.

Auf Anregung eines skurrilen Göttinger Professors und finanziert durch den dänischen König bricht 1764 eine sechsköpfige Expedition in den Orient auf, vornehmlich um Überlieferungen der Bibel durch Funde vor Ort zu verifizieren, aber auch um möglichst viele unbekannte Details über Land und Leute in den besuchten Gebieten zu sammeln. Erzählt wird mit dem Fokus auf Carsten Niebuhr, einem dreißigjährigen Mathematiker aus Bremen, der für die Kartografie und Vermessungen zuständig ist. Als einziger Teilnehmer übersteht er die Strapazen der Reise und bringt allein die nicht sehr ergiebigen wissenschaftlichen Aufzeichnungen der Expedition zurück, – soweit die Fakten. Die darüber hinaus fiktional üppig angereicherte Geschichte lässt den Romanhelden weit über das Ziel Arabien hinausschießen, er landet in Indien und besichtigt die berühmte Flussinsel Elephanta bei Bombay. Die gehört übrigens heute mit ihren in den Fels gehauenen, hinduistischen Tempeln zum UNESCO-Weltkulturerbe. Dort also trifft Niebuhr auf den schon etwas älteren, persischstämmigen Astrolabien-Produzenten Musa aus Jaipur, der eigentlich auch ganz woanders sein wollte und auf dem Weg nach Mekka einen Abstecher hierher gemacht hat. Beide haben das Schiff verpasst, das sie zurückbringen sollte, und sitzen nun fest auf der Insel. Das kleine astronomische Messinstrument, das Musa baut, weckt Niebuhrs Interesse und verbindet beide trotz aller sprachlichen Hürden. Während sie auf ein Schiff warten, das sie irgendwann aus ihrer misslichen Lage befreit, führen sie äußerst anregende Gespräche.

In zwölf Kapiteln wird abwechselnd von den beiden Männern und von ihrem unfreiwilligen Aufenthalt erzählt. Die öde Bettlerinsel wird von einigen armseligen Gestalten in primitiven Hütten bewohnt, es gibt viele Ziegen dort und eine große Affenpopulation. In den wenigen Tagen, die sie dort gemeinsam verbringen, dreht sich ihr Gespräch zunächst um Astronomie. Wobei sie den sprachlichen Hürden durch ein wenig Arabisch und viel Intuition begegnen, um sich einigermaßen verständlich machen zu können. Sie erzählen sich auch gegenseitig von ihrem Leben und den Umständen, die sie hier hergeführt haben, wo sie gar nicht sein sollten. Besonders Musa weiß nach orientalischer Tradition blumig zu erzählen, so manche seiner vielen Geschichten dürfte allerdings seiner lebhaften Phantasie entsprungen sein. Er kümmert sich auch besorgt um Niebuhr, als der, von Fieberschüben geplagt, zeitweise ins Delirium sinkt.

Die Autorin nutzt das babylonisch anmutende, sprachliche Wirrwarr für allerlei eingestreute, linguistische Vergleiche, vor allem aber für das Hinterfragen scheinbarer Gewissheiten auf beiden Seiten. Nicht nur werden da wissenschaftliche Thesen diskutiert, auch kulturelle und religiöse Unterschiede führen zu allerlei von Missverständnissen befeuerten Disputen. All das wird in einer spielerisch anmutenden Weise erzählt, die lebhaft fabulierend vieles in der Schwebe hält und eine schillernde, pittoreske Welt erschafft. Der so entstandene esoterische Kosmos, geradezu das Markenzeichen von Christine Wunnicke, dürfte auch hier wieder nur bestimmte Leser ansprechen, andere hingegen, durch die Platzierung auf der diesjährigen Shortlist des Frankfurter Buchpreises neugierig geworden, aber ziemlich enttäuschen.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Berenberg Verlag

Fackeln im Baumwollfeld


Bei einem gemütlichen Schwätzchen im friedlichsten Kaff von Kansas erlebt Lucky Luke eine faustdicke Überraschung: Er soll Erbe der größten Baumwollplantage Lousianas sein!

