Golanhöhen

BischoffMan muss nur tief genug in der Vergangenheit des Kriminalkommissars wühlen, dann findet man schon den Mörder. So scheint seit einiger Zeit ein unumstößliches Krimi-Gesetz zu lauten. Egal, ob man „Tatort“ einschaltet oder einen Kriminalroman aufschlägt – ohne persönliche Verwicklungen der ermittelnden Personen geht es anscheinend nicht mehr. Der unbeteiligt ermittelnde Kommissar wurde wohl in Rente geschickt. Da macht auch der neue Roman „Golanhöhen“ von Marc-Oliver Bischoff aus der bewährten Dortmunder-Krimi-Schmiede (Grafit Verlag) keine Ausnahme. Aber soviel vorab: Dies ist auch schon der einzige zu bemängelnde Punkt und zugegebenermaßen auch persönlichem Überdruss geschuldet. Davon abgesehen ist das Buch ein außerordentlich gut gemachter Krimi, angemessen düster, intelligent aufgebaut und erzählt.

„Golanhöhen“ ist der dritte Teil von Bischoffs Frankfurt-Trilogie. Während in den ersten beiden Teilen noch Kriminalpsychologin Nora Winter ermittelte, steht aufgrund ihres Erziehungsurlaubs diesmal ihr Mann Gideon an der Spitze der Ermittlungen – zumindest so lange, bis er degradiert und suspendiert wird. Der Plot ist zum größten Teil angesiedelt in den heruntergekommenen Sozialbauten am Frankfurter Ben-Gurion-Ring, welche den unglücklichen „Spitznamen“ Golanhöhen tragen. Dieses Viertel gleicht in Frankfurt „einem schwarzen Loch. Armut zieht Armut an. Probleme bringen weitere Probleme mit sich“. Der noch positivste Lerneffekt, den ein Bewohner dort mitnehmen kann, ist Selbstmitleid. Selbstmorde sind alltäglich. So geht auch Gideon Richters Team zunächst von einer Selbsttötung aus, als sie zu einem Todesfall in den Sozialbauten gerufen werden. Doch Gideon hat Zweifel. Die Tote ist erst vor kurzem aus der Haft entlassen worden, warum sollte sie sich ausgerechnet jetzt vom Dach stürzen? Und was ist mit dem toten Baby, dass in der Mülldeponie gefunden wurde? Hängen die beiden Fälle zusammen?

Gideon allerdings tut sich ausnehmend schwer, sich auf die Ermittlungen zu konzentrieren. Den frischgebackenen Vater lassen Ermittlungen um ein totes Baby und eine Frau, die als Kindsmörderin inhaftiert war, ganz und gar nicht kalt. Dazu kommt eklatanter Schlafmangel, denn das Baby lässt Nora und ihm nicht viel Ruhe. Deshalb leidet er unter unerklärlichen Blackouts, von denen er befürchtet, dass sie nicht nur aus den schlaflosen Nächten resultieren. Und dann muss er sich auch noch besagten ungeklärten Dingen aus seiner Vergangenheit stellen, die plötzlich den Fall unerwartet tangieren. Gideon verliert Distanz und Objektivität und trifft einmal zu oft eine unhaltbare Entscheidung.

Bischoff beginnt den Roman zwar mit einem rasanten Prolog, läßt sich dann aber Zeit, den eigentlichen Fall ganz ruhig und detailliert, dabei aber an jeder Stelle spannend zu beginnen. Im weiteren Verlauf steigert er sein Tempo, die Brechstange bleibt dabei dankenswerterweise weggeschlossen. An jeder Stelle lässt er sich Zeit, alle Aspekte des Falls und der Ermittlungen in einem wohltuend unaufgeregten Schreibstil auszuleuchten. Ausführlichen Platz bekommt dabei auch die Betrachtung heutiger Arbeitsbedingungen. Unterbesetzte Teams, Stress, die Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, die stillschweigend vorausgesetzte Bereitschaft, auch über vertragliche Arbeitszeit hinaus bereitwillig parat zu stehen, auch und gerade bei Teilzeitkräften – Themen, die sicher nicht nur, aber eben auch Polizei-Teams beschäftigen. Bischoff zeigt am Beispiel von Gideons Team explizit und kritisch, wie sehr das so oft gehörte ungute „Sei froh, dass Du noch einen Job hast“ bereits gesellschaftlich akzeptiert ist. Dass dem Leser auch bei solchen Exkursen nicht langweilig wird, liegt nicht nur am Wiedererkennungswert, sondern sicher auch an der Fähigkeit des Autors, nicht nur geschliffen zu formulieren, sondern sich auch ohne Anbiederung in seinen Dialogen den jeweiligen Schichten gut und glaubwürdig anzupassen. Spannend zum Schluss der Mut des Autors, ausgerechnet eine Trilogie mit einem offenen Ende zu beschließen.

