Ich muss gestehen, ich hatte es früher nicht so mit Opern und mit Wagner schon gar nicht. Das hat eine längere Vorgeschichte und dem Autor Ruprecht Frieling verdanke ich, dass ich beidem – Opern und Wagner – inzwischen auch eine fröhliche Seite abgewinnen kann. Hinzu kommt, dass gerade die „Meistersinger von Nürnberg“ mit die lustigste Oper ist, die Richard Wagner je geschrieben. Und – ebenso wichtig – der Wortwitz des Autors. Man kann durchaus sagen, Ruprecht Frielings Witz ergänzt sich mit dem Richard Wagners.
Vor sehr vielen Jahren, ich war etwa 13 Jahre alt, führten wir in der Schule ein Theaterstück auf. Ein wichtiges Ereignis, es war kurz vor Weihnachten. Entsprechend nervös waren alle Beteiligten, die Lehrer, wir – die Schauspieler (wenn der Ausdruck gestattet ist) und ich ganz besonders. Es war ein Stück von Hans Sachs, und ich weiß noch, dass ich die Hauptrolle hatte. Um was es in dem Stück ging, habe ich verdrängt, vielleicht war es eine Prosa-Version der Meistersinger.
Man könnte meinen, jetzt schließt sich der Kreis, aber gar nichts schließt sich, denn ich war der Einzige von den etwa zehn Buben auf der Bühne, der weitgehend seinen Text vergessen hatte. Meine Mitstreiter flüsterten mir die Ohren voll, ein Lehrer drohte aus den Kulissen – ich wurde noch nervöser. Hinzu kam das vor Scham rot angelaufene Gesicht meines Vaters in der ersten Reihe mir schräg gegenüber. Ein Stück von Hans Sachs mit einem mehr oder weniger stummen Hauptdarsteller! Zur Not wäre es noch als Parodie durchgegangen, hätte die Schulleitung es entsprechend angekündigt. So wurde es ein Desaster.
Anschließend gab es eine vorgezogene Weihnachtsbescherung auf der Bühne, wir durften jeder eine Weihnachtsgabe aus einem Sack ziehen und ich grabbelte im Dunkeln des tiefen Sacks solange herum, bis ich das größte Paket gefunden hatte. Zu Hause verpasste meine Mutter mir nachträglich eine Ohrfeige, aber das ertrug ich tapfer. Ich hatte ein Paket von den Abmessungen eines Schuhkartons voll mit Süßigkeiten ergattert.
Aber zu den Meistersingern und Ruprecht Frieling. Ich habe selten eine so anschauliche und fundierte Beschreibung einer Oper gelesen. Vergleichbar sind nur noch seine anderen Bücher zum Thema Wagner, wie der „Fliegende Holländer“, um nur eins zu nennen. Der Autor beschreibt sehr eindringlich, dass auch Götter der Musik, Wagner war es ganz sicher, normale Sterbliche sind, die Ängste und Schwächen haben, von Geldsorgen und Todesahnungen geplagt werden, eben Menschen sind wie Du und ich. Dazu kommen die Geheimnisse der Texte und Reime und was das mit der jeweiligen Sprache zu tun hat, aus der sie stammen. Ein französischer Reim ist eben anders, als ein deutscher und auch das erklärt der Autor. Denn – das ist der Wettbewerb der Sänger – darüber wachten die Merker und sie entscheiden, wann ein vortragender Sänger versungen hatte, oder sich Meistersinger nennen durfte.
So einen Merker kannte ich damals auch, unseren Musik- und Mathematiklehrer, der auch noch Chorleiter war. Wenn wir einmal wöchentlich zum Chorgesang antraten (freiwillig, aber wer nicht kam, dem waren schlechte Noten gewiss!), dann schlich unser Merker Dr. S… (ich lass den Namen weg, aber glauben Sie mir, ich weiß ihn noch!), durch die Reihen und ohne Rücksicht auf Stimmbruch oder ähnliche körperliche Einschränkungen bekam man eine 6 in Musik verpasst. Hatte der Stimmbruch besonderes Ausmaß, dann gab es „der guten Ordnung halber“ auch gleich eine 5 in Mathe, denn die Mathe-Zensuren standen in seinem Notizbuch den Musik-Zensuren gegenüber. Ein Ärgernis für das Halbjahreszeugnis.
Jetzt kommt Ruprecht Frieling mit den „Meistersingern von Nürnberg“, lässt mich zurückdenken – und schmunzeln. Denn – und das geht ja mit dem Stimmbruch meistens einher – auch in den Meistersingern geht es um das weibliche Geschlecht. Auf unserem Gymnasium gab es nur Buben, aber das Mädchengymnasium war nicht weit. Auch bei Hans Sachs führt das zu allerlei verwerflichen Handlungen, allesamt aber verständlich – aus der Sicht des edlen Ritters Walther von Stolzing und Eva Pogner, des Goldschmieds hübsches Töchterlein, die nur den Walther will, und nicht den alten Erbsenzähler und Pedanten Sixtus Beckmesser.
Hätte mein Vater mir doch rechtzeitig erklärt, was man mit Gesang bei Mädchen erreichen kann! Er spielte Violine und Klavier, ich nur Trillerpfeife. Was aber nichts mit Musik zu tun hatte, nur mit Fußball.