Wir Schurken

Peter Sonnbichler ist ein Bewahrer. Er bewahrt kostbare Momente davor, vergessen zu werden, auch behütet er eine Zeit, die erst kürzlich verflossen ist, aber als Epoche – vor dem Handy, dem Internet und der politischen Korrektheit –

Sonnbichler bewahrt so auch das Land vor dem Vergessen, eines, das nicht einzig als Naherholungszone oder Mountainbike-Strecke Wert hat. Weiterlesen


Genre: Erzählungen
Illustrated by edition sonne und mond

Lonely Heart

Lonely HeartBeziehung unter schwierigen Bedingungen

Rosie hat gegen den Willen ihres Vaters eine eigene Webradio-Show aufgebaut, die mittlerweile beim jungen Publikum sehr gut ankommt. Mit ihrer einfühlsamen Art kann sie sogar Stars für ein Interview gewinnen, so auch die Band „Scarlet Luck“. Rosie verbindet mit der Band schon seit Jahren gute Gefühle und hilfreiche Momente, da ihre Musik sie in schwierigen Situationen getröstet hat. Außerdem ist sie Fan von Adam, dem Schlagzeuger der Band. Dementsprechend aufgeregt ist sie, als die Band einwilligt, in ihr Studio zu kommen. Aber dann geht aufgrund eines Fehlers ihrer Assistentin alles schief: Die Band verlässt verärgert frühzeitig die Show und danach prasselt ein nie gekannter Hassstrom auf Rosie ein. Das ist sogar „Scarlet Luck“ zuviel, sodass sie mit Rosie ein Zeichen gegen Hass im Internet setzen wollen. Rosie besucht also ihr Konzert, und die Band macht mit ihr ein Solidaritäts-Foto. Dabei kommen sich Rosie und Adam, der aufgrund eines Traumas keine Berührungen erträgt, ein wenig näher. Adam, ein gebrochener Mann, versucht seine Ängste in exzessiven Konzerten und mindestens ebenso extensivem Alkoholmissbrauch zu ertränken. Aber durch die einfühlsame Rosie gewinnt er allmählich wieder ein wenig Kontrolle über sich. Rosie selbst verliebt sich in Adam und versucht für ihn dazusein. Aber das Leben macht der zart erblühenden Liebe immer wieder einen Strich durch die Rechnung.

Sucht- und andere Probleme

Das Buch enthält zu Recht eine Warnung vor triggernden Inhalten. In diesem Fall sind das Substanzmissbrauch, Depressionen, Panikattacken und die Andeutung von sexueller Gewalt. Deshalb ist für mich nicht nachvollziehbar, warum ein Verlag immer noch auf solch nichtssagende und seichte (kundenfangende) Titel setzt wie „Lonely Heart“, weil das den Inhalt unnötig bagatellisiert und der Qualität des Buches nicht gerecht wird. Solche Titel sind für seichte Bücher in Ordnung, aber seicht ist dieses Buch nicht, da es z.T. bis ins Detail das Leben mit Süchten, Depressionen und Panikattacken beschreibt. Das Buch folgt einem in meinen Augen guten Trend, der anscheinend gerade im Schwange ist: die als trivial angesehene Frauenliteratur aus der Nische der Trivialität herauszuholen, indem es u.a. Romantik und Livestyle mit ernsten Problemen koppelt – so wirkt das Erzählte lebensnäher und weit weniger seicht und trivial als in so manch anderem Buch, das tatsächlich nur eine oberflächliche Love-Story erzählt. Bzgl. sexueller Gewalt ist diesmal auch keine Frau betroffen (die sonst die undankbare Opferrolle innehat), sondern ein Mann.

Was tatsächlich laut Erfahrungsberichten und Fachliteratur zu seicht geraten ist, ist die Vorstellung, dass Liebe einen aus der Sucht befreit. Hier greift in der Realität eher die Rolle der Co-Abhängigkeit der Angehörigen und (Ehe-)Partner*innen. Liebe kann nur dann etwas bewirken, wenn der alkoholabhängige Mensch aus freiem Willen der Abhängigkeit entkommen möchte. Meist ist das, wenn überhaupt, aber nur der Fall, wenn er an einem Tiefpunkt seines Lebens angekommen ist und alle anderen ihn verlassen haben. Weil das Buch triggern könnte, aber auch für Leser*innen, die von den triggernden Inhalten unbelastet sind, sind manche Passagen trotzdem gefühlsmäßig schwer zu ertragen. Im Prinzip wird ein ständiges Wechselbad der Gefühle entfacht. Das zeigt aber auch, dass die Autorin es versteht, die Leser*innen an das Buch zu binden. Zudem zeigt die Autorin an der Entwicklung der Hauptpersonen, wie man sich aus schwierigen Situationen wieder herauskämpft, was durchaus Vorbildcharakter hat. Und dass im Showbusiness nicht alles Gold ist, was glänzt. Außerdem werden Gefahren wie Hetze und Mobbing im Netz angesprochen und gezeigt, welche Folgen das für die Betroffenen haben kann. Die Autorin ist also ziemlich nahe an der Welt ihrer jungen Leser*innen dran. Dabei schreibt sie spannend und sensibel, sodass man sich als Leser*in gut in die Personen und Situationen einfühlen kann.

Das Buch leitet eine Reihe ein.

Fazit

Insgesamt also empfohlen und definitiv keine Trivialliteratur, auch wenn sie durch den unpassenden Titel auf den ersten Blick als solche daherkommen mag.


Genre: Jung Adult, Romantik, Sucht
Illustrated by LYX

Lustiges Taschenbuch Royal 7 (Best of Royal): Das Thronjubiläum und andere königliche Geschichten

news royal 7

Nicht ganz so adeliger Adel

„Adel, wie die Zeit vergeht“: Königin Elisabeth kann v.a. eins: königlich winken. Zumindest denken das ihre Untertanen. Wenn sie wüssten, wie es im Palast wirklich zugeht…

„Ein fahrender Ritter“: Entenburg um 1300 n. Chr. Verwalter Dagobertus hält seinen Herzog und dessen Land knapp bei Kasse, auf dass sich die Münzen in der Schatzkammer vermehren. Aber der Herzog ist der übertriebenen Sparsamkeit überdrüssig und ersinnt eine List: Ein fahrender Ritter, der zudem noch aus Dagobertus‘ Blutslinie stammt, soll dessen Amt als Verwalter übernehmen. Und Dagobertus‘ Neffe Donald freut sich nur zu sehr darauf, endlich den raffgierigen Klauen seines Onkels zu entkommen.

