Wir Schurken

Peter Sonnbichler ist ein Bewahrer. Er bewahrt kostbare Momente davor, vergessen zu werden, auch behütet er eine Zeit, die erst kürzlich verflossen ist, aber als Epoche – vor dem Handy, dem Internet und der politischen Korrektheit –

Sonnbichler bewahrt so auch das Land vor dem Vergessen, eines, das nicht einzig als Naherholungszone oder Mountainbike-Strecke Wert hat. Weiterlesen


Genre: Erzählungen
Illustrated by edition sonne und mond

BewusstseinsInseln

Folgt man der Argumentation der Autoren von „Generation Ego“ 1), zeigt uns Christoph Schlingensief, warum heute so wenig Rebellion von der Jugend ausgeht. 2) Ohne Reflexion über die eigene Position, ist man dem Neoliberalismus, dem Markt»geschehen« ausgeliefert, der ein amoralisches System – unfähig sich selbst zu hinterfragen – darstellt. Weiterlesen


Genre: Lyrik
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Wirf deine Krücke ins Abendrot

Das Buch Peter Sonnbichlers lässt sich nicht auf einem Bildschirm lesen. Oder irgendwie digital konsumieren. Auch nicht in den stickigen Räumen einer Bibliothek. Dazu quillt zu prall das Leben zwischen den Seiten hervor. Am besten liest es sich am Rand einer Mailichtung, oder im Mondlicht, auf einem Kirschbaum sitzend, oder gegen eine Pappel gelehnt, oder gegen den Sommer oder das Kliff von Strunjan. Oder wenigstens gegen die Klippen hinblickend, wie ich es gerade tue, diese Zeilen ins Heft notierend, nachdem ich das Gedicht Sonnbichlers über die Sehnsucht nach der Weite über Strunjans Himmel las. Weiterlesen


Genre: Lyrik
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Teba – Arche oder Wort

Rudolf Krieger entwickelte eine neue Lyriksprache. Das ist bemerkenswert. Dass er sich zur Kommunikation eines individuelles Zeichen-Systems – bzw. Symbolsystems bedient, verweist dabei keineswegs auf die Gepflogenheiten der Moderne, die eigene Originalität und Kreativität in den Mittelpunkt zu stellen. Sondern vielmehr auf die Notwendigkeit, auf den Bedeutungs- und Sinnverlust in Folge der Zerstörung der klassischen verbindlichen Symbolsprachen (welche ja schon Josef Beuys beklagte), neue verbindliche Symbole und eine gültige Metaphernsprache zu finden. Die Schwierigkeit liegt natürlich in der Forderung nach Allgemeingültigkeit solch individuell kreierter Sprachen: In der Lyrik jedenfalls ist das Verständnis ohnehin nicht mit der kühlen Rationalität zu finden. Worte, Metaphern, Sprachbilder berühren den Leser – sagen einem etwas – oder eben nicht. Eine Absolut-Setzung der Symbole/Zeichen ist in der Dichtkunst nicht notwendig – wäre letztlich ja gar ein Rückschritt vor die Moderne, die vor Verabsolutierungen der einzelnen -ismen und Überbietungsorgien nur so strotzt. Verbindlichkeit ist eindeutig gegeben, weil Krieger auf eine leibhaftige Sprache setzt (statt auf das Zerreißen der Syntax und die Sinnzertrümmerung der modernen/postmodernen Sprachzerstörer). Inspiriert von Natur, Bewegung, Philosophie und Mystik (hebräischer Provenienz, tibetanisches Totenbuch und I-Ging) ist er imstande, Räume des Ewigen und Plätze der Offenbarungen miteinander zu verbinden. Dieser Offenbarungsplatz ist für ihn das Wort. Die Straßen von den Plätzen weg in das Leben hinein sind seine Sätze, in denen er eine transrationale – eine den reinen Intellekt und erst recht die Naturwissenschaften übersteigende – Wirklichkeit kündet.
Krieger ist tief vom Symbolwillen durchdrungen. Wasser ist Leben. In dem manch papierener Fisch schwimmt. Genaues erfahren wir ja in Kriegers Symbolerklärungen. Plattrationales Verstehen zu suchen, erschwert das Eintauchen in seine Sprache – man würde nur auf den Wellen hin- und hergeworfen werden. Am besten läse man wohl nicht mit den profanen Augen, sondern mit dem weit geöffneten dritten. Dann offenbart sich die Sinnschönheit Kriegers Sprache. Erkennt man, dass seine Elegien weniger Klage, als leises Rufen sind, auf dass er die Antwort des Windes, der Sterne, des Erdbodens, eines Tisches nicht überhört. Wenn wir selbst stille werden, um in diesem Rufen das allgemein Wesenhafte zu erlauschen, dann mögen wir ebenfalls in der Lage sein, die Antworten des Ewigen, sowie der Steine und der Lampen in uns zu vernehmen. Wir sollten sachte lesen, nicht mit den gewohnten eingeschalteten Verstandesscheinwerfern, die nur in Autobahnsackgassen zügig führen. Dann glimmt ein Schein auf, der uns Pfade ins Innere der Zeit weist. Zurück zu unserem edelsten Wesen. Zur Seele.
Oder: Das Schwarz des unendlichen, lebendigen, glitzernden Nichts – von Rudolf Krieger massiv und feurig komprimiert – funkelt als Diamanten auf.


