How do I tell them I love them?

Schmerzhafter Entwicklungsprozess

Lark Winter (17) ist in mehrfacher Hinsicht anders: transgender, neurodivers, people of colour, polyamor. Die Erfahrungen, die sier mit dieser Art des Andersseins macht, verarbeitet sier in einem Roman, dessen Hauptfigur passenderweise „Birdie“ heißt, denn sier möchte Schriftsteller*in werden. Aber kein Verlag ist an sierer Geschichte interessiert, es hagelt Absagen. Unter anderem sei sier zu jung, um über solche Themen und Probleme zu schreiben. Oder sier übertreibe mit dem, was sier schreibt. Dabei ist Larks Leben alles andere als einfach, u.a. durch den Rassismus, den sier immer wieder erlebt und das Mobbing sogar in der eigenen LGBTQ+-Bubble. Und Kasim, der beste Freund Larks, hat sich von Lark abgewendet. Dabei will Lark nur eins: Frieden und unendliche Liebe in der Welt. Denn dann gibt es keine Ungerechtigkeiten mehr. Über siere Gedanken schreibt sier im Internet. Auch da muss sier sich mit Hasskommentaren der LGBTQ-Community und people of colour über siere Einstellung auseinandersetzen. Eines Tages aber geht ein Tweet viral, indem es angeblich über siere unerwiderte Liebe geht. Der Haken an der Sache: Diesen Tweet hat nicht Lark, sondern Kasim geschrieben. Lark sieht eine Chance für sieren Erfolg als Autor*in und klärt den Irrtum nicht auf – mit vielen unangenehmen Konsequenzen, aber auch Wachstumschancen.

Sehr tiefgründiger Roman über ernste Themen

Themen insgesamt: nicht-binär, neurodivers, dunkle Hautfarbe, Social Media, Kritik an der eigenen Bubble, Polyamorie, Drogen, Depressionen, Angststörung, Traumata, Rassismus, (Cyber-)Mobbing, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Corona-Pandemie, schwierige Familienverhältnisse, Berufswunsch, Liebe in ihren Facetten, Spiritualität – um einmal die wichtigsten zu nennen, denn es sind nicht alle.

Vielfalt – eine Sache der Natur

Der in sich abgeschlossene Roman greift gleich mehrere Themen auf, die deutlich verbreiteter in die Mainstreamliteratur gehören würden: zunächst das Thema Anderssein generell, hier spezifiziert durch nicht-binäre und neurodiverse Menschen, sowie people of colour. Es mag vielleicht erst einmal als too much herüberkommen, dass die Hauptperson all diese Themen in sich vereint. Aber Autor*in Kacen Callender schreibt aus eigener Erfahrung und die Natur geht sowieso nicht nach Schema F vor, sondern hat als Überlebensprinzip ihre unendliche Vielfalt. So geht der Roman sehr in die Tiefe, was Leser*innen, die derartige Erlebnisse nicht teilen müssen, vielleicht als schwere Kost wahrnehmen. Aber Menschen, die anders sind, müssen vielfältige und immerwährende Anfeindungen stemmen können, wollen sie überleben. Das macht sie tiefsinniger und insgesamt stärker. Allerdings kann es auch, wie am Beispiel von zweien der Freunde Kasims gezeigt, zur Radikalisierung und beginnender Unmenschlichkeit führen, wenn alle anderen (außer sie selbst und ihre Meinung) als Feinde wahrgenommen werden und dabei die Realität völlig aus dem Blick gerät.

Larks Gedanken dazu fasst das Buch an einer Stelle folgendermaßen zusammen: „Derselbe Kummer. Dieselbe Wut. Und derselbe Schmerz. Zerreißt uns wieder und wieder. In einer Welt, die von uns verlangt, dass wir uns heilen. In einer Welt, die von uns Schwarzen Menschen verlangt, dass wir uns ändern, damit andere Leute sich sicher fühlen können. Leute, die vor unseren Körpern Angst haben, unsere Haut als bedrohlich empfinden. Genau diese Welt weigert sich, zu sehen, wie sie uns umbringt. Ich bin wütend. Das habe ich mir vermutlich nie wirklich eingestanden. Ich dachte immer, die Wut einer Person wie mir sei in dieser Welt sinnlos. Schwarz, queer, trans, neurodivers. Mir absolut unbekannte Menschen verwenden meine Identitäten gegen mich. Sie sagen, ich hätte nicht das gleiche Recht zu leben, zu existieren. Wenn ich wütend werde, tun sie so, als wäre ich es nicht wert, geliebt zu werden. Wenn ich frustriert bin und mich wehre und Fehler mache (ich bin trotz allem ein menschliches Wesen, das lernen und wachsen muss), werde ich zur unsympathischen Figur eines Buches gemacht. Naja. Vielleicht interessiert es mich nicht mehr so sehr, was andere von mir denken.“ (S. 339)

Lark: Lerche. So hat Larks Mutter sier genannt. Und sie gibt Lark mit, dass sier nicht an Protesten teilnehmen muss, wenn das nicht sierer Identität entspricht – es gibt andere Wege wie z.B. das Schriftstellertum, um der eigenen Stimme Gewicht zu verleihen. Jeder und jedem, wie sie/sier/er mag und kann und nicht, wie andere meinen, dass man kämpfen muss. „‘Ich glaube, unsere bloße Existenz ist genug. Einfach zu sein, zu atmen und uns selbst und einander zu lieben. Das ist auch eine Art Kampf. Findest du nicht auch?‘ Ja. In einer Gesellschaft, die mir Selbsthass und Selbstverachtung beibringt, kann Selbstliebe stattdessen eine völlige Revolution bedeuten.“ (S. 342)

(Selbst-)Reflexion als Grundvoraussetzung für Entwicklung

Das Buch ist sehr (selbst-)reflektiert und auch philosophisch. Auch das gehört dazu, wenn man anders und Anfeindungen ausgesetzt ist: Man denkt viel, eigentlich immerwährend, über sich und die Welt nach. Das Finden zu sich selbst und der eigenen Haltung ist ein fortlaufender, oft schmerzhafter Prozess – der aber gegangen werden muss, will man wachsen und zu einem erfüllteren Leben kommen. Intelligenz muss aber nicht automatisch bedeuten, dass man (selbst-)reflektiert ist, wie zwei von Kasims Freunden zeigen. Sie benutzen ihre Intelligenz als Waffe und drehen Lark immer wieder das Wort im Mund herum, um sier zu diffamieren und den Hass auf sier zu schüren, während sie selbst sich im Gegenzug als diejenigen präsentieren, die einen Feind der Community entlarvt haben und sich so als Held*innen darstellen. Das ist das Gegenteil von Wachstum, das ist Versteinerung. Und das schadet sich und anderen immens. Auch das stellt das Buch sehr schön heraus, ebenso, dass es schwer ist, diese perfide Troll-Strategie zu durchschauen und dagegen anzugehen. Und in Bezug auf Rassismus sollten alle, die rassistisch denken, sich vor Augen führen, dass dunkelhäutige Menschen nichts weniger als die Wiege der Menschheit darstellen – die hellhäutigen sind schlicht Mutationen des dunkelhäutigen Ursprungs. Vielleicht sollte man sich auch einmal das Szenario überlegen, dass alle Menschen von Natur aus blind wären. Würden dann solche Äußerlchkeiten wie die Hautfarbe überhaupt noch eine Rolle spielen?

Intoleranz in der Realität auch in eigentlich toleranten Communities

In der eigenen Bubble nicht ernst genommen zu werden, Intoleranz selbst dort, auch Anfeindungen kommen tatsächlich vor. Intoleranz mancher Homosexuellen gegenüber Bisexuellen ist keine Seltenheit. Auch anderweitige Intoleranz gibt es: Meine Freundin berichtete mir mehrfach von der Frau einer lesbischen Kollegin, die das transsexuelle Kind derselben nicht akzeptiert. Ich selbst wurde mit meinen Gedanken kurz und inhaltslos abgespeist, als ich versucht habe, mich in einer solchen Bubble mitzuteilen, obwohl diese sich als offen bekennt und Aufklärungsarbeit betreibt. Ein anderes Erlebnis hatte ich mit schwarzhäutigen Frauen, die meinen Kommentar zu schwarzhäutigen Göttinnen ein paar Minuten nach Erscheinen gelöscht haben. Ich bin für Verbindung und finde es gut, dass Göttinnen wieder erstarken und Frauen sich ihre eigenen göttlichen Ansprechpartnerinnen suchen – egal welcher Hautfarbe. Aber da ich weißhäutig bin, wurde der Kommentar gelöscht – Rassismus andersherum. Dieser Rassismus andersherum wird in einer anderen Art auch im Buch thematisiert, indem alle weißhäutigen Menschen über einen Kamm geschert und angefeindet werden. Die Wut der people of colour ist sehr verständlich, aber die Schlussfolgerung daraus Larks und meiner Meinung nach die falsche. Auch hier gilt: Pauschalisierung und Engstirnigkeit trennt, Offenheit verbindet.

