San Miguel

boyle-2Vom Scheitern des American Dream

«Romane sind wie Rockkonzerte: Entweder bringst du die Leute zum Tanzen, oder sie feuern dir Bierdosen an den Kopf». Wendet man dieses Zitat von T.C. Boyle auf seinen letzten Roman «San Miguel» an, werden wahrscheinlich eher die Bierdosen fliegen, zum Tanzen animiert das elegische Buch wohl kaum. Unter den Fans dieses Romanciers hat es jedenfalls einige Verwirrung ausgelöst, steht es doch wie eine einsame Insel alleine da im üppigen Werk des schreibfreudigen amerikanischen Autors, der für witzige Formulierungen, kreative Plots und skurrile Figuren gleichermaßen bekannt ist (oder war?). Altersweisheit und –milde sei der Grund für den Stilwandel, wird gemutmaßt. «Am schwersten fiel mir, dass mein Buch weder ironisch noch lustig ist» hat der heute 66jährige Boyle geäußert, «Ich wollte sehen, ob ich das kann. Ich hätte tolle Szenen schreiben können, aber ich wollte nicht. Ich wollte, dass alles strikt an den historischen Hintergrund und die Insel gebunden ist. Es geht um San Miguel, diesen bedrohlichen Ort».

Gestützt auf gründliche Recherchen beschreibt der Autor in den drei nach seinen Protagonistinnen benannten Teilen des Romans aus spezifisch weiblicher Sicht das karge Leben auf einer einsamen Insel, im Pazifik vor Santa Barbara in Kalifornien gelegen. Die schwindsüchtige Marantha folgt 1888 ihrem Will auf die Insel, die reine Luft dort würde ihr gut tun, hat er versprochen. Sie hat ihr ganzes Geld hergegeben, er verspricht sich von der dort betriebenen Schafzucht ein gutes Geschäft. Aber schnell wird klar, daraus wird nichts, und für sie und die Stieftochter Edith ist die Insel auch nicht das versprochene Paradies, es ist die Hölle. Beide sind schon bald nur noch von dem einen Wunsch beseelt, der rauen Natur und den primitiven Lebensverhältnissen dort zu entfliehen, aufs Festland zurückzukehren, in die Zivilisation. Als Marantha stirbt, zwingt Will die noch minderjährige Edith, weiterhin mit ihm auf der Insel zu leben, er braucht sie für den Haushalt. Nach einigen gescheiterten Versuchen gelingt Edith schließlich die Flucht, sie strebt eine Karriere als Künstlerin an, wie es ihr ergeht dabei erfahren wir leider nicht. Im dritten Teil übernehmen vierzig Jahre später Elise und ihr Mann die Pacht der Insel, sie bekommen zwei Kinder und leben in deutlich besseren Verhältnissen, die ihnen der technische Fortschritt ermöglicht. Ihr Glück aber währt nicht lange, die Weltwirtschaftskrise und der zweite Weltkrieg bedrohen ihre Idylle, und als Ediths Mann nach einem Unfall depressiv wird und Selbstmord begeht, kehrt sie desillusioniert von einer ihr fremd gewordenen öden Insel aufs Festland zurück.

Geschichten von wagemutigen Pionieren in menschenfeindlicher Natur, der amerikanische Traum also, hier in Form einer auf wahren Geschehnissen basierenden Robinsonade, sind so ganz nach dem Geschmack des Lesepublikums jenseits des Atlantiks. Boyle lässt seine beiden Männerfiguren scheitern, und er erzählt von den tapferen Frauen, die dem stets drohenden Unheil die Stirn bieten, so gut sie eben können. Die Handlung folgt keinem kontinuierlichen Ablauf, sie ist kapitelweise in Einzelszenen gegliedert, die aneinandergereiht jeweils bestimmte Ereignisse fragmentarisch erzählen. Der für Boyle ungewohnt nüchterne Sprachstil ist fast pathetisch, seine Geschichte aber bleibt ohne Spannung und Höhepunkte. Viel wird erzählt, wenig passiert, wobei die gekonnt beschriebene, reizlose Natur der überweideten, baumlosen Insel stets im Mittelpunkt steht, aber irgendwann wird es dann doch langweilig für den Leser. Besser gelungen sind die Beschreibungen der Figuren, deren Innenleben nachvollziehbar und glaubhaft dargestellt ist, ohne wirklich emotionale Tiefe allerdings. Ein historischer Roman, der mich nicht hat überzeugen können, ohne dass ich deshalb nun gleich zum Bierdosen-Werfer werde.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
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Greasy Lake und andere Geschichten

