Drei Tage bei meiner Mutter

Intelligente Unterhaltung

Der in französischer Sprache schreibende belgische Schriftsteller François Weyergans hat für seinen letzten Roman «Drei Tage bei meiner Mutter» 2005 den Prix Goncourt erhalten. Er hat sich selbst mal als Cineasten bezeichnet, der keine Filme dreht. «Ich ziehe den Roman als Ausdrucksmittel vor. Er ist genauer, subtiler und reichhaltiger als ein Film». Kennzeichnend für seinen Stil ist die Selbstironie, mit der er sich virtuos als Alter Ego seiner Protagonisten in den Mittelpunkt stellt.

Als Ich-Erzähler leidet der Schriftsteller François Weyergraf an einer totalen Schreib-Blockade, für die er immer wieder neue Ausreden findet. Zu vieles lenkt ihn ständig ab, er kann seinen Roman, dessen Titel «Drei Tage bei meiner Mutter» von Anfang an feststand, einfach nicht fertig schreiben. Der Verleger sitzt ihm im Nacken, das Buch ist schon lange angekündigt, seine Stammleser warten ungeduldig darauf. Außerdem wird er wegen seiner aufgelaufenen Steuerschulden auch noch vom Finanzamt bedrängt, eine Zwangsvollstreckung droht. Er ist in einer misslichen Lage, weil er sich nicht mehr aufs Schreiben konzentrieren kann. Der Sechzigjährige flüchtet sich regelrecht in Erinnerungen, seine Gedanken drehen sich ständig um sein ereignisreiches Leben. «Du machst aller Welt angst» wirft ihm Delphine vor, die Frau, mit der er seit dreißig Jahren zusammen ist, sie haben zwei erwachsene Töchter. Er hat immerhin fünf Filme gedreht und zehn Romane veröffentlicht, ist hoch angesehen und mit vielen Größen aus Literatur und Kunst befreundet. «Du solltest veröffentlichen. Die Leute werden glauben, du bist tot» mahnt ihn auch seine hochbetagte Mutter, die er viel zu selten besucht. Sie erscheint als die eigentliche Heldin des Romans, eine sehr selbstbewusste Frau bis in hohe Alter hinein, die außer François noch sechs Töchter geboren hat. Auch seine Schwestern aber trifft er eher selten.

Die Selbstreflexionen des an seiner Schreibhemmung leidenden Protagonisten beschäftigen sich intensiv mit seiner literarischen Tätigkeit, er hat sich neben seinen epischen Werken auch mit Biografien und Essays über Literatur einen Namen gemacht. Auch mit Musikern, Malern und anderen Künstler tauscht er sich gedanklich aus, er ist gut vernetzt und als intellektueller Kopf weithin bekannt. Das prägende Thema seiner permanenten Rückbesinnung aber sind in Wirklichkeit die Frauen, er ist ein Womanizer durch und durch. Glaubt man seinem machohaften Geprahle, fallen ihm die Frauen zu wie die reifen Äpfel vom Baume. Sex also spielt die entscheidende Rolle in seinem Leben. Er legt die Frauen meist schon beim ersten Treffen flach, es gibt dementsprechend so manche deftige Szene in diesem Roman. Eine seiner spontanen Gespielinnen fasst ihr Verhältnis sehr treffend in die Worte: «Was wir miteinander haben, ist keine Liebesgeschichte, es ist eine Fickgeschichte». Das im Buchtitel suggerierte Thema ‹Mutter› ist in der Tat eher nebensächlich dagegen. Als typischer Neurotiker erinnert François stark an Woody Allen, er hat seine diversen Spleens, die er regelrecht zu kultivieren scheint.

Das Vexierspiel dieses zweifach verschachtelten Romans, in dem ein gewisser François Weyergraf über die Entstehung seines Romans berichtet, der von einem an Schreibhemmung leidenden Schriftsteller namens Francois Weyerstein handelt, ist weder neu noch originell. Die ständigen Rücksprünge und das thematische Mäandern des Erzählstoffs gemahnen an Konfuzius. «Der Weg ist das Ziel» lautet also die Devise, und tatsächlich sind die Tage bei der Mutter ganz am Schluss dann schon beinahe nebensächlich. Man kann dieses Resümee eines Lebens als Sinnfrage eines in der Midlife-Crisis steckenden Schriftstellers interpretieren. Er drückt hier sein lähmendes Entsetzen aus über das Vergehen der Zeit, ähnlich wie Marcel Proust es so grandios zu seinem Thema gemacht hat. Mit seiner üppigen Intertextualität bietet dieser amüsante Roman intelligente Unterhaltung, – nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by DuMont

Daheim

Artifizielle Unbehaustheit

Sieben Jahre nach dem Erstling ist kürzlich unter dem Titel «Daheim» der zweite Roman von Judith Hermann erschienen. Die für ihre Kurzgeschichten hoch gelobte Schriftstellerin erzählt hier von einer Frau, die alles hinter sich lassend von der Stadt in die Einsamkeit Nordfrieslands zieht. Auf die Interview-Frage, was ‹Daheim› denn eigentlich sei, hat die Autorin geantwortet: «Ein utopistischer, märchenhafter Ort», das Wort tauche übrigens im Text nur ein einziges Mal auf, fügte sie noch hinzu.

Die namenlose, 47jährige Ich-Erzählerin erinnert sich im Rückblick an ihre dreißig Jahre zurückliegende Begegnung mit einem Zauberer. An der Tankstelle wurde sie von einem älteren Herrn angesprochen, der sie als Assistentin für seine Show mit der zersägten Jungfrau auf einem Kreuzfahrtschiff nach Singapur engagieren wollte. Aber sie hatte sich damals anders entschieden, hat Otis geheiratet, eine Tochter bekommen und sich, nachdem Ann das Elternhaus verlassen hat, von ihrem Mann getrennt. Nun lebt sie einsam in einem kleinen Haus an der Küste gleich hinterm Deich, kellnert bei ihrem Bruder in einer schäbigen Touristen-Kaschemme und versucht, in der Fremde heimisch zu werden. Ihre Tochter, die mit ihrem Freund irgendwohin unterwegs ist, meldet sich nur ganz selten mal per Skype und sagt nicht von wo. Mit ihrem Ex-Mann tauscht sie sich ab und zu brieflich aus. Allmählich freundet sie sich mit ihrer burschikosen Nachbarin Mimi an, der ehemaligen Freundin ihres Bruders. Der lebt jetzt mit der vierzig Jahre jüngeren, chaotischen Nike zusammen. Auf dem benachbarten Bauernhof betreibt Mimis wortkarger, eigenbrötlerischer Bruder Arild eine Schweinezucht, die Beiden haben schon bald ‹unverbindlich› Sex miteinander.

Von einer Handlung kann man eigentlich kaum sprechen in diesem Roman, der von psychotischen Sonderlingen bevölkert ist, die als typische Einzelgänger kontaktarm und emotional verkümmert neben einander her leben. Der lebensuntüchtige, aber angeberische Bruder der Erzählerin ist Kneipier geworden, seine Mesalliance mit Nike endet tragisch. Der Ex-Mann ist ein Musterexemplar von einem Messi, der in seinem angesammelten Müll zu ersticken droht. Arild lebt geradezu asketisch allein auf dem von seinen Eltern übernommen Bauernhof, in einer schon fast pathologisch peniblen Ordnung und Sauberkeit. Gemeinsam sind dem ambivalenten Figuren-Ensemble die Versagensängste und ihre verschiedenartig ausgeprägte Unbehaustheit. Die verhaltensgestörte Nike wurde von der Mutter oft tagelang in eine Kiste eingesperrt, ein Leitmotiv dieses Romans. Es findet sich in der Kiste des Zauberers, aber auch in einer Marderfalle wieder, die Arild aufstellt, als es nachts im Dachgestühl der Erzählerin andauernd rumort. Sie und ihr Bruder hatten als Kinder keinen Wohnungs-Schlüssel und mussten im Treppenhaus warten, bis die alleinerziehende Mutter nach Hause kam, manchmal bis zum frühen Morgen.

Leere und Fülle, Nähe und Distanz sind die bestimmenden Pole dieses erzählerischen Kosmos. Sprachlich suggeriert die für Judith Hermann symptomatische Parataxe zusammen mit den spröden Dialogen ein Bild unbedingter Realität, Seelisches wie Emotionen, Träume, Leidenschaften und Lebensfreude haben da partout keinen Platz. Die als Handlungsort gewählte, karge Landschaft ‹hinterm Deich› betont diese Intention wirkungsvoll. Auch Klimawandel und Massentierhaltung werden am Rande thematisiert in diesem Roman. Vieles aber bleibt offen, wird nur angedeutet und der Fantasie des Lesers überlassen, so auch der kryptische Schluss. Ein Effekt dieses artifiziellen Stils ist zudem, dass man schon wenige Tage später kaum noch weiß, worum es denn überhaupt ging in diesem Buch, es hinterlässt keine Bilder, die sich eingeprägt hätten, und keine Figuren, die einem ans Herz gewachsen wären. Dieser Roman dürfte für viele Leser eine herbe Enttäuschung sein, sie werden das Buch am Ende erleichtert zur Seite legen, wenn sie denn überhaupt so lange durchgehalten haben!