Es wäre also meiner Meinung nach besser, dass in meinem o.g. Beispiel Frauen sich verbinden und sich nicht gegenseitig z.B. aufgrund der Hautfarbe anfeinden. Damit will ich nicht kleinreden, dass weiße Menschen gegenüber people of colour nicht einiges aufzuarbeiten hätten! Aufarbeitung ist dringend nötig. Allerdings schwächt ein Verhalten wie oben dargestellt die Frauenbewegung insgesamt und spielt patriarchalen Kräften in die Hände, wenn Frauen sich gegenseitig zerfleischen. Miteinander reden und Aufarbeitung bringt viel mehr als Zerfleischung, finde ich.

Oder dass während meiner Studienzeit in einem feministischen Buch stand, Männer seien nicht erwünscht, obwohl sich Männer ebenfalls für die Frauenbewegung einsetzen. Hier wird meiner Meinung nach der Fehler gemacht, dass alle Männer über einen Kamm geschoren werden. Aber es entsprechen eben nicht alle Männer dem patriarchalen Männerbild (Gottseidank!) – auch Männer leiden unter dem Patriarchat, denn es gibt mehr Männertypen, als das patriarchale Bild zulassen und wahrhaben will.

Das alles hat mich schockiert. Und da kommt automatisch die Frage auf, ob solche Leute denn nichts aus der eigenen Erfahrung gelernt haben? Sie wollen Akzeptanz für sich, gestehen sie aber anderen nicht zu? Ich finde es sehr gut und mutig, dass Callender auch diese Probleme in der Welt der people of colour und der LGBTQ+-Gemeinde anspricht. Denn solche Inakzeptanz in den eigenen Reihen schwächt und die Bubble verliert an Glaubwürdigkeit.

Selbstliebe und Selbstfindung

Das Buch strotzt insgesamt vor Themen und Tiefgang. Große Themen sind Selbstliebe und Selbstfindung, gepaart mit der Übernahme der Verantwortung für sich selbst und das eigene Handeln. An Lark sieht man sehr gut, dass das Übernehmen von Verantwortung wie ein Sprung ins kalte Wasser und schmerzhaft ist und man dabei auch viele Fehler machen kann. Aber die Mühe lohnt sich, denn es fördert die Selbstliebe. Es ist schmerzhaft, sich mit sich selbst und anderen auseinanderzusetzen und Grenzen zu ziehen, v.a. weil letztere oft genug nicht akzeptiert werden. Das bedeutet natürlich einen mühevollen Entwicklungsprozess, der letztlich aber lohnend ist. Lark stellt sich diesem Prozess, der alles andere als glatt verläuft, und findet sich am Schluss selbst, dazu neue (echte) Freunde und siere Liebe, denn jetzt ist sier authentisch.

Lark ist sehr spirituell, dabei aber in keiner Religion verhaftet. Sier macht sich ein eigenes Bild über die jenseitige und göttliche Welt, die viele Anklänge an die Reinkarnationstheorie hat. Dabei spielt bedingungslose Liebe eine sehr große Rolle: Liebe zu anderen (was Lark leichtfällt, selbst zu sieren Feinden) und Liebe zu sich selbst (was Lark sehr schwerfällt, da sier regelmäßig angefeindet wird). Sier wünscht sich (Selbst-)Akzeptanz, Harmonie, eine friedliche Welt und einfach sein zu dürfen, ohne Wenn und Aber.

Nicht perfekt sein ist das Ziel, sondern Wachstum. Dabei macht man häufig Umwege und damit Fehler, die aber als weiterer Entwicklungsanstoß dienen können. Den Wachstumsprozess mit all seinen Irrungen und Wirrungen, sowie dass das Leben nicht einfach, sondern komplex ist, stellt das Buch wunderbar dar. Nicht nur Lark durchläuft einen Entwicklungsprozess, sondern auch fast alle anderen Figuren im Buch – außer denjenigen, die nichts dazulernen wollen. Und die gibt es durchaus auch in der eigenen Bubble.

Fazit

Sehr tiefgründiges Buch mit vielen ernsten Themen, die endlich wahrgenommen und akzeptiert werden wollen. Sehr empfohlen!


Genre: Diversität, Entwicklungsroman, Neurodiversität, non-binär, people of colour, Sexismus, Traumata
Illustrated by LYX

Berühre mich. Nicht. Die Graphic Novel: Teil 1

Berühre mich. Nicht. / Berühre mich nicht - Graphic Novel Bd.1 - Kneidl, LauraNeuanfang

Sage hat nach traumatischen Erlebnissen beschlossen, ein neues Leben fernab ihrer Heimat zu beginnen. Mit nichts als ihrem wenigen Besitz und ihrem Auto kommt sie in Nevada an. Nach anfänglichen Schwierigkeiten bekommt sie einen Job in einer Bibliothek, wo sie im Archiv arbeiten soll. Dort lernt sie Luca kennen, der ebenfalls für das Archiv eingeteilt worden ist. Für Sage blanker Horror, denn Luca erinnert sie an ihren ehemaligen Peiniger, dem sie eigentlich entkommen wollte. Auch sonst begleitet sie ihre traumatische Erfahrung auf Schritt und Tritt, denn sie hat Panik vor jedem Mann – und die sind nunmal nicht nur im Archiv, sondern auch in der Uni und in allen anderen Alltagssituationen zu finden. Zum Glück helfen ihr ihre langjährige Freundin Megan und ihre neu gefundene Freundin April über das Schlimmste hinweg – bis Sage entdeckt, dass April die Schwester von Luca ist.

Ein New-Adult-Roman in einer Graphic Novel umgesetzt

Die New-Adult Graphic Novel fußt auf dem gleichnamigen Roman von Kneidl. Diesen kenne ich nicht, dafür aber andere New-Adult-Romane, die ähnlich aufgebaut sind. Momentan gibt die Mainstream-Strömung vor, dass romantische Romane Tiefgang haben sollen, deshalb werden die Protagonist*innen mit allen möglichen Traumata und sonstigen Schwierigkeiten ausgestattet. Das ist eine sehr gute Sache, denn oft verkommen Liebesromane zur Seichtigkeit und damit Flachheit, was dieser neuen Strömung so nicht passieren wird. Hin und wieder meinen es aber die Autorinnen zu „gut“ und statten ihre Held*innen mit zu vielen Schwierigkeiten aus. Das scheint bei dieser Graphic Novel zumindest im ersten Teil nicht der Fall zu sein; das Verhältnis stimmt und die Autorin kann sich ganz der Ausgestaltung eines einzelnen Traumas widmen. Das tut sie sehr gut, einfühlsam und plausibel. Und obwohl ich den Roman nicht kenne, habe ich beim Lesen nicht das Gefühl gehabt, dass die Handlung zu sehr gestrafft worden ist und zu schnell vonstatten geht; das Tempo ist meiner Meinung nach genau richtig. Die in Farbe gehaltenen Zeichnungen unterstützen die Story gut, das Verhältnis Text-Zeichnungen ist in Ordnung. Die Farben spiegeln z.T. auch die Gefühle von Sage wider. Zudem gibt es am Ende des Bandes einen Steckbrief mit den Hauptcharakteren. Was mir bei den ansonsten guten Zeichnungen aufgefallen ist: Die Gefühle werden bei allen Figuren sehr verhalten dargestellt und manchmal stimmen Proportionen und Winkel nicht so ganz.

Traumatische Erfahrungen

Kneidl und der Comic stellen sehr schön dar, was passiert, wenn man mit Missbrauch leben muss, was das mit einem anstellt und wie sehr eine solche Erfahrung das Leben beeinträchtigt. Vor den Erinnerungen kann man nicht weglaufen, man muss sie verarbeiten, um wieder ein halbwegs normales Leben führen zu können. Sage erfährt das und wird zudem noch durch einen Einbruch retraumatisiert. Aber die sich anbahnende Beziehung mit Luca, der nur äußerlich Sages Peiniger gleicht, innerlich aber ein hilfsbereiter empathischer junger Mann ist, hilft ihr langsam über ihr Trauma hinweg. Dazu muss man aber sagen, dass es in der Realität oft so ist, dass man sich unterbewusst ähnliche Menschen und/oder Situationen sucht, die der schlechten Erfahrung ähneln. Deshalb kommt es oft vor, dass z.B. Frauen nach einem gewalttätigen Kerl wieder an einen solchen geraten. Da muss schon eine gewisse (Selbst-)Reflexionsfähigkeit und/oder therapeutische Begleitung vorhanden sein, damit man nicht wieder retraumatisiert wird. Dass es bei Sage anders ist, ist wohl dem romantischen Impetus des Romans geschuldet.

Einen Traum zu haben, den man umsetzen kann oder schon zumindest teilweise umsetzt, hilft auch. Bei Sage ist das der Traum, Schmuck herzustellen und zu verkaufen, was sie schon mit einem gewissen Erfolg begonnen hat. Auch Freundschaften helfen, obwohl Sage z.B. April, der neuen Freundin, (noch) nichts erzählen kann. Aber sie erfährt in einer Notlage viel Unterstützung durch April und Luca, was ihr wieder ein Stück mehr Vertrauen in die Menschheit gibt. Weitere Themen: Obdachlosigkeit, Kampf ums Überleben. Sage hat keine Wohnung; sie wohnt in ihrem Auto. Als in dieses eingebrochen wird, steht sie ohne alles da. Auch vorher schon hat sie Geldnot und Hunger kennengelernt, da der Verkauf ihres Schmucks nicht alle Kosten deckt. Auch das stellt der Comic dar, aber ebenso der unbedingte Wille trotz Schüchternheit und schlechten Erlebnissen, etwas aus dem eigenen Leben zu machen und sich seine Träume zu bewahren und zu erfüllen. Damit ist Sage Vorbild für Leserinnen.