„Die drei Mausketiere – Seiner Majestät neuer Hut“: Da die frisch gebackenen Mausketiere bisher nur langweilige Arbeiten im Palast erledigen, wollen sie endlich einmal beweisen, was in ihnen steckt. So kommt Micky d’Mausignan auf die Idee, dass die drei Mausketiere den berüchtigten Pariser Huträubern den Garaus machen könnten.

„Junker Donaldus‘ Narreteien“: Der vom Pech verfolgte Junker Donaldus will endlich hoch hinaus. Aber das läuft anders als geplant, denn er soll Dussulus‘ Posten als Hofnarr übernehmen. Der aber will seinen alten Posten wiederhaben und stellt Donaldus eine Falle nach der anderen.

„Herzog Habenichts und der Feuerschlüssel“: Herzog Donaldus Ducknichtgut ist chronisch knapp bei Kasse, weshalb er vom Volk nur „Herzog Habenichts“ genannt wird. Schon seit Jahren versucht er, an den Familienschatz zu kommen. Doktor Danilus soll ihm mit seiner neuesten Erfindung helfen.

„Im Dienste Ihrer Majestät“: Musketier Donaldamis soll für seine Königin einen gefährlichen Auftrag ausführen und ihr ihre Juwelen wiederbeschaffen. Aber aufgrund unglücklicher Verstrickungen endet diese Suche für alle Parteien in einer Überraschung.

„Die drei Mausketiere – Des Königs Maskenball“: Die drei Mausketiere leiden unter ihren schäbigen Uniformen. Eine saftige Belohnung zur Ergreifung von zwei Flüchtigen könnte die Rettung der Gardeuniformen sein.

„Donald und die Räuber“: Graf Karl, der Neffe von Graf Dago Duckmoor, wird mehr oder weniger aus Versehen Anführer einer Räuberbande. Während Karl denkt, dass er mit seiner Bande Gutes tut, plündern die Räuber alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Derweil ereignen sich schreckliche Dinge auf dem Schloss des Grafen Duckmoor.

Viel Wiedergekäutes

Wieder einmal fällt ein LTB dieser Kategorie durch Anspielungen auf, diesmal mit Anspielungen auf die Literatur und das englische Königshaus. Dabei bleibt es aber spannend, denn die Geschichten kopieren nicht 1:1 die Vorlagen, sondern wandeln sie nach Entenhausener Manier um. Ich persönlich finde es gut, dass Kultur in den LTBs aufgegriffen und verarbeitet wird – das birgt die Chance, dass die großen und kleinen Leser*innen auf das Original neugierig werden. Bei meinem Sohn hat das schon gefruchtet.

Nicht so gut finde ich allerdings, dass nur eine einzige Geschichte, dazu noch ein Einseiter, eine deutsche Erstveröffentlichung ist. Alle anderen sind aus den LTBs Royal 2,3 und 4 recycelt. V.a. die Geschichten rund um die Mausketiere kommen öfter in LTBs vor. Da fühlt man sich als Leser*in dann schon veräppelt.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa

Neue Staudenverwendung

Wie rezensiert man als Hobbygärtnerin ein Lehrbuch wie Neue Staudenverwendung von Norbert Kühn, das mit fundiertem Hintergrundwissen daherkommt?

Einleitend heißt es: “Das Buch soll keine Rezepte vermitteln und keine Dogmen aussprechen. Es soll Grundlagen dafür bieten, um sich selbst neue und eigene Gedanken zu machen. Dazu ist es nötig, in die Geschichte zu sehen und das schon Gedachte vor dem geistigen Auge vorbeiziehen zu lassen … Es soll zurzeit gebräuchliche Prinzipien aufzeigen und will sie auf eine ökologische Grundlage stellen.”

Es folgen 300 Seiten, fast so groß wie DIN A4, mit Fotos, Schaubildern und Tabellen, schon Literaturverzeichnis und Pflanzennamen kommen mit je 15 Seiten. Es ist kein Buch zum Auslesen, aber es regt an, wie es so schön heißt: “sich selbst neue und eigene Gedanken zu machen.” Deshalb empfehle ich es gerade für Menschen, die eigentlich schon genug Gartenbücher haben.

In der Einleitung geht es um die Nomenklatur, die wissenschaftliche Namensgebung, die sich (zu) oft ändert und nun auch noch durch DNA-Ergebnisse hinterfragt wird. Manchmal geben die Züchter ihren Pflanzen auch Phantasienamen, etwa Karl Foerster, der einen seiner Phloxe “Wenn schon-denn schon” taufte.

Früher wurde der Vermehrung der Pflanzen allenfalls durch Züchter geholfen, indem sie Pflanzen, deren Merkmale gefielen, zusammen pflanzen. Ob die Züchtung erfolgreich war, wurde beobachtet. Foerster nannte es den “Enttäuschungsfilter”, über den Vieles hinaus selektiert wurde.

“Als es galt, durch Neuheiten auf sich aufmerksam zu machen” wurden immer neue Züchtungen kreiert, und ohne mehrjährige Überprüfung als Neuheit auf den Markt geworfen, in Gartenzentren, in denen “Pflanzenkonsumenten” sie erstehen. “Das wichtigste Merkmal einer Staude, ihre Dauerhaftigkeit, ist … weder beabsichtigt noch erwünscht.”

Nach dieser (kurzen) Einleitung kommen vier Teile, die die Geschichte, die ökologischen Grundlagen der Staudenverwendung, der Gestaltung mit Stauden, deren aktuelle Prinzipien und neuartige Lebensgemeinschaften beschreibt.

Wir verfolgen die Geschichte der Trends seit den 90er Jahren, die Einflüsse von Beth Chatto, ihren holländischen Kollegen und wie deren Rezeption in Deutschland war. Als Beispiele werden die Gestaltung der jeweiligen Gartenausstellungen oder kommunaler Projekte genannt. Wie reden (und schreiben) Profis über diese Trends, welche Rolle spielt die Ökonomie, wenn den kommunalen Grünflächenämtern die Mittel gekürzt werden?