Genre: Lyrik
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Erinnerungsbilder

Kindheitserinnerungen, Traumata, Berührendes, Schreckliches packt der heuer 8o gewordene Peter Paul Wiplinger in sein jüngstes Werk.
„Auf den Spuren der Erinnerung zurückgehen, zu den Menschen, zu sich selbst“, lautet das Motto der Erzählsammlung Wiplingers. Und das vollzieht er eindrücklich. Begegnungen mit Nazis, mit Russenobersten, dem ersten „Neger“, den er sah – viele Kriegserinnerungen blitzen auf. Zeigen auch Deutlich-Menschliches. Die Feigheit eines Nazischergen, dessen Großartigkeitsgetue und die schmierige Falschheit nach der „Niederlage“, die Sinnlosigkeit des Kriegs. Familiäre Bande. Die Geborgenheit, die bei aller Strenge dennoch besteht. Die Standpunkte verortet. Auch wenn sie sich nicht mit den Elterlichen decken. Die rigide Katholizität der Eltern ist anstrengend, die Brüder werden auf den Priesterberuf „vorbereitet“, übernehmen diese Aufgabe gar freiwillig im Spiel: später will keiner von ihnen Priester werden, aber moralische Werte bleiben. Wiplinger schildert die Schwierigkeiten der Bürgermeisterfamilie in einem konservativen Ort, als die Nazis die Macht übernehmen. Dann den Respekt der russischen Besatzer, die man allerdings auch nicht verärgern durfte. Die Schilderung der Köchin, die der Autor schon in andern Büchern liebevoll zeigte, berührt immer noch. Und die Wut auf das Kindermädchen, das sadistisch und vorsätzlich böse die Anvertrauten quälte. Vieles von Wiplingers Geradlinigkeit, von seinen Prägungen wird nachvollziehbar. Als Einblick in seine Biographie wieder ein wichtiges Buch. Aber auch als Zeitdokument, das helfen sollte, Zustände wie in jener schrecklichen Ära nie wieder heraufdämmern sehen zu müssen.
Manfred Stangl

P.P Wiplinger: „Erinnerungsbilder“, Löcker, edition pen; 2019; 174 Seiten, Paperback; ISBN: 978-3-85409-985-7


Genre: Biographien
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Mit einem Becher Süßholzlikör

„Irgendwo ein Haus aus Lehm/den ich aus Träumen hob“ …

Die Schönheit der Bildsprache Jonathan Perrys steht quer zur gewohnten Gegenwartslyrik, die vor Hässlichkeit, Nonsens, Negativschmalz und Verfallshysterie nur so dahin trieft.

