Zum Sterben schön

Anfang der Neunziger im spanischen Andalusien wird Hugo durch einen Telefonanruf aus seinen Grübeleien gerissen. Eine verwirrte junge Frau mit seiner Telefonnummer in der Hand wurde in einem abgelegenen Winkel Andalusiens gefunden, er solle doch kommen, um sie abzuholen.

Ausbruch in die Freiheit

Chivas Regal am Verstärker, Pink Floyd’s Dark Side of the Moon in den Ohren und ein paar aufgebrachte Nachbarn später bricht Hugo auf, die Frau zu suchen, die seine Telefonnummer hat. Aber was Hugo nicht weiß, ist, dass noch ein anderer Mann nach dieser Frau sucht und der kennt sie wirklich. Er ist ihr Ehemann und vor ihm ist sie wahrscheinlich geflüchtet. Die Frau, die ihn anrief, wohnt mit ihrem leicht debilen Sohn Louis im Nirgendwo Andalusiens an einer Landstraße. Es kommen nicht viele Menschen dort vorbei und die Einkünfte von Frau Soler sind gering. Warum sollte sie ihr Einkommen also nicht mit etwas Hilfe von Fremden aufbessern? Auf seiner Reise in die Provinz wird der Junge von ein paar spanischen oder andalusischen Rednecks auseinander genommen, gerade als er die Spur der geheimnisvollen jungen Frau aufgenommen hat. Die Einfältigkeit der Menschen am Land für die jeder Fremder ein Verdächtiger ist macht auch vor Hugo nicht Halt. Diese Erfahrung macht wohl jeder junge Mensch, der alleine reist. Seguso, der Ehemann ist bei seinen Recherchen weniger zimperlich, er benimmt sich ebenfalls wie ein Redneck, ist unfreundlich und brutal. Als ein Mechaniker auf einer Reparaturwerkstätte ihn als Versicherungsmakler einschätzt, läßt er ihm seinen Glauben. Er hat kein Interesse an der Wahrheit oder an Gesprächen. Da ist Hugo ganz anders und als er Maria schließlich findet, sieht sie ihm in sein gutes Herz. Aber am nächsten Tag ist sie verschwunden.

Zum Sterben schön

Jetzt muss sich Hugo beeilen, denn er ahnt, dass es da einen Ehemann gibt, der diese Maria ebenfalls suchen könnte. Eine spannende Verfolgung durch die Sanddünen Andalusiens beginnt an deren Ende leider nicht nur die ewiggestrigen Franksten auf der Strecke bleiben, sondern auch das Gute dieser Welt. Denn die andalusische Wüste birgt ein grausames Geheimnis, das jeder auf seine Art entdecken und verarbeiten muss. Hugo ebenso wie Seguso. Oder handelt es sich vielleicht doch alles um eine Verwechslung? Meisterhaft zeichnet Jean-Michel Beuriot im sepiafarbenen Gelb- und Goldtönen, sowohl die Wüste als auch ihre Protagonist:innen bekommen ihr ganz besonderes Denkmal. Denn Szenario Philippe Richelle hat sich ein ganz besonderes Verwirrspiel und viele Plot Twists überlegt um die Leser:innen auf den Holzweg zu führen. Oder sollte man sagen durch die andalusische Wüste? Ein lesenswertes Abenteuer, das sowohl die Schönheit der Wüste als auch die einer neu entflammten Liebe zeigt, aber auch vor Besitzansprüchen warnt. Denn die wahre Liebe gedeiht nur in Freiheit.

Philippe Richelle
Zum Sterben schön
Zeichnung: Jean-Michel Beuriot · Szenario: Philippe Richelle
2024, gebunden, 88 Seiten, Farbe
ISBN: 978-3-96582-169-9
Schreiber&Leser
€ 22,80


Genre: Comic
Illustrated by Schreiber&Leser

Bailey’s Eighties

Eighties. Waren die Achtziger die Dekade der Dekadenz? Fotograf David Baileys Blick zurück auf die Ära der Zügellosigkeit zeigt alles: die Schulterpolster, toupierte Haare und knallige Farben, aber auch Fotos aus Vogue und Tatler und Ikonen wie Jerry Hall, Tina Turner und Yves Saint Laurent. Nackt, angezogen oder nur leicht bekleidet? David Bailey, einer der renommiertesten Mode- und Porträtfotografen Großbritanniens, nimmt uns mit auf seine Zeitreise in die Achtziger.

I Love The 80s in Black and White und Farbe

Das Bekenntnis des Fotografen David Bailey (Jg. 1938), der gebürtiger Londoner ist, könnte gleichsam titelgebend über seinem Werk stehen. Bailey gilt als einer der Begründer der zeitgenössischen Fotografie und hat wohl einige der ikonischesten Porträts der letzten fünf Jahrzehnte erschaffen. Sein Frühwerk widmete sich noch ganz der Atmosphäre vom Swinging London der 60er-Jahre. Er machte damit eine neue Generation von Models wie Jean Shrimpton und Penelope Tree zu Stars. Neben der Fotografie arbeitet Bailey damals auch noch in den Bereichen Werbung, Film, Malerei und Bildhauerei, was seine Arbeiten wohl mitbeeinflusste. Seine sehr direkte, angeschnittene Perspektive wurde stets von einem Gefühl von Bewegung und Unmittelbarkeit begleitet, was wohl seine Werke so lebendig macht. Für die Eighties wurde der britische Modefotograf David Bailey bald so etwas wie ein Chronist. Als Gegensatz zu den Sechzigern standen in den Achtzigern mehr leuchtendere Farben, noch mehr Glamour, hochgewachsene Models, extremes Make-up, Spandex, Lycra, Jumpsuits, Power-Dressing, Big Hair und, wie Grace Coddington es im Vorwort formuliert, „Jackets mit riesigen Schulterpolstern, die über den allerkürzesten Miniröcken und gefährlich hohen Schuhen getragen wurden“ im Vordergrund.