Was sind die Vorteile der vegetativen, welches die der generativen Züchtungen? Viele Pflanzen werden vorgestellt, von denen ich als Laiin noch nie gehört habe, aber auch zu den bekannten gab es Neues zu lesen. Es geht um Farben und Formen von Ast, Blatt und Blüte, es gibt Tabellen, welche Farben passen zusammen?

Ich habe das Buch über viele Monate immer wieder ein wenig gelesen und es genossen. Es sind kleine Erkenntnisse, die das Lesen des Stoffes auch unterhaltsam machen, etwa, dass Planer eine Gelbphobie haben, ob ich wohl auch eine habe? Es gibt nur zwei gelbe Ecken in meinem Garten.

Was hat Beth Chatto dazu gebracht, ihre Kiesbeete anzulegen? Jahrelange Trockenheit im Südosten Englands. Warum sind Fotografien englischer Gärten so leuchtend? Es liegt am Regen. Schottergärten werden respektvoll Kiesbeete genannt, und sie wären als planerisches Prinzip für Verkehrsinseln geeignet, wenige für Parks.

Spontanvegetation hat durchaus einen planerischen Hintergrund, etwa, wenn alte Industriegelände, wie der Südpark in Berlin, der Natur überlassen werden. Aber, und damit endet das Buch: “Spontane Vegetation in einer ungepflegten Umgebung wirkt für den unvoreingenommenen Beobachter wenig attraktiv. Es kommt daher auf die gezielte Einbindung, die richtige Inszenierung an, ob diese Dinge auch eine Wirkung entfalten.” Besser kann man es nicht sagen.


Genre: Garten, Gartendesign
Illustrated by Verlag Eugen Ulmer

Der Alligator. Erzählung

Der Leser ist gut beraten, den Unterschied zwischen Krokodil und Alligator zu kennen, wenn er sich denn mit dem Hauptdarsteller der Erzählung von Francis Mohr anfreunden möchte. Denn der ist ein stolzer Alligator aus Amerika und kein ordinäres Krokodil, dessen grässliche vier unteren Zähne aus dem geschlossenen Maul herausragen. Außerdem werden Alligatoren älter, während Krokodile spätestens mit 70 mit aufgeblähten Bäuchen an der Wasseroberfläche treiben. Weiterlesen


Genre: Erzählungen
Illustrated by Zwiebook

Der Werkzeugkasten einer Bestsellerautorin

Meisterklasse von Elizabeth George

Elizabeth George hat zahlreiche Bestseller geschrieben. Und einen sehr nützlichen Ratgeber für Schreibanfänger, „Wort für Wort“.
Jetzt lässt sie uns mit „Meisterklasse“ in Ihre Schreibwerkstatt blicken. Wie geht sie vor, wenn sie ein Buch schreibt? Sie schildert das genauestens am Beispiel ihres Buchs „Und die Sünde ist scharlachrot“.
Sie bleibt dabei nicht dabei stehen, einfach Rezepte zu verteilen: Schreib so, vermeide das, verwende jenes. Nein, sie zitiert ausführlich etliche Seiten aus ihrem Roman und wir verstehen, warum sie was geschrieben hat. Und welche Technik dahinter steht.
Ganz besonders interessant sind die Kapitel über die Entwicklung der Personen. Sie begnügt sich nicht mit Stichpunkten zum Ankreuzen (braune Augen, lange Haare), sondern lässt sich ganz in ihre Personen fallen, verfasst ausführliche Essays auch über Nebenfiguren. Wie denken sie, welche Lebenserfahrungen haben sie, was streben sie an, wo sind sie gescheitert? Allein diese umfangreichen Kapitel gehen weit über das hinaus, was man in üblichen Schreibratgebern findet und allein deshalb lohnt sich schon der Kauf des Buches.
Hinzu kommen Kapitel zu Erzählstimme und wie man eine Szene strukturiert. Auch da hat George einiges Neues zu sagen. Und auch zum Dialog finden sich neue Techniken. Statt nichtssagender Handbewegungen (er kratzte sich am Kopf) schildert sie im Dialog, wie die Personen weiter ihre Arbeit verrichten. Ein Erbauer von Surfbrettern überzieht seine Konstruktionen sorgfältig mit Harz, eine Farmerin gräbt während des Verhörs ihren Garten um. Allein wie sie das tun, verraten den Polizisten und den Leserinnen einiges über die Personen. Diese Technik des Dialogs habe ich noch nirgendwo vorher gelesen, dabei kenne ich mehr als hundert Schreibratgeber.
Nicht jeder wird genauso arbeiten wie sie, nicht alles taugt für jeden, aber allein dieser Blick in den Werkzeugkasten einer erfolgreichen Autorin hilft, die eigenen Techniken des Erzählens weiterzuentwickeln.
Gerade wegen der ausführlichen Beispiele bleibt es nicht bei grauer Theorie. Ein Buch über das Schreiben eines Romans, das im Regal jedes Anfängers und auch jeder Fortgeschrittenen stehen sollte.

Elizabeth George, „Meisterklasse“,, Goldmann,
ISBN 978-3442315628, 20 Euro, 416 Seiten, 3/2022


Illustrated by Goldmann München

Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner

Der Gentleman-Gauner

Insgesamt vier Bücher von Arsène Lupin, dem Gentleman-Gauner, sind beim Matthes & Seitz Verlag erschienen. Insgesamt gibt es 20 Romane, zwei Theaterstücken und etlichen Kurzgeschichten. Die vorliegenden ersten acht Geschichten sind als Fortsetzungsgeschichten zwischen 1905 und 1935 in dem Magazin „Je Sais Tout“ erschienen. Jede einzelne Episode ist aber in sich abgeschlossen.

Neuübersetzung der ersten Abenteuer

In Frankreich ist der gentleman-cambrioleur ein Star. Als Gegenentwurf zum bekannten Meisterdetektiv Sherlock Holmes wurde er von Maurice Leblanc Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden. Einige Geschichten beziehen sich auch direkt auf Herlock Sholmes wie der englische Detektiv aus rechtlichen Gründen bei Leblanc genannt wird. Aber wer ist dieser Arsène Lupin und was macht ihn zum Gentleman-Gauner? Arsène Raoul Lupin wurde 1874 als Sohn von Henriette d’Andrésy und Théophraste Lupin geboren und genoss eine hervorragende Ausbildung in Jura und Medizin. Latein, Englisch und Griechisch sowie weitere moderne Sprachen beherrscht er fließend, sowie diverse Kampfsportarten.

