Der geschenkte Gaul: Bericht aus einem Leben

Hildegard Knef hatte mit Ende vierzig ihren „Bericht aus einem Leben“ herausgegeben. Dass ich ihn fünfzig Jahre später lesen wollte, liegt an Angela Merkels Wunsch, sich vom Bundeswehrorchester zum Abschied das Lied Für mich soll’s rote Rosen regnen, als Ständchen darbieten zu lassen. Ihre Lieder hatten mir schon lange gefallen, vor allem Von nun an ging’s bergab, nun weiß ich, dass es eine, in ihrem kodderigen Stil gefasste, Kurzbiografie darstellt …

Das Buch überrascht, es ist ein Stilmix, von ihrer Jugendzeit sind es lebhafte Erzählungen, später werden es Tagebuchnotizen, manchmal sind Briefe eingestreut, die Jahrzehnte später verfasst sind, alles ist prall gefüllt mit ihren Erlebnissen, geprägt von ihrer Neugier und Lust auf das Leben.

Als Kleinkind zieht ihre Familie Mitte der Zwanziger nach Berlin, kurze Zeit später stirbt der Vater, die Mutter muss Geld verdienen und so kommt sie zu den Großeltern. Am liebsten ist sie mit dem Opa in Zossen, in einer Laube, wo sie sich frei entfalten konnte. Das erste Kapitel heißt „Liebeserklärung an meinen Großvater.“ Die Oma hatte Angst vorm jähzornigen Ehemann, ihr konnte er gar nichts. Später, als ihr erster Ehemann auch zu Jähzorn neigt, ist es ihr auch kein Problem.

Die Mutter heiratet einen Schuhmacher, dessen Geschäft am S-Bahnhof Wilmersdorf (heute Bundesplatz) liegt, und sie berichtet von seinen Versuchen, den Blockwart auszutricksen, wenn er seinen Laden mit der Nazifahne schmücken soll. Zwei Lehrerinnen langweilen sie mit dem Schwärmen von Führer und Vaterland, manche schikanieren sie. Das erschwert die Berufswahl, es gelingt ihr, in einen Zeichenkurs bei der Ufa zu kommen. Sie will mehr, glaubt an sich, und sie schafft es, als Schauspielerin vorzusprechen. Ihr Motto ist, ganz berlinerisch: Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommste ohne ihr.

Der Krieg beginnt, die ersten Freunde werden Soldaten, dann fallen die Bomben, sie verbringt Abende in Bunkern und sieht, wie Stück für Stück das Viertel zerstört wird. Die Straßennamen aller ihrer Wohnungen sind ausgeschrieben, die meiste Zeit wohnte sie ganz in der Nähe meines Wohnorts, was meine Aufmerksamkeit erhöhte. Die Mutter ist mit dem kleinen Bruder evakuiert, sie lebt mit dem schwindsüchtigen Stiefvater zusammen, als die Wohnung teils zerbombt ist, kommt die Kapitulation.

Als Freund bei Kriegsende hatte sie einen führenden Parteigenossen, dessen Namen sie nur als Initiale, aber mit Adelstitel verrät. Sie schließt sich ihm zur Verteidigung der Stadt an, sie wollten, an der S-Bahn entlang, Richtung Westkreuz kämpfen und müssen aufgeben, kommen beide in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Alle diese Begegnungen sind ohne Wehklagen geschrieben, nach vorne wird geguckt. An ihn, E.v.D. denkt sie oft, einmal schreibt sie von den Flitterwochen am Kriegsende.

Weiter geht es, als die Alliierten das Sagen haben, als die Amis Häuser besetzen in Zehlendorf und die Briten in Wilmersdorf. Inzwischen ist sie Anfang zwanzig, Schauspielerin: Sie macht mit beim ersten Film nach Kriegsende: Die Mörder sind unter Uns, aber lieber noch spielt sie Theater mit Borislaw Barlog.

Manchmal gibt es tagelang nichts zu essen, die Ruhr grassiert, aber das hält sie nicht auf. Ein Ami macht ihr den Hof. Dazu, ganz trocken: „Kurt Hirsch, wurde später der Assistent von Erich Pommer, noch später mein Angetrauter und wesentlich später ein von mir Geschiedener.“

Bei den Amerikanern in Zehlendorf wird sie entnazifiziert, mit Hirsch sieht sie bei den Sowjets einen Film über Auschwitz und beginnt zu begreifen. Seine Eltern sind Juden und werden nie verstehen, wie ihr Sohn eine Deutsche heiraten konnte.

Die ersten Jahre nach Kriegsende sind bewegt, sie lernt Englisch und französisch. Der Film Die Sünderin wird zu einem Skandal, umso mehr zieht es sie nach Hollywood, sie kann als Deutsche keine Verträge abschließen, mit Ihrem Mann wandert sie aus und filmt in den USA, lebt in Hollywood, das in der Zeit von McCarthy als linksversifft bekämpft wird.

Ihre Beobachtungen sind genau, fast wie ethnologische Studien, wenn sie über Sitten, etwa Grill- und andere Partys, schreibt. Sie beschreibt die Dichte von Therapeuten in Hollywood, besonders amüsant wird es, wenn sie von Vertreterinnen der Frauenorganisationen ob ihrer Moralvorstellungen verhört wird. Natürlich trifft sie viele Prominente, schon in Berlin war es so, sie begegnet Rock Hudson, übrigens hat er dieselbe Sprachlehrerin wie sie, Henry Miller, Cole Porter ist Komponist ihrer Broadway-Show. Es bleibt nicht beim name dropping, sie freundet sich mit manchen an, mit Marcuse, vor allem mit Marlene Dietrich, die sie fast ein bisschen bemuttert, ihr ihren Astrologen empfiehlt, und sie mit Rat und Tat unterstützt.

Eingestreut sind interessante Überlegungen, warum gibt es im Englischen kein „Sie“? Wie ist das Bild der Deutschen im Ausland, wie denken die vielen Emigranten, denen sie immer begegnet? Sie ist die „Kraut“ und wird bei Interviews nicht dazu befragt, wie ihr Schauspiel ist, sondern, ob sie Nazi war.

Später geht sie dazu über, Tagebucheintragungen zu verwenden. Es gibt Erfolge, aber auch Enttäuschungen in New York, Rückkehr nach Deutschland, Ärger mit Produzenten, Me too-Erlebnisse. Eine lange Aufzählung ist den Anfeindungen gewidmet, die sie, lange vor den Zeiten, des Shitstorms erfährt. Und dann Aufzählungen der vielen Krankheiten, die sie durchlitt.

Zum Schluss kommen Berichte ihres Glückes nach der Geburt ihrer Tochter Tinta, und dem Leben mit deren Vater.

Ich las die Erzählungen in ganzen Sätzen, gerne im feuilletonistischen Stil der Theaterkritiker ihrer Zeit, sehr gerne. Das Lesen der Satzbrocken wurde anstrengend. Ob ein Redigieren es verbessert hätte? Oder ist es gerade ihr Stil, frisch und frei „von der Leber weg“ zu schreiben? Jedenfalls konnte ich ihre ersten drei Jahrzehnte mit mehr Aufmerksamkeit, ja Anteilnahme lesen. Schon die vielen zeithistorischen Hinweise lohnen die Lektüre, sie wusste eben, wieder ganz berlinerisch: „Wer angibt, hat mehr vom Leben.“


Genre: Biografien, Theater
Illustrated by Ullstein

Gärten des Jahres 2022: Die 50 schönsten Privatgärten

Gespannt war ich auf den Beitrag von Dieter Kosslick, dass er Gärten liebt, wusste ich. Ein wenig enttäuscht war ich, dass es nur eine Art Vorwort war. Geschrieben während des Wahlkampfes 2021, er erinnert daran, wie Kanzlerin Merkel eine Offensive für ökologischen Landbau ausrief und, verständlicherweise, die amtierende Landwirtschaftsministerin nicht dabeihaben wollte, oder wie Herr Lindner noch glaubte, den Profis die Klimakrise überlassen zu können.

Aber er holt weiter aus, kritisiert den Bau des Humboldtforums; wie viel schöne Gärten hätte man für die Milliarde Euro bauen können, statt „einem monumentalen post barocken Betonklotz mit einer 200 m langen, nachgemachten Preussen-Fassade.“

Man sollte sich auch einen Prinzessinnengarten leisten, womit er auf das urban gardening Projekt in Kreuzberg hinweist.

Und von seiner eigenen Gartenbegeisterung berichtet er, wie er zum Foerster Schüler wurde, noch Marianne, die Tochter, kannte und sich für sein eigenes Haus im Norden (mit Reetdach!) Foerster Stauden kaufte. Das alles geschrieben während des vierten Lockdowns, wo der Drang nach draußen, ins Freie, allen spürbar war.

