Bitte keine Bücher aufschlagen …
… das sagt Nora, denn sie versinkt sofort in jeder Geschichte. Und taucht nur wieder auf, wenn jemand das Buch zuschlägt und sie befreit.
Um sich diese Reaktion abzutrainieren, sucht sie einen Psychotherapeuten auf. Doch der will einen Test sehen. Unglücklicherweise reißt Nora ihren Therapeuten mit in das Buch. Und es ist vor Ostern und wird lange dauern, bis jemand die Praxis betritt und das Buch zuschlagen kann.
Also muss Nora mit ihrem Therapeuten die Geschichte durchleben. Die um Intrigen und Kämpfe der Thronfolge gehen. Besser, sie greifen nicht in in die Geschichte ein. Doch dann …
Eine spannende Fantasygeschichte, die mich bis zur letzten Seite gefesselt hat und für die die Autorin den Selfpublisher Preis gewonnen hat. Mittlerweile druckt Piper das Buch. Und da es Ostern spielt, wäre jetzt die Gelegenheit, es zu lesen.
Archiv
Noras Welten
Was Männer kosten: Der hohe Preis des Patriarchats
Schon immer waren Ihnen Männer lieb und teuer? Aber wie viel sie unsere Gesellschaft wirklich kosten, ahnt niemand und man staunt beim Lesen des Buches. Der Autor ist Volkswirt und hat seit Jahrzehnten in der Jugendarbeit Erfahrungen gesammelt, zunehmend berät er Männer, die ihre Rolle in der Gesellschaft nicht gefunden haben.
Das Buch enthält zu jeder Feststellung Tabellen, die den Geldwert aufzeigen dessen, was Männer kosten. Seine Quellen sind allen zugänglich, oft das Statistische Bundesamt. Auf den über 300 Seiten sind neben vielen Grafiken 370 Quellen aufgeführt.
Was das Buch besonders lesenswert macht, sind die jahrzehntelangen Beobachtungen, die Gedanken dazu oder auch Gespräche, sowohl im dienstlichen, als auch im privaten Freundeskreis.
Es gibt originelle Thesen, etwa beim Alkoholmissbrauch (kostet 57 Milliarden Euro jährlich, verursacht zu 73 % von Männern), wo er vorschlägt, die Alkohol produzierende Industrie in Haftung zu nehmen.
Oder, wenn er aufzeigt, dass der Unterschied der Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern (sechs Jahre) am risikoreicheren Männerleben liegt; Mönche leben fast so lange wie Nonnen. Hier bleiben die Forderungen allgemein …
Bei seiner Beratung fiel ihm auf, dass Männer mit geringerer Bildung nicht wussten, was die Me too Debatte war (Me-was?). Sie findet in einer Akademikerblase statt, was über die Bedingungen des Patriarchats in großen Teilen der Bevölkerung rückschließen lässt.
Das Buch ist ein drei Teile aufgeteilt: In Teil I die messbaren Kosten (elf Kapitel enthält u. a. Häusliche Gewalt, Wirtschaftskriminalität, Fußballromantik, wo es um Hooligans geht, Verkehrsunfälle, überschrieben mit „Männer mit eingebauter Vorfahrt“.)
Teil II behandelt nicht messbare Nebenwirkungen (sechs Kapitel als Beispiele: Lebenserwartung und Suizid, Rechtsextremismus, Sportverbände).
In Teil III Wege aus der Krise (zehn Kapitel. Hier fordert er Veränderungen in der Bildungspolitik, überhaupt der Politik, zur Männergesundheit)
Zwei Bereiche will ich herausstellen: Rechtsextremismus und Männergesundheit:
Im Jahr 2020 erschien, unter Minister Seehofer, der Verfassungsschutzbericht mit 420 Seiten, auf denen je einmal die Wörter Mann und männlich auftauchen. Das Wort Geschlecht nicht einmal. Dagegen stellt er eine Tabelle der rechten Straftaten in Berlin, bei denen 90,4 % der Tatverdächtigen männlich waren.
Zur Männergesundheit lernen wir in den ersten Teilen, dass Männer sich schlechter ernähren, mehr saufen, übergewichtiger sind, seltener zum Arzt gehen. Sie können Depressionen nicht als solche annehmen und deshalb auch keine Therapien für sich nutzen. Mehrmals weist er darauf hin, dass es in Beziehungen nicht nur Gewalt gegen Frauen gibt, aber dass Männer dies nicht zugeben können.
Die Rollen, die Männern zugeschrieben werden: stark sein, keine Schwäche zeigen (wer wagt, gewinnt), werden in unserer Gesellschaft nicht mehr gebraucht. Schon im Kindergarten, in der Bildung, vor allem aber in den Familien kann hier die Zuschreibung einer einzuhaltenden Rolle vermieden werden, dafür gibt es Beispiele und Hinweise auf Organisationen, die Männer bei der Reflexion und Überwindung ihrer Rolle unterstützen.
Diese Rezension schreibe ich während der Debatte über die Ausschreitungen junger Männer in der Silvesternacht 2022/23. In der Grafik, die ich abfotografiert habe, ist die Entwicklung der Bildungsabschlüsse der letzten Jahrzehnte zu sehen. Bei den jetzt 15-25-jährigen Männern haben 48 % keinen Schulabschluss. Mädchen können in unserem System weiterkommen, inzwischen haben 19 % mehr ein Abitur, als Jungen, diese werden zunehmend abgehängt. Und nicht nur die mit Migrationshintergrund!
Per Anhalter durch die Galaxis
EINE ETWAS ANDERE REZENSION
Viele der literaturaffinen Leser werden sofort wissen worum es sich handelt. Dabei ist 42 doch nur eine ganz gewöhnliche Zahl. Weder eine Primzahl noch eine Quadratzahl. Und doch hat sie eine ungewöhnliche Berühmtheit erlangt. Wer nichts damit anfangen kann, braucht die Zahl nur in Google eingeben oder einfach hier weiterlesen.
Mein Sohn hat das Buch im Original, also in englischer Sprache gelesen und war begeistert. Obwohl ich nicht unbedingt ein Freund von Science-Fiction-Romanen bin, habe ich die Empfehlung aufgenommen. Allerdings wollte ich mir das Original nicht antun und besorgte mir die deutsche Ausgabe des bereits 1979 entstandenen Romans „Per Anhalter durch die Galaxis“ des britischen Autors Douglas Adams. Also ein Klassiker!
Den Engländer Arthur Dent trifft es ziemlich hart: Zuerst soll sein Haus abgerissen werden und dann soll auch noch die Erde gesprengt werden, um einer Hyperraum-Expressroute Platz zu machen. Den Ausweg aus der Misere hat sein exzentrischer Freund Ford Prefect parat, der witzigerweise nach einem alten britischen Ford-Model benannt ist und ursprünglich von einem kleinen Stern in der Nähe von Beteigeuze stammt. Der Ausweg ist der in diesem Fall überlebensbringende Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“. Notgedrungen machen sie sich auf den Weg, um die Wunder des Weltraums zu entdecken. Bei Wikipedia wird das Buch als „Mischung aus Komödie, Satire und Science-Fiction“ beschrieben. Unbedingt lesenswert!
Wie komme ich nun gerade auf die Zahl 42? Auslöser war die Lektüre des Romans „Die Anomalie“ von Hervé le Tellier, worin die berühmte Episode um die Zahl 42 zitiert wird. Die beiden Protagonisten Dent und sein Freund dringen während ihrer Reise durch die Galaxis zum zweitgrößten Computer aller Zeiten vor, der von seinen Erschaffern zur Beantwortung der Frage aller Fragen programmiert wurde, die „große Frage des Lebens, des Universums und des ganzen Rests“ (“life, the universe and everything”). Um das unglaublich wichtige Ergebnis ja nicht zu verpassen, wurde der Computer „Deep Thought“ rund um die Uhr observiert und das über siebeneinhalb Millionen Jahre. Nach dieser exorbitanten Rechenzeit gibt er endlich die Antwort bekannt. Die Antwort auf die „Frage des Lebens, des Universums und des ganzen Rests“ lautete zur Überraschung aller ganz simpel „42“. Trotz intensiver Bemühungen verschloss sie sich jeglicher Interpretationsmöglichkeit.