Arsène Lupin, Meister der Illusionen

Als Meister der Verkleidungskunst und der Verstellung verwendet er gerne Pseudonyme: Raoul de Limézy, Vicomte d’Andrésy, Horace Velmont, Guillaume Berlat. Als vollendeter Gentleman zeigt er sich den Damen gegenüber galant und verabscheut Gewalt. So gibt er etwa erbeutete Juwelen einer Dame zurück, wenn er feststellt, dass sie sich (unbewusst) als loyal erwiesen hat. Am liebsten stiehlt er von den Reichen oder deckt politische Intrigen auf wozu er manchmal auch mit den Behörden zusammenarbeitet. Gerüchten zufolge soll der real existierende, humorvolle Anarchist Marius Jacob als Vorbild für Arsène Lupin gedient haben, was Maurice Leblanc stets negierte.

Netflix-Serie mit Omar Sy

Der Ziemlich-beste-Freunde-(Intouchables)-Star Omar Sy wählt in einer Adaptation der Romanvorlage, die bei Netflix unlängst erschienen ist, dezidiert Arsène Lupin als Vorbild. Dabei spielt das vorliegende Buch im französischen Original – also die ersten acht Abenteuer eine gewichtige Rolle. Der Vater von Assane Diop (Omar Sy) verwendet das Buch als Geheimcode für eine post mortem Mitteilung an seinen Sohn und dieser kann nach und nach eine politische Verschwörung aufdecken, die ganz Frankreich erschüttern wird. Dabei verwendet Assane Diop durchaus ähnliche Methoden wie sein literarisches Vorbild Arsène Lupin und bleibt doch stets Gentleman dabei. Oder er zitiert aus dem dritten Kapitel eine folgenreiche Stelle: “Bei den Künsten ist die Illusion zweifellos die subtilste. Sie fordert stets eine gewissen Fingerfertigkeit und manchmal eine gehörige Portion Mut. Die Art und Weise spielt letztendlich keine Rolle, nur das Ergebnis zählt. Und das Vergnügen die Welt getäuscht zu haben.

Lupin, dans l’ombre d’Arsène

“Lupin, dans l’ombre d’Arsène” (franz.:Lupin, im Schatten von Arsène) auf Netlix ist eine wirklich gelungene Adaption eines traditionellen Stoffes mit durchwegs modernen Mitteln. Die dritte Staffel soll in diesem Sommer erscheinen. Besonders toll dabei ist natürlich, dass die Macht des Buches, das übrigens auch auf Assanes Sohn großen Einfluss hat, hier richtiggehend zelebriert wird. Große Werke inspirieren eben auch große Künstler. Denn die Geschichte des Gentleman-Gauners wurde etwa auch vom Autoren-Kollektiv Boileau-Narcejac in fünf Romanen fortgeschrieben. Bei Matthes & Seitz Berlin sind außerdem erschienen: Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes, Arsène Lupin und der Schatz der Könige von Frankreich,
Die Gräfin Cagliostro oder die Jugend des Arsène Lupin.

Maurice Leblanc
Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner
Originaltitel: Arsène Lupin, gentleman-cambrioleur (Französisch)
Übersetzung: Erika Gebühr
2021, 238 Seiten, gebunden, auch erhältlich als Ebook
ISBN: 978-3-7518-0041-9
Matthes & Seitz Berlin
18,00 €


Genre: Krimi, Kurzgeschichten und Erzählungen, Roman
Illustrated by Matthes & Seitz

Ein Tag wird kommen

Giulia Caminito – Ein Tag wird kommen

 

Ein Tag wird kommen. Vergriffen, aber als WAT wieder erhältlich ist diese Geschichte der Römerin, die auch mit “Das Wasser des Sees ist niemals süß” (in 20 Sprachen übersetzt) bei Wagenbach vertreten ist. Caminito ist in Anguillara Sabazia am Lago di Bracciano aufgewachsen. Sie arbeitet auch als Herausgeberin und Lektorin und lebt in Rom.

Italien zwischen Katholiken und Anarchisten

Ein Tag wird kommen” (Original: Un giorno verrà) ist eine italienische Familiengeschichte in Zeiten des aufkeimenden Faschismus. Einer Zeit in der mehr als die Hälfte der Ernte an den Padrone ging. Er entschied auch was Gesetz war, wer am Feld arbeitete, wer heiratete und welche der überzähligen Kinder bleiben durften. Bis eines Tages ein gewisser Lupo beschließt nicht mehr zu arbeiten, auch Petri und Paoletto sowie Gaspare schließen sich an. Bruno der Sozialist lächelt. “Sie lassen uns fürs Paradies bezahlen, sie verlangen Geld von denen die keins haben, für etwas, das nie jemand gesehen hat.” Anhand der beiden Bäckerssöhne Nicola und Lupo, die verschiedener nicht sein könnten, erzählt die Autorin die Lebenswelten zweier verschiedener Brüder, zwischen denen eine Lüge, verborgen hinter Klostermauern, steht. Lupo (ital.:Wolf) adoptiert übrigens einen Wolf, den er Cane (ital.: Hund) nennt. Aber was ihn wirklich an sein Dorf bindet, das er so gerne verlassen würde, ist sein Bruder, der “Krumenbub“, für den er sich verantwortlich fühlt.

Ein Tag wird kommen – als WAT noch erhältlich

Ein Tag wird kommen: un giorno verrà

In den Anmerkungen am Ende ihres Textes erzählt die Autorin auch von ihrem Urgroßvater, der Anarchist war. Er war irgendwo verschollen, aber sie hatte längst beschlossen ein Buch über die Anarchisten in den Marken zu schreiben, ein Buch über Nicola Ugolini und jene wie er, die an die Anarchie geglaubt und das Vorurteil von den Anarchisten als Bombenlegern, sinnlos Gewalttätigen und unheilbringenden Brisanten widerlegten. Aber gleichzeitig hat sie auch ein Buch über die Nonnen des Klosters von Serra und La Moretta (Maria Giuseppina Benvenuti, geboren als Zeinab Alif) geschrieben, den Protestakt des Augusto Masetti, die Settimana Rossi, den Ersten Weltkrieg und das Überlaufen der Sozialisten zur Fraktion der Kriegsbefürworter. Die Spanische Grippe, die revolutionären Bewegungen, die Zensur und auch die Auswanderung nach Amerika spielen ebenso eine Rolle, wie ihre Fantasie, die jene Lügen straft, die nur an die eine Wahrheit glauben. Wer lieber im Original liest, sei auf den Reclam Verlag verwiesen, wo “Caminito, Giulia: Un giorno verrà. Un romanzo di fede, speranza e anarchia” auf Italienisch erschienen ist. Der Untertitel lautet im Original: Ein Roman der Treue, Hoffnung und Anarchie.