Empfohlen.


Genre: Missbrauch, New Adult
Illustrated by LYX

The Moment I fell for you

The Moment I Fell For YouDie Macht der Kunst

Weder Bay noch Dare haben ein einfaches Leben. Bay ist nach dem Verlust des Vaters vor drei Jahren umgezogen. Ihre alleinerziehende Mutter rackert sich nachts als Krankenschwester ab. Und Bay gilt in ihrer Schule immer noch als „Die Neue“, mit der niemand etwas zu tun haben will. Dare hat seine Mutter früh verloren und wächst, seit er 12 Jahre alt ist, praktisch allein auf – was er gut findet, denn sein alkoholkranker Vater verprügelt ihn, wenn er zuhause ist. Um über die Runden zu kommen, repariert Dare die Autos seiner Mitschüler.

Aber beide sind mit ungewöhnlichen Talenten gesegnet: Bay ist durch ihren musikalischen Vater die Musik in die Wiege gelegt worden. Sie kann nicht nur sehr gut Gitarre spielen, sondern auch wunderschön und ausdrucksstark singen. Dare spielt auf hohem Level Football und hofft, in eine Profi-Mannschaft aufgenommen zu werden. Aber durch eine Schlägerei, bei der ein anderer Mitspieler durch ihn verletzt wurde, steht diese letzte Chance auf ein besseres Leben auf der Kippe. Außerdem kann Dare sehr gut zeichnen, was er aber vor allen anderen versteckt, um seinen Ruf als Footballer nicht zu gefährden.

Eines Tages hört Dare Bay im Garten singen und ist von ihrem Gesang derart berührt, dass er beschließt, ihr näher zu kommen. Aber Bay ist misstrauisch: Warum will dieser gutaussehende und an der Schule beliebte Junge plötzlich mit einer Außenseiterin Kontakt aufnehmen, wo er Bay doch zuvor jahrelang wie Luft behandelt hat?

Der romantische Roman ist augenscheinlich der Auftakt einer Trilogie. Wie schon an anderer Stelle geschrieben bieten die New-Adult-Romane nicht nur eine nette Liebesgeschichte, sondern auch Tiefe in Form von schwerwiegenden Problemen, die die jungen Leute mit sich herumschleppen und mit denen sie irgendwie zurechtkommen müssen. Dies kann an Lebenssituationen von Leserinnen andocken und Lösungswege aufzeigen (die wie im „echten“ Leben sehr kurvig verlaufen können). Allerdings habe ich festgestellt, dass die Romane es in der Summe mit den schwierigen Lebenssituationen übertreiben, indem sie einem einzelnen Charakter doch sehr viel zumuten – und damit den Leserinnen.

Sind zweite Chancen immer sinnvoll?

Außerdem finde ich speziell in diesem Buch manche Situationen, die einschneidend auf den weiteren Verlauf wirken, nicht so gut vorbereitet. Manche Wendungen kommen derart abrupt, dass man auch als Leserin verwirrt ist. Die Erklärungen dafür sind eher punktuell, knapp und damit nicht so ganz plausibel. Sie wirken eher wie der Versuch, ein retardierendes Moment um jeden Preis einzubauen, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Die Wirkung soll zwar mit dem indirekten Hinweis abgedämpft werden, dass es der jeweiligen betroffenen Figur ähnlich geht, aber durch zu wenig Erklärung verpufft dieser Effekt. Soll das alles erst in den folgenden Bänden gelüftet werden?

Dare ist zudem ein schwieriger Fall für eine gesunde Beziehung, denn er reagiert sehr aggressiv auf Situationen und Menschen, die ihm aus seiner Sicht nicht guttun. Bay blockt deswegen zu Recht ab, denn auch im wahren Leben endet es für die Frauen schlecht, wenn sie bei einem solchen Mann bleiben (wie Frauenhäuser leider zur Genüge zeigen). Es mag angehen, dass hier evtl. zweite Chancen vertreten werden – aber ich halte es für einen gefährlichen Weg, das bei aggressiven, destruktiven Männern zu propagieren, denn es würde Frauen nur weiter ermutigen, sich von solchen Männern nicht zu befreien und damit einen leidvollen Teufelskreis weiterzugehen!

Ansonsten ist dieser Roman wie die anderen ähnlicher Art so aufgebaut, dass sowohl die weibliche wie auch die männliche Hauptfigur in der Ich-Erzählung abwechselnd zu Wort kommen, um die jeweiligen Perspektiven zu veranschaulichen. Spannung ist ebenfalls durchgängig gegeben. Der Roman endet mit einer Art Cliffhanger. Außerdem wird die sich anbahnende Beziehung der beiden gut aufgebaut, sodass man mitfiebern kann.


Genre: New Adult, Romantik, schwierige Lebenssituationen
Illustrated by LYX

Dunbridge Academy 3: Anytime

Dunbridge Academy - Anytime - Sarah Sprinz - PB

Unfall, Selbstverletzung, ungesunde Familienstrukturen

Olive Hendersons Leben ist nach dem Brand in ihrer Wohneinheit der Dunbridge Academy nicht mehr so, wie es einmal war: Nach langer Zeit im Krankenhaus und in der Reha darf sie nicht mehr für ihr Team schwimmen. Denn die schweren Verbrennungen verheilen nur langsam. Außerdem soll sie jetzt die elfte Klasse wiederholen. Olive will das nicht auf sich sitzen lassen und versucht, den Stoff der Zwölften neben dem der elften zu lernen, um nach ihrem 18. Geburtstag wieder bei ihren Freund*innen zu sein, die jetzt im Abschlussjahrgang sind. Aber das will nicht so klappen, wie sie es sich vorstellt. Außerdem hütet sie noch ein bedrückendes Geheimnis, das – wenn es herauskommt – ihre Familie gänzlich zerstören könnte.

Zu all den Schwierigkeiten gesellt sich noch ein neuer Schüler, der Olive das Leben schwermacht: Colin Fantino, der Sohn einer bekannten amerikanischen Moderatorin. Er ärgert Olive, wo er nur kann, und macht auch ansonsten eine Menge Schwierigkeiten. Denn Colin verfolgt nur ein Ziel – er will wieder zurück in die USA, zurück zu seinen Freunden und erst recht zu seiner Schwester, die wie er unter den ungesunden Familienstrukturen zuhause leidet. Er selbst versucht durch Selbstverletzung diesem ständigen äußeren und inneren Druck zu entkommen. Dass das nicht lange gutgehen kann, ist absehbar.

Too much

Der dritte und Abschlussband der Reihe ist wie die beiden vorigen zwar als romantischer Roman angelegt, schwebt dabei aber nicht in einer rosaroten Blase, sondern bringt durchaus detailreich die Schwierigkeiten auf den Plan, die das Leben bereithalten kann. Er bringt damit mehr Authentizität und Plausibilität in die Geschichte. Das ist einerseits gut, denn reine Love-Stories sind seicht, durchschaubar und damit langweilig. Allerdings habe ich nach dem Lesen der Reihe und ähnlicher Romane in der letzten Zeit das Gefühl, dass damit zum einen übertrieben wird und zum zweiten das – ich nenne es jetzt einfach beim Namen, weil ich es mittlerweile so empfinde – Auswalzen der Probleme (zumal sie schwerwiegend und arg mannigfaltig für je nur eine einzige Figur sind) anscheinend gerade in Mode ist. Das ist auf Dauer too much. Da hilft auch irgendwann die Triggerwarnung nicht mehr, denn eigentlich dürfte man diese Romane aufgrund der zahlreichen Problemfelder gar nicht mehr lesen, weil man ständig getriggert werden kann. Ob das alles Sinn der Sache ist? Ich hoffe nicht.

Das zweite, was mir bei dieser Art der neuen Jung-Adult-Romane auffällt, sind die nur graduell unterschiedlichen Figuren. Gerade, wenn in der Ich-Form erzählt wird, ähneln sich die Mädchen- und Jungenfiguren doch sehr (z.T. bis in den Wortlaut hinein), sodass man sie irgendwann durcheinanderwirft. Das wird besser in der Er/Sie-Erzählung gehandhabt; so kann man die Unterschiede wohl leichter herausarbeiten.

Ansonsten legt die Autorin aber merkbar Wert auf einen stimmigen Spannungsaufbau und die Plausibilität ihrer Figuren und Situationen. Außerdem zeigt sie anhand ihrer Figuren auf, dass Probleme zwar immer vorhanden sein können, es aber Wege gibt (auch wenn diese oft genug krumm und bucklig verlaufen), sie in Angriff zu nehmen und damit letztlich umzugehen. Das kann Leser*innen in ähnlichen Situationen Mut machen und Lösungsstrategien aufzeigen. Und es zeigt, dass man nicht perfekt sein muss, um eine Liebesbeziehung zu verdienen und selbst unter widrigen Umständen zu führen. Der Roman zeigt aber auch, dass man sich für Beziehungen weiterentwickeln und aus Fehlern lernen (sich also ständig selbst reflektieren) muss – ein Status Quo der weiblichen und männlichen Figuren würde jegliche menschliche Beziehung früher oder später schrotten, nicht nur Liebesbeziehungen.