Auch Perrys Gedichte kreisen um Vergänglichkeit, den Wandel, aber finden leichten Halt in ihm. Im Wechsel der Jahreszeiten (Perry ist leidenschaftlicher Rezipient japanischer Poesie), im zyklischen Denken, besser: Fühlen. Wie zartes, erstes Grün sprießen zwischen dem Humus des Laubs und des Verfalls seine Worte aus dem Mutterboden. Aus der Erde. Deren ausgewiesener Sohn er ist. Wie er Freund der Flüsse ist (seinen nächsten nennt er respektvoll „Steineschlichter“), und Liebhaber der Wiesen. So zart lesen sich seine Gedichte: als streifte einen der Flügelschlag eines Schmetterlings. Doch zugleich ahnt man den Berg, die Almwiese, von welcher dieser aufstob.

Er ist „verschwistert mit den Wasserwesen, Algen“ (wie er in einem „Pappelblatt“ schrieb), schöpft aus der Natur sein feines Repertoire, ohne Angst als unintellektuell zu gelten, weil er nicht im fühllosen Trott der Zeit mithechelt. Mond und Sonne scheinen auf den leisen, verschlungenen Pfaden, auf denen seine Sprache mäandert. Einer Sprache, welche der modernen Angekränkeltheit und Dekadenz wohltuend entbehrt.

der Bachstelze gleich/über den Fluss/schwingt sich mein Blick/ans Ufer/wie sie/ beginnt/vor Freude zu wippen –/wie ich!“

Jonathan Perry: „Mit einem Becher Süßholzlikör”; edition sonne und mond, 2019; Paperback, 88 Seiten; ISBN: 978-3-950344-8-8


Genre: Lyrik
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Sympathie für Faune

Ulli B. Laimers Gedichte berühren eine magische Welt. Nicht, dass wahre Lyrik dies nicht generell vermag, der herrschende Zeitgeist lässt solch kleine Wunder allerdings eher zufällig zu – meist übersieht die modernistische Zensur eher die geistige Welt, an der „magische“ Gedichte nippen, als sie zu vermissen.
Laimer kümmert das Spiritualitätstabu der modernen Literatur nicht: Sie formuliert, was sie denkt. Sie fasst in Worte, was sie spürt. Sie bekennt sich ausdrücklich zum „Diskurs mit einer beseelten Welt“.

Alles was existiert, lebt. Alles in der Welt ist beseelt. Diese Weisheit teilt sie mit den indianischen Ureinwohnern (und allen archaischen Nationen: von der Steppe Zentralasiens, bis in die Tundra, nach Lappland und Kanada; von den Plains zu den Indios Lateinamerikas, bis nach Australien und in die Voodookultur) ebenso wie mit den Ahnen des indoeuropäischen Kulturkreises. Sie schätzt speziell die keltische vormoderne Literatur, und hegt unzweifelhaft keine ästhetizistische, sondern eine aus dem Herzen aller Zeiten, aus Mutter Erdes Schoß geborene Sympathie für Faune.

Sie schreibt von der kreisrunden Zeit, besitzt einen zyklischen Zeitbegriff, wie ihn Rudolf Kaiser in „Gott schläft im Stein“, erläuterte. Die Zeit ist rund, alles kehrt wieder, kreisend um eine leere Mitte: Das Symbol der Nabe, die den Urgrund repräsentiert. Wir finden es in den Upanischaden ebenso wie im Tao Te King des Religionsstifters Lao Tse. Auch in Laimers Gedicht „Rad“ wird der Rhythmus der Rundheit beschworen.

Zu allen Zeiten und in der gesamten Welt war sich die Menschheit ganzheitlicher Weisheiten bewusst. Seit 2oo, 25o Jahren vielleicht glaubt eine intellektualistische Elite an den linearen Verlauf der Dinge. Und rennt wie verrückt in ihrem selbstgebauten Hamsterrad im Kreis. Die Literatur zappelt mit, an vorderster Front, weil sie sich mitsamt den Wissenschaften ab der Aufklärung anmaßte, die richtige Welt – die der Ratio und des sachlichen Verstands – zu beschreiben. Und weil sie heute den Anschluss an die Ressourcenvergabe nicht verlieren will.

