Bonita Avenue

bonitaAvenueCoverIst es vorstellbar, dass Menschen anfang der Nuller-Jahre mehrere Tausend Euro für ein paar Nacktbilder ausgeben, wo man doch heutzutage, etwas mehr als nur 10 Jahre später, geballte Erotik umsonst im Netz bekommt? Peter Buwalda spielt in seinem Roman Bonita Avenue mit der Zeit. Logisch, dass wir uns diesen Familienroman aus der Sicht zweier Generationen vornehmen.

Jan Gocha, 19 Jahre:

Kurz vor Silvester stürmen tausende Niederländer grenznahe deutsche Supermärkte, um günstig verfügbare Feuerwerkskörper zu kaufen. Der Grund für die rigide Handhabung von Silvesterknallern im Nachbarland ist die Katastrophe in Enschede, bei der 2000 eine Feuerwerksfabrik explodierte, mehrere Menschen starben und fast ein ganzes Stadtviertel verschwand. Man kann es ohne Übertreibung ein niederländisches Trauma nennen, dass Peter Buwalda in seinem hochgelobten Debütroman Bonita Avenue benutzt, um die persönliche Implosion einer nach außen hin erfolgreichen und angesehenen Familie metaphorisch einzubauen. In den Niederlanden wurde Bonita Avenue hochgelobt und geradezu euphorisch gefeiert, man nannte Buwalda sogar den niederländischen Jonathan Franzen. Nach der Lektüre bleibt eine Frage allerdings offen: Warum?

Im Zentrum der Geschichte steht die Patchwork-Familie Sigerius, deren Oberhaupt Siem, Mathematik-Genie, ehemals erfolgreicher Judoka, Rektor der Universität und später als Politiker ein angesehenes Mitglied der niederländischen Upper-Class ist. Seine Frau Tineke brachte zwei Töchter mit in die Ehe, von denen nur die Ältere Joni relevant für den Verlauf der Geschichte ist. Ihr Freund Aaron ist Fotograf und geisteskrank. Die beiden verdienen ziemlich viel Geld mit einem geheimen Unternehmen und auch wenn zunächst nicht verraten wird, welches, so deutet Buwalda doch hier und da an und es braucht nicht mehr als gesunden Menschenverstand, um zu erahnen, welche Unternehmung in einer eigentlich liberalen und offenen Familie geheim gehalten werden muss, wenn Joni schön und Aaron Fotograf ist. Zu dieser Familiensituation gesellt sich noch Siems Sohn Wilbert aus erster Ehe, der als verurteilter Mörder im Gefängnis saß und nun freigelassen wird, dabei allerdings nicht vergessen hat, wer ihn die ganze Zeit verleugnet und verlassen hat. Zeitgleich mit der Explosion der Feuerwerksfabrik fliegt Siem sein fragiles Familiengebäude um die Ohren, als er eine erste Ahnung von Jonis und Aarons Geheimnis bekommt.

Die Erzähltechnik ist zunächst so einfach wie wirkungsvoll konzipiert. Buwalda ist so von der Stärke seiner Geschichte überzeugt, dass er das Ende einfach schon am Anfang verrät. Im Verlauf des Buches kommen allerdings noch Drehungen und Wendungen hinzu, die das Lesen trotzdem nicht langweilig werden lassen. Zeitlicher Ausgangspunkt sind die Jahre 2000-2002, die aber durch Vor- und Rückschauen sinnvoll ergänzt werden.
Auch wenn immer neue Facetten das Ende ergänzen, so kommt man nicht umhin, eine gewisse Zwangsläufigkeit zu entdecken, die dem Buch nicht gut tut. Der Autor ist vollkommen mit der Zerstörung seiner Charaktere beschäftigt, so dass der Moment, in dem man das Buch aus der Hand legt und sich denkt: “Krass” völlig fehlt. Buwalda zerstört jedes einzelne Leben, jede glückliche Lebenssituation mit Konsequenz und Härte. Das bekommen auch die Figuren zu spüren, zu denen meine Einstellung von gleichgültig (Joni) über vollkommen unsympathisch, weil lächerlich und die üble Sorte des totalen Verlierers (Aaron) zu anfangs sympathisch aber dann von Buwalda auf kranke und perverse Art charakterlich zerstört (Siem) reicht. Man kommt nicht umhin, Buwalda eine gewisse Arroganz zu unterstellen, weil er dem Leser auch nur die kleinste Anteilnahme am Schicksal der Figuren direkt wieder versaut.

Die Kritiker lobten vor allem Buwaldas rhetorische Fähigkeiten, die in der Tat vorhanden sind. Man möchte allerdings des öfteren sagen: Manchmal ist weniger mehr. Zu einer Figur wie Siem, der zwar ein angesehener und sehr intelligenter Mann, gleichzeitig aber einen so körperlichen Sport wie Judoka betreibt und im Grunde seines Herzens immer das arme Unterschichtskind aus der Utrechter Arbeiter-Siedlung geblieben ist, passt ein einfacher Vergleich oder eine schlichte Metapher besser als das ausgefeilteste Paradoxon. Eine Stelle im Buch möchte ich hier ganz besonders hervorheben, weil ich sie unglaublich misslungen finde. Als Aaron endgültig verrückt wird, verfällt Buwalda in eine Art Gedankenstrom, der sich aber nicht nur auf Aaron, sondern auch auf dessen Umwelt erstreckt. Das Ziel, das Buwalda damit verfolgt, ist klar: Er möchte uns das Wesen einer Geisteskrankheit näher bringen. Wenn man dies allerdings so offensichtlich möchte und dazu wenig subtile Mittel wählt, liegt die Gefahr des Misslingens nahe. Hier braucht der Leser Joni, um zu verstehen.

Wenig subtil auch immer wieder die Sprachebenen.So wird die Sprache an mehreren Stellen, an denen es um Porno geht, derb und vulgär. Nun könnte man meinen: Passt doch. Passt hier aber nicht, da die Figuren nicht so sind, weder von ihrem Wesen noch von ihrem Vokabular. Es sind auch nicht die Figuren, die anschaulich beschreiben, wie man einer Person Gegenstände anal einführt, sondern nur der Erzähler, der einmal mehr destruktiv aktiv wird. Die insgesamt gelungene Sprache wird so immer von Negativeffekten zerstört. Hat wahrscheinlich Methode.