Glamour und Glitzer eines Jahrzehnts der Genüsse

Das Buch “Eighties” versammelt Baileys stilprägende Modefotografien aus den legendären Zeiten von Vogue Italia, Vogue Paris, Tatler und zahlreichen anderen auf dickem, sehr hochwertigen Papier. Mit Bildern von Couture-, Laufsteg- und Prêt-à-porter-Kollektionen der wegweisenden Designer dieser Dekade, darunter Azzedine Alaïa, Comme des Garçons, Guy Laroche, Missoni, Stephen Jones, Valentino und Yves Saint Laurent, ist das Buch wie eine Dokumentation eines Jahrzehnts zu lesen, das Geschmackshierarchien auflöste, um Spaß und Sex in die Mode zurückzubringen. Glitzernder Schmuck, schimmernde Seide und raschelnde Anzugstoffe werden spielerisch, unbesiegbar und provokativ unter die Schönsten der Schönen gemischt und in Szene gesetzt. Darunter finden sich Ikonen der 1980er Jahre wie Catherine Bailey, Naomi Campbell, Cindy Crawford, Catherine Deneuve, Prinzessin Diana, Jerry Hall, Marie Helvin, Grace Jones, Kelly LeBrock, Christy Turlington, Tina Turner und viele mehr. „Die Achtziger haben sich als magisch erwiesen.“, sagt David Bailey im Vorwort zu vorliegender Publikation, die diese Magie wieder lebendig werden lässt.

David Bailey
Eighties
2024, Hardcover, 296 Seiten, 28.4 x 36 cm, 3.55 kg
Ausgabe: Englisch
ISBN: 9783754400111
TASCHEN
€ 100


Genre: Fotografie, Porträt
Illustrated by Taschen Köln

Geständnisse eines Touristen: Ein Verhör

Wer „Atlas eines ängstlichen Mannes“ gelesen hat, ist unweigerlich verloren. Verloren im Universum der Literatur-Droge namens Christoph Ransmayr. Wie es in Selbsthilfegruppen üblich ist, nennt man seinen Namen und gesteht: „Ich bin süchtig“. Weiterlesen


Genre: Erinnerungen, Erzählung, Gesellschaftsroman, Kurzgeschichten und Erzählungen, Politik und Gesellschaft, Reisen
Illustrated by Fischer Verlag

Das Siebte

Mangel an Inspiration und Substanz

Mit dem Titel «Das Siebte» hat der französische Schriftsteller Tristan Garcia seinen siebenteiligen Romanzyklus abgeschlossen, und nicht zuletzt hat er auch die mystische Bedeutung der Zahl sieben mit einbezogen in seine Geschichte von Einem, der sieben mal lebt. Ein philosophisches Experiment, das als narratives Gerüst fungiert für allerlei Gedankenspiele zum Thema Tod. Und dabei wird dann auch die uralte Frage gestellt: Was wäre denn, wenn es nach dem Sterben ein Wiedererwachen gäbe? Wenn man also, anders als bei Jesus, der ja zu seinem ‹Vater› in den Himmel aufgestiegen ist, im gleichen Körper wiedergeboren wird, mit dem bereits vorhandenen Bewusstsein allerdings aus dem vorhergehenden Leben. Der Autor lässt seinen namenlosen Romanhelden also sechs Mal wieder auferstehen, ehe er nach seinem siebten Leben dann endgültig tot ist.

In den sieben Kapiteln des Romans werden nacheinander die sieben Leben des Ich-Erzählers geschildert, beginnend jeweils mit der Geburt, die der Protagonist bei vollem Bewusstsein miterlebt, und jedes Mal schneidet sein Vater wieder höchstpersönlich die Nabelschnur durch. Er wächst heran, und als Siebenjähriger überfällt ihn erstmals ein heftiges, nicht stillbares Nasenbluten, welches seine Mutter zwingt, mit ihm in eine Spezialklinik nach Paris zu fahren. Dort nimmt sich ein Arzt seiner an, der ihn mit «Hallo, alter Junge» begrüßt und ihm die Hand hinstreckt. «Ich heiße François, aber alle nennen mich Fran.» Gegen das Nasenbluten gibt Fran ihm eine winzige Phiole mit einer stinkenden Flüssigkeit, die er tief einatmen soll, – und die denn auch sofort hilft. Sein Nasenbluten sei eine genetische Anomalie, erklärt der Arzt. Und im weiteren Gespräch prophezeit er ihm schließlich: «Du wirst nicht sterben», was beim Ich-Erzähler auf völliges Unverständnis stößt. Neben Fran, der ihn auch künftig durch alle seine Leben hindurch begleiten wird, ist es vor allem die schöne Hardy, die als Freundin, Geliebte, Kumpanin, Revolutionärin, Ärztin und Ehefrau eine wichtige Rolle in seinen sieben Leben spielt. Eine so tolle Frau, dass ihn ein Bekannter bittet: «Rufen Sie mich an, wenn sie sich je scheiden lassen wollen!» Neben diesen beiden Wegbegleitern trifft er auch immer wieder auf die gleichen Dorfjungen oder den Hausarzt mit dem Dodge, und er erlebt Situationen, die er genau so schon mal erlebt hat. Den silberfarbene, verletzten Vogel zum Beispiel, den er immer pflegt, oder den herum streunenden schwarzen Hund, der den Vogel immer frisst.

Gleich im ersten Leben lernt er die Gitarre spielende Hardy in einem Park kennen, wo er sich ganz vorne hingesetzt hat und sie ihn anschnauzt: «Hey, glaubst du, du bist durchsichtig?» Diese Szene wiederholt sich auch in den anderen Leben, die sich von Leben zu Leben weiterentwickeln, jeweils auf sein Vorleben und Vorwissen aufbauend. Mal ist er durch Protektion seines Vaters Beamter, dann wird er Nobelpreisträger, Börsenspekulant, wird als jesusähnlicher Heilsbringer verehrt, ist als Revolutionär an Straßenkämpfen in Paris beteiligt und wird im letzten Leben schließlich zum Schriftsteller. Im Aufbau der Biografien auf dem jeweils bereits Erlebten offenbart sich die Problematik dieses gedanklichen Experiments, denn einen wirklichen Nutzen kann der untote Romanheld daraus nicht ziehen. Nicht mal dann, wenn es zum Beispiel um Wetten geht, deren Ergebnisse er vom Vorleben her ja im Voraus schon genau kennt, bei denen sich letztendlich dann aber doch immer alles anders entwickelt.