Anekdoten gibt es auch: auf einer Wiese neben seinem Haus blühen immer Bänder von Narzissen, die aber Leerstellen zwischen sich hatten: Die Nachbarn berichteten, dass der Vorbesitzer ein strammer Nazi gewesen war, der ein Hakenkreuz in 10 x 10 m Größe aus Narzissen gepflanzt hatte. Spätere Versuche, dies unkenntlich zu machen, scheiterten an der Vermehrungsfreude der Narzissenzwiebeln.

Oder er weiß, dass Melania Trump den Stauden- und Nutzgarten von Michelle Obama in einen Rosengarten mit Steinplatten und Rasen verändert hatte. 75 000 Menschen hätten schon eine Petition unterschrieben, um nun dies wieder zu ändern.

Gärten sind also wie „die Menschen ticken“, wer will heute noch einen Barockgarten? Dazu kennt er auch einen Film, „Der Kontrakt des Zeichners“ wo ein solcher in einen englischen Landschaftsgarten verwandelt wird. Es haben sich „die Herrschaftsverhältnisse…umgekehrt, die Verschwörung der Frauen hat die patriarchalische Ordnung unterwandert.“

Damit leitet er zum Buch: Was für Gärten wollen die Menschen heute? Ein Paradies in Zeiten von Corona, mit Homeoffice, aber in der Klimakrise? Oder, wie die „Gartenfighter“ wünschen, aufgerüstete Gartenfuhrparks, mit ohrenbetäubenden „Kanonen“, die Laub aus den Ecken blasen?

Es folgt ist ein Katalog, größer als DIN A4, in dem die 50 schönsten Privatgärten im deutschsprachigen Raum vorgestellt werden, mit wunderschönen Fotos. Es gibt den ersten Preis, sechs „Anerkennungen“ der Rest sind Projekte. Die ersten erhalten eine Laudatio, dazu jeweils Bericht der Schöpfer dieser Planungen.

Natürlich mit den Namen der Planenden, Ausführenden und Fotografierenden, es überwiegen Männer.

Schon die Laudatoren sind interessant, es wird auf die unterschiedlichen Standorte hingewiesen. Man will nun mehr als Stauden oder Zwiebelpflanzen, Gehölze, gerne Bäume und wenigstens Sträucher. Sie sollen robust sein, Trockenheit ertragen, in Nürnberg wird auf den Dächern alter Stadthäuser ein Gewächshaus für urban gardening angelegt, in Absprache mit dem Denkmalschutz.

Dann gibt es ein Gärtnerpaar, das dem eigenen Garten beim Entwickeln zuguckt, und mal dies und mal das ausprobiert.

Am besten gefiel mir, „Das gepflanzte Märchen“ mit Stauden und Gräsern, „die sich dennoch dynamisch und stellenweise naturnah entwickeln dürfen.“ (Aus der Laudatio) Und das Märchen passt in einen Handtuchgarten!

Ein anderer „Garten besticht durch seine Einfachheit. Es wurde bewusst auf zusätzliche Gartenaccessoires wie Gartenküche, Pool, Gartensauna oder eine Garten-Lounge verzichtet.“

Danach kommen „Lösungen“, wo genau diese von den Herstellern angeboten werden. Pools, Gartenküchen, aber auch ein aufstellbares Homeoffice.

Zeit zum Unken, mit einem Realitätscheck: In Berlin bereitet der Senat das Wassermanagement zum Einsparen von Trinkwasser vor, vor allem im Garten reichen Südwesten ist der Wasserverbrauch zu hoch, um von den Wasserwerken beliefert zu werden (Tagesspiegel, 6.4. und 10.4.22).

Anfangs fand ich den Preis von fast sechzig Euro unangemessen. Wer das in der Coronakrise gesparte Geld im eigenen Paradies anlegen will, bekommt wichtige Hinweise. Auf dem Weg dahin kann man angesichts der schönen Bilder schon mal träumen …


Genre: Garten, Gartendesign, Gartengestaltung
Illustrated by Callwey

Das Recht auf Sex: Feminismus im 21. Jahrhundert

Das Buch Das Recht auf Sex: Feminismus im 21. Jahrhundert besteht aus sechs Essays, die unabhängig und zu verschiedenen Zeitpunkten geschrieben wurden. Die Autorin wurde in den USA und den UK zur Philosophin ausgebildet und lehrt soziale und politische Theorie am Chichele Institut für Völkerrecht in Oxford, als erste nicht-weiße Professorin.

Das Buch basiert auf breitem Wissen gerade der feministischen Philosophinnen; die kleingedruckten „Anmerkungen“ umfassen über 50 Seiten und sind teils so lesenswert, wie die Essays selbst. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem anglo-sächsischen Schriftgut zu Sexualität, Feminismus und Gender.

Was sind Rechte, was sind Normen, und wie verändern sie sich in den letzten sechzig Jahren, seit Debatten über Feminismus und zur sexuellen Revolution öffentlich geführt wurden? In der Einleitung heißt es: “Was wäre zu tun, damit Sex frei ist? Wir wissen es noch nicht, aber versuchen, es herauszufinden.“

Im letzten Kapitel wird es utopisch, aber erst einmal viel Dystopisches: Im ersten Kapitel werden die ersten, teil hilflosen, Versuche beschrieben, mit Rechtsmitteln übergriffige Männer zu zügeln, und wie Männer darauf reagieren. In „Gespräche mit Studierenden über Pornografie“ wird das Schriftgut gerade der Feministinnen darüber dargestellt, es gibt „Porn Wars“, „Pro Porno Feministinnen“. „Für die Studentinnen und Studenten ist Sex das, was die Pornoindustrie als Sex definiert.“

Alles geht von Männern aus, Frauen sind untergeordnet, die Darstellerinnen entweder pubertierende oder milfs (mother I’d like to fuck), und zum Abschluss braucht es einen Ejakulationsschwall.

In allen Kapiteln werden Unterschiede nicht nur der Geschlechter, auch von Rasse und Klasse beschrieben, immer wird der in westlichen Ländern propagierte Feminismus der weißen Akademikerinnen mit den Formen und Aktionen der Frauen in armen Ländern kontrastiert. Wenn es in der Entwicklungshilfe Trend ist, Frauen kleine Kredite zu gewähren, weist sie darauf hin, dass es Aufgabe der Staaten ist, Wasser, Land und Nahrung sicherzustellen.

Im letzten Kapitel Sex, Karzeralismus, Kapitalismus wird Karzeralismus beschrieben als Rechtssystem, in dem Menschen eingesperrt werden, die nicht im Mainstream stehen, und das betrifft in den USA zunehmend auch Frauen: „In den USA, wo 30 % der weltweit inhaftierten Frauen leben (zum Vergleich: In China sind es 15 %, in Russland 7,5 %) ist die Inhaftierungsrate von Frauen doppelt so schnell gestiegen, wie die von Männern.“ Ausführlich geht es um die für Frauen meist die Situation verschlechternden Maßnahmen gegen die Prostitution, oft gefordert vom „karzeralen Feminismus.“ Nur in Neuseeland und in einer australischen Region, wo Zwangsmaßnahmen aufgehoben wurden, hat sich die Lage der Frauen verbessert. Das erfahren wir, übrigens, in einer Fußnote.

Dann knüpft die Autorin am Marxismus an, fragt: „Kann sich die Arbeiterbewegung leisten, nicht antirassistisch zu sein?“ und wünscht sich post-kapitalistische Lösungen auch der Frauenfrage.

Am spannendsten fand ich den fünften, und eher kurzen, Essay: „Warum wir nicht mit unseren Studierenden schlafen sollten“ und möchte ihn beispielhaft vorstellen:

Eine erste Fassung hatte sie geschrieben, nachdem 2010 „ihre“ Universität Yale ein generelles Verbot von „Beziehungen zwischen Fakultätsmitgliedern und nicht Graduierten“ beschlossen hatte. Andere Uni folgten und das University College London 2020 als 3. britische Uni.

Die Frage wird breit diskutiert, wie sich sexuelle Beziehungen entwickeln können, wenn zwischen den Partnern ein Machtgefälle existiert, und verschiedene Sichtweisen beschrieben, auch die von Feministinnen. Srinivasan zitiert mit Jane Gallop eine Autorin, die Freuds Konzept der Übertragung bei Beziehungen zwischen Patient und Therapeut für die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden, also für den pädagogischen Bereich übernimmt.

Ja, es lernt und lehrt sich besser, wenn die Beziehung stimmt. Aber die Lehrenden müssen wissen, dass sich ein entstehendes Begehren der Lernenden nicht auf sie als Person richtet, sondern auf das, was sie repräsentieren. Die Projektion muss auf: „Wissen, Wahrheit, Verstehen“ gelenkt werden.

