Der Minnesang des Frosches

Gerhard Spiller verbringt seine Freizeit gern an seinem Gartenteich im niedersächsischen Ilsede und lauscht dem Minnesang der Frösche. Ursprünglich nur zur Zierde mit Pflanzen angelegt, nutzen ihn die Vögel als Tränke und Badeteich. Schon nach einem halben Jahr siedelte sich auch ein Frosch an und ließ seinen Gesang erklingen. Das Echo blieb nicht aus: Schnell wuchs die Froschpopulation auf acht Tiere an, deren Quaken sogar die Nachbarschaft erfreute. Nun hat der Autor den Teichmusikanten einen Gedichtband in Haiku-Form gewidmet. Weiterlesen


Genre: Haiku, Lyrik
Illustrated by BoD Norderstedt

Schöne Aussichten – oder?

Wirft der in Paris lebende Literat Rudolf Pernusch bereits im Titel seiner poetischen Texte und Betrachtungen die Frage auf, ob die Menschheit schönen Aussichten entgegensieht, dann impliziert seine Erkundigung schon eine gewisse kritische Distanz, einen inneren Widerspruch, der sich in ihm regt und den lackierten Fassaden entgegenreckt. Pernusch betrachtet unsere Welt als unheil, er blickt mit schreckgeweiteten Augen fassungslos und teilweise entsetzt auf all das, was in der Masse erstickt. Weiterlesen


Genre: Lyrik, Poesie
Illustrated by Vindobona

BewusstseinsInseln

Folgt man der Argumentation der Autoren von „Generation Ego“ 1), zeigt uns Christoph Schlingensief, warum heute so wenig Rebellion von der Jugend ausgeht. 2) Ohne Reflexion über die eigene Position, ist man dem Neoliberalismus, dem Markt»geschehen« ausgeliefert, der ein amoralisches System – unfähig sich selbst zu hinterfragen – darstellt. Weiterlesen


Genre: Lyrik
Illustrated by edition sonne und mond

Aussichten

Der Dichter Peter Paul Wiplinger schreibt seit geraumer Zeit sogenannte Lapidargedichte. Er möchte die Realität so abbilden wie sie ist, ohne Metaphernverbrämung und ohne Sprachzertrümmerung oder -spielerei. Damit sind seine Gedichte stets politisch relevant. Was ihm lange den Einzug in den österreichischen Literaturkanon verwehrte. Im vorliegenden Gedichtband zeigt sich wieder seine poetische Begabung. Weiterlesen


Genre: Lyrik
Illustrated by Löcker Wien

Gedichte

251 Jahre Friedrich Hölderlin

251 Jahre Hölderlin. Gedichte. Eine Auswahl„Ich verstand die Stille des Äthers/Der Menschen Worte verstand ich nie.“, schreibt Hölderlin in „Da ich ein Knabe war…“. Das inzwischen wohl etwas weniger als 250 Jahre her, dennoch wurde der Knabe immerhin 73 Jahre alt. „Hast du Verstand und ein Herz, so zeige nur eines von beiden,/Beides verdammen sie dir, zeigest du beides zugleich.“ Dem großen Dichter der Weltliteratur wurde zu seinen Lebzeiten die Anerkennung allerdings versagt. Und das trotz seines erreichten hohen Alters.

Hölderlin: Elegien, Oden und Hymnen

Im 20. Jahrhundert wurde Friedrich Hölderlin (20.3.1770 Lauffen a. N. – 7.6.1843 Tübingen) wiederentdeckt, inspirierte Stefan George, Georg Trakl, Rainer Maria Rilke und Paul Celan und ist bis heute sogar in Übersetzungen und Vertonungen weltweit präsent, nicht nur aufgrund der Feierlichkeiten zu seinem 250. Geburtstag, die leider aufgrund der Pandemie etwas untergingen. Die vorliegende Auswahl reicht von den Jugendgedichten und den ersten lyrischen Werken seiner Tübinger Studentenzeit über die Diotima-Gedichte an seine Liebe Susette Gontard bis hin zu seinen großen Hymnen und Elegien. Hölderlins wunderbare Lyrik ist somit in vorliegendem 140 Seiten starken Werk in all ihrer Kühnheit, Intensität und Schönheit wieder neu zu entdecken. Ab 1797 bildete Hölderlin einen eigenen Stil heraus, der wie in den Gedichten Heidelberg oder An die Parzen in der individuellen Erneuerung antiker Gedichtformen, z. B. der Elegie oder der Ode bestand. Aus diesen seinen literarischen Experimenten entstand später auch sein Roman Hyperion, der das Pathos der Französischen Revolution in ein Freiheitskonzept überführen wollte. Aber auch seine unvollendete Tragödie „Der Tod des Empedokles“ darf hier an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, da er den Versuch einer Dramatisierung philosophischer Themen beinhaltete und darin einzigartig blieb.

