Lob der schlechten Laune

Lob der schlechten Laune. Strudlbrug, Griesgram, Brummbär,  Stinkstiefel, Grumpy Old Men, Grantscherm, Nieselprim, Schnoferlzieher, Meckerer, Misanthrop, Gewitter-Ritter, Motzkuh, Trotzkopf, Murrkopf, Malediktologe, Isegrim, … wer sich von diesen Ausdrücken angesprochen fühlt, sollte weiterlesen. Aber es geht in Gerks Sachbuch nicht um Sigmar Polkes großes Schimpftuch, das im MoMA in New York hängt, sondern um eine weit verbreitete, besonders im deutschsprachigen Süden anzutreffende Gemütshaltung, die euphemistisch auch als Parrhesia bezeichnet wird, besser bekannt als schlechte Laune, Mieselsucht, Misophonie, Melancholie, Nostalgie, Ärger, Wut, Unmut, Groll, Verdruss, Mißmut, Lebensüberdruss, Dysthymie, Acedia, Schwermut, Geseiere… Oder auch als Verben: herummosern, motschgern, nörgeln, fuxen, sudern, raunzen, meckern, mürrisch, mieselsüchtig, … . Kennen Sie das?

„Grant-Country Österreich“

Mut zur schlechten Laune könnte man diesen amüsanten Diskussionsbeitrag von der Sachbuchautorin Andrea Gerk auch nennen, denn wer sich gegen Zwangsoptimierung und Jugendwahn, die „Diktatur der Positivität“ nicht mehr zu wehren weiß, findet hier, in vorliegendem Kompendium, Trost und Zuspruch. Tatsächlich liegt in der sog. „schlechten Laune“ nämlich sehr viel kreatives Potential und das ist inzwischen sogar wissenschaftlich erwiesen, wie uns die Autorin an glaubwürdig darlegt. Ganz abgesehen vom Unterhaltungswert der Mieselsucht natürlich. Nehmen wir etwa den Wiener Grant, den der Autor Thomas Grasberger in seinem gleichnamigen Buch als Blues des Südens adelte. Gerk belegt durch zahlreiche Zitate österreichischer Autoren, dass der Grant besonders hier in seiner besten Manier ausgelegt wird. Wer über diese Art von Humor – zu unterscheiden vom Wiener Charme – nicht herzhaft lachen kann, der hat eigentlich nicht wirklich gute Laune, sondern ist auch nur ein Modelächler und Kostverächter. Aber natürlich lässt Gerk auch deutsche Kolleginnen und Kollegen wie etwa Ludwig van Beethoven (der hat allerdings auch in Wien gelebt!) zu Wort kommen und nicht zuletzt auch internationale wie etwa den Obergrantler Lou Rabinowitz aka Reed oder Dagobert Duck. Wer sich selbst ebenfalls dazu zählt, befindet sich also in bester Gesellschaft.

Launisch wie Luna: Lob und Tadel

Auch für die Gesellschaft erfüllen die hier angesprochenen Herrschaften (Grantler sind hauptsächlich Männer) eine wichtige, kathartische Funktion wie einst der Hofnarr. Im Vergleich mit den brummigen Figuren aus Literatur, Film oder Theater schneidet man selbst ja zumeist besser ab und bekommt dafür eine narzisstische Belohnung, der Glaube, besser zu sein. Die Grantler in Film und Fernsehen haben also eine Sündenbockfunktion und das führt mitunter zu kathartischen Effekten bei den Betrachtern. Nach dem Motto: „So sind wir nicht.“ Autor Wolf Haas, der seinen Ermittler Simon Brenner so manche Wuchtl schieben lässt, bezeichnet Österreich etwa eindeutig als Bewältigungskultur, wenn es um die Lebenshaltung an sich geht: „Es gibt zwei. Die eine versucht, das, was man schlecht findet, zu verändern; die andere versucht (es) zu bewältigen“. Dabei liegen launisch und launig sprachlich gar nicht so weit auseinander: sie stammen beide vom lateinischen Wort für Mond, luna, ab und haben doch eine ganz unterschiedliche Bedeutung.

Wissenschaftlich erwiesen: schlechte Laune ist gesund

Einige Wissenschaftler drücken die schlechte Laune auch als „mood repair“ aus. Wir brauchen diese negative Emotion, um „auf Nummer sicher zu gehen“. Denn wer sich so gegen die Herausforderungen der Zeit wappnet, ist allemal besser vorbereitet. Sollte einmal etwas schief gehen… Wissenschaftliche Experimente, die Gerk zitiert, haben ergeben, dass negative Gefühle die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten, das Erinnerungsvermögen und die Aufmerksamkeit für Herausforderungen verbessern. Da wo Wut und Ärger offen geäußert werden dürften, könnten Kreativteams besser zusammenarbeiten. Diese Emotionen zeigen schnell und unaufwendig, dass etwas nicht stimmt, erhöhen Sorgfalt und Aufmerksamkeit, fördern die Tendenz, den Dingen auf den Grund zu gehen, formuliert die Autorin treffend. Und vielleicht ist Kommissar Maigret und andere seiner Kolleg:innen deswegen immer so miesepetrig? „Der geistreiche Grantler ist in der Regel eher kein Machtmensch, sondern ein ‚Partisan des Alltags’“, schreibt Gerk und führt viele weitere Beispiele prominenter Grantler an, darunter Franz Liszt, ein Vorläufer Pete Townshends und Gustav Metzgers A.D.A beim Instrumente oder Kunstwerke zertrümmern, Christine Rösinger (Lassie Singers, Britta), Georg Kreisler, u.v.a.m.