Über das Buch verteilt sind kleine Easter-Eggs für den Leser. So benannte Buwalda jeden Amerikaner nach einer Figur, die Elvis Presley in einem Film spielt. Buwalda bestätigte diese Theorie eines niederländischen Literaten und begründete mit zu viel Zeit, unbestätigt ist hingegen meine Theorie zu Jonis Namen: Ist es Zufall, dass der Name der freizügigen Tochter in der Tantra-Lehre die Vulva der Frau benennt? Wohl kaum.
Insgesamt ist dieses ganze Buch vollkommen auf Zerstörung aus, niemand findet ein glückliches Ende, alle stehen mit leeren Händen da. Bei allen Kritikpunkten, die ich nun so aufgeführt habe, denke ich, dass man auch durchaus würdigen sollte, wenn man so herrlich erfrischend mit Blut und anderen Körperflüssigkeiten um sich wirft, wie Buwalda es tut, und sei es, nur um der Zerstörung zu huldigen.

Britta Langhoff, 49 Jahre:

Ja. So ist das. Es läuft alles auf Zerstörung hinaus. In diesem Buch. Im Leben. Viel zu oft: Keine Hoffnung, nirgends. Bewahren und zusammenhalten ist oft die herausfordernste Aufgabe. Und ja – die Protagonisten in Bonita Avenue haben diese Aufgabe nicht bewältigt. Bonita Avenue ist kein harmloser Familienroman. Gleich einer antiken Tragödie ist das alles beherrschende Thema Schuld an sich. Rahmenhandlung ist ein Schreckensjahr voller Intrigen, Verderbtheit und Korruption, endend in Mord und Wahnsinn. Fokus der Erzählung liegt auf dem sich als moralische Instanz inszenierenden Vater, der dennoch durch sein Vorbild zerstört. Zwei Generationen zerreiben sich durch unvereinbare Weltanschauungen, die Väter Generation, die sich über Arbeit und Disziplin definiert, die der Kinder, die sich vor allem einer elastischen Moral bedient.

Um diesen Überbau herum porträtiert Buwalda ganz unterschiedliche, nicht zusammengehörige Welten. Die Welt der Judoka – ein Sport, der einen mit sich selber konfrontiert, die Welt der Universitäten, die Haager Regierungswelt und schließlich die moralisch flexible der Pornoindustrie. Nicht nur die Generationen, auch diese Welten prallen aufeinander, die Explosion ist so unausweichlich wie die der Enscheder Feuerwerksfabrik. Neben der Fabrik bemüht Buwalda auch im Verlaufe weitere visualisierende Bilder, das offensichtlichste das der titelgebenden Bonita Avenue, der Straße, in der die Familie in früheren Jahren glücklich war. Ein Bild, welches immer wieder den Bogen zurück schlägt zur auch in diesem Buch unterschwellig drängenden Frage, eine der am meisten gestellten unserer Zeit. Der Frage nach Heimat. Nicht umsonst trägt der Blog zum Buch den Titel Nirgends so fremd wie zu Hause. Eine der Schlüsselfragen des Buchs ist “Was wissen wir wirklich voneinander, was wissen wir von unseren Kindern” und man ahnt, dass ist es, woran Siem Sigerius zerbricht: An der Suche nach Zugehörigkeit und daran, dass er sie nirgends fand.

Bonita Avenue ist das amerikanischste aller Bücher der niederländischen Literatur, das ich jemals las. Buwaldas Sprache ist robust, kraftvoll und dennoch präzise, ähnlich der Eigenschaften, die man den Judoka nachsagt, die eine nicht unwichtige Rolle im Buch spielen. Am auffälligsten ist, dass er auf Chronologie keinen Wert legt. Flashbacks, Flash Forwards entwickelt er nahezu zu einer eigenen Kunstform. Das geht auf Kosten des traditionellen Spannungsaufbaus. Auch wenn man einwenden mag, dass sich erst aus der Rückschau bessere Schlüsse generieren lassen – entweder ist dieser Stil einfach arrogant oder dem Wunsch des Autors geschuldet, seine Leser unter Kontrolle zu halten. Aber gerade vor dem Hintergrund des Fehlens jeglicher Chronologie ist die Menge an Fakten und Ereignissen erdrückend. Dazu wird das Leben eines jeden gnadenlos ausgebreitet, nicht darf verloren gehen, jeder Gedanke, jedes Detail – alles muss berücksichtigt werden. Hingegen setzt der Autor einfach voraus, dass die Enscheder Explosion als historisches Ereignis bekannt ist. Zumindest außerhalb der Niederlande grenzwertig vor dem Hintergrund, dass Bonita Avenue auch eine Geschichte mit klarer Coming-of-Age Thematik ist und der Autor diesen Hintergrund dieser Zielgruppe vorenthält.

Bringt uns zurück zu Jans Frage: Warum? Fragte auch ich mich am Ende der Lektüre. Warum ist es Buwalda so wichtig, der zerstörerische Erzähler zu sein, warum reicht ihm nicht der neutrale Beobachterposten? Er vermeidet die direkte Meta-Ebene, Partei ergreift er auch nicht, also warum nimmt er die Spannung, warum lässt er seinen Lesern nicht die Freude am Entdecken, warum bleibt dem Leser nur die mühsamere Freude des Interpretierens? Er selbst als Autor gönnt sich das, was er dem Leser versagt, den Spaß am Spiel mit Sprache – siehe den ergiebigen Gebrauch von Easter Eggs.

Bonita Avenue ist eine verstörende Lektüre, die den Leser mit vielen Fragen zurücklässt, dennoch ist das Buch lesenswert. Schon alleine, weil es für ein Debütwerk erstaunlich und mutig ist, dass ein Autor sich an so einen vielschichtigen und anspruchsvollen Roman wagt, an einen Roman von so viel zerstörerischer Sprengkraft.