“Quatsch!”, denkt Luke und will das Ganze als Scherz abtun. Mrs. Constance Pinkwater aber beliebte ganz und gar nicht zu scherzen, denn sie war ein großer Fan des einsamen Cowboys – inklusive Fanartikel.

Lucky Luke bleibt also nichts anderes übrig, als seine Erbschaft anzutreten. Aber die will er so schnell wie möglich wieder loswerden. Also beschließt er, die Baumwollplantage unter den Arbeitern, ehemaligen Sklaven, aufzuteilen. Die allerdings sind sehr misstrauisch ihrem neuen Arbeitgeber gegenüber. Kein Wunder, haben sie doch alles andere als gute Erfahrungen mit den Weißen gemacht.

Lucky Luke, der nur redliche Absichten im Sinn hat, bekommt es umgehend mit den rassistischen Nachbarn der Plantage zu tun – inklusive Ku-Klux-Klan. Auch die Daltons dürfen nicht fehlen, die mal wieder aus dem Gefängnis ausgebrochen sind. Das könnte eine sehr haarige Angelegenheit für den treffsicheren einsamen Cowboy werden, käme nicht unvermutet Verstärkung: Lukes alter mit allen Wassern gewaschener Kumpel Bass Reeves, seines Zeichens der beste Marshal westlich des Missisippi, eilt ihm zu Hilfe.

Rassismus – ein leider immer noch aktuelles Thema

… wie folgenes Zitat zeigt: “Die neugewählte republikanische Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Georgia verlost ein Halbautomatikgewehr aus ihrem eigenen Bestand. “Verteidigen Sie Ihre Familie, wenn Black Lives Matter/Antifa-Terroristen vor Ihrer Haustür stehen!”, schreibt sie dazu. Anfang September hatte Greene mit der Waffe neben einem Foto von drei demokratischen Kongressabgeordneten posiert, die daraufhin Morddrohungen bekamen, und war dafür von Facebook gesperrt worden. Auf Parler haben den Beitrag innerhalb von fünf Stunden 1,4 Millionen Menschen gesehen.” (Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-11/parler-donald-trump-unterstuetzer-plattform-facebook-twitter-fake-news/seite-2)

Die Gräben zwischen Weißen und Menschen anderer Hautfarben sind in den USA historisch tief verwurzelt. Das nimmt der Comic auf und zeigt auf (schwarz-)humorige Weise, wie Rassissmus und Vorurteile gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe sowohl im sprichwörtlichen als auch im ganz realen Sinn Brände auslösen können. Dabei wird der Titel klug eingesetzt, denn er spielt auf die Serie “Fackeln im Sturm” an, die u.a. ebenfalls den Rassenkonflikt zum Thema hat. Im wörtlichen Sinne wirbelt ein Sturm (ein Hurrikan) den Konflikt im Comic völlig durcheinander, sodass nach dem Sturm ein Neuanfang möglich ist.

Der ist im Westen laut Comic schon gegeben: Im verschlafenen Örtchen Nitchvoga (übersetzt “Siebenschläfer dösen ermattet in der Dämmerung”) sitzen Lucky Luke, ein Cherokee und später Bass Reves einträchtig nebeneinander und halten ein Schwätzchen. Das kommentiert der rothaarige Barkeeper so: “Ein schwarzer Sheriff, der Indianersprachen spricht! Da könnte man glatt an den ‘amerikanischen Traum’ glauben.”

Der wird am Ende des Comics wieder von den Kindern aufgenommen: “Ich will später Marshal werden wie Bass Reeves”, sagt der eine. “Und ich Journalistin”, meint ein schwarzhäutiges Mädchen, das als Oprah vorgestellt wird. “Ich Präsident der Vereinigten Staaten”, wünscht sich ein Junge namens Barack. Da ist er, der Traum, der als “blühende Fantasie” erst einmal wohlwollend von den Familienmitgliedern abgetan wird, sich aber schon im Comic andeutet durch Bass Reeves, den ersten schwarzen Hilfsmarshal. Über Reeves und schwarze und hispanische Cowboys berichtet der Comic im Extra.