Genre: Jung Adult, Romantik, schwierige Lebenssituationen
Illustrated by LYX

Dunbridge Academy 2: Anyone

Dunbridge Academy - Anyone
 - Sarah Sprinz - PBNur beste Freunde?

Victoria Belhaven-Wynford und Charles Sinclair sind schon seit langer Zeit beste Freunde. Was beide allerdings voreinander verschweigen: Sie lieben sich gegenseitig. Aber immer wieder verhindern Befürchtungen und diverse Verstrickungen, dass sie sich ihre Liebe gestehen. Stattdessen lässt Charles das Gerücht aufkommen, er sei in Eleanor verliebt. Und Victoria geht eine Beziehung mit Valentine ein – vor dem sie allerdings nicht nur ihre Freundinnen, sondern auch Charles immer wieder warnen. Denn dieser verhält sich Frauen gegenüber toxisch. Nur will Victoria das nicht wahrhaben, da sie auch sieht, woher Valentine seine psychischen Schäden hat. Statt sich von ihm abzuwenden will sie Valentine helfen. Allerdings nimmt dieser keine Hilfe an, dafür demütigt er Victoria immer wieder. Trotzdem bleibt Victoria weiterhin an seiner Seite. Aber als sie erfährt, dass Charles zusammen mit Eleanor bei der alljährlichen Romeo-und-Julia-Aufführung den Romeo und Eleanor die Julia spielen wird, wird es immer schwerer für sie, ihre Gefühle für Charles zu unterdrücken. Als wäre das noch nicht genug, soll sie für die Drehbuch-AG die Liebesgeschichte zwischen den beiden verfassen. Und auch in Victorias Familie läuft nicht alles rund: Ihre Mutter hat erneut angefangen zu trinken.

 

Romantische Verwicklungen, Substanzmissbrauch, toxische Beziehungen

Der zweite Teil der Trilogie befasst sich mit einem Freundespaar von Emma und Henry: Victoria und Charles. Emma und Henry kommen zwar auch vor, nehmen aber jetzt Nebenrollen ein, da sowohl Charles als auch Victoria in Vergangenheit und Gegenwart mitsamt ihren Schwierigkeiten und Gefühlen näher beleuchtet werden. Es geht dabei eher nebenbei um den Konflikt Bürgertum-Geldadel und darum, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, denn der (Geld-)Adel hat so seine eigenen Schwierigkeiten. Alkoholsucht z.B. macht jedwede Familie kaputt und Sprinz zeigt, wie sehr Victoria und ihre Familie im co-abhängigen System gefangen sind. Valentine nimmt Drogen, um sich dem schädigenden Druck seiner reichen und mächtigen Familie zu entziehen, und er demütigt andere, um sich selbst zu erhöhen.

Victoria geht eine Beziehung mit Valentine ein, um über ihre Liebe zu Charles hinwegzukommen, aber auch, weil sie Valentine anziehend findet. Aber ihr kaum vorhandenes Selbstbewusstsein verhindert, dass sie dieser toxischen Beziehung rechtzeitig den Rücken kehrt – sie hat in ihrer Familie gelernt, sich und ihre Bedürfnisse zu unterdrücken und zu funktionieren. Immer wieder wird in ihren Formulierungen und Gefühlen deutlich, dass sie in die Falle der typisch-patriarchalen Rolle einer sich (auf)opfernden Frau tappt und dort lange verharrt, bis sie endlich ihren Zweifeln, ihren Gefühlen und ihren Freunden Gehör schenkt und sich nach und nach Selbstbewusstsein erarbeitet, das sie aus dieser Opferrolle befreit, die sie als Tochter und als Girlfriend innehat.

Diese emotionalen Stürme und Schmerzen tun schon beim Lesen weh, sodass die Triggerwarnung des Buches – toxische Beziehung, Essstörung, häusliche Gewalt, Substanzmissbrauch und Abhängigkeit – gerechtfertigt ist. Denn nicht nur die Hauptfiguren Victoria und Charles werden vorgestellt, sondern auch Victorias schwuler Bruder und dessen Boyfriend, der in einem gewalttätigen Zuhause lebt.

Die Buntheit von Beziehungen ist also ebenfalls Thema des Bandes, aber eher nebenbei – so sollte es auch in der Realität sein: Liebevolle Beziehungen, egal welcher Art, sollten so selbstverständlich sein, dass man keine großen Worte mehr darüber verlieren muss. Dass Beziehungen durchaus schwierig sind, kommt der Realität schon sehr nahe und korreliert auch mit dem Stoff von Romeo und Julia, die sich ebenfalls Schwierigkeiten gegenübersehen. Aber im Gegensatz zu deren tragischem Ende setzen die Figuren in diesem Band alles daran, ihre Schwierigkeiten anzupacken (wenn auch ganz realistisch mit Rückschlägen), zu überwinden und sich weiterzuentwickeln. Dabei helfen ihnen (Selbst-)Reflexionsfähigkeit, Kommunikation und Freundschaften. Es wird also auch gezeigt, wie man mit Schwierigkeiten umgehen könnte.

Was mich aber persönlich etwas gestört hat, ist das kaugummiartige Hinziehen der Beste-Freunde-Sache und die Verbohrtheit Victorias, was Valentine angeht, obwohl beides durchaus plausibel entfaltet wird. Das ist aber wohl meinem persönlichen Geschmack geschuldet.

 

Fazit

Romantische Verwicklungen mit Tiefgang. Für Teenager und junge Erwachsene.


Genre: Romantik, Substanzmissbrauch, toxische Beziehungen
Illustrated by LYX

Dark Rise

55424891. sy475 Gut gegen Böse?

Will lebt zusammen mit seiner Mutter ein einfaches Leben auf einem Bauernhof– bis eines Tages seine Mutter von mysteriösen Männern ermordet wird. Er selbst kann nur knapp entkommen und verdingt sich seitdem als Hafenjunge. Aber eines Tages wird er von einem reichen und einflussreichen Händler namens Simon gefangen genommen, der in ihm eine Wiedergeburt einstiger magischer Wesen sieht. Durch die Hilfe von Violett, der Schwester und Tochter der zwei treuesten Untergebenen Simons, kann Will sich befreien. Auf der Flucht werden die beiden von Kämpfern des Ordens der Stewards gerettet und finden dort Zuflucht. In Will sehen die Stewards einen Nachfahren der Dame, die vor langer Zeit den Dunklen König in seine Schranken verwiesen hat. Deshalb wird er von der Ältesten der Stewards in Magie unterrichtet, während Violett Unterricht in den Kampfkünsten erhält. Allerdings hat Violett ein Geheimnis, das für sie tödlich enden könnte: Sie ist ein Löwe – und die gelten als die treuesten und stärksten Verbündeten des Dunklen Königs. Aber auch Will hat zu kämpfen, denn in ihm wollen die Kräfte der Dame einfach nicht erwachen. Diese allerdings braucht er dringend, wenn er gegen James St. Clair, den mächtigen wiedergeborenen General des Dunklen Königs, bestehen will. Außerdem würde der Tod des Nachfahrens der Dame den Dunklen König wiedererwecken – und damit den Untergang der Welt einleiten.

Perfekt aufgebaute Fantasy-Welt mit überraschenden Wendungen

Der Auftakt der Trilogie verbindet Elemente der Steam-Punk-Fantasy mit Fabelwesen, die neu interpretiert werden, und mit eigenen neuen Ideen, angesiedelt im klassischen Setting „Gut gegen Böse“. Aber die Autorin versteht es auch hier, dieses Setting neu zu gestalten und ihrem Haupt-Helden eine überraschende Wendung zu geben, die sie aber schon subtil im Buch vorbereitet, sodass aufmerksame Leser*innen, die gut Spuren deuten können, ahnen, worauf die Geschichte hinausläuft. Insgesamt ist der Roman spannend, die Figuren sympathisch, die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, die Motive der Figuren sind nachvollziehbar.

Die vom Verlag beschworene und beworbene Diversität im Buch wird allerdings nur nebenbei behandelt, sodass die Inhaltangabe auf der Rückseite des Buches und die Pressemitteilung etwas irreführend wirken. Wer also meint, dass u.a. Homosexualität und Romantik den Großteil des Romans einnehmen, irrt. Beides kommt (wie schon geschrieben) eher nebenbei vor; es wird deutlich mehr Wert auf Spannung und Charakterentwicklung gelegt. Die Welt an sich ist stimmig, der Spannungsaufbau perfekt, die Handlungsstränge stringent und penibel geplant.