Bonita Avenue ist der erste Roman des niederländischen Journalisten und Essayisten Peter Buwalda. Als sein Vorbild nennt er Ian mc Ewan, er selbst sagt, er schreibe, weil ihm die Welt der Fiktion eine dringende neben der realen Welt zu sein scheint. Für Bonita Avenue zog er sich 4 1/2 Jahre weitestgehend aus der realen Welt zurück – mit einem erstaunlichen, verstörenden Ergebnis. Namhafte Feuilletons in den Niederlanden und Deutschland überschlagen sich vor Begeisterung und formulieren enorme Erwartungshaltungen. Bleibt zu hoffen, dass Buwalda ob diesen Drucks gelassen bleibt und seinen Stil so unbeirrbar weiter treibt wie in Bonita Avenue die Zerstörung seiner Charaktere.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt

Wie man garantiert (fast) einen Bestseller schreibt

Erfolgsautorin Louise Krämer ist die einzige Dame eines Autorenkränzchens, die es – nach eigenen Angaben – geschafft hat, ein Buch in einem Verlag unterzubringen. Deshalb kommen zwei andere Teilnehmerinnen dieses illustren Kreises schreibender Frauen auf die Idee, sie in ein Gemeinschaftsprojekt einzubinden, das den Buchmarkt erstürmen soll. Inspiriert durch eine Überdosis Eierlikör wollen sie ihre »Zielgruppen bündeln«, indem sie ein Gemeinschaftsbuch verfassen.

Insgeheim wird zwar jeder der Damen übel, wenn sie daran denkt, mit einer der anderen Tussen zusammenarbeiten zu müssen, aber da man sich wechselseitig immer wieder Wertschätzung, Hochachtung, ja Liebe, beteuert, kann frau schlecht Nein sagen. Allerdings versuchen Lousies Co-Autorinnen recht schnell, sich selbst in den Vordergrund zu spielen und sie auszubooten. Dass dies nicht ohne Zwischenfälle verläuft, lässt sich denken.

Die Autorinnen leben nach der Bestsellerformel »Sei bieder, aber tu so, als seist du verrucht. Tu so, als hättest du die Weisheit mit Löffeln gefressen, aber sei nicht arrogant. Schreib so, dass es alle verstehen, aber nicht so, dass es jemand für banal hält. Setz dich in Talkshows und lass die Titten halb raushängen, auch wenn du fünfzig bist«. Klar ist den Autorinnen dabei, dass das Geheimnis der Bestsellerei darin besteht, »Ansammlungen von Klischees zu schaffen, denn originelle Bücher werden prinzipiell keine Bestseller. Jedenfalls nicht zu Lebzeiten des Autors.« Zuerst schreiben sie jedoch fünfsternige Amazon-Kritiken, dann folgt der Text, auf den sich diese beziehen.

Catrin Alpach legt mit diesem kurzen Text eine vergnügliche Humoreske vor, die auf hinreichende Erfahrungen in Schreibgruppen schließen lässt und ebenso gut in einer der zahllosen Indie- und Self-Publisher-Foren im Internet spielen könnte. Ohne weh zu tun, karikiert sie die Welt der Hobbyschreiberinnen, von der es mehr zu geben scheint als manch eine(r) ahnt. Denn für jede Frau gibt es, so die Verfasserin, drei existentielle Entscheidungen, die sich nach den ersten Stürmen der Pubertät treffen muss: »Welchen Mann heirate ich? Was ziehe ich zur Hochzeit an? Und: Welchem Genre widme ich mich, wenn die Ehe so öde geworden ist, dass nur noch Schreiben Linderung verschafft?«

Für meinen Geschmack hätte das Thema zwar deutlich mehr Biss verdient, das entwertet den Text jedoch weder in Form noch Inhalt.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Kindle Edition

Der Architekt

Ben Lindenberger, Drehbuchautor von TV-Krimi-Serien, entdeckt Stoff für einen eigenständigen Kriminalroman: Er verfolgt den Prozess gegen einen Familienvater, der angeklagt ist, Frau und Kinder auf bestialische Weise erschlagen zu haben. Der Angeklagte, ein Berliner Stararchitekt, der besessen der Theorie vom Bauwerk als Gesamtkunstwerk anhängt, erweckt allerdings nicht den Eindruck eines brutalen Mörders. Ben nimmt während der Verhandlung Kontakt zu dem Angeklagten auf und steigt in sein Privatleben ein.

Lindenbergers großes Vorbild ist Truman Capote, der mit »Kaltblütig« eine der großartigsten Kriminalreportagen der Literaturgeschichte schrieb. Die Entstehung dieses Meisterwerks wurde dadurch begünstigt, dass Capote ein nahezu intimes Verhältnis zu den beiden später überführten und zum Tode verurteilten Tätern aufbaute, das ihm half, neben der Tat, ihrem Ablauf und der Wirkung auf den Ort des Geschehens das Seelenleben der Mörder zu sezieren. Dies versucht auch der Protagonist des Psychothrillers von Jonas Winner, wobei ihm Scharfsinn, Stilsicherheit und Distanziertheit Capotes fehlen. Dafür kommt er mühelos mit diversen Damen in die Horizontale. Dass sich dies auch gegen ihn wenden kann, erkennt er erst später.

Winners Psychothriller ist flott geschriebene Unterhaltungslektüre. Zahlreiche Dialoge outen den Verfasser als Kenner des Drehbuchgeschäfts. In vielen Punkten schimmert der Held des Romans als Winners Alter Ego durch. Der Autor liebt es, mehrere Handlungsstränge, die später zusammenfließen und sich teilweise erschließen, in Häppchen zu servieren. Der Einstieg in das »Setting«, ein Begriff, den gleich mehrere Romanfiguren verwenden, wird dadurch am Anfang erschwert. Doch dann schreitet die Erzählung geradlinig voran.

Es dauert allerdings rund 200 Seiten, bis sich der eigentliche Plot erschließt und Spannung aufkommt. Einen wirklichen »Thrill«, den der Untertitel verspricht, bleibt der Autor jedoch schuldig. Die Spannung spielt sich mehr im Kopf des Erzählers ab, insofern ist es ein typisch deutscher Krimi, der Spannung, »ein raffiniertes psychologisches Puzzle um Machtgier, Täuschung, Intrigen und dunkle Begierden« laut Klappentext, intellektuell aufbaut, statt sie tatsächlich zu schildern.

Jonas Winner wurde als Self-Publisher mit seinem düsteren Siebenteiler »Berlin Gothic« bekannt, den begeisterte Leser auf Spitzenplätze in den Amazon-Bestsellercharts katapultierten. Amazon entschied sich aufgrund der Popularität der Reihe, das Buch zu übersetzen und in den US-Markt einzuführen. Entsprechenden Erfolg erhofft sich auch Knaur, der den Autor jetzt herausbringt. So wie es Ben Lindenberger erträumt, sei auch dem Verfasser des Krimis gewünscht, aus dem nervenden Job des Serienschreibers aussteigen und seine weitere Karriere als Romanautor fortsetzen zu können. Das Zeug dazu hat der 1966 geborene promovierte Philosoph auf jeden Fall, wie dieser als Erstling anzusehende Kriminalroman beweist, der vom »großen Wurf« allerdings noch ein klein wenig entfernt ist.