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
Illustrated by Fischer Verlag

Erzählende Seelen – Die therapeutische Rückführung (Fallgeschichten)

https://www.xine.de/wp-content/uploads/2014/02/Cover-Erz.Seelen-Teil-1-220x300.jpgBeruf und Berufung

In einem gelungenen Mix und plausibler Verzahnung aus eigenem Lebenslauf, Tipps, Weitergabe von eigenen Erfahrungen und ihren Fallgeschichten erzählt die Autorin, wie sie zu ihrem jetzigen Beruf kam. Dabei ist ihr maximale Transparenz wichtig, was man als Leser*in durchweg in dem Buch spüren kann.

Früher als erfolgreiche Unternehmerin in der Textilbranche tätig führte sie eine Wendung des Schicksals  in Form eines  in einem Kosmetiksalon aufgestellten Buddhas zu ihrer jetzigen Tätigkeit als Heilpraktikerin für Psychotherapie und daraus resultierend als Autorin. Sie erzählt anschaulich von ihrer ersten eigenen Rückführung in ein früheres Leben, verzahnt das mit ihrem heutigen Wissen über gelungene und individuell an Klient*innen orientierte Rückführungen, schildert dabei auch die Fallen, in die man als Klient*in geraten kann und wie man diese vermeidet. Sie verhehlt nicht, dass auch eine Berufung nicht immer geradlinig und ohne Hindernisse verläuft. Dazu zitiert sie ein altes, chinesisches Sprichwort, das da lautet: “Umwege erhöhen die Ortskenntnis”. Der Erfahrungsschatz ist durch diese Umwege durchaus gewachsen und kommt laut Buch ihrer Arbeit zugute.

Des Weiteren schildert sie ihre Aus- und Weiterbildungen, u.a. nach Michael Newton, sodass sie neben Rückführungen in frühere Leben auch LBL-Reisen anbieten kann: Reisen in die geistige Welt bzw. das Jenseits, die heilende Wirkungen haben und Hinweise zur Lösung von Problemen geben können. Sie erzählt insgesamt sehr ausführlich über ihre Erfahrungen und unterfüttert diese mit ihren (anonymisierten) Fallbeispielen, um den Leser*innen ein detailliertes Bild von ihrem Beruf zu vermitteln. Sie betont auch ihren Wunsch, dass es für ihren Beruf eine anerkannte Ausbildung geben sollte, um Scharlatanerie vorzubeugen. Ihrem eigenen Anspruch, Sachinformationen spannend an die Frau oder den Mann zu bringen, wird sie hierbei gerecht, denn das Buch ist nicht nur informativ, sondern auch kurzweilig. Allerdings ist der Titel evtl. etwas irreführend, weil die Fallgeschichten nicht das Hauptthema des Buches sind, sondern in ihren Erfahrungsbericht eingebaut werden.

Sehr sympathisch gerade für Kritiker*innen dürfte folgende Einstellung der Autorin sein: “Ich habe nichts mit Esoterik am Hut. Ich bezeichne mich selbst als spirituelle Exoterikerin. Esoteriker neigen dazu, nichts zu hinterfragen […]. Natürlich ist es gut, auf sein Herz und/oder die Seele zu hören, aber es ist auch immer gut, wenn man sich noch eine 2. Meinung einholen kann. In dem Falle vom Verstand.” Deshalb darf der Verstand auch immer mit auf Reisen gehen und wird bei ihr ernstgenommen. Die Hypnose ist auch so angelegt, dass die Klient*innen sie jederzeit verlassen können.

Der Verstand fragt oft hinterher, ob man sich das alles nicht bloß aus den Fingern gesaugt hat. Hierzu meint die Autorin: “Jeder Mensch mit einem gesunden Verstand fragt sich das nach seiner RF. Das ist ganz normal und auch gut so. Ich finde es immer wichtig, dass meine Klienten alles (selbst)kritisch betrachten und auch dazu in der Lage sind. Das ist etwas, was Esoterikern bspw. komplett abhandengekommen ist, wie ich finde. Und in diesem Falle drehen wir den Spieß dann auch um und holen uns eine 2. Meinung vom Bauchgefühl oder dem Herz […] Es sind letztendlich aber immer die mit einer RF verbundenen Emotionen, die den Klienten darin bestärken, sich nicht bloß alles aus den Fingern gesaugt zu haben.”

Überhaupt ist es ihr wichtig, Fragen in dem Buch zu beantworten, die mit ihrer Arbeit zusammenhängen, z.B. Fragen darüber, was passiert, wenn man in ein traumatisches früheres Leben eintaucht. Oder was passiert, wenn heutige Kindheitserfahrungen alles andere als positiv waren. Diese Fragen und auch die dazu gehörigen Fallbeispiele sind der Grund dafür, dass sie eine Ausbildung als Heilpraktikerin in Psychotherapie gemacht hat, um ihren Klient*innen mit diesem Handwerkszeug besser zur Seite stehen zu können. Sie empfiehlt ebenfalls, sich professionelle Hilfe zu suchen, wenn man an psychischen Krankheiten leidet.

Das vorliegende Buch vom Schirner-Verlag allerdings weist sehr viele Tippfehler auf. Diese seien aber in ihrem E-Book nicht mehr vorhanden, versichert Weitzels. Das sei einer der Gründe gewesen, warum sie die Rechte an ihrem Buch zurückgekauft habe und es jetzt selbst anbietet.

Selbstrückführungen mithilfe von CDs

https://www.xine.de/wp-content/uploads/2020/05/Deine-Seele-erz%C3%A4hlt-R%C3%BCckf%C3%BChrungs-CD-von-Kristine-Weitzels.jpghttps://www.xine.de/wp-content/uploads/2021/01/Deine-Seele-erzahlt-Ruckfuhrungs-CD-in-die-geistige-Welt-von-Kristine-Weitzels.jpg

Nach dem erfolgreichen Verkauf ihres o.g. Buches kam ihr die Idee, CDs zur Selbstrückführung anzubieten. In mittlerweile 6. Auflage ist die CD “Deine Seele erzählt – Eine Anleitung zur Selbstrückführung” 2020 erschienen, 2021 die CD “Deine Seele erzählt Teil 2 – Eine Anleitung zur Selbstrückführung in die geistige Welt”. Dazu gibt sie auf ihrer Webseite, deren Internetadresse auch in ihren CDs zu finden ist, eine ausführliche Anleitung und Beratung; sie kommentiert auch Rückmeldungen zu ihren CDs. Ihr ist es wichtig, dass die Selbstrückführungen sicher sind, weshalb sie Ausstiegsmöglichkeiten und Möglichkeiten zum Überstehen von unangenehmen Situationen eingebaut hat. “Das A und O einer jeden RF, egal ob geführt oder mit CD, ist immer, dass man dabei ein gutes Gefühl hat.” Die Anleitung hat sie allerdings aus Kostengründen nicht in die Booklets der CDs integriert.

Wie im Buch beschrieben, ist es ihr bei Rückführungen wichtig, dass die Wahrnehmungen, die die Klient*innen durch die Tranceinduktionen erhalten, nicht verfälscht werden. So legt sie Wert auf offene und neutrale Formulierungen. Das ist auch in ihren CDs so. Ein Beispiel: Wenn man an sich herabsieht und sein Äußeres in einem früheren Leben beschreiben soll, verwendet sie nicht den Begriff “Schuhe” – schließlich ist es nicht abwegig, dass man damals gar kein Schuhwerk an den Füßen hatte. Außerdem nehmen nicht alle Klient*innen visuell wahr, sondern viele mit anderen Sinnen bzw. bei vielen sind die Antworten auch ohne Sehen einfach da. Deshalb verwendet sie nicht den Begiff “sehen”, sondern “wahrnehmen”.

Da ich die CDs persönlich ausprobiert habe, kann ich zumindest für mich sagen, dass sie funktionieren. Die Stimme der Autorin ist angenehm, die Pausen soweit in Ordnung (diese kann sie nur pauschal setzen, weil sie die Hörer*innen ja nicht persönlich vor sich hat). Unangenehme Situationen erlebt man aus der Distanz. Bei der Rückführung in ein früheres Leben kam ich tatsächlich in ein solches – als Mann. Das allein würde schon das ein oder andere erklären. Das Erleben war zudem emotional mit Körperreaktionen. Bei der 2. CD war ich emotional nicht ganz so beteiligt. Aber das Gefühl hinterher war ein gutes und ich empfand mich als etwas mehr mit mir im Frieden als vorher. Meine Freundin hat die erste CD ausprobiert, kam aber nicht weit, weil die Tanceinduktion für sie so entspannend war, dass sie dabei einschlief – und das, obwohl sie Schlafstörungen hat.

Die CDs gehören nicht zum Buch; man kann sie einzeln erwerben. Sie sind für je knapp 20 Euro günstig – v.a. wenn man sich die Preise anschaut, die eine “normale” Rückführung kostet.