Gedichte: Heimat unter den Birnen

Lern im Leben die Kunst, im Kunstwerk lerne das Leben,/Siehst du das Eine recht, siehst du das andere auch.“ Unvergessen bleibt auch nach nur einmaligem Lesen aber auch seine Ode an die Heimat in der es u.a. heißt: „Ihr teuern Ufer, die mich erzogen einst,/Stillt ihr der Liebe Leiden, versprecht ihr mir,/Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich/Komme, die Ruhe noch einmal wieder?“  Selbst ist er in seiner Todesstunde nicht mehr dorthin zurückgekehrt, aber vielleicht hätte auch die Heimat seine Leiden durch ihrer Wälder Ruhe nicht mehr stillen können. Spätestens seit 1806 – also noch Jahrzehnte vor seinem Tod – galt der begabte Dichter seinen Zeitgenossen als wahnsinnig. Ab 1807 bewohnte er bei der Familie Zimmer in Tübingen ein Turmzimmer, was alsbald als Hölderlin-Turm bezeichnet wurde. Um diese Zeit (1805) entstand auch eines seiner letzten Gedichte „Hälfte des Lebens“: “Mit gelben Birnen hänget/Und voll mit wilden Rosen/Das Land in den See,/Ihr holden Schwäne,/Und trunken von Küssen/Tunkt ihr das Haupt/Ins heilignüchterne Wasser.//Weh mir, wo nehm’ ich, wenn/Es Winter ist, die Blumen, und wo/Den Sonnenschein,/Und Schatten der Erde?/Die Mauern stehn/Sprachlos und kalt, im Winde/Klirren die Fahnen.”

Friedrich Hölderlin

Gedichte

Eine Auswahl

Hrsg. und Nachw.: Kurz, Gerhard

2020, Softcover, 143 Seiten

ISBN: 978-3-15-020600-3

Reclam Verlag

8,00 €t

 


Genre: Jubiläum, Lyrik
Illustrated by Reclam Verlag

Wirf deine Krücke ins Abendrot

Das Buch Peter Sonnbichlers lässt sich nicht auf einem Bildschirm lesen. Oder irgendwie digital konsumieren. Auch nicht in den stickigen Räumen einer Bibliothek. Dazu quillt zu prall das Leben zwischen den Seiten hervor. Am besten liest es sich am Rand einer Mailichtung, oder im Mondlicht, auf einem Kirschbaum sitzend, oder gegen eine Pappel gelehnt, oder gegen den Sommer oder das Kliff von Strunjan. Oder wenigstens gegen die Klippen hinblickend, wie ich es gerade tue, diese Zeilen ins Heft notierend, nachdem ich das Gedicht Sonnbichlers über die Sehnsucht nach der Weite über Strunjans Himmel las. Weiterlesen


Genre: Lyrik
Illustrated by edition sonne und mond

Notes on a Dirty Old Man. Charles Bukowski von A bis Z

Ein überraschend vielschichtiger Blick auf den Dirty Old Man

 

Pünktlich zum 100. Geburtstag, den Charles Bukowski am 16. August 2020 gefeiert hätte, veröffentlicht der Verlag Zweitausendeins das Buch „Notes on a Dirty Old Man. Charles Bukowski von A bis Z“. Der Verlag kündigt es als ein „unlexikografisches Lexikon“, eine „persönliche Bukowskipedia“ an. Diese forsche Einordnung, die von Understatement und Übertreibung zugleich geprägt ist, hätte Bukowski sicherlich gefallen. Immerhin kann sich Zweitausendeins auf die Fahnen schreiben, im Dreigespann mit dem Augsburger Maro-Verlag und dem 2012 verstorbenen Übersetzer Carl Weissner Bukowski Ende der 1970er Jahre in Deutschland bekannt gemacht zu haben. Erst diese Aufmerksamkeit sorgte für eine weiter geschärfte Wahrnehmung in seiner Heimat Amerika.