Leider tragen weder das erzählerische Konstrukt noch die ziemlich wirren, philosophischen Streifzüge durch ein uraltes Menschheits-Thema dazu bei, diesen Roman als interessante Lektüre zu empfinden. Sprachlich wenig überzeugend, wird man weder bereichert als Leser noch erfreut. Denn auch als Fantasy ist diese Geschichte nicht tragfähig, fehlt ihr Inspiration und Substanz. Schade, denn Tristan Garcia kann es deutlich besser, was er ja mit «Faber» zum Beispiel sehr überzeugend bewiesen hat!

Fazit:  2* mäßig

Meine Website: https://ortaia-forum.de


Genre: Roman
Illustrated by Wagenbach

Omas for Future

Im Vorwort erklärt Frau Weimann, warum sie, die nie Journalistin, Politikerin oder Wissenschaftlerin war, oder werden wollte, das Buch schrieb: Um die schweigenden Mitbürgerinnen unter uns Älteren dazu zu bringen, Verantwortung für die Erde zu übernehmen. Schon weil sie eine immer größer werdende Wählerschaft darstellen. Und sie sind auch die, die sich nun Fernreisen, Kreuzfahrten leisten. Dass sie besonders viel CO2 emittieren, wird an Beispielen vorgerechnet.

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Genre: Politik und Gesellschaft
Illustrated by Scorpio

Halbmond und Hugenottenkreuz

Die Renaissance sprengte den Gedankenkäfig, befreite die Kunst, ließ neue Ideen sprießen. Aber sie führte auch zu grausamsten Kriegen, zwischen Katholiken und Evangelischen, zwischen Christen und Muslimen, zwischen Reformierten und Lutheranern.
Jeder kennt den dreißigjährigen Krieg. Doch die Kriege ein Jahrhundert zuvor sind fast vergessen. Dabei zeichneten sie sich ebenfalls durch extreme Brutaliät aus. Sven Kanthelhardt lässt sie uns erleben, schickt seine vier Protagonisten durch die Wirren, durch die Belagerung Maltas, die Schlachten in Ungarn, die Hugenotten- und Uskockenkriege. Manches mal glaubt man, in die Kämpfe jugendlicher Gangs verwickelt zu sein, wo niemand genau weiß, wer warum mit wem kämpft und wo es kein Pardon gibt. Und wir erfahren auch, warum das osmanische Reich so großen Erfolg hatte – zu dieser Zeit konnte man dort auch als nichtadeliger Europäer Karriere machen, sofern man sich zum Islam bekannte.
Spannend geschrieben wird uns diese Epoche vor Augen geführt, nicht immer leicht zu verdauen.
Für Geschichtsinteressierte unbedingt empfehlenswert


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Acabus

Tanz des Verrats

Moralische Desertierung

Seinen neuen Roman mit dem reißerischen Titel «Tanz des Verrats» hat der französische Schriftsteller Mathias Énard im Gespräch als «einen Roman über das 20. Jahrhundert» bezeichnet. Einer der Gründe, ihn zu schreiben, sei der Ukrainekrieg, der von Russland als Kampf gegen die ‹Nazis› begründet wurde. Damit sei der Krieg endgültig nach Europa zurückgekehrt. Es sind eigentlich zwei Romane in einem, die da ohne erkennbare Berührungspunkte in ständigem Wechsel nebeneinander erzählt werden. Einerseits die Geschichte eines berühmten Mathematikers, der Buchenwald überlebt hat und als überzeugter Kommunist in der neu gegründete DDR geblieben ist, während seine Lebensgefährtin und Mutter seiner Tochter es vorgezogen hat, in den Westen zu übersiedeln. Zum zweiten ist es die Geschichte eines namenlosen Deserteurs in einem unbenannten Krieg, der sich unter ständiger Gefahr zu einer ungenannten Grenze durchzuschlagen versucht.

Am 11. September 2001 findet auf einem gegenüber der Pfaueninsel auf dem Berliner Wannsee vertäuten Ausflugsdampfer ein Kongress zu Ehren von Paul Heudeber statt, dem berühmten Mathematiker. Dessen siebzigjährige Tochter Irina, die selbst Mathematik-Historikerin geworden ist, erzählt in Rückblenden von ihrem Vater, der beim Schwimmen im Mittelmeer ertrunken ist. Gerüchte sprechen von Selbstmord, den er begangen habe, weil er als unbeirrbarer Kommunist den sang- und klanglosen Untergang der DDR nicht überwinden konnte. Auch ihre Mutter Maja Scharnhorst ist anwesend, und Irina versucht, so viel wie möglich über ihren Vater in Erfahrung zu bringen, denn unter den Kongress-Teilnehmern befinden sich auch viele seiner Kollegen und Weggefährten. So erfährt sie auch, wie er im KZ Buchenwald Mithäftlingen Mathematik-Unterricht gegeben hat, und dort hat er auch seine «Ettersberger Vermutungen» niedergeschrieben, eine literarisch-mathematische Melange aus Lyrik und Zahlenkunde. Mit dem Einsturz der Twin Towers in New York am gleichen Tage markiert dieser Kongress auf dem Wannsee auch eine Zeitenwende.

Zweitens wird, ständig abwechselnd, in einer Art Selbstgespräch auch von einem Kriegsverbrecher erzählt, der als Deserteur durch eine karge Gebirgslandschaft irrt und dabei unverhofft auf eine junge Frau trifft, die sich mit einem Esel ebenfalls auf der Flucht befindet. Sie ist in ihrem Dorf mit zwei anderen Frauen von Feinden brutal gedemütigt und vergewaltigt worden, konnte sich aber befreien. In einem ersten Reflex will er sie erschießen, sie und ihr Esel stellen ja eine große Gefahr für ihn dar, entdeckt zu werden. Sie kennt ihn als grausamen Kriegsverbrecher und rechnet fest damit, dass er sie vergewaltigen und töten wird. Aber er beginnt sie zu pflegen, als sie bei einem Blitzschlag schwer verletzt wird. Während der Jagd trifft er auf eine Gruppe von drei marodierenden Soldaten, das Schicksal der Frau scheint damit besiegelt zu sein. Er erzählt ihnen lieber von ihrem gemeinsamen Versteck, bevor sie es von selbst finden. Erwartungsgemäß sehen die Drei die Frau denn auch als willkommene Beute an. Aber sie ersticht den ersten Soldaten, als er sie vergewaltigen will, die beiden anderen erschießt der Deserteur blitzschnell in einer völlig ungeplanten, spontanen Reaktion.