Reeves als Comicfigur spielt auf Martin Luther Kings berühmte Rede an: “Ich hatte einen Traum, Luke… Ich habe geträumt, dass die Schwarzen eines Tages ebenso behandelt werden wie alle Amerikaner… Ich habe geträumt, dass sie endlich ‘freier als ihre Schatten’ leben.” Daraufhin erwidert Luke: “Ein schöner Gedanke. Das solltest du dir notieren…”

Beendet wird der Comic durch das amerikanische Spiritual “Let my people go”, das auf den Auszug aus Ägypten, und damit aus der Sklaverei, anspielt. Auch Tom Sawyer und Huckleberry Finn haben unterwegs einen Gastauftritt.

Fazit

Sehr gelungener Comic, der ein hochaktuelles Thema anspricht und nicht mit cleveren Anspielungen spart.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa Media

Annette, ein Heldinnenepos

Leserherz, was willst du mehr?

Mit «Annette, ein Heldinnenepos» setzt Anne Weber der französischen Rebellin Anne Beaumanoir schon zu Lebzeiten ein Denkmal. Die 1923 geborene Ärztin engagiert sich bis heute auf Vorträgen gegen Unheil stiftenden Nationalismus ebenso wie gegen rassistischen und religiösen Fanatismus. Bei einem solchen Vortrag hat die Autorin sie persönlich kennengelernt, ihre Gespräche mit der betagten Dame sowie deren jüngst auf Deutsch erschienene Autobiografie dienten ihr als Vorlage. Für ihr Engagement während der Judenverfolgungen im besetzten Frankreich erhielt die Widerstandskämpferin den von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem verliehenen Ehrentitel «Gerechte unter den Völkern». Dieses Sujet nun wird narrativ in der nicht gerade alltäglichen Form eines Prosagedichtes umgesetzt, was aber, anders als befürchtet, den Lesefluss in keiner Weise stört. Vielmehr wird dadurch ganz subtil das Heldische ihrer Geschichte betont.

Schon als Jugendliche engagiert sich Annette in der kommunistischen Gruppe der Résistance und wird mit allerlei Botendiensten betraut. Bei einer von ihr allein durchgeführten, spontanen Aktion kann sie zwei Juden in letzter Sekunde vor den Nazis retten. Von ihrer Organisation aber wird sie gerügt, weil sie bei ihrem unkoordinierten Alleingang gegen die strengen Sicherheitsregeln für die Untergrundarbeit verstoßen hat. Nach dem Krieg studiert sie, heiratet einen Arzt, mit dem sie drei Kinder hat, und arbeitet als Professorin für Neurologie. Bis sie schließlich Mitte der fünfziger Jahre während des Algerienkriegs Partei ergreift für die von Ben Bella gegründete FLN und erneut in den Untergrund geht. Die hehren Werte der ‹Grande Nation›, liberté-egalité-fraternité, werden damals geradezu mit Füßen getreten, sie unterstützt deshalb ohne Rücksicht auf private und familiäre Interessen den Freiheitskampf. Mutmaßlich durch Verrat fliegt sie irgendwann auf, wird verhaftet und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, kann aber vor Haftantritt nach Tunesien fliehen. Von dort aus ist sie wieder eingebunden in die Befreiungs-Bewegung und nimmt nach Ausrufung der nationalen Unabhängigkeit einen hohen Posten ein im Gesundheitswesen des neuen Staates Algerien. Bis 1965 schließlich durch einen Militärputsch Boumedienne die Macht übernimmt und Annette erneut fliehen muss. Da sie in Frankreich per Haftbefehl gesucht wird, geht sie in die Schweiz, wo sie in Genf bis ins Rentenalter als Leiterin einer neurophysiologischen Klinik arbeitet. Nach der lang erwarteten Amnestie siedelt sie sich schließlich in Dieulefit an, einem kleinen Ort im Südosten Frankreichs, wo sie heute noch lebt.

Annette ist rückblickend im Zweifel, ob sich ihr Einsatz, all ihre Entbehrungen denn wirklich gelohnt haben. Was ihr Engagement für die Résistance anbelangt hat sie keine Zweifel, was aber aus Algerien geworden ist nach der Befreiung, das sieht sie mit Sorge. Und es gibt dort politisch ja auch bis heute keinen Lichtblick, ‹Arabischer Frühling› hin oder her! Am Ende wird Camus zitiert, der die Sache weise zurechtrückt: «Der Kampf, das andauernde Plagen und Bemühen hin zu großen Höhen, reicht aus, ein Menschenherz zu füllen. Weshalb wir uns Sisyphos am besten glücklich vorstellen».