 

Fazit

Das Buch ist informativ und spannend geschrieben, wobei der Fokus aber entgegen des Titels auf dem Werdegang der Autorin liegt. Die Fallbeispiele sind in diesen Werdegang eingebaut. Da Kristine Weitzels nicht als Esoterikerin bezeichnet werden will, ist ihr ausdrücklich der Verstand als 2. Meinung wichtig, sodass sie Kritiker*innen verstehen kann und es sogar begrüßt, wenn sie nachfragen.

Die CDs funktionieren zumindest für mich; ich kann hier aber auch nur für mich sprechen. Die Stimme der Autorin ist angenehm und sie achtet tatsächlich auf größtmögliche Sicherheit in einer Situation, in der sie die Hörer*innen nicht persönlich begleiten kann.


Genre: Sachbuch
Illustrated by Schirner Verlag

LTB Sonderedition 2021 “Film ab!” Film 1

Lustiges Taschenbuch Sonderedition Film Nr. 01

Entnet, Park der Monster, Kampf der Piraten

“Der legendäre Huntron”: Goofy verschlägt es nach einem Stromschlag ins Entnet. Dort geht er mit Mickybyt, einem Antivirusprogramm der neuen Generation, gegen die Virusprogramme von Verbrecherorganisationen vor.

“Die große Reise”: Micky und Donald reisen wegen der dringenden die Bitte eines hasenfüßigen Zauberers in die magische Mittelwelt, in der sie einen Drachen vertreiben sollen.

“Der verschwundene Regisseur”: Micky und seine Freund*innen spielen in den Filmen von Alfred Mitchcock mit. Am Tag der Filmvorstellung ist der bekannte Regisseur allerdings verschwunden. Micky und die anderen machen sich auf die Suche nach Hinweisen.

“Kampf der Piraten”: Daniel Düsentrieb hat einen flüchtigen Stoff namens Belebdvidum erfunden. Der soll den Mars wieder in seinen fruchtbaren Urzustand zurückversetzen, damit Onkel Dagobert aus dem Planeten Kapital schlagen kann. Aber die Rakete mit dem Belebdvidum stürzt ab und landet im späten 17. Jahrhundert. Die Ducks wollen durch die Zeit reisen, um den kostbaren Stoff zurückzuholen. Daisy geht durch Donalds Verschulden versehentlich vorzeitig auf Zeitreise und endet als Piratin, die sich an ihre Vergangenheit als Daisy Duck nicht mehr erinnern kann. Schaffen es die Ducks, sowohl Daisy als auch das Belebdvidum zu retten?

“Der Park der Monster”: Dagobert Duck hat eine neue Geschäftsidee, die er seinem Neffen Donald vorstellt. Er hat einen Monsterpark mit lebensechten Roboter-Monstern kreiert, die die Besucher*innen das Gruseln lehren sollen. Aber bei der Besichtigung des Parks spielen die Monster verrückt.

Vergnügliche Anspielungen auf bekannte Filmklassiker

10 Abenteuer bietet der erste Band der Sonderedition, davon sind die Hälfte deutsche Erstveröffentlichungen. 4 Bände der Sonderedition werden insgesamt veröffentlicht. Die Geschichten selbst sind von der Thematik her abwechslungsreich: Western, Piraten, PC, Historienfilme, Aliens sorgen für immer neue Spannung. Natürlich gibt es auch Anspielungen auf Filmklassiker wie z.B. auf “Piraten der Karibik” (ebenfalls Walt-Disney-Produktion), Westernklassiker, Jurassic Park, Der Hobbit u.a., die aber wie meist nicht 1:1 übernommen, sondern amüsant und mit neuen Blickwinkeln versehen durch den Entenhausener Fleischwolf gedreht werden.

Insgesamt eine gelungene, kurzweilige Unterhaltung für Groß und Klein.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa

Der Prozess

Jahrhundertwerk

Aus dem «nächtlichen Gekritzel» von Franz Kafka sind drei unvollendete Romane hervorgegangen, einer davon ist «Der Prozess». Anfang 1915 hatte er notiert «Ich kann nicht mehr weiter schreiben» und die Arbeit resigniert abgebrochen. Nach dem frühen Tod des Autors hat der von ihm eingesetzte Nachlaßverwalter, sein Freund Max Brod, 1925 das unvollendete Manuskript posthum veröffentlicht, gegen Kafkas ausdrücklichen Willen. Mit diesem Vertrauensbruch hat er der Literatur jedoch einen nicht hoch genug einzuschätzenden Dienst erwiesen. Im Nachwort zur Erstausgabe hatte Brod angemerkt, dem publizierten Roman fehle nichts Wesentliches. Das inzwischen längst kanonische Werk erlangte im deutschen Sprachraum aber erst in den fünfziger Jahren seine bis heute andauernde Bedeutung, sein Autor gehört zu den weltweit meistgelesenen Schriftstellern in deutscher Sprache.

«Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet». Bereits im ersten Satz dieses Romans ist vieles von dem enthalten, was seine bedrückende Thematik ausmacht. Der Prokurist einer Bank erhält am Morgen seines dreißigsten Geburtstags Besuch zweiter Männer, die ihm erklären, dass er verhaftet sei. Er sieht sich plötzlich in den Fängen einer ominösen Gerichtsbarkeit, die nur in einer Schattenwelt zu existieren scheint, kann aber weiter seiner Arbeit nachgehen. Während der gesamten Prozessdauer, und damit während des gesamten Romans, erfährt Josef K. nicht, wessen er beschuldigt wird. In einem surrealen Szenarium wird er dann sonntags ohne Zeitangabe telefonisch zu einer ersten Untersuchung geladen, die im Dachboden einer schäbigen Mietskaserne stattfindet. Nach einem unergiebigen Palaver verlässt er mit der unbestimmten Ladung zu einer weiteren Untersuchung diese skurrile Sitzung. Mit allen Mitteln versucht er nun, mehr über das rätselhafte Gericht zu erfahren. Als sein Onkel von dem Verfahren erfährt, bringt er ihn zu einem Advokaten, der in seiner Angelegenheit tätig werden soll. Dessen Hausmädchen macht ihm eindeutige Avancen und bietet sich ihm zudem als Informantin an. Von einem anderen Klienten mit langjähriger Erfahrung bekommt er wichtige Hinweise, ein «Gerichtsmaler» will ihm ebenfalls zur Seite stehen mit seinen Kenntnissen der Gerichts-Interna, und die Frau eines Gerichtsdieners schließlich ist ihm ebenfalls gewogen und will helfen. Trotz aller Bemühungen aber gelingt es ihm nicht, irgendeinen Zugang zu diesem äußerst merkwürdigen Gericht zu finden oder auch nur einen Hinweis über den Stand seines Verfahrens zu erhalten. Zuletzt stellt sich ihm ein Geistlicher im Dom als Gefängniskaplan vor, der von seinem Prozess weiß und ihn über seine hoffnungslose Situation mit Hilfe einer Parabel aufzuklären versucht. In der kann Josef K. allerdings keine Parallelen zu seinem Fall erkennen.

Die verstörende Problematik des Romans lässt vielerlei Deutungen zu, Kafkas absurde Geschichte beschäftigte diverse Interpreten, die sich intensiv damit auseinandersetzten und verschiedenste Erklärungsmuster zu erkennen glaubten. Besonders einleuchtend als Intention ist die harsche Kritik an einer unmenschlichen, die Freiheitsrechte missachtenden Bürokratie. Leitmotivisch wird dementsprechend in diesem Roman das Bett verwendet als Rückzugsort vieler der Figuren, aber auch Türen spielen als behütende Barriere häufig eine wichtige Rolle.

Kafkas absurde Geschichte wird in nüchterner Sprache aus der Perspektive des Protagonisten in der dritten Person erzählt. Diese durchgängige Sachlichkeit gibt dem absurden Geschehen einen täuschend realen Anstrich, dem Leser wird somit das Mysteriöse, Unerklärliche als Tatsache suggeriert. Eine derart rätselhaft bedrohliche Thematik wird heute allgemein als kafkaesk bezeichnet, ihr Schöpfer hat somit literarisch eine nach ihm benannte, eigene Form geschaffen. Für Fachleute zählt er unangefochten zu den Jahrhundert-Schriftstellern, sein Werk dürfte die Zeiten überdauern.

Fazit: erstklassig

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Genre: Roman
Illustrated by Anaconda

Identitti

Die erste Überraschung war, dass das Buch auf Deutsch geschrieben ist, mit vielen originellen Einschüben auf Englisch. Die Romanheldin Niveditha Anand ist in Essen aufgewachsen und studiert nun in Düsseldorf an der Heinrich Heine Universität „postcolonial studies“, bei Saraswati, einer indischen Professorin, ein TV-Promi, die von ihr angehimmelt wird. Die Sympathie wird erwidert, Niveditha fühlt sich endlich angenommen und verstanden. Als Tochter eines indischen Mathematikstudienrates und einer polnischen Sozialarbeiterin, die zwar in Deutschland aufgewachsen ist, war ihr das bisher nicht in den Schoß gefallen, zu oft fühlte sie sich fremd hier.