Als ich das Zitat in Telliers Roman las, das dort übrigens sehr gut verpackt wurde, war ich etwas konsterniert, weil ich es nicht auch schon in meinem etwas anderen biografischen Roman „August und ich“ verwendet habe. Er ist zwar schon mit mehreren Zitaten aus der Musik, Literatur und Cineastik versehen, doch die zugehörige Episode aus meinem Leben ist mir damals nicht eingefallen.
Denn in meiner Zeit als Technischer Leiter in einem mittelständigen Unternehmen hatte ich in der Entwicklungsabteilung einen der besten Ingenieure, den ich je kennenlernen durfte. Martin ist nicht nur in seinem technischen Metier brillant, sondern ich konnte mich insbesondere auch über kulturelle Themen mit ihm austauschen: ob Musik oder Kabarett und eben auch Literatur. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass er „Per Anhalter durch die Galaxis“ bereits kannte, als ich ihm eine entsprechende Empfehlung aussprechen wollte. Und natürlich war ihm die Zahl „42“ ein Begriff.
Immer wieder, wenn wir gemeinsam mit Managern zu tun hatten, die gerne dazu neigen, auf sehr komplizierte und schwierige Fragen einfache Antworten zu fordern, sahen wir uns an und entgegneten ganz ernsthaft und im Chor: „42“.
Wilde Saat
Zucht und Ordnung
Der Unsterbliche Doro züchtet schon seit Jahrtausenden Menschen mit außergewöhnlichen Merkmalen. Deshalb ist er ständig auf der Suche nach vermeintlichen Hexen oder Hexern („wilde Saat“), die frisches Blut in seine Zuchtdörfer bringen. Eines Tages folgt er der Spur einer ganz besonderen Frau: Sie ist wie er unsterblich, besitzt darüber hinaus aber noch die Fähigkeiten einer Gestaltwandlerin und einer außergewöhnlichen Heilerin. Anyanwu ist zunächst von der Aussicht begeistert, endlich nicht mehr von ihren Nachfahren mit dem Tod bedroht zu werden und unter ihresgleichen leben zu können. Deshalb folgt sie Doro in eines seiner Zuchtdörfer. Aber sie muss schnell feststellen, dass auch dieses vermeintliche Paradies seine Schattenseiten hat. Doro herrscht wie ein Gott über seine Nachfahren. Er hat despotische Züge, duldet keine Widerrede und verlangt, dass man klaglos seinen Zucht- und sonstigen Wünschen nachkommt. Das bedeutet auch, dass sich die Menschen von ihm töten lassen müssen, wenn Doro einen neuen Körper braucht. Seine Seele kann nicht ins Jenseits eingehen, sondern wechselt automatisch den Körper, wenn der alte verbraucht ist. Und das passiert spätestens nach zwei bis drei Jahren. Das Töten ist ihm zur Gewohnheit geworden, was Anyanwu als Heilerin entsetzlich findet. Sie selbst ist aus anderem Holz geschnitzt als Doro: Ihre Nachfahren dürfen sich ihre Partner*innen selbst wählen, erhalten Hilfe, Heilung, Schutz und Rat von ihrer Ahnin, und Anyanwu zieht all ihre zahlreichen Kinder eigenhändig und liebevoll auf. Überhaupt herrscht bei ihr Liebe und soziales Verhalten, wenn sie ein Dorf gründet. Nach ihren Möglichkeiten versucht sie Doro zum Positiven hin zu beeinflussen, aber dieser erweist sich als resistent gegen ihre Versuche, seine Praktiken sozialverträglicher zu machen. Da sie selbst vom Tod bedroht ist, wenn sie Doro nicht gehorcht – er würde schlicht und einfach ihren Körper übernehmen, was ihren Tod nach sich ziehen würde – verzweifelt sie allmählich an ihrer Machtlosigkeit Doro gegenüber. Schließlich entzieht sie sich ihm durch Flucht. Aber da Anyanwu für Doro gefährlich werden könnte, nimmt er die Verfolgung auf.
Patriarchat versus Matriarchat
Dieser von einer Frau geschriebene Science-Fiction-Roman ist in mehrerlei Hinsicht ungewöhnlich. Zum einen sind die Hauptpersonen schwarzhäutig, auch wenn Doro immer mal wieder weiße Körper benutzt. Schwarzhäutige Menschen, v.a. als Hautpersonen, kommen leider viel zu wenig in Romanen vor, weshalb schon dieser Umstand eine positive Hervorhebung wert ist. Dementsprechend spielt ein Teil der Geschichte in Afrika, und zwar vor und während der Kolonialzeit und der Versklavung der Schwarzafrikaner*innen. Hier wird die grausame Geschichte der Schwarzafrikaner*innen aufgezeigt, auch wie die Menschen darunter leiden. Und Doro wird als Mittäter dargestellt, da er aufgrund seiner eigenen Sichtweise kaum noch Menschlichkeit an den Tag legt. Er will zwar, dass es seinen Zuchtobjekten gut geht, sortiert aber auch gnadenlos aus, wenn sie ihm nicht mehr von Nutzen erscheinen. Nur Anyanwu macht all dies etwas aus. Sie möchte Menschlichkeit und positives soziales Verhalten um sich herum. Sie stellt damit einen Gegenentwurf zu Doro dar, dem seine Menschlichkeit immer mehr abhanden kommt.
Afrika ist die Wiege der Menschheit, und irgendwie schwingt das in dieser Geschichte mit. Dabei wird aber auch nicht verschwiegen, dass auch Schwarzafrikaner*innen ihren Anteil an der Versklavung hatten, wenn sie andere Stämme unterwarfen und verkauften oder ihresgleichen als Hexen brandmarkten und sogar zu töten versuchten. Das wird zwar eher nebenbei erwähnt, aber es hat Einfluss auf den weiteren Verlauf der Geschichte. Butler wollte wohl möglichst realistisch und nicht in im wahrsten Sinne des Wortes schwarz-weiß denken, sondern eine facettenreiche Story entwerfen, was ihr auch gelungen ist. Ihre Charaktere sind plausibel und nicht eindimensional, egal ob schwarz- oder weißhäutig.
Insgesamt entwirft Butler eine Geschichte des Patriarchats versus des Matriarchats. Sie zeigt das anhand ihrer beiden Hauptpersonen Doro und Anyanwu. Wenn man sich die Story genauer betrachtet, erinnert sie an die Theorie von Marija Gambutas: Vertreter des Patriarchats fallen in Gebiete ein, in denen das deutlich sozialere Matriarchat vertreten ist, und löschen diese Kultur trotz erbitterter Gegenwehr durch Frauen und Männer mit brutaler Gewalt aus. Doro vertritt in seinem gesamten Gehabe das Patriarchat. Seine Position als Familienoberhaupt ist unanfechtbar, sein Wort Gesetz. Wer sich an seine Vorschriften hält, führt ein einigermaßen gutes Leben, gibt dafür aber alle Freiheiten auf. Wer sich nicht daran hält, wird bestraft bis hin zum Tod. Es ist letztlich eine Gewaltherrschaft, die darauf beruht, dass Doro weiß, dass er den anderen überlegen ist. Die Menschen bleiben nicht freiwillig und gern bei ihm, sondern weil sie Angst vor ihm haben.
Anyanwu als Gegenentwurf zu Doro ist auch sehr mächtig, aber sie setzt ihre Macht nicht gegen, sondern für die Menschen ein, auch wenn diese sie als Bedrohung sehen. Sie setzt nicht auf Angriff, sondern auf Verteidigung, wenn es nicht mehr anders geht. Sie bevorzugt weder Gewalt noch Tod, sondern Heilung in allen Facetten. Sie denkt nicht wie Doro destruktiv, sondern konstruktiv. Sie agiert positiv sozial, indem ihr etwas an ihren Mitmenschen liegt, und sie ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht. Sie lebt mit ihnen und nicht über ihnen. Sie liebt ihre Nachkommen und alle, die in ihrem Dorf Zuflucht gefunden haben. Sie vernetzt sich mit den Menschen und sie vernetzt die Menschen untereinander. Sie verhält sich wie eine gute Mutter zu ihren Kindern, hegt und pflegt die Gemeinschaft. Sie agiert mit der Natur und nicht gegen die Natur. Sie fügt sich in das Große Ganze ein und lebt nicht als herrschaftlicher, despotischer Parasit wie Doro. Doros Sohn trägt ihr auf, Doro zum Positiven zu beeinflussen, damit er seine Menschlichkeit nicht ganz verliert – was sich zu einer Mammutaufgabe auswächst, die aber aufgrund der Rettung der Welt notwendig ist.