Im Roman heißt es an einer Stelle: «Beim Tanz des Verrats entdeckt man, was der andere einem verschwiegen hat. Es gibt nichts mehr zu verbergen, alles kommt ans Licht, alles wird verziehen, ohne dass man etwas gestehen müsste, – das ist das Schöne am Tanz des Verrats.» Mit dem Fokus auf Extremsituationen schreibt der Autor über kriegerische Geschehnisse des 20ten Jahrhunderts, ohne sie zu Ende zu erzählen. Mathias Énard lenkt seinen Fokus auf Extrem-Situationen, in denen der Mensch aus Furcht moralisch desertiert. Ein feinsinniger Roman mithin über Erpressbarkeit und Komplizenschaft, über die kriegerischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts, der exemplarisch ihre verstörenden moralischen Wirkungen aufdeckt!

 Fazit:   lesenswert

Meine Website: https://ortaia-forum.de


Genre: Roman
Illustrated by Hanser Verlag München

Die Rache von Moon Knight 1

Moon Knight. Autor Jed Mackay und Zeichner Alessandro Cappuccio legen wieder ein unwiderstehliches Abenteuer des wohl dunkelsten Marvelheldens der Comic Geschichte vor: Marc Spector besser bekannt als Moon Knight und die Faust des Khonshu, ist tot.

Priester, Angst der Dämonen

Superheldin Tigra, Khonshus anderer Avatar Hunter’s Moon sowie die guten Vampire Soldier und Reese müssen Marcs Mission nun ohne ihn fortsetzen. Aber bald taucht ein Trittbrettfahrer auf, der sich ebenfalls in das Kostüm Moon Knights, ein in Schwarz gehüllter Mondritter, zwängt und die anderen herausfordert, sich ihm nicht in den Weg zu stelen, denn sonst würde er sie töten. Ist Marc wirklich zurück und nur persönlichkeitsverändert? Oder wer verbirgt sich wirklich hinter dem Schwarzen Cape mit der Mondsichel im Wanst? Kurz taucht auch Mr. Grimm von den F4 auf, dieses Mal im Anzug und mit Schlips, denn schließlich geht es um das Begräbnis eines Freundes. Wer hat sich da noch versammelt? Eightball ebenso wie Captain America, Dr Strange, der Bogenschütze uvam. “Es gibt nur eins, wovor sich Dämonen führten: Priester!” Und da taucht auch schon Hunter’s Moon auf, ganz in weiß. Bald muss auch Tigra ihre scharfen Krallen ausfahren und gesteht: “Ich wurde zur Superheldin. Cat. Aber irgendwann war es nicht mehr nur ein Kostüm. Ich wurde Tiara. Die Werwölfin. Und ich war endlich ganz ich selbst.”

Moon Knight: wenn sich zwei oder mehr in deinem Namen versammeln

Die bestechenden Zeichnungen vom italienischen Starzeichner Alessandro Cappuccio (Mighty Morphin Power Rangers), der mit einem Caravaggio Schatten Licht inspirierten Zeichenstift über die spannenden Comicheften hinwegfegt und doch voller Details alle Einzelheiten nachschärft sind sicherlich schon mal ein großes Lesevergnügen. Aber auch die Story von Jed Mackay (Avengers, Dr. Strange) macht Lust auf mehr. Mehr von Moon Knight, der vielleicht doch nicht so tot ist, wie er scheint. Oder doch? “Die Mitternachtsmission ist eine Gang. Wir haben unser Revier. Wir haben unser Klubhaus. Wir kümmern uns um unsere Leute.” Was wiederum beweist, dass jemand erst tot ist, wenn man nicht mehr von ihm spricht oder alle die ihn kannten nicht mehr leben. Und selbst dann: the Spirit always stays alive. Es reicht mitunter, wenn sich einige in deinem Namen versammeln. Das kennen wir auch aus der christlichen Mythologie. Und es funktioniert seit mehr als 2000 Jahren. Mehr oder weniger. “Der Wunsch nach Strafe ist stärker als Trauer“, erklärt Hunter’s Moon seine Entspanntheit. Aber jeder weiß, was eine Raubkatze vor dem großen Sprung macht.

Jed Mackay
Die Rache von Moon Knight 1
Original Storys: The Vengeance of Moon Knight (2024) 1-4
2024, Softcover, Klebebindung, 104 Seiten, Format: 17 X2 6
ISBN: 9783741639043
Panini Comics
13,00 €

 


Genre: Comic
Illustrated by Panini Comics

Die Kunst, ohne Sorgen zu leben

Sozusagen die letzten Worte Stefan Zweigs, eines der größten Schriftsteller unserer Zeit, werden in vorliegender Publikation nochmal zusammengetragen. Die letzten publizierten Worte erschienen zwischen 1940 bis 1942 in Zeitungen und Zeitschriften, es waren Kurzgeschichten ebenso wie politische Appelle, Warnrufe vor Katastrophen, die er nicht mehr erleben wollte.

Die Kunst, ohne Sorgen zu leben

In der ersten, titelgebenden Erzählung, stößt Stefan Zweig beim Spaziergang mit seinem Cocospaniel Kaspar auf einen einmaligen Menschen, den Anton. Als sein Hündchen sich an Bäumen rieb und murrte und knurrte und Zweig dies erst für die “Unart des Frühlings” hielt, half ihm dieser “sonderbare Anton” indem er Kaspar den Zeck fachmännisch entfernte. Zweig, überrascht von seiner Hilfsbereitschaft, konnte gar nicht reagieren, so schnell ging dieser Anton wieder seines Weges. Zuhause erzählte Zweig von dieser Episode und seine Köchin wusste sofort Bescheid, denn jeder kannte im Salzburg von damals diesen Anton, die gute Seele. Er hatte keinen Beruf, aber ging jeden Tag spazieren und half dabei anderen Leuten, reparierte was lose, machte ganz, was kaputt. Er hätte gleichsam ein antikapitalistisches System erfunden, schreibt Zweig euphorisch, denn er nahm nie ein Geld und wollte sich nirgends bereichern. Aber alle Bewohner dieser kleinen Stadt hätten ein mobiles Kapital von moralischen Verpflichtungen ihm gegenüber angesammelt. Zweig bezeichnet dies etwas blauäugig als “großes Lebens-geheimnis“, denn er besaß zwar nichts, war aber reich, reich an sozialem Kapital. Wenn nur alle diese “Reziprozität des Vertrauens“, wie Zweig schreibt, beherzigten, dann müsste es “keine Polizei, keine Gerichte, keine Gefängnisse, kein Geld” mehr geben, so Zweig. Ein bißchen klingt das wie eine Weihnachtsgeschichte, nicht? Ein Hoch auf die Antons dieser Welt…