Sie lebt mit dem Smartphone in der Hand, denn sie hat einen Blog, Identitty, wo sie gerne Dinge postet, die sie bei Saraswati gelernt hat. Außerdem wird sie immer und überall begleitet von Kali, einer Göttin mit vielen Armen, die ihr Alter Ego ist, aber auch gerne mal den inneren Schweinehund gibt. Dann meldet sich noch die Kusine Prity, deren Eltern auch aus Indien kommen, die aber in England aufgewachsen ist, inzwischen studiert sie auch bei Saraswasti. Aber eigentlich glaubt sie bei jedem Ton ihres Smartphones, dass sich Simon zurückmeldet. Er hat sie nun schon zum dritten Mal verlassen. Als der Skandal losgeht, ist sie froh, dass sie Simon wenigstens für eine gewisse Zeit vergessen kann.

Der Skandal findet statt, nachdem sie vom Deutschlandfunk interviewt wird, natürlich zu Saraswati. Die Moderatorin fragt sie als Erstes, wo sie herkommt, und sie, die diese übliche Frage hasst, straft sie, indem sie sagt: „ich lebe im Internet“. Dann erklärt sie, was „Weißsein“ bei Saraswati bedeutet, und dass „jeder ernst zu nehmende Intellektuelle einen Shitstorm überstanden haben“ muss.

Und der kommt: Saraswati ist eine Deutsche aus Karlsruhe, die ihre Farbe gewechselt hat, mit verschiedenen Eingriffen, eine Op der Augenlider ist dabei und Sprachunterricht. Die Studenten fühlen sich betrogen, Niveditha eigentlich auch, aber sie steht zu Saraswati, erstmal will sie sie verstehen und zieht bei ihr ein, Prity kommt nach, denn in der gemeinsamen WG werden sie nun als Verräterinnen an der Schwarzen Sache gedisst. Es gibt sogar eine Demo, organisiert von Oluchi, die auch in der WG wohnt. Sie ist besonders entrüstet über Saraswatis Betrug. Obwohl, oder vielleicht gerade, weil sie eigentlich mal Nivedithas Freundin war (und auch mal was mit Simon hatte!), ist sie besonders scharfzüngig in ihren Blogbeiträgen, wo sie als Zadie@Outside Sisters auftritt. (Zadie von Zadie Smith und Outside Sisters ist eine Sammlung von feministischen Essays von Audrie Lorde.)

Im Internet sagen alle möglichen Menschen, viele von ihnen real-existierende Internet-Promis, Journalisten, Soziologen, Feministinnen, PoCs ihre Meinung dazu, etwa: Wenn man seine geschlechtliche Identität selbst bestimmen kann, warum nicht auch die Rasse?

Und das ist die zweite Überraschung, für mich als alte weiße Frau, dass viele der Beiträge in der Tat von mir bisher unbekannten Internet-Promis sind, im Nachwort klärt die Autorin darüber auf, wie viele sie angeschrieben hatte, die dann an diesem Buch mit ihrem Klarnamen beteiligt wurden.

Was ist so besonders an Saraswati? Sie kann zu allem, was angesprochen wird, etwas Schlaues sagen. Und sie hat immer das letzte Wort. Während wir viel über indische Mythologie lernen, etwa, dass Kali bei Bedarf auch das Geschlecht wechseln kann, gibt sich Saraswati eher als weiblichen Jesus, nimmt das Opfer der Schwarzwerdung auf sich, um den mühseligen und beladenen PoC Mut zu machen. So kann Narzissmus auch aussehen. Sie tut das, um ihre Schützlinge, „zum Leuchten zu bringen“, und es hat funktioniert, nicht nur bei Niveditha.

Nebenbei gibt es viel zu erfahren über die Geschichte des Rassismus, etwa wie unterschiedlich er sich in den USA oder Europa zeigt. Dazu ein Beispiel: Obama war kein Schwarzer, weil nur Sklaven Schwarz sein können, sein Vater aber Kenianer war. In der DNA seiner Mutter fand man dann einige Prozente Sklavenanteil, von einem John Paul, der im 17. Jahrhundert lebte. Und wir lernen, dass Rasse anders ist als race, und Rasse ein Konstrukt.

Dann habe ich beim Googeln einige dieser mir bisher unbekannten Menschen kennengelernt, weiß nun mehr über die heutigen Feministinnen, sie gaben mir wichtige Denkanstöße, allen voran die Autorin, Mithu Sanyal, der ich gerne zusehe beim Reden, da sie so schön eindringlich mit Händen und Armen spricht. Vor diesem Roman hatte sie Sachbücher zu den Themen Vulva und Vergewaltigung geschrieben.

Dies alles lerne ich als Alte zusammen mit den jungen Frauen, die Saraswati an den Lippen hängen, fühle mich woke und bin gefesselt von der Situationskomik und den überraschenden Dialogen.

Und wozu taugen Männer? Da wäre Nivedithas Vater, der nicht nachvollziehen konnte, wie sie sich vom alltäglichen Rassismus gekränkt fühlte, das sei „Sonnenscheinrassismus“ im Gegensatz zu dem, was er erlebt hatte. Von Typen wie Simon hält frau schon mal gar nichts, und dann ist da noch Saraswatis großer Bruder, der aber schwer zu verstehen ist.

Wozu auch, das Leben geht weiter, für die wieder vereinten WG-Frauen mit gemeinsamen Schauen einer Satire Show mit Shappy Khorsandy aus Großbrittanien. Over the rainbow geht es weiter: beyond-race statt trans-race. Für Saraswati war das Ganze nur ein Sprungbett, sie baut jetzt an einer Eliteuni einen Studiengang zu Whiteness Studies auf. Viel Erfolg!

Fazit: erhellend und amüsant


Genre: Liebesroman, Politische Romane
Illustrated by Carl Hanser München

Blue Flag 1-8
by Kaito

Bild 1 - Blue Flag 1 - 7 komplett Carlsen Manga - deutsch NEU

Schwierige Selbstfindung

Oberschüler Taichi ist klein, mäßig hübsch, wenig selbstbewusst und völlig verschusselt. Dementsprechend steinig verläuft sein Alltag. Dagegen ist sein Sandkastenfreund Thoma hübsch, groß, muskulös, sportlich und intelligent. Die Mädchen schwärmen für ihn und die Jungen sehen ihn als Vorbild. Thoma setzt sich trotz des Widerstandes seiner Freunde für Taichi ein, weil er den freundlichen, kleinen Jungen mag. Eines Tages erfährt Taichi von seiner Klassenkameradin Futaba, dass sie in Thoma verliebt ist. Futaba ist ebenso wie er schüchtern und schusselig, hat aber in ihrer besten Freundin Masumi eine große Stütze im Alltag. Taichi beschließt, Futaba zu helfen, Thoma für sich zu gewinnen. Irgendwann merkt Taichi, dass er Futaba nicht nur mag, sondern sich in sie verliebt hat. Das macht die Sache kompliziert. Was beide nicht wissen: Die Sache ist noch komplizierter als gedacht, denn Thoma ist schwul und seit jeher in Taichi verliebt. Auch Masumi verbirgt ein Geheimnis: Sie ist lesbisch und liebt Futaba. Beide wollen ihre Freundschaft mit Taichi und Futaba nicht gefährden, deshalb outen sie sich nicht. Stattdessen fokussieren sie das Glück der beiden liebenswerten Schussel. Da aber sowohl Taichi als auch Futaba sehr schüchtern sind, verläuft die Annäherung ziemlich schleppend. Beide wollen an ihrer Schüchternheit arbeiten, um so mehr Chancen im Leben zu haben. Auch dabei werden sie von Thoma und Masumi unterstützt.

Um noch mehr Schwung in die Liebesbeziehungen zu bringen, gesteht auch Mami Thoma ihre Liebe. Das sehr hübsche und forsche Mädchen ist schon lange in ihn verliebt, blitzt aber ab. Trotzdem gibt sie nicht auf. Über Taichi will sie einen neuen Versuch starten, Thomas Liebe zu gewinnen. Dabei ärgert sie sich sehr über die Vorurteile, die ihr entgegengebracht werden. Da sie eine Schönheit ist, laufen ihr die Jungen hinterher und verlassen für sie sogar ihre Freundinnen – was Mami gar nicht recht ist. Denn die eifersüchtigen Freundinnen rächen sich, indem sie Mamis Ruf ruinieren wollen. Auch Futaba ist eifersüchtig, als sie merkt, dass Mami Taichi belagert. Aber Mami kann die Sache klären.

