E.M. Cioran. Um den 1911 in Rasinari bei Hermannstadt in Siebenbürgen als Sohn eines griechisch-orthodoxen Priesters geborenen rumänischen Schriftsteller ist es ruhig geworden. 2024, zum 30. Jahrestag seines Todes, erschien beim Suhrkamp Verlag eine Biographie mit dem Titel “Cioran, der Ketzer” von Patrice Bollon, die ihn ausgehend von dem verhängnisvollen Irrtum seiner Jugendzeit bis hin zu seinem bedeutenden Werk als Schriftsteller und Stilisten der französischen Sprache zeigt.
Läuterung eines Skeptikers
Am besten lässt sich der existentialistische Skeptiker anhand zweier anderer Bücher beim Suhrkamp Verlag entdecken. Mit “Vom Nachteil, geboren zu sein” (1979) und “Syllogismen der Bitterkeit” (1952) lässt sich der Verfasser zahlreicher Aphorismen als Meister der Klarheit, der Eleganz und der Gelassenheit erkennen, der frei von seinen Jugendsünden voller antisemitischer und hitlerfreundlicher Äußerungen vor allem den späteren Philosophen entdecken lässt. Cioran hatte von 1928 bis 1931 das Studium der Philosophie an der Universität Bukarest belebt, bis 1939 waren schon fünf Bücher in rumänischer Sprache von dem erst 28-Jährigen erschienen.
Cioran, der Ketzer
1937 kam Cioran als Stipendiat nach Paris, wo er als freier Schriftsteller lebte und ab 1945, dem Endes Krieges, begann, auf Französisch zu schreiben. Er starb am 20.6.1995 in Paris. Seine Bewunderung für Hitler und teilweise menschenverachtenden Aussagen stehen in einer Reihe anderer zeitgenössischer Schriftsteller wie etwa Louis Ferdinand Celine oder Curzio Malaparte, müssen allerdings von seinem Werk getrennt werden. Daran arbeitet sich auch die Biographie von Patrice Bollon ab, die den “Ketzer” im kulturellen und politischen Umfeld seiner Zeit porträtiert. Ballon zeigt, wie Cioran sich von seinen frühen Artikeln sowie jene verhängnisvolle Schrift über die “Verklärung Rumäniens” in einer lebenslangen Auseinandersetzung mit ebendiesem Irrtum von den “blutigen Possen” der Utopie und von jedem Glauben zu befreien suchte.
Rausch der Ausweglosigkeit
Bei Cioran ist ohnehin alles Lug und Trug. Selbst das Denken: “Alles ist Trug, ich habe es immer gewußt…” Auch das Denken selbst noch, das den Trug zu entlarven sich bemüht, entpuppt sich früher oder später als (Selbstbe-)Trug. Wer Nietzsche oder Georges Bataille gelesen hat, wird auch Cioran lieben, denn er verletzt und verstört ebenso alles, was uns bis vor kurzem noch als hoch und heilig galt. Der Geist ist stets “Indiskretion, Übergriff, Profanierung. Er `arbeitet´ nicht, er zersetzt. Die Spannung, die sein Vorgehen verrät, beweist Brutalität und Unerbittlichkeit. Ohne eine kräftige Dosis Grausamkeit könnte man keinen einzigen Gedanken zu Ende führen.” Harter Tobak also, wenn man seine Gedanken nicht mehr zensiert und sie so kreisen lässt, wie sie es wollen, wie es Cioran auch getan hat.
E.M. Cioran, der radikale Skeptiker
In seinen Aphorismen hat Cioran stets eine Position bezogen, die er selbst als die des Zweiflers, des radikalen Skeptikers bezeichnet. Darin kann er – jenseits aller intellektuellen weltanschaulichen Lager – sicherlich als Vorbild dienen, denn der Geist sollte keinen Tabus oder Beschränkungen ausgesetzt sein. Anders verhält es sich da schon mit der Tat. “Die Ideen”, schreibt er in “Vom Nachteil, geboren zu sein“, “eignen sich schlecht zur Agonie; sie sterben, das versteht sich, aber sie wissen nicht zu sterben, während ein Ereignis nur in Hinsicht auf sein Ende existiert. Das ist ein zureichender Grund, um die Gesellschaft der Historiker derjenigen der Philosophen vorzuziehen”, sagt der, der Philosoph.