Die Schattenseite des American Dream

Charles Bukowski, dessen Romane, Gedichte und Short Stories sich vornehmlich um Verlierer, Säufer, Außenseiter, Machos, Prostituierte, Schmuddelsex und Entmenschlichung drehen – also die Schattenseite des American Dream -, war für Zweitausendeins schon immer eine Herzensangelegenheit. Für das Buchprojekt konnte man Frank Schäfer gewinnen, seines Zeichens Schriftsteller, Popkulturexperte, Heavy Metal-Freak und Bukowski-Enthusiast.

„Charles Bukowski von A bis Z“ suggeriert etwas Umfassendes, Kompendienhaftes. Der Untertitel erinnert beispielsweise an die bei Metzler/Springer erschienenen „Personen-Handbücher Literatur“, etwa zu Robert Walser, Thomas Mann oder Franz Kafka. Genau ein solches Nachschlagewerk ist „Notes on a Dirty Old Man“ jedoch nicht. Und dennoch schafft es Frank Schäfer, einen überraschend vielschichtigen Blick auf Leben, Werk und Wirkung Charles Bukowskis zu werfen.

47 Stichwörter und profundes Wissen

Unter insgesamt 47 Stichwörtern, von „Ablehnungsbescheid“ bis „Weissner“, hat Schäfer jeweils ein- bis sechsseitige Essays verfasst und in zwei Fällen Interviews geliefert, die mit profundem Wissen zu Bukowski aufwarten. Dabei zeigt sich Schäfer nicht nur auf der Höhe des jeweiligen Forschungsstandes, sondern es gelingt ihm auch, eine Fülle an Details in einer kurzweiligen Form und einem gut lesbaren, bisweilen ironisch-saloppen Schreibstil zu vermitteln.

Schäfer bestätigt zwar so manches Bukowski-Klischee, etwa den für die literarische Produktion nötigen Dauersuff (erst 1988 lebt er nach einer Therapie gegen Hautkrebs für sechs Monate abstinent). Doch zeichnet er das ebenso differenzierte Bild eines sensiblen, zu scharfen Beobachtungen fähigen Dichters, der schon in jungen Jahren aufgrund seiner schweren Akne-Erkrankung zum Außenseiter („Gesicht“) wurde. Zugleich machten ihn die fortwährenden Misshandlungen durch seinen gewalttätigen Vater zum desillusionierten Fatalisten („Vater“). Bukowski sprang nicht gerade zimperlich mit Zeitgenossen in seinem Umfeld um („Open City“), war erklärtermaßen apolitisch („Politik“) und hasste Dichterlesungen (und hielt sie doch des Geldes wegen, „Dichterlesungen“). Zudem hatte er ein merkwürdig ambivalentes Verhältnis zu den umfangreichen Textüberarbeitungen durch seinen Verleger John Martin („Verschlimmbesserungen“).

Reizthemen

Auch Kontroverses wird nicht eingeebnet: Bukowski war mitunter rassistisch, frauenfeindlich, homophob. Dennoch pflegte er eine Freundschaft zu dem schwulen Dichter Harold Norse („Homos“) oder arbeitete durchaus respektvoll mit vielen schwarzen Kollegen während seiner diversen Aushilfsjobs zusammen („Rassismus“). Gerade diese offensichtliche Beliebigkeit von Standpunkten und der nicht zu leugnende Opportunismus Bukowskis liefern seinen Kritikern bis heute genug Reizthemen für die Geringschätzung seines Werks. Doch nicht zuletzt in den unideologischen Abbildungen der Realität finden Bukowski-Fans dagegen ebenso viele Qualitätsaspekte. Die Polarisierung, die Bukowski nach wie vor erzeugt, hat unter anderem hier ihre Wurzeln.

Da es zu X, Y und Z keine Stichwörter gibt, präsentiert Schäfer unter „XYZ“ eine stichwortartige Biografie Bukowskis, die, nach Jahren geordnet, die wichtigsten Stationen in Leben und Werk nachzeichnet. Abgerundet wir der Band mit einem aufs Wesentliche beschränkte Literaturverzeichnis und mit einem Fototeil. Dieser bietet 20 Schwarzweißbilder, die der deutsche Fotograf Michael Montfort 1978 hauptsächlich während Bukowskis Lesereise nach Deutschland geschossen hatte. Diese Reise wurde seinerzeit von Zweitausendeins organisiert – so schließt sich der Kreis.