«Es ist atemberaubend, wie frisch hier die alte Form des Epos klingt», schreibt die Jury des Deutschen Buchpreises 2020 in ihrer Begründung zur Preisverleihung. Und in der Tat stellt die Sprache die größte Überraschung dar in diesem untypischen Epos so ganz ohne strahlende Heldin. Ohne Verklärung, aber auch ohne Ironie wird hier locker erzählt, wobei die Erzählerstimme sogar den Klappentext mit einbezieht und amüsante Abschweifungen einstreut: «Kaum ist der Indochinakrieg zu Ende und Frankreich (ohne Annettes Zutun) um eine Kolonie kleiner…» Durch historische Einblicke bereichert, durch eine spannende Geschichte gut unterhalten, durch eine virtuose Sprache höchst erfreut, stellt sich hier die literarische Urfrage: Leserherz, was willst du mehr?

Fazit: erstklassig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Matthes & Seitz

Malé

Wenn ihr so weitermacht

Das neue Buch von Roman Ehrlich mit dem Titel «Malé» erinnert daran, dass der Menschheit neben dem weltweiten Corona-Desaster auch noch die Klimakatastrophe bevorsteht, ein weitaus schlimmeres Menetekel, dessen Auswirkungen unser Leben gründlich umkrempeln wird. In seinem Albtraum-Roman greift der Autor einen unübersehbaren Aspekt der vom Menschen verursachten Erderwärmung auf, das Ansteigen der Meeresspiegel. Und dessen verheerende Auswirkungen legt er am Beispiel von Malé, der Hauptstadt der Malediven, seinem dystopischen Roman als Szenario zugrunde. Darin ist der einstige touristische Sehnsuchtsort, als Staat längst untergegangen, von der Bevölkerung verlassen und dem Verfall preisgegeben, zum Zufluchtsort von allerlei Aussteigern geworden.

Der zeitlich in einer nahen Zukunft angesiedelte Roman handelt von Abenteurern, Utopisten, Weltverbesserern, Zivilisations-Flüchtlingen und auch von Verfolgten, die sich aus vielerlei Gründen dort verstecken, ein Whistleblower ist auch dabei. Dabei ist die Insel als nach außen abgeschlossener Raum ein bevorzugter Platz für Aussteiger und Realitäts-Flüchtige, die in den verfallenen Gebäuden ein alternatives Leben führen wollen. Einige von ihnen hätten, wie sie bekennen, gerne auch im Berlin der Nachwendezeit gelebt, wo bauliche Leerstände zeitweilig zur illegalen ‹Zwischennutzung› dienten. Er könne diesen Eskapismus gut verstehen, hat der Autor im Interview erklärt. Und hinzugefügt: «Die eigentliche Sehnsucht ist die Einschließung. Man will eingekapselt sein und alles an einem Ort haben, um dann Herr über diesen Ort sein zu können. Viele erhoffen sich das auch von der Insel – und je kleiner sie ist, desto besser».

Die Regierung ist durch einen Putsch von bewaffneten Milizen hinweggefegt worden, die «Eigentlichen» haben ihr Hauptquartier auf einem stillgelegten Kreuzfahrtschiff eingerichtet und sind in der Stadt fast nie zu sehen. In dem breit angelegten Figuren-Ensemble gibt es einen Vater, der auf der Insel nach seiner angeblich tot aufgefundenen Tochter sucht, eine bekannte Schauspielerin. Die hatte dort mit einem deutschen Lyriker eine Affäre. Inzwischen ist der Poet aber verschwunden und wird von einer amerikanischen Literatur-Wissenschaftlerin für ihre Forschungen dringend gesucht. Zum skurrilen Personal gehört ferner ein Professor, der als von allen respektierter Führer der Aussteigerclique gilt und in der Wohnung über der Bar «Blauer Heinrich» wohnt. Der Grill «Hühnersultan» dient als beliebter Treffpunkt der auf Malé Gestrandeten. Es gibt ferner eine athletische schwedische Schwimmerin, die nach einem Suizidversuch von ihrem platonischen Verehrer rundum bewacht wird. Sie träumt davon, aus dem am Strand reichlich angeschwemmten Plastikmüll die Basis für schwimmende Inseln zu schaffen, die künftig als Ersatz für die versunkenen Inseln des Archipels dienen sollen.