Es gibt eine Fülle von genauen Beschreibungen, wie mit diesen Konflikten umgegangen wurde, bei den Beispielen der Autorin sind es eher Frauen, die als Dozentinnen „bestraft“ wurden, als Männer. Es wird gefordert, Lehrende auf die Bedeutung ihrer und der Körperlichkeit der Studierenden beim Vermitteln der Lehre hinzuweisen, manche fordern gar Vorbereitungskurse, um deren Wirksamkeit besser wahrzunehmen und, dessen bewusst, sich besser zu steuern.

Mir gefiel bei der Lektüre, wie die Autorin neben Zitaten von Philosoph:innen auch Ich-Botschaften einfügt, auch hier in diesem Kapitel. So möchte ich mit einer solchen enden:

Als berentete Professorin bin ich einerseits froh, dass Deutschland nicht vorangegangen war mit Versuchen, Beziehungen zu verrechtlichen, die sind doch oft gescheitert. Die Vorstellung, allerdings, in meiner Universitätszeit in den Nullerjahren, wären wir Profs zu solchen, natürlich koedukativen, Kursen geladen worden, bringt mich zu einem verschmitzten Schmunzeln …

Das Buch bringt viele Denkanstöße, auch in unerwartete Richtungen.


Genre: Frauen, Gender, Soziologie
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart

In der Männer-Republik: Wie Frauen die Politik eroberten

In der Männer-Republik: Wie Frauen die Politik erobertenProminente Männer wurden von Torsten Körner schon oft beschrieben, von Heinz Rühmann über Beckenbauer zu Willy Brandt gibt es Biografien. Dabei ist als Beifang so viel Material über in der bundesdeutschen Politik aktive Frauen zusammengekommen, dass es nun ein eigenes Buch brauchte. Es erschien 2020, inzwischen gibt es auch den Film Die Unbeugsamen, der im Mai 2021 herauskam.

Um die Sicht der Frauen zu erfassen, las Körner verfügbare Aufsätze und Biografien, wenn möglich, interviewte er Protagonistinnen, manche waren über neunzig Jahre alt. Die Literaturliste umfasst sieben Seiten. Als Bildmaterialien dienen ihm für die Zeit der Gründung der Bundesrepublik die Wochenschauen. Diese waren, wie zur Nazizeit, staatliche Medien und Adenauer, mit dem es begann, wusste sie zu nutzen.

Frauen brauchte er nicht zum Regieren. Als ein Sitzstreik der weiblichen CDU/CSU Abgeordneten ihn zwang, 1961 als Alibi die Ministerin Dr. Elisabeth Schwarzkopf im Kabinett zuzulassen, redete er sein Kabinett weiterhin als „seine Herren“ an.

Die Darstellung geht chronologisch vor, in 18 Kapiteln werden die Frauen vorgestellt, mit einer Fülle von Zitaten, wie mit und über sie gesprochen wurde. In den Anfangsjahren geht es um die Familienpolitik von Wuermeling, die Körner als: „Familie als Vätergenesungswerk, als Vorschein des Paradieses für Männer auf Erden“ beschreibt. Wie Frau Schwarzkopf die Sicht der Herren, in einer Ehe müsse der Mann das Sagen haben, präzise hinterfragt, ist nur ein Beispiel dafür, wie Frauen das Niveau der Debatten erhöht hatten.

Manchen Kapiteln werden Merksätze vorgestellt, etwa „Was Du erbst von deinen Müttern, das musst du bewahren. Du musst weitermachen, damit es fest ist.“ von Ursula Männle (CSU), deren Biografie in Buch und auch im Film Raum erhält.

Sie war eine Sarghüpferin: wie damals oft, wurden Frauen in der Liste weiter hinten geführt und rutschten ins Parlament, wenn der Platzhalter gestorben war. Ihre Haltung war parteienübergreifend frauenfreundlich, früh begann sie, sich mit anderen Frauen zu treffen, mit Renate Schmidt (SPD) und Waltraut Schoppe (Grüne), erst im Büro, später öffentlich in der Kantine. Da dies argwöhnisch von den Männern beäugt wurde, hat irgendwann Renate Schmidt Frau Männle angeboten: „Soll ich Dich mal wieder beschimpfen, damit deine Männer dir wieder vertrauen?“

Als die Grünen Frauen das Feminat gründen, gratuliert sie brieflich und wird dafür von ihrer Partei gerügt. Die SPD-Frauen fremdeln eher. Und Joschka Fischer schrieb: „Wie kann man nur so verdiente und profilierte Leute wie Petra Kelly und Otto Schily abwählen und—doppelt verrückt—an deren Stellen sechs Frauen wählen?“ Er war, übrigens, auch einer der abgewählten Verdienten und Profilierten.

Andere Kapitel zeigen Zeitgeschichte: Erinnern sie sich noch an den Internationalen Frühschoppen? Oder den Mut einer Abgeordneten, im Hosenanzug zu erscheinen? Ausführlich werden die Abwahl Schmidts und die neue Koalition behandelt, in deren Folge mehrere der FDP-Frauen, ihre Partei verließen.

In „Auf dem Standesamt“ kämpft Ingrid Matthäus-Maier 1974 um ihren Doppelnamen. Der nicht informierte Standesbeamte verabschiedete sie als Frau Maier, und glaubte der Juristin nicht, dass nun Doppelnamen möglich wären. Sie weigert sich, das Standesamt zu verlassen, was der Hochzeitsgesellschaft peinlich ist. Oder es wird dokumentiert, wie Rita Süßmuth die Verhüllung des Reichstags gegen geballte Männerformationen durchsetzt.

„Sie auch …“ ist der Titel des Kapitels, in dem bearbeitet wird, wie Sexismus auch von den Frauen verschwiegen wurde, da sie wussten, man hätte sie selbst als Ursache für Anzüglichkeiten oder Angriffe ausgemacht. Als eine Abgeordnete in einem Länderparlament sich als lesbisch bezeichnete, wurde ihr auf dem Flur zugeraunt, sie könne Mann ja noch nicht einmal vergewaltigen.

Und wie anregend dagegen die Rede von Waltraut Schoppe über Ehebettroutinen inklusive Penetration, und vorzuschlagen, gemeinsam mit Kanzler Kohl andere sinnlichkeitsstiftende Formen der Erotik zu entwickeln. Dies wird als ein Wendepunkt beschrieben, der mit bewirkte, dass dann 15 Jahre später die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wurde. Als hätte er dies Ergebnis schon geahnt, schwänzte Helmut Kohl diese Sitzung.

Mehr als den Anspruch, Fakten zu dokumentieren, gibt es weitergehende Gedanken, so wie immer wieder über Macht und Charisma: Wie anderes war das Charisma einer Petra Kelly als das von Willy Brandts?

Die Schicksale von Hannelore Kohl und Petra Kelly, die im Film zusammen als Opfer auf dem Altar der Männerrepublik behandelt wurden, sind hier einfühlsam beschrieben.

Im Vorwort schreibt Körner: „Wer als Mann die Chance hat, die Grenzen des eigenen Geschlechts und Denkens im Dialog mit anderen zu begreifen, auch zu verstehen, worin die Zumutungspotenziale des eigenen Sprechens und Schreibens liegen mögen, welche Gewalt von Männern bewusst oder unbewusst ausgeht, sollte die Möglichkeit nutzen.“ Er versteht es, sie zu nutzen und macht das Lesen zu einem wachsenden Vergnügen. Fast poetisch wird er, wenn er männliche Selbstdarstellung parodiert. Das hätte keine Frau besser gekonnt. Ich werde das Buch oft verschenken.


Genre: Frauen, Politik
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Begrünen was geht: Kleine und große Pflanzideen für Wände, Zäune, Dächer und graue Ecken. #machsnachhaltig

Das Buch Begrünen was geht ist für eine junge Zielgruppe verfasst, der Tag #machsnachhaltig blinkt auf den Umschlagseiten, die Informationen sind kurz und knackig, viele Ausrufezeichen, zwischendurch Kästchen mit Zahlen und Fakten: “Let’s make the world green again!“

Anfangs habe ich als Gartenoma etwas gefremdelt, vielleicht, weil ich geduzt wurde? Aber dann sah ich, dass hier Fachwissen vermittelt wird. Es kommen als Einleitung die guten Gründe, für mehr Grün, gerade in der Klimakrise, etwa, weil es durch Verdunsten kühlt, es ist ein Feinstaubfilter und es bricht Schallreflexionen und macht so „den Lärmpegel mess- und hörbar geringer.“

Dann wird vorgeschlagen, mehr für Bienen zu tun, was sind Bienen-Stauden, was Bienen-Gehölze? Sie haben nur ein Fenstersims zu Verfügung? Dann kann es ein Töpfchen mit Kräutern sein. Geländer und Zäune werden begrünt, hier kommen Tipps vom Fachmann, welche Pflanzen in welchen Kübel, soll es schnell wachsen oder nicht? #machsnachhaltig gilt dann für Vogelhäuschen, Mülltonnenboxen oder den berankten Zaun. Es liest sich gut und gibt auch Tipps für grüne Daumen, die erst im Wachsen sind.

