Wie viel vom tatsächlichen Leben eines Autors steckt in seinen Romanen? Diese Frage taucht nahezu in jedem Publikumsgespräch mit Autoren auf. Aber auch Literaturwissenschaftler und Rezensenten beschäftigen sich teilweise akribisch und streng wissenschaftlich mit dieser Thematik. Charles Lewinsky hat sich mit seinem neuesten Buch auf Spurensuche im eigenen Werk begeben. Weiterlesen
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Sind Sie das? Eine Spurensuche
Der Halbbart
Ein Mythos wird entlarvt
Mit seinem historischen Roman «Der Halbbart» kratzt der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky am Gründungs-Mythos seines Vaterlandes. In Folge der siegreichen ‹Schlacht bei Morgarten› gegen die Österreicher am 15. November 1315 schlossen sich die Kantone Schwyz, Uri und Unterwalden zu einem Bündnis zusammen. Im Roman unterläuft der Autor geschickt die mystische Überhöhung dieses historischen Ereignisses, indem er sie von einem fantasiebegabten Jungen aus dem Dorf erzählen lässt. Dessen maßlose Übertreibungen aber werden von den einfältigen Dörflern geglaubt, ein Mythos wird geboren. Kein Wunder also, dass man dem Autor seine durch diesen narrativen Trick geschickt kaschierte, ironische Sichtweise heute als historische Nestbeschmutzung ankreidet.
Eusebius, ein dreizehnjähriger Bub aus einem armseligen Schwyzer Dorf, den alle nur Sebi nennen, ist zart besaitet und nicht für harte, bäuerliche Arbeiten zu gebrauchen. Als ‹Finöggel› verspottet man ihn, weil er eher mädchenhaft wirkt. Eines Tages, so heißt es, wird er wohl ins Kloster von Einsiedel gehen. Der vaterlos aufwachsende Bub freundet sich mit einem Fremden an, der plötzlich ins Dorf kommt, keiner weiß woher. Er hat auf einer Körperhälfte schwere Verbrennungen, so dass auch sein Bart nur auf einer Seite wächst, weshalb er von allen nur «Halbbart» genannt wird. Der weise, auch als Medicus Rat wissende Mann erzählt dem Sebi viel von den Schrecken draußen in der Welt, aus der er kommt, verschweigt aber aus gutem Grund sein Judentum. Mit Onkel Alessi, einem Haudegen durch und durch, dem im Kampf die halbe Gesichtshälfte verloren ging, erscheint ein Unruhestifter im Dorf. Von dem sich der Halbbart aber nicht anstecken lässt, er erweist sich als äußerst besonnen. Und erfindet ganz nebenbei eine neue Waffe, die als Hieb- und Stichwaffe gleichermaßen verwendbar ist.
Die wird von Sebi dann, aus Halbbart abgeleitet, als Hellebarde bezeichnet. Womit diese aus der Ich-Perspektive von Säbi erzählte, auf historischen Geschehnissen basierende Geschichte endgültig ins Reich der Fabeln abgleitet. «Eine Geschichte hört man immer gern, wenn die Nächte lang sind», heißt es im Roman. Und so wurden sie denn auch damals von übers Land ziehenden, professionellen Geschichten-Erzählern wie der Teufels-Annelie überall verbreitet. Nach getaner Arbeit waren die Dörfler abends nur allzu gerne bereit, den Moritaten zu lauschen und den Gerüchten zu glauben, die mit der Zeit, phantasievoll angereichert, inhaltlich eher Märchen als wahre Nachrichten waren. Auch Säbi zeigt ein großes erzählerisches Talent. Er erzählt begeistert eine blutrünstige Geschichte nach der anderen und träumt davon, später ebenfalls mal damit umherzureisen. In dieser uralten Kultur mündlicher Überlieferungen erweisen sich sogar Geschichten als Waffe, denn sie können einen guten oder schlechten Einfluss ausüben, je nachdem, wie sie erzählt werden. Man kann mit ihnen Wahrheiten verdrehen und Bedeutungen umkehren, heute spricht man von Fake-News und, dümmer noch, auch von alternativen Fakten.
Unwillkürlich wird man beim Lesen dieses viel zu breit ausgewalzten Entwicklungs-Romans aus dem Mittelalter an Umberto Ecos «Der Name der Rose» erinnert wird, – und maßlos enttäuscht. Im Wesentlichen wird im Opus magnum von Charles Lewinsky die durch Sprache ermöglichte Manipulation thematisiert. Nachdenklich werden hier auch religiöse Dogmen in Zweifel gezogen, ohne jedoch ins Moralisieren zu verfallen. Mittelalterlich authentisch aber geht es nicht zu bei alldem, die Figuren scheinen mit ihrer Psyche eher der Jetztzeit zu entstammen. Auch das brutale historische Geschehen wird manchmal einfach passend zurechtgebogen für den langweiligen Plot. Die mit vielen Schweizer Begriffen angereicherte, ebenso naive wie nüchterne Erzählsprache des dicken Buches wirkt mit der Zeit dann nur noch nervig. Sie versucht in gestelztem Tonfall mittelalterliche Unbedarftheit mit modernem Denken zu verschmelzen und scheitert daran.
Fazit: mäßig
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