boyle-1Amerikanisch, daran ist kein Zweifel

Der als Thomas John Boyle geborene US-amerikanische Schriftsteller änderte seinen Namen in jungen Jahren zu Ehren eines schottischen Vorfahren in Tom Coraghessan Boyle, bekannt geworden ist er dann jedoch unter dem Kürzel T. C. Boyle. Wie bei seinem Namen sind auch im Werk des Autors unbändige Kreativität und sprachliche Knappheit die entscheidenden gestalterischen Merkmale, der 1985 erstmals veröffentlichte Band «Greasy Lake und andere Geschichten» ist ein prägnantes Beispiel dafür. In ihm sind vierzehn seiner Kurzgeschichten zusammen gefasst, insgesamt gibt es mehr als sechzig davon, die von ihm in etlichen derartigen Bänden publiziert wurden, gleichwertig neben seinen Romanen.

Und es geht gleich richtig zu Sache in der titelgebenden ersten Geschichte «Greasy Lake», eine durchaus schockierende Erzählung über eine Gruppe Jugendlicher, von der es da im ersten Absatz heißt: «Wir waren neunzehn. Wir waren böse. Wir lasen André Gide und nahmen ausgeklügelte Posen ein, um zu zeigen, dass wir auf alles schissen. Abends fuhren wir meistens zum Greasy Lake rauf». Es folgt ein von Alkohol und Drogen geförderter, völlig sinnloser Gewaltexzess. Wie hier sind auch in den anderen Kurzgeschichten zumeist Außenseiter der Gesellschaft als Protagonisten vertreten, oft komische Sonderlinge, die Boyle mit wenigen Worten glaubhaft und treffend skizziert. Er tut dies mit einer unterschwelligen Ironie, die aus dem ernstesten Geschehen eine amüsante Story entstehen lässt. Sprachlich ist all das brillant umgesetzt durch einen metaphernreichen, gleichwohl aber eher nüchternen, knappen und pointierten Schreibstil, der mich zuweilen an Hemingway erinnert hat.

Boyles Themen sind nicht nur originell, sie verblüffen den Leser auch durch ihre Vielfalt. Da geht es um eine verhängnisvolle Leihmutterschaft, eine heimliche Liaison des amerikanischen Präsidenten Eisenhower mit der Frau des KPdSU-Generalsekretärs Chruschtschow, einen grausamen indischen Bettlerkönig, um üble Geschäfte mit naiven Überlebensängsten, fanatische Walschützer, den Erfolg der Neumondpartei in den USA, einen gescheiterten Elvis-Presley-Imitator, die Einbürgerung der Stare 1890 mit ihren unerwünschten Folgen 1980, es geht um den grotesken materiellen Mangel im kommunistischen Russland und anderes mehr. Detailreich geschildert und immer wieder überraschende Wendungen nehmend, wobei wie gesagt auch der Humor nicht zu kurz kommt, sind diese wahrhaft abenteuerlichen Geschichten eine gleichermaßen abwechslungsreiche wie kurzweilige Lektüre.