Giulia Caminito: Ein Tag wird kommen. Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. Quartbuch. 2020 272 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-8031-3325-0
Vergriffen. Als WAT-Ausgabe erhältlich.
oder im Original: Un giorno verrà. Un romanzo di fede, speranza e anarchia.
Ital. Hrsg. von Sabrina Maag
Niveau B2 (GER) 347 S.
ISBN: 978-3-15-014122-9


Genre: Geschichte, Roman
Illustrated by Wagenbach

Der Traum vom Fremden

Der Traum vom Fremden. „Laufe Gefahr, mein Wort zu brechen und mich selbst zu verraten. Hatte ich nicht geschworen: Keine leeren Worte mehr! Überhaupt keine Worte mehr! Am besten verstummen; Taubstummensprache für die notwendigen Mitteilungen, Gesten, Gebärden – wie jeder Laut Übelkeit in mir hervorruft, ein ganzer Satz mich zum Erbrechen bringt und ein Gedicht – ein Gedicht ist der Tod!“ So hätten die Gedanken von Arthur Rimbaud in Ostafrika 1883 wohl lauten können, denn er hatte der Poesie und Europa abgeschworen und sich als Sklaven- und Waffenhändler bis in den Ogaden durchgeschlagen. Michael Roes nimmt einen ein authentischen Bericht (Rapport nur l’ogadine par M. Arthur Rimbaud), den Rimbaud 1883 über den Ogaden verfasste, als Grundlage für sein Rimbaud-Reflexion: ein fiktives Tagebuch, das durch die letzten Tage des französischen Dichterfürsten führt.

Der Traum vom Fremden

Ist das nicht die Freiheit, die Hölle, die ich gesucht habe? Jeder und niemand, ohne Familie, ohne Heimat oder Herkunft, ein Vagabund, Brisant, eine Wegelagerer, Halsabschneider, Meuchelmördder.” Der Plot handelt von seinem verschwundenen Geschäftspartner Sotiro, den Rimbaud durch eine Mission in den Ogaden retten will. Mit einer kleinen Mannschaft vertrauter Einheimischer dringt er in die noch unerforschte Wildnis vor und versucht, das Unternehmen möglichst nüchtern und wissenschaftlich zu protokollieren. Aber immer Gedanken und Gespenster aus der Vergangenheit drängen sich ihm auf: fiebrige Erinnerungen an die Amour fou mit Paul Verlaine, seine kaum erforschte Zeit bei der Fremdenlegion und seinen Neuanfang in Afrika. Aber auch die neu entdeckte Welt gemahnt ihn an seine Berufung: Die Ogadeni “verfassen über alles und jeden Lieder: sie unterscheiden nicht zwischen einer poetischen und einer nüchtern-sachlichen Sprache. Ihnen gilt Poesie als höchste Erkenntnis“.

Fiktives Tagebuch Arthur Rimbauds in Afrika

Vom 3.Oktober bis zum 11. November 1883 reichen die Eintragungen in das fiktive Tagebuch, das Michael Roes mit viel Einfühlsamkeit und Recherche geschrieben hat. Während sich Arthur Rimbaud in den Jahren 1875-1886 auf seine persönliche Odyssee begab und neben Europa auch Sumatra, Ägypten und Aden bereiste gibt sein verlorener Freund Verlaine eine Sammlung literarischer Studien unter dem Titel “Die verfemten Dichter” heraus. Dadurch erlangt Rimbaud noch zu Lebzeiten eine größere Bekanntheit. Der Handlungsreisende, Kaffeehändler, Teppichhändler und Freiwilliger der niederländischen Armee stirbt schließlich an Knochenkrebs. 1891 führt ihn die Heimreise nach Marseille wo er am 10. November im Alter von nur 37 Jahren stirbt. Der Autor Michael Roes, geboren 1960 in Rhede / Westfalen, ist Autor und Filmemacher, vor allem Dialoge mit nicht-europäischen Kulturen. Seine eigenen Reisen in den Jemen, nach Israel, Algerien, Afghanistan und Mali bilden den Hintergrund für viele seiner Werke.

 

Michael Roes
Der Traum vom Fremden
2021, Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 230 Seiten
ISBN: 978-3-86300-323-4
Albino Verlag
€22.00


Genre: Biographie, Reisen, Tagebuch
Illustrated by Albino

The Gender of Mona Lisa 5

 

Schwere Entscheidungen und ihre Konsequenzen

Das Sommerfest steht an und Hinase geht davon aus, dass alles so ist wie immer: Hinase, Ritsu und Shiori werden wie die Jahre zuvor gemeinsam hingehen. Aber Ritsu und Shiori buhlen jetzt um die Gunst von Hinase. Das bedeutet letztendlich, dass sich Shiori erst einmal zurückzieht und Ritsu allein mit Hinase zum Sommerfest geht. Hinase macht das wieder einmal deutlich, dass nichts so bleibt wie bisher und deswegen ist sier traurig und verwirrt. Außerdem stellt Hinase fest, dass sier sowohl Shiori als auch Ritsu liebt und auf keine*n der beiden verzichten will. Als Hinase Ritsu das sagt, reagiert sie enttäuscht und wendet sich von Hinase ab. Derweil fragt sich Chiakis Freund Aoi, ob er die richtige Entscheidung getroffen hat, zum Mann zu werden, denn er hat sich in seinen besten Freund verliebt.