Das erinnert sehr an Mythen und deren Kämpfe, die die realen Kämpfe des Patriarchats gegen das Matriarchat abbilden. Man sehe sich z.B. nur einmal die griechischen Mythen an, von der zunächst von einer weiblichen, großen Urgottheit die Rede ist, bis hin zur Entwicklung zum männerdominierten göttlichen Olymp, auf dem die Göttinnen eine den Göttern untergeordnete Rolle spielen. Doros Übernahme erfolgt zwar vergleichsweise sanft, aber die Drohung ist latent bis deutlich immer vorhanden. Die einst eigenständige Anyanwu wird regelrecht unterjocht, hört aber nie auf sich zu wehren, bis sie von Doro ernst genommen wird. Das wird sie allerdings erst, als sie den Tod nicht mehr fürchtet, denn erst durch diese Entscheidung wird sie wieder unabhängig.
Doro regiert seine Zuchtdörfer mit strenger Hand. Er fordert Unterwerfung. In seinen Dörfern ist es zwar egal, welcher „Rasse“ die Menschen angehören, trotzdem existiert eine Hierarchie. Die Hierarchie beruht auf geeigneten und ungeeigneten Zuchtobjekten. Je mehr „Hexen“-Potential seine Zuchtmenschen haben, desto wertvoller sind sie für ihn. Eine echte Bindung zu seinen Kindern besteht nicht, nur ein Sohn darf ihm wirklich nahekommen. Dem gegenüber steht die Gleichrangigkeit der Menschen bei Anyanwu. Sie behandelt die Menschen mit Menschlichkeit und der einzelne Mensch ist ihr wertvoll. Wenn sie urteilt, dann nach dem Charakter. Ein Mensch, der ihrer Gemeinschaft Schaden zufügt, wird ausgeschlossen. Sie handelt damit nach matriarchalischen und Jäger-Sammler-Mustern.
Science-Fiction ist hier wörtlich zu verstehen: Nach Art der Alternative History wird gezeigt, was genetische Versuche positiv und negativ bewirken, auch und gerade in ethischer Hinsicht.
Fazit
Der Science-Fiction-Roman handelt nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit. Er nimmt die Wissenschaftsfiktion wörtlich, indem er beleuchtet, wie genetische Zuchtversuche am Menschen in körperlicher und ethischer Hinsicht aussehen und ausgehen können. Dabei beleuchtet er zwei Systeme: das des Patriarchats und das des Matriarchats. Der Roman behandelt in Kombination dazu Andersartigkeit und wie damit umgegangen wird. Außerdem stellt er afrikanische und afroamerikanische Menschen in den Vordergrund, was leider immer noch viel zu selten vorkommt. Ein in vielerlei Hinsicht vielschichtiger und wertvoller SF-Roman.
Die Schönheitslinie
Verschwendete stilistische Schönheit
Mit seiner homosexuellen Thematik ist «Die Schönheitslinie» des englischen Schriftstellers Alan Hollinghurst der vierte und erfolgreichste seiner sechs allesamt in der Schwulenszene angesiedelten Romane, er bekam 2004 den Booker Prize. «Selten ist die Suche nach Liebe, Sex und Schönheit so exquisit in Romanform gegossen worden», hat die Jury ihre Wahl begründet. Schon im Jahre 2006 wurde das Buch von der BBC verfilmt. In Umfragen des Senders von 2015 unter britischen Kritikern zählte er zu den größten literarischen Werken des Jahrhunderts und zu den 100 bedeutendsten britischen Romanen überhaupt.
Erzählt wird die Geschichte des zwanzigjährigen Nick Guest, ein brillanter Literatur-Wissenschaftler aus einfachen Verhältnissen, der bei den wohlhabenden Eltern seines Kommilitonen und besten Freundes Toby ein Zimmer im vornehmen Londoner Stadtteil Notting Hill bekommt. Er wird im Haushalt des Tory-Abgeordneten Fedden, dem Ambitionen auf ein Ministeramt nachgesagt werden, wie ein Familienmitglied freundlichst aufgenommen. Nick revanchiert sich, indem er sich um die manisch-depressive Tochter Catherine kümmert, die neunzehnjährige Schwester von Toby. Die in drei Teile für die Jahre 1983, 1986 und 1987 gegliederte Geschichte, einer Zeit also, als der Thatcherismus in voller Blüte stand, schildert aus der Perspektive von Nick detailliert die Verhältnisse in der Upper Class der britischen Gesellschaft. Ein zweites Themenfeld ist die sich abzeichnende homosexuelle Orientierung, die den Romanhelden trotz der Bedrohung durch Aids in ihren Bann zieht. Eine erste Kontaktanzeige beschert ihm gleich zu Beginn des Romans erstmals einen «Arschfick» mit einem wunderschönen Schwarzen. Man schämt sich als Rezensent, hier so unverblümt und abstoßend zu zitieren. Der Roman selbst allerdings ist da noch wesentlich deutlicher und walzt das Thema völlig ungeniert und in sämtlichen Details vor dem Leser aus. Für Heteros mag das ein hinreichender Grund sein, von einer weiteren Lektüre abzusehen, deswegen der Hinweis!
Die ebenfalls vorhandene und dominante, gesellschafts-kritische Ebene des Romans allerdings bietet mit vielen intellektuellen Charakteren einen bereichernden Einblick in die kultivierte Oberschicht des Inselstaates. Stilistisch elegant offenbart der stark von Henry James geprägte Autor menschliche Schwächen und moralische Abgründe seines umfangreichen, für den Leser oft kaum auseinander zu haltenden Figuren-Ensembles, deckt latente Klassen-Unterschiede auf und beleuchtet die politischen Ränkespiele um Macht und Ansehen. Nicks Aufstieg in die Upper Class macht ihn zum eitlen Dandy, sein Weg nach oben ist als Gesellschaftsroman ein Sittenporträt der Thatcher-Ära. Er ist gleichermaßen aber auch der klassische Entwicklungs-Roman eines kosmopolitisch geprägten Emporkömmlings, der es weit bringen will und sich selbstbewusst einen Platz in der Londoner Highsociety sichert. Das geht so weit, dass er auf einer Party wie selbstverständlich die Eiserne Lady zum Tanz auffordert. Als Ästhet verachtet er allerdings die Stillosigkeit, mit der Vulgarität und moralische Heuchelei die Oberhand gewonnen haben bei den Torys. Die unter der pompösen, glatt polierten Oberfläche aufgebauten Spannungen entladen sich, als die Karrierepläne des Tory-Abgeordneten Fedden nicht zuletzt wegen Nick einen gehörigen Dämpfer erhalten.
In diesem aus schwuler Sicht erzählten, unverkennbar ironisch gefärbten Roman feiert die titelgebende Schönheit vor allem als makellose, vor Geist sprühende, fein geschliffene Sprache wahre Triumphe. Die Kunst des englischen Understatements verhindert hier zudem ein allzu drastisches Ende, der plötzliche Umbruch wird distanziert beschrieben und äußerst diskret zu einem unaufgeregten Ende geführt. Das wäre allerdings schon einige hundert Seiten vorher sinnvoll gewesen, der dürftige Erzählstoff ist viel zu breit ausgewalzt, die stilistische Schönheit wurde hier an einen eher dürftigen Stoff verschwendet.
Fazit: mäßig
Meine Website: http://ortaia.de
Die linke Hand der Dunkelheit
Androgynität
Der Terraner Genly Ai hat eine besondere Aufgabe: Er soll neue bewohnte Planeten für die Ökumene, ein Weltenkollektiv, erkunden und bestenfalls für eine Erschließung vorbereiten. Um die Bewohner nicht in Alarmzustand zu versetzen, schickt das Team immer nur einen Menschen zur Erforschung auf den Planeten. Die anderen Teammitglieder verbringen die Zeit in einem künstlichen Schlaf, bis Leute wie Genly für sie Entwarnung geben. Seine Arbeit ist gefährlich, denn nicht alle Regierungen sind offen dafür, einem neuen und viel größeren System angegliedert zu werden.