Im alten Österreich und der Welt

In der zweiten Geschichte, “Nur Mut!“, erfahren wir von einem Mitschüler Zweigs, dessen Vater wegen Schwindel in einem Finanzunternehmen verhaftet wurde. Zweig bereut es, damals nicht die richtigen Worte für den geknickten Mitschüler gefunden zu haben, denn er verließ die Schule und wurde Apothekerlehrling. In “Was mir das Geld bedeutet” berichtet Zweig von der grassierende Inflation, die noch weit höher war als unsere des 21. Jahrhunderts. “Ein einziges Ei kostete vier Milliarden Mark, mehr als das Etat eines Landes mit sechzig Millionen Einwohnern.” Im alten Österreich war bald jeder ein Millionär, aber nur für den Augenblick, denn eine Woche später hatte seine Million ihren Wert verloren. Unsere wirkliche Sicherheit liege aber ohnehin nicht in dem, was wir besäßen, “sondern in dem, was wir sind und was wir aus uns machen“. Und natürlich in den Menschen, die uns lieben. Die Erzählung “Die Angler an der Seine“, die auch das wunderschöne zeitgenössische Cover des vorliegenden Buches inspirierte, geht Zweig auf den Umstand ein, dass es unbeteiligte Angler gab, die nicht dem Schauspiel des welthistorischen Ereignisses, der Enthauptung König Louis in Frankreich, beiwohnten und ihm den Rücken zudrehten. “Steigert sich das Tragische ohne Maß“, schreibt Zweig, “so vermindert es die Fähigkeit, uns zu erschüttern statt sie zu steigern“. “Wir alle fühlen heute diese verhängnisvolle Proportion: Je länger das Weltdrama vor unseren Blicken dauert, umso mehr lässt unsere Fähigkeit des innerlichen Miterleben nach.

Die Kunst, ohne Sorgen zu leben” zeigt Zweig bei Rodin, im Nachruf auf Alfonso Hernandez Cata, und in der Trauer über ein untergehendes Europa. Aktuelle könnte kein Buch derzeit sein.

Stefan Zweig
Die Kunst, ohne Sorgen zu leben. Letzte Aufzeichnungen und Aufrufe
Mit einem Nachwort von Volker Michels. Herausgegeben von Klaus Gräbner und Volker Michels
2024, Insel-Bücherei 1524, fester Einband, 79 Seiten
ISBN: 978-3-458-19524-5
Insel Verlag, 5. Auflage
15,00 € (D), 15,50 € (A), 21,90 Fr. (CH)


Genre: Exil, Nationalsozialismus, Vertreibun

Black As F***. Die wahre Geschichte der USA

Whitewashing” heißt es nicht umsonst. Denn die amerikanische Geschichtsschreibung wird als Geschichte der Sieger dargestellt: der Sieg der Weißen. Aber was hätten diese ohne die Schwarzen in ihrem Land erreicht? Michael Harriot deckt den wahren Ursprung des Reichtums der amerikanischen Nation auf. Ein paar Geschichtslektionen wie es wirklich dazu kam.

500 Jahre Unterdrückung und Rassismus

Mit sehr viel bissiger Ironie und einer Prise Sarkasmus hat Michael Harriot ein Geschichtsbuch der anderen Art geschrieben. Am Ende jeden Kapitels gibt es auch einen Fragenkatalog, ganz so als würde es sich um einen Test an der Schule handeln. Zudem hat er ein paar Karikaturen und ein Interview mit einem zukünftigen weißen Suprematisten, einem weißen Grundschüler, eingeflochten, damit alle Generationen endlich das verstehen, was wirklich passiert ist. In 500 Jahren Amerika. Nehmen wir zum Beispiel die vom Autor zitierte Untersuchung zum Nettoeinkommen der Brookings Institution aus dem Jahre 2016 her, sehen wir, dass Ungleichheit immer noch eine große Rolle spielt. Das durchschnittlich Nettovermögen einer weißen Familien betrug 171.000 Dollar, das einer schwarzen Familie 17.150 Dollar. Ein anderes Beispiel für die heutige Ungleichheit in den USA ist die unter Brown versus Board of Education of Topeka bekannt gewordene Tatsache, dass Schwarze die Steuern für die Schulbusse der Weißen zahlten, ihre eigenen Kinder aber zu Fuß gehen mussten. Schwarze Eltern zahlten zudem überproportional viel Steuern für die schönen neuen Schulden der Weißen, etwa in South Carolina. Dort war 1948 die Bevölkerung zu 40% schwarz, aber schwarze Schulen bekamen 12,9 Millionen und weiße 68,4 Millionen Dollar. Ungerecht? Ungleich? Demokratisch? Nein. Zutiefst amerikanisch.