Jonas Winner
Der Architekt. Psychothriller
Knaur 2012
ISBN 978-3-426-51275-3


Genre: Thriller
Illustrated by Knaur München

Der 7. Tag / das 5. Gebot

Die Kritik feiert sie gerne als E-Book-Queen. Die Autorin Nika Lubitsch ist einer der Stars in der deutschen Self-Publisher-Szene. Ihr Krimi der 7. Tag führte lange die Kindle Bestsellerliste an, dankenswerterweise gelang es ihm sogar, die Shades of Grey von der Spitze zu verdrängen. Wie man hört, hat sich Oliver Berben bereits die Filmrechte gesichert. Im Frühjahr legte Nika Lubitsch mit dem Krimi das 5. Gebot nach. Der große Erfolg führte dazu, dass beide Bücher nunmehr auch als Taschenbuch und der 7. Tag sogar als Hörbuch erhältlich sind.


Beide Bücher sind im Genre Krimi/ Thriller angesiedelt.  Der 7. Tag ist auf den ersten Blick ein klassischer Gerichtskrimi. Es geht um eine junge Frau, Sibylle,  die des Mordes an ihrem Ehemann angeklagt ist. Sie kann sich an nichts erinnern und während sie auf der Anklagebank sitzend die Zeugenaussagen verfolgt, zieht vor ihrem geistigen Auge ihr Leben an ihr vorbei – immer ohne dass sie selbst weiß, ob wirklich sie ihren Mann ermordet hat. Am siebten Tag des Prozesses  erkennt Sybille plötzlich die Wahrheit. Sie muss sie nur noch beweisen.

 

Der 7. Tag ist zweigeteilt plus Epilog. Der erste Teil ist in den Handlungsrahmen Gerichtsprozeß eingebettet, neben diversen Zeugenaussagen und Sybilles Gedanken beschliesst ein Zeitungsartikel mit einer Zusammenfassung des jeweiligen Prozesstages die einzelnen Kapitel. Der zweite Teil des Buches bedient sich noch einmal eines ganz anderen Stils, dem einer Dokumentations-Serie eines Magazins.  In diesem Buch ist es weniger der eigentliche Plot als der häufige Stilwechsel, der für Spannung sorgt. Man ahnt relativ schnell, worauf die Geschichte hinausläuft, aber das bereitet dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Auch die bei dieser Art des Aufbaus ständigen Wiederholungen sind nicht störend, im Gegenteil – das Buch bezieht seine Spannung daraus, dass man mehrere Seite ein und derselben Medaille zu betrachten bekommt.

 

Im  5. Gebot geht es ebenfalls um klassische Krimi Plots. Diesmal um eine junge Britin, die im Berliner Grunewald die Leiche einer Frau findet, die ihr wie ein Ei dem anderen gleicht. Die Protagonistin ahnt bald, dass es dunkle Familiengeheimnisse gibt und ein mörderischer Wettlauf quer durch Europa beginnt. Das 5. Gebot ist stilistisch einheitlicher, vom Tempo her aber nicht weniger rasant. Hier hat Nika Lubitsch sich mehr auf die eigentliche Handlung konzentriert. Allerdings sind die Handlungsverläufe manchmal arg konsturiert und erwecken den Eindruck, ihr wären die Ideen ausgegangen. Ganz ehrlich – hätte der Ehemann auch nur noch ein einziges Mal sein Handy verloren, ich hätte das Buch zugeklappt und die Auflösung wäre mir egal gewesen. Eine relativ einfach gestrickte Auflösung im übrigen. Wenn man die Energie bedenkt, die der Täter im Vorfeld aufgewandt hat, dann ist das Ende schon arg dürftig. Ebenso wie die Auflösung der Einschübe, welche eine falsche Fährte legen sollen. Nichts gegen falsche Fährten, aber die Auflösung der – nennen wir sie “Luder- Einschübe” hinterlässt einen faden Nachgeschmack. Sie macht einen Mann, der an und für sich so angelegt  war, dass er einer der interessantesten in der ganzen Geschichte hätte sein können, komplett unsympathisch und vergällt einem auch die Freude am kleinen Happy End, dass man zumindest diesem Mann ganz und gar nicht mehr gönnt.  Dafür allerdings entschädigt die Auflösung des Familiengeheimnis mehr als genug. Die Einbindung in den geschichtlichen Kontext hat die Autorin wirklich gut hingekriegt, diese Zusammenhänge liest man mit großer Neugier, welche dann auch befriedigt wird.

 

Beiden Krimis gemein ist die nicht sehr tiefe Charakterzeichnung, aber für einen Krimi ist das gerade noch ok. Beide Bücher sind durchaus spannend, auch wenn die Plot-Auflösungen beide Male zu schnell und zu glatt vonstatten gehen. Da ist noch gut Luft nach oben. Nika Lubitsch Schreibstil ist versiert und lässig zugleich, nur manchmal rutscht sie da ein wenig ab, der – wenn auch seltene – Gebrauch von Umgangssprache wirkt bemüht und fehl am Platz. Beispiel: Victoria, die Heldin im 5. Gebot ist einfach nicht so angelegt, als dass sie für ein Handy ausgerechnet den Begriff “Quatsche” benutzen würde. Ebenfalls störend sind dauernde Wiederholungen. Nicht in der Handlung, (s.o)., aber in der Erklärung von Begleitumständen. Da kann man dem Leser ruhig etwas zutrauen. Der kann sich durchaus merken, dass Heldin A von Beruf Pressesprecherin ist und welche Joggingrunde Heldin B. nun genau gedreht hat.

 

Man verstehe mich nicht falsch – ich habe beide Bücher gerne gelesen und fühlte mich prima unterhalten. Meine Kritteleien sind Kritteleien an einem guten Niveau. Es steht Krimi drauf, es ist Krimi drin – mehr braucht es eigentlich nicht, um beide Bücher gerne als entspannende Urlaubslektüre zu empfehlen. Nika Lubitsch liefert beileibe keine Mogelpackung, ihre Bücher sind eine echte Alternative zu den allseits bekannten Krimiautorinnen, zumal sie in ihren Geschichten komplett auf das oftmals anödende Polizei-Hickhack verzichtet. In beiden Geschichten durchlebt die Heldin aufgrund der Geschehnisse eine Art Katharsis und man kann sich auch durchaus eine Art Moral aus den Büchern mitnehmen: Die Erkenntnis, wie sehr sich Freundschaften im Laufe eines Lebens und unter dem Eindruck von dramatischen Ereignissen verändern können. Das hat die Autorin wirklich gut herausgearbeitet.

