Thomas Bernhards Roman »Holzfällen« war kaum erschienen, das wurde das Buch in Österreich am 29. August 1984 gerichtlich beschlagnahmt und verboten. Der in dem Text angeblich dargestellte Komponist Lampersberg und seine Frau, die Sängerin Maja Lampersberg, meinten sich in dem Werk wieder zu erkennen und hatte die Klage ausgelöst. Erst im Februar 1985 konnte eine außergerichtliche Einigung erzielt werden, die Klage wurde zurückgezogen und der »Schlüsselroman« wieder freigegeben.
In dem Text beschreibt der Erzähler, der von London nach Wien zurückgekehrt ist, wie er bei einem Spaziergang vom Ehepaar Auersberger angesprochen und zu einem »künstlerischen Abendessen« eingeladen wird. Obwohl er die Auersbergers hasst und überhaupt keine Lust auf eine derartig fragwürdige Geselligkeit hat, sagt er zu und erscheint.
Den Ablauf des Abends schildert Bernhard nun mit den für seinen Stil typischen Endlossätzen aus der sicheren Perspektive eines Ohrensessels, von dem aus er die Szene beobachtet. Er verflucht sich und seinen Leichtsinn, die Einladung der Auersbergers angenommen zu haben, da sich beide durch extreme Langeweile und Hohlheit auszeichnen. Frau Auersberger ist Sängerin, Herr Auersberger Komponist, ein »armseliger talentierter Spießbürger«, ein »vom Vermögen seiner Frau stumpfsinnig gewordener Gesellschafts-Kopist«.
Die geladenen Gäste, die er sämtlich von früher kennt und seitdem verachtet, seien ursprünglich alle nach Wien gekommen, um dort Karriere zu machen. Allerdings hätten sie es lediglich zu »Künstlerattrappen« gebracht. Die »leben und leben und leben und langweilen sich im Grunde durch ihr ganzes Leben und werden älter und älter und älter und sind nichts als nutzlos«.
Besonders stinkt dem Erzähler das mitternächtliche Erscheinen des Stargastes des Abends, einem selbst gefälligen Schauspieler vom Burgtheater, der an diesem Abend als Ekdal in Ibsens »Wildente« aufgetreten war. Die Figur des unentwegt psalmierenden und fressenden und psalmierenden Schauspielers gibt Bernhard Anlass zu einer giftigen Suada über die Wiener Theaterszene im Allgemeinen und das Burgtheater im Besonderen. Bei dem Stargast des »künstlerischen Abendessen« handele es sich um den »Prototypus des durch und durch fantasielosen und also völlig geistlosen Poltermimen«, gleichwohl das Publikum gebannt an seinen Lippen hänge, welchen Unsinn auch immer aus seinem Munde ströme.
Im Anschluss an das Nachtmahl legt der Burgschauspieler, der mehrere Gläser Wein getrunken hat, ein pathetisches Bekenntnis zur Natur ab: »Wald, Hochwald, Holzfällen, das ist es immer gewesen«, notiert Bernhard, der bald darauf als letzter Gast die Wohnung verlässt. Zuvor belügt er der Auersbergerin noch nach Strich und Faden. Es sei ein ganz besonders gelungener Abend gewesen, er fände den Burgschauspieler ganz einzigartig, und er schätzte ihr künstlerisches Abendessen über alle Maßen, schleimt er, wo die gesamte Veranstaltung ihm doch nichts weniger als abstoßend erschienen war.
»Um uns aus einer Notsituation zu erretten, denke ich, sind wir selbst genauso verlogen wie die, denen wir diese Verlogenheit andauernd vorwerfen und derentwegen wir alle diese Leute fortwährend in den Schmutz ziehen und verachten, das ist die Wahrheit; wir sind überhaupt um nichts besser, als diese Leute, die wir andauernd nur als unerträgliche und widerliche Leute empfinden, als abstoßende Menschen, mit welchen wir möglichst wenig zu tun haben wollen, während wir doch, wenn wir ehrlich sind, andauernd mit ihnen zu tun haben und genauso sind wie sie.«
Angeekelt von sich selbst stürzt er schließlich nach draußen, einzig beseelt von dem Wunsch, sofort alles niederzuschreiben.
Bernhards »Holzfällen« ist ein tosender Sturzbach der Worte, ein endloser Satzschwall, den er erbricht, und der keine Gemeinheit und Niederträchtigkeit auslässt. Der Text ist eine ätzende Kritik an der feinen Wiener Gesellschaft, am Künstlertum, am Theater, an der Schauspielerei. Dem Autor ist die faszinierende Gabe des exakten Beobachtens gegeben, die bis in das sorgfältige Zerlegen eines Satzes beim Löffeln einer Suppe reicht.
Mit »Holzfällen« schleudert Bernhard seinen Hass auf die ihn umgebende Gesellschaft hinaus und macht zugleich deutlich, dass diese Verachtung Selbsthass ist, der ihn treibt. Seine Verachtung wiederholt er in immer wiederkehrendem Rhythmus, der Ravels »Bolero« angepasst ist, der wie als ein deutlicher Hinweis am Laufe des Abends auf den Plattenteller gelegt wird. Entsprechend der Musik schreibt Bernhard im Ostinato, in stetiger Wiederholung, die das Mahlwerk seiner Gedanken hervorbringt.