Die gebündelte Kompetenz der Verfasser zeigt sich beim nächsten Kapitel: Wände begrünen ist eine Sache für den Profi. Es gibt eine Checkliste mit den Fragen: Passt die Befestigung der geplanten Kletterhilfe zum Wandaufbau? Passt die Kletterhilfe zur gewünschten Pflanze? Will ich Blüten und Früchte, will ich Herbstfärbung? Will ich eine immergrüne Pflanze? Ist es eine Nord-, eine Südseite? Wie ist der Boden, wird es trocken?

Dann kommen Themen, hier Feature genannt, die auch für eine Gartenoma lesenswert sind: die Kletterstrategien der Pflanzen. Wenn ich das doch schon damals, vor Jahrzehnten gewusst hätte, wäre mir einige Pflanzen weniger eingegangen!

Es gibt Selbstklimmer, Schlinger und Ranker, die jeweils andere Rankhilfen brauchen. Selbstklimmer, wie Efeu und Parthenocissus können gedämmte Wände zerstören, weil sie aufgrund des negativen Phototropismus in kleine, auch dunkle Ritzen wachsen und damit Oberflächen zerstören.

Nun weiß ich auch, was ein Wärmedämmverbundsystem ist, eine Wärmebrücke, vor allem aber, dass es zu Dämm-Maßnahmen unbedingt eines Profis bedarf.

Sie hätten es lieber kleiner, dann ist „Beton raus, Leben rein“ oder „Fugen und Ritzen werden Lebensräume“ oder „Schottergärten beleben“ im Angebot. Viele Abbildungen, Bezugsadressen und weitere Tipps runden das empfehlenswerte Buch ab. Zum Schluss noch etwas Nachhaltiges: Wenn Du das Buch ausgelesen hast, dann vergiss es doch in der Bahn, damit ein anderer es lesen kann. Ich will meins aber lieber behalten!


Genre: Garten
Illustrated by Verlag Eugen Ulmer

Vernichten

In dem dicken Roman Vernichten ist alles zu finden, was ich bei Houellebecq lesen möchte: Wir genießen es, in Frankreich zu sein. Wir essen, trinken und vögeln gut und gerne, wie immer, und dann gibt es noch neue Seiten zu entdecken.

Es kommen präzise Betrachtungen der Politik, die manchmal prophetisch erscheinen. Hier geht es um Bruno Juge, dem Wirtschaftsminister und seinen Vertrauten, Paul Raison, beide Absolventen der Grandes Ecoles, Bruno (Richter, wie wir auf Deutsch sagen würden) kommt von der Polytechnique und Paul (Recht, oder Vernunft) von der Verwaltungsuni. Die gute Arbeitsbeziehung wurde zur Männerfreundschaft in einer Hotelbar in Addis Abeba, wo Bruno stolz ist, wieder einige Atomkraftwerke vermittelt zu haben, aber dann klagt, er hätte mit seiner Frau seit 6 Monaten nicht mehr Liebe gemacht. Paul könnte berichten, dass es beim ihm schon an die zehn Jahre sind.

Zurück in Paris im Jahr 2027 sind Wahlkampfzeiten, es wird von einer Profiwerbefrau die Wahlkampagne designed, Bruno soll als Kandidat fit gemacht werden, er ist anerkannt, aber nicht beliebt. Er bekommt die junge Raksaneh als persönlichen Coach zugeteilt, die in seiner Dienstwohnung ein Laufband aufstellt und ihn Episches von Corneille zitieren lässt, beides hilft seinem Auftreten: “er strotzt vor Energie“. Später wird er dann doch nicht Präsidentschaftskandidat, für den Spannungsbogen ist das aber nicht mehr von Bedeutung.

Wichtiger ist die Serie von erst virtuellen, dann realen Sabotageaktivitäten. Im Netz kommen unverständliche geometrische Zeichen, die auch im Buch aufgemalt sind, und dann ein Video, indem Bruno von einer Guillotine, auch aufgemalt, geköpft wird. Das ist ein Fall für die DGSI (Direction générale de la sécurité en France) wo Pauls Vater früher eine Rolle gespielt hatte. Es werden Geheimdienstler und andere Spezialisten dazu befragt, wer könnte so etwas machen? Primzahlen spielen eine Rolle, Schiffe gesenkt, eine Samenbank in Dänemark wird zerstört, warum machen Menschen so etwas? Nachfolger des Unabombers? Ultralinke oder fundamental Katholische, später spricht manches für Satanisches. Geschmückt werden die Informationen über das Vernichtende von Werbung für sexy Miederwaren…

Als Kind der deutsch-französischen Freundschaft warte ich gerne auf seine kurzen Blicke nach Deutschland: Hier ist es, passend zum verstörenden „Vernichten“, der Alte Fritz, der Menschen als eine verdorbene Rasse (race méchante) bezeichnete, und sich dann mit seinen geliebten Windspielen beerdigen ließ.

Das ist so treffend ausgemalt, wie wir es von Houellebecq kennen, und dann kommt Neues, es menschelt. Pauls Vater liegt nach einem Schlaganfall im Koma, die Familie ist gefragt. Die kleine Schwester Cécile übernimmt das Kommando, sie unterstützt Madeleine, die Gefährtin des Vaters, die erst die Pflegehelferin und dann Geliebte des Witwers wurde. Cécile ist Hausfrau, streng katholisch, ihr Mann Hervé unterstützt sie, wenn es schwierig wird, kann er sich Hilfe bei seinen Freunden, den Identitären, holen. Pauls Vater erholt sich und ist dank Madeleine gut versorgt, aber das Elend der anderen Bewohner wird deutlich. Wie in Deutschland auch, werden die Seniorenwohnheime von Gewinn orientierten Ketten betrieben.

Vielleicht ist es dem Zusammensein mit seinen Geschwistern geschuldet, Paul möchte seine Beziehung zu seiner Frau Prudence wiederbeleben. Sie teilen zwar die Traumwohnung, mit Blick auf den Parc Bercy, jedenfalls so lange wie sie sie noch abbezahlen. Sonst gehen sie sich aus dem Weg. Angefangen hat es damit, dass Prudence ihn zum Vegetarier machen wollte, und seine Mahlzeiten, die er im gemeinsamen Kühlschrank lagern wollte, gar weggeschmissen hatte, vor vielen Jahren.

Aber, was tun? Ob er überhaupt noch Liebe machen kann? Er scheut keine Mühen, es wieder zu erlernen und leistet sich eine Edelprostituierte im 16. Arrondissement, deren Spezialität der Blow Job ist. Es geht noch!

Und kurz danach klappt es wieder, sie vögeln dann täglich und Paul erzählt uns seine Vorlieben (seitlich), Prudence, die er schon als „asexuell und vegan“ geschimpft hatte, entwickelt sich zu seiner und auch ihrer Zufriedenheit.

Dann bekommt Paul Mundhöhlenkrebs. Er beschreibt kenntnisreich die zu absolvierende Diagnostik, nimmt seine Diagnose gefasst auf, durchläuft die aufklärenden und beratenden Gespräche, wägt Strahlentherapie, Chemo und/oder Operation ab. Mit den üblichen Leitfäden, die zur seelischen Bewältigung empfohlen werden, kann er nichts anfangen. Er träumt dystopisches, so wie immer in seinem Leben, wenn es schwierig wird. Oft hilft ihm ein Spruch von Blaise Pascal, Philosophie ist nicht sein Ding, er hat mal ausgerechnet, dass er sich weniger als 2 Jahre mit ihr befasst hatte, damals, zum Abitur.

Ist Houellebecq nun altersmilde, hat er die Bedeutung von Frauen entdeckt? Sie sind tatkräftig, stehen ihren Mann, natürlich gibt es auch Schlampen, Schwägerin Indy etwa, die feministische, erfolglose Journalistin, oder die Gewerkschafterin im Altersheim, die die Versorgung von Pauls Vater schwierig macht. Aber Madeleine, Cécile, Prudence und auch deren Schwester, die aus Kanada zurück nach Frankreich zieht, um den verwitweten Vater zu versorgen, füllen ihre Rollen. Und mit Cécile kann man sogar über Glaubensfragen sprechen!

Mehrere hundert Seiten lang glaubte ich, dass Houellebecq an seinem Frauenbild gearbeitet hätte, bis ich den Bechdel Test machte: Er dient der Bewertung von Filmen, zur Frage, ob im Film mindestens zwei Frauen ein vernünftiges Gespräch führen, und in dem es nicht um Männer geht.

Im Buch sprechen die Frauen darüber, wie sie die kranken und alternden Männer versorgen können. Das Schicksal hat es ja so gewollt, dass Pauls und Prudences Väter Witwer wurden, und Prudence es bald sein wird. Als die Krankheit fortschreitet, sind Sabotageakte, oder gar die Präsidentschaftswahl kein Thema mehr. Es geht darum, trotz der Einschränkung gut zu vögeln. Und, der Zufall will es, Bruno und Raksaneh tun es inzwischen auch.