Marc-Oliver Bischoff kam über das Bloggen zum Schreiben, sein erster Krimi „Tödliche Fortsetzung“ wurde gleich mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Ludwigsburg und arbeitet dort als Technologieberater.

Erstveröffentlichung dieser Rezension in den Revierpassagen.de


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Grafit Dortmund

Die Abtaucher

Als ausgewiesener Schalke-Fan in der „verbotenen Stadt“ Dortmund arbeiten zu müssen, dann noch ein wandelndes Beispiel für die alte Fußballer-Weisheit „Knie heilt nie“ zu sein und als krönende Dreingabe einen Assistenten, der sich trotz oder wegen seines Atze-Schröder-Stylings als unermüdlicher Playboy gefällt – Kriminalkommissar Georg Schüppe hat mehr als ein Problem. Da fällt sein ungeliebter Spitzname „Der Spaten“ schon kaum mehr ins Gewicht.

Derart vom Leben gebeutelt, macht er sich eher widerwillig auf zu seiner neuesten Ermittlung. Ein toter Einbrecher in einem Dortmunder Zechenhaus verspricht nun auch nicht gerade die dollste Ablenkung. Weder für ihn noch für Polizeireporter Tom Balzack, der sich mehr schlecht als recht mit seiner kleinen TV-Firma als Sensations-Zulieferer für den Boulevard durchschlägt. Doch nicht lange und der kleine Routinefall wird undurchsichtig. Drei weitere Morde folgen und an den weit voneinander entfernten Tatorten finden sich DNA-Spuren des Einbrechers aus dem Zechenhaus. Der jedoch befand sich zum Zeitpunkt der drei Morde schon in fortgeschrittener Totenstarre.

Wer legt da eine falsche Fährte und vor allem warum? „Der Spaten“ sieht die Zusammenhänge nicht, vielleicht will er sie auch gar nicht sehen. Die vage Ahnung, dass dieser Fall etwas mit ihm und seiner traurigen Vergangenheit zu tun haben könnte, lässt er zunächst nicht zu. Somit schlägt die Stunde des Reporters. Balzack ist chronisch pleite, der Konkurrenzdruck groß, ihn kann nur noch die eine, die ganz große Geschichte retten. Er erkennt den Zusammenhang zwischen den Morden, er kennt „Die Abtaucher“ aus der sogenannten guten Gesellschaft, die nun in der verqueren Logik eines Killers für einen Augenblick der Unachtsamkeit bezahlen müssen.

„Die Abtaucher“ ist das gelungene Krimi-Debüt des Journalisten Thomas Schweres und weit mehr als nur ein weiterer halbwegs gelungener Regional-Krimi. Der gebürtige Essener Schweres lebt als Schalke-Fan „undercover“ in Dortmund und treibt sich mit seiner TV-Firma vorzugsweise auf dem Boulevard herum. Ähnlichkeiten zum Protagonisten Balzack dürften also nicht rein zufällig sein.