Dabei, und das macht die eigentliche Virtuosität Bernhards aus, ist es kein Klagegesang eines alten Grantlers, den er vorlegt. Der Text ist vielmehr in jeder Hinsicht komisch, er ist sogar dermaßen grotesk, dass der Leser nicht lächeln, nein, laut lachen muss, folgt er der Schilderung des Abends. »Holzfällen« ist eine gewaltig-geniale Schmähschrift auf den Kunstbetrieb und die Gesellschaft. Das Buch liest sich wie im Rausch, wenn man sich auf den eigenwilligen Stil Bernhards einlässt. Es ist gut nachzuvollziehen, dass die Veröffentlichung des urkomischen Werks diejenigen, die sich erkannten, auf die Palme getrieben hat. In Wien war es jedenfalls lange Jahre Mode, darüber zu spekulieren, wer denn der ein oder andere Protagonist in Wirklichkeit sei.
Sehr geehrter Herr Frieling,
ich fand Ihre Rezension sehr klug und überzeugend und ich bin auch für den Aufbau Ihrer Rezension voll Bewunderung. Ich wünschte, ixch könnte so schreiben.
Aber ich reagiere (vor allem emotional) ganz anders auf “Holzfällen” als Sie und zahllose andere Rezensionen. Falls Sie Lust haben – hätte ich gern eine Antwort von Ihnen, da ich sehen kann, dass sie etwas können. Finden Sie meine Sicht ganz “daneben”? Ich lese auch sonstwo nur Bewunderndes über Thomas Bernhard und bin verwirrt. Wagt ihn niemand zu kritisieren, weil er berühmt ist und gut schreiben kann?
Hier meine Eindrücke:
Vorbemerkung: Ich sehe große Parallelen zwischen Thomas Bernhard und Elfriede Jerlinek, nur dass er weniger scharf ist, Sie kam mir dauernd in den Sinn, ist aber in ihrer oft überspitzten Schärfe und Auswegslosigkeit schwer zu ertragen.Ihre Sprache und Sprachbilder fand ich allerdings genial, da kann Thomas Bernhard m.E. nicht mithalten..
Ich will nicht leugnen, dass Thomas Berhard gut schreiben kann. Seine Endlossätze fallen nicht auseinander und bleiben immer verständlich. Durch die Wiederholungen und Einschübe präsentiert er das Gleiche von immer neuen Perspektiven, erzeugt neue Schattierungen. Sprachlich macht er Ähnliches wie Ravel musikalisch im „Bolero“, der ja auch im Roman bei Auersbergers aufgelegt wird. Schon das ist mir zu dick aufgetragen, zu aufdringlich, auch wenn ich zugeben muss, dass ich alleine wohl nicht auf dieses Parallel gekommen wäre.
Er beobachtet genau und berichtet süffisant und zutreffend über jede kleine Schwäche bis zu Bewegungen beim Suppe-essen hinein. Aber er hat ausschließlich Schwächen im Blick, geschützt auf seinem Beobachterposten im Ohrensessel! Er trägt nichts, aber auch gar nichts zur Gesellschaft bei, aber erhebt sich über sie. Das ist merkwürdigerweise nicht klagend oder larmoyant, sondern teilweise amüsant, grotesk, auch zutreffend, eher wie ein unterhaltsames Klatschweib. Es ist aber auch unerträglich, dieses Mahlwerk des unablässigen Negativblicks, und die endlosen nuancierten Wiederholungen ermüden, da sie voraussehbar sind.
Gegenstand
Es mag sein, dass er eine treffende Kritik der Wiener Bürgergesellschaft oder der Wiener Künstlerszene gibt, des „künstlerischen Stadtgesindels“, wie er sagt, aber welche Wichtigkeit hat das denn? Welche Bedeutung hat denn die abgehalfterte oder gar nicht so abgehalfterte Künstlerszene Wiens? Und das bis ins Kleinste hinein, sich immer wiederholend auf 300 Seiten. Das grenzt doch an Selbstbefriedigung.
Ich empfinde es als einen Trick, dass der Erzähler sich mit dieser von ihm so verachteten Szene auch selbst beschreibt und dies auch weiß..Er hasst Wien und Wien rettet ihn, die Gänge über bestimmte Straßen braucht er zur Wiederbelebung. Er ist beim Abschied von den Auersbergers ebenso heuchlerisch, aufgeblasen und verlogen wie die anderen und sagt das auch: es sind seine Leute und er ist wie sie. Allerdings hat er für sich immer eine Entschuldigung, was mir auch auf die Nerven geht. Ihm fällt nicht ein, wie er die Einladung ausschlagen kann, weil er vom Tod der Freundin erschüttert ist (eine Erschütterung, die im Übrigen auch nicht glaubwürdig rüberkommt, er ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und viel zu triumphal, dass er mehr weiß als die Auersbergers.) Er lügt aus „einer Notsituation heraus“ etc. Für sich hat er immer Entschuldigungen.