Syllogismen der Bitterkeit
In der gleichnamigen Sammlung (im Französischen Original: Syllogismes de l’Amertume) widmet sich Cioran Themen die mit den Überschriften “Atrophie des Worts”, dem “Zirkus der Einsamkeit”, dem “Taumel der Geschichte” oder den “Quellen des Leeren” zusammengefasst wurden. Er schreibt auch “Über Musik”, den “Sog der Geschichte” oder den “Okzident”. “Wie sehr liebe ich die Geister zweiten Ranges, die aus Taktgefühl im Schatten des Genies der anderen lebten und ihr eigenes aus reiner Scheu ablehnten”, schreibt Cioran da einen Gedanken auf, der seine eigenen “stummen Tiefen” schon erahnen lässt. Im mit “Zirkus der Einsamkeit” übermittelten Kapitel geht es in seinen Aphorismen schon konkreter zur Sache: “Ich lebe nur, weil es in meiner Macht steht zu sterben, wann es mir belieben wird: ohne die /Idee/ des Selbstmords hätte ich mich schon längst getötet.” Die Verzweiflung bleibt für ihn Reportage, die Hoffnung Fiktion. Dennoch ziehe man aus dieser Fiktion die Nahrung zu leben. “Ohne Gott ist alles nichts; und Gott?”, schreibt der bei Priestern aufgewachsene Cioran, “Höchstes Nichts”.
Vitalität der Liebe
Schmeichelei betrachtet er als Waffe unsere Mitmenschen zu “knechten, demoralisieren und zu korrumpieren“. “Eine Liebe, die aufhört ist eine so reichliche philosophische Erfahrung, dass sie aus einem Friseur einen Konkurrenten des Sokrates macht“, in “Vitalität der Liebe”. Kurzum zu jedem Thema das uns wichtig erscheint, sind hier Gedanken und Aphorismen Cioran zusammengefasst, die uns in Unruhe versetzen können und die alteingesessenen Komfortzonen verlassen lassen. Das mag für manche unbequem sein, für andere die Essenz des Lebens. Oder wie sagt es Cioran: “Offen gestanden, kann man von irgendetwas anderem reden als von Gott oder von sich selber?”
E. M. Cioran
Vom Nachteil, geboren zu sein
Aus dem Französischen von François Bondy
1979/2023, Broschur, 176 Seiten
ISBN: 978-3-518-37049-0
Suhrkamp Verlag
10,30.-€
Syllogismen der Bitterkeit
Bibliografische Angaben
1980/2016, Broschur, 90 Seiten
ISBN 978-3-518-371
Suhrkamp Verlag
11,00.-€


Südtirol oder auch Alto Adige und Trentino ist ein ganzjähriges Paradies. Schifahren in den Dolomiten, Baden im Kälterer See. Die Region zwischen Italien und Österreich, die auf eine konfliktreiche Geschichte zurückblickt, stellt sich in vorliegender Sammlung einheimischer Schriftsteller:innen vor. So genießen auch Leser:innen Schlutzkrapfen und Canederli, tauchen nach dem Kirchturm im Reschensee, treffen auf eine schöne Welt und böse Leut’, erleben Berg und Breakfast, singen launige Oden auf Bruneck oder erinnern sich an die erzwungene Italianità im Faschismus.
Wild nach einem wilden Traum. Nach “Das Vorkommnis” und “Das Liebespaar des Jahrhunderts” nun der letzte Teil der Trilogie “Biographie einer Frau“. Die beiden ersten erscheinen zeitgleich auch schon als Taschenbuch und die Autorin geht auf Lesereise durch Deutschland West und Ost.

Schon die Vorwörter dieses Briefwechsels sind lesenswert: Gekauft hatte ich es als Taschenbuch, 2021 in England erschienen, mit einem Vorwort von Fergus Garrett, dem Nachfolger Lloyds in Great Dixter, und natürlich auch mit denen der beiden Autoren von 1998.