«Literatur kann in jeder Hinsicht großartig sein, aber sie ist nur Unterhaltung». Wie stimmig dieses Zitat von T. C. Boyle ist, speziell für ihn persönlich, das zeigt sich für mich recht deutlich in der vorliegenden Sammlung von Geschichten. Der Autor hinterlässt mit ihnen beim Leser keine nachhaltige Wirkung, man hat sie vergessen, kaum dass man sie gelesen hat, mithin eine ziemlich belanglose Lektüre, für die U-Bahn oder den Badestrand geeignet. Gut und Böse sind da immer klar getrennt, Zwischentöne fehlen weitgehend, Philosophisches gar ist nirgendwo zu finden, obwohl die interessanten Themen ja bestens dazu geeignet wären, die Dinge etwas tiefer auszuloten, ihnen auf den Grund zu gehen, auch andere Facetten zu beleuchten. Man wird also nicht gerade bereichert durch dieses Buch, aber immerhin sehr gut unterhalten, amerikanisch eben, daran ist kein Zweifel.

Fazit: lesenswert

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Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen, Roman
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Willkommen in Wellville

boyle-3Autointoxikation allenthalben

Der 1993 veröffentlichte Roman «Willkommen in Wellville» ist typisch für den US-amerikanischen Autor T. C. Boyle, dessen Werke durch ihre zumeist originellen Inhalte die Kreativität eines Erzählers unterstreichen, der nicht, wie viele seiner Kollegen, ans Autobiografische gebunden ist in seiner Thematik. Was bedeutet, dass viel Recherchearbeit nötig wird; man merkt sie dieser Geschichte jedenfalls an, denn außer dem Namen Kellog, der uns vom Supermarktregal her vertraut ist, dürfte vielen Lesern herzlich wenig bekannt sein aus dem speziellen Milieu, von dem Boyle uns hier erzählt.

Im Zentrum steht der Arzt Doktor John Harvey Kellog, der sich nach heftigem Streit mit seinem Bruder aus dem Geschäft mit Cornflakes zurückgezogen hat und ein Sanatorium betreibt, welches, seinen Vorstellungen von gesunder Ernährung folgend, schnell zu einem Mekka wird für mehr oder weniger hypochondrische, in jedem Fall aber reiche Patienten. Eigentlich sogar eher Jünger, die ihm als selbstherrlichem Guru bedingungslos folgen, einer verschworenen Sekte ähnlich. Zeitlich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts angesiedelt, erleben wir in parallelen Handlungssträngen die Geschichte eines Fabrikantensohns und seiner Frau Eleanor, die im Sanatorium Heilung suchen, ferner die eines zwielichtigen Glücksritters, der ins boomende Geschäft mit den Frühstücksflocken einsteigen will, und natürlich auch die turbulenten Ereignisse, die der missionarisch unbeirrbare Doktor Kellog während des wenige Monate umfassenden Plots in Battle Creek, Michigan zu überstehen hat.

Der Gesundheitswahn seiner Patienten, deren unreflektierte Medizingläubigkeit zumal, sind ein hervorragender Nährboden für Kellogs obskures Sanatorium, in dem es zugeht wie in einem Gruselkabinett. Das Klistier ist im Dauereinsatz, lebensgefährliche Apparate werden eingesetzt, Sex ist streng verboten, weil gesundheitsschädlich, die strikt vegetarische Ernährung spottet jeder Beschreibung. Alle Patienten sind einer permanenten Gehirnwäsche ausgesetzt, werden mit pseudo-wissenschaftlichem Hokuspokus in durchaus auch betrügerischer Absicht manipuliert. Boyle hat aus dem Vollen geschöpft bei seiner ausufernden Geschichte, die leicht lesbar den geneigten Leser unterhält über sehr viele Seiten hinweg. Zu viele allerdings, es stellen sich bald quälende Längen ein, insbesondere was die endlose Aufzählung von Diäten oder medizinischen Behandlungen anbelangt, die immer den gleiche Nonsens enthalten. Ebenso überzogen ist der Handlungsstrang des Möchtegern-Unternehmers, die handelnden Figuren sind ähnlich wie Kellogs Patienten als Volltrottel dargestellt, sie agieren auf Dick und Doof-Niveau. Dass schließlich die übereifrige Eleanor einem Scharlatan in die Hände fällt, und zwar buchstäblich, der ihre Beschwerden mittels «Handhabungstherapeutik» oder, konkreter, Unterleibsmanipulation zu heilen verheißt, fügt dem ansonsten jugendfreien Plot eine für US-amerikanische Autoren erstaunliche, aber durchaus gelungene, erotisch aufgeladene Episode hinzu, – Sex sells, das gilt übrigens auch für das Buchcover.