Nicht zuletzt sollte man noch vielleicht noch erwähnen, dass wer seinen Ärger unterdrückt, mit einer erhöhten Herzfrequenz resp. Blutdruck zu rechnen hat. Denn vorgetäuschtes Lächeln ist nicht nur anstrengend, sondern kann auf Dauer richtig krank machen. Sich also ab und zu zu erleichtern, kann durchaus das Leben verlängern. Auch Lächeln ist in Wirklichkeit nämlich eine sehr ernst Angelegenheit.

Kurzum: Pessimisten haben mehr vom Leben! Auch wenn dieses Buch ihr schlechte Laune merklich bessern wird…

 

Andrea Gerk

Lob der schlechten Laune
Sachbuch
2021, Hardcover, Format: 12,5 x 2,1 cm , 304 Seiten
ISBN: 978-3-0369-5770-8

Kein und Aber Verlag
24,70 EUR


Genre: Gesellschaft, Literatur, Ratgeber, Sachbuch
Illustrated by Kein & Aber Zürich

Lesen als Medizin

Lesen als Medizin. Die wundersame Wirkung der Literatur

„Wenn du liest, spricht Gott mit dir“, meinte schon Augustinus und wenn man einen modernen, pantheistischen Gottesdefinition meint, trifft dies auch heute noch dazu. Denn Gott ist oft die Stimme im Kopf, die man hört, wenn man liest, da Lesen auch mit Hören von Sprache zu tun hat. Ein ganzes Buch als Hommage an die Literatur hat die in Berlin lebende Autorin und Radiomoderatorin hier verfasst, das wahrlich wieder Lust aufs Lesen macht und die therapeutische Wirkung von Büchern hervorhebt.

Lesen als Medizin

Bis ins späte Mittelalter wurde noch sotto voce gelesen, denn die Akzentuierung der Worte mit den Lippen, trug wesentlich dazu bei, von der Sprache emporgetragen zu werden. Weswegen auch heute von führenden Therapeuten das gegenseitige Vorlesen auch bei Ehekrisen empfohlen wird. Das Tröstliche der Literatur ist aber vor allem auch ein Segen, der einem alleine zuteil wird, denn kaum einer wagt es, einen Menschen zu stören, der zwei Buchdeckel zwischen sich und die Welt schiebt. Dass Literatur etwas ganz Frühes („im besten Sinn Primitives“) anspreche, meinte auch schon Fritz Senn, da das Lesen ähnlich wie Wiegenlieder etwas aus einer vorsprachlichen Zeit in uns berühre. Von einer Schutzfunktion der Literatur werden jene sprechen, die das Abtauchen in eine fiktive Welt als wohltuender empfinden, als das Schnarchen, Jammern oder Schimpfen unerwünschter Gesprächspartner. Schon Michel de Montaigne (1533-1592), der von Gerk als Internetvorläufer genannt wird, interpretierte Texte und ließ andere in seinen Aphorismen daran teilhaben. Im Schloss seiner Familie hatte er sich seinen berühmten Turm eingerichtet, in dem er um seinen Schreibtisch alles seine Bücher anordnete und so mit den Autoren, Dichtern und Denkern, ständig in Zwiesprache treten konnte. Vor allem also natürlich mit sich selbst.

Der Don Quijote Effektv

Und genau das ist auch die eigentliche Macht der Literatur. Sie eröffnet intime Räume anderer und erschließt sie für sich selbst. Der praktische Nutzen ist augenscheinlich: die Fehler anderer braucht man dann nicht mehr zu wiederholen. Andrea Gerk hat in der Geschichte der Literatur der letzten Tausend Jahre nach wahren Fundstücken gegraben und diese auch gefunden. Dass Literatur nicht nur in Klöstern, sondern auch in Gefängnissen für die Resozialisierung und Rehabilitation verwendet wurde, unterstreicht sie ebenso, wie den therapeutischen Nutzen für das lesende Individuum selbst. Darüber hinaus widmet sie sich auch der Psychoanalyse, die, selbst ein Kind der Literatur, sich den unendlichen Reichtum und der Schätze der Literatur bediente, wie etwa Freud, der seine antiken Mythen einfach auf die Seele des Menschen anwandte. Nicht zuletzt bedeuteten Bücher aber vor allem auch sozialen Aufstieg und Freiheit. Von den engen Familienbanden oder den Zumutungen des Ehepartners. „Mit einem Buch war man jedenfalls endlich allein. Lesen bedeutete für sich sein zu dürfen.“ Ob diese unendliche Freiheit im Zeitalter des Internet noch weiter Bestand haben wird ist fraglich. Wer sich freiwillig in den ständigen Stand-by Modus versetzen lässt und ständig auf Abruf ist, im Glauben man könnte etwas versäumen, das für das eigene Leben von essentieller Bedeutung sei, wird niemals das kostbare Glück, das sich zwischen zwei Buchdeckeln befindet kosten. Vielleicht ist es genau das, was die Götter einst Ambrosia nannten.

Ein wirklich inspirierendes Buch voll genialer Zitate, Ideen und Einfälle wie man Literatur auch in den Alltag integrieren kann. Und wer weiß, vielleicht auch aus Ihnen einen Don Quijote macht. Dieser war nämlich selbst ein Bücherwurm bevor er auszog, gegen Windmühlen zu kämpfen. Est quod legit.

Andrea Gerk

Lesen als Medizin. Die wundersame Wirkung der Literatur

2021, Hardcover, 352 Seiten

ISBN: 978-3-0369-5856-9

Kein & Aber Verlag

25,70 EUR


Genre: Gefängnis, Klausur, Kloster, Lesen, Literatur, Therapie, Über Literatur
Illustrated by Kein & Aber Zürich