Einen wohltuenden Pfad aus dem Käfig, der Kälte und der zynischen Finsternis weisen uns Ulli B. Laimers Gedichte. Oft sind sie ganz einfach schön. Wie: „Ich möchte wieder ein Baum sein“. Oder: „In mir, nächtens“, das zudem auf eindrucksvolle Weise die im aufgeklärten Äon verdrängten, nicht-benannten Wesen der Nacht besingt. In einer berauschend dunklen Tiefe, die an die „Nacht“ Novalis gemahnt.

Im Gedicht „Flut“ vereinigen sich Schönheit und ewige Weisheit auf mythische Weise:

Wenn/das Licht/schwächer wird/kehrt das Meer/in mir/zurück//Knie über/ Knöchel/stirngetaucht/Brandung mein Atem/lebendig/bis/zum/Horizont

In den Raum jenseits des Reichs der kahlen Vernunft entführt uns Laimers Lyrik. Selbst wenn manches schattig, fraglich und fragil erscheint, weiden ihre Verse uns auf Oasen sprießend saftigen Lebens, voll all der Schattierungen von Grün. Einhörner, Drachen, Waldgeister, Wölfe, Mond und Sonne, eine mütterliche Erde bevölkern ihre Gedichtlandschaften – von dort winken sie uns, auf dass wir über die zitternde Hängebrücke eilen, in der Anderswelt zumindest mit unserer Seele zu leben, Seite an Seite mit der glückvollen Phantasie.

Bestellbar im Buchhandel über ISBN 978-3-9503442-5-7


Genre: Lyrik
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Meine Sehnsucht wandert mit dem Sand

Die Gedichte Lieselotte Stieglers sind tatsächlich in dem Sinn Ge“dichte“, dass sie zu allermeist sehr knapp angelegt wurden. Auf überflüssiges ist verzichtet, dennoch nicht die Lyrik geschmäht, weil Stieglers Metaphern schön sind, das Spiel mit den Worten gekonnt und ihre Dichtkunst ausgereift ist. Wir sehen vor uns einzelne kleine Meisterwerke, wie Blüten auf einer Wiese: violette, gelbe, ziegelrote, doch ihre kurzen Gedichte hängen irgendwie auch alle zusammen. In „Andalusien“ etwa wachsen Dornen und Jasmin auf Ziegeldächern, das nächste Gedicht heißt: Dornen. Zuvor bereits besingt sie Lorca, erklingen die Jondos in Granada. Also bilden die einzelnen Blüten im exquisitesten Sinn eine Blumenwiese, an deren Ende zum Stadtrand hin sie jedoch vertrocknet und dürr daliegt – die politischen Gedichte gegen Schluss des Bandes.

Keinesfalls möchte ich von der Sammlung der Blüten in diesem Band sprechen. Denn Stiegler schreibt: „Pflücke nicht die Blume, die aus den Wolken wächst.“ Und warnt davor, uns die Worte untertan zu machen, um die damit umrissene Welt durch unsere Ratio zu fesseln. Sie selbst streift diese Fesseln immer wieder ab, schält sich aus den zu engen Wörtern heraus, speziell die der bannenden Liebesbeziehungen. Dann solche, die einen zu engen kneifenden Heimatbegriff beschreiben.

Poetisches, persönliches und politisches fließen im Gedichtband fast übergangslos ineinander: eine weitere Stärke des Büchleins. Flucht ist keine leichte Entscheidung. Eine tödliche Heimat für eine gemeine zu tauschen kein Honiglecken. Stieglers Empathie ist klug: sie fragt, wie sehr wir als Individualisten denn selbst wünschen „integriert“ zu sein.