So lobenswert die Thematik des Romans ist, so zweifelhaft ist dessen narrative Umsetzung. Durch ständige Wiederholungen nerven die Beschreibungen des unsäglichen Chaos auf der Insel schon bald. Müll, Dreck, Ungeziefer, Leichen, Verwesung, Überflutung, und keine der vielen Matratzen in dem Buch ist nicht ‹versifft›. Auch die abenteuerlich benannten Figuren sind grotesk überzeichnet, ihre pathetisch vorgetragenen Lebensgeschichten sind es nicht minder. Halbe Seiten lange Passagen werden zudem wortwörtlich wiederholt, man reibt sich verwundert die Augen, weil man merkt, dass man genau das doch schon mal gelesen hat! Ein Plot ist nicht vorhanden, die Szenen sind fragmentarisch aneinandergereiht. Und alles bleibt vage, nichts wird zu Ende erzählt. Mit seiner eigenwilligen Erzählweise bleibt Roman Ehrlich immer kühl distanziert, man könnte hinter seiner apokalyptischen Szenerie sogar eine versteckte Ironie vermuten, frei nach dem Motto: ‹So könnte es euch gehen, wenn ihr so weitermacht›. Für Ironie aber gibt es keine Anzeichen, er meint es so, wie er es schreibt!

Fazit: miserabel

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Fischer Verlag

Der Goldene Hinkelstein

Wettstreit der Barden

Barde Troubardix will an einem Wettstreit für Barden teilnehmen. Aber der Weg zum Wettbewerb ist lang und gefährlich. Asterix und Obelix werden von Majestix abkommandiert, Troubardix zu begleiten. Nicht umsonst, denn General Eucalyptus will den Sieger des Wettbewerbs entführen lassen. Er soll ihm die Langeweile vertreiben.

Durch ein Missverständnis halten die Römer Troubardix für den Gewinner und entführen ihn. Das können unsere beiden tapferen Krieger natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Sie machen sich auf zum Römerlager Babaorum, um Troubardix zu befreien.

“Ein wiederentdeckter Schatz” (Egmont Ehapa)

Die Geschichte erschien schon 1967 in Form eines Schallplattenbuches (dessen Originalseiten als Extra im Heft abgebildet sind). Deshalb war ich auch überrascht, keinen “echten” Comic in Händen zu halten, sondern die schriftliche Übertragung eines Hörspiels. Dieses bietet der Verlag als Neuaufnahme unter www.asterix.com als solches zum Herunterladen an. Wer Spaß daran hat, kann die Geschichte in verteilten Rollen vorlesen oder ein eigenes Hörspiel aufnehmen; es würde sich auch als Theaterstück eignen, da die Rollen wie bei einem Theaterstück schon vorformuliert sind.

Der Verlag hat im Gegensatz zum Original die Seiten übersichtlicher und damit besser lesbar gestaltet, mit Augenmerk auf großformatige Zeichnungen. Diese sind dem Original entnommen. Als Extra ist die Entstehungsgeschichte des Originals beigefügt. Die Ausgabe gibt es sowohl als Hard- als auch als Softcover.

Die Geschichte selbst ist nicht unbedingt komplex, aber unterhaltsam, wenn auch etwas vorhersehbar. Für Fans eine nette Ergänzung.


Genre: Comic, Hörspiel
Illustrated by Egmont Ehapa Media

Unsere Farben 1


Oberschüler Sora trägt schon lange schwer an seinem Geheimnis: Er ist schwul. Und weil er die negative Reaktion seiner Klassenkameraden auf das Thema Homosexualität kennt, hat er sich dazu entschossen, seine wahre Identität geheim zu halten. Deshalb verschweigt er auch seinem Klassenkameraden Yoshioka, dass er ihn liebt. Selbst seine Sandkastenfreundin Nao weiß nichts von seinen sexuellen Neigungen.