Auch in seiner Danksagung regt er an, Schriftsteller sollten mehr Recherchearbeit leisten. Neben Ärzten, die ihn zu den behandelten Themen beraten hatten, wird eine Frau hervorgehoben, die selbstlos ihren kranken Mann pflegt.

Den Übersetzern gelingt es, den Ton zu treffen, mit dem Houellebecq sein erotisches Begehren zum alltäglichen Anliegen macht.

Ich bin schon gespannt auf den nächsten Houellebecq. Wie der Schlingel es doch immer schafft, selbst mich alte weiße Frau zu überraschen!


Genre: Erotik
Illustrated by DuMont

Der lange Atem der Bäume

Der lange Atem der Bäume von Peter Wohlleben: Wie Bäume lernen, mit dem Klimawandel umzugehen – und warum der Wald uns retten wird, wenn wir es zulassen

Der aussagekräftige Untertitel könnte schon eine Zusammenfassung des Buches sein. Es ist in drei recht unterschiedliche Kapitel aufgebaut: Die Weisheit der Bäume, die Ignoranz der Forstwirtschaft und der Wald der Zukunft.

Das Nachwort von Prof. Dr. Pierre Ibisch bringt das Geschriebene auf den Punkt: Wir können nicht mehr glauben, wir wüssten, was der Natur guttut. Also: Lasst die Wälder in Ruhe, die Natur hat in Millionen Jahren herausgefunden, was sie zum Leben braucht.

Im ersten Kapitel werden Beobachtungen des Försters Wohlleben dargestellt, manche untermauert durch wissenschaftliche Studien. Es geht um Grundsätzliches: Wie der Stoffwechsel der Bäume Zucker aus dem im Überfluss vorhandenen CO₂ produziert und aus Wasser, an dem es durch die Veränderungen des Klimas zunehmend mangelt. Dabei sind Unterschiede zu beobachten bei Baumarten, bei Bodenverhältnissen, aber auch, ob es sich um den Nord- oder Südhang desselben Hügels handelt. Viele der Beobachtungen stammen aus den letzten Jahren, als das Wetter unvorhersagbar wurde. Neben der Trockenheit zeigt auch andauernde Feuchtigkeit ihre Spuren, etwa durch vermehrten Pilzbefall.

Es geht vor allem um die Gemeinschaft aller Lebewesen, auch im Wald: um „den komplex zusammengesetzten Holobionten.“ Wir lernen die Bedeutung des Zusammenspiels vieler Faktoren kennen, dabei zeigen gerade die alten Laubbäume, dass sie sich besser auf das Weiterleben trotz widriger Umstände verstehen.

Ein Jahrhunderte alter Baum hat schon einiges durchgemacht und Überlebenstechniken entwickelt, vor allem in seinem Wasserhaushalt. Nachdem ein Brand einen Wald im regenarmen Nordosten Deutschlands zerstört hatte, zeigt sich bei Begehungen, dass sich die Natur mit vielen Ansätzen erholt.

Durch menschliche Eingriffe nach der Lehre der Forstwirtschaft ist das Zusammenspiel der Natur durcheinandergeraten, vor allem durch die Plantagenwälder, die aus Nadelbäumen bestehen. Auch die schweren Maschinen, mit denen die Plantagen abgeerntet werden, schaden den Milliarden Lebewesen, die in der Erde leben.

Diese wichtigste Erkenntnis wird häufig wiederholt: Laubbäume, vor allem Buchen, sind für Deutschland besser geeignet. Dennoch werden Nadelhölzer in Plantagen angebaut und dienen dem Ziel der Holzwirtschaft. Diese strebt ein Abholzen nach 40 Jahren an. Danach fehlt der schützende Schatten, es fällt zu viel Licht auf den Boden, was der Zusammensetzung der Lebewesen in und auf dem Boden schadet.

Mit vielen Beispielen wird in Der lange Atem der Bäume der Irrsinn der etablierten „verbeamteten Waldwächter“ beschrieben, auch der Einfluss, den sie auf die Politik, im Beispiel die frühere Landwirtschaftsministerin, hatte. Mehr als 50 % der Wälder in Deutschland bestehen aus „gebietsfremden“ Nadelbäumen. Man pflanzt Nadelbäume aus Baumschulen, die möglichst gerade gewachsen sind, denn das gibt lange gerade Bretter, hofft man jedenfalls, aber diese vorgezogenen Setzlinge können im abgeholzten Wald, ohne den Schutz der alten Bäume nicht gedeihen. Es gibt Hinweise auf das „Greenwashing“ der Baumpflanzaktionen.

Da gibt es Universitätsprofessoren, die raten, man solle alte Bäume fällen um den neuen Platz zu geben, aber auch, im Land Rheinland-Pfalz ein Verbot bis Ende 2021 diese zu fällen: ein „Abschlagverbot.“

Nachdem in den drei Kapiteln nicht immer der rote Faden zu erkennen war und sich manches wiederholte, rundet das Nachwort das Geschriebene ab: Niemand weiß, was richtig ist, auch Wissenschaftlern steht besser Demut als Rechthaberei. Bäume haben den längeren Atem!


Genre: Landwirtschaft, Umwelt, Wald
Illustrated by Ludwig Buchverlag

Das verlorene Paradies

Der kleine Yusuf himmelt den großen Kaufmann an, dem seine Eltern immer ein Festmahl kredenzen, wenn er, der Onkel Aziz, erscheint. Er schenkt ihm zum Abschied auch immer ein Geldstück. An anderen Tagen gibt es nicht immer etwas zu essen, seine Mutter meint, er solle doch den Staub essen, den der Holzbock hinterlässt. Richtig unangenehm wird sie ihm, als sie ihn herzt und küsst wie ein kleines Kind, er ist doch schon zwölf Jahre alt!

Er ahnt nicht, dass dies zum Abschied ist, denn am selben Tag nimmt ihn Onkel Aziz mit und er wird seine Eltern nie wieder sehen. Er lebt dann als Gehilfe von Khahil im Laden des Kaufmanns, auf dessen Grundstück.

Er wird heimisch, neben dem Haus ist ein eingemauerter Garten, (walled garden), den er besucht, dort fühlt er sich wohl und kann träumen. Eigentlich gehört der Garten der Mistress, der Ehefrau des Kaufmanns, die er aber nie zu Gesicht bekommt. Khalil deutet an, dass er dieser gut gefalle, wie überhaupt: alle Männer und Frauen werden immer und überall Yusufs Schönheit betonen.

Es ist die Männerwelt von vor einhundertundfünfzig Jahren in Tanganjika, in der er zum Mann werden wird. Seine Vorbilder werden neben Onkel Aziz und Khalil die anderen Männer der Handelstruppe, mit der der Kaufmann das tansanische Festland bereist, um seine Geschäfte zu machen.

Bei der nächsten Reise wird er mitgenommen. Er teilt mit den Männern Freud und Leid, Tage und Nächte. Er lernt die Rangordnungen respektieren, die in der multikulturellen Truppe herrschen, auch die derben Schimpfwörter, meist mit phallischen Bezügen, mit denen die jeweils anderen tituliert werden. Dabei bleibt er immer der aufmerksame Jüngling, der die Welt noch etwas besser verstehen lernt.

Einige Jahre bleibt er in der Familie eines Kaufmanns, der erschrocken ist, dass er den Koran noch nicht gelesen hat, also besucht er eine Koranschule und lernt dazu. Bei der nächsten großen Reise in das Innere des Landes wird er, nun groß geworden, mitgenommen. Onkel Aziz ist stolz auf ihn und erzählt von der Geschichte des Handels in Ostafrika, von den Omani, den Indern und dass die neuen, die europäischen, die gefährlichsten Konkurrenten sind. Irgendwann sagt einer der Männer: „Die Europäer sind aus dem gleichen Grund hier wie wir.“ So kommt es denn auch: Diese Reise wird ein Fiasko, keines der erhofften Erlöse wird eingebracht. Lug und Betrug und viel Gewalt mit ungleichen Waffen bedrohen das Wohlleben des Kaufmanns.

Zurück im Hain der Sehnsucht, so der Titel des Kapitels, kann Yusuf die Wirklichkeit erkennen: Sein Vater musste ihn dem „Onkel Aziz“ als Pfand für Schulden überlassen, so wie auch Khalil, und dessen Schwester Amina, die die Magd der Mistress ist, Schulden ihrer Väter begleichen mussten.

Sie ist die einzige weibliche Person mit Verstand. Doch auch sie lässt der Autor sagen, dass der Kaufmann weiß, dass Frauen die Hölle sind. Yusuf träumt lieber, er möchte fliehen, gerne mit Amina. Denn in dieser harten Welt der Männerfantasien hat er sich seine Unschuld erhalten. Aber die Geschichte wendet sich: Nichts bleibt, die Deutschen kommen.