So geschieht es auch mit Winter, einem Planeten, dessen Name Programm ist: Die eisigen Temperaturen auf dieser Welt erschweren Leben. Aber die Menschen dort haben sich angepasst. Eine dickere Fettschicht und eine kleinere Statur bieten weniger Angriffsfläche für Kälte. Das ist aber nicht das einzig Besondere an diesem Menschenschlag. Das, was die Menschen von Winter von allen anderen unterscheidet, ist ihr Geschlecht – sie sind Neutren. Nur einmal im Monat, in der sogenannten Kemmer, bilden sie ein Geschlecht aus. Das ist je nach Situation entweder männlich oder weiblich. Den Rest des Monats haben sie keinelrei Geschlechtsmerkmale und empfinden keine sexuellen Gefühle. Menschen, die dauerhaft ein Geschlecht ausgebildet haben, sind eher selten und gelten als pervers. Damit und mit seiner außerirdischen Herkunft hat Genly den Status eines Sonderlings, und die Herrscher*innen wissen nicht so recht, wie sie mit ihm verfahren sollen. Estraven, Berater*in der König*in des Köngreichs Karhide, will dem Außsenseiter helfen, weckt aber durch undurchsichtiges Verhalten Genlys Misstrauen. Schließlich wird Estraven verbannt und Genly muss ebenfalls um sein Leben fürchten. Er flieht aus Karhide und landet im technisch hoch entwickelten Nachbarland Orgoreyn, das extrem bürokratisch organisiert und als Überwachungsstaat aufgebaut ist. Trotz anfänglicher Sympathie wird Genly schließlich in ein Arbeitslager gesteckt, in dem er sterben soll. Man befürchtet, dass das System durch Genlys Existenz ausgehebelt werden könnte. Ausgerechnet Estraven rettet ihn und beide wagen eine lebensgefährliche Wanderung über das ewige Eis. Sie wollen eine Funkstation erreichen, von der aus Genly sein Raumschiff kontaktieren kann.
Wie benennt man Neutren? Gendergerechte Sprache
Der o.g. Roman erschien erstmals 1969 und gehört zum Hainish-Zyklus der Autorin. Die Hainish waren die ursprünglichen Menschen, die z.T. genetische Experimente auf verschiedenen Welten betrieben haben. Im Roman vermutet Genly Ai, dass auch an den Menschen von Winter Experimente betrieben worden sind. Der Roman ist einer der ersten feministischen SF-Romane und wohl der bekannteste, der das Thema Androgynität behandelt. Er entfaltet sich für die Leser*innen sehr langsam. Vieles wird vorausgesetzt oder erst recht spät erklärt, sodass man erst einmal im Trüben fischt, v.a. wenn man die anderen Romane des Zyklus nicht kennt. Trotzdem schafft es die Autorin die Leser*innen bei der Stange zu halten, weil man die Fragen, die sich auftun, beantwortet haben will und sie schließlich auch beantwortet bekommt. Außerdem will man wissen, wie es mit Genly und Estraven weitergeht und ob die Welt doch noch der Ökumene beitritt.
Die Autorin entfaltet konsequent eine Welt der Neutren, die für permanent geschlechtliche Wesen nur schwer nachzuvollziehen ist. Das fängt schon mit der Benennung an: Genly Ai bleibt durchgehend bei der vermeintlich neutralen männlichen Form, weil es eine adäquate für ein Neutrum nicht gibt. Er gibt aber auch zu, dass diese männliche Benennung unzutreffend und verfälscht ist, denn durch die Benennung sieht man die Neutren irgendwann tatsächlich eher männlich. Damit ist Ursula K. Le Guin hochaktuell, denn die Diskussion, ob das vermeintlich neutrale männliche grammatische Geschlecht die Frauen, die Hermaphroditen usw. mit einschließt, besteht bis heute. Im Roman wird die Antwort gegeben: Die männliche Form ist männlich und beileibe nicht neutral (s. 132). Das empfinde ich ebenso
Mit der angeblich neutralen männlichen Form werden die Männer und Jungen herausgehoben und alle anderen unsichtbar gemacht. Ich fühle mich definitiv in der männlichen Form nicht miteingeschlossen und bin aufgelebt, als Theologe Lothar Beck in seinen Büchern durchgehend die weibliche Form als Hauptform verwendet hat. Oder wie geht es Ihnen, wenn Sie folgendes lesen: Mehrere Ärzte bemühen sich um das Leben eines Patienten, der lebensgefährlich erkrankt ist. Einer der Ärzte ist im siebten Monat schwanger, ein anderer hat gerade seine Periode. Der Patient leidet an Brustkrebs. Im Roman heißt es: “Der König war schwanger.” (s. 139) Das finden die Gethenianer aus anderen Gründen komisch als der männliche Genly Ai. Anderes Beispiel mit den Schwierigkeiten einer korrekten Benennung im Roman: “Meine Zimmerwirtin, ein überaus wortreicher Mann” (S. 71).
Um die gendergerechte Schreibweise, die vielen als umständlich und unnötig gilt, noch weiter zu untermauern: Manche Hermaphroditen sind froh für das Sternchen zwischen der männlichen und weiblichen Form, weil dieses Sternchen sie endlich sichtbar macht! Und noch ein Argument: Am Anfang stehen die Gedanken. Und aus Gedanken folgen oft Taten, sowohl positive als auch negative. Ändert man das Denken, besteht eine große Chance, Taten zu ändern. In der Schrift und im Gesprochenen werden Gedanken sichtbar gemacht. Natürlich liegt noch vieles im Argen, was die Emanzipation nicht nur der Frauen anbelangt und sollte angepackt werden. Dabei aber die Wichtigkeit des Geschriebenen und Gesprochenen zu bagatellisieren, halte ich für falsch. Der Roman konfrontiert die Leser*innen somit konsequent mit der nicht akuraten männlich gehaltenen Schriftsprache, die permanent das Gefühl einer Schieflage vermittelt, zumal die Neutren oft anders handeln als das Personen mit permanentem (und männlichem) Geschlecht gewohnt sind.
Herrschaftssysteme
Der Roman stellt unter der Voraussetzung der menschlichen Neutren zwei Herrschaftssysteme vor, die beide nicht funktionieren: Monarchie und Überwachungsstaat. Die Monarchie krankt unter der Unfähigkeit von Herrscher*innen und einer starren Tradition. Der Überwachungsstaat erinnert an frühere und heutige Diktaturen und deren Systeme. Orgoreyn überwacht seine Bevölkerung bis in die kleinsten Einheiten. Der Staat ist über alles und jede*n informiert. Dieser Überwachung entkommt niemand, denn sie ist bis ins Detail ausgetüftelt und organisiert. Passt man sich dem Staat und seinen Gepflogenheiten an, hat man keine Probleme. Tut man das nicht, gibt es die Arbeitslager, die missliebige Personen zur Zwangsarbeit heranziehen und dabei sterben lassen. Genly landet in einem dieser Lager. Die Kinder werden den Eltern schon früh weggenommen und wachsen unter staatlicher Kontrolle und Beeinflussung auf.
In Karhide regiert ein*e unzurechungsfähige*r König*in. Diese*r wird als verrückt betitelt. In den Startlöchern steht ein*e Nachfolger*in, die nur die eigenen Interessen im Kopf hat. Die starre Tradition mit ihrem komplizierten Ehrenkodex verhindert Entfaltung, Verbesserung und Individualität. Estraven hofft, mit der Eingliederung von Winter in die Ökumene eine Verbesserung der Lebensverhältnisse auf dem Planeten zu erreichen. Krieg gibt es auf Winter zwar nicht – das ist nach Genly Ai eher eine männliche Verhaltensweise – aber es gibt Folter, Blutrache, Mord, Fehden und andere unschöne Dinge.
Roman in Form von Berichten
Der Roman wird in der Ich-Form erzählt und wechselt zwischen den Berichten Genly Ais und Estravens Tagebucheintragungen ab. Bei Genlys Berichten sieht man nach und nach, dass die distanzierte Sichtweise schwindet und einer Sichtweise Platz macht, in der er sich mehr und mehr als Teil dieser Welt sieht. Das gipfelt darin, dass ihm seine eigenen Landsleute, die permanent weiblich oder männlich sind, fremd und unnatürlich vorkommen, als er sie wiedersieht. Das impliziert folgenden Gedanken: Der Mensch gewöhnt sich an alles – im Guten wie im Schlechten. Im Guten bedeutet das, dass Verbesserungen, die noch nicht als solche gesehen und bekämpft werden, irgendwann zur Gewohnheit und damit angenommen werden könnten.