Als Mami Thoma erneut ihre Liebe gesteht, trifft Thoma eine schwerwiegende Entscheidung. Er gesteht seinerseits dem völlig perplexen Taichi seine Liebe. Taichi kann mit diesem Liebesgeständnis nichts anfangen und geht Thoma fortan aus dem Weg. In der Schule hat Thoma jetzt aufgrund der Gerüchte einen schweren Stand. Irgendwann beschließt Thoma, die Schule nicht mehr zu besuchen und anstatt eines Studiums eine Ausbildung zu beginnen. Als Taichi Thomas Abwesenheit bemerkt, ringt er sich nach Gesprächen mit dessen Freunden dazu durch, wieder mit Thoma zu sprechen.

Identitätssuche, Schein und Sein

Diese Manga-Reihe ist wunderbar tiefgründig. Sie behandelt das Thema der Selbstfindung, das schon unter normalen Umständen für Jugendliche eine Herausforderung ist. Für Jugendliche mit Besonderheiten wie der des Außenseiterstatus im Falle von Taichi und Futaba und Homosexualität wie bei Thoma und Masumi ist es nochmal so schwer, seine Identität zu finden. Die Auseinandersetzungen mit sich und anderen sind sehr intensiv und werden im Manga sehr detailliert, psychologisch und philosophisch beschrieben. Die Gespräche, die die Jugendlichen führen, sind eigentlich schon Erwachsenengespräche, da sie die Komplexität der Situation, in der sie stecken, schon fast hermeneutisch beleuchten. Es ist interessant und lehrreich, diese Gespräche als Leser*in zu verfolgen. Aber auch die Gespräche der Jugendlichen mit den Erwachsenen und der Erwachsenen untereinander sind erhellend. Sie verdeutlichen, dass jede*r sein Päckchen zu tragen hat, mit diesem Päckchen versucht, ihr/sein Bestes zu geben, versucht, Verletzungen zu heilen, Missverständnisse auszuräumen, Vorurteile und Verurteilungen aufzudecken und abzubauen.

Niemand ist perfekt, auch wenn der Schein etwas anderes sagt. Und im Fall von Mami ist der schöne Schein sogar schädlich für sie. Hübsche Frauen sind (oft ungewollt), dem männlichen Interesse ausgesetzt, was wiederum Eifersucht bei deren Freundinnen auslöst. Mami hat deshalb keine echte Freundin und findet es schrecklich, dass sie keine kumpelhafte Beziehung zu Jungen aufbauen kann, ohne gleich in die Verliebtheitsfalle zu geraten. Sie verkriecht sich aber nicht in sich selbst, sondern prangert diesen Missstand immer wieder offen an und fordert Verständnis für ihre Situation. Überhaupt fallen die Figuren durch den Mut auf, sich verändern zu wollen, für sich selbst einstehen zu wollen, die eigene Komfortzone zu überschreiten, den eigenen Ängsten ins Auge zu blicken, gegen den Strom  zu schwimmen. Sie haben damit eine Vorbildfunktion!

Der Manga spricht in diesem Zusammenhang auch über das Thema Entscheidungen. Jede Entscheidung, die man im Leben trifft, hat Auswirkungen auf die Zukunft. Damit einher geht die Unsicherheit, wie und für was man sich entscheiden soll – ist die Entscheidung, die man getroffen hat, die richtige oder war es letztlich doch die falsche? Und das gilt nicht nur für die großen, sondern auch für die kleinen Entscheidungen des Lebens. Das Leben ist voller Entscheidungssitationen, was der Manga sehr schön darstellt.

Fazit

Wunderbar tiefgründiger, philosophischer und psychologischer Manga über das Thema der Selbstfindung auch unter schwierigen Umständen.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Jim Morrison. 100 Seiten

Jim Morrison. 100 Seiten: Am 3. Juli 2021 jährt sich der Todestag des Leadsängers der amerikanischen Rockgruppe The Doors zum 50. Mal. Der Poet, Regisseur und Rockstar würde Ende dieses Jahr aber auch seinen 78. Geburtstag feiern. Hätte er nur jenen verhängnisvollen 3. Juli 1971 überlebt. Oder doch Mojo Risin‘?

Jim Morrison lebt!

Einem unbestätigten Gerücht zufolge, das Morrison zu Lebzeiten lancierte, würde er nur für die Außenwelt sterben und dereinst als Mr. Mojo Risin‘ zurückkehren. Dabei hatte er in einem der längsten Lieder der Doors („When the music’s over“) einst sein Abonnement für seine Wiedergeburt storniert: „cancel my subscription to the ressurrection, baby“, sang er damals und wollte damit doch nur sagen, dass er lieber hier im Jetzt leben würde: „We want the world and we want it, NOOOOWWWW!“. Nun, Jim Morrison muss gar nicht auferstehen, damit er im Gespräch bleibt. Denn seine Platten verkaufen sie nach wie vor und haben längst die 50 Millionen Grenze überschritten. Die 6 Studioalben wurden längst Platin und auch die Gerüchte über seinen Tod ebben nicht ab. Vielleicht gibt es dieses Jahr, am Père Lachaise Friedhof, wo er seit 50 Jahren angeblich liegt, doch noch eine Überraschung?

100 Seiten über den größten Rockstar

Birgit Fuß schreibt nicht nur über die Studioalben der Doors, sondern auch eine kleine Biographie des Sängers einer Rockgruppe, die den Psychodelic Sound der Sechziger wesentlich beeinflusste. Ihre Teenagerliebe beruhte u.a. „auf freiem Oberkörper, wallendem Haar, dunkler Stimme, Ekstase auf der Bühne“, denn auch das war Jim Morrison. Sie stellt ihn aber auch als Dichter und Regisseur vor, denn Jim Morrison hatte durchaus noch Pläne für sein Leben nach dem Rockstardasein. Birgit Fuß‘ Themenschwerpunkte: Light My Fire, die Sieben Alben und mehrere Filme, Die Liebe, Der Dichter und der Spirituelle, Die Skandale, Der Abschied. Außerdem befindet sich eine Zeittafel „Sechs wilde Jahre“ im Fließtext sowie eine Bibliographie am Ende des Bandes. Birgit Fuß ist Redakteurin beim deutschen Rolling Stone und hat Bruce Springsteen, Bono und mehr als 400 andere interessante Menschen interviewt.

Birgit Fuß

Jim Morrison. 100 Seiten

Originalausgabe

2021, broschiert. Format 11,4 x 17 cm

100 S. 19 Abb. und Infografiken

ISBN: 978-3-15-020576-1

10,00 €

Reclam Verlag


Genre: Biographie, Jubiläum, Rockmusik
Illustrated by Reclam Verlag

Spider-Man Noir. Berlin bis Babylon

Spider-Man Noir: Berlin bis Babylon. In einer alternativen Wirklichkeit in den 1930ern wird Peter Parker zum Gehilfen des Reporters Ben Urich und folgt – unauffällig – den Angestellten des Gangsterbosses Norman Osborn in ein Lagerhaus. Dort entdeckt er afrikanische Artefakte und wird von einer exotischen Spinne gebissen. Auch die vorliegende in fünf Teilen abgeschlossene Geschichte folgt dieser Wirklichkeit und wirft Peter Parker in ein neues Abenteuer, das ihn in einem Luftschiff bis nach Berlin bringt. Und später sogar nach Babylon.

Spider-Man Noir: Berlin bis Babylon

Spider-Man hat ein etwas anderes Erscheinungsbild und tritt immer im Trenchcoat mit Schlapphut auf, wenn er nicht gerade im stürmischen Einsatz ist. Auch die Zeichnungen des Comics sind natürlich der Atmosphäre der Dreißiger Jahre angepasst und selbst Mary Jane trägt ein altes Luftwaffe-Kostüm. Als die Leiche von Holly Babson entdeckt wird, macht sich der junge Peter Parker auf die Suche nach deren Mördern und landet prompt selbst in einer Mördergrube. Vorerst jedoch nur im Metropolitan Museum of Modern Art. Zeichnerisch beeindruckend ist vor allem die Doppelseite gegen Ende der Geschichte, in der ein Einblick in ein Kabarett (damals beliebte Unterhaltungsstätte, bevor es TV und Kino gab) als Längsschnitt gewährt wird und die Akteure sich innerhalb der Handlung mühelos über eine Treppe in die nächste Bild-Panel-Reihe eingliedern, ohne den Verlauf der Geschichte zu trüben.

Berlin bis Babylon und zurück

Die Auftritte von Electric und den anderen Superbösewichten kann Spider-Man dank der Hilfe von Huri, der Wächterin der Gruft, gut abwehren. Aber die „Beschützerin des verlorenen Schatzes unter dem Sand“ verfolgt natürlich auch eigene Interessen. Schließlich kommt es in Babylon selbst zu einem storygemäßen Showdown, der alles hineinwirft, was die Geschichte bis dahin aufbot: Action, Horror und eine Menge Spaß für Comic-Fans. Kurzum: Spider-Man gone Indiana Jones mit Berlin Dreißiger Atmo.