Ich habe das Buch auf Englisch gelesen, die Sprache ist so schön, dass selbst Muttersprachler neidisch werden könnten. Yusuf erzählt in herrlichen Bildern von der Natur, den Begegnungen, die sie auf der Reise machte. Es gibt treffende Dialoge, wenn Männer reden. Leider, außer bei Amina, nie, wenn Frauen reden.

Die Übersetzung ist gelungen, bei der vorliegenden Ausgabe gibt es ein Glossar für die vielen Fremdwörter in Kiswahili und Arabisch, auch einiges aus den Religionen wird erläutert. Dazu eine kurze „Editorische Notiz“, die erläutert, wie wichtig es ist, die abfälligen Bemerkungen über die jeweils anderen auch noch heute zu verwenden.

Im Englischen ist der Titel schlicht: Paradise, im Deutschen: Das verlorene Paradies. Glaubte die Übersetzerin wirklich, dass das Leben damals ein Paradies war, das nun verloren ist? Es war der doch eher der Traum von einem Paradies, und das hat der Autor treffend ausgedrückt mit einfach: “Paradise“.


Genre: Gesellschaftsroman
Illustrated by Penguin

Die Lösung ist immer der beste Fehler: Typische Probleme der Kommunikation im Alltag

Das kleine Büchlein ist 2021 erschienen, zum 100. Geburtstag des Autors. Es ist eine Wiedergabe eines 1995 gehaltenen Vortrags, und schon darin besteht ein Reiz: Watzlawick nimmt Beispiele von gelungener Kommunikation auf weltpolitischer Ebene aus dieser Gegenwart: damals, als der eiserne Vorhang am Verrosten war.

Er erläutert die Theorie des Konstruktivismus mit Beispielen für Kommunikation, gerne mit nicht-gelungener. Erst einmal wird festgehalten, dass man nicht nicht kommunizieren kann; wenn zwei Menschen in einem Raum sind, ist auch das Schweigen Kommunikation.

Mich sprachen besonders die Zitate bekannter Denker an, etwa Einstein (1926): „Es ist falsch anzunehmen, dass die Theorie sich auf Beobachtungen aufbaut. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Die Theorie bestimmt, was wir beobachten können.“

Typische Aspekte problematischer Kommunikation werden dargestellt, etwa wenn die Firma Rolls-Royce ein Auto Silver Mist nennt und damit in deutschsprachigen Ländern aneckte, oder wenn in einem Feine Leute-Club in Südamerika die Treppe ein höheres Geländer braucht, nachdem erwachsene Männer heruntergestürzt waren: Die als richtig empfundenen Abstände beim Gespräch sind bei Südamerikanern größer als bei denen aus dem Norden des Kontinents: Sie wichen zurück und stürzten, ironisch warnt Watzlawick davor, dass für eine kulturspezifische Todessehnsucht zu halten.

Sein großer Erfahrungsschatz ist ihm in seiner Arbeit als systemischer Psychotherapeut zugewachsen, dazu gibt es Beispiele, wie in einem Beratungsgespräch Klienten verblüfft werden können.

Wir lernen, was Konfusionstechnik und was die Illusion der Alternativen ist: In der Nazizeit wurden von der Regierung große Plakate gedruckt mit: Nationalsozialismus oder Bolschewismus. Widerständler hatten sie mit Aufklebern versehen: Erdäpfel oder Kartoffeln. Und wir verstehen, warum US-Soldaten im Ersten Weltkrieg die englischen Girls für Schlampen hielten, während sie selbst bei denen als Lüstlinge galten …

Beim systemischen Denken wird die Veränderbarkeit von Ursachen im Laufe eines Prozesses beachtet und wie sich Wirkungen auf die Ursache auswirken.

Als Ergebnis von Kommunikation kommt es zu Wirklichkeitsauffassungen, „von denen wir alle naiverweise annehmen, dass sie die wahren, richtigen, objektiv ewig gültigen sind.“

Im Schlusssatz des kleinen, lesenswerten Büchleins entwickelt Watzlawick die Titelthese zu: Die Wahrheit ist nur der zweckmäßigste Irrtum. Stimmt doch, oder?


Genre: Beziehungen, Glück, Kommunikation, Psychologie
Illustrated by Carl-Auer Verlag

Vom Aufstehen: Ein Leben in Geschichten

Besondere Anlässe braucht Helga Schubert nicht, die Geschichten sind alle schon da und werden durch eine Beobachtung, eine Begegnung, ein Datum oder eine Zeile freigesetzt und aufgeschrieben. „Wenn ich betrachte, dann muss es um mich herum still sein. Es muss auch in mir still sein. Denn ungehindert dringt das Gemälde, das Menschengesicht, das Gedicht in mich und sagt zu mir: Sieh mich an, höre mir zu, lass dich anrühren, lass dich erinnern an alles, was du schon weißt, was dich erschüttert hat“.

Mein Interesse für das Buch war geweckt, als ich Helga Schuberts Abschiedslobrede auf Angela Merkel in der ZEIT las, sie beide sind DDR-Bürgerinnen, haben eine Heimat im protestantischen Glauben, und beide konnten im vereinten Deutschland aufblühen.

In der ersten der 29 Geschichten erinnerte sie sich an den ersten Ferientag bei der Großmutter in Greifswald, wo sie ihre Schulferien verbrachte. Es gibt noch warmen Streuselkuchen, der ihr serviert wurde, wenn sie in der Hängematte aufwachte. Der Abschied von der Mutter war leichtgefallen, die musste immer viel arbeiten, der Abschied fand telefonisch statt: Das Kind musste die Zensuren rapportieren und alles, was keine Eins war, war rechtfertigungspflichtig.

Dann begleiten wir sie in ihrem Leben als Schriftstellerin der DDR, sie „durfte“ mehr als andere Staatsbürger, sogar in den Westen reisen, wenn Einladungen zu Schriftstellertreffen kamen. Selbstverständlich war nichts, etwa ein Auftritt mit Herta Müller im Goethe Institut in Brüssel: undenkbar!

Auch als Westberlinerin lernte ich neues aus der DDR, weiß nun, was ein Ulb ist: der Zeitraum, den es braucht, das Radio auszustellen, wenn Walter Ulbricht spricht. Später wurde es ein Schnitz (vom schwarzen Kanal).

Helga Schubert lebt im Hier und Jetzt, sie altert bewusst, immer bezieht sie ihre Mitmenschen ein, reflektiert Begegnungen. Das sind neben dem Ehepartner die Nachbarn, Pflegekräfte, die Hausbesuche machen, oder Gemeindemitglieder, oder Reisepartnerinnen bei Fastenkuren.

Im christlichen Glauben sucht und findet sie wenigstens etwas von der Geborgenheit, von der sie nicht genug bekommen hat, wer eine so abweisende Mutter wie sie hatte, muss wohl immer weitersuchen.

Als Psychotherapeutin weiß sie, dass man Hilfe suchen und annehmen muss, so findet sie Trost in manchen Kirchenliedern, und fühlt sich wie eine Studentin, wenn eine Pastorin ihr das vierte Gebot erklärt: Lieben müsse man die Eltern nicht, sie sind zu respektieren, und das hat sie ja ihr Leben lang gemacht—die Mutter wurde trotz ihrer Garstigkeit von ihr umsorgt, bis sie mit 101 Jahren starb.

Im Buch ist sie achtzig Jahre alt, mit Altersweisheit nimmt sie die Einschränkungen ihres Mannes, aber auch ihrem Selbst wahr. Und sie kann verzeihen: Dem Stasi Offizier, der sich bei ihr entschuldigt und beichtet, wie sehr ihm die Observierung der kirchlichen Friedensbewegung geholfen hatte: Während andere Spitzel gefürchtet hätten, gelyncht zu werden, wusste er, dass ihm nichts Schlimmes drohte, da sie es ernst meinten mit der Gewaltfreiheit.

Als Höhepunkt kann sie der sterbenden Mutter verzeihen: Sie dankt ihr, dass sie als DDR-Bürgerin den westlichen RIAS hören durfte, dass sie ihr erklärt hatte, nicht alles vom Staatsrundfunk zu glauben, und noch anderes mehr.

In Helga Schuberts Geschichten liegt eine große Dankbarkeit an das Leben. Im erwähnten ZEIT Artikel gefiel mir schon der Satz; „Dies ist mein Luxusleben, im Frieden, in der Wärme, ich kann denken, was ich will.“


Genre: DDR, Geschichte, Politik, Zweiter Weltkrieg
Illustrated by dtv München

Hier wächst nichts: Notizen aus unseren Gärten

Sollte man ein Buch mit dem Titel Hier wächst nichts wirklich lesen wollen, wenn es sich so abstoßend präsentiert? Auf dem Titelbild wächst wirklich nichts, und auch die Rückseite verspricht kein erbauliches Buch über Gartenkultur. Sehen Sie selbst!