Fazit
Tiefsinniger “Was wäre, wenn?”-SF-Roman von der Autorin von “Erdsee”, der sich der Frage widmet, wie eine Welt mit androgynen Menschen aussehen würde.
Mutige Seelen: Planen wir unsere Lebensaufgabe bereits vor der Geburt?
Vorgeburtliche Lebensplanung
Unfälle, Tod, schwere Krankheiten, Behinderungen, Drogen, Alkohol – es gibt viele Menschen, die von diesen Dingen mittelbar oder unmittelbar betroffen sind. Autor Robert Schwartz untersucht, ob diese Leiden reiner Zufall, sinnlos oder gar gottgebene Strafen sind. Anhand von mehreren beispielhaften Fällen zeigt er auf, dass diese Leiden seiner Ansicht nach Sinn haben. Eine dieser Menschen ist die schwarzhäutige Penelope, die taub zur Welt kam und darunter litt. Aber sie hat sich als junge Frau zum Ziel gesetzt, anderen Gehörlosen zu helfen, indem sie Gebärdensprache unterrichtet. John ist schwul und an AIDS erkrankt. Er wuchs in einer Gegend auf, die nicht nur diese Krankheit ächtet, sondern auch ethnische Minderheiten und Homosexuelle. Er leidet unter der Verachtung und Geringschätzung. Sharon ist Mutter eines drogenabhängigen Sohnes. Als ihr Sohn nach einer Überdosis im Sterben lag, schwor sie sich, anderen zu helfen, wenn er überlebt. Valerie verlor schon früh Sohn und Geliebten. Sie ertränkte ihren Kummer in der ersten Zeit in Alkohol und fragte sich, warum alles so schwer sein muss. Christina erlitt schwere Verletzungen durch eine Briefbombe. Aber anstatt aufzugeben, schlug sie einen neuen Lebensweg ein: Sie wurde Logopädin und half damit vielen Menschen.
Robert Schwartz hat in Gegenwart von Christina und den anderen “Gebeutelten” Medien zum schweren Schicksal dieser Menschen befragt und herausgefunden, dass fast alle ihren Lebensweg als Seele vor ihrer Geburt geplant hatten, um in ihrem Leben eine Entwicklung zu einem besseren Menschen zu durchlaufen und um Karma abzutragen. Er ist nach den Sitzungen mit den Medien und durch ein paar seiner Gesprächspartner*innen, die hellwahrnehmend sind, zu der Auffassung gelangt, dass Seelen inkarnieren, um Erfahrungen zu sammeln und sich durch diese Erfahrungen weiterzuentwickeln. Meist scheint die Seele durch Gegensätze zu lernen. Da sie z.B. im Jenseits keine negativen Gefühle empfinden kann, wird sie im irdischen Leben mit Hass konfrontiert, um den Wert der Liebe, der in der geistigen Welt selbstvertändlich ist, kennen- und schätzen zu lernen. Sie erfährt dieses Gefühl durch das Gegenteil davon viel tiefer und in all seinen Aspekten.
Lernen von Liebe, Selbstwert, usw. durch die Erfahrung des Gegenteils
Das Buch ist sehr gut verständlich und flüssig geschrieben. Schwartz erklärt in den ersten Kapietln, wie er arbeitet und was man unter vorgeburtlicher Planung versteht. Dann umreißt er in den einzelnen Kapiteln die Lebensunstände seiner Interviewpartner*innen und gibt recht ausführlich die Sitzungen mit den Medien wieder, in der die Gründe für die Schicksalsschläge erläutert werden. Diese rühren oft von früheren Leben her, dienen aber insgesamt der Weiterentwicklung der Seele und deren Seelengruppe.
Schwartz versucht klar zu machen, warum sich Seelen für schwierige Lebenssituationen entscheiden. Oft gelingt ihm das auch, aber manchmal habe ich mich als Leserin gefragt, wie Grund A zu Schwierigkeit B führen konnte, da mir der Grund nicht plausibel genug erschien. Ich habe nach dieser Lektüre auch den Verdacht, dass die Seelen womöglich aufgrund des Fehlens der Negativität gar nicht wissen, worauf sie sich da einlassen (und von ihren Seelenbegleiter*innen oft auch gewarnt werden), und dann in ihrem Leben in der unmittelbaren Erfahrung einen Schock erleben. Trotzdem scheint das Wissen, dass sie alles selbst geplant haben, dazu beizutragen, mit ihrem Schicksal Frieden zu schließen und einen besseren Lebensweg einzuschlagen. Manche dieser Interviewpartner*innen sind auch selbst hellwahrnehmend begabt, sodass sie schon vorher wussten, dass sie sich ihr Schicksal ausgesucht hatten.
Mir persönlich stellt sich trotz aller Versuche, das Schicksal als gewollt und Grausamkeiten als Akte der Liebe zu erklären, die Frage, ob es nicht auch andere, genauso effektive Wege gibt zu lernen als nur der Leidensweg. Es mag für viele eine ausreichende Erklärung sein, aber ich habe nach der Lektüre noch mehr Fragen als vorher.
Eine kurze Geschichte von sieben Morden
Blutrünstiger Karibik-Thriller
Der jamaikanische Schriftsteller Marlon James hat mit «Eine kurze Geschichte von sieben Morden» einen Roman um den Mordanschlag von 1976 auf Bob Marley geschrieben, den bekanntesten Vertreter des Reggae auf der karibischen Insel. Für dieses bisher erfolgreichste Werk des Autors erhielt er den hoch angesehenen britischen Booker-Prize. Der dickleibige Roman wurde hierzulande jedoch nicht annähernd so euphorisch aufgenommen wie im englischsprachigen Raum. Zu Recht?
Das Buch ist in fünf Teile gegliedert, die jeweils mit dem Datum des Tages überschrieben sind, von dem da erzählt wird, was zeitlich eine Spanne von 1976 bis 1991 umfasst. Die einzelnen Kapitel wiederum sind mit den Namen derjenigen Romanfigur überschrieben, aus deren Perspektive über das Geschehen berichtet wird. Mit 76 Figuren, die anfangs als handelnde Personen übersichtlich nach Ort, Zeit und Funktion aufgelistet sind, entsteht so ein polyphoner Chor unterschiedlichster Stimmen. Da finden sich Politiker, unter ihnen sogar ein toter, der gleich zu Beginn spricht und dann immer wieder mal auftaucht, ferner Journalisten, CIA-Leute, Polizisten, Gang-Mitglieder und ihre Dons, Dealer und Junkies, Gangster aller Couleur. Auffällig ist der bescheidene Anteil von nur zehn Frauen, unter ihnen eine Drogenbaronin des Medellin-Kartells, Filiale Miami. Hier wird also aus Macho-Perspektive erzählt, die Frauen fungieren nur als Beiwerk im Roman dieses offen homosexuell lebenden Autors. Im Mittelpunkt stehen die sieben auf den «Sänger», wie Marley im Roman genannt wird, angesetzten Auftragskiller. Deren fiktive Schicksale bilden, über mehr als fünfzehn Jahre hinweg, den narrativen Hintergrund für ein breit angelegtes Panorama der jamaikanischen Gesellschaft jener Zeit. Ort der Handlung sind die Slums der Hauptstadt Kingston, ein Milieu unglaublich roher Gewalt, in dem sich alles um Drogen dreht. In diesen kriminellen Sumpf sind die korrupten Politiker wie selbstverständlich ebenfalls tief mit eingebunden. Damit schildert Marlon James die Schattenseite einer lebensfrohen, karibischen Idylle, für die Bob Marley als Reggae-Lichtgestalt die passende Begleitmusik geliefert hat.
«Wenn es nicht so war, dann war es ähnlich» lautet ein jamaikanisches Sprichwort, das der Autor seinem Roman vorangestellt hat. Und so schildert er denn auch in einer Episode, die den Buchtitel geliefert hat, die Nöte eines Journalisten, der für den «New Yorker» eine Artikelserie unter dem Titel «Eine kurze Geschichte von sieben Morden» schreibt. Dabei geht es um ein Massaker im Drogenmilieu, dessen Auslöser die grobe Beleidigung eines Gangsterbosses war. Der rächt sich auf seine Art, und dabei gerät der Journalist nun selbst auch in Visier von dessen Killern. Der historische Teil dieses Mix aus Realem und Fiktion basiert auf der Marley-Biographie von Timothy White, die frei erfundenen Ergänzungen der Fakten zeugen von einer ungebremsten Fabulierlust des Autors. Der lässt sein Figuren-Ensemble, unter ihnen ein Dutzend Ich-Erzähler, munter drauf los palavern vom ewigen Kampf rivalisierender Drogensyndikate.