Um im Alltag zu bestehen, hat sich Sora eine Maske aus Ausreden, Schweigen und Lügen aufgebaut. Diese Maske bekommt einen großen Riss, als sein Schwarm Yoshioka mit den anderen Schwule auslacht. Ab diesem Erlebnis ändert sich Soras Leben langsam, aber nachdrücklich. Erst gesteht ihm ein älterer Mann, dass er ihn mag, dann erkennt Sora, dass er ertrinken und ersticken würde, wenn er nicht endlich zu sich steht. Und als er dem älteren Mann in dessen Café folgt, findet er nicht nur neuen Mut, sondern auch ein neues Zuhause, in dem er sein darf, wie er ist.

Homosexualität

Dieser Manga widmet sich endlich dem Thema Coming Out und beschreibt sehr detailiert und einfühlsam, welchen Schwierigkeiten sich ein homosexueller Mensch (nicht nur in Japan, aber dort u.a. besonders) gegenübersieht, wenn er sich outen will. Er beleuchtet Soras Gefühlswelt und seine Maske, sowie die Einsamkeit und das vermeintlich Normale, das so verletzend wirken kann. Es ist ein Enwicklungsmanga, der den Weg Soras zu seinem wahren Ich warmherzig und empathisch nachvollzieht. Soras Schlüsselerlebnis für sein eigenes Comig Out ist das Liebesgeständnis eines anderen Mannes. Das gibt ihm dem Mut, zuerst diesem Mann und dann seiner besten Freundin seine Homosexualität zu gestehen. Er fängt mit Menschen an, die ihn verstehen könnten, und gewinnt dadurch an Sicherheit, mehr Selbstbewusstsein und einen Schutzraum.

Farben

Die Farben spielen in diesem Manga eine wichtige Rolle. Sora und seine Freundin Nao sind in der Kunst-AG. Allein das weckt schon Assoziationen bzgl. eines empfindsamen Menschen. So soll Sora im Café auf einer Wand ein Bild malen. Er fängt an mit den Gesichtszügen Yoshiokas, löscht diese aber wieder. Das spiegelt seine widerstreitenden Gefühle gegenüber seines Schwarms wider. Sora sieht die Welt einerseits mit den Augen eines Künstlers und beschreibt detailiert die Farben des Himmels und des Meeres, die er sieht. Andererseits bilden die Farben den Zustand seiner Gefühle ab. Das führt zu der Farbe Blau und zum Meer. Beides gilt als Symbol des Unterbewussten und der Emotionen. Sora hat das Gefühl, im Meer seiner unterdrückten Gefühle zu ertrinken. Der Himmel beschreibt das Transzendente, aber auch das Gefühl der Freiheit, das Sora letztlich empfinden will.

Es gibt noch eine weitere Komponente: Die Farben des Regenbogens sind u.a. die Farben der Homosexualität. Farben werden in diesem Manga also in die Tiefe gehend und damit vielschichtig eingesetzt.

Aussehen

Im Gegensatz zu den meisten BL-Mangas sehen die Figuren in diesem Manga nicht extrem schön, sondern wohltuend alltäglich aus. Auch Sora, selbst eher unscheinbar, hat sich in einen Mann verliebt, der alles andere als hübsch ist. Auch das vermittelt wichtige Botschaften: 1. Aussehen ist nicht alles. 2. Homosexuelle sind Menschen wie du und ich. Es müsste mehr Mangas geben mit alltäglich aussehenden Menschen.

Der Autor

Gengoroh Tagame ist Mangaka, Art Director und hat Romane geschrieben und illustriert. 2014 veröffentichte er den 4-bändigen Manga “Der Mann meines Bruders”, der für Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Beziehungen wirbt und internationale Erfolge feierte. Tagame bekam dafür u.a. den Eisner-Award. 2018 wurde die Reihe als Fernsehserie adaptiert. Außerdem nahm der Autor an vielen Ausstellungen in Paris, Berlin und New York teil.

Fazit

Einfühlsamer Manga über die Schwierigkeiten, denen sich homosexuelle Menschen im Alltag und beim Coming Out gegenübersehen.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!