Für Kenner und Einsteiger

„Notes on a Dirty Old Man” eignet sich für Bukowski-Kenner wie für -einsteiger gleichermaßen. Man kann die Essays chronologisch lesen oder sich auch bestimmte, ausgewählte Stichwörter vornehmen. Jeder Essay ist wie ein Teil eines sich nach und nach zu einem Gesamtbild fügenden Puzzles.

Nach der Lektüre hat man den Eindruck, dem kontroversen Autor und seinem Werk nicht nur ein Stück näher gekommen zu sein, sondern auch ein differenziertes Bild fernab einseitiger Lobhudelei erlangt zu haben. Das ist eine Leistung, die eine ausführliche Bukowski-Biografie (von denen es einige gibt), nicht besser machen könnte. Insofern ist das Buch ein durchaus gelungenes und würdiges Geburtstagsgeschenk zu Charles Bukowskis Hundertstem. Der gute, alte Buk stößt sicherlich darauf an – im Himmel, in der Hölle oder irgendwo dazwischen.

 

Frank Schäfer: Notes on a Dirty Old Man. Charles Bukowski von A bis Z.
Leipzig: Zweitausendeins, 2020.
272 Seiten, 17,90 Euro.
ISBN: 978-3963180675

Zweitausendeins


Genre: Amerikanische Literatur, Amerikanistik, Biographien, Kulturgeschichte, Lyrik, Roman, Sachbuch
Illustrated by Zweitausendeins Leipzig

Ausgewählte Texte

Seltsam. Der Titel dieses mit reifen Erdbeeren bedruckten Buches besteht aus lediglich zwei Zeilen mit insgesamt zwölf Punkten. Und ebenso ungewöhnlich wie der geheimnisvolle Titel ist auch der Inhalt dieser Sammlung.

Mit den zur Veröffentlichung ausgewählten Texten in Lyrik und Prosa wird die Wiederentdeckung mit einem nahezu vergessenen Autor ermöglicht, dem eine Renaissance zu wünschen wäre:

Underground-Autor Richard Brautigan.

 

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Genre: Kurzprosa, Lyrik, Underground
Illustrated by Hoffmann und Campe

Teba – Arche oder Wort

Rudolf Krieger entwickelte eine neue Lyriksprache. Das ist bemerkenswert. Dass er sich zur Kommunikation eines individuelles Zeichen-Systems – bzw. Symbolsystems bedient, verweist dabei keineswegs auf die Gepflogenheiten der Moderne, die eigene Originalität und Kreativität in den Mittelpunkt zu stellen. Sondern vielmehr auf die Notwendigkeit, auf den Bedeutungs- und Sinnverlust in Folge der Zerstörung der klassischen verbindlichen Symbolsprachen (welche ja schon Josef Beuys beklagte), neue verbindliche Symbole und eine gültige Metaphernsprache zu finden. Die Schwierigkeit liegt natürlich in der Forderung nach Allgemeingültigkeit solch individuell kreierter Sprachen: In der Lyrik jedenfalls ist das Verständnis ohnehin nicht mit der kühlen Rationalität zu finden. Worte, Metaphern, Sprachbilder berühren den Leser – sagen einem etwas – oder eben nicht. Eine Absolut-Setzung der Symbole/Zeichen ist in der Dichtkunst nicht notwendig – wäre letztlich ja gar ein Rückschritt vor die Moderne, die vor Verabsolutierungen der einzelnen -ismen und Überbietungsorgien nur so strotzt. Verbindlichkeit ist eindeutig gegeben, weil Krieger auf eine leibhaftige Sprache setzt (statt auf das Zerreißen der Syntax und die Sinnzertrümmerung der modernen/postmodernen Sprachzerstörer). Inspiriert von Natur, Bewegung, Philosophie und Mystik (hebräischer Provenienz, tibetanisches Totenbuch und I-Ging) ist er imstande, Räume des Ewigen und Plätze der Offenbarungen miteinander zu verbinden. Dieser Offenbarungsplatz ist für ihn das Wort. Die Straßen von den Plätzen weg in das Leben hinein sind seine Sätze, in denen er eine transrationale – eine den reinen Intellekt und erst recht die Naturwissenschaften übersteigende – Wirklichkeit kündet.
Krieger ist tief vom Symbolwillen durchdrungen. Wasser ist Leben. In dem manch papierener Fisch schwimmt. Genaues erfahren wir ja in Kriegers Symbolerklärungen. Plattrationales Verstehen zu suchen, erschwert das Eintauchen in seine Sprache – man würde nur auf den Wellen hin- und hergeworfen werden. Am besten läse man wohl nicht mit den profanen Augen, sondern mit dem weit geöffneten dritten. Dann offenbart sich die Sinnschönheit Kriegers Sprache. Erkennt man, dass seine Elegien weniger Klage, als leises Rufen sind, auf dass er die Antwort des Windes, der Sterne, des Erdbodens, eines Tisches nicht überhört. Wenn wir selbst stille werden, um in diesem Rufen das allgemein Wesenhafte zu erlauschen, dann mögen wir ebenfalls in der Lage sein, die Antworten des Ewigen, sowie der Steine und der Lampen in uns zu vernehmen. Wir sollten sachte lesen, nicht mit den gewohnten eingeschalteten Verstandesscheinwerfern, die nur in Autobahnsackgassen zügig führen. Dann glimmt ein Schein auf, der uns Pfade ins Innere der Zeit weist. Zurück zu unserem edelsten Wesen. Zur Seele.
Oder: Das Schwarz des unendlichen, lebendigen, glitzernden Nichts – von Rudolf Krieger massiv und feurig komprimiert – funkelt als Diamanten auf.