Die Beiläufigkeit der Erwähnung der sexuellen Orientierungen gefällt mir andererseits aber auch wieder gut. Denn das zeigt etwas, wo in der realen Welt noch deutlich Luft nach oben ist: Die sexuelle Orientierung, egal welcher Art, gehört einfach so sehr zum Leben dazu, dass darüber kaum noch Worte verloren werden müssen. In diesem Buch wird Homo- und Bisexualität so behandelt, wie sie in der Natur vorkommt: Sie war und ist schon immer da, gehört zum diversen (Über-)Lebensprinzip der Natur dazu und wird als Naturphänomen ganz selbstverständlich akzeptiert.

Frauen in diesem Roman werden als starke Frauen charakterisiert, wobei sie aber auch ihre Macken, Verletzlichkeiten und Schwächen haben – aber macht nicht gerade das sie stark? Violett wird in ihrer Eigenschaft als Löwe, der ohnehin ein Symbol für Mut und Kraft ist, ohnehin als stärker als sogar männliche Löwen dargestellt. (Sind es nicht die Löwenweibchen, die jagen gehen und das Rückgrat des Rudels bilden?) Dahingegen gestehen sich manche männlichen Charaktere ihre Schwächen, dunklen Seiten und Verletzlichkeiten ein, was ihrer Entwicklung einen Schub nach vorne versetzt. Der Kontrast wirkt umso mehr, weil Pacat auch Frauen und Männer einbaut, die im klassischen Rollenklischee verhaftet sind und nicht reflektieren. Aber selbst hier bricht zwar kein Mann, aber eine Frau (Katherine, in die Will sich verliebt hat) aus den Konventionen aus, um ihren eigenen Weg zu gehen – auch wenn dieser unsicher ist. Das spiegelt gut auch reale historische und aktuelle Situationen wider, denn es sind oft genug v.a. Frauen, die Ungerechtigkeiten anprangern und für Gerechtigkeit einstehen. Bei den Stewards ist es selbstverständlich, dass eine Frau den mächtigen Orden anführt, dass Frauen Führungsrollen übernehmen und kämpfen. Es wird nicht infrage gestellt, dass sie umfassend stark sind, auch körperlich. Das wird nicht explizit erwähnt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt und entsprechend im Roman behandelt – es ist Teil dieser Welt. Und es ist eine Frau, die der toxischen Männlichkeit nachhaltig die Stirn bietet.

Wie die sexuelle Orientierung und die Stärke der Frauen wird auch ein weiteres Thema eher nebenbei eingebaut, ohne aber an Wichtigkeit zu verlieren: der Glaube an die Wiedergeburt. Er wird nicht infrage gestellt, sondern ist selbstverständlicher Bestandteil der Welt, während die Magie, die früher keiner Erklärung bedurfte, in der aktuellen Zeit als Mythos gilt.

Fazit

Rundum gelungener Fantasy-Roman mit neuen Ideen, die sich in althergebrachten Mustern verstecken und diese aufbrechen. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung!


Genre: Entwicklungsroman, Fantasy
Illustrated by LYX

No longer yours – Mulberry Mansion

No Longer Yours - Mulberry Mansion - Merit Niemeitz - PBOh Schreck, der Ex!

Jura-Studentin Avery ist begeistert, denn sie hat eines der vergünstigten Zimmer in der Mulberry Mansion bekommen. Dafür muss sie zusammen mit ihren Mitbewohner*innen das alte Haus renovieren. Das macht ihr nichts aus, sind doch ihre Mitbewohner*innen nett – bis sie entdeckt, dass auch ihr Ex-Freund Eden an der Renovierung beteiligt ist. Wie der Zufall will, muss sie zusammen mit ihm den Dachboden des Hauses auf Vordermann bringen. Da brechen alte Wunden wieder auf, denn der ernste, eigentlich tiefsinnige und vernunftbegabte junge Mann hat sie ausgerechnet beim Abschlussball der Schule abserviert. Mehrere Versuche, mit ihm darüber zu reden, scheitern, denn Eden verhält sich ihr gegenüber kalt und reserviert. Aber schließlich öffnen sich die beiden wieder zart füreinander und Avery findet letztlich den Grund heraus, warum Eden sie damals aus heiterem Himmel verließ.

Einblicke in die Gedankenwelt hochsensibler Charaktere

Merit Niemeitz packt hier erfreulicherweise ein Thema an, das eher selten in der Belletristik vorkommt: den Ex-Freund. Zumindest in dieser Geschichte beleuchtet sie, was sich viele Verlassene fragen: Warum wollte er mich nicht mehr? Und: Gibt es eine zweite Chance? Gerade diejenigen, die verlassen wurden und darüber hinaus den Grund nicht wissen, leiden sehr, denn das Selbstbewusstsein sinkt in den Keller und sie kreisen ständig und schmerzhaft um die Frage „Warum?“. Das greift die Autorin sehr schön auf und schildert, wie es Avery mit dieser Last geht. Auch das angeknackste Selbstbewusstsein, das bei Frauen aufgrund der Sozialisierung sowieso niedriger ist als bei Männern, kommt hier immer wieder zum Tragen und verhindert schnellere und entschlossenere Vorgehensweisen und das Einfordern einer verdienten Erklärung.

Schön auch die Beschreibung der einzelnen Charaktere der Mitbewohner*innen, die liebenswert mit Macken sind. Man kann sich beim Lesen schon denken, dass die Autorin mehrere Figuren im Kopf hat, die sie als Hauptcharaktere für eine Fortsetzung nutzen will. Vielleicht ist das schon etwas zu offensichtlich, aber Fans der Geschichte wird es freuen.

Außerdem bekommen hier hochsensible Charaktere ihre Chance, gesehen und verstanden zu werden, denn Avery und Eden sind beide hochsensibel, d.h. mit feinen, alles wahrnehmenden Sensoren ausgestattet, die sie ihre Welt in einem intensiveren Licht sehen lassen. Dazu passt, dass Eden lesebegeistert ist und Avery zum Introvertierten neigt. Beide sind tiefgründig, mit einem reichen Innenleben ausgestattet, sehr gewissenhaft und werden überwältigt von den Anforderungen der Welt, sind aber auch im einem positiven Sinn sehr empathisch. Diese Empathie kann aber zu folgenschweren Fehlentscheidungen führen, wie die Autorin sowohl bei Eden als auch bei Avery herausarbeitet. Denn der Gedanke, nicht gut für jemand anderen zu sein und damit vorauseilend eine Entscheidung für diesen anderen mit zutreffen, hat viel Leid verursacht. Sie nimmt zudem dem anderen die Entscheidungsfreiheit und einem selbst die Möglichkeit für eine erfüllende Beziehung, was Niemeitz ebenfalls verdeutlicht. Aber auch die intensiven Emotionen, die Hochsensible haben, können im Weg stehen, denn Avery ist lange nicht bereit, ihrer Familie zuzuhören und deren Entscheidung nachvollziehen zu wollen. Stattdessen vergräbt sie sich in tiefem Groll. Die Gründe für die Entscheidungen der Hauptfiguren sind letztlich nachvollziehbar, die Probleme werden allerdings durch eine fehlende Eigenschaft verursacht: der Bereitschaft zur Kommunikation, die essenziell für jede Art von Beziehung ist. Auch das arbeitet die Autorin schön heraus, denn als Avery und Eden anfangen miteinander zu reden, wenn auch anfangs sehr holprig, öffnet sich die Tür für eine bessere Zukunft.

Die Triggerwarnung – häusliche Gewalt, emotionaler Missbrauch, Beschreibungen von Gewalt, Panikattacken, Trauer und Trauerbewältigung – finde ich gut, wie schon in meinen anderen Rezensionen geschrieben. Diese Themen verleihen der sogenannten „Trivialliteratur“ Tiefe, zumal sie von Niemeitz einfühlsam eingewebt werden und erklären, warum Menschen so handeln, wie sie handeln und dass man sie aufgrund ihres Handelns nicht vorschnell verurteilen soll.

Allerdings fällt der Roman auch durch ein paar Kritikpunkte auf: Niemeitz zieht, wohl dem Spannungsaufbau geschuldet, die Lösung in die Länge. Das liest sich irgendwann bemüht und lässt einen ungeduldig werden, denn zu viele Andeutungen und zu wenig Auflösung erhöhen nicht die Spannung, sondern eher den Unmut. Außerdem wirken Avery und Eden an manchen Stellen beinahe unsympathisch, denn Averys mauerndes Verhalten, was schon sehr an Schmollen grenzt, und Edens Kälte, sowie der Hang dazu, fast schon im Leiden zu baden – ohne die schlimmen Erfahrungen abwerten zu wollen, aber beide schlagen Hilfsangebote aus und bringen sich z.T. absichtlich in Schwierigkeiten – sind vor der Auflösung der Gründe hierfür kaum nachvollziehbar. Aber hier greift wieder, was ich schon oben erwähnte: Man soll Menschen nicht vorschnell verurteilen, Figuren auch nicht. Trotzdem ist es an manchen Stellen zu viel: zu viele Andeutungen, ohne dass es mit der Auflösung wirklich vorangeht, zu viel unverständliches Handeln, zu viele Wortwiederholungen, wenn Avery alles zu viel wird. Das alles soll zwar der Handlung und den Figuren Tiefe verleihen, aber es ist schlicht überdosiert. Das sage ich als Hochsensible, anderen fällt das vielleicht gar nicht auf und spielt somit beim Lesen keine Rolle.