Franz Kafka: Ein Landarzt. Kleine Erzählungen. Seit 2016 erscheint bei Galiani die liebevoll gestaltete Ausgabe der Illustrierten Lieblingsbücher. Band 1 war damals Franz Kafka’s Landarzt, der – längst vergriffen – nun aus Anlass des 100. Kafka Jubiläums vom Verlag neu aufgelegt wurde. Abgesehen von den zahlreichen Illustrationen von Kat Menschik befinden sich neben dem Landarzt auch viele andere bekannte Kurzgeschichten Kafkas in dieser farbenfrohen Lektüre. Werke der Weltliteratur und andere Lieblingstexte, in Szene gesetzt von Kat Menschik.
abgeleitet für “abraten” oder “widerraten”. Das hauptwörtliche Odradek wäre dann ein Abrater oder Meckerer, wie Max Brod erläutert. Aber in der Geschichte seines Schützlings, Franz Kafka stellt sich der Erzähler selbst die Frage, was aus dem Odradek einmal werden soll, wenn er nicht mehr ist. “Alles was stirbt, hat vorher eine Art Ziel, eine Art Tätigkeit gehabt und daran hat es sich zerrieben”, klagt der Erzähler, aber ein Odradek? Zumindest is eines sicher: der Odradek wird ihn überleben. Kat Menschik hat natürlich auch diesen Odradek abgebildet, für alle die sich darunter noch nichts vorstellen können. Noch viel bunter wird es in der Geschichte “Elf Söhne”, denn Menschik hat den Ehrgeiz entwickelt gleich alle elf auf einer Doppelseite unterzubringen. Der Vater ist auch drauf, aber der steht abseits, fast deplatziert, an den Rand gedrängt. Der elfte Sohn weiß Bescheid, er ist der letzt dem er vertraut, aber wenigstens der Letzte. Auch das ein Privileg. Denn er wird noch leben, wenn alles gut geht, wenn alle anderen schon das zeitliche gesegnet haben. Um einiges brutale geht es dann schon in der nächsten Geschichte “Ein Brudermord” weiter. Hier blitzt gleich das blanke Messer noch bevor die Erzählung richtig los geht, gruselt es schon.
Salman Rushdie sollte im Rahmen eines Projektes für in ihren Ländern verfolgte Autoren eine Rede halten, darüber „wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern einzusetzen.“ Er sieht den Mann aus dem Publikum im Staat New York aufstehen und auf ihn losrennen—ein Sicherheitsdienst war nicht vorgesehen.
Andalusien. Eine literarische Einladung. Die reiche Kulturlandschaft Andalusiens bot sogar dem Spaghetti-Western Platz. Denn neben großen Städten bietet eine der abwechslungsreichsten Regionen des Kontinents einen über die Jahrhunderte hinweg gewachsenen Schmelztiegel der Kulturen und ist und bleibt ein Sehnsuchtsort romantischer Reiselust.
Das Stefan Zweig Album. “Stefan Zweig hat mich zu seinem dauernden Oberhaserl ernannt. Mehr will ich nicht, möge er sich ab und zu eines Unterhaserls erfreuen. Ich gönn ihm die Andere und ihn der anderen. Wenn ich nur immer sein Oberhaserl bin.“, vertraute Friederike von Winternitz ihrem Tagebuch im November 1916 an. Wegen ihm hatte sie sich scheiden lassen, schließlich war Stefan Zweig damals schon ein berühmter Schriftsteller dessen Texte auch international erschienen und übersetzt wurden. Und das Haus am Kapuzinerberg in Salzburg in dem sie mit ihm wohnte war auch nicht ohne.





Lob der schlechten Laune. Strudlbrug, Griesgram, Brummbär, Stinkstiefel, Grumpy Old Men, Grantscherm, Nieselprim, Schnoferlzieher, Meckerer, Misanthrop, Gewitter-Ritter, Motzkuh, Trotzkopf, Murrkopf, Malediktologe, Isegrim, … wer sich von diesen Ausdrücken angesprochen fühlt, sollte weiterlesen. Aber es geht in Gerks Sachbuch nicht um Sigmar Polkes großes Schimpftuch, das im MoMA in New York hängt, sondern um eine weit verbreitete, besonders im deutschsprachigen Süden anzutreffende Gemütshaltung, die euphemistisch auch als Parrhesia bezeichnet wird, besser bekannt als schlechte Laune, Mieselsucht, Misophonie, Melancholie, Nostalgie, Ärger, Wut, Unmut, Groll, Verdruss, Mißmut, Lebensüberdruss, Dysthymie, Acedia, Schwermut, Geseiere… Oder auch als Verben: herummosern, motschgern, nörgeln, fuxen, sudern, raunzen, meckern, mürrisch, mieselsüchtig, … . Kennen Sie das? 

„Die Natur muss gefühlt werden, wer nur sieht und abstrahiert, kann Pflanzen und Tiere zergliedern, er wird die Natur zu beschreiben glauben, ihr selbst aber ewig fremd sein.“ Alexander von Humboldt, 1810