Genre: Lyrik
Illustrated by edition sonne und mond

Mit einem Becher Süßholzlikör

„Irgendwo ein Haus aus Lehm/den ich aus Träumen hob“ …

Die Schönheit der Bildsprache Jonathan Perrys steht quer zur gewohnten Gegenwartslyrik, die vor Hässlichkeit, Nonsens, Negativschmalz und Verfallshysterie nur so dahin trieft.

Auch Perrys Gedichte kreisen um Vergänglichkeit, den Wandel, aber finden leichten Halt in ihm. Im Wechsel der Jahreszeiten (Perry ist leidenschaftlicher Rezipient japanischer Poesie), im zyklischen Denken, besser: Fühlen. Wie zartes, erstes Grün sprießen zwischen dem Humus des Laubs und des Verfalls seine Worte aus dem Mutterboden. Aus der Erde. Deren ausgewiesener Sohn er ist. Wie er Freund der Flüsse ist (seinen nächsten nennt er respektvoll „Steineschlichter“), und Liebhaber der Wiesen. So zart lesen sich seine Gedichte: als streifte einen der Flügelschlag eines Schmetterlings. Doch zugleich ahnt man den Berg, die Almwiese, von welcher dieser aufstob.

Er ist „verschwistert mit den Wasserwesen, Algen“ (wie er in einem „Pappelblatt“ schrieb), schöpft aus der Natur sein feines Repertoire, ohne Angst als unintellektuell zu gelten, weil er nicht im fühllosen Trott der Zeit mithechelt. Mond und Sonne scheinen auf den leisen, verschlungenen Pfaden, auf denen seine Sprache mäandert. Einer Sprache, welche der modernen Angekränkeltheit und Dekadenz wohltuend entbehrt.

der Bachstelze gleich/über den Fluss/schwingt sich mein Blick/ans Ufer/wie sie/ beginnt/vor Freude zu wippen –/wie ich!“

Jonathan Perry: „Mit einem Becher Süßholzlikör”; edition sonne und mond, 2019; Paperback, 88 Seiten; ISBN: 978-3-950344-8-8


Genre: Lyrik
Illustrated by edition sonne und mond

Sympathie für Faune

Ulli B. Laimers Gedichte berühren eine magische Welt. Nicht, dass wahre Lyrik dies nicht generell vermag, der herrschende Zeitgeist lässt solch kleine Wunder allerdings eher zufällig zu – meist übersieht die modernistische Zensur eher die geistige Welt, an der „magische“ Gedichte nippen, als sie zu vermissen.
Laimer kümmert das Spiritualitätstabu der modernen Literatur nicht: Sie formuliert, was sie denkt. Sie fasst in Worte, was sie spürt. Sie bekennt sich ausdrücklich zum „Diskurs mit einer beseelten Welt“.

Alles was existiert, lebt. Alles in der Welt ist beseelt. Diese Weisheit teilt sie mit den indianischen Ureinwohnern (und allen archaischen Nationen: von der Steppe Zentralasiens, bis in die Tundra, nach Lappland und Kanada; von den Plains zu den Indios Lateinamerikas, bis nach Australien und in die Voodookultur) ebenso wie mit den Ahnen des indoeuropäischen Kulturkreises. Sie schätzt speziell die keltische vormoderne Literatur, und hegt unzweifelhaft keine ästhetizistische, sondern eine aus dem Herzen aller Zeiten, aus Mutter Erdes Schoß geborene Sympathie für Faune.

