Wandern. 100 Seiten. In der Reihe 100 Seiten des Reclam Verlages ist von der Journalistin und passionierten Wandrerin Nina Ayerle vorliegende Einführung zum Wandern erschienen. Ein Überblick von der Entstehung der internationalen Wanderbewegung bis hin zu den Auswüchsen der Wanderpredigten im Hochgebirge oder Gebirgstheatern.
Runner’s High und Gipfelgefühl
“Je höher man steigt, desto einsamer wird es um einen herum. Man ist nur noch mit sich, vielleicht noch mit seiner Wandergruppe und den Bergen“, schreibt die Autorin. Ja, das war einmal… Wandern liegt (leider) im Trend. Aus diesem Grund gibt es auch Empfehlungen über das richtige Verhalten im Hochgebirge. Denn so einfach es scheint, viele haben es immer noch nicht begriffen, dass der Müll den man hinaufträgt von niemandem wieder runtergetragen wird. Er bleibt oben. Siehe Mount Everest mit den unzähligen Sauerstoffflaschen. Also: wer Orangen- oder Bananenschalen liegen lässt, wird sie beim nächsten Gipfelsturm wieder vorfinden. Deswegen gilt immer alles was rauf geht auch wieder mit runternehmen. Aber abgesehen von diesen Auswüchsen des Massentourismus ist Wandern nach wie vor der beste Sport. Denn erstens ist die frische Luft gratis und zweitens braucht man außer gutem Schuhwerk (fast nichts) zu dessen richtiger Ausübung. Als Wandern gilt alles über 6 km/h und über der Durchschnittslänge von 2,29h. Also nicht jedes Spazieren ist gleich Wandern. Erfunden habe es der italienische Dichter Francesco Petrarca (1304-1374) mit seinem Bruder Gherardo. Sie wollten ganz einfach einmal die Welt von oben sehen. In Renaissance und Romantik folgten ihnen einige, aber richtig durchsetzen konnte es sich erst im 19. Jahrhundert, als die Freizeitgesellschaft entstand. Denn lange Zeit war Wandern nur den Reichen vorbehalten, die Armen musste ja bis zu 14h/Tag arbeiten. 1895 gründeten die Sozialdemokraten die Naturfreunde, aber auch die deutschen Wandervögel unter Herman Hoffmann-Fölkersamb (1875-1955) folgten alsbald dem Ruf der Berge. Die Wandervögel waren auch eine Art Protestbewegung: weg von Eltern, Kaiser und Stadt und rein in die Natur. Leider wurde das Wandern durch den sog. Turnvater Jahn und in Folge den Nazis für das völkische Turnen mißbraucht. Aber nach dem Kriege kam es schnell wieder zu einer Renaissance.
Wandern: Ein wahres Wundermittel!
“Der Wanderer ist in vielen Hinsichten ein primitiver Mensch, so wie ein Nomade primitiver ist als der Bauer. Die Überwindung der Sesshaftigkeit aber und die Verachtung der Grenzen machen Leute meines Schlages trotzdem zu Wegweisern der Zukunft.“, wusste schon Hermann Hesse (1877-1962). Die Autorin macht auch ein paar Exkurse zum historischen Nomadentum und den sog. Zigeunern, aber auch Flanieren, Pilgern und Wallfahrten gehören für sie ins Spektrum des Wandern. “Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen“, dichtete schon Goethe und für den Zeit-Schreiberling Tobias Hürter ist Gehen gar “das perfekte Tempo für Körper, Geist und Seele. Ein wahres Wundermittel!“. Am besten drückte es aber wohl Jan Gehl aus: “Beim Gehen geht es um viel mehr als nur Bewegung. Es ermöglicht die Begegnung von Mensch zu Mensch.” Auch in Japan ist das Wandern in Mode gekommen. Dort nennt man es Shinrin Yoku: Waldbaden. Denn die ätherischen Öle die ein Wald absondert wirken wie eine Aromatherapie für Geist und Seele. Wozu also ins Fitnessstudio gehen? Das ist doch nur noch ein Termin! Im Anhang befinden sich weitere Lektüretips zum Thema sowie Abbildungen und Infografiken den Fließtext auflockern. Auch auf praktische Tips zu Kleidung und Ernährung beim Wandern hat Nina Ayerle nicht vergessen.
Ayerle, Nina
Wandern. 100 Seiten
2022, Broschiert. Format 11,4 x 17 cm
100 S. 13 Abb. und Infografiken
ISBN: 978-3-15-020588-4
Reclam Verlag
10,00 €
Illustrated by Reclam Verlag