Da gibt es „62 % Gartenerfahrung aus naturidentischen herben Rückschlägen und bitteren Erkenntnissen, … 15 % grober Unfug aus 42 % Alkohol in der Herstellung … aber auch 12 % Humor aus zertifiziertem Raubbau.“ Ihr Eindruck stimmt: Hier gibt es Satire, wie wir sehen werden, über moderne Gartenboomtrends, über Gartenliebhaberinnen und ihre Gatten. Leider haben Kleinkinder und Schwangere in Gärten keinen Zutritt, aber es gibt Geistvolles, möglicherweise geschrieben nach Genuss von Berauschendem.

Erst geht es noch weiter mit einem (Anti)Sinnspruch, nämlich dem Lob des Häßlichen, seine letzten Zeilen lauten: “Das Schöne gib uns Grund zur Trauer, das Häßliche erfreut durch Dauer.“

Mich konnte das nicht abschrecken, denn ich bin seit Langem ein Fan von Pfenningschmidt; Wenn ich mir die Zeitschrift “Kraut und Rüben” kaufe, dann vor allem wegen seiner Staudenkolumnen. Und auch in diesem Buch lohnte sich das Weiterlesen.

Jeder der beiden Autoren von Hier wächst nichts stellt sich mit seiner Gartenvita vor: Sie haben sich das Gärtnern als Hobby beigebracht, Reif hat schon als Jugendlicher auf Honorarbasis Gärten gestaltet, eine Lehre daraus war, dass man Euonymus und Lavendel nicht kombinieren soll. Am Tag drauf sah ich diese Kombination in einem Dahlemer Vorgarten – und kann es bestätigen. Später hat er sein Wissen in einem Studium bis zum Diplom-Ingenieur vertieft. Beide Autoren lieben Stauden, trafen den Foersterschüler Pagel noch persönlich und fühlen sich als seine Schüler.

Nur manche Kapitel sind mit dem Namen des Autors versehen, vermutlich sind die meisten von Pfenningschmidt, er ist ja auch schon seit Jahrzehnten im Geschäft. Reif trägt einige Interviews bei, eines mit einem Golfrasenpfleger, der sich in seinem privaten Garten über Gänseblümchen freut. Ein anderes mit dem bekannten Taglillienpapst Dr.Tamberg, der über seine Zuchterfolge spricht. Wir lernen etwas über genetische Voraussetzungen und Sortenschutz. Dann wird der schon erwähnte Pagel zitiert, er habe „nicht gezüchtigt, sondern gesichtet.“ Es geht darum, spontane Mutationen zu erkennen und zu pflegen. Mir fehlte der Hinweis darauf, dass viele Samen, die wir heute kaufen können, vielleicht bio, aber nicht samenfest sind, aber es geht ja um Stauden, Ein- und Zweijährige werden nicht vorgestellt.

Eigentlich ist man kein Rosenfan, aber dann gibt es doch eine Liste mit 17 Lieblingsrosen, eine Liste mit 18 empfehlenswerten Büchern, ein Kapitel heißt “Sieben gute Neuheiten“, das sind Pflanzen, wovon ich eine rote Aster und eine noch rötere Bistorta (Js.Caliente) im nächsten Frühling suchen werde. Als eine Elfe ihm, ich bin sicher, es war Pfenningschmidt, drei Wünsche schenkte, wünscht er sich drei trockenresistente Schattenpflanzen und bekommt: Tanacetum macrophyllum, Aster ageratoides subsp. Trinervius var. Adustus Nanus, die will ich nun natürlich auch. Und gegen Giersch gibt es eine Fülle von Pflanzen, die den Kampf aufnehmen und sich ihm wuchernd entgegenstemmen.

Es gibt also reichlich Tipps zu Pflanzen, wie sie nur Kenner geben können, genossen habe ich vor allem die Satire. Etwa eine Serie von Veränderungen, bei der ein Haus ohne Grün, ein sogenannter Steingarten vorstellt wird. Während der sieben Jahreszeiten (in denen es nach Karl Foerster immer etwas Blühendes gibt), werden dann eben sieben Mal dieselben Fotos der Steine gezeigt.

Pfenningschmidt outed sich als „Jäger und Sammler“ von raren Exemplaren, und wir erfahren, dass es ihm besonders die Elfenblumen angetan haben. Kenntnisreich auch die Beschreibungen pflanzlicher Gifte, und wie Mütter von Kleinkindern damit umgehen. Ebenso die Beschreibungen der Oberschüler, die sich mit Rauschmitteln auskennen, und mit heimischen Gewächsen einen Schul-Tüten-Mix herstellen.

Es ist ein Buch, das man nicht ausliest, aber es wird Sie nicht nur in langen Winterabenden zum Schmunzeln bringen.


Genre: Garten
Illustrated by Verlag Eugen Ulmer

Afropäisch: Eine Reise durch das schwarze Europa

AfropäischAfropäisch: Mit einem Interrailticket reist der Autor durch Europa, startet an einem 1.10. und muss genau am 31.3. zurück sein, denn er reist auf eigene Kosten, schläft dabei in Hostels, manche Einschränkungen des Komforts inbegriffen. So wird er auch Menschen begegnen, die nicht zu den Besserverdienenden gehören. Nach Plan besucht er europäische Hauptstädte und kleinere Orte im Süden Frankreichs und Spaniens: er folgt damit „seiner afropäischen Achse“. Mal reist er wie ein Flaneur, lässt sich von Zufallsbekanntschaften Geschichten erzählen, deren Informationen wird dann nachgeforscht, mal flicht er eigene Erlebnisse und Gelesenes ein. Weiterlesen


Genre: Afrikanische Geschichte, Gesellschaft, Imperialismus
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

Eva schläft

Dem Buch ist ein Prolog vorgestellt: Ein Päckchen für Eva kommt an. Die Mutter Gerda verweigert die Annahme, und unterschreibt dies, für ihre Tochter. Auf Frage sagt der Postbote, nun gehe das Päckchen zum Absender zurück, und fragt, was Eva gerade mache. Die Antwort: Eva schläft. Weiterlesen


Genre: Gesellschaftsroman
Illustrated by Wagenbach

Einmal gärtnern wie in Sissinghurst

Sie lieben englische Gärten, oder wollten schon immer mal dahin? Dann ist das Buch Einmal gärtnern wie in Sissinghurst von Astrid Ludwig genau richtig für Sie: Es ist aufgemacht wie ein Reisetagebuch, das die Erinnerung an eine schöne Zeit festhält, mit dem ein Geschenk gemacht werden soll, vielleicht auch sich selbst: Viele Fotos, jede Seite eingerahmt von einem linierten Hintergrund, für jedes Kapitel eine kleine Skizze, fein gezeichnet, die dann auf jeder Seite des Kapitels wiederholt wird. So etwas macht Freude. Weiterlesen


Genre: Gartengestaltung
Illustrated by Verlag Eugen Ulmer

Das lachende Baby: Fröhliche Wissenschaft: Was Babys glücklich macht

Der Autor ist Psychologe und forscht zur neuronalen Entwicklung der Babys. Als Wissenschaftler kennt er die einschlägigen Publikationen der letzten Jahrzehnte und belegt seine Aussagen: Die Literaturliste bringt es auf über dreißig der knapp vierhundert Seiten. Es geht ihm nicht um die motorische Entwicklung, sondern um Gedanken und Gefühle der Babys, und: Warum lachen wir Menschen eigentlich? Manchmal erzählt er auch aus dem Nähkästchen, was Wissenschaftler voneinander halten. Laien bezieht er mithilfe des Internets in seine Forschung ein, manche Eltern erzählen von sich und ihren Gefühlen, die die Babys auslösen und geizen nicht mit Beiträgen über die Leistungen ihrer Kinder.

Im Vorwort Was ist so lustig?

wird die Darstellungsweise vorgestellt, die Entwicklung des Lachens bei Kindern wird chronologisch beschrieben: „Letzten Endes soll dieses Buch jedoch das Unmögliche leisten und den wunderbaren Klang eines Babylachens noch zauberhafter machen. Wenn mir das nicht gelingt, suchen Sie sich am besten ein Baby und lassen sie sich von ihm unterhalten.“

An dieser Stelle möchte ich, die Rezensentin, die eigene Entwicklung meiner Wahrnehmung und meines Verstehens von Säuglingen beschreiben. Meine Eltern hatten noch die Bibel der schwarzen Pädagogik von Frau Harrer: „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ im Schrank, auch als ich in den siebziger Jahren Kinderärztin wurde, und bald auch Mutter, wurde den Müttern in Entbindungskliniken das Füttern zu festen Zeiten, mit festen Mengen und auch Fertigmilchproben mit auf den Weg gegeben.