 

Was mich bei beiden Büchern gefreut und letztendlich auch zu einer Rezension bewogen hat, ist ihre generelle Machart. So sorry, aber ich bin derbe enttäuscht von sehr vielen Self-Publishing-Werken. Da bin ich komplett humorbefreit, ich empfinde es als eine grobe Missachtung des Lesers, wenn einem -auch hochgejazzte- Machwerke begegnen, die in erster Linie erst einmal durch eine ausgeprägte Grammatikscheu auffallen und vor allem nach der Regel Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten, geschrieben zu sein scheinen.Die Titel der Nika Lubitsch hingegen sind von Anfang an – auch schon als E-Book – sorgsam gearbeitet und gut lektoriert und so war es mir eine Freude, auch einmal eine Erfolgsgeschichte aus dem Self-Publishing vorzustellen.

 


Genre: Kriminalromane
Illustrated by MVG Verlag München

Er ist wieder da

Timur_Vernes_er_ist_wieder_daAdolf Hitler erwacht 2011 und bewegt sich wie Catweazle durch eine Zeit, die ihn erheblich irritiert. Was ist aus seinem Dritten Reich geworden? Die Volksgenossen sprechen teilweise ein ihm unverständliches Idiom, es gibt technische Geräte wie Fernseher und Computer, die er nicht bedienen kann und statt im »Völkischen Beobachter« muss er in der »Frankfurter Allgemeinen« blättern. Zu seinem Glück nimmt sich ein Kioskbesitzer seiner an und vermittelt ihn als originellen Hitler-Darsteller an eine Fernsehproduktion. Dort soll er in eine Satireshow eingebunden werden.

Der wieder auferstandene Schnurbart will »das Heft des Handelns« ergreifen und setzt alles daran, erneut eine Erweckungsbewegung des deutschen Volkes zu starten. Immerhin hat er das bereits einmal erfolgreich geschafft, und da ihn auch damals die Pressezaren unterstützen, fühlt er sich zwischen Privatfernsehsendern und BILD-Zeitung gleich wieder in bester Gesellschaft. Im bizarren Hier und Jetzt will er den Kampf aufnehmen. Dabei versucht er, der neuen Welt, die ihn mit »Meesta« statt mit »Mein Führer« anredet, verständnisvoll zu begegnen. Schließlich waren die Leute in den Jahrzehnten seiner Abwesenheit »unablässig aus der Suppenkelle der Demokratie mit einem verbogenen marxistischen Geschichtsbilde übergossen« worden.

Mit einer Assistentin der Filmbude, die ihn unter ihre Fittiche nimmt, eröffnete er eine neue Reichskanzlei. Er lässt sich mit »Guten Morgen, mein Führer« zackig grüßen und in die Geheimnisse des Computers einweisen. Bald wird er als Witzfigur in die Schau eines türkischstämmigen Comedians eingebaut. Über YouTube erlangt der »irre YouTube-Hitler« mit seinen völkischen Reden bald Berühmtheit, zumal ihn ein Großteil der Zuschauer ernst nimmt. Seine ausländerfeindlichen Tiraden begeistern sogar. Nachdem er mit einem Fernsehteam bei der NPD einmarschiert und dort den verweichlichten Geist derjenigen geißelt, die in seinem Namen agieren, schafft er den medialen Durchbruch.

Überzeugend versteht es der Autor, alles aus der Sicht des »Führers« zu beleuchten. Eines Tages wird »Onkel Wolf« beispielsweise durch das Getöse eines Laubbläsers aus dem Schlaf gerissen wird und schaut aus dem Fenster. Ein Blick auf die umstehenden Bäume verrät ihm, dass es sich um einen ausgesprochenen windigen Tag handelt. Er ist, so viel lässt sich eindeutig erkennen, völlig unsinnig, an jenem Tage Laub gezielt von irgendwo nach irgendwo anders hinblasen zu wollen. Doch er bewundert den Laubbläser, hat dieser doch einen Befehl bekommen, den er in fanatischer Treue ausführt. Er erfüllt tapfer und stoisch seine Pflicht, so sinnlos sein Wirken bei dem Wind auch sein mag. »Wie die treuen Männer der SS«, meint Hitler und eilt hinaus, um den Mann zu danken: »Für Menschen wie Sie führe ich meinen Kampf fort. Denn ich weiß: Aus diesem Laubblasegerät, ja aus jedem Laubblasegerät in diesem Lande strömt der glühende Atem des Nationalsozialismus«. Genau das sei der fanatische Wille, den das Land brauche …

Fraglos ist es ein geschickter Zug, aus der Perspektive des überzeugten Nationalsozialisten Politik und Gesellschaft zu betrachten und entsprechend gnadenlos zu kritisieren. Egal, was der Widerauferstandene sagt, es wird schließlich unter Humor subsumiert und entzieht sich einer über alles wachenden »political correctness«. Doch die Quintessenz des Romans, wonach »damals« nicht alles schlecht war, hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Denn je weiter wir im Buch der Geschichte voranblättern und uns von der Nazi-Zeit entfernen, desto harmloser scheinen die Verbrechen jenes Terrorregimes. Klar, da wurden ein paar tausend Juden ausradiert, aber der Führer war doch eigentlich ein kauzig-schräger Typ, den man in seiner Andersartigkeit sogar lieb gewinnen kann.

Dieses Buch ist gefährlich gut. Es betreibt mit den Mitteln der Komik Verharmlosung. Es hilft, Adolf und seine braunen Schatten als Biedermänner auferstehen zu lassen. Es dient weder der Aufarbeitung der deutschen Geschichte, noch leistet es einen Beitrag, dem Wiedererwachen des Faschismus einen Riegel vorzuschieben. Im Gegenteil: Das Lachen über den »komischen« Hitler, der wieder auf die Bühne steigt (und sein Geist ist ja inzwischen tatsächlich längst wieder da) dient der Bagatellisierung eines Massenmörders und seiner Gesinnung. Deshalb schmeckt mir die Lektüre nicht, wenngleich ich an vielen Stellen laut lachen musste.

Nachtrag


Deutscher Kinostart des Buches aus dem Jahre 2012 war der 8. Oktober 2015.