Und das geschieht in einem wahrhaft babylonischen Sprachgewirr aus breitestem Slang, dem inseltypischen Patois, ferner Ganovensprache, mundartliche Einschübe, Versform, salbungsvolle Pastorensprache sowie als Bewusstseins-Strom angelegte, alle Schreib-Konventionen missachtende Phantastereien. Triebfeder des Plots sind die pausenlosen Gewaltexzesse, welche hier geradezu sadistisch in einer Intensität und Unmittelbarkeit vor dem Leser ausgebreitet werden, die starke Nerven voraussetzt. Von Leuten, die das Original gelesen haben, wird übereinstimmend beanstandet, dass die sprachliche Geschmeidigkeit in der von nicht weniger als fünf Übersetzern übertragenen deutschen Version verloren gegangen sei. Größtes Manko aber ist die grotesk ausufernde Geschichte selbst, die sich dann auch rasch abnutzt, so dass dieser blutrünstige Karibik-Thriller schon bald nur noch langweilig ist.
Fazit: mäßig
Meine Website: http://ortaia.de
Erinnerungen an den Himmel – Was Kinder aus der Zeit vor ihrer Geburt berichten
Jenseits, frühere Leben, Wiedergeburt – Kinder äußern spontan verblüffende Erinnerungen
“Meine Mutter hatte zwei Fehlgeburten, bevor meine Schwester geboren wurde. Als meine Schwester drei Jahre alt war, erzählte sie Mama, dass sie sich daran erinnern könne, mit ihren beiden anderen Schwestern gespielt zu haben, und dass sie traurig sei, nicht mit ihnen hier auf Erden spielen zu können, weil es ‘lustig’ mit ihnen gewesen sei. Sie versicherte Mama auch, dass sie wirklich glücklich dort oben seien!” (Zitat aus dem Buch)
“Kindermund tut Wahrheit kund”, heißt ein altes Sprichwort. Kinder sagen unbedarft das, was sie gerade denken und fühlen. Das kann für Erwachsene durchaus die ein oder andere peinliche Situation bedeuten (Eltern wissen, was ich meine), dafür sind aber von sich aus gegebene Liebesbekundungen von Kindern echt. Und warum sollten dann nicht auch kindliche Erinnerungen an den “Himmel” (sprich: das Jenseits) echt sein? Der mittlerweile verstorbene amerikanische Psychologe Wayne W. Dyer und seine Assistentin Dee Garnes haben aufgrund von eigenen Erfahrungen mit ihren Kindern tausende Erfahrungsberichte von Eltern und deren Kindern aus der ganzen Welt zusammengetragen und eine Auswahl dieser Berichte (die als Zitate wiedergegeben werden) im vorliegenden Buch veröffentlicht.
Das Buch ist unterteilt in folgende Themen: Einleitungen der beiden Autor*innen mit den Erfahrungsberichten der eigenen Kinder, Erinnerungen an den Himmel, Erinnerungen an frühere Leben, Erinnerungen an die Auswahl der Eltern, Erinnerungen an familiäre Wiedergeburt und Rollentausch, Erinnerungen an spirituelle Verbindungen zu unserem Ursprung, Mystische Weisheit und vorausahnendes Wissen, Unsichtbare Freunde und spirituelle Besucher, Engel-Geschichten, Nachwort. Die Kapitelunterteilung macht Sinn, sodass man sich auch die Kapitel aussuchen kann, die man zuerst lesen möchte.
Mit den sehr gut lesbaren und interessanten Erfahrungsberichten einher geht die Bitte der Autor*innen, Kindern nicht sofort den Mund zu verbieten oder ihre Aussagen unwirsch als Quatsch abzutun, wenn sie denn solche Erwachsenen gegenüber machen. Sie empfehlen eine neutrale Herangehensweise oder interessierte Fragen; generell Offenheit. Die Aussagen von Kindern über Jenseits und Wiedergeburt kommen meist völlig überraschend, überrumpeln damit oft und können mitunter sogar schockierend sein, wenn sie z.B. Dinge über verstorbene Familienmitglieder wissen, obwohl sie diese nicht gekannt haben. Ich persönlich kenne solche Aussagen ebenfalls, z.B. aus dem Kindergarten. Ich habe die Kinder dann reden lassen.
Natürlich ist das alles Glaubenssache. Ich persönlich bin skeptisch allem Spirituellen und Religiösen gegenüber. Aber angesichts der Ähnlichkeit von Nahtoderfahrungen, Rückführungen, Erfahrungen über Kontakte normaler Menschen mit Verstorbenen und spontanen Aussagen von Kindern, die auch gut dokumentiert wurden von Elisabeth Kübler-Ross, Ian Stevenson u.a., sowie dem Wiedergeburtsglauben der Weltreligionen (auch der monotheistischen, wenn auch nicht in der jeweiligen Hauptströmung, die sich oft brutal gegen die anderen durchgesetzt hat), scheint es mir die Variante zu sein, die am plausibelsten klingt. Deshalb tue ich das auch nicht als Quatsch ab, sondern verfolge interessiert alles, was es zu dem Thema gibt, und mache mir mein eigenes Bild.
Fazit
Wie alles ist auch das, was in diesem Buch steht, Glaubenssache. Aber angesichts der Ähnlichkeit der Aussagen zu Nahtoderfahrungen, spontanen Erinnerungen von Kindern, Rückführungen, Erlebnissen normaler Menschen mit Verstorbenen u.ä., sowie der großen Anzahl an Religionen mit Glauben an die Wiedergeburt ist das Ganze durchaus überdenkenswert. In diesem Buch jedenfalls werden die zitierten Erfahrungsberichte von Eltern aus aller Welt über ihre Kinder zu diesem Thema gut verständlich und interessant dargeboten und ähneln denen anderer Bücher.
Aphorismen und Gedankenblitze
Ecce homo
Als einflussreichster Autor der Aufklärung gehört Voltaire mit seinem riesigen Œuvre in allen drei literarischen Disziplinen der Epik, Lyrik und Dramatik zu den meistgelesenen französischen Schriftstellern eines Jahrhunderts, das man nach ihm als «Siècle de Voltaire» bezeichnet hat. Er war ein streitbarer Philosoph, dessen Werke sich an die Oberschicht und das Bildungsbürgertum in ganz Europa richteten, in deren Kreisen die französische Sprache zu beherrschen geradezu selbstverständlich war. Seine Kritik, mit der er ein führender Wegbereiter der Französischen Revolution wurde, galt den offensichtlichen Missständen des Feudalismus ebenso wie dem dünkelhaften Anspruch des katholischen Klerus auf Besitz der absoluten Wahrheit. Dabei hat er es wie kein Zweiter verstanden, sich seiner zeitgenössischen Leserschaft durch klare Gedankengänge verständlich und durch köstlichen Witz und beißende Ironie gewogen zu machen. Voltaire wurde 83 Jahre alt, verweigerte aber auf dem Sterbebett die Letzte Ölung, ein Unsinn, der ihn anwidere: «Es erscheint mir höchst lächerlich, sich ölen zu lassen, ehe man in die andere Welt eingeht. Es ist so, wie wenn man die Achsen seines Wagens vor einer Reise schmieren lässt.»
Es gibt kaum einen Bereich des Lebens, den Voltaire unkommentiert lässt in dieser von Laurenz Wiedner liebevoll zusammengestellten und herausgegebenen, dem riesigen Gesamtwerk mit über 700 Texten entnommen Sammlung. Auf 166 Seiten finden sich hier alphabetisch nach Stichworten sortiert nicht nur «Aphorismen und Gedankenblitze», sondern auch Zitate aus seinen Werken, allen voran aus seiner Roman-Parodie «Candide», eine philosophische Erzählung, in der er die Genres Abenteuerroman, Reiseroman und Liebesroman in satirischer Weise auf die Schippe nimmt. Oft parodiert er aber auch ziemlich sarkastisch seine persönlichen Gegner oder macht sich recht ungeniert über andere Schriftsteller und Philosophen lustig. So sagte er zum Dichter Jean Baptiste Rousseau, der ihm seine «Ode an die Nachwelt» vorgelesen hatte: «Es ist fraglich, ob dieses Werk an seine Adresse gelangen wird».