Außerdem finde ich es wie schon bei anderen Romanen deutschsprachiger Autorinnen schade, dass sie ihre Welt in der englischsprachigen Kultur ansiedeln, was immer etwas bemüht rüberkommt, aber wohl dem Verkaufsargument geschuldet ist.

Fazit

Liebesroman mit einem eher seltenen Thema: Wie umgehen mit Ex-Freund*innen? Der Roman spricht auch schwierige Lebenssituationen an und wie diese in Beziehungen reinspielen, bietet dafür aber eine Lösung an: Kommunikation und Verständnis. Allerdings hat der Roman ein paar Schwächen, s.o. Fortsetzungen sind angedeutet.


Genre: Romance, schwierige Lebenssituationen
Illustrated by LYX

The Girl in the Love Song

The Girl in the Love Song
 - Emma Scott - PBDie ungeliebte “friend zone”

Ausgerechnet an ihrem Geburtstag tritt er in ihr Leben – Miller Stratton, ein sehr musikalischer Junge, der aber ein Geheimnis vor Violett hat: Er ist bitterarm und er will sich vor seiner reichen besten Freundin keine Blöße geben. Vom Vater verlassen wohnen seine Mutter und er in ihrem Auto, haben keine feste Bleibe und die Mutter muss zweifelhaften Jobs nachgehen, damit die Familie überhaupt überleben kann. All das prägt Miller zutiefst. Aber in Violett hat er eine zuverlässige Freundin gefunden, die ihm sogar das Leben rettet. Denn Miller hat Diabetes und weiß es nicht. Violett, die Ärztin werden will, regiert sofort, als er einen Schock erleidet, und kümmert sich ab diesem Zeitpunkt sorgfältig um Millers Gesundheit. Miller empfindet schon bald mehr für das großherzige Mädchen, aber Violett will ihre Freundschaft nicht für eine Liebesbeziehung aufs Spiel setzen, denn sie sieht an ihren völlig zerstrittenen Eltern, wohin eine Ehe führen kann. So leidet Miller heimlich, verarbeitet seine Gefühle aber in seinen Songs. Die gefallen irgendwann auch anderen und so nimmt seine musikalische Laufbahn durch Glück und Talent seinen Lauf. Als er es an die Spitze schafft, hat sich aber sein größter Traum nicht erfüllt: Violett ist immer noch „nur“ seine beste Freundin.

 

Raus aus den typischen Rollen für Frau oder Mann

Die in sich abgeschlossene Geschichte ist natürlich eine romantische Story: Die Charaktere merken, dass sie sich nicht nur mögen, sondern auch lieben. Aber wie bei romantischen Stories üblich haben sie mit vielen Hindernissen zu kämpfen, bis es vielleicht ein Happy End gibt. Dabei trifft die Autorin genau das richtige Tempo in der Entwicklung dieser Gefühle und wie mit ihnen umgegangen wird.

Liebeswirren sind den jungen Leser*innen schon bekannt, und diese können völlig unterschiedlich aussehen. Scott wählt hier Hindernisse, die eher nicht im Außen, sondern im Inneren eines Menschen ihren Ursprung haben: eine unglückliche Kindheit und Jugend, schädlich vorgelebte Rollen, Scham. Die Psyche spielt eine große Rolle in Beziehungen bzw. darin, ob man bereit ist, eine Beziehung und damit Nähe zuzulassen oder nicht. Und das bereitet das Buch hier sehr verständlich auf, wobei diese inneren Konflikte durchaus gern zum Spannungsaufbau genutzt werden, da sie sich hierfür anbieten.

Auch in diesem Buch gibt es wieder Triggerwarnungen: häusliche Gewalt, Krankheit von Angehörigen, Armut, Mobbing. Ich persönlich finde diese Warnungen gut, da man sich dann überlegen kann, ob man dieses Buch lesen will oder nicht. Allerdings habe ich auch schon gehört, dass allein die Triggerwarnungen triggern können. Wenn man allerdings bereit ist, sich seinen Ängsten zu stellen, bietet dieses Buch auch Möglichkeiten an, wie man mit Schwierigkeiten umgehen könnte.

Eine ganz zentrale Möglichkeit sind Freunde und das Sprechen über Dinge, die nicht gut laufen. Denn so hat man die Chance, mehrere Blickwinkel auf eine Sache zu erhalten und damit neue Ideen, wie man mit schwierigen Situationen umgehen könnte. Auch die Erleichterung und der Mut, den man aus guten Gesprächen schöpfen kann, sind nicht unerheblich für Problemlösungen.

Dabei gibt es aber auch in diesem Buch – wie im Leben auch – keine geraden Wege. Aber vielleicht sind ja v.a. die Umwege diejenigen, aus denen man letztlich am meisten lernen kann. Die Figuren haben Macken, auch Krankheiten, sie sind nicht perfekt. Sie ergehen sich aber nicht in ihren Leiden, sondern packen nach Phasen des Trauerns und der Tiefschläge immer wieder das Leben neu an. Die Kunst und die Träume, was man mit seinem Leben anfangen will, sind dabei zentrale Kraftquellen und im Fall der Kunst auch Katalysatoren, die wertgeschätzt werden.

Überhaupt ist mir in der sogenannten „Trivialliteratur“ und (nicht nur) in amerikanischen Teenagerfilmen immer wieder aufgefallen, dass diese Probleme in der Gesellschaft ansprechen und auf ihre Weise bearbeiten. Gerade in amerikanischen Filmen z.B. sind die Stars nicht die propagierten Sportler oder Cheerleader oder sonstwie beliebten Schüler*innen in der High School, sondern die „Nerds“ und ihre Lebenswelt. Schaut man sich an, was aus vielen Nerds geworden ist, weiß man, wie wenig sinnvoll patriarchalische Wertvorstellungen sind – die in solchen Filmen und in der Literatur auch direkt oder indirekt kritisiert werden. Denn männliche Sportler-Machos will eigentlich niemand, ebenso wenig weibliche seichte Barbie-Puppen, schlimmstenfalls noch garniert mit einem schlechten Charakter. „Nerds“ und Außenseiter dagegen haben viel mehr zu bieten, sind tiefsinniger und halten einer Gesellschaft, die auf Äußerlichkeiten und patriarchale „Werte“ Wert legen, den Spiegel vor. Man denke nur an Till Eulenspiegel oder die damaligen Hofnarren, die das Gewissen der Gesellschaft waren. In diesem Buch wird z.B. ein Typ Mann vorgestellt, der weit ab vom Krieger- und Sportlertyp ist, der aber tiefsinnig und komplex ist und dabei sehr kreativ. Außerdem lässt er Gefühle zu und verarbeitet sie.

Auch Violett fällt aus der Rolle, die für sie vorgesehen ist, weil sie diese kritisch hinterfragt und mutig genug ist, ihre eigenen Vorstellungen zu verfolgen. Sie zeigt Stärke und steht damit für eine typische Frau nicht im Sinne des Rollenklischees, in welchem eine Frau eher schwach und naiv sein muss, um dem Mann nicht im Weg zu stehen, sondern bildet eine Realität ab, in der Frauen gerade in einem System, das sie unterdrücken will, stark sind und auch sein müssen, um nicht nur zu überleben, sondern auch zu leben.

 

Fazit

Gelungenes Buch über Beziehungen, die wie in der Realität nicht immer einfach sind. Das Buch zeigt, dass jede*r ihr/sein eigenes Päckchen zu tragen und abzuarbeiten hat und in eine Beziehung mitbringt. Aber Eigenschaften (wie eine gute Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Unterstützung, Verständnis), die traditionell als feminin angesehen werden (die aber zentral sind für das Herdentier Mensch, um in einer Gesellschaft nicht nur zu bestehen, sondern glücklich zu werden und das Leben insgesamt zu verbessern!), garantieren damit auch das Finden und Erhalten einer guten Liebesbeziehung. Also von wegen „trivial“!


Genre: psychische Probleme, Romantik, soziale Probleme
Illustrated by LYX

West Well Heavy & Light

Westwell - Heavy & LightHigh Society

Helena Weston stammt aus reichem Elternhaus, aber sie hat ihren eigenen Kopf. So passt es ihr gar nicht, dass sie nach dem Tod ihrer Schwester 3 Jahre ins Ausland auf ein Internat gehen muss, bis sich die Aufregung um Valerie gelegt hat. Danach ist sie allerdings fest entschlossen, die Umstände des Todes von Valerie und ihrem Freund Adam aufzuklären, denn sie glaubt die Drogengeschichte, die man Valerie anhängen will, nicht. Die Familie Adams, die mit dem Westons schon lange in Konkurrenz steht, hat dieses Gerücht verbreitet, was die Feindschaft der beiden Familien weiter vertieft hat. Auch Helena hegt Hassgefühle gegenüber den Coldwells, v.a. gegenüber Adams Mutter, die maßgeblich für die üblen Gerüchte ist. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass der zweite Coldwell-Spross, Jessiah, ebenfalls mit dem Tod seines Bruders zu kämpfen hat und sich als guter Mensch herausstellt. Die beiden kommen sich näher als den Westons und Coldwells lieb sein kann. Hat diese Liebe genauso wenig Chancen wie die zwischen Valerie und Adam?