Verbrechen an der Menschheit: Sklaverei

Michael Harriot geht weit zurück in die eigentliche Geschichte der USA, nicht die offizielle, weiß gewaschene vom “Land of the Free, Home of the Brave”. Er beginnt im 16. Jahrhundert als die europäischen Seefahrer im neu entdeckten Land zwar nicht so viel Gold und Diamanten entdeckten, dafür aber entdecken, dass sie mit den entführten Menschen aus Afrika ein wohl ebenso großes Vermögen mit der Baumwollpflanzung verdienen konnten. Die Sklaverei gab es natürlich zu vor schon, aber nirgends erfuhr sie eine derart massenhafte, perfektionierte Industrialisierung wie in der damals britischen Kolonie Amerika. Die Gaskammer hätte ein französischer General namens Rochambeau damals erfunden, um aufständische “Sklaven” zu unterdrücken. Dazu führte er Kriegsgefangene an Bord seiner Schiffe auf denen er Schwefel verbrennen ließ. Das sich entwickelnde Schwefeloxid führte zum Ersticken der dort Gefangenen. Völlig jenseits ist die Erfindung einer Krankheit, Drapetomanie, die die Flucht schwarzer Menschen als pathogen darstellte. Als ob nicht jeder Mensch aus Gefangenschaft fliegen wollen würde. Aber es gab auch immer wieder Widerstand und Hoffnung, etwa die Maroons, auch von denn erzählt Harriot. Bis herauf zum amerikanischen Bürgerkrieg und darüber hinaus zeigt der Autor nicht ganz ohne Humor die völlig unlustige Geschichte der Unterdrückung und Versklavung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe.

Ein Geschichtsbuch für neue Generationen

Mit Zitaten von Lincoln lässt sich leicht belegen, dass nicht einmal der so “glorreiche Bürgerkrieg zur Befreiung der Sklaven” ein solcher war. Denn es ging einfach nur um Machtpolitik, um die Erhaltung der Union. Ein Geschichtsbuch, das vielleicht endlich dazu beitragen kann, den Begriff “Rassenunruhen” neu zu überdenken. Denn es waren die Weißen, die Schwarze lynchten, ihnen Körperteile abschnitten und diese als Souvenir verkauften. RIP Sam Hose. Und es waren die Schwarzen, die sich zurecht dagegen wehrten, wie Vieh und nicht wie Menschen behandelt zu werden. Ein Buch voll trauriger Aktualität, denn noch immer ist der Rassismus in den USA weit verbreitet. Neuerdings sogar mit Segen von oben.

Michael Harriot
Black As F***. Die wahre Geschichte der USA
2024, Hardcover, 560 Seiten,
ISBN: 9783365007990
Harper Collins
26.-€


Genre: Politik und Gesellschaft, Rassismus
Illustrated by Harper Collins

Batman – City of Madness

Batman. Ein Cthulhu-Batman? Wo hat man so etwas schon gesehen? Der Cthulhu-Mythos des Fantasy-Horror-Schriftstellers H. P. Lovecraft trifft auf die Batman-Legende. Seit Jahrzehnten ist das Tor zwischen Gotham Above und Gotham Below versiegelt, doch nun wird es exklusiv für dieses Black Label Comic geöffnet. Und endlich taucht ein alter Freund wieder auf: Two-Face.

Batman im Cthulhu-Mythos Lovecrafts

Das Black Label bietet den Erzählern und Zeichnern des Comics die Möglichkeit, dem klassischen Kanon zu entfliehen und neue Welten zu erschaffen. Eine dieser kunterbunten, verrückten und in LSD-Farben getauchten Abenteuers ist  City of Madness, das die Kehrseite von Gotham City zeigt, eine Welt in der alles anders ist, ein lebendig gewordener Albtraum, bevölkert von verdrehten, abartigen Spiegelbildern der Bewohner der Oberwelt und genährt von der Angst und dem Hass, die von dort herabströmen. Die eigenständige Story von Eisner-Award-Gewinner Christian Ward (Aquaman: Andromeda) zeigt das tief unter Gotham City Verborgene, ein zweites Gotham, dessen Tor besser verschlossen bliebe oder neu versiegelt werden sollte. Aber die Geister, die man rief, wird man bekanntlich schwer wieder los. Der Rat der Eulen spielt ebenso eine Rolle, wie ein Batman, der durch die Gänge von Arkham Asylum auf der Suche nach einer Antwort irrt. “Vielleicht hätte es nie einen Batman gegeben, wenn er über seine Gefühle geredet hätte”, resümiert Barbara Gordon alias Batgirl und spricht damit natürlich auch Batman persönlich an, der diesen Ort vielleicht ebenso geschaffen hat wie der Joker.

Freud lässt grüßen

Ich habe ein Geschichte für Sie. Sie ist vielleicht so alt und beständig wie Stein. Nur die Namen und Gesichter ändern sich. Im Kern geht es um die Liebe“, schreib der treue Alfred und beschreibt damit auch sein eigenes Trauma. Arthur Fleck würde ihm wahrscheinlich beipflichten, denn auch der hätte mehr “Zeit zum Reden” gebraucht. Christian Ward beschloss auch genau aus dem Grund, selbst Comics zu machen. Denn schon als Kind traf ihn eine Art Blitz als er die ersten Comics durchblätterte, auf der Suche nach einer Offenbarung. “Nicht nur konnten sie unterhalten und eine Geschichte erzählen, nein, sie konnten Gefühle wecken.” Sensationelle Bilder, die einerseits enthüllen andererseits gekonnt verschleiern, treffen auf eine düstere Black Label Story, die den Horizont der Batman-Legende um eine weitere Nuance erweitert: Gotham Below. Denn jeder weiß, dass der Keller auch der Sitz dessen ist, was Sigmund Freud das “Es” nannte. Bedürfnisse, Libido oder Destruktion lagern dort, im Verlies, jederzeit bereit aufzupoppen und das Über-Ich zu ersetzen, um das Ich zu kontrollieren. Diese Dreiteilung der menschlichen Psyche und des Gehirns, eine Trinität des Menschen, wird in City of Madness zeichnerisch umgesetzt wie ein Farbenrausch unter der Regie von Two-Face. Graphisch und inhaltlich ein Abenteuer der Sonderklasse.

Christian Ward

Batman – City of Madness

Original Storys: Batman: City of Madness 1–3

Autor: Christian Ward

Zeichner: Christian Ward

2024, Hardcover, 176 Seiten, Format: 24.5 X 31.5

ISBN: 9783741640148

Panini

35,00 €


Genre: Comic
Illustrated by Panini Comics

Balkongärtnern – Jetzt wird‘s richtig schön!

Vor vielen Jahren hatte ich auch mal Balkone. Beim Blättern durch die Bilder, was man alles nicht machen sollte, kamen mir mehrere Aha-Erlebnisse: also daran lag es! Es ist die originelle Idee dieses Buches: das Doppelseiten-Prinzip, links das Foto vom traurigen So nicht! Und „rechts, wie es viel besser funktioniert.“

Auf über zwei hundert Seiten, reich bebildert, und für nur €15 gibt es diesen idealen Ratgeber: größer als DIN A 5, aber noch handlich.