Seine oft beißende Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Missständen ist nie belehrend, ihre Wirkung entsteht durch die von ihm offengelegten inneren Widersprüche aus sich selbst heraus. Deutlich erkennbar gilt sein Respekt den großen Denkern der Antike, außerdem aber auch so manchem schreibenden Zeitgenossen und anderen Geistesgrößen der Aufklärung, allerdings ohne dass er deren eventuelle Irrwege und Widersprüche unkommentiert lässt. Besonders François de La Rochefoucauld mit seiner These von der alles bestimmenden Eigenliebe nötigt ihm höchsten Respekt ab. Gleiches gilt für Michel de Montaigne, der uns durch die unbefangene Betrachtung seines Ichs ein stimmiges Bild des Menschenwesens geschenkt habe, wie Voltaire schreibt.
«Der Mensch ist zu allem fähig. Nero weinte, als er das Todesurteil eines Verbrechers unterschrieb, er spielte Komödie und ermordete seine Mutter» heißt es unter der von Nietzsche der Bibel entnommenen Überschrift «Ecce homo», – das ist der Mensch! Die Prägnanz von Voltaires Prosa ist besonders verblüffend in seinen kurzen Definitionen: «Geld ist der Gott, dem die Christen, Juden und alle anderen Menschen gleich eifrig dienen». Oder: «Freundschaft ist die Ehe der Seele». Und ein schönes Bild ist auch dies: «Das Leben ist ein Schiffbruch, rette sich wer kann!» Auf den Leser dieser Sammlung warten viele ebenso vergnügte wie nachdenklich machende Begegnungen mit den oft verblüffenden Gedankengängen eines der größten Denker des 18ten Jahrhunderts, dessen klugen Reflexionen nachzuspüren viel Freude bereitet, auch wenn uns manches davon heute überholt zu sein scheint.
Fazit: lesenswert
Meine Website: http://ortaia.de
Dictator
Robert Harris lässt die Tage der untergehenden Republik lebendig werden, spannend wie ein Actionthriller, Cicero im Zentrum der Ereignisse. Und wir erleben, wie die politischen Institutionen eine nach der anderen zusammenstürzen.
Auch wenn Rom eine Adelsrepublik war, sie war eine Republik, in der die Gewalt geteilt war. Das sorgte dafür, dass niemand zuviel Macht bekam, dass Kompromisse geschlossen werden mussten.
Mit den Bürgerkriegen stürzte dieses System nach und nach zusammen. Und Cäsar war der große Totengräber, der die alleinige Macht an sich riss.
Wie ihm das gelang, das erleben wir im Buch. Und die Methoden ähneln denen unserer heutigen Populisten, egal ob rechts oder links. Den Plebs aufhetzen, die alten Institutionen lächerlich machen und zerstören, Menschen mit anderer Meinung verteufeln. Ihnen die Würde nehmen.
So ist ein bestürzend aktuelles Buch entstanden, spannend bis zur letzten Seite, das mich ratlos zurücklässt. Stehen wir heute in einer ähnlichen Entwicklung? Nur dass der Hass nicht auf dem Forum, sondern im Internet geschürt wird? Von Leuten, die keinerlei Hemmungen haben?
Das Buch ist Unterhaltung im besten Sinne, ich habe viel über den Untergang der römischen Republik gelernt und lange darüber nachgedacht. Eines der wenigen Bücher, die man so schnell nicht wieder vergisst.
Was vom Tage übrig blieb
Ungelebtes Leben
«Was vom Tage übrig blieb» ist der berühmteste Roman des britischen Schriftstellers Kazuo Ishiguro, er erhielt 1989 dafür den Booker Prize, das Buch wurde vier Jahre später verfilmt. Auf der 2015 erschienenen BBC-Liste der hundert bedeutendsten britischen Romane rangiert dieser Roman auf Platz 18. Im vergangenen Jahr erhielt Ishiguro den Nobelpreis als ein Schriftsteller, «der in Romanen von starker emotionaler Wirkung den Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt aufgedeckt hat.» Der Abgrund ist hier die bittere Erkenntnis des Ich-Erzählers am Ende seiner glamourösen Karriere als Butler, dass er mit seinem Kadavergehorsam dem falschen Herrn gedient und in blinder Selbstverleugnung damit auch sein eigenes Leben vergeudet hat.
Dreißig Jahre lang hatte der Butler Stevens seinem Herrn Lord Darlington auf dessen Landsitz Darlington Hill treu ergeben gedient. Nach dessen Tod wurde der Besitz an den amerikanischen Millionär Farraday verkauft, der die hochherrschaftliche Bewirtschaftung mit ehemals fast dreißig Angestellten auf eine Hand voll Mitarbeiter reduziert hat, was zu kaum lösbaren Problemen für den Butler führt. Ein Brief der ehemaligen Haushälterin Miss Kenton lässt ihn hoffen, sie nach mehr als zwei Jahrzehnten zu einer Rückkehr bewegen zu können, um die gravierende personelle Lücke zu schließen. Auf Wunsch seines neuen Dienstherrn begibt er sich im Spätsommer des Jahres 1956 auf eine einwöchige Erholungsreise, bei der er auch die inzwischen verheiratete und sich auf das erste Enkelkind freuende Miss Kenton aufsuchen will.
Diese Reise bildet die erzählerische Klammer für die Geschichte eines Butlers, dessen ganzer Lebensinhalt das Dienen für seinen Herrn war. Privates musste dabei zurückstehen, schüchterne Annäherungsversuche von Miss Kenton wurden von ihm brüsk zurückgewiesen, ja er hat sie als solche nicht mal erkannt und blieb auf verletzender Distanz zu ihr. Sein Diensteifer ging so weit, dass er, als sein Vater während eines Dinners mit hochrangigen Gästen im Dienstbotenzimmer im Sterben lag, seinen Dienst nicht unterbrach, Miss Kenton musste dem Vater die Augen schließen, Stevens war unabkömmlich. In Rückblenden lässt Ishiguro seinen Protagonisten über seine Ideale vom perfekten Butler dozieren. Sein Held dröselt in epischer Breite das Berufsethos dieser typisch britischen Ausprägung eines Majordomus auf, als dessen wichtigste Eigenschaft er die Würde benennt, – die zu definieren sich dann aber doch als recht schwierig erweist. Aber er berichtet nicht nur über den devoten Charakter dieses Berufsstandes, sondern äußerst detailliert, – für meinen Geschmack deutlich zu detailliert -, auch über das nüchterne Arbeitsleben mit allen seinen wunderlichen Usancen und skurrilen Riten, bei denen das Silberputzen an erster Stelle zu stehen scheint. Darlington Hill ist Treffpunkt vieler Größen aus der Politik, die in zum Teil konspirativen Treffen mit Nazideutschland sympathisieren und nicht erkennen, dass sie einen Bund mit dem Teufel einzugehen im Begriff sind. Stevens aber vertraut seiner Lordschaft blindlings, lässt sich auch von Darlingtons jungem Verwandten nicht beirren in seinem Vertrauen auf die integren Motive seines Dienstherrn.
Dieser Butler ist als Ich-Erzähler geradezu der Prototyp narrativer Unzuverlässigkeit, jenes vor allem aus der Romantik bekannten Stilmittels, dessen sich Ishiguro hier äußerst souverän in einer nüchternen, disziplinierten Sprache bedient, – die Butlerwürde fungiert dabei als Rechtfertigung für mancherlei Täuschungen. Der Autor belässt seiner Figur trotz deren emotionaler Leere aber einen Rest von Menschlichkeit, deutet am Ende sogar, als Stevens bei Sonnenuntergang inmitten fröhlicher Menschen auf einer Bank am Meer sitzt, noch eine versöhnliche Perspektive an. Eine leise Hoffnung nämlich für das, «was vom Tage übrig blieb», für den Rest seines bis dato, – so weit ist Stevens Selbstbesinnung inzwischen gediehen -, ungelebten Lebens.