Stohl/Ferreyra

Spider-Man Noir. Berlin bis Babylon

(Original Stories: Spider-man Noir (2020) 1-5)

2021, Softcover, 120 Seiten

ISBN: 978-3-741-621956

Panini

 


Genre: Comics
Illustrated by Panini Comics

Batman – Die drei Joker

Batman – Die drei Joker 2/3: Ein knallhartes Spektakel erwartet die Leser des zweiten Teils der Miniserie „Die Drei Joker“. Denn nicht nur der Zeichenstil ist beeindruckend scharf, sondern auch die Story, die das Geheimnis Batman erneut von einer anderen Seite beleuchtet. Der Verlust Robins und seine Wiederauferstehung aus den Lazarusgruben als Red Hood alias Jason Todd steht ebenso im Mittelpunkt wie die Identität der drei Joker: der Kriminelle, der Komiker, der Clown.

Freund oder Feind?

Jason Todd hat an der Seite von Batgirl im ersten Teil auf eigene Faust Jagd auf die drei Joker gemacht und einen davon hart erwischt. Nach allem was er erlebt hat und wie sehr er auch darunter gelitten hat, was sie ihm antaten, macht ihn dies dennoch zum kaltblütigen Mörder? Oder ist es vielmehr das Erbarmen, das ihn leitet und ihn andere Menschen vor einem ähnlichen Schicksal wie seinem bewahren lässt? Batman ist da natürlich anderer Ansicht, denn es gibt einen Ehrenkodex, nämlich niemals so wie sie zu werden. Sie, die Verbrecher. Aber es geht nicht nur um das Verhältnis von Batman als Ersatzvater zu seinem Schützling, sondern auch um die Liebesgeschichte zwischen Barbara, der Tochter von Commissioner Gordon, und Jason Todd. Oder zwischen Batgirl und Red Hood? Oder ist es doch eher Robin, der Batgirl zugetan ist? Das Abenteuer ist sauber gearbeitet, mit einem wunderbaren Strich und führt in die Vergangenheit Batmans, seine dunkelsten Abgründe. Auch der Kampf in einem Swimmingpool voller chemiezerfressener Joker-Zombies wird in schrillen Farben und eindrücklich realistisch gezeigt. Nichts für schwache Nerven.

Batman – Die drei Joker: Waynes Mörder

Zumindest kann man sich das für das Finale, den dritten Teil, erwarten, denn der Cliffhanger ist gut gewählt. Dass Batman nämlich im leider letzten Abenteuer der vorliegenden Miniserie dem Mörder seiner Eltern, Joe Chill, begegnet, dürfte auch die Nerven des Dunklen Ritters brachliegen lassen. Zumal er wahrscheinlich den Verlust des zweiten Jokers aus Abenteuer 1 ersetzen wird müssen. Aber was haben die beiden anderen der drei verbliebenen Joker nun wirklich mit ihm vor?

 

Geoff Johns/Jason Fabok

Batman – Die drei Joker 2/3

2021, Hardcover, 21 x 32 cm, 60 Seiten

ISBN: 9783741622670

Panini

13,00 €


Genre: Comics, Graphic Novel
Illustrated by Panini Comics

Joker/Harley Psychogramm des Grauens

Joker/Harley Psychogramm des Grauens: Ebenfalls im Black Label erschienen ist der zweite Teil der Miniserie „Joker/Harley. Psychogramm des Grauens“. Das Black Label erlaubt Neuinterpretationen des altbekannten Stoffs, der Kreativen Raum gibt, vom offiziellen Kanon abzuweichen. So wird etwa Harley Quinn in vorliegender Serie zu Dr. Harley Quinn, einer geschätzten Psychologin und Profilerin, die die Polizei von Gotham berät. Ihr Spezialgebiet: Serienkiller.

Joker vs. Dr. Harley

Die Mitbewohnerin von Harley, Edie, wurde von einem solchen ermordet. Sie kennt sogar seinen Namen, aber auch er scheint nur ein Opfer zu sein. Die Mutter von John Kelly ertrank bei einem Autounfall und sein Vater drangsaliert ihn deswegen. Später zieht er sich ein Goth-Clown-Outfit an und wird zu dem als den ihn die ganze Welt kennt. Aber ist dies die wahre Identität des Jokers? Der Serienkiller der Gotham City derzeit unsicher macht ist jedenfalls auch nicht gerade einfach. Er drapiert seine Opfer auf bizarre Weise zu surrealistischen Kunstinstallationen und macht nicht nur Jim Gordon Kopfzerbrechen. Großflächige Panels die oft beide Seiten dieses großformatigen Bandes ausfüllen zeichnen diese Graphic Novel aus, die alles tut, um auch wirklich wie eine große Erzählung zu wirken. So werden etwa Dokumente aus den Polizeiarchiven großformatig präsentiert oder Auszüge aus dem Melderegister von Gotham, forensische Gutachten, aber auch ein vertrauliches psychologisches Profil. Während die Erzählung selbst in S/W gehalten ist und an Sin City erinnern, werden Erinnerungen und ähnliches in Farbe präsentiert.

Künstler und andere Psychopathen

Eine Enthüllung im Gotham Aquarium bildet schließlich den Höhepunkt dieser realistischen Erzählung aus dem Leben einer Profilerin, wie sie die Welt wohl noch nie gesehen hat. Der Kampf der Psychologin gegen den Serienmörder ist als echtes Steam Punk Abenteuer inszeniert und die Einfälle sind wirklich schrill. So wird etwa eine in Gotham stadtbekannte Tänzerin als lebende Puppe inszeniert dem staunenden Publikum vorgeführt. Der Schock sitzt tief bei den Theaterbesuchern, die wohl alsbald ebenfalls psychologische Betreuung in Anspruch nehmen werden müssen. Den Kampf gegen den Joker kann Harley allerdings nur gewinnen, wenn sie sich auf sein Spiel einläßt und ihm schmeichelt: „Du hast erkannt, dass ich kein Abschaum bin, der zur sexuellen Befriedigung tötet. Ich bin ein Künstler, der etwas Außerordentliches schaffen will.“ Denn auch er glaubt sich auf einem gerechten Kreuzzug gegen das Böse, wie so viele andere Psychopathen… Muss sie, um ihn zu besiegen, vortäuschen, seine Komplizin zu sein? Fortsetzung folgt in Teil 3 der Miniserie „Joker/Harley Psychogramm des Grauens“. Demnächst.

Kami Garcia/Jason Badower/Mico Suayan/Annette Kwok

Joker/Harley

Psychogramm des Grauens. Band 2

2021, Hardcover, 108 Seiten

ISBN: 9783741620362

Panini Comics


Genre: Comics, Graphic Novel
Illustrated by Panini Comics

Erinnerungen an den Himmel – Was Kinder aus der Zeit vor ihrer Geburt berichten

https://www.buch-engel.com/media/image/product/14873/lg/dyer-wayne-w-und-dee-garnes-erinnerungen-an-den-himmel.jpg

Jenseits, frühere Leben, Wiedergeburt – Kinder äußern spontan verblüffende Erinnerungen

“Meine Mutter hatte zwei Fehlgeburten, bevor meine Schwester geboren wurde. Als meine Schwester drei Jahre alt war, erzählte sie Mama, dass sie sich daran erinnern könne, mit ihren beiden anderen Schwestern gespielt zu haben, und dass sie traurig sei, nicht mit ihnen hier auf Erden spielen zu können, weil es ‘lustig’ mit ihnen gewesen sei. Sie versicherte Mama auch, dass sie wirklich glücklich dort oben seien!” (Zitat aus dem Buch)

“Kindermund tut Wahrheit kund”, heißt ein altes Sprichwort. Kinder sagen unbedarft das, was sie gerade denken und fühlen. Das kann für Erwachsene durchaus die ein oder andere peinliche Situation bedeuten (Eltern wissen, was ich meine), dafür sind aber von sich aus gegebene Liebesbekundungen von Kindern echt. Und warum sollten dann nicht auch kindliche Erinnerungen an den “Himmel” (sprich: das Jenseits) echt sein? Der mittlerweile verstorbene amerikanische Psychologe Wayne W. Dyer und seine Assistentin Dee Garnes haben aufgrund von eigenen Erfahrungen mit ihren Kindern tausende Erfahrungsberichte von Eltern und deren Kindern aus der ganzen Welt zusammengetragen und eine Auswahl dieser Berichte (die als Zitate wiedergegeben werden) im vorliegenden Buch veröffentlicht.

Das Buch ist unterteilt in folgende Themen: Einleitungen der beiden Autor*innen mit den Erfahrungsberichten der eigenen Kinder, Erinnerungen an den Himmel, Erinnerungen an frühere Leben, Erinnerungen an die Auswahl der Eltern, Erinnerungen an familiäre Wiedergeburt und Rollentausch, Erinnerungen an spirituelle Verbindungen zu unserem Ursprung, Mystische Weisheit und vorausahnendes Wissen, Unsichtbare Freunde und spirituelle Besucher, Engel-Geschichten, Nachwort. Die Kapitelunterteilung macht Sinn, sodass man sich auch die Kapitel aussuchen kann, die man zuerst lesen möchte.