Thomas Schweres ist ein genauer Beobachter, den versierten Rechercheur merkt man durchgängig. Er weiß genau, worüber er schreibt, in seinen langen Reporterjahren ist er zum genauen Kenner der Ruhrgebiets-Szene geworden. Die Liebe zum Pott schimmert durch, aber auf nett gemaltes Lokalkolorit beschränkt er sich dabei dankenswerterweise nicht. Schweres scheut sich nicht, auch die unangenehmen, schwierigen Seiten des Ruhrgebiets aufzuzeigen. Ob es um Schutzgelderpressungen, den Tagelöhner-Strich, die vergifteten Monte Schlackos geht – Schweres redet Tacheles. Wer jemals länger in einem Stadtteil gearbeitet oder gelebt hat, in dem ganz eigene Gesetze herrschen und der von der Obrigkeit als aufgegeben bezeichnet werden darf, weiß, wovon Schweres redet und liest die entsprechenden Seiten mit einem sonderbares Gefühl der Dankbarkeit dafür, dass es endlich einer ungeschönt ausspricht. Dazu gönnt der Kenner des Boulevards dem Leser amüsante Einblicke in das umkämpfte Geschäft mit dem Sensations-Journalismus.

Thomas Schweres schreibt kurz, knackig und durchgehend flüssig. Wie man einen Plot aufbereitet und den Leser häppchenweise bei der Stange hält, weiß er aus seinem Tagesgeschäft und übertragt das gekonnt und mit gelegentlichem Augenzwinkern in die Romanform. Der Plot an sich ist stimmig, auch wenn man heutzutage anscheinend in keinem einzigen Krimi mehr auf persönliche Involvierung der ermittelnden Kommissare verzichten kann. Alles in allem spannende Lektüre, mit der nicht nur Ruhrgebiets-Liebhaber richtig aus dem Alltag abtauchen können.

Interessanterweise ist unter den Protagonisten kein einziger richtiger Sympathieträger, aber der Autor schafft das Kunststück, dass man dem Kommissar, dem Reporter und seinen Mitstreitern ein gutes Ende wünscht. Den meisten jedenfalls. Wahrscheinlich, weil man sie alle irgendwoher kennt. Im Zweifelsfall aus der Nachbarschaft.

Erstveröffentlichung in den Revierpassagen am 02.12.2014


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Grafit Dortmund

Hart am Rand

Dieser Metropolenkrimi entspricht seinem Titel und ist wirklich hart am Rand geschrieben. Praktischerweise ist der Hauptheld ein Berliner Location-Scout, der von Mitte nach Zehlendorf und wieder zurück surft. Es werden alle gängigen Klischees bedient, es gibt reichlich Tote, und es fließt viel Blut. Es agieren: eine Abteilung brutaler und hoch gerüsteter Russenmafioso, moderne Frauen, die Frauen lieben, ewig gestrige Männer, die sich in gut gebaute Nutten verknallen, Knackis, Penner, Goldkettchenträger. Es wird in Szenekneipen, pardon, ostdeutsch heißen sie jetzt: Bars, gefrühstückt, gekokst und gesoffen. In unaufgeräumten Jungmännerwohnungen treffen sich Pillendreher, Paffer und Penner mit Eisenwarenhändlern, die en gros Schießeisen dealen. Anrufbeantworter und Mobiltelefone streuen Gründe aus, ständig die Szene zu wechseln. So torkeln Autor und Leser beschwingt und im Sauseschritt durch das Berlin genannte Kuriositätenkabinett. Whow, was für eine wilde Stadt!


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Grafit Dortmund

Das Mallorca-Komplott

Die originelle Geschichte um einen namenlosen Detektiv, der nach langer Zeit aus Barcelona auf seine Heimatinsel Mallorca zurückkehrt, ist der erste mallorquinische Kriminalroman, der nach Francos Sprachverbot auf Katalan publiziert wurde.

Autor ist ein in Palma lebender Journalist der spanischen Tageszeitung „Ultima Hora“. Sein lesenswerter Thriller spielt in den Kreisen der neuen mallorquinischen Bourgeoisie, die ihren steilen Aufstieg Grundstücks- und Immobilienspekulationen zu verdanken hat und nimmt deren Niveau ironisch aufs Korn.

Amüsante Unterhaltung.

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Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Grafit Dortmund