Fazit: erfreulich
Meine Website: http://ortaia.de
Forderung
Drei amerikanische Studenten stecken in der Scheiße. Sie wollten Jura studieren und stinkreiche Anwälte werden. Dies ist in den USA ohne finanzielle Mittel jedoch kaum zu verwirklichen, und so landen sie am unteren Ende der universitären Bestenliste an der privaten »Foggy Bottom Law School«, einem Institut niedrigsten Niveaus, dessen Ausbildung gerade gut genug ist, um als Assistent besser qualifizierter Anwälte ein mageres Auskommen fristen zu können. Keinesfalls reicht es, um die enormen Kredite abzuzahlen, die jeder von ihnen aufgenommen hat, weil er auf die bunten Hochglanzbroschüren der Hochschule, die allen Absolventen tolle Jobs mit satten Gehältern suggerierten, hereingefallen war. – Soweit die Ausgangssituation von John Grishams Roman »Forderung«. Weiterlesen
Bis zum letzten Tropfen
Lynn lebt in einer Welt, in der nichts mehr selbstverständlich ist. Auf einer einsamen Farm kämpft sie mit ihrer Mutter ums Überleben. Der einzige Luxus, der ihnen nach dem Zusammenbruch der Zivilisation geblieben ist ein Teich hinter dem Haus und damit der Zugang zu sauberem Trinkwasser. Doch als ihre Mutter verletzt wird, ahnt Lynn, dass sie den Teich allein nicht vor Eindringlingen schützen kann. Sie muss das Undenkbare tun: die sichere Farm verlassen und Hilfe holen.
Mal wieder ein Buch, bei dem der Klappentext doch ziemlich vom tatsächlichen Inhalt abweicht.
Lynn ist 16 Jahre alt und in einer Welt geboren und aufgewachsen, die schon vor längerer Zeit aus den Fugen geraten ist. Wann genau die Geschichte spielt, wird nicht erwähnt, aber ich vermute, um das Jahr 2050, jedenfalls in einer nicht allzu fernen Zukunft. Zuerst wurde das Öl knapp, es gab deshalb zwei Kriege, und dann fehlte das Trinkwasser.
Lynn hat im verlassenen Ohio nie etwas anderes kennengelernt als die alte Farm und hatte, bis auf ihre Mutter, nie Kontakt zu anderen Menschen. Ihre Mutter hat ihr alles Überlebensnotwendige, wie z.b Feuer machen, Gemüse anbauen und einkochen, Wasser reinigen und vor allem das Schießen beigebracht. Menschliche Werte, Mitgefühl oder Anteilnahme hat sie ihr allerdings nicht vermittelt.
Freizeit oder Spaß kennt das Mädchen nicht, denn das Leben ist hart und wenn sie nicht Feuerholz sammelt, Wasser reinigt oder sich um das Gemüse kümmert, dann hockt Lynn stundenlang mit dem Gewehr auf dem Dach, um den Teich vor durchreisenden Fremden zu verteidigen, die sie ohne zu zögern schon aus der Ferne erschießt.
Direkt am Anfang der Geschichte wird Lynns Mutter aber schwer verletzt und stirbt an ihren Verletzungen, so dass Lynn ganz alleine ist. Eher ungewollt kommt sie mit ihrem einzigen, entfernt wohnenden Nachbarn in Kontakt, freundet sich ganz langsam und vorsichtig ein wenig mit ihm an. Die beiden müssen feststellen, dass sich auch in ihrer unmittelbaren Umgebung ein paar andere Leute niedergelassen haben die eventuell zur Bedrohung werden könnten …
Im Gegensatz zum Klappentext verlässt Lynn die Farm nicht, fast die komplette Geschichte spielt sich eigentlich auf der Farm ab. Es geht in diesem Buch auch nicht um große Abenteuer oder Kämpfe, sondern eher um die kleinen Dinge. Es geht um ein isoliert aufgewachsenes Mädchen in einer zerfallenen Welt, das lernt, was Zusammenhalt, Mitgefühl und Freundschaft bedeuten. Eigentlich passiert in der kompletten Geschichte nicht allzu viel und ich denke, dass das Buch vielen deshalb auch langweilig sein könnte. Mir hat es aber sehr gut gefallen, man muss aber schon ein richtiger Endzeitfan sein, um es zu mögen. Die Geschichte ist mit Liebe und Herzblut geschrieben und man bekommt schnell eine enge Bindung zu den Figuren.
Gegen Ende nimmt die Geschichte dann zwar doch noch an Fahrt auf und es gibt ein bisschen Aktion, allerdings ist diese Aktion dann auch wieder recht schnell (etwas zu schnell) vorbei.
Gut fand ich dass es kein „Friede-Freude-Bratkartoffel“-Ende gibt, sondern dass die Geschichte schon ziemlich realistisch und nicht abgehoben endet.
Ein gutes Buch, das ich Endzeitfans auf jeden Fall empfehlen kann.
Mindy McGinnis lebt in Ohio und arbeitet in einer Bibliothek. Neben dem Schreiben sind ihre anderen Leidenschaften das Überleben in der Wildnis und das Einkochen von Konserven.
Monument 14 – Die Rettung (Band3)
Nachdem ein Tsunami die Ostküste der USA verwüstet hat, finden sich Dean und sein kleiner Bruder Alex in einer Welt wieder, in der nichts mehr ist, wie es einmal war. Gemeinsam mit anderen Jugendlichen gelingt es ihnen, sich in ein Flüchtlingslager in Kanada zu retten. Doch Zeit zum Atemholen bleibt ihnen nicht: Noch immer ist Josies Schicksal ungewiss, die sich nicht mit ihnen aus dem Herzen des Sturms retten konnte und dann spurlos verschwand. Und auch Astrid, Deans Freundin, schwebt in Gefahr: Da sie während des Chemieunfalls, der sich kurz nach der Naturkatastrophe ereignete, schwanger war, zeigt die Regierung nun ein beunruhigendes Interesse an ihr. Astrid fürchtet um ihr Kind und flieht aus dem Flüchtlingslager, begleitet von Dean. Doch sie ahnen nicht, was sie draußen erwartet…
Fast alle Kinder und Jugendliche haben es unter dramatischen Umständen zum Denver Airport geschafft und wurden nach Kanada ausgeflogen, wo sie nun unter akzeptablen Umständen in einem Flüchtlingslager untergebracht sind. Dort haben ein paar der Kinder sogar ihre Eltern wiedergefunden.
Allerdings herrschen nicht in allen Flüchtlingslagern solch akzeptable Bedingungen und in manchen Lagern der USA herrschen katastrophale Zustände die eher Hochsicherheitsgefängnisse für Schwerverbrecher oder sogar an Konzentrationslager erinnern.
Durch Zufall erfahren die Jugendlichen dass Josie in einem solchen Lager gelandet ist denn sie wurde bei der Flucht vom Rest der Gruppe getrennt. Natürlich gibt es jetzt für die Jugendlichen kein Halten mehr und sie wollen Josie dort raus holen. Vor allem ihr Anführer Niko will sofort aufbrechen denn Josie und Niko haben sich während der Flucht verliebt und sind mittlerweile ein Paar.
In einer ziemlich überstürzten Aktion verlassen Niko, Dean, Astrid und Jake das Lager und machen sich auf den langen Weg zu Josie.
Dass die hochschwangere Astrid die Jungs begleitet ist eigentlich nicht geplant aber Gerüchte darüber dass die Regierung Experimente an schwangeren Frauen durchführt die dem Giftgas ausgesetzt waren, treiben die Jungs dazu Astrid mit auf die Reise zu nehmen.
Diese Reise stellt sich aber als noch gefährlicher und anstrengender heraus als gedacht denn das Giftgas ist nicht völlig verschwunden. In manchen Bundesstaaten gibt es noch gefährliche Gaswehen, was die Regierung allerdings zu vertuschen versucht und natürlich sind das genau diese Bundesstaaten die die Jugendlichen auf dem Weg zu Josies Lager durchqueren müssen…
Im dritten und letzten Teil der Trilogie gibt nun die „Dean-Kapitel“, sowie auch die „Josie-Kapitel“, die jeweils aus der Ich-Erzählperspektive erzählt werden.
Obwohl die Josie-Kapitel aus dem grauenvollen Flüchtlingslager auch sehr spannend, interessant und heftig sind und auch die Dean-Kapitel sehr spannend bleiben, so muss ich doch sagen dass der dritte Band der schwächste der Trilogie ist.
Ich fand das Buch auch sehr gut und die komplette Trilogie extrem empfehlenswert, allerdings hat mich der dritte Band nicht so extrem gefesselt wie die ersten beiden Bände und das Ende fand ich auch etwas zu abrupt und ein bisschen zu schmalzig.
Alles in allem kann ich Endzeitfans diese Trilogie aber wirklich sehr ans Herz legen und auf jeden Fall extrem empfehlen.