Mit den sehr gut lesbaren und interessanten Erfahrungsberichten einher geht die Bitte der Autor*innen, Kindern nicht sofort den Mund zu verbieten oder ihre Aussagen unwirsch als Quatsch abzutun, wenn sie denn solche Erwachsenen gegenüber machen. Sie empfehlen eine neutrale Herangehensweise oder interessierte Fragen; generell Offenheit. Die Aussagen von Kindern über Jenseits und Wiedergeburt kommen meist völlig überraschend, überrumpeln damit oft und können mitunter sogar schockierend sein, wenn sie z.B. Dinge über verstorbene Familienmitglieder wissen, obwohl sie diese nicht gekannt haben. Ich persönlich kenne solche Aussagen ebenfalls, z.B. aus dem Kindergarten. Ich habe die Kinder dann reden lassen.

Natürlich ist das alles Glaubenssache. Ich persönlich bin skeptisch allem Spirituellen und Religiösen gegenüber. Aber angesichts der Ähnlichkeit von Nahtoderfahrungen, Rückführungen, Erfahrungen über Kontakte normaler Menschen mit Verstorbenen und spontanen Aussagen von Kindern, die auch gut dokumentiert wurden von Elisabeth Kübler-Ross, Ian Stevenson u.a., sowie dem Wiedergeburtsglauben der Weltreligionen (auch der monotheistischen, wenn auch nicht in der jeweiligen Hauptströmung, die sich oft brutal gegen die anderen durchgesetzt hat), scheint es mir die Variante zu sein, die am plausibelsten klingt. Deshalb tue ich das auch nicht als Quatsch ab, sondern verfolge interessiert alles, was es zu dem Thema gibt, und mache mir mein eigenes Bild.

Fazit

Wie alles ist auch das, was in diesem Buch steht, Glaubenssache. Aber angesichts der Ähnlichkeit der Aussagen zu Nahtoderfahrungen, spontanen Erinnerungen von Kindern, Rückführungen, Erlebnissen normaler Menschen mit Verstorbenen u.ä., sowie der großen Anzahl an Religionen mit Glauben an die Wiedergeburt ist das Ganze durchaus überdenkenswert. In diesem Buch jedenfalls werden die zitierten Erfahrungsberichte von Eltern aus aller Welt über ihre Kinder zu diesem Thema gut verständlich und interessant dargeboten und ähneln denen anderer Bücher.


Illustrated by Heyne München

BL-Metamorphosen – Geheimnis einer Freundschaft 3

BL Metamorphosen - Geheimnis einer Freundschaft 3 als Taschenbuch

“Zwei Frauengenerationen – eine Leidenschaft: Boys-Love-Manga!” (Verlag)

Die Schülerin Urara entscheidet sich, die ältere Kalligrafielehrerin Yuki erneut zu einem Con mitzunehmen. Diesmal soll es die Winter-Con sein. Aber als Urara sich ein Bild von der Örtlichkeit macht, stellt sie fest, dass alle Wege sehr weit sind. Sie denkt an die mittlerweile recht gebrechliche Yuki und sagt ihr schließlich ab. Kurz darauf bereut sie ihren Entschluss, denn sie merkt, dass Yuki in der Zeit, die ihr bleibt, noch möglichst viel Schönes erleben will. Dass Yuki alt ist, wird Urara eines Tages so richtig bewusst, als sie in Yukis Haus auf sie wartet. Sie entdeckt eine Sterbeversicherung, bemerkt, dass Yuki ihr Haus entrümpelt und nimmt auf Yukis Drängen deren schönes Geschirr mit: “Da liegt das ganze Leben eines Menschen so vor einem, und ich nehme einfach einen Teil davon mit.” Als sie Yuki bei der Gartenarbeit hilft, fasst sie sich ein Herz und fragt sie, ob sie wieder mit ihr auf eine Con gehen will – nur dass Urara diesmal auf der Verkäuferinnenseite steht!

Integration ernster Themen in den Alltag

Der 3. Band überzeugt erneut durch eine warmherzige, ruhige und friedliche Stimmung, die aber auch die Probleme des Lebens und ernste Themen wie Sterben und Tod nicht ausschließen. Durch vermeintliche Kleinigkeiten und Zufälle werden die beiden Protagonistinnen, und mit ihnen die Leser*innen, auf diese Themen gestupst. Dabei findet eine ruhige, aber tiefgehende Auseinandersetzung mit ihnen statt. Sehr schön außerdem: Diese Themen sind in den Alltag integriert – da, wo sie eigentlich auch hingehören. Tod und Sterben zu tabuisieren ist schlicht ungesund.Der Manga scheint mit dieser Auseinandersetzung nahe an der Realität zu liegen: Bei meiner Mutter habe ich – wie im Manga beschrieben – festgestellt, dass sie sich von ihren z.T. sehr liebgewonnenen Sachen getrennt hat, bevor sie gestorben ist. Auch mein Vater entrümpelt jetzt. Beide haben vorab schon festgelegt, wie sie beerdigt werden wollen. Bei meiner Mutter konnten wir diesen Wunsch umsetzen, was auch für unsere Trauerarbeit gut war. Dabei haben wir die Kinder altersgerecht in den Prozess des Abschiednehmens miteinbezogen. Mein 9-jähriger Sohn hat mir mehr als einmal gesagt, dass er froh war, dass ich in dieser Zeit des Trauerns für ihn da war. Und es war ihm wichtig, ordentlich von der Oma Abschied zu nehmen.

In diesem ruhigen Alltag, der sehr schön in dieser Manga-Reihe dargestellt wird, finden die Veränderungen (Metamorphosen, s. Titel) beinahe unauffällig statt. Urara trägt sich, angestoßen durch Yuki, im Hintergrund mit dem Gedanken, selbst einen Manga zu zeichnen. Sie fängt eines Tages einfach an und zeichnet dann auch in der Schule. Die Berufswahl, die in der Schule in Form eines Formulars an die Schüler*innen herangetragen wird, tut ihr Übriges, um Urara zum Nachdenken zu bewegen, auch wenn sie anfangs mit dem Formular nichts anfangen kann. Das Leben und die Entscheidungen im Leben sind ein Prozess. Auch das arbeitet der Manga sehr gut heraus.

Ansonsten lebt jede ihr Leben, das sich meist nicht um das Hobby dreht, aber das durch das Interesse für BL von diesem immer mal wieder durchdrungen wird. Das stellt der Manga u.a. durch die integrierten Szenen des Bl-Mangas dar, den die beiden Frauen gerne lesen: eine Geschichte innerhalb einer Geschichte. Gedanklich sind die beiden Frauen, wenn auch nicht immer körperlich bei der anderen anwesend, miteinander verbunden.

Ebenfalls scheinbar nebenbei, aber trotzdem eindrücklich wird das Thema der Introvertiertheit behandelt. Urara fühlt sich in lautstarken Umgebungen mit vielen Menschen nicht wohl, und das zeigt der Manga auch. Solche Menschen, die meist hochsensibel sind, stehen in der Gesellschaft unter dem ständigen Druck, sich anpassen zu müssen, um nicht allzusehr aufzufallen – was negative Konsequenzen für sie hätte. Auch das wird im Manga angedeutet. Die Druck erzeugende Erwartungshaltung geht auch von der Famulie aus, wenn z.B. die Mutter Uraras indirekt anklingen lässt, dass sie auch gern eine hübsche Tochter hätte. Anstatt selbst sensibel auf ihr Kind zu reagieren und das sensible Kind, das sowieso schon mit sich im Streit liegt, zu unterstützen, verstärkt sie die Zweifel noch. Der Vater reagiert noch unsensibler. Bei ihm wird deutlich, dass er eigentlich keinen Draht zu seiner Tochter hat. Indirekt wird z.B. in der Szene, in der sich die beiden getrennten Eltern über Uraras Zukunft unterhalten, auch der Druck angesprochen, unter dem die Mütter stehen. Egal, was sie tun – niemals ist es genug, niemals können sie es einem recht machen. (Der Film “Bad Moms” ist ein sehr gelungenes filmisches Beispiel für diesen enormen Druck!) Die Väter spüren diesen Druck nicht, weil von ihnen nicht erwartet wird, dass sie ihre Kinder tatsächlich erziehen. Dafür urteilen aber auch sie über die Mütter. Der Manga ist also nahe an der Realität dran.

Fazit

Sehr gelungener Manga über eine ungewöhnliche Frauenfreundschaft zu einem ungewöhnlichen Hobby – das alles warmherzig kombiniert mit einem unaufgeregten Alltag, in dem sich ebenso unaufgeregt tiefgreifende Veränderungen ankündigen. Der Umgang mit ernsten Themen wie Tod und Sterben erfolgt sensibel und integriert diese in den Alltag – wo sie auch hingehören.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Die Wohlgesinnten

Hochkomplexer Holocaust-Roman

Was der amerikanischen Schriftsteller Jonathan Littell mit seinem auf französisch geschriebenen Roman «Die Wohlgesinnten» geschaffen hat, das ist eine literarische Provokation. Über den Holocaust aus Täterperspektive zu schreiben wurde als unverzeihlicher Tabubruch gescholten, den sich wohl auch nur ein nicht-deutscher Autor leisten könne. So einmalig ist dieser Tabubruch allerdings nicht, in «Der Nazi und der Friseur» hat Edgar Hilsenrath 1977 schon aus der Täterperspektive erzählt, und das auch noch in Form eines Schelmenromans. Littells nicht zuletzt auf Betreiben von Jorge Semprún mit dem Prix Goncourt 2006 prämiertes und weitgehend als Tatsachenroman verfasstes Buch wurde jedenfalls ein Riesenerfolg und landete selbst in Israel auf der Bestsellerliste. Der Autor bekam daraufhin sogar seinen französischen Pass, so beeindruckt waren selbst die Behörden.