Auf gewisse Weise haben wir ein einziges langes Gedicht vorliegen, dessen Pfad zwischen Sandelholz und Mandelbaum bis auf die Schutthalden der Gegenwart führt. Doch sie trauert nicht, beklagt nicht jammernd modernistisch die Existenz sondern hält Jubel und Kritik in ausgeglichener Schwebe, sodass wir von gekonnter ganzheitlicher Literatur sprechen können. Zumal die Gedichte verwurzelt bleiben, an der Erde haftend, wenn auch zum Himmel, in die Ewigkeit weisend. Abgehoben aber kommen sie beileibe nicht daher. Eher in einer wohltuenden Harmonie: vielleicht nicht wie ausgerissene Blumen, aber getrocknete Samen und Früchte und Blütenblätter, die nach Lavendel, Sandelholz und Orangenblüten duften.

Als Nachtrag möchte ich kurz auf das außergewöhnliche Cover von Sonja Henisch eingehen, das eine Seherin zeigt. Ein Bild, das die Attribute weiblicher Rundheit und Weisheit trägt, aber nicht barsch sexuell zu deuten ist. Die Figur ist unrealistisch gemalt, der Arm speziell kein menschlicher: eben weil es „die Seherin“ ist, die weist… die Scham ist nicht aus modemodernen Gründen rasiert, sondern verweist auf das Ungeschlechtliche wenngleich nicht Asexuelle – übersexuell wäre wohl das richtige Wort: Arm sowie die breiten Schultern spiegeln den männlichen Anteil wider, Becken, Rundungen, das lange Haar den weiblichen, die Gesichtslosigkeit entwürdigt nicht das Weib, sondern steht für das Überindividuelle. Die Chakra-Farben stellen die Figur ins richtige Licht. Die Nacktheit der Figur generell ist das Indiz unserer Nacktheit/Bloßheit vor dem Göttlichen/der Göttlichen Mutter. Sie hat nichts mit dem neoliberalen Entblößungsgeschäft des Kaufwertreizes gemein. Der Betrachter möge seine Augen schulen, bzw. öffnen, um nicht allein seine Vorurteile zu erblicken, sondern sich zu erweitern. Wie gesagt, ein spezielles Bild, das in die Zukunft weist, und die Gedichte Lieselotte Stieglers herrlich interpretiert.

Lieselotte Stiegler: „Meine Sehnsucht wandert mit dem Sand“, edition sonne und mond, 2o17, brosch, 7o S, ISBN: 978-3-9503442-3-3; 9.- € erhältlich unter bestellungen@sonneundmond.at


Genre: Gedichte, Lyrik
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Safa – Ufer oder Sprache

