Südtirol. Eine literarische Einladung. Die Marmolada, die Brenta-Gruppe, der Rosengarten sowie die eiszeitliche Bletterbachschlucht sind längst UNESCO-Weltnaturerbe und ohne sie könnte man sich wohl kein Südtirol denken. Denn die Berge sind es, die auch die Mentalität der Bewohner:innen beeinflussen.
Haut-Adige, Alto Adige oder doch Südtirol?
“Wer über den Tourismus in den Alpen schreibt, muss daher bei ihnen beginnen, den Bergen“, fordert Selma Mahlknecht im Eingangsessay dieser literarischen Einladung, die in unser Nachbarland Italien führt. Und auch wenn es vielleicht als unpopulär gilt, in einer globalisierten Welt, Wurzeln haben wir doch alle und das Fremdsein in der Fremde ist doch auch nichts anderes als die Fremdheit der Spiegelung des Ichs in einem Bergsee. Oder dem eigenen Badezimmerspiegel. “Doch die Flucht aus der Welt“, schreibt Mahlknecht so treffend, “endet immer in der Welt – und das Ausbrechen aus dem Ich wirft das Ich auf sich selbst zurück.” Für die Berge bedeutet dies vor allem, dass wir immer wieder zu ihnen zurück kommen werden, denn sie waren einfach schon vorher da. Oder wie der Name Alto Adige (für Südtirol) schon verrät: die Berge, die sind weiter oben. Alessandro Bando verrät in seinem Beitrag, dass der Begriff Alto Adige aber in Wirklichkeit ein Gallizismus sei und durch ein Dekret Napoleons eingeführt worden wäre, also “Haut-Adige“, um genau zu sein. Andererseits bezieht sich der Begriff Südtirol aber auch auf das Trentino. Nur einen Ort gäbe es, der kein dreisprachiges Verkehrsschild habe: Lana. Lana für Italienisch-, Deutsch-, Ladinischsprachige, für Südtiroler und Altoatesini.
Ohne Knödel hosch ned gess’n
Magdalena Fingere erzählt in “Bozen” von ihrem aphasischem Vater und ihrem eigenen Asthma. Gianni Bianco von einem Haus am Damm. Und sogar ein Stefan Zweig Gedicht über die “Bozner Berge” hat sich in diese Publikation geschlichen: Viele fromme Worte fallen dir ein/Doch du mußt sie Gott nicht erst sagen;/Du brauchst nur dein rauschendes Herz hinein/In den lauschenden Morgen zu tragen. “Weil i’s nimmer derpock“, weint das Luzele in Helene Flöss’ “Löwen in Holz”, sie schafft es am Allerheiligentag nicht mehr, die Krapfen zu verdrücken. Denn der Allerheiligentag ist ein Festtag geworden, weil der ganze November ein so traurig-grauer Monat ist. “Ohne Knödel hosch ned gess’n” könnte man da auf gut Südtirolerisch antworten. Denn Schulter, Krapfen, Planten, mezzelune und Schmarrn gehören zur klassischen “weißen” Küche. Die Tomaten hätten erst nach dem Weltkrieg Einzug gehalten. “Hinaus in die Welt, nichts als hinaus in die Welt“, hatte der Vater in “Die Walsche” von Joseph Zoderer immer gerufen. Aber jetzt war er tot und sie musste im Gasthaus in dem er sich zu Tode gesoffen hatte die Beileidswünsche bei einem Glas Wein oder Schnaps entgegennehmen. “Dem Naz (Besitzer des Gasthofs) hätte sie mal liebsten grazie! mille grazie! ins Gesicht gezischelt aber sie fragte nur: Schnaps oder Wein”. Er hatte sie als erster “Die Walsche” genannt, nur weil sie Hausaufgaben in Italienisch gemacht hätte.
Schöne Welt, böse Leut
Andersherum war es beizeiten sogar lustig, wie Claus Gatterer, Begründer der transnationalen Geschichtsschreibung, in “Schöne Welt, böse Leut” erzählt. “Mamma mia, che nome ostrogotico! Va a farti frigere“, rief seine Italienisch-Lehrerin einem Klassenkameraden nach, dessen (deutschen) Nachnamen sie als Welsche nicht aussprechen konnte. Besonders schwierig waren nämlich Namen mit “h” für sie. “Als hätte sie einen Igel verschluckt“, beschreibt Gatterer ihre Weigerung deutsche Namen auszusprechen oder derlei Versuche. Aber natürlich gab es auch dabei Ausnahmen, denn die Namen der besseren Leute konnte sie durchaus aussprechen. Im Anhang befinden sich auch Kurzbiographien und Quellen der Texte aus denen die Auszüge stammen. Gedichte in lateinischer Sprache plus Übersetzung sind ebenfalls lesenswert in dieser literarischen Einladung nach Südtirol. Mit weiteren Texten und Übersetzungen aus dem Italienischen wie Ladinischen von Marco Balzano, Roberta Dapunt, Oswald Egger, Maddalena Fingerle, Claus Gatterer, Lilli Gruber, Francesca Melandri, Maxi Obexer, Joseph Zoderer und vielen anderen. Von Gaby Wurster sind bei Wagenbach auch literarische Einladungen nach Genua und Ligurien, Triest und Lissabon erschienen.
Gaby Wurster (Hrsg.)
Südtirol. Eine literarische Einladung
SALTO [284].
2024, 144 Seiten. Rotes Leinen. Fadengeheftet
ISBN 978-3-8031-1383-2
Wagenbach Verlag
22,– €