 

Cross Over von „Romeo und Julia“ und Krimi

Der 1. Band der Reihe erinnert an eine moderne Version von Shakespeares „Romeo und Julia“. Die Feindschaft zwischen zwei konkurrierenden Familien und verbotene Romanzen zwischen den Familienmitgliedern gibt es auch in Kiefers Geschichte. Wie in Romeo und Julia sterben Protagonisten, aber die Hauptprotagonisten von Kiefers Buch wollen ein Happy End. Zumindest im ersten Band stehen diesem aber einige Hürden im Weg, die für Spannung in der Geschichte sorgen. Da es allerdings schon so viele Nachahmungen dieses Settings gibt, reißt es mich nicht unbedingt vom Hocker, zumal es viele weitere Geschichten um Reiche und Schöne gibt. Gut, wenn auch nicht unbedingt neu ist allerdings der Ausbruch der Protagonist*innen aus den starren Rollen dieser Gesellschaft, wobei ich mir allerdings nicht sicher bin, ob die Autorin da nicht ein paar Klischees bzgl. der Reichen bedient, um ihre Hauptfiguren von ihren Familien noch besser abzuheben.

Kombiniert wird die sich anbahnende Romanze mit einer Art Krimi, da Helena fast wie eine Detektivin den mysteriösen Tod ihrer Schwester aufklären will, dabei aber wiederrum auf Hindernisse stößt, die dem Erhalt der Spannung dienen.

Erzählt wird aus der Sicht der jungen Frau und des jungen Mannes, sodass man als Leser*in Einblicke in beide Gedankenwelten erhält.

Das Buch enthält am Ende eine Triggerwarnung vor Panikattacken/Angststörungen und vor dem Tod Nahestehender, was ich persönlich gut finde – so wird niemand, die/der Probleme mit damit hat, verstört und kann das Buch wieder weglegen, wenn nötig. Gut ist ebenfalls, dass verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie man mit Tod und Störungen umgeht, auch negative, die kontraproduktiv für den Heilungsprozess sind. Positive sind in diesem Fall die Auseinandersetzung mit der Trauer und der Störung, anstatt sie zu verdrängen, und das Verständnis und der Beistand anderer, wie an Helena und Jessiah gezeigt wird. Jessiah z.B. nimmt die Angststörung seines Bruders ernst und geht im Gegensatz zu seiner Familie auf sie ein. Er unterstützt seinen Bruder, anstatt ihn unter Druck zu setzen. Helena und Jessiah unterstützen sich gegenseitig in ihrem Trauerprozess, nachdem sie einigermaßen Vertrauen zueinander gefasst haben. Das verleiht dem Buch etwas mehr Tiefe, sodass es nicht nur eine Neuaufmachung von schon Altbekanntem ist.

Was mich persönlich an Büchern dieser Art stört, ist die Verlegung der Story ins englischsprachige Ausland. Warum nicht z.B. Deutschland, wenn schon die Autorinnen deutschsprachig sind? So wirkt das Setting immer etwas aufgesetzt und nicht so natürlich wie es hätte sein können.

 

Fazit

Insgesamt eine moderne Neuauflage von Shakespeares Romeo und Julia, kombiniert mit Kimi-Elementen, die flüssig zu lesen ist, aber einen nicht unbedingt vom Hocker reißt, wenn man dieses Setting schon kennt.


Genre: Jung Adult, Romance
Illustrated by LYX

Lonely Heart

Lonely HeartBeziehung unter schwierigen Bedingungen

Rosie hat gegen den Willen ihres Vaters eine eigene Webradio-Show aufgebaut, die mittlerweile beim jungen Publikum sehr gut ankommt. Mit ihrer einfühlsamen Art kann sie sogar Stars für ein Interview gewinnen, so auch die Band „Scarlet Luck“. Rosie verbindet mit der Band schon seit Jahren gute Gefühle und hilfreiche Momente, da ihre Musik sie in schwierigen Situationen getröstet hat. Außerdem ist sie Fan von Adam, dem Schlagzeuger der Band. Dementsprechend aufgeregt ist sie, als die Band einwilligt, in ihr Studio zu kommen. Aber dann geht aufgrund eines Fehlers ihrer Assistentin alles schief: Die Band verlässt verärgert frühzeitig die Show und danach prasselt ein nie gekannter Hassstrom auf Rosie ein. Das ist sogar „Scarlet Luck“ zuviel, sodass sie mit Rosie ein Zeichen gegen Hass im Internet setzen wollen. Rosie besucht also ihr Konzert, und die Band macht mit ihr ein Solidaritäts-Foto. Dabei kommen sich Rosie und Adam, der aufgrund eines Traumas keine Berührungen erträgt, ein wenig näher. Adam, ein gebrochener Mann, versucht seine Ängste in exzessiven Konzerten und mindestens ebenso extensivem Alkoholmissbrauch zu ertränken. Aber durch die einfühlsame Rosie gewinnt er allmählich wieder ein wenig Kontrolle über sich. Rosie selbst verliebt sich in Adam und versucht für ihn dazusein. Aber das Leben macht der zart erblühenden Liebe immer wieder einen Strich durch die Rechnung.

Sucht- und andere Probleme

Das Buch enthält zu Recht eine Warnung vor triggernden Inhalten. In diesem Fall sind das Substanzmissbrauch, Depressionen, Panikattacken und die Andeutung von sexueller Gewalt. Deshalb ist für mich nicht nachvollziehbar, warum ein Verlag immer noch auf solch nichtssagende und seichte (kundenfangende) Titel setzt wie „Lonely Heart“, weil das den Inhalt unnötig bagatellisiert und der Qualität des Buches nicht gerecht wird. Solche Titel sind für seichte Bücher in Ordnung, aber seicht ist dieses Buch nicht, da es z.T. bis ins Detail das Leben mit Süchten, Depressionen und Panikattacken beschreibt. Das Buch folgt einem in meinen Augen guten Trend, der anscheinend gerade im Schwange ist: die als trivial angesehene Frauenliteratur aus der Nische der Trivialität herauszuholen, indem es u.a. Romantik und Livestyle mit ernsten Problemen koppelt – so wirkt das Erzählte lebensnäher und weit weniger seicht und trivial als in so manch anderem Buch, das tatsächlich nur eine oberflächliche Love-Story erzählt. Bzgl. sexueller Gewalt ist diesmal auch keine Frau betroffen (die sonst die undankbare Opferrolle innehat), sondern ein Mann.

Was tatsächlich laut Erfahrungsberichten und Fachliteratur zu seicht geraten ist, ist die Vorstellung, dass Liebe einen aus der Sucht befreit. Hier greift in der Realität eher die Rolle der Co-Abhängigkeit der Angehörigen und (Ehe-)Partner*innen. Liebe kann nur dann etwas bewirken, wenn der alkoholabhängige Mensch aus freiem Willen der Abhängigkeit entkommen möchte. Meist ist das, wenn überhaupt, aber nur der Fall, wenn er an einem Tiefpunkt seines Lebens angekommen ist und alle anderen ihn verlassen haben. Weil das Buch triggern könnte, aber auch für Leser*innen, die von den triggernden Inhalten unbelastet sind, sind manche Passagen trotzdem gefühlsmäßig schwer zu ertragen. Im Prinzip wird ein ständiges Wechselbad der Gefühle entfacht. Das zeigt aber auch, dass die Autorin es versteht, die Leser*innen an das Buch zu binden. Zudem zeigt die Autorin an der Entwicklung der Hauptpersonen, wie man sich aus schwierigen Situationen wieder herauskämpft, was durchaus Vorbildcharakter hat. Und dass im Showbusiness nicht alles Gold ist, was glänzt. Außerdem werden Gefahren wie Hetze und Mobbing im Netz angesprochen und gezeigt, welche Folgen das für die Betroffenen haben kann. Die Autorin ist also ziemlich nahe an der Welt ihrer jungen Leser*innen dran. Dabei schreibt sie spannend und sensibel, sodass man sich als Leser*in gut in die Personen und Situationen einfühlen kann.

Das Buch leitet eine Reihe ein.

Fazit

Insgesamt also empfohlen und definitiv keine Trivialliteratur, auch wenn sie durch den unpassenden Titel auf den ersten Blick als solche daherkommen mag.


Genre: Jung Adult, Romantik, Sucht
Illustrated by LYX

Dunbridge Academy – Anywhere

Dunbridge Academy - Anywhere - Sarah Sprinz - PBNeuanfang in Schottland

Die deutsche Gymnasiastin Emma hat sich entschieden, als Austauschschülerin für ein Jahr nach Schottland auf die Dunbridge Academy zu gehen. Ihre vielbeschäftigte Mutter freut sich, denn sie war ebenfalls Schülerin des renommierten Internats, das für eine gute Zukunft seiner Schüler*innen steht. Aber Emma geht nicht nur aus Bildungsgründen nach England – sie will ihren verschollenen Vater finden, der die Familie vor einigen Jahren verlassen hat, und ihm einige für sie wichtige Fragen stellen. Da ihr Vater ebenfalls die DA besucht hatte, erhofft sie sich Hinweise vor Ort, um ihn suchen zu können.