Regen, Gärten, Nacht, Leere, Vergessen, Schönheit: Begriffe um die die Gedichte Rudolf Kriegers kreisen. Bereits aus der Themenwahl lässt sich folgern, dass Krieger keine zeitgemäße Lyrik verfasst. Daher ist auch nachzuvollziehen, warum diverse Literaturbeiräte, die sich aus Universitätsprofessoren und anderen Beamten des Zeitgeists zusammensetzen, vermeinen den Druck seiner Lyrik nicht fördern zu sollen. Was sie wie üblich übersehen ist, dass Krieger seiner Zeit voraus ist – aber nicht im modernistischen ewig auf Neuerungen schneidig gerichteten Sinn, sondern im ganzheitlichen – in einem in Zyklen schwingenden – Geist, der kurzsichtige Betrachter glauben lässt, sie würden mit Althergebrachtem gelangweilt. Sie begreifen (noch) nicht, dass solch Lyrik exakt die Gegenwart erfasst einer Sehnsucht nach dem Bleibenden, nach den Wurzeln, dem Licht und der Nacht, in der jenseits des gleißenden Scheinwerferlichts der Neuzeit Ewiggültiges sich birgt, heranreift, in zeitgültigen Formen offenbart.
Kriegers Gedichte mäandern bzw. kreisen um die oben erwähnten Begriffe; unberechenbar aber konstant kehren seine Worte zurück zum Ausgangsort; erweisen dadurch dem zyklischen, dem weiblichen Sein der Welt Respekt; das Einbergende, das Runde, das Wiederkehrende und Ewige wird gefeiert. Der Versuch des promovierten Holzbildhauers (der herrliche Arbeiten mit Eis und Feuer schuf) funktioniert: er haucht den Begriffen Leben ein. Der Bildhauer vermag keinen Baum zu bauen; selbst der Begabteste schafft dies nicht. Aber als Dichter gelingt es Krieger seine Worte wie Blätter an den Stamm der Begriffe zu pfropfen; so erschreibt er Wirklichkeit, Dasein, Schönheit. Veredelt als Schriftsteller sein bildhauerisches Werk.
Das zyklische Kreisen der Wörter um die Ausgangsbegriffe bedeutet solchen Linearitäts-Fetischisten natürlich wenig, die Alleen hinaus in das Nichts anlegen, parallel zu den Boulevards des Zeitgeists, der in Sinnlosigkeit, Nihilismus, Destruktion sich verflüchtigt. Die Abläufe der Natur, das Weiche, die Rundheit, der Mond, die Nacht erschrecken die Fortschrittsgläubigen zutiefst. Ihr Fortschritt führt ja fort von allem was lebt, gedeiht, reift, pulst und quillt. Diese „männliche“ Angst vorm Leben, vor dem Nicht-Herstellbaren, Nicht-wissenschaftlich-und-technisch-Herbeiführbarem, Nicht-Kontrollierbarem spiegelt sich kalt in einer seit dem Beginnen der Moderne (mit James Joyce, Gottfried Benn, Friedrich Nietzsche) mathematisierten und entmoralisierten Literatur. Die Vorstellung der Unendlichkeit als Funktion der Linearität schafft Destruktion, Narzissmus, Ich-Vergottung: Die Wörter der Modernismus-Apologeten toben eisig ins Vakuum der Nichtwiederholbarkeit, des Vergehens ohne Wiederkehr, des kalten, leeren Todes hinaus. Kriegers Sätze jedoch kehren um, zurück, ja – kommen uns entgegen. Und bringen den Regen mit, Gärten, Vögel, auch Angst und Irritation; verweigern sich aber nie dem Leben, verdorren nicht in den Dornenbüschen der Verdrängungsliteraten, aufgespießt wie funkelnde Käfer. Sie spreizen die Flügel, manche flattern los, andere bleiben auf den Blüten sitzen – wandeln sich und sind doch die gleichen. Entfaltung, Leben, Wachstum in der Bestimmung, dem eingeschriebenen Leben ist ihr Sinn und Ziel. Das I Ging inspiriert Krieger, mystische Schriften christlicher und jüdischer Meister. Seine Gedichte beweisen im schönsten Sinn des Wortes ebensolche numinose Qualität. Sie Umkreisen das lebendig Sichtbare, um das Unsichtbare, das dahinter wirkt und west, erkenntlich zu machen. Wie Weihrauch vor dem Tempel beglaubigen sie die Wirkung des Luftzuges, des Windes, der als göttlicher Atem seine Arbeit beeinflusst bzw. beeinwindet
Und Schönheit manifestiert: „ich würde meine Zehen ausbreiten / über diese Landschaft / als nicht enden wollende Spitzen der Zehen / auf denen ich gerade fliege / ich würde die Gespräche mit den Blumen vertiefen / und in ihre Augen tauchen / bis die Schönheit, die Verbundenheit aus mir quillt / ich würde die Bäume fragen / ob sie meine Lehrer sein wollen / und ob sie mir das Schweigen beibringen können / damit kein Mensch aus mir spricht…“, heißt es im Gedicht „wenn ich noch einmal leben könnte“.
Solch mystische, wurzeltief lebendige Literatur tut unserer entleerten, entseelten Zeit bitter not.
Manfred Stangl
Rudolf Krieger: „Safa – Ufer oder Sprache“, edition sonne und mond, Wien, 2o17, 12o Seiten, Hardcover, ISBN: 978-3-95o3442-2-6


Genre: Lyrik
Illustrated by edition sonne und mond