 


Genre: Romane

Brilliance

Seit 1980 ist ca. 1% aller Neugeborenen mit besonderen unterschiedlichen mentalen Fähigkeiten ausgestattet; die sogenannten “Brilliants”. Wurden sie anfangs noch von der Gesellschaft bestaunt und begeistert aufgenommen, hat sich das Blatt gute 30 Jahre später komplett gewendet; Misstrauen und der Wunsch nach Kontrolle der “Abnormalen” dominieren die öffentliche Meinung, denn die Furcht vor allem Andersartigen ist nun mal eine ausgeprägte Eigenschaft vieler Menschen.

Agent Nick Cooper ist selbst ein Hochbegabter und jagt diejenigen von ihnen, die sich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung mit Waffengewalt wehren. Nach einem Bombenanschlag, der natürlich auch dieser Gruppe zugeschrieben wird, eskaliert die Situation und Cooper greift zu drastischen Mitteln im Kampf gegen die Terroristen: Er taucht in den Untergrund ab und lernt dort schnell, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie scheinen…

“Brilliance” zeichnet sich durch einige originelle Ideen aus (auch wenn man sich natürlich sofort an Stephen Kings “Firestarter” erinnert), die auch konsequent umgesetzt werden. Die Schilderung der Akademien, in denen die jugendlichen Hochbegabten einer perfiden Gehirnwäsche unterzogen werden, geht unter die Haut und passt hervorragend in eine Zeit, in der man der US-Regierung wirklich jede Schandtat zutraut.

Der Leser darf sich an einem gut geschriebenen und spannenden Thriller erfreuen, der aber auch politisch Stellung bezieht, ein Plädoyer für die Toleranz der Vielfalt. Das Ende lässt auf eine Fortsetzung hoffen, die noch besser gelingen könnte, wenn der Autor einige Längen vermeiden und die Handlung straffen würde, mein einziger Kritikpunkt an “Brilliance”.


Genre: Thriller
Illustrated by Thomas & Mercer

Die Elefanten meines Bruders

Billy Hoffmann will mit seiner Familie zu einer Zirkusvorstellung gehen. Unterwegs erlebt er Schreckliches: Sein älterer Bruder Philipp wird von einem tonnenschweren Reisebus erfasst, der ihn durch die Luft schleudert. Er stirbt. Die entsetzte Mutter, so das Bild, das sich unauslöschlich in das Kind einbrennt, steht schreiend an der Böschung, wo der Tote hingeschleudert liegt. Blut befleckt ihren neuen Mantel. Weiterlesen


Genre: Jugendbuch, magischer Realismus, Romane
Illustrated by Kindle Edition

Das Amulett

ErbenderaltenZeitCharlotta ist das Kind, das aus dem Nebel kam. Die Dreizehnjährige selbst weiß nichts von den geheimnisvollen Umständen ihrer Herkunft. Sie weiß nur, dass sie ein Findelkind ist und nach dem Tod ihrer Pflegeeltern kreuzunglücklich. Nirgends zugehörig befindet sie sich auf einer Odyssee von Kinderheim zur nächsten Pflegefamilie und zurück. Eines Tages hält sie das Gefühl ihres Andersseins nicht mehr aus, bricht ins Jugendamt ein und entwendet ihre eigene Akte. In dieser liest sie erstmals liest von den verwirrenden Umständen ihrer Herkunft und findet ein geheimnisvolles, fremdartiges Amulett, welches ihr zu gehören scheint.

Sie beschließt die Flucht und gerät nach kurzer Zeit mitten im Wald in einen dichten Nebel. Plötzlich findet sie sich in einer ganz anderen Welt wieder. Eine Welt mit zwei Monden, Fabeltieren, unbekannten Gottheiten und Gesetzen und zum Glück auch mit Tora, Kunar und Biarn. Drei junge Menschen, die sich um das verwirrte Mädchen kümmern und ihr zu echten Freunden werden. Charlotta hat auf ihrer Flucht beschlossen, sich als Junge auszugeben, nennt sich fortan Charlie und offenbart den neuen Freunden ihre wahre Identität sowie die verwirrenden Fähigkeiten ihres Amuletts lange nicht. Schnell wird ihr und den Freunden in der neuen Welt aber klar, dass sie über magische Fähigkeiten verfügt. Fähigkeiten, nach denen diese Welt dringend sucht, um sich von der grausam herrschenden Gottheit Odin zu befreien.

Das Amulett ist der erste Teil der als Trilogie angelegten Erzählung Die Erben der alten Welt. Die Autorin Marita Sydow Hamann vermengt in der von ihr geschaffenen Welt Elemente aus bekannten Mythologien, vorwiegend aus der nordischen Mythologie ihrer Heimat und integriert als erste Ebene das reale uns bekannte Leben. Bei dieser Mischung belässt sie es jedoch nicht, sondern führt noch eine dritte Welt ein. In dieser Welt, der unseren um mehr als 14000 Jahre voraus, erwacht die junge Sora nach einem mehr als 15000 Jahre währenden Schlaf. Sie trägt ebenfalls ein Amulett und ist auf die Hilfe von Freunden angewiesen, um sich zurecht zu finden. Diese dritte Welt ist ein befriedeter futuristischer Staat. Doch die Einwohner sehnen sich nach mehr Kenntnis über ihre Wurzeln. Ist die wieder erwachte eigentlich uralte, doch jung gebliebene Sora die dort geweissagte Retterin, die alte und neue Welten wieder zusammenführt? Was hat es mit den Amuletten auf sich? Was mit den Visionen? Wie gefährdet sind all diese Welten und wie gehören sie zusammen?

Die gebürtige Norwegerin Sydow Hamann wuchs unter anderem auch in Deutschland, Österreich und Spanien auf. Derzeit lebt sie in einer schwedischen Hof-Idylle in Smaland und widmet sich dort den kreativen Künsten. Vor der Erben-Trilogie hatte sie sich bereits einen Namen als Autorin von Kinder- und Jugendbüchern gemacht und zumindest der erste Teil das Amulett ist ebenfalls nicht eindeutig ein Buch nur für Erwachsene. Es dürfte Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene mit Freude an Fantasy gleichermaßen ansprechen. Nicht immer ist die Handlung so komplex, wie sie sein könnte, auch ist ihre Sprache zuweilen sehr einfach gehalten. Auf jeden Fall aber hat sie Mut zum Stil- Mix. Sie wirft nicht nur die verschiedensten Mythologie Elemente in die Waagschale, sondern vermengt dazu unbeeindruckt von gängigen Genre-Regeln Fantasy, Mittelalter und Science Fiction. Fast schon ein Art Cloud Atlas im Kleinen.