 

Der fünfte Band beleuchtet aus verschiedenen Blickwinkeln, was es bedeutet, sich aktiv für ein Geschlecht entscheiden zu müssen bzw. wenn man keine Entscheidung treffen will. Heraus kommt: Egal, wie man es dreht und wendet, die Entscheidungen haben immer sowohl positive als auch negative Konsequenzen, und auf die geht der Band plausibel ein. Ich habe mich bei der Lektüre an Hermaphroditen erinnert gefühlt, die so bleiben möchten, wie sie sind, aber auch an Trans-Menschen, die sich mit ihrer Entscheidung wahrlich nicht leichttun. Ebenso sind indirekt Homosexuelle angesprochen, die verwirrt sind über die Gefühle zum eigenen Geschlecht und sich erst einmal über sich selbst und den Umgang mit dem Anderssein klarwerden müssen.

Weiterhin empfohlen!


Genre: geschlechtliche Vielfalt, Manga
Illustrated by Carlsen / Hayabusa

Über Gemälde von Segantini

Über Gemälde von Giovanni Segantini

Giovanni Segantini (1858–1899) wurde im damals österreichischen Arco am Gardasee geboren. Als Siebenjähriger verlor er nicht nur seine Mutter, sondern auch seine Staatsangehörigkeit. Eine Halbschwester war dafür verantwortlich und so blieb Segantini sein Leben lang staatenlos. Schon sein erstes größeres Gemälde sorgte für Aufsehen: der gewählte Lichteinfall richtete den Spot(t).

Verkannter, zu Unrecht vergessener, staatenloser Heimatmaler

Was in Frankreich gemeinhin als Pointilismus bezeichnet wurde, nennt man im Falle Giovanni Segantinis Divisionismus. Krüger nennt es “Flechttechnik”, die ein Ineinanderweben von unzähligen Einzelheiten, die dennoch differenziert und Schaft gesondert aber als Einheit dargestellt wurden. Das Faszinierende an Segantinis Gemälden sind für Krüger aber nicht nur die Farben und Lichteinfälle, sondern auch die Tatsache, dass er als einer der wenigen Maler seiner Zeit Landwirtschaft auch als harte Arbeit darstellte. Die idyllischen Bilder anderer Maler suggerierten stets, dass die Natur uns von selbst ernähre solange man sie respektvoll behandle und nicht malträtiere (Krüger). Gerade darin seien Segantinis Bilder moderner und nähmen Sujets vorweg, die erst nach seinem Tod populär wurden.

Über Gemälde von Giovanni Segantini

Segantini habe das Schicksal erlitten, zwei drei Jahrzehnte als Maler europäischen Ruhm zu ernten, danach aber weitgehend der Vergessenheit anheimzufallen und heute in der Kunstgeschichte nur mehr am Rande erwähnt werde, zitiert Krüger den marxistischen Kunstkritiker Konrad Farner. Mitte der Sechziger sei es zudem nicht “diskursfähig” gewesen, einem Maler zu huldigen, der sich ins Hochgebirge zurückgezogen hatte und hauptsächlich Tiere und Pflanzen malte. Selbst die Kuh wird heutzutage als Treibgasproduzent unter Generalverdacht gestellt, wie Krüger ironisch bemerkt. Aber es braucht keiner Rechtfertigung die Bilder Segantinis zu betrachten, denn was Kunst und Kitsch unterscheidet ist einzige der Lauf der Zeit.

Faszination des Verlorenen

„Voglio vedere le mie montagne“ („Ich will meine Berge sehen“) waren die letzten Worte Segantinis, die über 70 Jahre nach seinem Tod Joseph Beuys zu der gleichnamigen Rauminstallation inspirierten. In vorliegendem Bildband betrachtet man etwa die “Vanità” (Eitelkeit), “la fonte del male” (die Quelle des Übels), aus dem Jahr 1897, das eine nackte Frau vor einem Bergtümpel zeigt, in dem sie ein Bad zu nehmen gedenkt. Es zeigt eine einfache, gebirgige Landschaft in aller Schlichtheit und mit eher düsterer Farbwahl, die der Szenerie etwas Geheimnisvolles verleiht. Der Tümpel in dem sie zu baden gedenkt könnte nämlich ebenso der Abgang in den Hades sein, der Eingang zum Styx, der Fluss, der die Toten von den Lebenden trennt. Viele weitere Gemälde Segantinis werden von Michael Krüger vorgestellt und kommentiert und so der Vergessenheit entrissen. Denn seiner Bedeutung als Maler waren sich seine Zeitgenossen durchaus bewusst und stellten ihn sogar neben Rembrandt van Rijn (Kunsthistoriker Carl Brun). Die Fasznition für Giovanni Segantini fasst Michael Krüger am Ende mit einer profunden Antwort in Worte: “Wahrscheinlich schauen wir die Bilder an, weil sie das sind, was von uns übrig bleibt, und das zeigen, was wir für immer verloren haben.”

Michael Krüger
Über Gemälde von Segantini
2021, 208 Seiten, 47 Farbtafeln. Format: 18,5 x 26 cm, gebunden. Deutsche Ausgabe.
ISBN: 9783829609517
Schirmer/Mosel
€ 38,-


Genre: Bildband, Kunstgeschichte, Malerei
Illustrated by schirmer/mosel

Spitznamen in der Literatur

Spitznamen gehören zum Leben. Doch wie entstehen sie, wer erfindet sie und spricht sie erstmals aus? Wie geht man damit um? Wem darf man Spitznamen verpassen und was geht wann gar nicht? Guido Fuchs hat literarische Beispiele gesammelt und präsentiert eine Palette von fast 300 Spitznamen als amüsante Zusammenschau aus der Literaturgeschichte. Weiterlesen


Genre: Sachbuch
Illustrated by Monika Fuchs

Denken mit Oscar Wilde

Denken mit Oscar Wilde

Von Dublin über Oxford nach London. Dort wurde ihm eine Affäre zum Verhängnis und er musste ins Zuchthaus. Dem Alkohol verfallen lebte er danach in Italien und Frankreich und starb mit nur 46 Jahren in Paris. Es gab wohl nichts, was Oscar Wilde nicht in einem Bonmot auszudrücken wusste. Wolfgang Kraus hat davon die besten, verblüffendsten Aphorismen ausgewählt und stellt sie in einem handlichen Brevier für den Dandy, für den Wilde-Liebhaber, für jeden, der extravagant denkt oder sein möchte, vor.