Es gibt Tabellen, in denen geeignete Pflanzen zusammengestellt sind. Einmal sind es „Die 120 besten Pflanzen“. Da staunte ich, die erfahrende Gärtnerin, was alles giftig ist! Nicht nur Lenzrosen und Immergrün, auch Alpenveilchen, Traubenhyazinthen und Zwergnarzissen. Gut, dass die Enkelkinder schon erwachsen sind…

Alle Pflanzen werden mit ihren deutschen Namen beschrieben, bei den Tabellen sind auch die botanischen. Dann gibt es Ratschläge zur Kombination von Farben und Formen (auch der Blätter), und das für die Jahreszeiten, die Sonnenlagen. Sie wollen auch etwas ernten, etwa Kräuter? Dafür gibt es Beispiele. Vorsicht vor Minze und Zitronenmelisse, sie sind Platzhirsche und verdrängen Anderes!

Es geht um Wasserbedarf, wer braucht welche Erde, welchen Dünger, wieviel Raum? Und dann wird gut begründet: Rosen und Eichen sind Tiefwurzler, Birnen wachsen säulenartig und sind wegen Ihrer Höhe bei Wind gefährdet, deshalb lieber Äpfel. Auch bei Gräsern sollten es nicht hohen werden. Was ist beim Sonnen-, was beim Windschutz zu beachten?

Dann geht es zum Mobiliar, beim Boden keine billigen Holzlatten nehmen, die verrotten. Holzmöbel brauchen nicht geölt zu werden, und, wenn es eine große Terrasse ist, kann es auch ein Strandkorb werden.

Beim Thema Umtopfen ein guter Tipp: wenn die Töpfe rechteckig sind, kann man, auf kleinem Raum, mehr unterbringen. Und dann die richtige Dränage beachten!

Zu „Schädlinge, Krankheiten und andere Plagegeister“ kommen auch neuere Erkenntnisse. Vieles hat sich bewährt, leider auch die Erkenntnis, dass Tauben dauerhaft zu vertreiben „eine Lebensaufgabe sein“ kann.

Dann kommen die „Blattlausmagneten“.  Da schreibe ich einfach ab: „Übrigens sind Ameisen gute Freunde der Blattläuse. Sie ernähren sich vom Honigtau, der von den Blattläusen ausgeschieden wird. Im Gegenzug schützen die Ameisen die Blattläuse. Ganz so nett sind die Ameisen dann aber doch nicht: Untersuchungen haben gezeigt, dass Ameisen die Läuse mit chemischen Stoffen langsamer machen oder ihnen die Flügel ausreißen, sodass sie nicht abhauen können.“

Ratgeber für Planung, Gestaltung und Pflege von Balkonen


Genre: Ratgeber
Illustrated by Stiftung Warentest

Das kleine Haus am Sonnenhang

Eine unendliche Folge von Kausalketten

Das neue Buch mit dem ironisch kitschigen Titel «Das kleine Haus am Sonnenhang» von Alex Capus ist kein Roman, sondern ein Memoir, also ein in Ich-Form erzähltes, autobiografisches Sachbuch, das von einem entscheidenden Abschnitt im Leben des Autors berichtet. Nach zehn Jahren als Journalist hatte sich der angehende Schriftsteller das titelgebende Haus im Piemont gekauft, um in diesem idyllisch gelegenen Refugium seinen ersten Roman zu schreiben. Dieser Schreibprozess bildet die Hauptthematik dieses poetologischen Essays, das sich sehr ausführlich und aus verschiedenen Blickwinkeln mit den Voraussetzungen und Nebenbedingungen des literarischen Schaffensprozesses auseinandersetzt.

Zeitlich in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts angesiedelt, erzählt der Autor, wie er damals ‹für kleine Münze› ein uraltes Steinhaus an einem steilen Hang gekauft hat. Es war einsam an einem Weinberg gelegen, von der Strada provinciale und dem Dorf nur durch einen im Sommer fast ausgetrockneten Bach erreichbar, der ideale Rückzugsort für ihn und seine Freundin und spätere Ehefrau. Über die damaligen Zeiten schreibt er, dass in den Bars noch geraucht wurde was das Zeug hielt, und an den Tankstellen wurde noch bedient, samt Öl kontrollieren, Reifendruck messen und Scheiben putzen. Eine entschleunigte Umgebung, die seinem Naturell als in sich ruhender Mensch ideal entgegenkam. Ihm reichte als Abwechslung von der Arbeit an seinem Roman und am Haus der regelmäßige Besuch einer wahrhaft trostlosen Bar, in der er mit der Zeit dann sogar Freunde fand und meist auch einen Gesprächspartner. Stammgäste der Bar waren immer die gleichen fünf Männer, die hier jeden Tag anzutreffen waren, immer an ihrem jeweiligen Stammplatz. Wunderbar stimmig erfasst Alex Capus das Lokalkolorit, indem er zum Beispiel beschreibt, dass die karge, wenig einladende Bar, wie überall in Italien, von Neonleuchten grell beleuchtet wurde, von Gemütlichkeit also keine Spur. Eine defekte, ständig blinkende Neonröhre wurde monatelang nicht ausgetauscht, und niemand störte sich daran. Als Deutscher, der fünfzehn Jahre in Italien gelebt hat, kann ich all das nur bestätigen, er schildert genau beobachtend die Italiener mit all ihren Gewohnheiten und Marotten. Zum Thema Katholizismus merkt er an, Mann und Frau würden sich dort in kirchlichen Dingen, «Gott sei’s gedankt», fast überall derselben «vernunftbegabten Gleichgültigkeit» befleißigen.

Alex Capus schrieb sein Manuskript auf einer mechanischen Schreibmaschine, Computer und Internet kamen erst später, was Korrekturen an seinem Text sehr schwierig machte und ihn dazu zwang, äußerst konzentriert zu arbeiten. Für ihn sei Schreiben ein der Büroarbeit ähnlicher Prozess, den er in jeweils einem vorgeplanten Zeitraum regelrecht absolvierte, hat er dazu angemerkt. Was mich doch sehr an Thomas Mann erinnert, der regelmäßig vormittags, quasi nach der Uhr, gearbeitet hat, worauf seine Familie unbedingt Rücksicht zu nehmen hatte. Es wimmelt geradezu von literarischen Verweisen und Zitaten in diesem Memoir, viele Klassiker werden da als Beleg für all die Thesen zum literarischen Schreiben herangezogen.

