Alle unsere Gestern

Beten hilft nicht

Zu den frühen Werken der italienischen Schriftstellerin Natalia Ginzburg gehört «Alle unsere Gestern», ihr dritter Roman. Mit «Tutti i nostri ieri», wie er im Original heißt, hatte sie 1952 ihre literarische Kariere eingeleitet, seither zählt sie zu den Großen ihrer Zunft in Italien. Dem Buch vorangestellt hat sie ein Motto aus dem ‹Macbeth› von William Shakespeare, auf das sich auch der Buchtitel bezieht: «All of our yesterdays have lighted fools the way to dusty death». Ein resignatives Zitat aus dem Monolog des lebensmüden Tyrannen nach dem Tod seiner Frau, das man sinngemäß mit ‹Alle unsere Gestern haben Narren den Weg geleuchtet zum schmutzigen Tod› übersetzen kann. Es passt optimal zur düsteren Thematik dieses Romans, der das wechselvolle Leben einer italienischen Familie vor und im Zweiten Weltkrieg beschreibt. Dabei sind autobiografische Bezüge unverkennbar. Die auch politisch stark engagierte Grande Dame der italienischen Literatur wurde 1940 selbst in ein Dorf in den Abruzzen verbannt, das dem Handlungsort im zweiten Teil ihres Romans ähnelt.

Diese Geschichte einer Familie, die mit engen Freunden als Nachbarn in der Nähe von Turin wohnt, erzählt aus der Zeit des Faschismus. Dem Vater der heranwachsenden Kinder Anna, Concettina, Giustino und Ippolito gehört eine Seifenfabrik, die Familie lebt komfortabel in großbürgerlichen Verhältnissen. Weil er partout nicht einverstanden ist mit dem Faschismus und dem sich abzeichnenden Kriegseintritt Italiens, schreibt der Patriarch schon seit Jahren verbissen an einem Buch, mit dem er die tyrannischen neuen Machthaber entlarven will. In einem Anfall von Weitsicht verbrennt er schließlich aber sein Manuskript und stirbt dann, kurz vor dem von ihm befürchteten Kriegseintritt Italiens. Zur Familie gehört als Haushälterin auch Tante Maria, bei der als Faktotum alle familiären Fäden zusammenlaufen. Die älteste Schwester Concettina nimmt, nach all den vielen Verlobten, die sie schon hatte, ein opportunistisches ‹Schwarzhemd› als Mann. Über ihrem Ehebett hänge jetzt bestimmt ein Bild von Mussolini, wird gelästert. Ihre Brüder und viele der Freunde betätigen sich derweilen als Verschwörer im antifaschistischen Untergrund, einige landen sogar im Gefängnis.

Heimliche Heldin des Romans aber ist die eher unscheinbare, stille Anna, die als sechzehnjährige Schülerin von einem älteren Mitschüler schwanger wird, weil sie mit ihm «in die Büsche gegangen ist». Der 48jähriger Cenzo Rena, ein alter Freund der Familie, der ihr spontan seine Unterstützung bei der geplanten Abtreibung angeboten hat, macht ihr dann aber überraschend einen Antrag. Der erste Teil des Romans endet mit der Heirat Annas, sie folgt ihrem so deutlich älteren Mann in sein abgelegenes Bergdorf. Dort erweist sich, im zweiten Teil, Annas charismatischer Ehemann als absolut dominante Figur in seinem Dorf. Er kennt jeden, hat nicht zuletzt auch durch sein Geld großen Einfluss, alle sind ihm gewogen, vom einfachen Bauern bis zum Carabiniere und Bürgermeister. Im Privaten zeigt er sich als liebevoller Vater des nicht von ihm gezeugten Kindes. Als der Krieg schließlich das Dorf erreicht und mit ihm das Chaos, hilft ihm seine Weltgewandtheit, er spricht fließend Deutsch und Englisch.

Natalia Ginzburg hat in ihrer melancholischen Chronik des italienischen Alltagslebens im frühen 20. Jahrhundert dessen Auf und Ab in vielerlei Aspekten beleuchtet. Sie berichtet sensibel vom Schrecken ebenso wie von der puren Daseinsfreude. Ihre Figuren müssen sich am Leben abarbeiten und gehen nicht selten gestärkt aus den vielen Zumutungen hervor. «Beten hilft nicht», hatte der Patriarch früher immer gesagt, «wenn es einen Gott gibt, dann weiß er schon, was zu tun ist». Lakonisch, in einer geradezu minimalistischen Sprache, erzählt sie ihre Geschichte und legt damit Zeugnis ab von dieser unseligen historischen Epoche. Allein durch ihre unbedarft wirkende, den Figuren angepasste Sprache gibt es dabei auch viel zu Schmunzeln.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
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