Die Schönheitslinie

Verschwendete stilistische Schönheit

Mit seiner homosexuellen Thematik ist «Die Schönheitslinie» des englischen Schriftstellers Alan Hollinghurst der vierte und erfolgreichste seiner sechs allesamt in der Schwulenszene angesiedelten Romane, er bekam 2004 den Booker Prize. «Selten ist die Suche nach Liebe, Sex und Schönheit so exquisit in Romanform gegossen worden», hat die Jury ihre Wahl begründet. Schon im Jahre 2006 wurde das Buch von der BBC verfilmt. In Umfragen des Senders von 2015 unter britischen Kritikern zählte er zu den größten literarischen Werken des Jahrhunderts und zu den 100 bedeutendsten britischen Romanen überhaupt.

Erzählt wird die Geschichte des zwanzigjährigen Nick Guest, ein brillanter Literatur-Wissenschaftler aus einfachen Verhältnissen, der bei den wohlhabenden Eltern seines Kommilitonen und besten Freundes Toby ein Zimmer im vornehmen Londoner Stadtteil Notting Hill bekommt. Er wird im Haushalt des Tory-Abgeordneten Fedden, dem Ambitionen auf ein Ministeramt nachgesagt werden, wie ein Familienmitglied freundlichst aufgenommen. Nick revanchiert sich, indem er sich um die manisch-depressive Tochter Catherine kümmert, die neunzehnjährige Schwester von Toby. Die in drei Teile für die Jahre 1983, 1986 und 1987 gegliederte Geschichte, einer Zeit also, als der Thatcherismus in voller Blüte stand, schildert aus der Perspektive von Nick detailliert die Verhältnisse in der Upper Class der britischen Gesellschaft. Ein zweites Themenfeld ist die sich abzeichnende homosexuelle Orientierung, die den Romanhelden trotz der Bedrohung durch Aids in ihren Bann zieht. Eine erste Kontaktanzeige beschert ihm gleich zu Beginn des Romans erstmals einen «Arschfick» mit einem wunderschönen Schwarzen. Man schämt sich als Rezensent, hier so unverblümt und abstoßend zu zitieren. Der Roman selbst allerdings ist da noch wesentlich deutlicher und walzt das Thema völlig ungeniert und in sämtlichen Details vor dem Leser aus. Für Heteros mag das ein hinreichender Grund sein, von einer weiteren Lektüre abzusehen, deswegen der Hinweis!

Die ebenfalls vorhandene und dominante, gesellschafts-kritische Ebene des Romans allerdings bietet mit vielen intellektuellen Charakteren einen bereichernden Einblick in die kultivierte Oberschicht des Inselstaates. Stilistisch elegant offenbart der stark von Henry James geprägte Autor menschliche Schwächen und moralische Abgründe seines umfangreichen, für den Leser oft kaum auseinander zu haltenden Figuren-Ensembles, deckt latente Klassen-Unterschiede auf und beleuchtet die politischen Ränkespiele um Macht und Ansehen. Nicks Aufstieg in die Upper Class macht ihn zum eitlen Dandy, sein Weg nach oben ist als Gesellschaftsroman ein Sittenporträt der Thatcher-Ära. Er ist gleichermaßen aber auch der klassische Entwicklungs-Roman eines kosmopolitisch geprägten Emporkömmlings, der es weit bringen will und sich selbstbewusst einen Platz in der Londoner Highsociety sichert. Das geht so weit, dass er auf einer Party wie selbstverständlich die Eiserne Lady zum Tanz auffordert. Als Ästhet verachtet er allerdings die Stillosigkeit, mit der Vulgarität und moralische Heuchelei die Oberhand gewonnen haben bei den Torys. Die unter der pompösen, glatt polierten Oberfläche aufgebauten Spannungen entladen sich, als die Karrierepläne des Tory-Abgeordneten Fedden nicht zuletzt wegen Nick einen gehörigen Dämpfer erhalten.

In diesem aus schwuler Sicht erzählten, unverkennbar ironisch gefärbten Roman feiert die titelgebende Schönheit vor allem als makellose, vor Geist sprühende, fein geschliffene Sprache wahre Triumphe. Die Kunst des englischen Understatements verhindert hier zudem ein allzu drastisches Ende, der plötzliche Umbruch wird distanziert beschrieben und äußerst diskret zu einem unaufgeregten Ende geführt. Das wäre allerdings schon einige hundert Seiten vorher sinnvoll gewesen, der dürftige Erzählstoff ist viel zu breit ausgewalzt, die stilistische Schönheit wurde hier an einen eher dürftigen Stoff verschwendet.

Fazit: mäßig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Heyne München

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