Paradoxien und Sch(m)ockmomente

“Er schockierte und entzückte seine Zeitgenossen durch Paradoxien, die oft nichts anderes waren als verfrühte Wahrheiten der Zukunft und für uns heute weitaus näher und ernster als für die Gesellschaft, die sie belachte”, schreibt Kraus über Wilde im Vorwort zu vorliegender Taschenbuch deluxe Ausgabe des diogenes Verlages. Aber wie wusste schon Oscar Wilde selbst? “Ich habe mein ganzes Genie in mein Leben getan; in mein Werk nur mein Talent”. Aber beizeiten überkommt den “Dandy im Spiegelbild” auch Reue. Das Steuer seiner Seele habe er verloren, als das Vergnügen die Herrschaft über ihn gewann, wurde er sein Knecht, “Ich endete in Schande. Jetzt bleibt mir nur eines: völlige Demut”. Über die Aufgabe eines Jeden in dieser Welt ist sich Oscar Wilde aber sicher: “Jeder von uns hat nur eine Aufgabe zu lösen: sich selbst voll zum Ausdruck zu bringen.” Allerdings hätten heutzutage die meisten Angst vor sich selbst, dabei wäre “sich selbst zu lieben der Anfang einer lebenslangen Leidenschaft”. “Jedermann wird als König geboren. Und die meisten sterben im Exil – wie so viele Könige.”

Erfahrungen sind oft Irrtümer

Kaum jemand hat es wohl so gut verstanden Leben und Werk in Einklang zu bringen. Wer Oscar Wilde liest, hat das Gefühl, dem wohl einzigen authentischen Menschen gegenüberzusitzen, obwohl gerade ein Dandy alles dafür gibt, dass der Schein das Sein bei weitem übertrifft. “Die Natur hat gute Absichten, aber sie nicht ausführen. Die Kunst ist unser ritterlicher Versuch, der Natur den richtigen Platz anzuweisen.” Die Grundlage und die Energie des Lebens sei schließich das “Ringen nach Ausdruck”. Das Leben will nichts anderes als seine eigene Vielfältigkeit verwirklicht zu wissen. In allen Formen und Phasen. Weitere Gedanken und Aphorismen von Oscar Wilde finden Sie in dieser Auswahl auch zu folgenden Themen: Liebe, Schöpfung, Tragikomödie, Gleichnis, Magie der Schönheit, männliches Brevier. “Einen ethischen Wert besitzt die Erfahrung nicht, sie ist nur der Name, den wir unseren Irrtümern geben. Sie beweist, dass die Zukunft gleich der Vergangenheit ist.”

Denken mit Oscar Wilde
Extravagante Gedanken über die Magie der Schönheit und die allmächtige Kunst, Kritik als Schöpfung, das dekorative Geschlecht und die menschliche Tragikomödie
Herausgegeben und mit einem Vorwort von Wolfgang Kraus. Aus dem Englischen von Candida Kraus
2021, Taschenbuch deluxe, Hardcover, 144 Seiten
ISBN: 978-3-257-26159-2
diogenes Verlag
€ 12.00


Genre: Aphorismen
Illustrated by Diogenes

Das Bildnis des Dorian Gray

Oscar Wilde – Das Bildnis des Dorian Gray

Die höchste wie die niedrigste Form von Kritik ist eine Art Autobiographie“, schreibt Oscar Wilde in seinem ersten und einzigen Roman “Das Bildnis des Dorian Gray” (1890). Das Buch, das auch vor Gericht gegen ihn verwendet wurde, hat schon viele Generationen von Dandys und Schöngeistern, besonders aber Liebhaber von Bonmots und Aphorismen, begeistert.

Ausschweifungen und Dekadenz

Dorian Gray ist ein junger Lebemann, der von einem gewissen Basil Hallward porträtiert wird. Das Bild soll eines seiner besten sein, aber dennoch schenkt er es dem Porträtierten. Dieser verbindet mit der Übergabe des Porträts ein Gebet zum Himmel, das sogleich Wirklichkeit wird: Statt Dorian altert von nun an sein Porträt, er selbst bleibt unverändert jung und schön. So kann sich der Bonvivant hemmungslos seinen Vergnügungen und Ausschweifungen hingeben, ohne Rücksicht auf Verluste. Hallward ist es auch, der Dorian Lord Henry Wotton vorstellt. Dieser rät ihm: “Ach! Nutzen Sie Ihre Jugend, solange Sie sie haben. Vergeuden Sie nicht das Gold Ihrer Tage, indem Sie langweiligem Geschwätz lauschen, den hoffnungsvollen Versager zu bessern trachten oder Ihr Leben an das Beschränkte, das Gewöhnliche und das Gemein wegwerfen.(…)Leben Sie! Leben Sie das wunderbare Leben, das in Ihnen ist. Lassen Sie sich nichts entgehen.” Diesen uneingeschränkten Hedonismus nimmt sich Dorian gerade dann zu Herzen, als er seinen beiden Freunden seine Angebetete, eine Schauspielerin, vorstellt. Diese gibt gerade Romeo & Julia am Theater und spielt nur leider grottenschlecht. Seine Freunde trösten ihn mit ihrer Schönheit, jedoch das Band zwischen ihr und ihm ist zerbrochen. Durch einige unglückliche Wendungen kommt es dann zu gleich drei (!) Todesfällen in dieser Geschichte, an denen Dorian nicht ganz unschuldig ist.

Spiegel seiner Zeit

Oscar Wilde hält mit Dorian Gray seiner Zeit einen Spiegel vor. Der “Prince Charming” (Märchenprinz) als der der Dorian gegenüber dem jungen Fräulein Sibyl Vane auftritt, entpuppt sich als grausame Maske, denn seine wahres Gesicht kennt nur das Gemälde, das sich bei jeder Verwerfung Dorians verzehrt und verzerrt. Ihr Tod wird zu einer ästhetischen Übung, in der sie gleich der Julia in das Reich der Kunst zurückkehrt, etwas von einer Märtyrerin umgebe sie. Der gefühllose Ästhet sieht in ihrem Tod nur eine “schönste Tragödie”, er entbindet sich jedweder Gefühlsregung indem er seine eigene Schuld an ihrem Tod ausklammert und ignoriert. “Devant une facade rose,/sur le marbre d’un escalier” zitiert er Theophile Gautier, als er seinen besten Freund, Basil Hallward, beseitigt hat und denkt dabei an Venedig. Eine dritte Person muss noch sterben, bis Dorian sich endgültig in eine der Opiumhöhlen Londons zurückzieht, um endlich das Vergessen zu finden, das er sein Leben lang suchte. “Du bist die Verkörperung dessen, was unsere Zeit sucht und was sie gefunden zu haben fürchtet“, ruft ihm Harry, sein letzter Freund zu und es stimmt. Denn seine Zeit hatte ein Monster erschaffen, das keiner besser inkarnierte als Mr. Dorian Gray. Ein rücksichtsloser Hedonist, der in der Anbetung der Jugend und Schönheit jede moralische Integrität verloren hat. “Die Jugend hatte ihn verdorben.”