Dr. jur. Maximilian Aue hasst seine Mutter und seinen französischen Stiefvater. Sein leiblicher Vater war in den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg im Baltikum verschollen, und um wieder heiraten zu können hat seine Mutter ihn für tot erklären lassen. Noch chlimmer aber war für ihn, dass sie ihn brutal von seiner Zwillings-Schwester getrennt hat, weil er eine inzestuöse Beziehung zu ihr unterhalten hat. Seither ist er homosexuell orientiert, was er auf den Verlust seiner großen und einzigen Liebe zurückführt. Nur durch Eintritt in die SS entgeht er knapp einer Verhaftung wegen seiner damals ja noch strafbaren homosexuellen Abenteuer. Im Krieg folgt er mit seiner SD-Einheit der vorrückenden Wehrmacht, um in den eroberten Gebieten die jüdische Bevölkerung zu vernichten. Einer seiner ersten Einsätze führt ihn nach Kiew, wo er an der Schlucht von Babyn Jar die Massenerschießung von 33.000 Juden durch das deutsche Heer miterlebt. Tod und Verderben hinterlassend gelangt er mit den mörderischen SD-Einsatzgruppen bis nach Stalingrad, erlebt auf abenteuerlichen Wegen den verlustreichen Rückzug mit und rettet sich über Auschwitz in das von der Roten Armee eroberte Berlin. Bis dorthin folgen ihm auch, wie die Eumeniden in der Orestie von Aischylos, von denen sich der Romantitel herleitet, unerbittlich zwei Kriminalbeamte. Sie wollen ihn unbedingt des ungeklärten Mordes an Mutter und Stiefvater überführen, obwohl doch Himmler höchstpersönlich schützend seine Hand über ihn hält. Für Max Aue verkörpern die Kriminaler das schlechte Gewissen, das ihn unerbittlich ein Leben lang verfolgt.

Mit einem umfangreichen Figuren-Ensemble aus fiktiven und historischen Personen beschreibt Littell das fürchterliche Geschehen äußerst realistisch, strikt den historischen Fakten folgend. Nach jahrelanger, akribisch genauer Recherchearbeit, die auch von Wissenschaftlern anerkannt wird, hat er den Roman dann in kurzer Zeit niedergeschrieben. Er liest sich trotz der ausufernd vielen Details und trotz der komplizierten politischen und militärischen Vorgänge streckenweise wie ein Krimi, jedenfalls versteht es der Autor, bis zuletzt die Spannung aufrecht zu erhalten. Die fiktiven Figuren und die persönlichen Erlebnisse des Protagonisten sind stimmig in das reale Geschehen eingefügt und enthalten auch so manche Komik, so wenn Aue im Traum zum Beispiel dem Führer heftig in die Nase beißt.

Der Plot beschäftigt sich auch mit den vielen abstrusen politischen Erklärungs-Mustern, die das Morden moralisch zu rechtfertigen suchen. Die persönliche Schuld des Protagonisten wird oft in Passagen des Deliriums thematisiert, womit Littell die Klippen des Unsagbaren geschickt umschifft. Immer wieder werden auch die psychischen Verheerungen angesprochen, die das Unfassbare sogar bei den SS-Leuten verursacht. Gegen Ende hin gerät die Geschichte zunehmend ins Surreale; auch das eine Methode, den Schrecken ertragbar zu machen! Man durchschaut diesen hochkomplexen Holocaust-Roman, so meine Erfahrung, auch beim zweiten Lesen nur unzureichend, ein Grund also, sich wiederholt damit zu beschäftigen.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Berlin Verlag Berlin

Alabama Song

Adieu Zelda, es war mir eine Ehre

Mit dem Prix Goncourt für seinen Roman «Alabama Song» ist dem französischen Schriftsteller Gilles Leroy 2007 der Durchbruch gelungen. Der mit nur zehn Euro dotierte Preis ist quasi ein literarischer Ritterschlag, er bedeutet regelmäßig einen anhaltenden, lukrativen Bestsellerstatus in Frankreich. Die deutsche Ausgabe erschien ein Jahr später als erst drittes Buch aus seinem umfangreichen Œuvre, das in Übersetzung vorliegt. Der brechtsche Titel bezieht sich auf den amerikanischen Staat, in dem Zelda Fitzgerald geboren wurde. Sie war eine Galionsfigur der hedonistischen ‹flapper girls› in den Zwanziger Jahren, zu Zeiten der Prohibition.

Die lebenslustige Ich-Erzählerin Zelda, Tochter einer angesehenen Familie aus Montgomery, Alabamas Hauptstadt, heiratet nach einigem Hin und Her den selbstbewussten jungen Schriftsteller F. Scott Fitzgerald. Vor ihm liege eine große Zukunft, hatte er ihr versichert. Und nach vielen Brot-und-Butter-Arbeiten gelang ihm 1925 mit dem Roman «Der große Gatsby» tatsächlich ein sensationeller Erfolg, der ihm neben dem Ruhm auch sehr viel Geld einbrachte. Das publicity-süchtige Ehepaar lebte daraufhin in Saus und Braus, sie waren mit vielen Größen aus Literatur und Filmindustrie eng befreundet. Der Champagner floss in Strömen, beide verkörperten geradezu die ‹Roaring Twenties›. Nicht nur wegen der Prohibition lebten sie dann zeitweise in Frankreich, wo Scott Fitzgerald zur Gruppe der von Gertrude Stein als ‹Lost Generation› bezeichneten Kriegsteilnehmer um Ernest Hemingway zählte. Mit ihm war er, auch alkoholbedingt, eng befreundet. Der spätere Nobelpreisträger hielt allerdings nicht viel von Fitzgeralds Kunst, und tatsächlich blieb ‹Gatsby› sein einziges herausgehobenes Werk.

Die unkonventionelle Zelda, erstaunlichste ‹Southern Belle› ihrer Generation, geradezu eine Symbolfigur als Südstaaten-Schönheit, hatte nebenbei Liebesaffären, die ihren Mann aber kaum störten, die allenfalls seine Eitelkeit verletzten. Es gab viel Streit zwischen ihnen, und neben Scotts unmäßigem Alkoholkonsum holte er sich ungeniert auch noch einen Liebhaber ins Haus, was ihr Zerwürfnis weiter verschärfte. Zelda, die selber Romane und Kurzgeschichten schrieb, war auch als Malerin tätig und widmete sich, altersbedingt jedoch aussichtslos, dem Ballett. Ihre Manuskripte jedoch waren gut, sie wurden ihr sehr oft von Scott weggenommen, der viele davon unter seinem Namen veröffentlichte. Sie brachten als seine Werke deutlich mehr Geld ein, die Verlage sahen das ebenso. Als Zelda schließlich ernsthafte psychische Probleme bekam und immer öfter in Kliniken war, erklärte ihr mal einer der Psychiater, sie sei eifersüchtig auf den Erfolg ihres Mannes. Ihr Wahn rühre daher, unbedingt erfolgreich sein zu müssen und ständig Publicity zu brauchen. «Sie haben nicht geheiratet, junge Frau. Sie haben einen Reklamevertrag unterschrieben».

Der zwischen 1918 und 1943 angesiedelte Roman ist in fünf Abschnitte unterteilt, die nicht chronologisch erzählt werden, sondern kapitelweise vor und zurück springen. Gilles Leroy berichtet in einer angenehm lesbaren Sprache über das turbulente Leben seiner liebevoll gezeichneten Figuren, die einem trotz all ihrer Verrücktheit und Geltungssucht schnell sympathisch werden. Aber er betont in seinem informativen Nachwort auch: «Alabama Song will als Roman und nicht als Biografie der historischen Person Zelda Fitzgerald gelesen werden». Und er zählt detailliert auf, was alles fiktional ist an seiner Geschichte. Im letzen Kapitel schließlich berichtet er als Autor über seine Recherchen, als er im Jahre 2007 das Fitzgerald-Museum in Montgomery besucht. Er findet Zeitungsausschnitte des New York Herald vom 11. März 1948, die vom tragischen Tod der 47jährigen Zelda Fitzgerald beim Brand in einer psychiatrischen Klinik berichten. Wie sehr ihm seine Heldin ans Herz gewachsen ist, beweisen die letzten Worte dieses Schlusskapitels: «Adieu, Zelda. Es war mir eine Ehre.»

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de

Fazit:   erfreulich   ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Kein & Aber Zürich