Wenn ich in dieser Zeit die Kampagne „Nestlé tötet Babys“ unterstützte, dann hatte ich die körperliche Entwicklung im Auge: Gerade in Entwicklungsländern war die hohe Säuglingssterblichkeit auch dadurch bedingt, dass hygienische und oft auch finanzielle Mängel dazu führten, dass Flaschenkinder verhungerten oder an Durchfall starben.

Als ich dann mehrere Jahre in Afrika arbeitete, begriff ich, wie viel mehr Fürsorge afrikanische Kinder erfahren durften, auch, welche emotionale Bedeutung das Stillen hat. Mehr noch: Die Kinder hatten kein Gitterbettchen, in das sie abgelegt wurden zum Schlafen, sondern schliefen ein, wo sie gerade saßen, meist war es irgendein Schoß bei Menschen, die mit ihnen in Kontakt waren. Ich ahnte, wie falsch, ja schädlich, viele unserer kinderärztlich begründeten Weisheiten gewesen waren.

Bei Addyman lese ich nun, wie inzwischen einige der Vorstellungen dieser Zeit, auch die „großer Denker“, widerlegt wurden, und, wie es ihn mit Freude und Genugtuung erfüllt, wenn die Bedeutung des Lachens für unsere Seelen bewiesen wird. Ich freue mich dann immer mit.

Eine Zeit vor dem Lächeln

In diesem Kapitel wird das Wissen über die vorgeburtliche Entwicklung zusammengefasst: Vor allem die 4D Ultraschalldiagnostik zeigt, dass Babys etwa 90 % der Zeit Schlafen, dass sie Lächeln und Schmerzen in ihrem Gesicht ausdrücken. Und nach der Geburt werden Babys beruhigt, wenn sie Melodien wiedererkennen, sie sie noch im Mutterleib gehört hatten.

Alles Gute zum Geburtstag

Hier wird das geburtshilfliche Wissen auf dem neuesten Stand beschrieben, wir lesen, dass Kaiserschnittgeburten die Bindung zwischen Mutter und Kind erschweren. Der vor allem im englischen Schrifttum geführte Streit zwischen nature (angeboren) und nurture (erlernt) wird dargestellt, aber auch, der Unterschied zwischen einem echten und einem erzwungenen Lächeln. Das erstere kommt mit einem Muskel weniger aus! Das echte Lächeln zeigt, dass ein Baby glücklich ist. „Aber wenn Neugeborene lächeln, weil sie glücklich sind, lautet die nächste Frage: Was macht sie glücklich?“

Die kleinen Vergnügungen

Alle Primatenbabys mögen Süßes und ziehen Grimassen, wenn sie etwas Bitteres bekommen, wir Menschen also auch. Glück stellt sich auch ein beim Pinkeln oder einem „guten Schiss“. In diesem Kapitel werden Definitionen des Glücks von der Antike bis zur Gegenwart behandelt, auch von Aristoteles und Epikur. Am schlechtesten kommen Ökonomen und Philosophen weg: „Ökonomen und Philosophen machen viel Aufheben um Vergnügen und Lust, aber ich habe den Verdacht, dass das hauptsächlich widerspiegelt, wie langweilig es ist, ein Ökonom oder Philosoph zu sein.“

Freud hat nicht viel zu Kindern geschrieben, und er hielt das Lachen, wie das Kacken, für Triebabfuhr. Auch die Freudschülerinnen Anna Freud und vor allem Melanie Klein mit einem dystopischen Blick auf die Säuglingszeit werden als Anhängerinnen von Vorurteilen dargestellt.

Schlafen?

Hier wurde mir wieder der Unterschied zu den afrikanischen Dorfkindern deutlich: Säuglinge schlafen oder sie sind eben wach, aber an diesem Wachsein zur gefühlten Unzeit leiden hier die Eltern. Es werden viele Studien zum Träumen vorgestellt: „Die beiden Nutzen des Träumens scheinen Lernen und Glück zu sein“ und die meist sinnlosen Ratgeber zum Schlaftraining. Am besten nimmt man die Schlafgewohnheiten des Babys als Eltern mit Humor und „das Aufwachen als das, was es ist: eine abgeschlossene Schlafperiode.“

Die erste Berührung

Hier wird die von Descartes (ein ganz unglücklicher Eigenbrötler war das! Hatte nicht mal eine Frau!) postulierte Trennung zwischen Körper und Geist auseinandergenommen und zusammengefügt, was zusammengehört. Und für die Kleinen gilt: Massage ist Kommunikation, bevor es Sprache gibt.

Spielzeugfreuden

Spielen ist Lernen, es gibt eine Fülle von Studien nicht nur mit Tieren, auch mit Babys, in denen bewiesen wird, wie etwa das dreidimensionale Sehen, das Abschätzen von Entfernung oder die Tiefen von Abgründen durch andauernde Versuche erlernt werden. Gestaunt habe ich (und so ganz will ich es noch nicht glauben), dass es einen großen Unterschied gäbe zwischen dem passiven Sitzen und Ansehen einer Fernsehsendung und dem aktiven Nutzen eines Smartphones schon bei Kleinkindern.

Wir sehen, wie US-amerikanische Pädiater ihre Empfehlungen dazu in den letzten Jahren schrittweise geändert haben. Eine Studie TABLET (Toddler Attentional Behaviours and Learning with Touchscreens) zeigt, dass sie in allen Entwicklungsschritten gleichauf waren mit denen, die nicht mit Smartphones „lernen“ konnten, und dass sie über mehr Kompetenzen verfügten. Ganz allgemein gilt aber, wie für auch Ernährung oder Sport, es nicht zu übertreiben und Kinder dabei zu begleiten!

Überraschung

Warum spielen die kleinen so gerne Kuckuck und Verstecken? Addyman zieht Vergleiche zwischen der Neugier der Babys und der von Wissenschaftler/innen. Dann werden Wissenschaftstheorien vorgestellt.

Lache, und die Welt lacht mit dir

Bei den Navajos gibt es eine Party, wenn ein Baby zum ersten Mal gelacht hat, so als wäre das Baby nun Teil der menschlichen Gemeinschaft geworden. Zum besseren Verständnis der Rolle des Lachens bei Menschen sehen wir uns wieder die Unterschiede zu Primaten an: Unsere Augen haben mehr Weiß als Hintergrund, und das erleichtert den Blickkontakt. Wir machen keine Fellpflege, aber das Lachen ersetzt diese intensive Beziehungspflege. Am besten gefällt mir als Oma die wichtige Rolle der menschlichen Großmütter bei der Weitergabe von Kultur. Durch das jahrzehntelange Leben nach der eigenen Fortpflanzungsphase können wir uns um die Enkel kümmern. Primatinnen gebären bis zu ihrem Tode. Und wir lesen, dass Väter (oder Großväter) in unserer Geschichte kaum eine Rolle als Kulturübermittler spielen: sie sind ja auf der Jagd!

Der Klang des Glückes

Hier geht es um Musik und Tanz. Am besten sehen sie sich die Videos an, als Addyman mit Imogen Heap eine Oper komponiert und dann auch den Happy Song dazu. Auch hier beeindruckt die partizipative Forschungsweise, mit der Eltern als „Mitarbeiter“ gewonnen werden.

Fröhliches Geplauder

Zur Entwicklung der Sprache gibt es beeindruckende Studien, bei denen Schimpansen unter Laborbedingungen Sprache, auch als Gebärdensprache, beigebracht wurde. Ein für Addyman wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung Noam Chomskys mit den Behavouristen. Und er berichtet, was ihn, den Banker, veranlasst hatte, noch einmal mit dem Psychologiestudium anzufangen.

Ja, Nein, Maybe Baby

Bei der Sprachentwicklung gibt es, über die Kulturen hinaus, Muster. Das Wort „nein“ wird früher erlernt, vielleicht, weil die Babys es von ihren Eltern so oft gehört haben? Zum Trost für manche Eltern: während der Trotzphase entwickelt sich auch die Fähigkeit zur Empathie. In seiner Doktorarbeit ging es um die Fähigkeit der Babys, Unterschiede wahrzunehmen. Was für die 8 Monate alten eine leichte Übung ist, überfordert 4 Monate alte. Und wir erfahren, warum seine Arbeit von der angestrebten Zeitschrift nicht publiziert wurde, zum Glück dann aber in einer für Tierforscher …

Freunde

Babys werden geliebt und sie lieben es, andere zum Lachen zu bringen. Gemeinsames Lachen ist Grundlage für Freundschaften. In diesem Kapitel geht es um die Theory of mind, um Autismus als eine andere Form von Empathie zu zeigen. Babys sind hilfsbereit und haben Sinn für Gerechtigkeit. Wie haben wir Erwachsene unsere Freundschaften geschlossen? Das letzte Kapitel endet mit einem Schlusswort: „Freundschaft macht uns glücklich, und Glück bewirkt, dass wir bessere Freunde sind. Freunde sind für uns da, weil wir für sie da sind und das beginnt, sobald wir lächeln können.“


Genre: Pädagogik, Psychologie
Illustrated by Kunstmann München