Sie schreibt von der kreisrunden Zeit, besitzt einen zyklischen Zeitbegriff, wie ihn Rudolf Kaiser in „Gott schläft im Stein“, erläuterte. Die Zeit ist rund, alles kehrt wieder, kreisend um eine leere Mitte: Das Symbol der Nabe, die den Urgrund repräsentiert. Wir finden es in den Upanischaden ebenso wie im Tao Te King des Religionsstifters Lao Tse. Auch in Laimers Gedicht „Rad“ wird der Rhythmus der Rundheit beschworen.

Zu allen Zeiten und in der gesamten Welt war sich die Menschheit ganzheitlicher Weisheiten bewusst. Seit 2oo, 25o Jahren vielleicht glaubt eine intellektualistische Elite an den linearen Verlauf der Dinge. Und rennt wie verrückt in ihrem selbstgebauten Hamsterrad im Kreis. Die Literatur zappelt mit, an vorderster Front, weil sie sich mitsamt den Wissenschaften ab der Aufklärung anmaßte, die richtige Welt – die der Ratio und des sachlichen Verstands – zu beschreiben. Und weil sie heute den Anschluss an die Ressourcenvergabe nicht verlieren will.

Einen wohltuenden Pfad aus dem Käfig, der Kälte und der zynischen Finsternis weisen uns Ulli B. Laimers Gedichte. Oft sind sie ganz einfach schön. Wie: „Ich möchte wieder ein Baum sein“. Oder: „In mir, nächtens“, das zudem auf eindrucksvolle Weise die im aufgeklärten Äon verdrängten, nicht-benannten Wesen der Nacht besingt. In einer berauschend dunklen Tiefe, die an die „Nacht“ Novalis gemahnt.

Im Gedicht „Flut“ vereinigen sich Schönheit und ewige Weisheit auf mythische Weise:

Wenn/das Licht/schwächer wird/kehrt das Meer/in mir/zurück//Knie über/ Knöchel/stirngetaucht/Brandung mein Atem/lebendig/bis/zum/Horizont

In den Raum jenseits des Reichs der kahlen Vernunft entführt uns Laimers Lyrik. Selbst wenn manches schattig, fraglich und fragil erscheint, weiden ihre Verse uns auf Oasen sprießend saftigen Lebens, voll all der Schattierungen von Grün. Einhörner, Drachen, Waldgeister, Wölfe, Mond und Sonne, eine mütterliche Erde bevölkern ihre Gedichtlandschaften – von dort winken sie uns, auf dass wir über die zitternde Hängebrücke eilen, in der Anderswelt zumindest mit unserer Seele zu leben, Seite an Seite mit der glückvollen Phantasie.

Bestellbar im Buchhandel über ISBN 978-3-9503442-5-7


Genre: Lyrik
Illustrated by edition sonne und mond

Meine Sehnsucht wandert mit dem Sand

Die Gedichte Lieselotte Stieglers sind tatsächlich in dem Sinn Ge“dichte“, dass sie zu allermeist sehr knapp angelegt wurden. Auf überflüssiges ist verzichtet, dennoch nicht die Lyrik geschmäht, weil Stieglers Metaphern schön sind, das Spiel mit den Worten gekonnt und ihre Dichtkunst ausgereift ist. Wir sehen vor uns einzelne kleine Meisterwerke, wie Blüten auf einer Wiese: violette, gelbe, ziegelrote, doch ihre kurzen Gedichte hängen irgendwie auch alle zusammen. In „Andalusien“ etwa wachsen Dornen und Jasmin auf Ziegeldächern, das nächste Gedicht heißt: Dornen. Zuvor bereits besingt sie Lorca, erklingen die Jondos in Granada. Also bilden die einzelnen Blüten im exquisitesten Sinn eine Blumenwiese, an deren Ende zum Stadtrand hin sie jedoch vertrocknet und dürr daliegt – die politischen Gedichte gegen Schluss des Bandes.

Keinesfalls möchte ich von der Sammlung der Blüten in diesem Band sprechen. Denn Stiegler schreibt: „Pflücke nicht die Blume, die aus den Wolken wächst.“ Und warnt davor, uns die Worte untertan zu machen, um die damit umrissene Welt durch unsere Ratio zu fesseln. Sie selbst streift diese Fesseln immer wieder ab, schält sich aus den zu engen Wörtern heraus, speziell die der bannenden Liebesbeziehungen. Dann solche, die einen zu engen kneifenden Heimatbegriff beschreiben.