Man könnte in dem Bildnis des Dorian Gray auch die Vorwegnahme des Idol-Kultes der heutigen Jugend sehen. Die Bilder und Fotos der Rockstars und die idealistische Anbetung dieser Ikonen der Moderne ähnelt sehr dem Personenkult um Dorian Gray, der als Symbol seiner Zeit sowohl den aufstrebenden Kapitalisten als auch den Rockstar vorwegnahm. Keiner verkörpert den Selfmademan der Moderne wohl besser als ein Rockstar, der nicht nur das Idealbild der Jugend verkörpert, sondern auch liebend gerne einen gleichsam religiösen Kult um seine eigene Person entfesselt. Im Anhang befindet sich ein Nachwort und eine kompakte Biographie des Autors.

 

Oscar Wilde
Das Bildnis des Dorian Gray
Übers. von Ingrid Rein
Nachw. von Ulrich Horstmann
2022, Paperback, 316 S.
ISBN: 978-3-15-020669-0
Reclam Verlag
10,00 €


Genre: Gesellschaftsroman, Roman
Illustrated by Reclam Verlag

Auf Schiene

Auf Schiene. 33 Bahntouren durch Mitteleuropa

Auto-, stau- und abgasfrei reisen. Das kann man, wenn man will. Mit dem Zug! Trend-Journalist Othmar Pruckner hat Bahnverbindungen ausfindig gemacht, die es schon mehr als 100 Jahre gibt, aber durch das Fliegen verdrängt wurden. Dank Pandemie wurden sie nun von ihm wiederentdeckt und einem neuen, jüngeren Publikum auf charmante Weise zugänglich gemacht: als Reise-Buch!

Bahn fahren neu entdecken

Einige der Highlights gleich vorneweg: ans Schwäbische Meer, ins liebenswerte Kamptal, auf die Spitze der Zugspitze, für ein Budweiser nach Budweis, mit dem Reblausexpress von Retz ins kleine Drosendorf sowie mit der Wachaubahn nach Spitz. Hallstatt wird sogar per Zug und Schiff bereist. Dazu gibt es literarische Vorbilder wie Fritz von Herzmanovsky-Orlando auf einer Waldbahn-Radtour im Hintergebirge, mit Thomas Bernhard zum Schloss Wolfsegg oder auf den Spuren von Ferdinand Raimund nach Gutenstein und natürlich mit Gustav Klimt an den Attersee. Die Taurachbahn im Lungau, die Zahnradbahn auf den Schneeberg und schließlich eine Pilgerreise nach Mariazell sowie eine Begehung der Semmeringstrecke gehören zu den weiteren unvergesslichen Stationen dieses lesenswerten Reise-Führers. Darüber hinaus werden aber auch Anschlusstouren an die Zugfahrten und Ausflugsziele vorgeschlagen: Stadt- und Landbesichtigungen, Spaziergänge, Wanderungen, Radtouren quer durch Österreich, vom Neusiedler- bis zum Bodensee, von Südkärnten bis zum nördlichen Waldviertel, vom hohen Schneeberg bis zum fröhlichen Zillertal.

Vom Meer ins Gebirge

Mit der Bahn kann man sogar ans Meer fahren, ohne Österreich je zu verlassen. Das “Schwäbische Meer” ist selbstverständlich nichts anderes als der Bodensee und teilt sich auf Deutschland, Schweiz und Österreich auf. Wer einen Ausflug über die Landesgrenze nach Lindau wagt, kann – als ganz besondere Attraktion – Österreich sogar auf dem Seeweg erreichen. Das gibt es sonst nirgends mehr. Wer der Eisenbahn lieber treu bleibt, nimmt das “Wälderbähle” in Bezau und schafft es damit bis auf die Bergstation Baumgarten auf 1650 Meter Seehöhe. Aber auch das Montafon hat seine eigene Bahnlinie, das “Muntafunar Bähnle”, das inzwischen als S4 sogar von Bregenz aus bis nach Schruns fährt. Vom äußersten Westen des Landes bringt uns das 3. Kapitel dann an den Schneeberg (2076m), des Wiener liebsten Hausberges. Von Wien aus fährt man nach Puchberg am Schneeberg und passiert dabei auch das weltberühmte Bad Fischau. Beeindruckt wird man schon während der Zugfahrt, die 300 Höhenmeter bewältigt, von der Hohen Wand. Die Schneebergbahn ist eine der letzten drei Zahnradbahnen Österreichs, die Station Hochschneeberg auf 1796 Metern der höchstgelegene Bahnhof Österreichs.

Zu Nachbarn und Freunden

Aber auch für Kurzausflügler ist in vorliegendem reich bebilderten und mit Karten ausgestatteten Zugführer einiges dabei. Vielleicht begnügt sich der eine oder andere sogar mit einem Bier in Budweis? Ob man über die Franz-Josefs-Bahn und Ceske Velenice oder mit der sog. Summerauer Bahn durchs Mühlviertel via Linz anreist, so oder so, schafft man es von Wien aus an einem Tage hin und retour. Weitere Stationen führen den werten Leser ins Marchfeld, auf einen Spaziergang von Mödling nach Baden oder auch nach Wien, Bratislava, Neusiedl am See – Um den See – Esterházy-Stadt Eisenstadt – Sopron und ein Abstecher nach Győr und viele andere Ort mehr. Und das alles ohne CO2 Abdruck!

 

Othmar Pruckner
Auf Schiene. 33 Bahnreisen durch Österreich und darüber hinaus. Ein Reisebuch. Reihe Kultur für Genießer Falter Verlag
2022, 320 Seiten
ISBN: 9783854397076
Falter Verlag
€ 29,90


Genre: Reiseabenteuer, Reisen
Illustrated by Falter