Mit dem Zauberberg, das sei noch angemerkt, hat Boyles Roman nur den Handlungsort gemeinsam. Wo bei Thomas Mann feine Ironie im Spiel ist und viel tiefgründig Philosophisches, wartet Boyle mit slapstickartiger Satire auf, maßlos überzogen bis an die Grenze des Erträglichen. Und was das sprachliche Können beider Autoren anbelangt, darüber hüllen wir Boyle zuliebe gnädig den Mantel des Schweigens. Seine Groteske über Gesundheitsapostel, Vegetarier, Nudisten, Alkohol- und Sex-Abstinenzler, allesamt vergiftet durch falsche Ernährung, wie Kellogs Standarddiagnose «Autointoxikation» behauptet, mag ja für manche Leser durchaus unterhaltsam sein. Boyle folgt hier konsequent seinem Credo, das da heißt: «Literatur kann in jeder Hinsicht großartig sein, aber sie ist nur Unterhaltung». Wer den Roman «Der Zauberberg» liest, wird allerdings feststellen, dass sie auch Kunst sein kann!

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
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Riven Rock

riven_rock-9783423127844Nahezu überschwappend dieser Irrsinn. Der arme Mr McCormick, ein Gejagter seiner inneren Richter, der Unfähigkeit Sexualität als etwas Normales sehen und fühlen zu können, eine übermächtige Mutter, eine ebenfalls psychisch kranke große Schwester. Dann die Jahrzehnte, in denen der Millionär weggesperrt leben muss. Wechselnde Psychiater, die “Redekuren” verordnen, sprich Psychoanalyse, die damals völlig unbekannt war, dazwischen einer, der die Affen und ihre Sexualität im Park des Anwesens erforscht. Sehr schräg, amüsant und gut gemacht. Weiterlesen


Genre: Belletristik, Romane
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Talk Talk

Fast ist es ein Tag wie jeder andere. Dana Halter, gehörlose Lehrerin aus San Roque in Kalifornien, kämpft morgens mit den Hindernissen des Alltags. Außerdem hat sie einen Termin bei ihrem Zahnarzt. Sie ist nervös, sie ist in Eile und möglicherweise wird sie zu spät kommen. Gerade ist sie mit dem Auto losgefahren, sie fährt sehr schnell, da gerät sie in eine Polizeikontrolle. Mit einem nervösen Lächeln und einer Ausrede versucht sie, den Polizisten gnädig zu stimmen. Das funktioniert aber nicht. Stattdessen wird Dana in Gewahrsam genommen und kommt ins Gefängnis. Sie wird verhaftet und unter Anklage gesetzt. Nach Meinung der Polizei und der Staatsanwaltschaft werden ihr zahlreiche Verbrechen zur Last gelegt. In verschiedenen Bundesstaaten der USA sind Straftaten, wie Betrügereien und Autodiebstähle, von einer Person mit dem Namen Dana Halter begangen worden.

Mit Hilfe ihres Freundes Bridger und einer Anwältin gelingt es, ihre Unschuld und ihre wahre Identität zu beweisen. Zwischenzeitlich ist sie auch noch ihren Arbeitsplatz losgeworden und deshalb hat sie nur noch ein Ziel, zusammen mit Bridger den Mann zu finden, der sich auf ihre Kosten ein angenehmes Leben macht.

T.C. Boyle gab vor Jahren mit seinem wundervollen Afrikaroman »Wassermusik« ein hervorragendes Debut und hat sich in der Zwischenzeit erfolgreich den amerikanischen Lebensweisen und den Lebensspuren der Hippies sowie eines Mister Kellog und eines Dr. Sex gewidmet.
Das Buch ist spannend erzählt und Freunde von T.C. Boyle werden an »Talk Talk« ihre Freude haben.


Genre: Romane
Illustrated by Carl Hanser München