Poetisches, persönliches und politisches fließen im Gedichtband fast übergangslos ineinander: eine weitere Stärke des Büchleins. Flucht ist keine leichte Entscheidung. Eine tödliche Heimat für eine gemeine zu tauschen kein Honiglecken. Stieglers Empathie ist klug: sie fragt, wie sehr wir als Individualisten denn selbst wünschen „integriert“ zu sein.

Auf gewisse Weise haben wir ein einziges langes Gedicht vorliegen, dessen Pfad zwischen Sandelholz und Mandelbaum bis auf die Schutthalden der Gegenwart führt. Doch sie trauert nicht, beklagt nicht jammernd modernistisch die Existenz sondern hält Jubel und Kritik in ausgeglichener Schwebe, sodass wir von gekonnter ganzheitlicher Literatur sprechen können. Zumal die Gedichte verwurzelt bleiben, an der Erde haftend, wenn auch zum Himmel, in die Ewigkeit weisend. Abgehoben aber kommen sie beileibe nicht daher. Eher in einer wohltuenden Harmonie: vielleicht nicht wie ausgerissene Blumen, aber getrocknete Samen und Früchte und Blütenblätter, die nach Lavendel, Sandelholz und Orangenblüten duften.

Als Nachtrag möchte ich kurz auf das außergewöhnliche Cover von Sonja Henisch eingehen, das eine Seherin zeigt. Ein Bild, das die Attribute weiblicher Rundheit und Weisheit trägt, aber nicht barsch sexuell zu deuten ist. Die Figur ist unrealistisch gemalt, der Arm speziell kein menschlicher: eben weil es „die Seherin“ ist, die weist… die Scham ist nicht aus modemodernen Gründen rasiert, sondern verweist auf das Ungeschlechtliche wenngleich nicht Asexuelle – übersexuell wäre wohl das richtige Wort: Arm sowie die breiten Schultern spiegeln den männlichen Anteil wider, Becken, Rundungen, das lange Haar den weiblichen, die Gesichtslosigkeit entwürdigt nicht das Weib, sondern steht für das Überindividuelle. Die Chakra-Farben stellen die Figur ins richtige Licht. Die Nacktheit der Figur generell ist das Indiz unserer Nacktheit/Bloßheit vor dem Göttlichen/der Göttlichen Mutter. Sie hat nichts mit dem neoliberalen Entblößungsgeschäft des Kaufwertreizes gemein. Der Betrachter möge seine Augen schulen, bzw. öffnen, um nicht allein seine Vorurteile zu erblicken, sondern sich zu erweitern. Wie gesagt, ein spezielles Bild, das in die Zukunft weist, und die Gedichte Lieselotte Stieglers herrlich interpretiert.

Lieselotte Stiegler: „Meine Sehnsucht wandert mit dem Sand“, edition sonne und mond, 2o17, brosch, 7o S, ISBN: 978-3-9503442-3-3; 9.- € erhältlich unter bestellungen@sonneundmond.at


Genre: Gedichte, Lyrik
Illustrated by edition sonne und mond

Irgendwas ist immer

Tucholsky: Humor mit fünf Sinnen

Tucho2„Besser ein Anzug nach Maß als eine Gesinnung von der Stange“, schreibt der Mann, der Zeit seines Lebens wohl nie in einen Anzug gepasst hätte: Kurt Tucholsky. Den einen war er zu links, den anderen zu konservativ und doch hat „Tucho“ – ein Pseudonym mit dem er gerne seine Briefe unterschrieb – sie alle zum Lachen gebracht. Der „kleine Berliner, der mit seiner Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte“ (Erich Kästner) war nicht nur ein begnadeter Feuilletonist, sondern auch Schriftsteller und Kabarettist. Niemals analysierte er die Welt als Parteigänger einer bestimmten politischen Richtung, sondern immer als Mensch und zwar als Mensch mit „allen fünf Sinnen“, wie auch der Herausgeber, Günter Stolzenberger, im Nachwort betont. Seine Lyrik ist zutiefst humanistisch, denn seine Themen greifen aus dem Alltagsleben und egal ob er über politische Schandtaten oder defekte Wasserhähne schreibe, immer habe er es mit dem Augenmaß der einfachen Menschen getan, die ihn auch verstanden und sogar seine Chanson und Lieder sangen.