Soll er doch mal etwas ändern. Er ist zwar nicht so ätzend wie Jelinek, aber genauso wenig gibt es irgend einen positiven Ansatzpunkt. Und wenn der positive Ansatzpunkt in dem pathetischen Bekenntnis des Burgschauspielers zur Natur und der körperlichen einfachen Arbeit liegen soll (Wald, Hochwald, Holzfällen” Titel!!!), die dem Erzähler plötzlich den Burgschauspieler fast sympatisch macht, so finde ich das schieren verlogenen Romantikkitsch, so wie die Schäferspiele von Marie Antoinette. Total aufgesetzt und unauthentisch!
Eigentlich bin ich dagegen, einen Erzähler, also eine literarische Figur mit dem Autor gleichzusetzen, aber in diesem Fall finde ich die Parallelen so offenkundig, dass ich es doch tue. Auch Berhard hat es ja getan, indem er die Figuren seines Texts kaum verfremdet dem wirklichen Leben entnimmt und dies auch beabsichtigt. Warum? Bringt das außer bewusster Verletzung einen Wahrheitsgewinn? Nein, er weiß nur, dass das skandalträchtig ist und er, Thomas Bernhard ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Streicheleinheiten für ihn?
Und, so sage ich jetzt mal ätzend, den Verkaufserfolg seiner Schmähschrift fördert. Bewusst!
Weitere Parallelen zur realen Welt. Ist seine Kritik da überhaupt berechtigt? Ist er nicht selber ein „Staatspfründedichter“? Ist seine Kritik am Burgtheater als verstaubter Institution, die nur Grillparzer spielt und „Dichtervernichtungsanstalt“ ist, überhaupt haltbar? Soweit ich weiß, hat das Burgtheater in der zweiten Hälfte der 70er und den 80er Jahren sehr moderne Stücke gespielt. Ich weiß aber sehr wohl, dass Bernhard wegen der Leitung des Burgtheaters verhandelt hat, die Stelle aber nicht bekommen hat. Und daraufhin aus Rache ein Verbot seiner Stücke am Burgtheater ausgesprochen hat, bis der mit ihm befreundete oder von ihm tolerierte Peymann kam. Ist also die Kritik am Burgtheater nur verletzte Eitelkeit eines aufgeblasenen Egomanen?
Also ich würde diesen Thomas Bernhard nicht kennenlernen wollen. Was für ein eitler Fatzke in der Pose des an sich selbst und seinen Widersprüchen leidenden Genies!! Unerträglich!
Und lesen möchte ich trotz aller “sprachlicher Musikalität” auch nichts mehr von ihm. Schade um sein Talent!
Und: nein: ich meine nicht, dass ein Schriftsteller Positives darstellen sollte,ich selber gehöre leider auch eher zu der Sorte Mensch, dei alles kritisch betrachtet. Aber doch versucht, das Ganze zu sehen, nicht nur die lächerlichen Punkte und Schwächen “rauszupicken” und mit gusto darzustellen.Und sich das auf das von unauflösbaren Widersprüchen gekennzeichnete Leiden von Neurotikern zu fokussieren (wie beispielsweise in “Beton”)
Mit freundlichen Grüßen
Dagmar Frost
Liebe Frau Frost,
Ich danke herzlich für Ihre detaillierte Äußerung und die damit verbundene Sichtweise. Es beschert Freude, wenn Rezensionen gelesen werden, und dann sogar ein Gespräch in Gang kommt.
Ich hatte das Glück, Thomas Bernhardt, der sich 1989 in den Literaturhimmel verabschiedete, in Gmunden kennenzulernen. Er war tatsächlich ein Mann der Widersprüche, zickig, fordernd, sich seiner sprachlichen Kraft bewusst, nach innen zerbrechlich, nachdenklich, nach außen jähzornig, schroff, kurz: eine Diva.
In „Holzfällen“ geht er durchaus selbstkritisch mit sich und seiner Rolle ins Gericht, wenn er schreibt, „wir sind überhaupt um nichts besser, als diese Leute, die wir andauernd nur als unerträgliche und widerliche Leute empfinden, als abstoßende Menschen, mit welchen wir möglichst wenig zu tun haben wollen, während wir doch, wenn wir ehrlich sind, andauernd mit ihnen zu tun haben und genauso sind wie sie“. – Sagt er da nicht viel Tiefes über sich selbst aus?
Künstlerisch-kreative Menschen, ob Autoren, Maler oder Schauspieler leben oft in dem Zwiespalt, sich einerseits den Gatekeepern des Kulturbetriebes zu unterwerfen und gleichzeitig das Publikum im Auge zu behalten. Bernhard ist jemand, der diesen inneren Ekel auch ausdrückt – in einer Sprache, die ihresgleichen sucht. Ob Jelinek da heranreicht, wage ich zu bezweifeln. Ihr fehlen aus meiner Sicht Tiefe und Schliff.
Ich kann Sie nur bitten, Bernhardt noch eine Chance zu geben. Ich weiß auch nicht, ob Sie Peymanns Inszenierungen am BE erlebt haben. Die waren kongenial, einige gibt es wohl als Aufzeichnungen im Handel.