Diese furchtlose Verflechtung gelingt ihr wirklich unterhaltsam. Spannend und anregend, wie sie aus altbewährten Komponenten etwas Neues entwickelt und den Leser mit auf eine Wanderung zwischen den Welten und den Zeiten mitnimmt. Der Leser hat lange nur eine vage Ahnung, wie die drei Welten und Geschichten zusammengehören. Geschickt gemacht dabei die Einbindung staatlicher Stellen der realen Welt in die Vertuschung der Umstände von Charlies Geburt, welche der Autorin ganz en passant den Beweis für die tatsächliche Existenz mehrerer Welten liefert. Zum Schluß hin gibt es eine Klärung des groben Ganzen und man ahnt, wo die Autorin letztendlich hin will. Doch sie lässt genug offene Fragen für die avisierten Fortsetzungen.

Teil eins und zwei waren ein großer Erfolg in der Self-publisher E-book-Szene. So groß, dass die grassroots Edition eines österreichischen Verlages aufmerksam wurde. In dieser Edition sollen sukzessive E-Books, die nach dem Grassroots Prinzip- nicht von oben herab geplant, sondern von unten her getrieben- erfolgreich wurden, auch als Hardcover veröffentlicht werden. Das Amulett ist eins der ersten dort veröffentlichten Bücher und auch ohne die Ur-Version gekannt zu haben, darf man wohl getrost feststellen, dass die Überarbeitung und das professionelle Lektorat dem Werk gut getan haben. In den Rezensionen zur Ur-Version kam bei aller Begeisterung der Leser auch immer wieder Kritik an Grammatik- und Tippfehlern, den Kinderkrankheiten vieler self-publishing Bücher auf. Nun findet man mit dem Amulett nicht zuletzt auch dank der liebevoll gestalteten Illustration eine vergnügliche Entspannungs-Lektüre, durchaus auch geeignet für nicht so fiction-affine Leser .

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Fantasy
Illustrated by Santicum Medien GmbH Villach

Final Cut

Woher weiß man schon, wer einem so auf Facebook folgt und wer eigentlich hinter einem harmlosen Avatar steckt? Unter tausenden Freunden kann ein Feind stecken, der in seinem Kämmerlein schon einen perfiden Plan zusammenstrickt, der ihm Genuss und Genugtuung, einem anderen aber den sicheren Tod bringt.

Knappe 447 Seiten und ein wirklich ansprechendes Cover sorgen schon einmal für ausreichend Neugier, näherzutreten. Das Buch aufgeschlagen und einen ersten Blick hineingeworfen, wird man sofort in die dunkle Welt des Serienkillers entführt, erhält einen ersten Einblick in seine Taten und schon eine ganz leise Ahnung in seinen dunklen Plan. Eines von vielen Opfern ist ihm bereits auf Seite 8 erlegen – und erst dann fängt die Geschichte wirklich an, die nur am Rande, und dann auch nur Stück für Stück, Einblicke die Motivation des Täters bietet. Im Vordergrund steht die Kommissarin Clara Vidalis, die den Fall übernimmt und durchaus auch eine ganz persönliche Beziehung zu dem Täter hat.
Clara Vidalis und ihr Team werden durch Videoaufnahmen der Opfer auf den Serienkiller aufmerksam, die er ihr zukommen lässt. Die Opfer sprechen in die Kamera, stellen sich vor und dann werden sie kaltblütig umgebracht. Der erste Gedanke der Ermittler, dass sie Zuschauer eines sogenannten Snuff-Videos wurden, löst sich schnell auf, als sie die erste Leiche finden. Jedoch stimmt hier etwas nicht; das Opfer liegt bereits seit längerer Zeit tot in der eigenen Wohnung. Blutleer und ausgeweidet, umringt von unzähligen Käfern, die sich am leblosen Körper zu schaffen machen.
Eine nervenaufreibende Jagd nach einem Mörder, der keine Grenzen zu kennen scheint, beginnt und es scheint, dass er immer einen Schritt voraus und immer ein wenig zu nah zu sein scheint.

Ich muss zugeben, dass ich das Buch nur gekauft habe, weil ich das Cover so genial fand. Einfallsreich, anders, einfach etwas zum Anfassen, weil recht große Schlitze darauf sind, die dank des doppelten Covers rot sind. „Final Cut“ ist außerdem der Name eines recht bekannten Schnittprogramms, das ich während meiner Ausbildung gern genutzt habe. – Also war auch gleich eine persönliche Ebene da, auf der mich der Roman einfach erwischt und nicht mehr losgelassen hat.
Eigentlich war ich nie Fan von Thrillern oder Krimis. Mehr der Verfechter von Romantik und Drama habe ich aber trotzdem danach gegriffen und es auch gleich angefangen. – Und nicht mehr losgelassen.
Der Schreibstil ist richtig gut; der Autor packt den Leser am Schopf und lässt ihn nicht mehr gehen. Bei einem etwaigen Durchhänger kommt dann eh der Serienkiller wieder und gewährt dem Leser einen erschreckend detailreichen Einblick in seine Pläne und die Taten, die darauf mit Sicherheit folgen.
Veit Etzold schafft es, dass man sich, zusammen mit den Kommissaren am Tatort befindet, vor seinem geistigen Auge sieht, was sich da in den Räumen abspielt und eine Gänsehaut die Nächste jagt, wenn ein neues Opfer gefunden wird. Er scheint keine Scheu davor zu haben, auch die intimen und abschreckend wirkenden Kleinigkeiten wirklich schamlos zu beschreiben, während der Leser schockiert einfach weiterlesen muss.
Ich gehöre eigentlich zu den langsamen Lesern, aber das Buch habe ich in zwei Tagen durchgelesen. – Nein, durchgefressen und bin immer noch schwer begeistert von dem Buch.

Empfehlen kann ich es – auf jeden Fall. Aber nur, wenn man etwas stärkere Nerven hat. Hin und wieder ist der Schreibstil etwas gewöhnungsbedürftig, alles in Allem aber wirklich leicht verständlich und von der Logik her auch wirklich ganz gut nachvollziehbar. Bis zum Ende hin spannend und nervenaufreibend. Es bleibt länger im Kopf als einem lieb ist. Und ich muss zugeben, dass ich mein eigentlich recht lockeres Verhalten auf Facebook doch noch einmal überdacht habe.
Wer sich nicht nur durch die – wie meine Oma damals sagte – Flimmerkiste beeindrucken lassen möchte, sondern seine Phantasie mal herausfordern will, zu welchen abgrundtiefen Vorstellungen sie fähig ist, dem kann ich „Final Cut“ auf jeden Fall ans Herz legen.