Animation zum Denken

Das Leben und Leiden der einfachen Menschen sei stets im Fokus seines Engagements gestanden und durch stilistische Meisterschaft habe er es mittels seines federleichten Humors auch erträglicher gemacht, wer in seinem Werke wühle, so Stolzenberger, der gehe in den Wald in einem guten Pilzjahr: „Man hat nicht nur die Freude des Findens sondern kehrt auch noch mit vollem Korb zurück.“ Und so hat sich zu dem einen Büchlein, das sich seinen Lebensweisheiten widmet, auch gleich ein zweites gesellt, das mehr seine Lieder, Chansons und Schmonzetten beinhaltet. Zwischen 1907 und 1932 hat Kurt Tucholsky unter den unterschiedlichsten Pseudonymen insgesamt 2500 Artikel, Feuilletons und Reiseberichte, 800 Gedichte, Stellungnahmen zum Zeitgeschehen, zwei Liebesromane und ein Reisebuch veröffentlicht. Da ihm Bücher „zu langsam“ waren bevorzugte er es zeit seines Lebens Woche für Woche eine ganze Reihe Zeitungen und Zeitzschriften mit seinen Texten zu bombardieren, darunter Die Weltbühne, Vorwärts, das Berliner Tageblatt und viele andere mehr. Theobald Tiger – so eines seiner Pseudonyme – habe die Massenkultur mit ihren eigenen Mitteln bekämpft, denn er nutzte die Form der Unterhaltung, „um es klammheimlich oder offen zum Denken zu animieren“, so der Herausgeber.

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Tucholskys gestossne Seufzer

Peter Panter – auch das ein Pseudonym – blieb auch als Dichter Journalist, denn zu genau und treffend sind seine Beschreibungen und Analysen des alltäglichen Lebens in der Weimarer Republik. Der als Schüler ausgerechnet in Deutsch sitzen gebliebene legte sein Abitur ab, um wenig später ein juristisches Studium in Bestzeit abzuschließen. Seine ersten Texte werden ausgerechnet von einer Zeitschrift namens „Ulk“ veröffentlicht, aber auch Pan, März und Simplicissimus drucken seine Glossen und Gedichte. Als Ignaz Wrobel oder Kaspar Hauser schreibt er Satire und wird nach Ableisten seines Militärdienstes auch bald politisiert, denn schließlich erlebte er auch den Ersten Weltkrieg und kannte die Verheerungen die der Krieg in einem Land und seiner Bevölkerung hinterlässt. Sein kurzes Tete a Tete mit der USPD und deren Zeitung Freiheit mögen ihm manche Demokraten übel nehmen, aber Tucholsky blieb doch stets Kabarettist. 1924 wird er sogar Korrespondent in Paris und pendelt zwischen den beiden Hauptstädten in denen er jeweils eine Geliebte und eine Ehefrau hat. „Golf“, schreibt Tucholsky an einer Stelle, „ist ein verdorbener Spaziergang“, aber man könne einen Hintern schminken, wie man wolle, es werde nie ein ordentliches Gesicht daraus. „Mensch, wenn du so lang wärst wie de dumm bist, könntste aus der Dachrinne saufen“. Diese und weitere Lebensweisheiten können sie in den beiden Sammlungen von Günter Stolzenberger „Dürfen darf man alles“ und „Irgendwas ist immer“, erschienen als Hardcover-Taschenbuch bei dtv nachlesen. Und zu guter letzt noch ein „gestossner Seufzer“ aus dem Tucholsky-Gedicht „Ein gestossner Seufzer“, das sich wunderbar als Motto für einen langen Ausgehabend eignet: „Trink aus der Nachbarin Champagnerglas!/Bleib schuldig Miete, Liebe, Arzt und Glas!/Bezahl den Apfel – friß die Ananas!/Wer also handelt bringts zu was.“

Günter Stolzenberger (Hrsg.)
Kurt Tucholsky
Dürfen darf man alles. Lebensweisheiten
EUR 9,90 € [DE], EUR 10,20 € [A]
dtv Literatur
Herausgegeben von Günter Stolzenberger
176 Seiten, ISBN 978-3-423-14011-9

Günter Stolzenberger (Hrsg.)
Kurt Tucholsky
Irgendwas ist immer. Lebensweisheiten
EUR 12,00 € [DE], EUR 12,40 € [A]
dtv Literatur
Originalausgabe, 208 Seiten, ISBN 978-3-423-28119-5
7. April 2017

 


Genre: Aphorismen, Lyrik
Illustrated by dtv München