Womit sie nicht gerechnet hat: Sie entwickelt Gefühle für ihren Mitschüler Henry. Aber Henry ist schon vergeben und scheint mit seiner Freundin Grace ein perfektes Paar zu bilden. Aber dieser Schein trügt, denn Grace vergöttert zwar ihren Freund, aber Henry hat sich innerlich schon von ihr entfernt. Um alles noch komplizierter zu machen, scheint ein griesgrämiger Lehrer Emma vom ersten Tag an auf dem Kieker zu haben. Aber er könnte auch etwas mit der Vergangenheit ihrer Eltern zu tun haben. Emma beschließt, diese wenn auch schwierige Chance zu nutzen, um ihren Vater zu finden.

Wirklich schwierig wird es für Emma, Henry und ihre Freund*innen, als Henrys Schwester stirbt. Henry fällt in tiefe Depressionen, die ihn zu verschlingen drohen.

Ernste Themen in „trivialem“ Gewand

Der in sich abgeschlossene Band (er behandelt vordergründig die romantische Beziehung zwischen Emma und Henry) ist Teil einer Reihe. Als Extra ist eine Karte der DA beigelegt. Eigentlich zur Belletristik und eher zur Trivialliteratur zählend, ist allerdings nur die Rahmenhandlung „trivial“, weil sie eine romantische Beziehung behandelt. In diese eingebettet sind erste Themen: Tod, Trauer, Trauerbewältigung, Verlust, Substanzmissbrauch und Abhängigkeit, die plausibel entfaltet werden, auch wenn man stellenweise den Eindruck hat, dass die Teenager zu erwachsen handeln.

Ebenso wird das Thema alleinerziehende Familien und deren Konsequenzen angesprochen: der Verlust, den die Kinder verarbeiten müssen, der fehlende Vater, die immerzu beschäftigte Mutter, das frühe Aufsichalleingestelltsein, die schmerzlichen vielfältigen Gefühle der Kinder. All dies wird am Beispiel von Emma thematisiert, die versucht, ihre schmerzliche Vergangenheit aufzuarbeiten, indem sie ihren Vater, und damit Antworten, sucht. Der Wert von Freundschaften vor allem in schwierigen Zeiten wird ebenfalls thematisiert.

Insgesamt hat dieser Roman Züge eines Entwicklungsromans: Die Heldin (aber auch die Freund*innen) ziehen aus, um erwachsen zu werden / sich weiterzuentwickeln, und müssen auf ihrem Weg Schwierigkeiten meistern. Die Teenagerzeit hält viele Herausforderungen bereit, die ebenfalls zu diesem Weg zählen und im Roman angesprochen werden. Dass all dies nicht ohne Irrungen und Wirrungen, Fehler und Stolperfallen abgehen kann, zeigt der Roman immer wieder – das macht ihn für die junge Leserschaft plausibel und nachvollziehbar. Sie können sich wahrscheinlich gut mit den Held*innen identifizieren. Lösungen werden ebenfalls geboten, auch wenn die ein oder andere Lösung im ersten Moment nicht im Sinne der Held*innen ist.

Allerdings frage ich mich, warum die Haupthandlung meist im (englischsprachigen) Ausland stattfinden muss – in Deutschland würden sich die Themen doch ebenfalls gut umsetzen lassen. Die Anlehnung an englisch- bzw. amerikanischsprachige Kultur soll wohl Verkaufsargumenten dienen. Was schade wäre.

Insgesamt empfohlen.


Genre: Jugendroman, Tod, Trauer, Verlust
Illustrated by LYX

“Someone new” und “Someone else”

Someone NewAlles ganz normal?

Micah stammt aus reichem Elternhaus und hat damit alle Chancen, ebenfalls Karriere zu machen. Nach dem Willen ihrer erfolgreichen Eltern soll sie Jura studieren. Als gehorsame Tochter fängt sie tatsächlich ein Jura-Studium an, kann aber mit den staubtrockenen Lehrthemen wenig anfangen. Denn eigentlich hat Micah eine ganz andere Leidenschaft: Sie liest und zeichnet Comics. Deswegen würde sie gern Kunst studieren, aber da das als brotlose Kunst gilt, betreibt sie das Zeichnen nur nebenher. Allerdings wandelt sie sich langsam, als sie in ihre eigene Wohnung zieht: Eh schon quirlig und zielstrebig veranlagt findet sie unter neuen Freund*innen immer mehr zu sich selbst. Dazu verhilft ihr auch ihr Nachbar Julian, der zuerst kühl und abweisend auf sie reagiert, dem sie aber keine Chance zum Rückzug lässt, denn sie hat sich längst in den hübschen, kleinen Mann verguckt. Julian scheint schließlich unter ihrer fröhlich-liebenswerten Art langsam aufzutauen, trotzdem wird Micah das Gefühl nicht los, dass er ihr etwas Wichtiges verheimlicht. Und das führt zu einigen Komplikationen.

Someone Else

Währenddessen haben Julians WG-Mitbewohner*innen Cassie und Auri eigene Probleme. Die Diabetikerin Cassie absolviert ein Literaturstudium und ist begeisterte Fantasy-Leserin und Cosplayerin. Ihr bester Freund Auri dagegen hat sich dem Sport verschrieben, v.a. dem Football. Allerdings führt er ein Doppelleben, denn auch er mag alles, was mit Fantasy zusammenhängt – aber er fürchtet die Reaktionen seiner Footballfreunde und seiner Familie, sollten sie jemals etwas von diesem Hobby erfahren. Cassie, die Auri heimlich liebt, findet, dass er zu sich stehen sollte. Dass Auri nicht zu sich und damit auch zu Cassie stehen will, verursacht immer wieder Verletzungen und Streit.

Alles ganz normal!

Die o.g. beiden ersten Bücher dieser Reihe kommen auf den ersten Blick wie „ganz normale“ romantische Trivialromane einher, denn die Liebesirrungen und -wirrungen stehen hier eindeutig im Vordergrund. Was diese Romane aber von anderen klar unterscheidet, ist die Leichtigkeit, mit der die Autorin Themen einflechtet, die nach der offiziellen Meinung der Gesellschaft eher Randerscheinungen und damit außerhalb der Norm angesiedelt sein sollen, trotzdem aber in Wahrheit inmitten der Gesellschaft und damit im konkreten Alltag existieren: Krankheiten wie Diabetes und der Alltag mit einer solchen Krankheit, Homosexualität, Transsexualität, Liebesbeziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarben und Größen, die Liebe zwischen einer älteren Frau und einem deutlich jüngeren Mann, sich behaupten gegen Bodyshaming, Teenagerschwangerschaft, „Nerds“ (Fantasy, Metal, Horror…), Migration.

Das scheint auf den ersten Blick viel an „außergewöhnlichen“ Themen zu sein, wird aber von der Autorin so selbstverständlich und wie nebenher behandelt und eingeflochten, dass es zu dem wird, was es de facto auch ist: eine ganz normale Sache. Kneidl stellt mit ihren Büchern und dem Setting der sogenannten Trivialliteratur (die bei genauerer Betrachtung gar nicht so trivial ist) die Vielfalt des Lebens dar – und diese Vielfalt ist inmitten des Lebens, des Alltags und sie ist sowas von normal! Sichtbar wird das an ihren Figuren, die trotz oder gerade wegen ihrer „Andersartigkeit“ ganz normale Leute sind – die aber wegen einer konformen, nicht über den Tellerrand blicken wollenden Gesellschaft nicht als normal gesehen werden. Und deshalb werden Micah, Cassie, Auri, Julian und all die anderen von genau diesen Vertreter*innen der konformen Gesellschaft immer wieder behindert, ausgegrenzt und diffamiert, was die beiden Romane nicht verschweigen. Sie bieten aber auch Lösungen an in Form von neuen Freundschaften, Lautsein und sich stark machen für die eigenen Rechte, zu sich selbst stehen, sich Gleichgesinnte suchen, sich gegenseitig unterstützen, aber auch ehrlich miteinander sein.

Was also in der Rahmengestaltung vermeintlich trivial daher kommt (die unsäglichen Buchtitel allein hätten mich wohl wirkungsvoll vom Lesen abgehalten), ist von den Themen und der Selbstverständlichkeit der Themen, die ja wirklich mitten im Alltag vorkommen, alles andere als trivial, sondern zentral. Denn die Natur arbeitet mit Diversität als Überlebensprinzip, und wer die Augen aufmacht und über den Tellerrand blickt, der sieht das auch an jeder Ecke und Kante. Von daher sehr gelungene Bände und: Gern mehr davon! Mindestens eine Fortsetzung gibt es schon: „Someone to stay“.

Einziger Wehrmutstropfen: Warum müssen die Romane, selbst wenn sie von deutschsprachigen Autor*innen verfasst werden, mit amerikanischem Setting arbeiten, das zumal beim Lesen etwas unecht wirkt? Ich finde das völlig unnötig; all das kann man genauso gut in jedem anderen Land ansiedeln, also auch im deutschsprachigen Raum. Da hat der Verlag wohl auf Verkaufszahlen gedrängt, weil das Amerikanische angeblich besser ankommt. Schade!


Genre: Diversität, Roman, Romantik
Illustrated by LYX