Augenscheinlich seinem Naturell der Gelassenheit entsprechend, philosophiert Alex Capus auch munter über das menschliche Dasein, das er als nicht terminiert beschreibt. Für ihn bestimmend sei vielmehr eine unendliche Folge von Kausalketten, die er in gleicher Weise auch in der Natur als alleinige Wirkkräfte definiert. Sehr ausführlich widmet sich der Autor seinem Selbstverständnis als Schriftsteller, und ganz allgemein auch den Vorbedingungen für künstlerisches Schaffen. Es bleibt dabei nicht aus, dass diese Thesen aus dem Bereich der Philosophie teilweise zu deutlichem Widerspruch herausfordern, andererseits aber natürlich immer wieder auch Anstöße zu eigenem Denken geben. Den Lesegenuss bewirkt hauptsächlich der ironische, amüsante Stil, in dem da so locker erzählt wird, man kommt aus dem Schmunzeln kaum heraus und wird gut unterhalten, – Philosophie hin oder her!

Fazit:   lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Hanser Verlag München

Demon Copperhead

Epos von der Chancenlosigkeit

Die im deutschsprachigen Raum kaum bekannte US-amerikanische Schriftstellerin Barbara Kingsolver hat mit ihrem neuen Roman «Demon Copperhead» den Pulitzerpreis des Jahres 2023 gewonnen. Der gleichnamige Titelheld wird einerseits vom Vornamen her als Dämon charakterisiert, der Nachname weist auf die Schlange mit dem kupferfarbenen Kopf hin, was auf die Haarfarbe des Protagonisten anspielt. Nach Aussage der Autorin, und das erklärt den Romantitel letztendlich, stand «David Copperfield» von Charles Dickens Pate bei ihrem Appalachen-Epos von der Chancenlosigkeit.

Schauplatz der Erzählung ist eine kleine Ortschaft in den Wäldern des Staates Virginia, zeitlich ist sie in den neunziger und zwanziger Jahren angesiedelt, vom neunten bis zum frühen zwanzigsten Lebensjahr des Protagonisten und Ich-Erzählers. Demon ist Halbwaise und lebt mit seiner rauschgift-süchtigen Mom, die ihn im Teenageralter bekommen hat, in prekären Verhältnissen in einem armseligen Containercamp. Als sie an einer Überdosis stirbt, wird er von den Behörden in Pflege zu dafür geeignet erscheinenden Personen gegeben. Der Staat zahlt ihnen dafür fünfhundert Dollar im Monat, ist allerdings bei der Prüfung ihrer Eignung mehr als nachlässig. Und so kommt Demon zum Beispiel als Zwölfjähriger zu einem Farmer, der noch zwei andere Pflegekinder hat und quasi davon lebt, das Pflegegeld zu kassieren und so wenig wie möglich für sie auszugeben. Demon hat nur Lumpen zum Anziehen, muss hart arbeiten, hat ständig Hunger und geht kaum mal zu Schule, weil es immer Arbeit auf dem Hof gibt. Seine Lage bessert sich erst, als er zum «Coach» kommt, dem Trainer der örtlichen Football-Mannschaft, wo er auf Angus trifft, dessen zwei Jahre ältere Tochter, mit der er sich auf Anhieb gut versteht. Der Coach entdeckt sein Talent für Football, trainiert und fördert ihn, und Demon wird zum gefeierten Spieler, sein erster Erfolg im Leben.

Dem setzt eine schlimme Verletzung aber bald ein Ende, er muss diesen Sport für immer aufgeben und wird wohl sein Leben lang körperlich davon gezeichnet sein. In 64 Kapiteln auf 860 Seiten erzählt die dort lebende Autorin ihr Apalachian-Epos vom angeblich rückständigsten Land der USA und seiner unterprivilegierten Bevölkerung am Beispiel ihres Romanhelden. Demon muss starke Mittel gegen die anhaltenden Schmerzen nehmen, die ihn schließlich süchtig machen und ihn, zusammen mit seiner großen Liebe Dori, zunehmend ins Junkie-Milieu absinken lassen. Wie seine Mom stirbt auch Dori an einer Überdosis. Demon hat viele gute Freunde, und Tommy, mit dem er einst auf der Farm zusammen war, verhilft ihm zu einem ersten kleinen Job als Comic-Zeichner, – ein Talent, dass seine Kunstlehrerin auf der Schule entdeckt und gefördert hat. Sein wechselhaftes Leben ist gekennzeichnet von einer deprimierenden Chancenlosigkeit, von schicksalhaften Rückschlägen, die ihn aber nicht entmutigen. Er ist ein Kämpfertyp, der sich nicht unterkriegen lässt, auch nicht vom Rauschgift, und so folgt er nach langem Zögern dem dringenden Rat von June, einer Ärztin, die ihm immer selbstlos zu Seite stand und ihn schließlich zum Entzug in eine Klinik einweist. Dem schließen sich Reha-Maßnahmen an, die ihn nicht nur clean machen, sondern ihn auch ins Arbeitsleben begleiten. Als er nach drei Jahren in sein Dorf zurückkommt, trifft er Angus wieder, die Tochter vom «Coach», die gerade ihr Psychologie-Studium absolviert hat. Spontan beschließen die Beiden, die sich immer gut verstanden haben, ans Meer zu fahren, dem Sehnsuchtsziel von Demon.

In bester amerikanischer Erzähltradition, mit leichter Hand unterhaltsam und witzig, aber auch pointiert und schnörkellos geschrieben, ist «Demon Copperhead» ein zu Recht prämierter Roman, dessen Spannungsbogen bis zum Ende andauert. Seine permanente Sozialkritik und die allzu vielen Schicksalsschläge seines Protagonisten mindern den Lesegenuss ein bisschen, – hier wäre weniger mehr gewesen. Gleichwohl, langweilig wird es einem nie bei dieser bereichernden Lektüre!

Fazit:   erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by dtv München