Einfach genial
«Vor dem Sturm», als «Roman aus dem Winter 1812 auf 13» bezeichnet, das Opus magnum von Theodor Fontane, ist eine vierbändige Geschichte über den Beginn der preußischen Befreiungskriege nach dem gescheiterten Russlandfeldzug Napoleons. Der Autor schildert in seinem 1878 erschienenen Debüt-Roman die historischen Ereignisse in hunderten von separaten Erzählungen. Zentrum der Handlung ist das fiktive Schloss Hohen-Vietz im Oderbruch, im dritten Band auch Berlin. Zentrale Figuren sind die Mitglieder der Adelsfamilien Vitzewitz-Pudagla und Ladalinski. Als unangefochtener Großmeister des Plaudertons entwickelt Fontane ein breit angelegtes Panorama verschiedenster gesellschaftlicher Schichten und ihrer Eigenarten in einer fast durchgängig indirekten Erzählform. Er lässt nämlich sein vielköpfiges Figuren-Ensemble in unzähligen Gesprächsrunden, ergänzend auch in vielen Briefen, zu Wort kommen, um die Geschehnisse und ihre kulturellen Hintergründe zu erzählen.
Der Roman beginnt an Heilig Abend 1812 auf Schloss Hohen-Vietz, den der verwitwete Bernd von Vitzewitz mit Tochter Renate und Sohn Lewin, der Erzieherin ‹Tante› Schorlemmer, einer Herrnhuterin, sowie diversen Gästen gemeinsam begehen. Der Schlossherr sieht im Rückzug der geschlagenen französischen Armee die militärische Chance, endlich die demütigende Besetzung Preußens abzuschütteln. Unermüdlich wirbt er in Gesprächen für seine Idee eines Volkssturms, der die Franzosen aus dem Lande jagt. Nach langem Hin und Her entsteht dann tatsächlich eine örtliche Volkswehr, um mit Hilfe der nachrückenden Russen die in der Festung Küstrin stationierte französische Garnison aufzulösen.
Jeweils angelehnt an dieses narrative Gerüst werden die vielen Geschichten von Adligen, Militärs, Amtspersonen, Pastoren, Bauern, Dienstpersonal und zwielichtigen Gestalten fontanetypisch, also überaus anschaulich erzählt. Trotz der Fülle von Figuren behält man als Leser jederzeit den Überblick, weil der Autor seine durchweg sympathischen Charaktere derart stimmig beschreibt, dass man viele von ihnen schon bald persönlich zu kennen glaubt. Natürlich ist auch die Liebe ein Thema in diesem Roman, wobei das zeitbedingt verschämte Sich-nicht-erklären, aber auch Standesdünkel für allerlei Tragik sorgen. Köstlich sind die ständigen Dispute mit der bigotten Herrnhuterin, deren naiver Frömmigkeit weder der Pastor noch der Schlossherr gewachsen sind. Tante Amalie, die Gräfin Pudagla, verwitwete Schwester des Alten von Vitzewitz und Herrin auf Schloss Guse, bereichert die Gespräche in ständigen französischen Einsprengseln mit ihren Erlebnissen am Berliner Hofe. Aber auch Hoppenmarieken, eine verkrüppelte Alte mit angeblich übersinnlichen Fähigkeiten, spielt letztendlich eine entscheidende Rolle in dem vielfältigen Geschehen, in dem auch der Tod seinen Platz hat.
Zum Thema «Was soll ein Roman» hat sich Fontane schriftlich geäußert: «Er soll uns, unter Vermeidung alles Übertriebenen und Hässlichen, eine Geschichte erzählen, an die wir glauben. Er soll zu unserer Phantasie und zu unserem Herzen sprechen, Anregungen geben, ohne aufzuregen; er soll uns eine Welt der Fiktion auf Augenblicke als eine Welt der Wirklichkeit erscheinen, soll uns weinen und lachen, hoffen und fürchten, am Schluss aber empfinden lassen, teils unter lieben und angenehmen, teils unter charaktervollen und interessanten Menschen gelebt zu haben, deren Umgang uns schöne Stunden bereitete, uns förderte, klärte und belehrte». Im letzten Kapitel überrascht dann das Tagebuch der ins Kloster gegangen Renate, die darin kurz den Fortgang der Familiengeschichte skizziert. Und im letzten Absatz schließlich steht der Autor in persona auf einem Grabstein des Friedhofs und blickt auf die Kloster-Ruinen, eine raffinierte, dreifach verschachtelte Fiktion. «Im Scheiden erst,» schreibt er zum Schluss, «las ich den Namen, der auf dem Steine stand: Renate von Vitzewitz». Dieser kontemplative, extrem vielschichtige Roman ist einfach genial!
Fazit: erstklassig
Meine Website: http://ortaia.de
Lymphsystem – das unbekannte Wegenetz

Mit dem Geschenk Der Akazienkavalier: Von Menschen und Gärten von Ulla Lachauer konnte ich zuerst nicht viel anfangen— wo gibt es noch Kavaliere und dann mit Akazien? Aber ich las doch los, und gleich die kurze Geschichte vom Akazienkavalier, hatte sie doch dem Buch den Namen gegeben, obwohl sie im Buch die elfte (von fast zwanzig) war.
Femininer Western

Der parfümierte Mann. „(…) Man hat keine Zeit und keine Kraft mehr für die Zeremonien, für die Verbindlichkeit mit Umwegen, für allen Esprit der Unterhaltung und überhaupt für alles Otium“ bemängelt Friedrich Nietzsche in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“. Vielleicht sollte man sich gerade in Zeiten wie diesen wieder dieses Otiums bewusst werden und bewusster das Odor wahrnehmen, das einen umgibt. Denn auch wenn der Geruchsinn (lat.: odoratus) zu den „nachgereihten Sinnen“ des Menschen gehört, wie Divjak nun – 138 Jahre nach Nietzsche – bemängelt, seien Düfte doch wie Tagebücher. Erinnerungen, die bleiben. Für immer.
Eine Entmystifizierung
Dies ist ein kleines Büchlein (200 Seiten), aber es hat es in sich: Die Klimakrise wird nicht erst beschrieben, es geht darum, welches Wirtschaftssystem nötig wäre, um sie aufzuhalten. Wir sind eingeladen, mitzudenken. Am Ende jeden Kapitels stehen weitergehende Gedanken zum Gesagten, wie ein Abspann.
“Das eine wenigstens lernte ich bei meinem Experimente: Wenn jemand vertrauensvoll in der Richtung seiner Träume vorwärts schreitet und danach strebt, das Leben, das er sich einbildete, zu leben, so wird er Erfolge haben, von denen er sich in gewöhnlichen Stunden nichts träumen ließ.”
The WHITE ALBUM The Beatles „Whatever else it is or isn’t, it is the best album they have ever released, and only The Beatles are capable of making a better one. You are either hip or you ain’t. In short it ist he new Beatles record and it fulfils all our expectations of it“. So launisch kommentierte der Rolling Stone das Unikum „White Album“. Es war der 22. November 1968. Das einzige Doppelalbum der Beatles erscheint. Es ist ihr erstes und letztes. Und voller versteckter Botschaften.