Die Punks in der Wiener Gassergasse. “GAGA”, das stand in Achtziger Jahren in Wien weder für Lady noch für Radio, sondern für das erste selbstverwaltete Punk-Projekt in der Gassergasse im 5. Wiener Gemeindebezirk. Aber gerade als der Autor mit seiner Feldstudie begann wurde es auch schon wieder beendet. Die Räumung der GAGA jährte sich 2023 zum 40. mal.
Wiener GAGA-Punk als Lebensstil
Wien und Punk? Gemeinhin wird ja eher London damit assoziiert, als die verschlafene Walzerstadt an der Donau. Aber Herbert Grabner, der Verfasser der hier vorliegenden soziologischen Diplomarbeit, zeigt wie bunt Wien schon damals war und fängt die Aufbruchstimmung der Punk-Welle ein, noch bevor sie völlig in der Kalten Krieg Atmosphäre der Achtziger verendete und verebbte. Der Autor gibt den Leser:innen Einblick in die Lebenswege und Einstellungen der Jugendlichen, die sich für The Clash, Sex Pistols u.ä. auch in Wien begeistern konnten. Mehr noch war Punk allerdings auch ein Lebensstil vor allem für Jugendliche, die aus desolaten Elternhäusern geflohen waren und versuchten, sich etwas Eigenständiges aufzubauen. Neben der soziologischen Einleitung und Heranführung zum Thema durch Erklärung der angewandten Methodik ist das Kernstück seiner Arbeit der Interviewblock mit zwei Exponenten und einer Exponentin, damals ca. 19 Jahre alt. 40 Jahre nach Veröffentlichung einer Kurzfassung in der österreichischen „Zeitschrift für Soziologie“ liegt hier nun auch die gesamte, redigierte Fassung der Diplomarbeit für eine interessierte Öffentlichkeit vor und kann über die Homepage der engagierten “Bibliothek der Provinz” erworben werden. Eine gute Möglichkeit also, sich wieder mit Utopien zu beschäftigen und sich nach Alternativen zur heutigen Konsumwelt zu informieren. Auch wenn die Bilanz für manche dann vielleicht etwas ernüchternd ausfällt.
“…des is (k)a Witz”
Das „Autonome Kultur- und Kommunikationszentrum Gassergasse“ im 5. Wiener Gemeindebezirk, meist kurz „Gaga“ genannt, war von den Jugendkrawallen in Zürich, Berlin, Brighton, London etc., inspiriert. Es beherbergte in der Hoch-Zeit bis zu 30 Initiativen. Die Stadt Wien (nach Schweizer Vorbild) unterstützte vorerst das auf einem ehemaligen Industriegelände ein „Freiraum“ für diverse Außenseiter der Gesellschaft etabliert werden sollte. Die „lumpenproletarische Selbstinszenierung“ der Punks beruhte auf einer ideologischen Ausrichtung gegen Konsum und Besitzansprüche und sympathisierte mit Revolte und Anarchie, Drogenkonsum und Delinquenz, wie auch Rolf Lindner in der Einleitung erläutert. Die Jugendlichen der GAGA stellten die “Legitimität der herrschenden Kulturideologie in Frage” und stellte sich mit einem langfristig nicht überlebensfähigen Modell in Totalopposition. Einerseits stigmatisierten sie sich als “häßlich”, andererseits hatten sie genau diese Fremddefinition auch bereitwillig übernommen. Zusätzliche Authentizität bekommt die Untersuchung von Grabner durch umgangssprachliche Zitate der drei Interviewpartner im Wienerischen. Viele Fotografien aus der GAGA und ihren Bewohnern:innen ergänzen die inhaltlichen Ausführungen zu Geschlechterparität, Schnorren als Job und dem Traum einer anderen Welt ohne Konsumdenken. “i hab des erste Mal im meinen Leben a haus ghabt, und jetzt is des alles aus”, sagt einer und spricht aus, was sich viele denken. Statt die Jugendlichen einzuschüchtern, hätte es vielleicht geholfen, ihnen zuzuhören. Herbert Grabner tat es und das liest sich auch heute noch gut.
Herbert Grabner
Die Punks in der Wiener Gassergasse
Eine soziologische Feldstudie aus dem Jahr 1983/1984
19×12,5 cm, 200 Seiten, zahlr. S/W-Abb., fadengeheftetes Hardcover
ISBN: 978-3-99126-221-3
Bibliothek der Provinz
22,00 €