Genre: Thriller
Illustrated by Bastei Lübbe

Das grosse Los

Winnemuth_MDas_grosse_Los_136656In Hamburg sagt man Tschüss. Dachte sich auch die als experimentierfreudig bekannte Hamburger Journalistin Meike Winnemuth, packte einen Koffer und war dann mal ein Jahr lang weg. Auf Weltreise. Einfach weg war das Ziel. Zwölf Monate in zwölf Städten auf fünf Kontinenten.

Meike Winnemuth traut sich gerne was. Gerne aber auch mit eingebautem Sicherheitsnetz.  Aus diesem Grund traute sie sich zunächst einmal nach Köln. Zu Günter Jauchs Wer wird Millionär, beantwortete dank Publikumsjoker sogar die “verfranzte” 500.000 Euro Frage und gewann eine phantastische halbe Million. Auf Jauchs obligatorische Frage danach, was sie mit dem Gewinn nun anstellen werde, manifestierte sie noch in der Sendung –leicht unter Gewinnschock stehend – ihre bis dahin nur halbgare Weltreiseabsicht.

Keine drei Monate nach Wer wird Millionär war Meike Winnemuths Leben in der Hansestadt eingefroren, in Istanbul feierte sie mit Freunden Silvester und Abschied. Von dort ging der Flieger nach Sydney, ihrer ersten Station. Es sollte keine Reise im eigentlichen Sinne sein. Der Plan war, in den ausgewählten zwölf Städten ihrer Arbeit als freiberuflicher Journalistin weiter nachzugehen, jeweils einen Monat Alltag zu erfahren und mit zu erleben. Wohnung beziehen in der Heimatlosigkeit. Ihre Stationen: Sydney, Buenos Aires, Mumbai, Shanghai, Honolulu, San Francisco, London, Kopenhagen, Barcelona, Tel Aviv, Addis Abeba und Havanna. Wo immer möglich, lebte sie in möblierten Wohnungen – jede schon eine Geschichte für sich, kaufte dort ein, wo die jeweiligen Städter auch einkauften und tauchte ein in fremde Welten. Nicht zuletzt auch dank diverser Dinge, die sie im Auftrag von Lesern des SZ-Magazins ausführte. Ganz wichtig war ihr, in jeder Stadt etwas Neues zu lernen: “Denn das Wunderbare daran, von etwas überhaupt keine Ahnung zu haben: Du machst rasend schnell Fortschritte.”

Während dieser zwölf Monate führte sie ein Blog – vormirdieWelt.de – und ob der großen Resonanz lag die Idee nahe, nach Rückkehr ein Buch über diese Reise zu schreiben. Das grosse Los avancierte in kürzester Zeit zum Bestseller. Und dies sogar völlig zu Recht. Das grosse Los ist ein bewegendes, humorvolles, spannendes, hoch interessantes und informatives Buch geworden, an keiner Stelle langweilig. Meike Winnemuth ist mehr als eine “gelernte Schreiberin”. Sie schreibt mitreißend, aus dem Bauch und dem Herzen heraus, mal nachdenklich, mal witzig, immer ehrlich. Gelegentlich spöttelt sie ganz gerne, dann aber auf hohem Niveau und am liebsten auch über sich selbst. Das Buch setzt sich zusammen aus zwölf Briefen, aus jeder Stadt einen, addressiert an beste Freundinnen, alte Lieben, ihr jüngeres Ich und an ihren Publikumsjoker. Die Kapitel/ Briefe werden jeweils ergänzt durch eine Liste der 10 Dinge, die sie in der betreffenden Stadt gelernt hat sowie durch während des Jahres entstandene Fotos

In den Briefen beschriebt sie mit viel Empathie für die jeweiligen Städte und ihre Bewohner ihre Erlebnisse und Erfahrungen, nicht zuletzt auch die Erfahrungen mit sich selbst. Denn was macht es mit einem, wenn man in eine ganz fremde Welt, eine ganz fremde Umgebung geworfen alleine zurecht kommen ist? Genau diese Erfahrungen und Meike Winnemuths Fähigkeit zum Staunen sind es, die das grosse Los so spannend machen. Kulturschocks, Überraschungen, immer wieder das Glück des Zufalls – Meike Winnemuth erfährt, wie sehr man durch seine Umgebung geprägt wird und erlebt sich in jeder Stadt neu: “Mal entspannter als die Werkseinstellung, mal neugieriger und umtriebiger. Entflammt, genervt, genießerisch, übermütig, überfordert, ich mochte alle meine Versionen.”

Schon unterwegs und erst recht nach “diesem besoffen machendem Jahr ” stellt sich ihr auch die Frage nach Heimat. Ununterbrochen unterwegs zu sein ist in unserer rastlosen Welt ja nicht länger nur ein Markenzeichen der globalen Elite. Die Frage, ob gute Koffer wichtiger sind als Heimat, liegt heutzutage auf der Hand. Heimat ist auch keine Lösung, zu diesem Schluß kommt auch Meike Winnemuth: “Heimat ist nicht da, wo man geboren ist, Heimat ist da, wo man begraben werden will .”

Ihr größter Schock unterwegs: der zwischenzeitliche Kassensturz. Das eingebaute Sicherheitsnetz in Form des WWM Gewinns– sie hätte es gar nicht gebraucht. Es wäre auch so gegangen. Sie hätte jederzeit einfach nur losfahren müssen. Ihre schönste Erkenntnis: “Was alles geht und was es alles gibt, davon habe ich eine kleine Ahnung bekommen. Dass die Welt voller Möglichkeiten steckt, die Dinge anders zu sehen und anders zu machen.” In Summe ist das grosse Los ein Plädoyer gegen zuviel Eindeutigkeit und für mehr sowohl als auch.

Fazit der Autorin: Einfach wagen: “Nicht lang schnacken, Koffer packen.
Glück ist ein Gefühl von Möglichkeit

Fazit der Rezensentin; Unbedingt lesen. Das Buch übertraf meine durchaus
nicht kleinen Erwartungen bei weitem.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Dokumentation
Illustrated by Knaus München